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Bayern an und für sich Am Wochenende wählt der Freistaat sein Parlament. Ein schwer zu verstehendes Volk, in vielerlei Hinsicht. Wir haben einen gestandenen bayrischen Satiriker gebeten, sein Land zu erklären. Wobei nicht klar ist, ob das wirklich geht. Von Eckhard Henscheid (Text) und Anne Morgenstern (Bilder), 12.10.2018 Dass die Bayern anders seien als alle anderen, das hat sich so weit herum- gesprochen, sowohl in den übrigen deutschsprachigen Ländern als auch in der traditionell besserwisserischen oder zumindest diesbezüglich miss- trauischen Schweiz. Die nämlich vielleicht letztlich auch immer so was wie ein anderes, ein besseres Bayern sein möchte. Aber es langt halt meist nur und bestenfalls zu einem etwas andersartigen Österreich. Blick auf Bayern: Alle Bilder stammen aus Anne Morgensterns Buch «Reinheit». Am 14. Oktober sind in Bayern mal wieder Landtagswahlen. Das juckt die Bayern in der Regel wenig, weniger als das diesmal so gerade noch rechtzeitig beendete Oktoberfest. Diesmal in Massen aber doch, nämlich fast ausschliesslich die Frage, ob die nahezu staats- und volksidentische CSU (Christlich-Soziale Union), die da zuweilen unter einem gewissen Franz Josef Strauss, ja sogar unter etwas ungewisseren Ministerpräsidenten wie Goppel und Streibl und Stoiber, nahezu 60 Prozent der Stimmen erfochten REPUBLIK republik.ch/2018/10/12/bayern-an-und-fuer-sich 1 / 12
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Bayern an und für sich - cdn.repub.ch · – beim Fingerhakeln wie beim Stimmenankreuzen. Und Zachzählen. Das war noch zu ’eiten des Ludwig-Thoma?schen christlichbayrischen Landtagsabgeordneten

Jun 10, 2020

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Bayern an und für sichAm Wochenende wählt der Freistaat sein Parlament. Ein schwer zu verstehendes Volk, in vielerlei Hinsicht. Wir haben einen gestandenen bayrischen Satiriker gebeten, sein Land zu erklären. Wobei nicht klar ist, ob das wirklich geht.Von Eckhard Henscheid (Text) und Anne Morgenstern (Bilder), 12.10.2018

Dass die Bayern anders seien als alle anderen, das hat sich so weit herum-gesprochen, sowohl in den übrigen deutschsprachigen Ländern als auch in der traditionell besserwisserischen oder zumindest diesbezüglich miss-trauischen Schweiz. Die nämlich vielleicht letztlich auch immer so was wie ein anderes, ein besseres Bayern sein möchte. Aber es langt halt meist nur und bestenfalls zu einem etwas andersartigen Österreich.

Blick auf Bayern: Alle Bilder stammen aus Anne Morgensterns Buch «Reinheit».

Am 14. Oktober sind in Bayern mal wieder Landtagswahlen. Das juckt die Bayern in der Regel wenig, weniger als das diesmal so gerade noch rechtzeitig beendete Oktoberfest. Diesmal in Massen aber doch, nämlich fast ausschliesslich die Frage, ob die nahezu staats- und volksidentische CSU (Christlich-Soziale Union), die da zuweilen unter einem gewissen Franz Josef Strauss, ja sogar unter etwas ungewisseren Ministerpräsidenten wie Goppel und Streibl und Stoiber, nahezu 60 Prozent der Stimmen erfochten

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hat, es diesmal auf immerhin 38 oder nur auf 33 Prozent bringen wird. Und, falls das Letztere: ob daran

a) mehr der jetzige Landesvater Markus Söder oder doch eherb) der Vorgänger, der manchen noch schwach erinnerliche Horst Seehofer, oderc) beidesamt miteinander in coincidentia unionissima oder so ähnlich schuld seien oderd) halt doch notfalls das dumme bayerische Volk selber.

Unter 30 Prozent aber – von heute aus gar nicht ganz undenkbar –, da wäre vermutlich ein rächender Gott schuldig; zu Handen nämlich des allzu vorzeitig aus dem Amt geschiedenen bayerischen Papstes Ratzinger.

