Barbara Dölemeyer Friedrich Hölderlin als „Bibliothekar“ am Homburger Hof Als Isaac von Sinclair von der verzweifelten psychischen Lage erfahren hatte, in der sich sein Freund Hölderlin nach seiner Rückkehr aus Bordeaux und dem Erhalt der Nachricht vom Tod Susette Gontards (am 22. Juni 1802) befand, lud er ihn im Juli 1802 wieder nach Homburg ein. Doch es sollte noch anderthalb Jahre dauern, bis diese Absicht realisiert wurde. Dazwischen lag das Treffen in Regensburg, ebenfalls auf Einladung Sinclairs, der dort bei der Reichsdeputation für die Interessen der Landgrafschaft Hessen-Homburg verhandelte, und Hölderlins Begegnung mit dem Landgrafen, aus der die Arbeit an der Friedrich Ludwig gewidmeten Hymne „Patmos“ folgte. Im Sommer 1803 wiederholte Sinclair die Einladung und versprach in einem Brief an Hölderlins Mutter, aus seiner Besoldung 200 Gulden für den Freund zur Verfügung zu stellen. Im Mai 1804 schließlich beschloss Sinclair, den Landgrafen zu bitten, Hölderlin pro forma als Hofbibliothekar anzustellen. Friedrich Ludwig war ein Schöngeist und Bücherliebhaber, wie er auch von Zeitgenossen wahrgenommen wurde. Philipp Wilhelm Gercken vermerkt in seinem Buch „Historisch- Statistische Beschreibung der freien Reichsstadt Frankfurt am Mayn und der herum liegenden Gegend von Homburg“): 1 „Homburg vor der Höhe liegt 3 kleine Stunden von Frankfurt auf einer Anhöhe in einer anmuthigen Gegend […]. Das Fürstliche Schloß liegt noch etwas höher […]. Die Aussicht von den Zimmern des öbersten Stocks ist göttlich, zumal von dem Pavillon, worin die Wohnzimmer des Landgrafen sind, […]. Eine kleine auserlesene Bibliothek, worin von allen Wissenschaften die besten und neuesten, auch verschiedne seltene, wie das Originalwerk des Hamiltons von dem Vesuv, und andere kostbare Bücher sind, findet man in einem Nebenzimmer des Herrn Landgrafen, die mit vielem Geschmack gesammlet ist, indem der Herr selbst ein Kenner und Liebhaber der Wissenschaften ist.“ Der Landgraf benötigte keinen Bibliothekar, die Stelle war zweifelsohne eine Sinecure. Hölderlin hatte gewiss Zugang zu der Bibliothek, aber eine Tätigkeit als Hofbibliothekar hat er nie ausgeübt, wohl auch nicht ausüben können. 1 Darmstadt 1788, S. 235 ff.
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Barbara Dölemeyer Friedrich Hölderlin als „Bibliothekar ... · „Biebliothekarius Hölderlin“, „Büblikarius Hälderle“, „Biblidekar Helderlin“ (in den Rechnungen Zimmers).
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Barbara Dölemeyer
Friedrich Hölderlin als „Bibliothekar“ am Homburger Hof
Als Isaac von Sinclair von der verzweifelten psychischen Lage erfahren hatte, in der sich sein
Freund Hölderlin nach seiner Rückkehr aus Bordeaux und dem Erhalt der Nachricht vom Tod
Susette Gontards (am 22. Juni 1802) befand, lud er ihn im Juli 1802 wieder nach Homburg
ein. Doch es sollte noch anderthalb Jahre dauern, bis diese Absicht realisiert wurde.
Dazwischen lag das Treffen in Regensburg, ebenfalls auf Einladung Sinclairs, der dort bei der
Reichsdeputation für die Interessen der Landgrafschaft Hessen-Homburg verhandelte, und
Hölderlins Begegnung mit dem Landgrafen, aus der die Arbeit an der Friedrich Ludwig
gewidmeten Hymne „Patmos“ folgte. Im Sommer 1803 wiederholte Sinclair die Einladung
und versprach in einem Brief an Hölderlins Mutter, aus seiner Besoldung 200 Gulden für den
Freund zur Verfügung zu stellen. Im Mai 1804 schließlich beschloss Sinclair, den Landgrafen
zu bitten, Hölderlin pro forma als Hofbibliothekar anzustellen.
