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Lars Heinze Bechern in der Planstadt. Das bürgerliche Symposion im spätklassisch-frühhellenistischen Priene Wie sieh t es aus, dashäuslicheTrinkgelage ganz gewöhnlicher Bürgerin einerganz gewöhnlichen griechis chen Kleinstadt des 4. Jahrhunderts vor Christus? Überall ein bisschen wie in Athen - und überall auch ein bisschen anders. Der Befundaus dem kleinasiatischen Priene gibt Einblicke in das Nebeneinander eines 'globalisierten' Mittelmeerraumesund lokaler Eigenheiten. Eine der hervorstechendsten Eigenschaften der io- nischen Kleinstadt Priene ist der beispiellose Erhal- tungszustand der großflächig freigelegten Ruinenstät- te (Abb. 1. 2). Diese Freilegung geht im Wesentlichen zurück auf die deutschen Ausgrabungen in den Jahren 1895 bis 1898, in deren Verlauf weite Teile des städ- tischen Zentrums sowie des westlichen Wohnviertels ausgegraben werden konn ten. Die zentrale Bedeutung Prienes für die Erforschung griechischer Stadt- und Wohnkultur basiert jedoch auf zwei weiteren wichti- gen Faktoren. So wurden - wahrscheinlich in Folge eines Steinschlags von der nördlich der Stadt sich er- hebenden Steilwand - weitläufige Areale im Westen der Stadt kurz nach der Mitte des 2. jhs . v. Chr. auf - gelassen und nicht wieder besiedelt. Hierdurch haben sich in diesem Bereich die baulichen Reste einer helle- nistischen Wohnstadt so gut erhalten, dass die dama- ligen Ausgräber in ihrer Euphorie gar vom "Pompeji Kleinasiens" sprachen. Des Weiteren konnten die ers- ten Ausgräber bereits festste llen, dass es sich bei dieser Stadt um eine Neugründung des 4. jh. v. Chr. handelt; das ältere städtische Zentrum der Polis Priene, welche sich anhand historischer Quellen bis mindestens in das 7. jh, v. Chr. zurückverfolgen lässt, muss an anderer Stelle gelegen haben, konnte bislang jedoch noch nicht lokalisiert werden. Die Neugründung der Stadt erfolg- te gemäß einem zu ihrer Zeit üblichen und sicherlich als besonders modern angesehenen planerischen Sche- ma. So wurde das nach Westen, Süden und Osten hin abfallende Geländeprofil trotz aller damit verbunde- nen Widrigkeiten in ein streng rechtwinkeliges Raster unterteilt und entsprechend bebaut. Wohnen und Feiern: Orte der bürgerlichen Gelagekultur im frühen Priene Aspekte wie die ursprüngliche Konzeption der Stadt- anlage, ihre Ausführung sowie nachfolgende bauliche Modifikationen gehörten zu den zentralen Fragestel- lungen der imJahre 1998wiederaufgenommenen deut- schen Ausgrabungen in Priene. Ein wichtiges Ziel war es dabei auch , zuvor auf gestellte Hypothesen zur urba- nen Entwicklung Prienes und anderer klassischer und hellenistischer Planstädte zu prüfen und wenn mög- lich zu korrigieren. Besonders wirkungsmächtig und in vielerlei Hinsicht wegweisend waren hier Wolfram Hoepfner und Ernst-Ludwig Schwandner. Sie hatten in den 80er Jahren im Zuge ihrer Analyse zahlreicher archaischer, klassischer und hellenistischer Städte für das gründungszeitliche Priene eine flächendeckende Bebauung der als Wohnflächen ausgeschriebenen Are- ale mit standardisierten Typenhäusern des sogenann- ten Prostas-Typs postuliert. Bei dem namengebenden Element dieses Haustyps, der prostas, handelt es sich um einen kleine offene Vorhalle, die zwischen dem Hof und dem eigentlichen Wohnbereich vermittelt. Dieser soll nach Hoepfner und Schwandner (Abb.3) im grün- dungszeitlichen Priene stets eine Gruppe von drei Räu- men umfasst haben: einen Hauptwohnraum (oikos) im Norden mit daran anschließendem Nebenraum sowie einen vornehmlich der Männerwelt zugeordneten Ge- lageraum (andrön) , der seitlich von der prostas abgeht. Zusätzlich zu einem weitgehend hypothetisch rekon - struiertem Obergeschoss, war südlich des Hofes eine weitere kleine Raumgruppe vorgesehen, die entweder der Bevorratung dienen konnte oder auch handwerk- liche Einrichtungen erlaubte; grenzte diese südliche 57
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Bechern in der Planstadt. Das bürgerliche Symposion im spätklassisch-frühhellenistischen Priene

Apr 07, 2023

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Kolja Möller
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Page 1: Bechern in der Planstadt. Das bürgerliche Symposion im spätklassisch-frühhellenistischen Priene

Lars Heinze

Bechern in der Planstadt. Das bürgerliche Symposion imspätklassisch-frühhellenistischen Priene

Wiesieht esaus, dashäuslicheTrinkgelage ganz gewöhnlicher Bürgerin einerganz gewöhnlichengriechischen Kleinstadt des 4. Jahrhunderts vor Christus? Überall ein bisschen wie in Athen - undüberall auch ein bisschen anders. DerBefundausdem kleinasiatischen Priene gibt Einblicke in dasNebeneinander eines 'globalisierten' Mittelmeerraumes und lokaler Eigenheiten.

