archithese No future!: Räume der Vintage-Gesellschaft Alltagsarchitektur in Belgien Pavillons als Sommerhits Neuer Realismus und die Architektur der Stadt Über die Qualität des Unentworfenen Der bewohnbare Rohbau: Bauten von Brandlhuber+ Frank Gehrys Frühwerk weitergedacht Sensationsbauten – das Waffenarsenal der Architektur Denmark: Neomania is here! Rem Koolhaas über De Rotterdam Atelier Deshaus Long Museum, Schanghai 3.2014 Internationale Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur International thematic review for architecture Neomanie – Langeweile Hype – Boredom
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architheseNo future!: Räume der Vintage-Gesellschaft
Alltagsarchitektur in Belgien
Pavillons als Sommerhits
Neuer Realismus und die Architektur der Stadt
Über die Qualität des Unentworfenen
Der bewohnbare Rohbau: Bauten von Brandlhuber+
Frank Gehrys Frühwerk weitergedacht
Sensationsbauten – das Waffenarsenal der Architektur
Denmark: Neomania is here!
Rem Koolhaas über De Rotterdam
Atelier Deshaus Long Museum, Schanghai
3.2014
Internationale Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur
International thematic review for architecture
Neomanie – Langeweile Hype – Boredom
4 archithese 3.2014
E D I T O R I A L
Neomanie – Langeweile | Hype – Boredom
Hype oder Langeweile – sind das die Extreme, zwischen denen es sich zu entscheiden gilt?
Immer schneller scheint sich auch im Bereich der Architektur der mediale Blick auf die in-
and-out-Themen, auf Trends oder wenige Shootingstars der Szene zu reduzieren. Gibt es
noch eine Resilienz der langsamen Sache Architektur, oder gehören längst Monotonie und
Langeweile als Label ebenfalls zur aktuellen Hypekultur, wie die Plattformen uglybelgian-
houses oder fuckyeahbrutalism zu verdeutlichen scheinen? Inwieweit unterscheidet sich
beispielsweise die politisch motivierte Architekturförderung einer jungen belgischen Archi-
tektenszene, die sich als kulturelle Praxis einer neuen Gewöhnlichkeit verschrieben hat, von
ihrem dänischen Kollegen der New-Wave-Generation um BIG oder COBE? Beide Fraktionen
stehen im Kontext vom rise and fall der SuperDutch-Ära und versuchen zwanghaft, sich in
Zeiten der Globalisierung auf der Suche nach einer baukulturellen Identität einem Label
zuzuordnen und in die Welt der Marken und Brands einsortieren zu lassen. Dabei spielte in
den frühen Neunzigerjahren die sogenannte signature architecture als Impulsgeber einer
identitätsstiftenden Reurbanisierung eine wichtige Rolle, bevor sie zu reproduzierbaren
Klischees erstarrte. Eine Entwicklung, die den neuen Bauten von Frank O. Gehry gerne pau-
schalisiert unterstellt werden. Aber in der genauen Betrachtung stösst man auf einen Kon-
textualismusbegriff in seinem Werk, der sich mit den Aspekten der Alltagsarchitektur oder
der Formgebung und Oberflächenbehandlung aus der Kunstszene L.A.’s auseinandersetzt.