Friedrich Ludwig war ein Schöngeist und Bücherliebhaber, wie er auch von Zeitgenossen
wahrgenommen wurde. Philipp Wilhelm Gercken vermerkt in seinem Buch „Historisch-
Statistische Beschreibung der freien Reichsstadt Frankfurt am Mayn und der herum liegenden
Gegend von Homburg“):1
„Homburg vor der Höhe liegt 3 kleine Stunden von Frankfurt auf einer Anhöhe in einer anmuthigen Gegend
[…]. Das Fürstliche Schloß liegt noch etwas höher […]. Die Aussicht von den Zimmern des öbersten Stocks ist
göttlich, zumal von dem Pavillon, worin die Wohnzimmer des Landgrafen sind, […].
Eine kleine auserlesene Bibliothek, worin von allen Wissenschaften die besten und neuesten, auch verschiedne
seltene, wie das Originalwerk des Hamiltons von dem Vesuv, und andere kostbare Bücher sind, findet man in
einem Nebenzimmer des Herrn Landgrafen, die mit vielem Geschmack gesammlet ist, indem der Herr selbst ein
Kenner und Liebhaber der Wissenschaften ist.“
Der Landgraf benötigte keinen Bibliothekar, die Stelle war zweifelsohne eine Sinecure.
Hölderlin hatte gewiss Zugang zu der Bibliothek, aber eine Tätigkeit als Hofbibliothekar hat
er nie ausgeübt, wohl auch nicht ausüben können.
1 Darmstadt 1788, S. 235 ff.
Schloss Homburg, Album Wilhelmina van Reede, um 1790, Eckpavillon, privat
Sinclair holte Hölderlin im Juni 1804 von Nürtingen ab, sie reisten über Tübingen und
Stuttgart, bis sie schließlich Ende Juni in Homburg ankamen. Vom 7. Juli datiert der Antrag
Sinclairs an den Landgrafen zur Ausgestaltung der Gehaltszahlung:
„Da Smus meine unterthänigste Bitte, den Magister Hölderlin aus Wirtemberg zu Höchstdero Bibliothecar zu
ernennen, gnädigst geruht haben zu willfahren, so füge ich die weitere unterthänigst an: dass ich ihm diejenigen
zweihundert Gulden meiner Besoldung … überlassen dürfe, welche ich vor zwei Jahren als Zulage erhalten…“.
Auf dem Papier die Antwort: „Ich genehmige gänzlich dieses arrangement, wie auch die richtige Zahlung. F.L.“
Und so geschah es auch, wie das Dekret vom 29. Juli 1804 zeigt. Die 200 Gulden sollten
quartalsweise, 50 Gulden am jeweiligen 1. des Quartals, von der landgräflichen Rentei an
Hölderlin ausgezahlt werden:
„Nachdem bei Serenissimo der Herr RegierungsRath von Sinclair um die Erlaubniß gebeten hat, auf die
demselben vom 1ten Octbr 1802. an verabreichte jährliche Besoldungszulage von zwei Hundert Gulden entsagen
und solche dem fürstl. Bibliothekär Haelderlin unter der Bedingung überlassen zu-dürfen, daß solche an diesen
zu seinem Unterhalt quartaliter, und zwar vom 1t huj: an mit Funfzig Gulden richtig ausgezahlet werde,
Serenissimus auch dieses arrangement gnädigst zu genehmigen und zu befehlen geruhet haben, daß sothaner
Gehalt richtig ausgezahlet werden soll; als wird dieser höchste Befehl fürstl. Rentei zur Nachachtung hiermit
bekannt gemacht.
Decretum Homburg d. 29 Jul: 1804.