Eine der hervorstechendsten Eigenschaften der io­nischen Kleinstadt Priene ist der beispiellose Erhal­tungszustand der großflächig freigelegten Ruinenstät­te (Abb. 1. 2). Diese Freilegung geht im Wesentlichenzurück auf die deutschen Ausgrabungen in den Jahren1895 bis 1898, in deren Verlauf weite Teile des städ ­tischen Zentrums sowie des westlichen Wohnviertelsausgegraben werden konn ten. Die zentrale BedeutungPrienes für die Erforschung griechischer Stadt - undWohnkultur basiert jedoch auf zwei weit eren wichti­gen Faktoren. So wurden - wahrscheinlich in Folgeeines Steinschlags von der nördlich der Stadt sich er­hebenden Steilwand - weitläufige Areale im Westender Stadt kurz nach der Mitte des 2. jhs. v. Chr. auf­gelassen und nicht wieder besiedelt. Hierdurch habensich in diesem Bereich die baulichen Reste einer helle­nistischen Wohnstadt so gut erhalten, dass die dama­ligen Ausgräber in ihrer Euphorie gar vom "PompejiKleinasiens" sprachen. Des Weiteren konnten die ers­ten Ausgräber bereits festste llen, dass es sich bei dieserStadt um eine Neugründung des 4. jh. v. Chr. handelt;das ältere städtische Zentrum der Polis Priene, welchesich anhand historischer Quellen bis mindestens in das7. jh, v. Chr. zurückverfolgen lässt, muss an andererStelle gelegen haben , konnte bislang jedoch noch nichtlokalisiert werden. Die Neugründung der Stadt erfolg­te gemäß einem zu ihrer Zeit üblichen und sicherlichals besonders modern angese henen planerischen Sche­ma. So wurde das nach Westen, Süden und Osten hinabfallende Geländeprofil trotz aller damit verbunde­nen Widrigkeiten in ein streng rechtwinkeliges Rasterunterteilt und entsprechend bebaut.

Wohnen und Feiern: Orte der bürgerlichenGelagekultur im frühen Priene

Aspekte wie die ursprüngliche Konzeption der Stadt ­anlage , ihre Ausführung sowie nachfolgende baulicheModifikationen gehörten zu den zentralen Fragestel ­lungen der im Jahre 1998 wiederaufgenommenen deut­schen Ausgrabungen in Priene. Ein wichtiges Ziel wares dabei auch , zuvor aufgestellte Hypothesen zur urba ­nen Entwicklung Prienes und anderer klassischer undhellenistischer Planstädte zu prüfen und wenn mög­lich zu korrigieren. Besonders wirkungsmächtig undin vielerlei Hinsicht wegweisend waren hier WolframHoepfner und Ernst-Ludwig Schwandner. Sie hattenin den 80er Jahren im Zuge ihrer Analyse zahlreicherarchaischer, klassischer und hellenistischer Städte fürdas gründungszeitliche Priene eine flächendeckendeBebauung der als Wohnflächen ausgeschriebenen Are­ale mit standardisierten Typenhäusern des sogenann­ten Prostas-Typs postuliert. Bei dem namengebendenElement dieses Haustyps, der prostas, handelt es sichum einen kleine offene Vorhalle, die zwischen dem Hofund dem eigentlichen Wohnbereich vermittelt. Diesersoll nach Hoepfner und Schwandner (Abb. 3) im grün­dungszeitlichen Priene stets eine Gruppe von drei Räu­men umfasst haben: einen Hauptwohnraum (oikos) imNorden mit daran anschließendem Nebenraum sowieeinen vornehmlich der Männerwelt zugeordneten Ge­lageraum (andrön) , der seitlich von der prostasabgeht.Zusätzlich zu einem weitgehend hypothetisch rekon ­struiertem Obergeschoss, war südlich des Hofes eineweitere kleine Raumgruppe vorgesehen, die entwederder Bevorratung dienen konnte oder auch handwerk­liche Einrichtungen erlaubte; grenzte diese südliche

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Abb. 4: Isometrische Rekonstruktion eines prienischenandr ön (nach Hoepfner und Schwandner 19942

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eine der wesentlichen Erkenntnisse darf gelten , dassdie ersten baulichen Umsetzungen dem Konzept einesstreng orthogonalen und modularen Insulasystemstatsächlich genau gefolgt zu sein scheinen. Bereitswenige Jahrzehnte nach der Neugründung finden sichdann aber, vor allem im Bereich der öffentlichen Groß­bauten wie dem Theater und der Agora , die ersten Ab­weichungen. Ähnlich hat man sich die Entwicklungs­prozesse bei der Wohnbebauung vorzustellen, wobeidiese in verschiedenen Bereichen der Stadt durchausunterschiedlich abgelaufen zu sein scheinen: Es kamzu Umbauten und Erweiterungen der ersten Bauphase,und auch von Beginn an größer angelegte Wohnhäu­ser wurden nun möglich.Das wichtigste und in seinen Dimensionen erstaunlicheinheitliche Kernelement der frühen Wohnhäuser warstets die Vierraumgruppe, bestehend aus prostas, oikos,oikos-Nebenraum und andrön , mit südlich anschlie -

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Abb. 3: Isometrische Rekonstruktion einer prienischenWohnins ula mit 'Typenhiiusern ' (nach Hoepfner undSchwandner 19942