Gegenwärtig werden die Ideen des Dirty Realism wieder neu verhandelt. Worin gründet
das aktuelle Interesse, sich mit Brandwänden, Investruinen oder den Agglomerationen der
Vororte auseinanderzusetzen? Liegt in den einfachen, gewöhnlichen Bauten eine verborgene
Qualität? Interessant erscheinen unter diesem Gesichtspunkt gerade die Berliner Beiträge
vom Büro Brandlhuber+, das seine Projekte als gebaute Architekturkritik versteht. Wie steht
es um den gegenwärtig medial befeuerten New Realism, der sich rein auf die morphologische
Ebene zurückzieht und die politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Realitäten der
Stadt aussen vor lässt? Handelt es sich dabei um perfekt inszenierte Medienkampagnen oder
um den Verlust von Aufmerksamkeit? Ist der Architekturdiskurs inzwischen wie die Politik
in Zeiten von Urlaub, Strand und Sonne bei einem Sommerloch-Thema angekommen? Die
Entwicklungen in der Architektur der letzten Jahre zeigen eine Hinwendung zur Event-Ar-
chitektur mit ihrem temporären Spektakel und dem Zelebrieren des kurzlebigen Ereignisses
einer auf Lifestyle ausgerichteten Konsumgesellschaft. Dabei erweist sich der Pavillon als
äusserst beliebter Typus – als hip, cool oder fresh. Die Pavillons der Serpentine Gallery mit
wechselndem Staraufgebot, das Guggenheim Lab oder die Sushibar-Favela auf der letzten
Art Basel zählen zu den vielen Sommerhits vergangener Tage; was kommt jetzt? Mit dem
Drang nach dem stetig Neuen läuft man Gefahr, der Mode zu verfallen, mag dabei der Vin-
tage-Trend mit seiner Hinwendung zur Reproduktion zumindest das Qualitätsversprechen
des Bewährten für sich in Anspruch nehmen. Angesichts der unter der Leitung von Rem
Koolhaas stehenden, kürzlich eröffneten Architektur-Biennale in Venedig mit dem Thema
«Absorbing Modernity 1914–2014» und der Beschäftigung mit den fundamentals stellt sich
die Frage, ob die grosse Leistungsschau mehr sein will als ein Medienhype, ein Sommerloch-
thema oder ein Rückblick. Ist die Moderne unsere Antike? Dies bereits als Ausblick auf die
übernächste Ausgabe der archithese...
Die Redaktion
In eigener Sache:
Wir freuen uns, Jørg Himmelreich und Andrea
Wiegelmann im Team der archithese begrüssen
zu dürfen. Andrea übernimmt die Verlagsleitung
der Zeitschrift und Jørg die Leitung der Redak-
tion.
Hannes Mayer verlässt mit diesem Heft nach
fünf Jahren das Team. Wir danken Hannes für sei-
nen mehrjährigen leidenschaftlichen Einsatz und
wünschen ihm für seine neuen Aufgaben alles
Gute.
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A R C H I T E K T U R A K T U E L L
Neue Strukturen für die Kunst
ATELIER DESHAUS: LONG MUSEUM, SCHANGHAI
Schanghai will sich als Metropole für zeitge
nössische Kunst positionieren; davon zeugt
eine Reihe neuer Museen. Das bemerkens
werteste darunter ist das Ende März eröff
nete Long Museum im Entwicklungs gebiet
des West Bund Cultural Corridor. Atelier
Deshaus gibt dem formal stagnierenden
Museumsbau damit neue Impulse.
Autor: Hubertus Adam
2012 wurden in China 450 neue Museen eröffnet.
Die Zahl wirkt beeindruckend, relativiert sich jedoch,
wenn man sich vergegenwärtigt, dass in China nur
ein Museum auf 350 000 Einwohner kommt, in
Schanghai immerhin noch eines auf 200 000 Ein
wohner – während die Relation in Paris 1:16 000
beträgt. Kalkulierte man mit Mittelwerten, so hätte
das in vielerlei Hinsicht um Anschluss an den Wes
ten bemühte Riesenreich China zukünftig Bedarf an
40 000 neuen Museen.
Zugegeben – kulturelle Entwicklung lässt sich
mit arithmetischen Rechenbeispielen schwerlich
erfassen, prognostizieren oder steuern. Ohne Zwei
fel befindet sich die internationale Museumsszene
aber im Umbruch, und so hat sich auch die chine
sische Museumslandschaft in den vergangenen
Jahren erweitert und diversifiziert. Dabei entspre
chen die Szenarien nur bedingt westlichen Vorstel
lungen: Dass prestigeträchtige, architektonisch
spektakuläre Häuser errichtet werden, ohne eine
adäquate Sammlung vorweisen zu können, zählt in
China nicht zu den Ausnahmefällen. Der dem inzwi
schen auch innerchinesisch ausgetragenem Kon
kurrenzkampf der Städte und Regionen geschulde
te kulturelle Wettbewerb erzeugt ständig neue In
stitutionen, seien sie nun politisch gewollt oder
Resultat des Verewigungsbedürfnisses privater
Investoren und Sammler. Die neuen Institutionen
entsprechen dabei nicht immer dem westlichen
Verständnis von musealen Einrichtungen. So ver
bindet sich eine Reihe der neuen Museen direkt mit
Investoreninteressen; sie sind Teil kommerzieller
Entwicklungsvorhaben. Dies muss aber vom Pu bli
kum gar nicht als Widerspruch empfunden werden.
