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OBJEKTBIOGRAFIEN HUMBOLDT LAB DAHLEM ETHNOLOGISCHES MUSEUM BERLIN 26. MäRZ — 18. OKTOBER 2015
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Ausstellung \"Objektbiografien\" - Ethnologisches Museum Berlin (2015)

May 14, 2023

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Rainer Borriss
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EINlEITuNG

Hinter den scheinbar immobilen Objekten des Ethno- logischen Museums Berlin verbergen sich bewegte Biografien. Diese oftmals unbekannten, aus heutiger Sicht teils problematischen Geschichten des Sammelns, Reisens, Deponierens, des Ordnens, Kategorisierens und Präsentierens sind Thema der Ausstellung.

Wir untersuchen die Wege ausgewählter Objekte der Afrika-Sammlung: Woher kommt das Objekt? Wie ist es nach Berlin gelangt? Auf welche Weise hat es den Besitz gewechselt – durch Tausch, Kauf, Eroberung oder als Geschenk? Wie wurde es schließlich in Berlin aufgenommen, beschrieben, behandelt und ausgestellt? So liegt zum einen das Augenmerk auf der Sammlungs- geschichte der Objekte – vor allem im Kontext des deutschen Kolonialismus. Zum anderen rückt der Fokus auf deren Bedeutungswandel im Laufe der Zeit.

Mit der Ausstellung »Objektbiografien« lenken wir einen kritischen Blick auf die Museumsgeschichte, auf institutionelle Praktiken und Netzwerke – und hinter-fragen dadurch gängige Ausstellungsstrategien. Verena Rodatus und Margareta von Oswald

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KOm

Das Figurenpaar stammt aus dem Königreich Kom im Norden des Kameruner Graslands. Es wurde wahr-scheinlich von König Yu (ca. 1865–1912) selbst gefertigt und zählte zu den wichtigsten königlichen Besitz-tümern. Nach erbittertem Widerstand von Seiten des Königreichs eroberte der deutsche Kolonialoffizier Hans Caspar zu Putlitz mit seiner Truppe 1905 die Hauptstadt von Kom und plünderte den Palast. Das Figurenpaar war bei der Flucht von König Yu im Palast zurückgeblieben; es könnte sein, dass es nicht mehr in Gebrauch war.

Wurden die majestätischen Figuren auf dem historischen Eroberungsfoto herabwürdigend als »Fetischbilder« bezeichnet, so erfuhren sie mit ihrer Ankunft im König- lichen Museum für Völkerkunde Berlin 1906 besondere Wertschätzung. Seit den 1920er Jahren waren sie als prominente Objekte afrikanischer »Kunst« oder »Kultur« in vielen, teils internationalen Ausstellungen zu sehen. Welche Geschichten werden im Museum erzählt, welche nicht? Das Ethnologische Museum thematisiert diese Sammlungsgeschichte seit 2005 in der Ausstellung »Kunst aus Afrika«.

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Dieser von einem Ahnenpaar getragene Hocker stammt aus dem historischen Luba-Königreich in der heutigen Demokratischen Republik Kongo. Wahrscheinlich gelangte das Stück Ende des 19. Jahrhunderts auf innerafrikanischen Handelswegen vom äußerst gewalt-geprägten »Freistaat Kongo« (damals »Privatbesitz« des belgischen Königs) nach Deutsch-Ostafrika. Dort erwarb ihn der Kolonialoffizier Werner von Grawert. Genaueres ist bisher auch nach intensiver Forschung nicht zu rekonstruieren.