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Raumgruppe an eine Straße , konnte sie sich zudemzu dieser hin öffnen und als vom Haus abgetrennterLaden genutzt werden. Von diesen Häusern einheitli­chen Typs seien jeweils acht in einem Block (insula)zusammengefasst worden (Abb. 3). Dergestalt gleich­förmig anmutende Grundrisse konnten Hoepfner undSchwandner noch in einigen der späteren hellenisti­schen Wohnparzellen von Priene erkennen. In denmeisten Fällen ließen sich diese ursprünglichen Bau­phasen jedoch nur hypothetisch rekonstruieren, dadie betreffenden Häuser zahlreiche spätere Umbautenerfahren hatten.Die jüngeren Forschungen vor Ort konnten nun so­wohl im Osten als auch im Westen des Stadtgebietesdie Ergebnisse der alten Ausgrabungen durch archäo­logische Nachuntersuchungen deutlich erweiternund erbrachten ein weitaus differenzierteres Bild derstädtischen Entwicklung nach der Neugründung. Als

--Abb. 1: Priene. Rekonstruktion des Stadtgebietes von A. Zippelius nach dem Forschungsstand um 1910

Abb. 2: Priene~ Plan der Stadt. Ausschnitt: Agora, Athenatempel, 1heaterviertel und Westviertel(nach U. Mama, U. Ruppe)

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Mit diesem Bild eines 'typisch' prienischen andrön des4. ]hs. v. Chr. vor Augen soll im Folgenden der Fragenachzugehen sein , wie man sich diese häusliche Sym­posien in der Praxis vorzustellen hat. Die archäologi­schen Feldforschungen ermöglichen hier leider nurbegrenzt Einblicke. So hat sich keiner der gründungs­zeitlichen andrönes mit seiner ursprünglichen Aus­stattung erhalten. Gelageräume, die mit der flächigenZerstörung von Häusern im Westen der Stadt im 2. ]h.v. Chr. außer Funktion gerieten, sind zwar zum Teil inLage und Größe identisch mit den älteren andrimes, dieaufwendigen Wandverzierungen wurden jedoch mitder Zeit regelmäßig dem Zeitgeschmack angepasst.Auch die selten erhaltenen Kieselstein-Mosaiken kön ­nen nicht mit Sicherheit als gründungszeitliche Bo-

Was vom Gelage übrig blieb

litischen Oberschicht der Stadt war, sondern einem ge­sellschaftlichen Grundbedürfnis entsprach, innerhalbder eigenen vier Wände über einen solch festen Ort fürdas Gelage zu verfügen.

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Abb. 6: Trink-, Misch- und Schankgefäße lokaler bzw. regionaler Produktion: a) hemisphärischer Becher(lokal); b)Krater (lokal); c) Olpe(unbestimmte regionale Produktion); d) Hydria (lokal).

Einzelnen innerhalb der Gesellschaft scheint somit inder ersten Generation der Neusiedler nicht über dieGröße und formale Gestalt der Wohnhäuser vermitteltworden zu sein. Möglichkeiten zur Distinktion könn­ten höchstens die Lage der Parzelle innerhalb der Stadtoder die Innenausstattung der Räume geboten haben.Für das Symposion im frühen Priene scheint damitklar, dass die Bewirtung einer großen Zahl von Gäs­ten im eigenen Haus, sicher auch eine Möglichkeit, be­sonderes Prestige zu erwerben bzw. zu demonstrieren,nicht vorgesehen war. Bei einer maximalen Belegungder Klinen mit jeweils zwei Personen dürfte vielmehrdie Zahl der Teilnehmer am Gelage im andriin sechsbzw. acht nicht überschritten haben. Bereits die Vor­stellung einer solchen Personenzahl in einem höchs­tens 20 bis 25 m" großem Raum löst ein beklemmen­des Gefühl aus ; kleinere Gruppen, bestehend etwa ausVerwandten, Freunden, Geschäftspartnern oder auchGenossen eines Kultvereins, mögen deshalb eher dieRegel gewesen sein. Beachtlich ist , dass jeder Bürger inseinem Haus offensichtlich einen potentiell als andrimnutzbaren Raum vorgesehen hat. Dies legt nahe, dasses keinesfalls ein Privileg der wirtschaftlichen bzw. po-

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Die Deutung dieses Raumtyps innerhalb des Hausesgeht bereits auf die Erstausgräber zurück. Begründetwurde sie vor allem mit der regelmäßig hier - und nurhier - nachgewiesenen prächtigen Stuckverzierungbzw. Wandmalerei, einem Charakteristikum derartigerFesträume. Dass der Raum, falls ein Obergeschoss fehl­te, zeitweise auch anders genutzt worden sein dürfte,ändert nichts an der Primärfunktion: Von der prostasaus erschließbar, ohne die restlichen Wohnbereichedurchqueren zu müssen, ste llte er sicher den bevor­zugten Ort für das Abhalten häuslicher Symposien dar.Dies geht auch aus der für gewöhnlich exzentrischenPosition der Tür hervor, welche eine günstige Aufste l­lung von Klinen möglich machte (Abb. 4). Die bislangergrabenen and rones, die mit großer Sicherheit mit derGründungszeit verbunden werden können, ermögli­chen Aufstellungen von jeweils drei oder vier Klinenin leicht unterschiedlichen Konstellationen.Dieser hohe Grad der Normierung der frühen prieni­sehen Wohnhäuser ist erstaunlich, können wir dochdavon ausgehen, dass der Wohlstand der Einwohnersehr unterschiedlich verteilt war. Der Besitzstatus des

