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Linz, am 03. Dezember 2019
Unterlage zum Pressegespräch
„Stille Nacht, einsame Nacht - psychische Krisen in der Weihnachtszeit.“
Ihre GesprächspartnerInnen:
Mag.a Sonja Hörmanseder, Krisenhilfe OÖ
MMag. Martin Schmid, Krisenhilfe OÖ
Dienstag, 03. Dezember 2019, 11.00 Uhr
Presseclub, Saal A, Landstraße 31, 4020 Linz
Rückfragehinweis:
Mag. Philipp Jachs
Krisenhilfe OÖ, Kommunikation & Marketing
[email protected]
Tel.: 0 732 6996 344; Mobil: 0664 88 45 19 44
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DieWeihnachtszeitwirdoftalsdieschönsteZeitdesJahresbezeichnet.Keksebacken,Zeit
mitderFamilieverbringen,Adventmarkt-Besuche–dasallesistfürvieleMenschenschön
und besinnlich. Doch gerade rund um Weihnachten steigt die Anzahl an psychischen
Krisensituationenbei alleinstehendenMenschen an, denn für siewird dieWinterzeit zu
einerBelastung.
„PsychischeKrisenwerdenoftmitder‚dunklenJahreszeit’inVerbindunggebracht“,sagtdie
LeiterinderKrisenhilfeOÖ,SonjaHörmanseder. „DieKrisenhilfeOÖ istauch indieserZeit
häufig im Einsatz, nicht zuletzt beschäftigenuns die Themen ‚Einsamkeit’, ‚Suizid’ unddie
‚NachbetreuungderAngehörigennachSuizid’intensiv.Zwarerlebenwir,dassMenschenmit
Familie den sozialen Zusammenhalt bewusster zelebrieren als in der restlichen Zeit des
Jahres und entgegen traditioneller Annahmen geht die Suizidrate umWeihnachten sogar
zurück. Allerdings erleben gerade einsame Personen, die keine Familie haben, Krisen und
psychischeProblemenichtzuletztdeshalbumsointensiver.AuchFamilien,diekürzlicheinen
tragischenSchicksalsschlagerlittenhaben,wiedenVerlusteinesgeliebtenMenschen,leiden
zurWeihnachtszeitbesonders.“
Die Kontaktzahlen der Krisenhilfe OÖ sind konstant hoch (rund 27.000 Kontakte). Die
EinsätzeundHausbesuchedesKaT-Teams(KriseninterventionnachakuterTraumatisierung)
sindvon261auf277Einsätzegestiegen.„Sowieesaussieht,wirddieZahlanKaT-Einsätzen
2019 noch weiter steigen – auch hier sind die Gründe zu einem großen Teil Suizide und
Suizidversuche. Einerseits sinddiese Entwicklungenbedenklich, andererseits sindwir froh,
dasssichimmermehrMenschenprofessionelleHilfeholen“,soHörmanseder.
1209 Menschen nahmen sich 2018 in Österreich das Leben, davon 950 Männer. In
ÖsterreichgibtesdreimalsovieleSuizidopferalsVerkehrstote.Oberösterreichliegtbeider
Suizidrate an vierter Stelle. (Quelle: Statistik Austria). Unter den Europa-Staaten, liegt
Österreich auf Platz 16 der Staaten mit den häufigsten Suiziden, also im oberen Drittel
(Quelle:WHO).
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„Gerade nach Feiertagen, nachWochenenden und vor allem im Frühling tritt oftmals der
‚Broken-Promises-Effekt’ auf“, sagtMartin Schmid,MitarbeiterderKrisenhilfeOÖ. „Dieser
besagt, dassMenschen in psychischen Krisen zumWochenende oder an Feiertagen noch
einmalvielEnergieaufwänden,sichz.B.besondersbemühen,Konfliktezulösen.Nachden
FeiertagenentstehtdanneinGefühl vonnichterfülltenErwartungenundgerade indieser
Zeit könnenvermehrtSuizidepassieren.Ganzwichtig istaber, suizidgefährdeteMenschen
daraufanzusprechenundprofessionelleHilfezuholen,denndaskannLebenrettenundfast
jederSuizidistverhinderbar.“
Aus der Literatur: 70%derer, die einen Suizidversuch unternommenhaben, unternehmen
keinen weiteren. 95% derer, die einen Suizidversuch unternommen haben, sterben auch
späternichtdurcheinenSuizid(vgl.Teismann&Dormann,2015).