Fürstl. Hessen Homb. Rentkammer
W. Mosengeil
Dieses Dekret und die Quittungen für die Gehaltszahlungen an Hölderlin geben ein genaues
Bild vom Ablauf der Besoldungszahlungen für den Bibliothekar Hölderlin. Die erste Quittung
für die Zahlung vom 1. Juli bis 30. September 1804 hat der Dichter noch selbst und
eigenhändig ausgestellt, er unterschreibt als B[ibliothekar] Hölderlin; sie lautet:
„50 f sage fünfzig vom 1 July bis ultimo Sept. als die von Serenissimo mir ausgesezte Besoldung aus fürstlicher
Kammerkasse erhalten zu haben quittire
Homburg d. 18ten Oct. 1804 B. Hölderlin“
Auch die Quittung für das vierte Quartal (Oktober bis Dezember 1804) hat Hölderlin noch
selbst geschrieben, allerdings hat er die Summe 50 f als Zahl wiederholt, nicht wie es logisch
gewesen wäre, als Wort. Daraus ist auf seinen weiter verschlechterten geistigen Zustand zu
schließen. Dieser verschlimmerte sich und er konnte die weiteren Gehaltszahlungen nicht
mehr selbst quittieren.
„50 f sage 50 f vom ersten October bis ultimo Dezember 1804 aus fürstlicher Kammerkasse erhalten zu haben
bescheiniget
Bibliothekar Hölderlin“
Hier die letzte von „Bibliothekar Hölderlin“ selbst unterschriebene Gehaltsquittung vom
Dezember 1804, sie ist eines der letzten datierbaren Autographen Hölderlins.
Ab 1. Januar 1805 verwaltete Kammerrat Friedrich Ernst Franz Bausch Hölderlins
Bibliothekars-Bezüge, wie die Quittungen zeigen, und er sorgte quasi als „Betreuer“ für die
Bestreitung seiner Ausgaben. In dieser Zeit war Isaac von Sinclair, durch Denunziation seines
früheren Freundes Blankenstein in eine Untersuchung wegen Verschwörung gegen den
Württembergischen Kurfürsten hineingezogen worden, die in der Literatur als
„Hochverratsprozess“ bezeichnet wird, die aber rechtlich weder „Hochverrat“ (kann nur durch
Landeskinder begangen werden) noch „Prozess“ war – es war kein förmliches Verfahren, die
Beschuldigten wurden ohne ein solches im Gefängnis der „Solitude“ inhaftiert.2 Während sich
Sinclair also in dieser Situation befand, kümmerte sich seine Mutter Auguste Wilhelmine von
Proeck um Hölderlin und seinen Lebensunterhalt. Nachdem Sinclair Anfang Juli 1805 aus der
Haft entlassen war und nach Homburg zurückkehren konnte, regelte er die finanziellen
Belange des Freundes. Man stand dabei in Kommunikation mit Hölderlins Mutter. Auch
hierfür finden sich die Belege:
„Einhundert Gulden als der Betrag der Besoldung des H. Bibliothecars Hölderlin vom 1ten Januar – ult Juni 1805
von H. Kammerrath Bausch Wohlgebohren theils baar theils durch Verrechnung des auf Smi Befehl ausgezahlten
Contos unter heutigem 3. Sept. erhalten zu haben wird andurch von mir quittierend bescheiniget Homburg d. 3ten Sept 1805
(Schrift Sinclair) Verwittwete von Pröck geb. von Ende“
2 Werner Kirchner, Der Hochverratsprozeß gegen Sinclair. Ein Beitrag zum Leben Hölderlins, Marburg/Lahn
1949; neue Auflage Frankfurt am Main 1969.