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ßendem Hof. Abweichend von der eingängigen Re­konstruktion Hoepfners und Schwandners, erbrachtendie jüngsten Untersuchungen jedoch keine sicherenHinweise auf vorhandene Obergeschosse. Dort aberhatten jene unter anderem Schlafräume und die histo­risch zumindest für Athen überlieferten Gemächer derFrauen des Hauses angenommen. Sollte das Fehlen ei­nes solchen Stockwerkes allerdings die Norm gewesensein, so wäre bei den vorhandenen ca. 55 m" Wohn­fläche der Vierraumgruppe wohl mit einer wesentlichflexibleren Nutzung der Räume zu rechnen, als die ge­läufigen Bezeichnungen dies suggerieren.Es kann somit - zumindest für die bislang bekannteSituation zur Gründungszeit der Stadt - davon ausge­gangen werden, dass die Ankömmlinge durchweg inWohnparzellen mit relativ gleichförmig aufgeteilterVierraumgruppe gewohnt haben, die sicherlich als be­sonders modern und funktional galten. In dieser Kon­stellation kommt dem andrön, wörtlich: dem Männer­raum, die wichtige Funktion des Gelageraumes zu, indem sich der Hausherr mit seinen ausnahmslos männ­lichen Gästen zu Speis und (vor allem) Trank einfand.

Abb. 5: Obersicht über die ,:orhandenen attischen, attis~erenden sowie regi~nalen Trinkgefäße: a) Schalen-~kyphos(attisch); b) Kantharos (attisch); c) Skyphos, Typ A (attisch); d) Bolsal (attisch]; e) Skyphos, Typ A (unbestimmteregionale Produktion);f) Bolsol(lokal).

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Abb. 7:Milesisc he Fikellura -Amphora, um die Mitte des6. Jh. v. e hr. A ltenburg, Staatliches Lindenau-Museum191, Darstellung eines Komas

den beläge in Anspruch genommen werden. Vom ur­sprünglichen Mobiliar dieser Räume sind Objekte ausvergänglichen Materialien, etwa Tische, Truhen oderKlinen aus Holz, naturgemäß verloren. Einzelne me­tallene Komponenten derartigen Mobiliars, wie etwaZierbeschläge, wurden in der Antike eingeschmolzenoder umgearbeitet. Was jedoch erhalten geblieben ist,ist ein Teil des beim Gelage verwendeten Geschirrs,sofern es nicht ebenfalls aus vergänglichen oder 're­cycelbaren' Materialien wie Metall oder auch Glas be­stand, also die keramischen Gefäße . Zwar konnte manein zerbrochenes Tongefäß mit gewissem Aufwandmithilfe von Bleiklammern flicken, für den WerkstoffKeramik selbst gibt es indes nach Verlust der Primär­funktion keine unmittelbare Form der Wiederverwen­dung. Die in einer antiken Stadt laufend anfallendenMassen zerbrochener Gefäßkeramik, welche allent­halben Schutthalden bildeten, waren neben Erde undGeröll jedoch ein beliebtes Planiermaterial, das ange­sichts der Hanglage der Stadt bei sämtlichen Baumaß­nahmen stets von Nutzen war. Der Vorteil von Kera­mik ist hierbei, dass sie sich - anders als organischeMaterialien - nicht weiter zersetzt. Somit wird dasAbsacken verfüllter Bereiche verhindert und der rechtlose Scherbenverbund hat außerdem eine dauerhaftdrainierende Wirkung.So nimmt es nicht wunder, dass sämtliche in den Prie­negrabungen geborgenen Symposionsgefäße des unsinteressierenden Zeithorizonts nicht etwa aus den Räu-

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men stammten, in denen sie einst Verwendung fanden,sondern aus mehr oder weniger umfangreichen Ver­füllschichten, die in vielen Bereichen der Stadt bei denersten größeren Umbaumaßnahmen im späten 4. undfrühen 3. jh, v. Chr. als Schutt eingebracht worden sind.Dementsprechend ist ein Großteil des Materials auchnur in kleinen Fragmenten erhalten, aus denen sich je­doch mitunter die komplette Form der ursprünglichenGefäße rekonstruieren lässt. Die offensichtliche Ein­schränkung, der diese Verfüllungen als archäologischeBefunde unterliegen, liegt darin, dass sie selten einemeinzigen Haushalt und nicht einmal einer einzelnenGeneration der Stadtbewohner zugerechnet werdenkönnen, sondern in vielen Fällen über größere Arealeund längere Zeiträume streuen. Durch die Neugrün­dung der Stadt ergibt sich für das früheste Fundma­terial aus Priene immerhin der Vortei l, dass es nichtmit beliebig älteren Gefäßen vermischt vorkommt. Jefrüher diese Verfüllungen eingebracht wurden, destoschärfer ist dann auch das Bild, welches sie von derGelagekultur der Gründungszeit zeichnen.

Trinken wie in Athen?

Die Untersuchung der gründungszeitlichen Keramikist vor allem bei denjenigen Gefäßen von Interesse,deren Produktion man in Athen gemeinhin in das frü ­he 4. jh, v. Chr. datiert, etwa die zahlreich gefundenenSchalen-Skyphoi (Abb. 5, a). Da man gegenwärtig voneiner Neugründung der Stadt um oder kurz nach 350 v.Chr. ausgeht, dürften diese Gefäße bereits einige Jahr­zehnte in Gebrauch gewesen sein , als sie aus den al­ten Wohnungen in die neue Stadt mitgebracht wordensind. Man kann daraus schließen, dass sie einen beson­deren Wert für die entsprechenden Personen gehabthaben müssen.Die meisten Gefäße, die man mit Sicherheit vorgrün­dungszeitlich ansetzen kann, stammen aus attischenWerkstätten. Dieser Befund spiegelt aber auch die Tat ­sache, dass sich nur attische Feinkeramik überhaupthinreichend exakt datieren lässt. Neben attischen Ge­fäßen mit durchgehend schwarzem Glanztonüberzuggehören hierzu auch einige mit rotfigurigem Dekor. Dadie Neugründung Prienes in die Zeit des Niedergangsder rotfigurig arbeitenden attischen Werkstätten fällt ,ist mit Fragmenten derart figürlich bemalter Gefäße in