190 166 175134
90 8457
30 24
4656 42
38
21 2114
8 130
50
100
150
200
250
Männlich Weiblich
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0 5 10 15 20 25 30 35
LithuaniaRussianFederation
BelarusKazakhstan
UkraineLatvia
BelgiumHungarySloveniaEstoniaFrance
SwitzerlandCroatiaPolandFinland
RepublicofMoldovaAustriaSerbia
SwedenIceland
PortugalGermany
LuxembourgCzechia
DenmarkSlovakia
NetherlandsNorwayBulgariaIreland
RomaniaMonenegro
UKBosniaandHerzegovina
SpainKyrgyzstan
GeorgiaItaly
NorthMacedoniaMalta
UzbekistanTurkey
TurkmenistanArmeniaAlbaniaIsrael
CyprusGreece
AzerbaijanTajikistan
SuizideinEuropa(Quelle:WHO)
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DieGründefürpsychischeKrisensindvielseitig
„Der LeistungsdruckundderDruck, gesellschaftlichenNormenentsprechenzumüssen, ist
massiv.JungeMenschenleidenoftmalsanPerspektivenlosigkeit.Meistenswollensiedann
auchkeineLastfüranderesein.AuchdaskannpsychischeKrisenhervorrufen“,sagtMartin
Schmid. „ImWinter sind vor allem depressive Verstimmungen und Einsamkeit ein großes
Thema. Vereinsamung kann viele Gründe haben: Krankheit, Beziehungsende oder -
probleme,Pensionierung,Mobbing,aberauchDauerstress.“
ÖsterreicherInnen leidenoftanEinsamkeit:ZweiDrittelderMenschen–vorallemdie60-
Plus-Generation–fürchtetsichdavor.(Quelle:SilverLivingGroup)AberEinsamkeitistnicht
nureinunangenehmesGefühl:Menschen,diesicheinsamfühlenoderalleineleben,leiden
1,5-2,5mal häufiger an psychischen Erkrankungen, alsMenschen, die regelmäßige soziale
Kontaktepflegen(Quelle:CaritasTirol).
„StressmachensichvieleMenscheninderWeihnachtszeitauchwegenderGeschenken“,so
Schmid. „Gerade für finanziell schwächere Menschen kann dies eine große Belastung
darstellen.“
DieKrisenhilfeOÖhilftraschundrundumdieUhr
Die Krisenhilfe OÖ bietet umgehend professionelle Unterstützung bei psychischen Krisen.
Die MitarbeiterInnen stehen dabei unter der Telefonnummer0732 / 2177rund um die
Uhrzur Verfügung. Das Angebot der Krisenhilfe OÖ umfasst telefonische und persönliche
Krisenintervention,Onlinekrisenberatung,Hausbesuche,Unterstützungnachtraumatischen
Ereignissen und Unterstützung für Einsatzkräfte. pro mente OÖ, EXIT-sozial, Rotes Kreuz,
Telefonseelsorge OÖ und die Notfallseelsorge haben sich unter dem Namen „Krisenhilfe
OÖ“zueinemTrägerverbundzusammengeschlossen,umdiezukünftigeKrisenversorgungin
Oberösterreich flächendeckend und noch umfassender gewährleisten zu können. Alle
Leistungen sind dabei für die Betroffenen kostenlos. Nähere Infos unter
www.krisenhilfeooe.at.