II.Der auch in der angegliederten Schweiz hinlänglich bekannte und trotzdem hochrühmliche bayerische Komiker und Kabarettist Gerhard Polt hat das gegenwärtige und jüngstvergangene politische Leben seines Landes, das heisst das Treiben seines im Wechsel ja ewig gleichen und allzeit identi-schen Politikerstammes, mit einem «wunderbaren Bauerntheater» gleich-gesetzt. Das dür2e spätestens ‚018 nicht mehr so ganz stimmen, eher hätte man sich zuletzt in einem Kinder-I ja Nnfantilentheater wähnen können; oder auch in der Zähe eines hier noch immer beliebten Männer- und Wirts-haussports, des krä2ezeigend immerwährend einleuchtenden Fingerha-kelns.

Kurz, in einer schieren und selbstzufrieden in sich ruhenden Unterhaltung. Einer im ’eitalter der nimmermüden Fun-Event-Kulturen dringendst ge-botenen, ja überlebensnotwendigen Unterhaltung als oberster Volkssport – beim Fingerhakeln wie beim Stimmenankreuzen. Und Zachzählen.

Das war noch zu ’eiten des Ludwig-Thoma?schen christlichbayrischen Landtagsabgeordneten Jozef Filser und seiner berühmten, ja sprichwört-lich gewordenen «Filser-Briefe» ein bisschen anders. Und mehrsträhni-ger. Da fuhr jener ’entrumspartei-Parlamentarier «zum Regieren» nach München, um seiner im heimischen Mingharting au!ältigen Ehefrau und «Alten» nicht dauernd im Weg zu sein. Und sein dör…icher Wählerstamm, noch ganz ohne scheindemokratische Nnternetforen, ohne Fernsehen und fast ohne ’eitungen, war oxenbar im Grunde froh, nichts mehr von ihm zu hören und zu wissen.

III.Wenn aber jetzt aktuell die neue bayerische SPD-Landesche7n mit dem kernbayerischen Zamen Zatascha Kohnen keine andere Möglichkeit mehr sieht, gerade noch rechtzeitig zum Wahltag den Kampf mit der CSU auf-zunehmen und sich auf Teufel komm raus irgendwie zu pro7lieren oder (wie es auch in Bayern neuerdings heisst) zu positionieren, als diese, ihre eigene Bundesparteivorsitzende Andrea Zahles wegen ihrer Mitentschei-dung bei der Bereinigung des komplett depperten Streitfalls rund um den Verfassungsschutzpräsidenten zu tadeln, ja sogar stramm zurückzupfeifen, um derart eine «Staatskrise» (Kohnen)I ja den drohenden Weltuntergang zu vermeiden, dann – ist das doch auch recht hübsch, oder5

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IV.Das, wie selbst den hochnäsigen Schweizern bekannt, nicht unschöne, ja streckenweise bildschöne Land Bayern, zumal seine Alpenlandregionen, hat vor einiger ’eit den schon erwähnten Stammlandoberbayern Gerhard Polt zu einer wundersam komischen Solo-Vortragsszene inspiriert. «Hier», Polt holt aus und deutet ent…ammt auf Wald und Wiesen und Berge, «hier passt doch kein Zeger rein», das müsse doch jeder zugeben9

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Bis vor kurzem konnte man davon ausgehen, dass Polt wegen seines un-widerstehlichen Charmes, wegen seines unangrei/aren Komikerrufs und Komikerbonus der wohl Einzige im Lande wäre, der sich vor dem Hinter-grund der auch in Süddeutschland ungut tobenden Ausländerfeindlichkeit eine solche schreiende Korrektheitsverletzung erlauben dür2e. ’umal, wie bei öxentlichen Au2ritten zu beobachten, selbst so weit sprachkundige Zeger oder auch «Farbige mit Migrationshintergrund» he2ig mitlachen mussten.

Das stimmt aber nun nicht mehr. Nm Nnternet, wie man hören muss, schwä-ren schwerste «Rassismus»-Vorwürfe – jetzt auch gegen den grossen Polt. «Hass-Mails» sind zu lesen; hoxentlich nur seitens von Zichtbayern, von den ohnehin diesbezüglich unterbelichteten «Preussen» Ä

Wäre aber schön, wenn sich die eine oder andere Partei im noch ausstehen-den Restwahlkampf pro oder kontra Polt beziehungsweise Zeger-Eignung für dieses Land ausspräche. Nm ’weifelsfall könnte, wenn schon nicht die Grünenpartei, die inzwischen etwas liberalere CSU den Ndealbayern Polt energisch eYkulpieren.