den frühen Kontexten auch nur begrenzt zu rechnen.Die Randpartie eines Skyphos (Abb. 5, c), dessen Pro­duktion in das dritte Viertel des 4. jhs, v. Chr. zu datie ­ren ist, zeigt jedoch, dass solche Gefäße durchaus nocherhältlich gewesen sind. Andernorts, u. a. im Bereichdes heutigen Italien, sind sie in der zweiten Hälfte des4. Jh. auch noch reichlich in den dortigen Gräbern be­legt. In Priene wirken sie dagegen eher unterreprä­sentiert: Fragmente von attisch-rotfigurigen Skyphoilassen sich auch nach 16Jahren Grabung noch immeran einer Hand abzählen ; es fehlen zudem weitere rot­figurig verzierte Trinkgefäße, etwa Schalen-Skyphoioder Bolsale, wobei diese Gefäßtypen auch nur seltenin dieser Form dekoriert waren. Das rotfigurige Spek­trum wird ergänzt durch wenige kleinste Fragmentevon Mischgefäßen (Krateren), deren genaue Form sichin aller Regel auch nicht mehr rekonstruieren lässt. Inder Mehrzahl handelt es sich bei den rotfigurig deko ­rierten attischen Importen der frühen Kontexte abergerade nicht um Symposiongeschirr, sondern um Ge­fäße, die sich eher dem Lebensbereich der Frauen zu­rechnen lassen, hier insbesondere der Körperpflege.Für das Symposion bot die attische Produktion hinge­gen eine breite Palette von schlicht schwarz überzoge­nen Gefäßtypen (Abb. 5, a. b. d). Einige dieser Gefäß­formen, etwa der Schalen-Skyphos und der klassischeKantharos, waren nur teilweise zeitgleich in Mode undihre Verteilung innerhalb der frühen Kontexte gehtsomit zumindest in Ansätzen einher mit einem im 4.Jh. v. Chr. in Athen zu beobachtenden allgemeinenFormenwandel. Andererseits zeichnen sich auch deut­liche lokale Vorlieben unter den Trinkgefäßen ab. Sosind die in Athen reichlich vorhandenen Varianten desSkyphos (u. a. attischer Typ und korinthischer Typ)im frühen prienischen Material nur selten vertreten;auch der Kantharos in all seinen verschiedenen Aus­prägungen (etwa der klassische Typ oder der Schalen­Kantharos) findet sich in deutlich geringeren Anteilenals etwa in spätklassischen Kontexten Athens.Viele dieser markanten attischen Gefäßtypen gingen ir­gendwann auch in das Repertoire kleinasiatischer Werk ­stätten ein (Abb.5, e. f),wobei nicht immer sicher zu ent­scheiden ist, ob dabei attische Gefäße möglichst getreunachgeahmt oder vielmehr nach allgemeinem Formge­schmack frei adaptiert werden sollten (s.a. u. S. 270-283).Ein Bewusstsein für den Unterschied zwischen attischerImport-Spitzenqualität und den zumeist qualitativ deut-

lieh schlechteren nicht-attischen Produkten wird manmindestens bei einem Teil der Käufer annehmen wollen.Die von lokalen/regionalen Werkstätten aufgegriffenenFormen des attischen Spektrums dürften dabei in beson­derem Maße dem Bedarfder umliegenden Absatzmärk­te entsprochen haben; hierin mag sogar der eigentlicheMarktvorteil der Werkstätten vor Ort zu sehen sein. Sozeigt sich in Priene deutlich, dass es nur einzelne wenigeGefäßtypen sind, die aus solchen regionalen Produktio­nen hierher gelangt sind. Im 4. jh. v. Chr. war dies vorallem der Bolsal (vgl. [14]).Dieser ist nicht nur unter denattischen Importen mit am stärkstenvertreten (Abb.5,d),sondern findet sich auch in unterschiedlichen nicht-atti­schen Fabrikaten sowie besonders häufig innerhalb derlokalen feinkeramischen Produktion (Abb. 5, f). AndereTrinkgefäßformen wie der Skyphos und der Kantharoswurden hingegen von den lokalen Töpfereien nicht auf­gegriffen und finden sich in Priene auch nur selten alskleinasiatische Importe. In diesem Befund spiegeln sichganz offensichtlich komplexe Beziehungsgeflechte zwi­schengezieltwählendenVerbrauchern undden mitunterweitentferntenProduktionsortenwider.DieMediatorendieses Prozesses waren freie Händler, die per Schiff Gü­ter zwischen den Städten transportierten und die schonzum Zwecke der Gewinnmaximierung aufdie Gewohn­heiten ihrer Absatzmärkte Rücksicht nehmen mussten.

