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„Partizipation – ein Begriff, der ein Meister der Verwirrung
ist“ Notizen aus dem Vortrag von Prof. Dr. Dr. h.c. Fritz Oser,
Universität Freiburg, gehalten an der Auftaktveranstaltung zur
Weiterbildungsreihe „Partizipation – Mitwirken in der Schule“, SSD
Zürich, vom 26. Oktober 2005, Schulhaus Hirschengraben / Verfasst
von dipl. paed. Silja Rüedi
Mit seinen skeptischen Randbemerkungen stellte Prof. Fritz Oser
die Partizipation in der Volks-
schule nicht generell in Frage, sondern machte darauf
aufmerksam, dass nicht alles, was unter
dem Titel der Partizipation veranstaltet wird, echte
Partizipation ist. Er beliess es jedoch nicht bei
den kritischen Fragen, sondern zeigte eine Unterteilung
partizipativer Lebensmodelle auf.
Partizipation ist ein positiv geladener Begriff, mit dem
unterschiedliche Erwartungen verbunden
werden. In Betrieben erwartet man von der Partizipation, dass
sie zu höherer Identifikation mit
dem Betrieb, zu mehr Verantwortungsübernahme, grösserem
Interesse an der Firmenpolitik etc.
führen solle. In der politischen Bildung erwartet man von
Partizipationsmodellen mehr politisches
Interesse, mehr politischen Diskurs, besseres
Abstimmungsverhalten, mehr Mitwirkung in
Parteien etc.
Gemäss Oser führten diese hohen Erwartungen dazu, dass
Partizipation insbesondere in der
Volksschule gefordert werde. Er sprach gar von einem
„Partizipationsboom“. Dabei würden die
hohen Erwartungen kaum erfüllt, weil sehr oft nicht klar sei,
woran, wann und wie weit reichend
Partizipation erwünscht sei.
Partizipieren könne nur, wer über die entsprechende Reichweite
der Verantwortung verfügt und
die Verantwortung für die Folgen seines oder ihres anstehenden
Handelns übernehmen will und
kann. Dazu muss ein Mensch erstens den Zweck seines Handelns
kennen und zumindest
beeinflussen oder kontrollieren können. Zweitens muss er oder
sie über geprüftes,
handlungsrelevantes und hinreichendes Wissen für die Absichten
und die Planung verfügen.
Nur mit diesem Wissen kann vorausgesagt und abgeschätzt werden,
ob und in welchem
Umfang der beabsichtigte Zweck der Handlung erreicht werden
kann. Erst so wird eine
Handlung anrechenbar und vollständig verantwortbar. Nur unter
diesen Umständen kann man
von vollumfänglicher Partizipation sprechen.
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Im anderen Extremfall spricht Oser von Pseudopartizipation.
Immer dann,
wenn so getan wird, als ob man sich beteiligen würde oder
könnte,
die Verantwortung für die Folgen des Handelns aber bei
anderen
liegt und Wissen nicht zur Verfügung steht, ist Partizipation
nicht wirklich, sondern nur scheinbar
vorhanden. Im besten solchen Fall ist die Partizipation
unvollständig. Man spricht dann oft von
„Reden mit den Beteiligten“. Im schlechtesten Fall ist es eine
Scheinpartizipation, die von den
Betroffenen als Farce empfunden wird. Jugendliche haben laut
Oser eine sehr sensible und
wache Wahrnehmungskompetenz gegenüber Scheinpartizipation,
besonders, wenn diese mit
Anbiederung verbunden ist.
In seinen Untersuchungen konnte Oser nachweisen, dass
Schülerinnen und Schüler in Familien
deutlich mehr mitbestimmen können als in der Schule und dass sie
in der Schule selbst bei
Dingen, die ihr Leben betreffen, meist nicht partizipieren
können. Selbst für das Schülerparla-
ment sind nicht überall sie es, die die Abgeordneten bestimmen
sondern die Lehrpersonen.
Auch im Streitfall nehmen oft Lehrpersonen die alleinige
Entscheidungs- und Richtgewalt wahr,
statt die Verantwortung mit den Schülerinnen und Schülern zu
teilen.
Partizipieren kann also nur, wer Verantwortung übernehmen will
und übertragen erhält.
Letzteres betrifft die Erwünschtheit der Partizipation. Oser
machte in seinem Referat klar, dass
Partizipation nicht in allen Angelegenheiten erwünscht sein
könne und solle. Vieles basiere auf
Gesprächen, sei kooperativ und kommunikativ aber eben nicht
zwingend auch partizipativ.