Die nächste Quittung zeigt, dass Bausch die ausgezahlten Gelder auf Befehl Friedrich
Ludwigs verwaltete:
„Daß der Herr Kammerrath Bausch Wohlgebohren für Herrn Bibliothecar Hölderlin die einhundert Gulden
seiner Besoldung vom ersten Juli bis ult. Dec. d. Jahres zur Bestreitung seiner Ausgaben auf Ser i gnädigsten
Befehl verwandt, u. seiner Frau Mutter darüber Rechnung laut Belegen zugefertigt hat, attestirt loco einer
Quittung unterzeichneter Homburg d. 16t April 1806 Geh. Rath v. Sinclair“
Eine ähnliche Bescheinigung durch Sinclair datiert vom 28. August 1806. Auch die letzte
Quittung, vom 8. November 1806, unterschrieben von Hölderlins Mutter, ist hier sehr
interessant: Sie war es nämlich, die die letzten Anteile der Bibliothekarsbesoldung Hölderlins
bis September 1806 ausbezahlt erhielt.
„100 fl. sage Ein Hundert Gulden sind mir für meinen Sohn den Landgräflichen Hessen Homburg.
Hoffbibliothekar Hoelderlin als die vom 1ten April bis Septembr. l. J. demselben gnädigst ausgesezte Besoldung
laut der von H. Camer Rath Bausch darüber gestelten u. richtig befundene Rechnung richtig übermacht worden,
welches mit eigenhändiger Unterschrift bescheinige. Nürtingen d. 8ten Novembr 1806
J. c. Gockin
Verwittibte Camerräthin“, darunter:
NB 50 fl. sind in vorhergehender Quitung schon enthalten
FBausch
Den formalen Abschluss der Bibliothekarsstelle Hölderlins bildet ein Dokument, dessen
Abschrift im Stadtarchiv Bad Homburg aufbewahrt wird. Es ist dies ein Rescript des
Erbprinzen Friedrich Joseph an Kammerrat Bausch „wegen der die Hofhaltungs- und die
Landesverfassung betr. Ausgaben“ vom 28. September 1806. Es geht um Einsparungen in der
Homburger Hofhaltung, die notwendig geworden waren, nachdem Hessen-Darmstadt sich die
Landgrafschaft Hessen-Homburg einverleibt hatte. Am 11. September 1806, als Landgräfin
Caroline den Brief an ihre Tochter Marianne betr. „le pauvre Holterling“, der zu seinen
Verwandten abtransportiert wurde, schrieb, hatte ja der nunmehrige Rheinbundstaat
„Großherzogtum Hessen“ von Homburg Besitz ergriffen und seine Hoheitszeichen am
Homburger Schloss anbringen lassen. Sinclair war seiner Regierungsfunktionen enthoben
worden und konnte auch deshalb den Freund nicht mehr schützen. Der Landgraf Friedrich
Ludwig war seit längerem nicht mehr in Homburg. Erbprinz Friedrich Joseph agierte
sozusagen für ihn.
„Abschrift des von des Herrn Erbprinzen zu Hessen-Homburg Hochfürstl. Durchlaucht erlassenen Rescripts an
den Fürstl. Herrn Kammerrath Bausch
In Gemäsheit des von Unseres Herrn Vaters Gnaden erlassenen Befehls, daß bei den hiesigen Hofhaltungs- und
sämtlichen hiesige Landesverfassung betreffenden Ausgaben eine gewisse Einschränkung eingeführt, auch die
bereits von Höchstdenenselben in den zeitherigen Besoldungs etats verfügte Abänderungen und zwar vom 1 t
Jenner künftigen Jahres an nach Höchstdero Uns übergebener Vorschrift getroffen werden sollen, wird dem
Das Reskript enthält eine lange Liste von Einsparungen, Beamte und Diener sollten weniger
Lohn erhalten, viele entlassen werden, etc. und schließlich unter Punkt 21 lesen wir:
„wegen des ohnehin von hier abgegangenen Hofbibliothekairs Hölderlin mit Ende dieses Monats wegfallender
Besoldung; […]“ – so wird Bausch angewiesen – „nöthige Notizen zu den einschlagenden Cassen
gelangen zu lassen, […]“.
Das war der formale Endpunkt von Hölderlins Bibliothekars-Stelle in Homburg.