V.Der noch vor Seehofer und Polt bekannteste, berühmteste, auch berüch-tigtste aller bisherigen Bayern, Franz Josef Strauss also, plirrte und sang vor fünfzig Jahren, heute noch auf CD-Reprise nachprü/ar, ins Mikrofon:

«Deutschland braucht Bayern! Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah! Bayern! Bayern ist nicht nur ein Land der Lederhosen, Schuhplatt-ler und Zupfgeigen und das Ferienland für Hunderttausende mit herrlichen Wäldern und Seen. Bayern ist auch das Land, in dem die Liebe zur Heimat mit der Treue zu Deutschland sich verbindet. Bayern ist ein Land von heute und ein Land von morgen. Bayern ist zu dem geworden, was es heute ist.»

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Und darum noch einmal:

«Deutschland braucht Bayern!»

So kann man es natürlich auch sehen. Etwas kritischer sah es einst Ziko-laus Lenau: «Nn München, sie die Biermisere übertünchen mit Musik» und umgekehrt, dort ist allzeit «die Biergewalt der Mittelpunkt» (Ewald Gerhard Seeliger) allen politischen, sozialen und profanen Seins und Lebens, und das wohl nicht allein in München, der «Stadt Hitlers» (Thomas Mann), sondern zum Beispiel auch in Zürnberg, der «deutschesten aller deutschen Städte» (Adolf Hitler) im schwer deutschen Restbayern.

Wenn aber nun die beiden ehemaligen deutschen Zationalspieler Hoeness und Rummenigge hergehen und sich dazu aufschwingen, wiederholt nicht nur die Fussballer des FC Bayern als die allerbesten ihres Fachs zu preisen, sondern die gesamte Mannscha2 (circa é8 Prozent Ausländer) als repräsen-tativ, ja stellvertretend für die Spitze der gesamtdeutschen momentanen Kultur zu taYieren, dann – sprechen eigentlich noch immer ein bisschen dagegen Goethe, Beethoven, Bismarck, Brahms, Angela Merkel und Fritz Walter (1. FC Kaiserslautern). Und sogar Albert Einstein, der aber als gebür-tiger Ulmer um lumpige ‚,‹ Kilometer eben gerade kein Bayer sein wollte9 Sondern partout Schwabe9 Also schon praktisch fast: Schweizer.

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VI.Mit der bayerischen Trachtenmode scheint allerdings jetzt etwas in Unord-nung geraten zu sein. «Hauptsache, sitzen duads geil9» titelt die «Frankfur-ter Allgemeine» im Reiseteil vom ‚0. September ‚018 zu diesem vermeint-lich ganz zeitlos braven, unbiederen Weiblichkeitsthema. Und schon gar zu geil. Und jetzt wären ja wirklich mal die politischen Korrektheitsverteidiger aufgerufen. ’u einer geilen Tracht Prügel für dieses wahrlich sittenverder-bische Drecksdeutsch.

VII.Der allerletzte bayerische Ministerpräsident und Landesvater, den die SPD stellte, war ein gewisser Professor Wilhelm Hoegner (1›‹4–1›‹é). Die jetzige sozialdemokratische Spitzenkandidatin Zatascha Kohnen ist strohblond wie eine Friesin, wirkt keineswegs unsympathisch und auch nicht zurück-geblieben und liegt derzeit bei 11 Prozent plusîminus ‚ Prozent. ’um Einzug in die Bayerische Staatskanzlei – als erste Frau – fehlen ihr also bloss noch ‚1,8 Prozent; falls sie sich nicht doch noch rechtzeitig mit den Grünen, der FDP, den Freien Wählern, der AfD und der wieder regsam gewordenen, lange ’eit versickerten Bayernpartei koalitionsstrategisch zusammenrau2.

Und ein paar übrig gebliebene Kommunisten könnten auch noch gebraucht werden. Anknüpfend an eine fast vergessene, wenn auch nur kurzlebige bayerische Politikhistorie vom Zovember 1›18, als Bayern tatsächlich mal kommunistisch war. Als nämlich der Arbeiter- und Soldatenrat einen Kurt Eisner für ein paar Tage zum Ministerpräsidenten der neuartigen «Repu-blik» Bayern ernannte.