Als das Berliner Museum den Hocker 1903 als Schen-kung erhielt, wurde er in der Erwerbungsakte bereits als »Kunst« bezeichnet. Ab 1929 wurde dann den Stücken in diesem Stil – als ersten afrikanischen Objekten über-haupt – ein individueller »Schöpfer« zugeschrieben: der »Meister von Buli«. Darin äußert sich ein west-lich-modernes Kunstverständnis; außer Acht gelassen wird, wie die Luba Künstlerschaft verstanden. Vor allem wertete die Bezeichnung als »Kunst« diese Objekte im sogenannten Buli-Stil zunächst symbolisch und dann finanziell auf. Zuletzt erzielte ein ähnlicher Hocker im Jahr 2010 auf einer Versteigerung 5,4 Mio. Euro.

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Diese Objekte liegen seit Jahrzehnten unbeachtet im Depot des Museums. Es handelt sich um Handfiguren aus der Republik Benin, die bei den Fon als Bocios bez-eichnet werden. Am Eingang eines Hauses in die Erde gesteckt, dienen sie vornehmlich als Wächterfiguren. Der Sammler O. A. Jäger erwarb das ausgestellte Kon-volut in Benin und verkaufte es 1967 dem Museum.

Der Kunsthistoriker Dr. Romuald Tchibozo aus Benin machte uns bei einem gemeinsamen Besuch des Museumsdepots auf die Figuren aufmerksam. Er möchte die Bocios wissenschaftlich erforschen, im Herkunfts- land selbst sind diese jedoch heutzutage nur noch selten zu finden. Bei einer gemeinsamen Reise durch Benin gingen wir der Frage nach, welche Gründe dafür verantwortlich sind.

Die Objekte aus dem Depot wurden so zum Ausgang-spunkt für eine wissenschaftliche Kooperation. Der Austausch darüber hat uns dazu gebracht, historische Ungleichheitsverhältnisse und deren Fortwirken in die Gegenwart zu diskutieren.

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Das Depot bildet das Herzstück des Museums. Die meisten der 75.000 Objekte der Afrika-Sammlung wurden seit ihrer Ankunft in Berlin nicht ausgestellt, nur ein Prozent ist öffentlich in Ausstellungen zu sehen. Von 1884 bis 1914 – der Hochzeit der europäischen Kolonialeroberung – wuchs die Sammlung rasant von 7000 auf 55.000 Objekte an. Der Schwerpunkt lag auf den deutschen Kolonien Togo, Kamerun, Deutsch- Ostafrika und Deutsch-Südwestafrika.

Sammeln ist niemals objektiv, sondern richtet sich nach zeitgebundenen Wertehierarchien. Über die nach euro- päischen Maßstäben gesammelten Objekte wurde ein fiktives Bild von »Afrika« konstruiert – als »rückständig«, isoliert, unveränderlich und homogen. Diese aus dem 19. Jahrhundert stammende Vorstellung entspricht jedoch weder afrikanischen Realitäten noch der global verwobenen Geschichte des afrikanischen Konti-nents. Kaum gesammelt wurden indessen Objekte, die Geschichten eines anderen Afrikas erzählt hätten.

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Kuratorinnen: Margareta von OswaldVerena Rodatus

Ausstellungsgestaltung: ADDITIV Descloux Engelschall

Das Projekt ist entstanden dank der Mitarbeit von Matias Alubafi, Marion Benoit, Friedrich von Bose, Jonathan Fine, Sebastian Hoffmann, Paola Ivanov, Anna Lisa Ramella, Tobias Scheucher, Nora Sternfeld, Romuald Tchibozo.

Die Ausstellung »Objektbiografien« entstand im Rah-men des Humboldt Lab Dahlem, einem Projekt der Kulturstiftung des Bundes in Zusammenarbeit mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz Berlin. Zur Probe- bühne 6 war »Objektbiografien« vom 26. März bis 18. Oktober 2015 in den Museen Dahlem zu sehen.

Die Ausstellungssektion »Luba« basiert auf einer Idee von Paola Ivanov und wurde gemeinsam im Rahmen der Vorbereitungen für das Humboldt-Forum entwickelt.

Fotos: Jens Ziehe© Humboldt Lab Dahlem

Gestaltung: Lucas Liccini