Lokale Vorlieben und Besonderheiten

Die besonderen Eigenheiten lokaler Märkte und die da­rin sich manifestierenden Bedürfnisse sind sicherlichmit die spannendsten Aspekte bei der Untersuchungkeramischer Ensembles. Für das frühe Priene lassensich hinsichtlich des Symposiongeschirrs weitere in­teressante Beobachtungen machen. So taucht in denfrühen Kontexten neben attischen Trinkgefäßen undsolchen, die attische Formen übernommen haben, re­gelmäßig ein Gefäßtyp auf, der sich von jener attischen'Leitkultur' deutlich unterscheidet. Es handelt sich umschlicht anmutende Becherformen mit auf der Randau­ßenseite umlaufender Rille (Abb. 6, a). Regionale Ver­gleiche und die weitere Entwicklung dieser Form inden nachfolgenden Jahrzehnten, legt eine Funktion alsTrinkgefäß nahe, wenn diese Verwendung auch nichtexklusiv gewesen sein muss. Mit durchschnittlich 14bis 18 cm Randdurchmesser und ihrer gleichmäßig

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halbkugeligen Form fassen die Becher deutlich mehrInhalt als die in der Regel etwas kleineren (zumeistzwischen 12 bis 16 cm) und vor allem deutlich flacherproportionierten Bolsale. Ferner machen der schlichteStandring, der meist nur partielle rote überzug und vorallem das Fehlen von Henkeln wichtige Unterschiedezu den zeitgleich existierenden Trinkgefäßen attischenTyps aus. Für die Handhabung dieser ungewöhnlichenForm beim Symposion machte vor allem das Fehlen derseitlichen Henkel einen bedeutenden Unterschied aus.So war es wegen der weiten Durchmesser unmöglich,sie mit einer Hand auf der Außenseite zu umfassen,wie dies bei den meisten Kantharoi und auch bei denSkyphoi des attischen Typs in ihrer Spätphase möglichwar. Denkbar ist eher, dass zum Trinken der Daumenauf den Rand aufgelegt wurde und die restlichen Fin­gerspitzen unter die hemisphärische Außenwand grif­fen, wie dies für die Handhabung der freilich wesent­lich zierlicheren achämenidischen Schalen belegt ist;möglich wäre aber auch , das Gefäß mit der gesamtenHandfläche unter dem Standring zu greifen, wobei indiesem Fall eine zweite Hand notwendig ist, um denBecher derart zu platzieren. In beiden Fällen scheintman , schon allein durch die Größe der Gefäße, deutlicheingeschränkter in seiner Haltung und Bewegung aufder Kline gewesen zu sein. Das Fehlen von Henkelnerschwert zudem das Weiterreichen der Gefäße, sodass die Becher auch stärker an die Verwendung durcheinzelne Personen gebunden gewesen sein dürften, alsdies beim attischen Symposion der Fall ist.Wie bereits erwähnt, fanden sich in den neueren Aus­grabungen nur wenige kleine Fragmente rotfigurigerMischgefäße aus attischer Produktion; undekoriert­schwarze Glanztonkratere scheinen aus Athen über ­haupt nicht importiert worden zu sein, sind aber auchdort eher die Ausnahme. Stattdessen finden sich in denfrühen Fundkontexten Prienes zahlreiche lokal pro­duzierte Kratertypen. Sie sind weitgehend tongrundigbelassen und außen mit umlaufenden Reifen dekoriert.Bei einigen sind außen zusätzlich mit leichter HandRanken- und Girlandenmotive mit dem Pinsel aufge­tragen worden (Abb. 6, b), andere stehen in ihren Form­und Dekorelementen noch deutlich in der Traditionionischer Kratertypen, wie sie seit archaischer Zeitin Ionien geläufig waren. Im Kontrast zu den schwarzüberzogenen attischen Trinkgefäßen sind die überzügedieser Kratere von einem matten, jedoch kräftigen Rot.

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Diese Farbe resultiert aus einer bewussten Entschei­dung, die der Töpfer beim Brennen der Gefäße durchdie Regulierung der Sauerstoffzufuhr fällen konnte.Entsprechendes Kolorit findet sich auch bei den meis­ten anderen lokal gefertigten Gefäßen, auch bei sol­chen in attischer Tradition wie dem Bolsal. Rot ist im 4.jh. v. Chr. ganz eindeutig die bevorzugte überzugsfar­be bei dem in Priene verwendeten Geschirr, wodurchsich die tiefschwarzen attischen Importe noch deutli ­cher als 'fremde' Objekte absetzten. Der Farbkontrastzwischen lokalen/regionalen Erzeugnissen und Impor­ten muss sich beim Symposion regelmäßig eingestellthaben und wurde vielleicht durchaus geschätzt. Obdieser Kontrast zusätzlich durch die Vermischung mitMetall- oder Glasgefäßen verstärkt wurde oder ob dasvon einem Gastgeber verwendete Gefäßservice einerklaren Linie - einheimisch versus auswärtig - folgte,ist mangels in situ-Befunden leider nicht zu entschei­den. Denkbar wäre etwa, dass die schwarzen attischenTrinkgefäße auf einzelne Haushalte beschränkt waren,während andere eher rötlich überzogene Gefäße auslokaler bzw. regionaler Produktion bevorzugten; oderdass die Fabrikate und Formen nach Anlässen sowieArt und Herkunft der Gäste variiert wurden. Sicher istindes eines : Sollten nicht Gefäße aus (Edel)Metall beiden Mischgefäßen eine führende Rolle gespielt haben,so stand im Zentrum des frühen prienischen Sympo­sions stets ein rot bemalter, lokal gefertigter Krater!Ähnliches gilt wohlgemerkt auch für alle weiterenbeim Ausschank und Transport von Wein und Wasserbenötigten Gefäße im Umfeld des Symposions. Auchhierfür finden sich kaum attische Importe und nurwenige aus kleinasiatischer Produktion, so zum Bei­spiel eine gut erhaltene alpe des 4. Jhs. v. Chr. (Abb.6, c). Das für das Gelage benötigte Wasser dürfte ingroßen, mit Reifen bemalten Hydrien (Abb. 6, d), derWein hingegen in den vorwiegend unverzierten, lokalproduzierten Tischamphoren bereitgestellt wordensein , wobei letztere sich in großer Zahl in den frühenKontexten gefunden haben.über den hierin enthaltenen Wein sind wir durch diebislang untersuchten Verfüllungen ebenfalls recht gutinformiert. Dieser wurde in der Antike mittels großerTransportamphoren per Schiff zum Teil über wei­te Strecken gehandelt. Die Transportcontainer ver­schiedener Produktionsorte unterschieden sich dabei- wohl auch im Sinne eines 'Markenzeichens' - in al-