Rem Koolhaas’ Gleichung «Museum = Shopping»
ist hier vollends Wirklichkeit geworden, wenn Monet
in der Mall gastiert und zum Lifestyle einer aufstre
benden chinesischen Klientel ebenso passt wie die
Luxusmarken in den benachbarten Brand Stores.
Hinzu kommt, dass es in China an wissenschaftlich
ausgebildetem kuratorischem Personal mangelt und
daher manche Ausstellungen internationalen Qua
litätsansprüchen kaum genügen. Drängen sich
kommerzielle Interessen in den Vordergrund, so ist
die Grenze zwischen Konsum und Kultur ohnehin
fliessend.
Schanghai im kulturellen Aufbruch
Der internationale Erfolg zeitgenössischer chinesi
scher Kunst hat in den letzten Jahren dazu geführt,
dass Schanghai neben Peking, das mit der zu einem
Kunstcluster umgebauten Fabrik 798 und dem
Künstler und Galerienvorort Caochangdi die Vor
reiterrolle spielte, zu einem Hotspot wurde. Die
historische Rolle Schanghais als Brückenkopf zum
Westen mag ähnlich wie in Hongkong (wo derzeit
das von Herzog & de Meuron entworfene Museum
M+ entsteht, das den grössten Teil der Sammlung
von Uli Sigg beherbergen wird) diese Entwicklung
begünstigt haben. Wer sich für Gegenwartskunst
interessierte, hatte vor zehn Jahren in der Metro pole
am HuangpuFluss lediglich einen Anlaufpunkt: das
Schanghai Art Museum auf dem Gelände der ehe
maligen Rennbahn am Volksplatz, in dem auch die
ersten SchanghaiBiennalen stattfanden. Inzwi
schen ist dieses staatliche Museum geschlossen
und gleich zwei Museen haben seine Nachfolge
übernommen. 2012 eröffnete auf dem rechts des
Flusses gelegenen früheren ExpoGelände das
China Art Museum, und im einstigen chinesischen
Pavillon – dem Hauptbau der Expo 2010 – ist jetzt
die chinesische Kunst des 20. Jahrhunderts zu
sehen. Auf der Stadtseite gegenüber wurde der
Pavilion of the Future – ein früheres Kraftwerk – für
64 Millionen Dollar zur Power Station of Art umge
baut. Die kurz PSA genannte Institution widmet sich
der zeitgenössischen chinesischen und internatio
nalen Kunst und sieht ihr Vorbild in der Tate Modern
in London. Noch fristet die PSA indes ein Inselda
sein: Umgeben von den eingezäunten Arealen der
Weltausstellung, die einer sinnvollen Nachnutzung
harren, liegt sie an einem für das lebendige Stadt
1
11
gefüge Schanghais exterritorial anmutenden Ort.
Selbst Chinesen vermögen einen Taxifahrer nur mit
Mühe hierhin zu dirigieren: Das Ziel «Power Station
of Art» ist unbekannt.
Weitere Kunstmuseen, die sich in den letzten
Jahren in Schanghai etablieren konnten, entspran
gen privatwirtschaftlichen Initiativen. 2005 gründe
te der aus Hongkong stammende Schmuckdesigner
Samuel Kung das Museum of Contemporary Art
(MOCA), das vornehmlich mit Brand Shows in Er
scheinung tritt; 2008 eröffnete das von Chinas
grösster Bank, der China Minsheng Banking Cor
poration, getragene Minsheng Art Museum. Zur
Weltausstellung 2010 wurde im direkt am Bund
gelegenen ehemaligen Sitz der Royal Asiatic
So ciety – einem Kolonialbau aus dem Jahr 1932 –
das durch David Chipperfield entworfene Rockbund
Art Museum fertiggestellt. Es ist Teil eines von Tho
mas Ou – dem Gründer von Sinolink Worldwide
Holdings Ltd. – verantworteten Immobilieninvest
ments. Ähnlich funktioniert das ein Jahr später
realisierte Schanghai Himalayas Museum von Arata
Isozaki, das den kulturellen Nukleus der für 480
Millionen Dollar erstellten Media City Pudong bildet.