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Wobei Eisner allerdings gleich darauf schon mal zur Vorsicht ermordet wurde. Des Mörders gedenkt heute noch etwas trübselig eine aber schon sehr kleine EYtremistenvereinigung jedes Jahr.

An welche Geschichten sich aber ansonsten kaum ein Bayer mehr erinnert. Schon gleich gar nicht gerne. Aber nein, für dieses 1‚,‹-Millionen-Volk der zuweilen noch sogenannten Bajuwaren auf dem …ächenmässig grössten Areal Deutschlands ist heute weder unter Kommunisten noch gar unter ei-ner Frau (auf Bayrisch «Weiwez») Sorge zu tragen. Und seitens der momen-tanen und ewigen SPD-Opposition droht schon gar keine Gefahr. Unbehel-ligt zog und zieht die CSU-Staatspartei ihre regierenden Kreise – und doch stimmt das nicht mehr so ganz: Die einzige politische Kra2, welche diese Christenunion in jüngerer ’eit jemals in eine gewisse Verlegenheit geführt, ja beinahe aus den Angeln gehoben und zum Einsturz gebracht hätte, die stammte aber schon aus ihren eigenen Reihen selber. Das war vor gutding zehn Jahren die fesche Fürther CSU-Landrätin Gabi Pauli, die da doch im Winter ‚00é nicht davor zurückschreckte, den scheints immerwährenden Ministerpräsidenten Edmund Stoiber gnadenlos vom Sockel zu heben. Und die dann allerdings rasch und ebenso atemberaubend aus der kurzzeitig aufgescheuchten männerpolitischen Arena wieder verschwand.

Anstatt immerhin versuchsweise in die SPD einzutreten. Um so die bayeri-schen Sozialdemokraten wenigstens zu einer etwas stattlicheren «Splitter-partei» (Willy Brandt) von approYimativ 1‚,4 Prozent zu machen.

Und seitdem regierte die CSU wieder ziemlich unangefochten. Dabei mö-gen die Bayern, umfragemässig erhärtet, diese eigentlich gar nicht. Ja, im-mer weniger. Wo liegt der Denkfehler5

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VIII.Was denn sonst5 Der beste aller bisherigen deutschen Fussballer stammte natürlich aus Bayern und spielte auch sein ganzes Leben so gut wie immer dort, beim FC «Bayern»: Franz Beckenbauer.

(ab hier: halber Unsinn; Anmerkung des Verfassers) Und ebenso überragend, ja einzigartig gleisst auch das Pro7l aller bisherigen profan-bayerischen Herr-scherhäuser. Während in Preussen ein elendes, unmöglich merkfähiges Durcheinander von Thronfolgen statthat: Friedrich N., Friedrich Wilhelm N., Friedrich NN. (der Grosse), Friedrich Wilhelm NN., Wilhelm N., Bismarck N., Blücher NN., Wilhelm usw. – derweil war Bayerns Herrschergeschich-te immer erfreulich übersichtlich: MaY N., MaY NN., Ludwig N., Ludwig NN. Welcher Letztere und Richard-Wagner-Förderer das Wagner-Festspielhaus zuerst auch nicht in Bayreuth, sondern auf einer Nsar-Nnsel in München erstehen lassen wollte. Aber das wäre nun wirklich zu weit gegangen. Und hätte die sommerlichen Opern-Festspiele nur allzu übergangslos mit dem Oktoberfest fusioniert.

IX.Bei diesem jüngst wieder mal erledigten Münchner Oktoberfest wurde sei-tens der Heimatpresse freudvoll mitgeteilt, dass zur Eröxnung «100?000 Besucher» insgesamt «Hunderttausende» Liter Bier wegverzehrt hätten.

Ein bisschen genauer hätts aber schon sein dürfen. Aber immerhin war der Berichterstatter beziehungsweise Biernachzähler noch nüchtern genug, dass er nicht «mehrere Milliarden» draus gemacht hat. Das hätte aber auch keinen gewundert. Und schon gleich gar keinen christlichsozialen Gesund-heitsminister in Verlegenheit gebracht.

X.Schwer, mit einiger Bedeut- und Bedachtsamkeit über Bayern zu handeln. Fast unmöglich, wenn man die fünf Ludwig-NN.-Königsschlösser dabei aus-lässt. Was5 Wie bitte5 Es sind nur vier5 Sehen Sie, sehen Sie. Dass man die-sen schlaumeierischen Schweizern aber auch gar nichts vormachen kann.