Bezeichnung „Bibliothekar“
Dass der Dichter aber, wie in Homburg, so auch in seinem weiteren Leben, noch im Tübinger
Turm, auf diese Bezeichnung „Hofbibliothekar“ oder „Bibliothekar“ Wert legte, dafür gibt es
etliche Hinweise, vor allem in den Rechnungen, die der Schreinermeister Ernst Zimmer für
ihn beglich.3
Interessant sind dabei auch die diversen Schreibweisen der Berufsbezeichnung oder
Beamtenstellung „Bibliothekar“ durch einfache Leute, mit denen Hölderlin Kontakt hatte, so
„Biebliothekarius Hölderlin“, „Büblikarius Hälderle“, „Biblidekar Helderlin“ (in den
Rechnungen Zimmers).
Bübeletücarius
Die bekannteste Schreibung ist wohl die auf der Homburger Wäscherechnung, deren
Rückseite durch Hölderlins rätselhafte Notizen, beginnend mit „Tende, Stroemfeld,
Simonetta“ nicht nur zu literarischen Ehren gelangte, sondern auch dem Frankfurter Verlag
Stroemfeld namensgebend wurde, in dem die Frankfurter Edition der sämtlichen Werke
Hölderlins (Dietrich E. Sattler) erschienen ist. Der Wäschezettel beginnt folgendermaßen:
„Es belieben Hern Bübeletücarius mir zu zahlen vor die Wasch
9, hemter das stück 1 bazen
1, west, 1 bazen
4 halstüger das stück 2 x
[…]“
Die Rückseite dieser Rechnung nutzte Hölderlin als Merkzettel, dessen Inhalt der Forschung
viele Rätsel aufgegeben hat und noch aufgibt. Es handelt sich um Personen- und auch
geographische Bezeichnungen. Der Wäschezettel ist auch deshalb wichtig, weil er ein
Nachweis für die offizielle Bezeichnung „Bibliothekar“ für Hölderlin ist und dafür, dass er
sich dieses Titels in Homburg bediente.
Die erste Zeile lautet: Tende Stroemfeld Simonetta. Tende ist möglicherweise ein Ort im
Piemont, Stroemfeld ein schwedisches Freiherrngeschlecht, Simonetta wohl ein weiblicher
Vorname.4
3 Thomas Scheuffelen/ Angela Wagner-Gnan (Hg.), „… die Winter Tage bringt er meistens am Forte Piano
zu…“. Zwölf Briefe Ernst Zimmers aus den Jahren 1828-1832 über Hölderlin im Tübinger Turm, Nürtingen
1989. 4 Michael Franz, Tende Strömfeld Simonetta, in: Le pauvre Holterling 4/5, 1980, S. 5-9; Michael Franz,
Strömfeld, in: Hölderlin-Jb. 2016/2017, S. 262-268.
Hölderlin war nicht der einzige „Hofbibliothekar“ in Homburg
In der Literatur liest man oft, Hölderlin sei der einzige mit dem Titel „Hofbibliothekar“ am
Homburger Hof gewesen. Das ist nicht korrekt. Heinrich von Silber, in Homburg besonders
als „Hofchronist“ bekannt, trug auch diesen Titel,5 wie im Homburger Almanach für das Jahr
1862 sowie im Staats- und Adreß-Handbuch für das Landgrafthum Hessen-Homburg auf das
Jahr 1864 zu lesen ist. Er führte von 1820 bis 1828 ein Tagebuch, in dem viele
Begebenheiten am Homburger Hof sorgfältig verzeichnet sind und das eine wichtige Quelle
vor allem für die Regierungszeit Friedrich Josephs darstellt. Seine Tätigkeit als
Hofbibliothekar geht auch aus einem Vermerk in den Akten des Stadtarchivs hervor. Die von
Johann Georg Hamel gegründete Stadtbibliothek erhielt nämlich 1865 eine größere Anzahl
von Doubletten aus der Hofbibliothek, die durch Silber aussortiert und von ihm an die
Vorsteher der Stadtbibliothek (Hamel, Geh. Regierungsrat Heinrich Will und Hofmaler
Johann Friedrich Voigt) übergeben wurden.