Diese ist ihrerseits ein Projekt des Immobilien
unternehmers Dai Zhikang.
West Bund Cultural Corridor
Eines der wichtigsten aktuellen, von der Stadt
verwaltung forcierten städtebaulichen Entwick
lungsprojekte ist der West Bund Cultural Corridor
(WBCC). Dabei handelt es sich um die Revitalisie
rung des flussaufwärts an das linksufrige Expo
Gelände anschliessenden Hafenareals. Das ins
gesamt sieben Quadratkilometer messende Pla
nungsgebiet im Stadtdistrikt Xihui erstreckt sich
über elf Kilometer vom Hafen Rihui im Norden bis
zur XupuBrücke im Süden und soll durch kulturel
le Ankerpunkte eine neue Identität erhalten. Ende
2013 war es Schauplatz der West Bund Biennale,
die sich den Themen «space construction», «artistic
production» und «future imagination» widmete. In
einer früheren Zementfabrik war eine Leistungs
schau zeitgenössischer chinesicher Architektur zu
sehen, zudem errichteten chinesische und interna
tionale Architektenteams vier Pavillons: Yung Ho
Chang und Zhang Yonghe das Vertical Glass House,
Johnston Marklee den Pavilion of Six Views, schmidt
hammer lassen den Cloud Pavilion und Zeng Qun
sowie Wang Fangji den Ceramic Pavilion.
Als MegaAttraktor des WBCC soll in Zukunft
das DreamCenter des amerikanischen Animations
unternehmens DreamWorks fungieren. Für 2,4 Mil
liarden Dollar ist ein Kultur und Unterhaltungskom
plex geplant, der Hotels, Restaurants und diverse
Veranstaltungsorte umfasst.
In diesem Frühjahr wurden am Flussufer des
West Bund zwei spektakuläre private Kunstmuseen
eingeweiht. Die Entwürfe für das Yuz Museum stam
men von Sou Fujimoto, der dabei einen bestehen
den Hangar des aufgelassenen Longhua Airports
miteinbezog. Wie Fujimoto im Gespräch erklärt,
waren die Veränderungen bei der Ausführung seines
Konzepts allerdings so gravierend, dass er von der
Autorschaft zurücktrat und das fertiggestellte Ge
bäude nun nicht mehr unter seinem Namen geführt
werden darf. Finanziert wurde das Yuz Museum mit
seinen neuntausend Quadratmetern Ausstellungs
fläche von Budi Tek, einem chinesischindone
sischen Entrepreneur, der schon in Jakarta ein
Museum unter gleichem Namen betreibt und sich
in Schanghai auf die Präsentation von Installations
kunst konzentriert.
1 Long Museum, Schanghai, 2012, Westfassade (Alle Fotos: Su Shengliang)
2 Nordfassade
3 Haupteingang
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FACADES Über die Qualität des Unentworfenen Die Fassade ist die
Schauseite eines Gebäudes; sie verleiht dem Haus seinen Ausdruck.
Doch oft wurden die interessantesten Ansichten von Häusern
ursprünglich nicht als Fassade entworfen.
Autorin: Oda Pälmke
In einer Reihe von Gebäudeporträts werden unspektakuläre
Wände, vermeintlich abgewandte oder eigentlich verborgene
Seiten und temporäre Modifikationen von Häusern gezeigt,
die vielfach grosse Anmut oder skulpturale Qualitäten auf-
weisen und besser nicht entworfen sein könnten. Die Betrach-
tung dieser «anderen Wände» von Gebäuden als Fassade ist
umso faszinierender, wenn man die Fassade als «Gesicht»
(lat. facies) des Hauses ansieht. Es lassen sich nicht nur ge-
Befensterung: Einige dieser Modifikationen übertreffen so
manchen zeitgenössichen Architektenentwurf, und das ohne
jeden eigenen Anspruch auf Darstellung eines expressiven
Charakters.