ler Regel deutlich voneinander. Am Ziel angekommenwurde der Wein dann entweder in kleinere Gefäßeumgefüllt oder aber in der Amphore selbst im Haus ge­lagert. Das relativ geringe Fundaufkommen von Am­phorenfragmenten in den frühen Kontexten sprichteher dafür, dass ersteres Szenario die Regel war. Obin Priene bereits der Hafen oder der unmittelbar west ­lich der Agora gelegene Kaufmarkt als Umschlagplatzdiente, ist heute nicht mehr zu entscheiden. So ist derHafen von Priene bislang nicht ergraben und auf demKaufmarkt selbst fanden sich weder eindeutige Ver­kaufsstände für Wein, noch ist aus logistischer Sichthier mit einer Endlagerung der nicht mehr verwen­deten Transportamphoren zu rechnen. Die Untersu­chung der frühen Amphoren aus dem Stadtgebiet istzum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht abgeschlos­sen. Es zeichnet sich jedoch bereits jetzt ab, dass in derAntike hoch geschätzte Weine, etwa aus Thasos, Chiosoder Mende, in Priene zwar durchaus gekauft wordensind, der Großteil der identifizierbaren Fragmente vonTransportamphoren jedoch dem sogenannten südos­tägäischen Typ entspricht. Diese Form der Amphorewurde in verschiedenen Zentren der kleinasiatischenSüdwestküste und der vorgelagerten Inseln produziert;es ist also davon auszugehen, dass in Priene im 4. jh.v. Chr. vorwiegend Wein aus der näheren Umgebunggekauft wurde. In wohlsituierten Kreisen der Bevölke­rung dürfte darüber hinaus die besondere Herkunft derbeim Gelage präsentierten Weinsorten durchaus alssoziales Distinktionsmittel verwendet worden sein ; esscheint zudem ein verlockender Gedanke, dass solcheexklusiven Weine in Priene dann auch aus attischerImportkeramik getrunken wurde, um den 'weltmänni­schen' Status des Gastgebers zusätzlich zu unterstrei­chen. Sichere Belege für diese Kombination liefern diebislang bekannten Verfüllschichten freilich nicht.

Die Rekonstruktion desspätklassischenSymposions in Priene

Jeder Versuch, die Geschehnisse in einem prienischenGelageraum des 4. jh. v. Chr. idealtypisch zu rekon ­struieren, muss sich aufgrund der bestehenden Unsi­cherheiten und der pauschalen Beschaffenheit unsererZeugnisse auf das Nachzeichnen von Tendenzen be-

schränken. Diese sind jedoch für sich genommen be­reits durchaus aussagekräftig:Die vorhandenen Importgüter, seien es attische Gefäßeoder auch kostbarer Wein, lassen erkennen, dass dieAnbindung an das ostmediterrane Handelsnetz demBürger von Priene grundsätzlich keine Beschränkun­gen aufzuerlegen schien . Wer wollte, konnte seineFreunde durchaus zu einem Symposion einladen, wiees - abgesehen von den fehlenden Krateren - der Aus­stattung nach zeitgleich auch in Athen hätte stattfin­den können.Je nach Wohlstand, mag dies hier wie dortauch die Verwendung kostbarer Gefäße aus Edelmetalloder Glas eingeschlossen haben. Die für das Symposi ­on vorhandenen Räumlichkeiten im eigenen Haus wa­ren hingegen äußerst begrenzt- und zwar durchwegfür alle Einwohner des gut erforschten Westviertels.Inwiefern sich dieses Bild auch aufandere Bereiche derStadt übertragen lässt , muss durch Ausgrabungen inden anderen Wohnvierteln noch eingehend überprüftwerden. Die stets in vergleichbarer Grundkonfigurati­on übernommene Vierraumgruppe im Untergeschossder Häuser im westlichen Wohnviertel bot zumindestkeinen Platz , um einen großen Personenkreis als Gästeempfangen zu können. War eine solche Reglementie­rung des privaten Wohnraums ein beabsichtigter Ne­beneffekt der Bauplanung? Und reichte andererseitsder egalitäre Konsens der ersten Generation als gesell­schaftlicher Druck aus, um zu verhindern, dass nichtder eine oder andere Bürger einen deutlich größerenoder gar einen zweiten andrön innerhalb der Grenzenseiner Parzelle ausbaute, etwa auf Kosten der Hofflä­che? Unabhängig von der Frage, ob es sich nun um einelokal verordnete Bauvorschrift, freiwillig zur Schau ge­stellte Konformität oder schlichtweg um ein als beson­ders modern empfundenes Baukonzept gehandelt hat:Nachweisbar ist ein Ausscheren aus der Norm im guterforschten Westen der Stadt für die Gründungsphasebislang zumindest in keinem einzigen Fall.Völlig ungewiss ist leider das Mobiliar dieser Räume;hier dürfte es vielfältige Möglichkeiten gegeben haben,den eigenen Wohlstand durch Klinen und Tische - ausedlen Hölzern gefertigt und versehen mit kostbarenBeschlägen - zum Ausdruck zu bringen.Auch das keramische Fundmaterial vermittelt den Ein­druck, dass soziale Distinktion im Rahmen des Gelagesdurchaus möglich war und sicherlich auch stattgefun-