„Abschrift des von Herrn Hofbibliothekar Obristlieutenant von Silber dem Vorstand der hiesigen Stadtbibliothek
zur prüfenden Durchsicht überreichten und sonach in der Sitzung vom 5. Juni 1864 erledigten Doubletten-
Verzeichnisses der Landgräflichen Hofbibliothek – nebst nachträglicher Mittheilung vom 8. April 1865
Mit Anmerkungen von Stadtbibliothekar Hamel die am 8. April im Landgräflichen Schlosse durch vorbenannten
Herrn Hofbibliothekar an ihn und gegenwärtige Mitvorsteher, Herrn Geheimen Regierungsrath Will und Herrn
Hofmaler Voigt geschehene Behändigung der Doubletten 400 Bände an der Zahl resp. deren nähere
Bezeichnung betr.“
Johann Georg Hamel führte selbst den Titel „Landgräflich Hessischer Bibliothekar“. 1862
war ihm nämlich das Prädikat „Hofbibliothekar“6 zugesagt worden. Das genaue Datum
konnte noch nicht ermittelt werden.
5 Günther Spahn; Heinrich von Silber (1788-1868) Kommandeur – Hofbibliothekar – Chronist, in: Jahrbuch
Hochtaunuskreis 2011, S.194-201. 6 StA HG, A 02 26d, Leseverein, Sitzungs-Protokollbuch pro 1. Mai 1861/62, 13.
Als Gründer des Lesevereins und Stadtbibliothekar war er bekanntlich einer der ersten
Verehrer Hölderlins und machte sich um die Publizität seiner Werke verdient.7 Der Anhang
des Bücherverzeichnisses der Stadtbibliothek von 1852 weist auch ein Bildnis Friedrich
Hölderlins nach – mit der Erläuterung „Landgräflich Hessen-Homburgischer Hofbibliothekar
und einer der größten deutschen Lyriker (geboren zu Lauffen 1770, lebte längere Zeit in
Homburg und starb zu Tübingen 1843)“.
Es dürfte sich um das damals einzige allgemein erhältliche Bildnis Hölderlins handeln, den
Stahlstich (Carl Mayer) von der Zeichnung, die Louise Keller nach dem Hiemer-Bild
angefertigt hatte, mit der Inschrift: „Dich lieb‘ ich, Erde! Trauerst du doch mit mir!“ Es
dürfte auch dasjenige sein, das Hamel bei der „Säcularfeier“ am 19. März 1870 aufstellte:
Denn am Vorabend von Hölderlins 100. Geburtstag lud der Stadtbibliothekar zu einer
„Säcularfeier der Geburt des Dichters Hölderlin“ in der Stadtbibliothek ein, bei der er den
Vortrag „Ein Wort ehrender Erinnerung an den Dichter Hölderlin“ hielt. Das Protokoll
berichtet: „Das mit Lorbeer bekränzte Bildniß des Gefeierten, wie auch seines treuen
Freundes Sinclair, eine Anzahl Hölderlin’scher Originalbriefe und Gedichte Homburger
Ursprungs, auch andere bezügliche Schriftstücke waren ausgestellt.“8 Hamel war sicher stolz
darauf, dass er als Stadtbibliothekar nun auch den Titel führen durfte, den der von ihm
verehrte Dichter – jedenfalls pro forma – geführt hatte.
7 Barbara Dölemeyer, Johann Georg Hamel und die Homburger Hölderlin-Handschriften, in: Unser Homburg
2016, Heft 5, S. 9-15; dies., Johann Georg Hamel – ein Motor der Homburger Kultur und Politik um 1850, in:
Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Landeskunde Bad Homburg v. d. Höhe 66 (2017), S. 37-58. 8 StA HG, A 02 26d, Leseverein, Sitzungs-Protokollbuch pro 1. Mai 1869/70, S. 5: Säcularfeier der Geburt des
Dichters Hölderlin. Öffentliche Vorstands-Sitzung, Samstag den 19. März 1870, Nachmittags 4 ½ Uhr.