1
Oda Pälmke lebt und arbeitet in Berlin. Neben Ihrer Tätigkeit als selbstständige Architektin (www.odapaelmke.de) ist sie Gast-professorin für Architektonisches Entwerfen, unter anderem an der EPFL Lausanne, HfBK Hamburg und TU Dortmund. Seit 2012 leitet sie als Gastprofessorin den Lehrstuhl Bauen und Entwerfen im Bestand an der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU) Cottbus- Senftenberg. Ihre Bücher FACADES, GANZ GUT – quite good houses und TYPEN – good, bad and ugly houses sind im jovis Verlag erschienen.
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2
4
3
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1 Austritt verboten (Alle Fotos: Oda Pälmke)
2 Aufstrebende Pfeile
3 Beruhigendes Fensterkreuz
4 Haus auf Haus (darauf)
5 Haus auf Haus (dahinter)
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DIE ARCHITEKTURPOLITIK DER SENSATIONSBAUTEN Oder: das Waffenarsenal der Architektur Der heutige Überdruss an den Sensationsbauten der signature architecture lässt
vergessen, dass solche landmarks vor nicht allzu langer Zeit ein wichtiges Instrument zur Belebung der Baudebatte und
Reurbanisierung der Nachkriegsstädte waren. Ein Plädoyer für den wohlwollenden Umgang mit dem Aussergewöhnlichen.
Autor: Michael Mönninger
Wenn es eine Stadt im deutschsprachigen Raum gibt, die
Architekturpolitik zum zentralen Motor städtischer Selbst-
behauptung und Entwicklungslogik gemacht hat, dann ist
es nicht Berlin, Wien, Hamburg oder München, sondern
Frankfurt am Main. Seit den unruhigen Sechzigerjahren wa-
ren in Deutschlands einziger global city Bauen, Stadtpolitik
und Protestkultur enger und konfliktreicher verzahnt als
anderswo. Hier tobten jahrelang die schärfsten Studenten-
demonstrationen, Häuserkämpfe und Strassenschlachten
gegen Hochhausspekulanten und Flächenabrisse, die erst
nach 1980 abebbten, als in Frankfurt die Geburtsstunde
der postmodernen Reurbanisierung und Rekonstruktion
schlug – Stichwort Alte Oper, Römerberg, Museumsufer. Auch
wenn «Mainhattan» politisch seit Langem befriedet er-
scheint, macht sich die latente Neigung der Frankfurter zum
Krawall bis heute in ihrer Architekturästhetik bemerkbar.
Deutlichstes Beispiel ist die Shoppinggalerie namens My
Zeil, die Massimiliano Fuksas 2009 für die zentrale Frank-
furter Einkaufsstrasse entworfen hat. Der Glaspalast erweckt
mit seiner aufgesprengten Strassenfassade den Eindruck, als
hätte eine Bombe in das Gebäude eingeschlagen. Fuksas war
sich bei seiner schockgefrorenen Attentatsszene aber wohl
kaum bewusst, dass er damit einem aussergewöhnlichen
Genius Loci huldigt: Direkt neben seinem Gebäude stand
einst das Kaufhaus Schneider, Schauplatz der ersten gewalt-
tätigen Protestaktion der Studentenrevolte, aus welcher
später der blutige Terrorismus der RAF hervorging.