XI.Ob es einen spezi7sch bayerischen WitzîHumor gibt5 Darüber gehen un-verhinderbar die Ansichten stark auseinander. Sobald man aber konzediert, dass die wohl genuin genialste aller bayerischen Humor-Errungenscha2en der ebenso volksnahe wie intellektuell-surrealistische Witz des Karl Va-lentin ist; und weiter in Rechnung stellt, dass der von einem eYtra dafür ausgebildeten Münchner Fachgremium gestellte Karl-Valentin-Preisorden an keine anderen ging als an die Ministerpräsidenten Strauss und Stoiber sowie an den vormaligen Kardinal Ratzinger und an den jetzigen Kardinal MarY; dann – dann – hat man die Antwort auf die Frage nach dem spezi7sch bayerischen Humor ja schon ziemlich beieinander.

XII.Unverkennbar, dass die bayerische Sprache in all ihrer eigenständigen Au-tonomie doch frappante qhnlichkeit mit fast allen anderen Kultursprachen

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der Welt hat. «Vena laus amoris pax trux ungoris» ist einerseits fast klassi-sches Latein, heisst aber doch andererseits: «Wenn eine Laus am Ohr ist, packsI drucks – und gar ists9» «Tsu junk tsum tsum» mahnt stark ans Chi-nesische, ist aber doch auch eine etwas anzügliche Münchner Redensart. « moi jeau aa» heisst in Oberbayern «Nch meine schon auch»; während das eventuell auf Karl Valentin zurückgehende «Mama, tr s bonne se» einer-seits auch Französisch ist, andererseits aber «MamaI die Rehe baden sich» heissen will.

Der folgende, unter Umständen gar nicht von Menschengeist erfunde-ne, sondern einfach so entstandene Witz aber müsste den mehrsprachig durchtrainierten Schweizern besonders zusagen: Eine Hannoveranerin hat ihren Urlaub in Oberbayern verlebt. Wieder zurück, wird sie von einer Arbeitskollegin gefragt, wies denn so gewesen sei. «An sich prima – nur die jungen Burschen, die reden zum Teil so italienisch daher.» – «Ntalienisch5» – «Ja, einer ist tagelang hinter mir hergestiegen und hat immer wieder halblaut und sogar etwas mürrisch gesagt: Di 7cchiano, di 7cchiano9 »

XIII.Der nächste Witz stammt, damit der nicht ganz als eine Art bayerische Dia-spora vergessen werde, aus dem fränkischen Raum und mehr aus der Men-talität der Achtzigerjahre: ’wei Sozialpädagogen trexen sich. «Du, weisst du, wos zum Bahnhof geht5» – «Zee, du, duud mir leid, du9 Aber ich 7nds guud, dass wir mal drüber gredt ham9»

Und zur Komplettierung ein neueres Gedicht aus der zweitgrössten Stadt Bayerns, aus Zürnberg, aus der Feder des hochlobenswerten Zürnberger Poeten Fitzgerald Kusz:

in närnberg odda wouhoud ä mac oddä wea

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a–erm feed oddä wossmidderä frau oddä wemdanzd oddä woss also nix

Und genauer lassen sich die ’ustände in Zordbayern nicht mehr sagen. Oder wou oder warum.

XIV.Es hat dieses Land, als einziges deutsches, nicht nur eine eigene Zatio-nalhymne – «Gott mit dir, du Land der Bayern» – sondern natürlich war es auch wiederum Bayern, wo sich bei Licht betrachtet das international superieure Musikleben, speziell das höhere Opernwesen, zentrierte, ja sich eine Heimat schuf. Richard Wagner wurde am 3. Mai 1864 vom Ma tre de 7nance des bayerischen Königs Ludwig NN., von einem Franz Seraph von P7stermeister, aus seinem ökonomischen Elend «gerettet» (Wagner), Mo-zart hatte 1é81 mit dem «Ndomeneo» in München seinen Durchbruch. Und Puccini wurde durch niemand anderes als durch seine mehr oder weniger anonyme bayerische Lieblingsmaitresse in seiner toskanischen Ehekala-mität einigermassen getröstet.

Zur Verdi hielt sich sauber. Und wurde dafür von seinem bayerischen Kollegen Richard Strauss als Komponisten-Zullität un uali7ziert beleidigt. Hielt sich aber schadlos, indem er diesen mit einem «Walzerkomponisten» verwechselte.