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Fallbeispiel1:Melanie,17Jahre(meldetsichonline)
Melanie hat die Schulpflicht erfüllt (NMS, positiver Abschluss + Poly), findet aber keine
Lehrstelleseit1,5Jahren.SievermutetalsGrundihreschlechtenNoten.„Firmenverlangen
sehrvielvonLehrlingen,siepickensichdiemitdenbestenZeugnissenraus. Ichhabesehr
viele Bewerbungen geschrieben, nur Absagen, bekommen, hatte keine Chance mich
vorzustellenundmichbeimSchnuppernzubeweisen“,sagtMelanie.SielebtaufdemLand
mitschlechtenÖffi-Verbindungen,daheristsienureingeschränktflexibel,wasdenStandort
einerkünftigenLehrstellebetrifft.IhreFamiliemachtvielDruck,eshageltVorwürfe,siesei
bequem, zu faul und solle sich endlich eine Arbeit suchen.Melanie hat kaumGeld, kann
wenigunternehmenundziehtsichzurück.IhreSozialkontaktenehmenab,ihrSelbstwertist
mittlerweilesehrgeschrumpft.Siemerkt,dass ihr langsamdieHoffnungschwindet:Wenn
sienunschonkeineLehrstellefindet,wiesolldasspäterweitergehen?AlleSchulfreundinnen
habenJobsgefunden,nursienicht.SiehatniemandenzumRedenbzw.dasRedenfällt ihr
schwer, denn sie möchte niemanden belasten. Eine entfernte Verwandte hat vor zwei
Monaten einen Suizidversuch unternommen, denn sie war in einer ähnlichen Situation.
MelaniemachtsichSorgen,dassesbeiihrauchmalsoweitkommt.
MelaniewendetsichverzweifeltandieOnlinekrisenberatung:Hierkannsiesichentlasten,
all ihreGedankenundSorgenformulieren,ohneAngstvorBewertungoderAbwertung.Sie
hat das Gefühl, ernst genommen und gehört zuwerden. Sie erntet Anerkennung für den
Mut,sichandieKrisenhilfeOÖgewandtzuhabenundetwasverändernzuwollen.ImLaufe
der Zeit werden mit den MitarbeiterInnen der Krisenhilfe OÖ Stärken und Ressourcen
erarbeitet,umdenSelbstwertzuerhöhenbzw.umauszumachen,wosiesichUnterstützung
holenkann,auchinBezugaufeinekünftigeLehrstelle.SeitensderKrisenhilfeOÖwirdnoch
abgeklärt, ob einemögliche Suizidalität vorhanden ist – diese liegt nicht vor.Melanie ist
ermutigt, sich weiterhin bei der Krisenhilfe OÖ zumelden, wenn siemehr Unterstützung
benötigt.
Fallbeispiel2:Hans,82Jahre(meldetsichtelefonisch)
Hansfühltsichsehreinsam,lebtalleine,seineFrauistvorzweiJahrengestorben.Seitherist
erüberfordertmitdemAlltag(Haushaltetc.).SeineTochterundseinSohnkommenabund
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zuaufBesuch,lebenabermitderenFamilieninanderenStädtenundsindmitKindernund
Arbeit ausgelastet. Seine Freunde, Bekannte und früheren Nachbarn sind alle bereits
verstorben,einFreundlebtimPflegeheiminderNähe.Dieseristabernichtmehrmobil,ein
BesuchdortmachtHanseherAngst.Er fragt sich immeröfternachdemSinndes Lebens,
alles ist beschwerlich, niemand zeigt wirklich Interesse an ihm. Er hat das Gefühl seinen
KindernzurLastzufallen.
HanswendetsichandietelefonischeKriseninterventionderKrisenhilfeOÖ:Diesebietetihm
eine erste Entlastung, er wird gehört und seine Sorgen werden dort ernst genommen.
Suizidgedanken sind nicht vorhanden. Es werden erste Schritte gesetzt: Erarbeiten von
Ressourcen (wer könnte ihn im Alltag unterstützen/welche Möglichkeiten gibt es/welche
Möglichkeiten Kontakt zu anderenGleichgesinnten zu bekommen,wie Tagesstrukturen in
Seniorenheimen etc.). Das Telefonat ist wegen Hans’ Schwerhörigkeit herausfordernd,
Angebote zu persönlichen Gesprächen in der Krisenhilfe OÖ nimmt er an und es werden
Terminevereinbart.
FACTBOX - was wichtig ist: - Gründe für psychische Krisen sind oftmals depressive Verstimmungen
und Einsamkeit
- Einsame Menschen leiden öfter an psychischen Krankheiten
- Psychische Krisen können zu Suiziden führen
- 1209 ÖsterreicherInnen haben sich 2018 das Leben genommen (großteils
Männer)
- Es gibt dreimal so viele Suizidopfer als Verkehrstote
- Die Krisenhilfe OÖ ist rund um die Uhr für Menschen mit psychischen
Krisen da!