Andreas Baader und Gudrun Ensslin hatten am 2. April
1968 mehrere Brandbomben im Kaufhaus Schneider gezün-
det, um gegen den Vietnamkrieg zu protestieren. Wenig
später verteidigte der Kommunarde Fritz Teufel auf einer
Tagung des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes
(SDS) in Frankfurt die Brandstiftung mit der berühmten For-
mel: «Es ist immer noch besser, ein Warenhaus anzuzünden, 1
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als ein Warenhaus zu betreiben.» Etwas Ähnliches hatte
Bertolt Brecht einst in seiner Dreigroschenoper über Banken
gesagt. Dass diese Parole ausgerechnet in Frankfurt aufge-
griffen und erstmals zum Kampf gegen Kapitalismus und
Krieg verwendet wurde, sagt viel über die seismografischen
Qualitäten dieser «Stadt ohne Eigenschaften», die schon
immer Frühwarnsystem und Vorreiter kommender Umwäl-
zungen war. Daher lohnt es sich, dort über den Zusammen-
hang von Stadtertüchtigung und Standortpolitik, von Archi-
tekturbranding und Warenhausbrandstiftung, von Tourismus
und Terrorismus nachzudenken.
Vom Aktionismus zum Brand
Dass Architektur brennen muss, war eine provokante Forde-
rung der Architektur nach 1968. Gegen die ästhetische, mo-
ralische und soziale Unbewohnbarkeit der Nachkriegsstädte
protestierte eine aktionskünstlerische Stadtguerilla, die mit
Happenings und Performances das Packeis des Vulgärfunk-
tionalismus aufbrechen wollte. Vorreiter waren die französi-
schen Situationisten, die deutschen Fluxus-Existenzialisten,
die Londoner Pop-Artisten oder auch die amerikanischen
Destruktiven wie Gordon Matta-Clark mit seinen Ketten-
sägenmassakern in Abrisshäusern – und dann vor allem die
Österreicher mit Haus-Rucker-Co, Coop Himmelb(l)au und
Hans Hollein.
Der junge Hollein prägte damals die Parole «Alles ist
Architektur» und forderte eine neue, alles umfassende Kom-
petenz für die Architekten und gegen die Technokratie der
Bauwirtschaftsmoderne. Manche der damaligen Radikal-
architekten nahmen diesen Entgrenzungsanspruch, dass
Architektur alles und alles Architektur ist, sehr ernst. Sie
agierten wie Stadtindianer auf dem architektonischen Kriegs-
pfad und weckten mit ihren scharfkantigen Splitterentwürfen
oft kriegerische Assoziationen. Da gab es Wohntürme, die wie
Abschussrampen in die Luft ragten oder Bürohochhäuser, die
wie Wurfspeere in den Boden gerammt waren – um zwei exem-
plarische Entwürfe namens «Hot Flat» (1978) oder «Media
Tower» (1985) von Coop Himmelb(l)au zu nennen. Was für die
klassische Moderne einst die Collage war, spitzten solche
Entwürfe zur Karambolage zu. Bevor sich für diese Entwürfe
der aus der französischen Philosophie entlehnte Begriff «De-
konstruktivismus» durchsetzte, wurden solche Gebilde unter
dem Begriff «Katastrophen ästhetik» subsumiert.
Heute ist aus der einstigen Bürgerschreck-Ästhetik eine
international anerkannte Modellarchitektur geworden – etwa
die neue BMW-Welt von Coop Himmelb(l)au, das Merce-
des-Benz Museum von Ben van Berkels UNStudio, das Porsche
Museum von Delugan Meissl oder das BMW-Werk in Leipzig
von Zaha Hadid. Auch Kultur-, Freizeit- und Mu seumsbauten
werden heute vorzugsweise als stadtprägende landmarks
ausgeführt, allen voran Frank O. Gehrys Guggenheim-Mu-
seum in Bilbao, die Stadtloggia von Jürgen Mayer H. in Sevilla
oder das Marina-Bay-Sands-Ensemble in Singapur vom eins-
tigen Barfuss- und Bricolage-Architekten Moshe Safdie.
Bei allen Unterschieden in der Motivation und Entwurfs-
haltung dieser Architekten ist ihr weltweiter Erfolg so gross,
dass sie bald schärfste Kritik auf sich zogen: es handle sich
längst nicht mehr um gesellschaftskritische Gegenentwürfe,
sondern um signature architecture und Architekturbranding;
um gebaute Luxusmarken, die anstelle der kritischen Dekon-
struktion der versteinerten Verhältnisse nur noch repressive
Entsublimierung betreiben – was meint, dass sie also kon-
struktiv und bauästhetisch gleichsam die Sau rauslassen, um
systemstabilisierend die Aufmerksamkeitsökonomie der
Markenwerbung, Standortpolitik und Kulturindustrie zu
bedienen.