XV.Die erste deutsche Eisenbahn fuhr 183‹ von Zürnberg nach Fürth, also von Bayern nach Bayern. Der erste neuere Papst war ab ‚00‹ mit Joseph Ratzinger ein Bayer. Der Deutsche ’ollverein 1834 war genuin bayerisch; die erste deutsche Räterepublik, wie gehört, desgleichen. Der Friedensnobel-preisträger 1›é3 war mit Henry Kissinger zwar irgendwie auch Amerikaner, vor allem aber wieder Fürther.

Alles Bayern, alles triumphale Bayern. Zur gut, dass wenigstens Eintracht Frankfurt das deutsche Pokalendspiel ‚018 gegen die gleichfalls siegge-wohnten Münchner Bayern gewann. Vielleicht aus einem heimlichen Gna-denerlass heraus.

XVI.Nmmerhin, bayerische Politik ist in den letzten Wochen insgesamt ein biss-chen undurchschaubar geworden. Sie besteht eigentlich nur noch aus Tak-tik, aus taktischen Kleinkriegen, aus 7nsterem, o2 dümmlichem Schmäh – aber auch die Taktik ist widersprüchlich, aus den Fugen geraten, paradoYal bis hin zur Absurdität.

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Vom ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten und jetzigen deutschen Nnnenminister Seehofer wird mit Grund vermutet, all sein Tun und Lassen diene jetzt nur noch dazu, seine (nicht bayerische) Kanzlerin blosszustellen. Gleichzeitig will er jedoch auch, so heisst es, seinem seit eh und je verhass-ten Zachfolger Söder nachhaltig schaden durch ein besonders schlechtes Landtagswahlergebnis; wozu Seehofer von Berlin aus mit allen Mitteln das Seine beiträgt. Kontra Söder und mithin Bayern und die CSU. Um derart, so der etwas verrottete Gedankengang, seinerseits als CDUîCSU-Mann für sich selber zu punkten. Und seis durch Schadenfreude.

Wenn das überhaupt aufgingeI diese höhere Logik beziehungsweise doch etwas infantile Methode, dann käme das wohl wiederum den gleichfalls halb befreundeten, halb verfeindeten SPD-Genossen von der Berliner Gros-sen Koalition zugute. Oder vielleicht doch alles zusammen mehr noch der grundbösen, allseits verachteten Alternative für Deutschland. Die es aber nach Seehofers Ansicht im Grunde überhaupt nicht gibt. Obwohl sie An-fang Oktober ein juristisch allerdings inzwischen angefochtenes Plakat für sich werben liess: «Franz Josef Strauss würde AfD wählen9»

Wohl schon deshalb, weil dieser einst so charismatische Strauss weder bei Seehofer noch bei Söder noch bei Merkel im Wahlkampf irgendwie noch

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vorkommt. Vergessen wurde. Weil er nämlich alle drei schon prämortal nicht mochte.

Keystone

Zum Autor

Der deutsche Schriftsteller und Satiriker Eckhard Henscheid gehört zu den Mitgliedern der Neuen Frankfurter Schule um die Satiremagazine «par-don» und «Titanic». Für sein Werk ist er vielfach ausgezeichnet worden – unter anderem mit dem Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor (2018) und dem Jean-Paul-Preis des Freistaates Bayern (2009).

Zu den Bildern

Alle Bilder wurden in Bayern aufgenommen. Sie stammen aus dem Buch «Reinheit» von Anne Morgenstern. Die Fotografin fokussiert auf die fragilen Momente, in denen die Sehnsucht nach Authentizität und Reinheit durch-kreuzt wird von der Gegenwart des gewöhnlichen Lebens. Zu sehen sind Menschen, die versuchen, ihren Glauben an eine vertraute Vergangenheit mit Ritualen und Symbolen zu verstetigen. Morgenstern arbeitet regelmäs-sig für die Republik – zuletzt waren ihre Bilder in der Sachsen-Reportage Zwischen Depeche Mode und Reichsfla e zu sehen.

Anne Morgenstern: «Reinheit». Verlag Fountain Books (gegründet vom Republik-Mitarbeiter Andreas Wellnitz), Berlin 2017, limitierte Auflage: 700×Stück, 160×Seiten, 20× ×27 cm, ca. 40×Franken.

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