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Page 6: Bechern in der Planstadt. Das bürgerliche Symposion im spätklassisch-frühhellenistischen Priene

den hat. Attische Importkeramik als feinste Tonwaremag hierbei als gehobene Mittelklasse gegolten haben,Gefäße aus edleren Materialien rangierten freilich hö­her. Nicht zu entscheiden ist leider, ob die lokal nachattischen Formvorbildern produzierte Keramik mit ih­ren vorwiegend roten Überzügen bewusst den lokalenGeschmack ansprach oder von allen Seiten lediglich alsdie günstigere Alternative zum Importstück verstandenwurde. Nahezu alternativlos scheint hingegen die Wahldes lokal gefertigten rotdekorierten Kraters gewesenzu sein, zumindest insofern man nicht auf Metall aus­weichen konnte oder wollte. Es handelt sich hierbei mitSicherheit um eine bewusste Entscheidung der Einwoh­ner von Priene, da attische Importe ansonsten reichlichvorhanden waren, auch jenseits der Trinkgefäße. Ganzoffensichtlich bestand also kein Bedürfnis, passend zumattischenTrinkgeschirrdenGästen gegen über zusätzlichdurch einen rotfigurigen Krater eine allzu perfekte In­szenierung eines Symposions nach attischem Vorbild zubieten.Sicher erscheint zudem, dass sich in den hemisphä­rischen, henkellosen Bechern mit ihrer klar vom at­tischen Geschmack abweichenden Erscheinung undHandhabung eine alternative Trinkkultur manifestiert.Gut möglich , dass solche Becher vorwiegend kursier­ten, wenn die Bewohner der Häuser unter sich warenund weniger, um beim repräsentativen Gelage zumEinsatz zu kommen. Oder sollte man sie im Gegenteilals zur Schau gestellte eigene Tradition im Unterschiedzu 'fremden' attischen Tischsitten verstehen? Das Feh­len von Henkeln macht sie schließlich ungeeignet,sich beim Symposion zu gebärden wie man es aus demAthen des 5. und 4. jhs. v. Chr. kennt. So lässt sich mitihnen weder Kottabos spielen noch laden die Becherdazu ein, beim Gelage zwischen den Teilnehmern he­rumgereicht zu werden. Denkbar wäre , dass in geho­benen Kreisen zusätzlich hemisphärische Becher ausMetall oder Glas verwendet wurden. Hinweise für sol­che edleren halbkugeligen Becher, die ohne Standringausgekommen sein dürften, finden sich als Teil einerregionalspezifischen, eher in anatolisch-orientalischerTradition stehenden Gefäßkultur im südwestkleinasia­tischen Raum seit der Spätarchaik (Abb. 7).Das hier in aller gebotenen Kürze knapp umrisseneGefäßspektrum der spätklassischen Trinkkultur Prie­nes gibt noch immer viele Rätsel auf. So bleibt diewichtige, oben beleuchtet Frage offen, ob die Varianz

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in Form, Farbe und Fabrikat Unterschiede auf sozio­kultureller Ebene innerhalb der Bevölkerung von Prie­ne belegt bzw. zu einer entsprechenden Distinktiongenutzt wurde. Vielleicht handelte es sich hierbei auchnur um verschiedene keramische Sets, wie sie in jedemgut sortierten Haushalt vorhanden waren und nachBedarf unterschiedlich zum Einsatz kommen konnten.Eine vergleichbar breite Palette an Formen und Wareninnerhalb eines Hauses scheint sich etwa anhand einesvor wenigen Jahren freigelegten Hauses im westlichenWohnviertel von Priene abzuzeichnen, dessen kerami­sches Inventar sich im Zuge der eingangs erwähntenZerstörung im 2. jh. v. Chr. weitgehend komplett er­halten hat und zudem noch den jeweiligen Räumen zu­geordnet werden kann. Eine vergleichbare Ausgangs­situation wünschte man sich freilich auch für das 4. jh,v. Chr., in Priene selbst ist damit jedoch leider nicht zurechnen. Und da aufgrund der vielen lokalen Eigenhei ­ten innerhalb der griechischen Trinkkultur jede Formvon überregionalen Analogieschlüssen höchst bedenk­lich ist, werden wohl auch künftig viele Fragen zumspätklassischen Symposion in Priene nicht mit letzterSicherheit beantwortet werden können.

Einführende Literatur:

W. Hoepfner und E.-L. Schwandner, Haus und Stadt imklassischen Griechenland (München 19942

) .

W. Raeck, Priene. Neue Forschungen an einem altenGrabungsort, mit Beiträgen von H. Bankel, H.Fahlbusch, A. Hennemeyer, A. von Kienlin, A.Leibhammer, E. Nagel, F. Rumscheid, C. Schnei­der, IstMitt 53, 2003, 313-423.

F. Rumscheid, Priene . Führer durch das "PompejiKleinasiens " (Istanbul 1998).

F. Rumscheid, Ursprünglicher Bebauungsplan, Erstbe ­bauung und Veränderungen im hellenistischenStadtbild Prienes als Ergebnis öffentlicher undprivater Ambitionen, in: A. Matthaei und M.Zimmermann (Hrsg.), Stadtkultur im Hellenis ­mus , Die Hellenistische Polis als Lebensform ,Bd. 4 (Mainz 2014) 173-190.

Th. Wiegand und H. Schrader, Priene. Ergebnisse derAusgrabungen und Untersuchungen in den Jah­ren 1895-1898 (Berlin 1904).