Den Bogen zu ziehen von der Brandstiftung im Kaufhaus
Schneider zum Architekturbranding der nachgestellten Ter-
rorszene in Massimiliano Fuksas Pleasure-Dome mit seiner
Form eines Bombentrichters, wirkt überspannt. Aber bei
2 Massimiliano Fuksas, Shopping Mall My Zeil, Frankfurt am Main, 2009 (Foto: MBN Bau AG)
3 Coop Himmel b(l)au, Flammenflügel im Hof der TU Graz am 12. Dezember 1980
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CLEAR THE FRONT PAGE, NEOMANIA (THE MEGAPHONE GENERATION) IS HERE! Or: adventures of conceptualism For the last ten years, Danish Architecture has been exposed to new
energies with new approaches between conceptualism, pragmatism and media performances coming from
a young generation of architects. Growing up in the context of SuperDutch, their attitude is characterized
by a new freshness and straightforwardness in approach and rhetoric. What are the conditions of this new
wave in Danish architecture?
Author: Kristoffer Lindhardt Weiss
It has been said many times that Danish architecture petrified
in the 1980s and 1990s. Frozen in uninspired gestures of
seemingly endless curtain-wall glass boxes, draped with
deadpan wooden lamellas and engulfed in a myth of Nordic
superiority in composition, sensibility to light and under-
standing of materials. Never amounting to more than an all
too weak echo of the great masters of the modern movement.
Danish architecture seemed content and harmless in those
days. It was an unexciting success. It had simply become too
perfect and self-referential. Like an architectural black hole,
nothing could break free once it had been sucked in. People
began to talk about the very undramatic, uneventful end of
an era. Carsten Thau, professor of architecture history at the
Royal Academy in Copenhagen, hit the nail on the head when
he said that “Danish architecture had become somewhat
benumbed and, in the best instances, had come to be merely
nice and pretty and dainty.”1 It seemed as if everyone was
just waiting for someone with the audacity and cheek to
challenge the established dogma of the Danish tradition, to
kick in the open door.
The Danish New School
The Danish contribution for the 2004 Venice Biennale of
Architecture, titled Too Perfect, marked a turning point. It
was curated by Bruce Mau, a Canadian designer whose claim
1
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to fame was his collaboration with Rem Koolhaas in 1995 on
the milestone book and instant classic S,M,L,XL. Spear-
headed by the Danish Architecture Centre, the biennial ex-
hibition sought to break free from the constraints of tradition
and challenge the self-perception of Danish architecture at
the time. It deliberately addressed the strong link that glo-
balization had created with Danish architecture in the twen-
tieth century but sought to redefine both content and form.
Instead of the obsession with stylistic mannerism that had
characterized previous decades, architecture was to address
and solve – so-called – “real problems” and reclaim its place
on the political agenda. It sought to reactivate the obligation
of keeping things real, that is, the dirty realism of getting
things done and making a stand based on ideology – the same
ideology that had created the golden age in Danish design in
the 1940s, ’50s, and ’60s. The architects of the welfare state
identified with the utopianism of post-war Europe and in-
vested all their creative skills into shaping institutions in the
image of a better future, where the working class would be
raised into the middle class. That meant better schools, new
city halls, a wide range of public institutions and affordable
quality housing. The architecture of that time had embodied
the social utopian models and shaped their spatial structure.
Some of the contributing Danish architects at the Biennale
belonged to a young office that had already made headlines
back home: PLOT, founded in 2001 by Bjarke Ingels and the
Belgian architect Julien De Smedt, who had met while work-
ing at OMA. They would split up again in 2006, but the mega-
phone generation was born.
Bjarke Ingels was only partly raised in the Danish design
tradition. Having studied in Spain and worked at OMA, where
he was deeply involved in the construction of the Seattle Pub-
lic Library, he brought home a fresh approach to architecture.
The young generation was standing on the shoulders of the
giants of the Golden Age, especially the refined craftsmanship
of Jacobsen, Wegner, Mogensen, Kjærholm and Panton, whose
work combined a design ideology marked by the egalitarian
ideals of the Scandinavian welfare state with an extremely
high level of technical skills and a passion for international
trends such as minimalism and industrial cool. This, essen-
tially, is still the foundation for the self-image of Danish archi-
tects today. However, the new generation in Danish architec-
ture also encountered significant skepticism and was accused
of ignoring central values in the Danish architecture tradition,
such as the sensitivity to context, the careful finish and grasp
of texture and detailing, hailed by previous generations as a
trademark of Danish design. When Too Perfect was presented,
professors at the academy in Copenhagen called the exhibition
architects “fascist henchmen and slick service agents of global
capitalism”, according to Kent Martinussen, director of the
Danish Architecture Centre.2 In contrast, Martinussen empha-
sizes what he identifies as a Neue Sachlichkeit (New Objectiv-
ity) in that generation; that is, architects as social entrepre-
neurs, preoccupied with humanistic values and new inter-
pretations of functional objectivity, fundamentally different
from the promiscuous Dutch conceptualism with a Brutalist
twist.3 The inhumanity that Martinussen observes in some of
the most radical experi ments of the Dutch movement would
simply not be viable in a Danish context.
International movements
The new generation mixes Scandinavian minimalism and
collage-like building typologies with a strong impulse from
the continental, postmodern architectural scene, drafting
building narratives conceptually, “plot-based” like a movie
script, with a clear story easy to comprehend for everyone –
especially people outside architecture. Danish architecture
has very strong regional characteristics shaped by geography
and state ideology. However, the Danish economy is still a
small, open economy and has always been heavily influenced
by international tendencies like the social movements of cen-
tral Europe, British arts and crafts, the European obsession
2 Bjarke Ingels Global Architect with a Mission (Illustration by Kirk Manley/STUDIOKM.com, published in the October issue of Fast Company, in: Kristoffer Lindhardt Weiss and Kjeld Vindum, The New Wave in Danish Architecture, Copenhagen 2012, p. 309, 311, 313)
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DE ROTTERDAM Rem Koolhaas im Gespräch mit André Bideau Zwischen Planungsbeginn und Fertigstellung des Hochhauskomplexes
De Rotterdam Ende 2013 liegen 17 Jahre. In dieser Zeit wandelte sich der Entwurf von einer, wie Rem Koolhaas es nennt,
«Überartikulation von Differenz» zu einem skulpturaleren Gebäude.
André Bideau: Der Beginn der Planungen für De Rotterdam
geht auf das Jahr 1997 zurück, zwei Jahre davor entstand
der Essay «Bigness, or the Problem of Large». Hier beschrie
ben Sie einen «postarchitektonischen» Zustand, in dem
durch schiere Grösse «Architektur so architektonisch und
zugleich so wenig architektonisch ist, wie nur möglich»,
ferner, dass dieser Zustand den «Architekten nicht mehr
dazu verdamme, ein Star zu sein».
Rem Koolhaas: Mit «Bigness» beabsichtigte ich nicht, ein
Manifest vorzulegen, und in der Arbeit von OMA sehe ich
nicht die Illustration meiner Texte. Wenn ich auf Projekte wie
De Rotterdam zurückblicke, kann ich darüber eine Geschichte
erzählen, die den Anschein erweckt, aus lauter Entwürfen
und Einsichten zusammengesetzt zu sein, die alle irgendwie
untereinander verbunden sind und eine Art journalistischen
Kommentar zur Welt abgeben. Dieselbe Geschichte könnte
ich auch als eine Art introvertierte, von äusseren Kontexten
völlig unabhängige Meditation erzählen. Dass die Arbeit
verschiedenste Zugänge und Erklärungen erlaubt, finde ich
jedoch gut.
AB: In den ersten Entwürfen entsprach De Rotterdam stär
ker anderen OMAProjekten der späten Neunziger wie der
MoMAErweiterung oder der Villa bei Bordeaux. Dynami
scher als im nun ausgeführten «Atrium» mit seinen Roll
treppen, war das gesamte Innenleben als eine Art mecha