All das führe zur Forderung, dass Partizipation
⎯ die Reichweite der Berechtigung und Verpflichtungen
umschreiben muss
⎯ die positiven und negativen Konsequenzen des partizipativen
Handelns einbezieht
⎯ die Risiken des partizipativen Handelns gemeinsam teilt
⎯ die inhaltlich vorausgesetzten Kompetenzen für das
partizipative Handeln beschreibt
⎯ die Form der Kooperationen nennt, die sich aus der
Berechtigung und Verpflichtung ergeben
(Vgl. auch Oser, F., Biedermann, S., & Ullrich, M. (2001).
Teilnehmen und Mitteilen: Partizipative Wege in die res publica.
Beobachtungen in 14 institutionellen Kontexten im Rahmen der
Projekts "Education à la Citoyenneté Démocratique (ECD)" des
Europarats zuhanden des Bundesamtes für Bildung und Wissenschaft.
Freiburg: Departement Erziehungswissenschaften der Universität
Freiburg, Lehrstuhl für Pädagogik)
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Notizen Vortrag Prof. Dr. Fritz Oser - 3 - Zürich, Novembe
Eine „Hierarchie“ partizipativer Lebensmodelle Oser stellte
unterschiedliche Typen von Partizipationen in einer Art Hierarchie
vor. Die Kriterien, die einen solchen Typ von Partizipation mehr
oder weniger bestimmen, sin
Vollkommene Partizipation
(Vollständig geteilte Verantwortung) 7
Bereichsspezifische Partizipation (Partizipationsinseln)
6
Teilpartizipation in Handlungsinseln (Eingebundene
Verantwortung)
5
Indirekte Partizipation I: Auftragspartizipation
4
Indirekte Partizipation II: Freundlichkeitspartizipation
3
Indirekte Partizipation III: Zugehörigkeitspartizipation
2
Pseudopartizipation 1
Abbildung: Unterschiedlich intensive Partizipationsarten nach
Oser, Biedermann & Ullrich, 2001
Vollkommene Partizipation Bereichsspezifi-sche Partizipation
Teilpartizipation mit Handlungs-inseln
Auftrags-partizipation
Freundlichkeits-partizipation
Zugehörigkeits-partizipation
Pseudo-partizipation
Beschreibung Wichtigstes Charak-teristikum ist die gemeinsame
Pla-nung, gemeinsame Entscheidung und Durchführung einer
Unternehmung.
Wichtigstes Charak-teristikum ist die gemeinsame Pla-nung,
gemeinsame Entscheidung und Durchführung einer Unternehmung in
be-stimmten, abge-grenzten Bereichen.
Innerhalb von Herstellungs- oder komplexen Produk-tionsprozessen
kann für einzelne klar abgrenzbare Bereiche selbständiges Arbei-ten
möglich sein.
Die Sicherung eines Teils der Arbeit wird durch Zuweisung dieser
Arbeit ge-währleistet. Eine Person erhält inner-halb des
Herstel-lungs- oder Aus-tauschprozesses durch Zuweisung einen ganz
bestimm-ten, klar festgelegten Auftrag.
Jemand erhält eine Arbeit zugeteilt, die sie/er selber
ausführt.
Ausführung eines Auftrags oder eines Befehls.
Es werden nur Agaben oder Befeausgeteilt und dugeführt. Keines
der nachshenden Kriterienpositiv zu. Man meine Sache, weil gemacht
werdenmuss. Es gibt keIdentifikation mit Situation, dem System oder
dereigenen Handlun
Zuständigkeit
Rollenunterschiede entsprechen den unterschiedlichen
Fähigkeiten.
Rollenunterschiede entsprechen den unterschiedlichen
Fähigkeiten.
Man kennt seine Zuständigkeit und ihre Grenzen. Ent-scheidungen
werden von einer Leistungs-gruppe oder einer
Zugeteilte Zuständig-keit.
Teilarbeit könnte in ein Ganzes eingebun-den werden, sie wird es
aber nicht, weil die Leitenden und die Mitarbeitenden dies
Im Rahmen des Jobs.
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Notizen Vortrag Prof. Dr. Fritz Oser - 4 - Zürich, Novembe
einzelnen Person gefällt.
nicht für notwendig halten.
Verantwortlichkeit
Von allen für alles geteilt.
Von allen für einen bestimmten Aus-schnitt geteilt.
Eingebunden in ein ganzes, hierarchisch gegliedertes
Hand-lungssystem.
Besteht in der Aus-führung des Auftrags.
Für die Reichweite des Jobs gegeben.
Es gibt keine eigene Verantwortung; man macht, was der/die
Vorgesetzte sagt.
Kompetenzen Entsprechend der Rolle.
Entsprechend der Rolle.
Entsprechend der Rolle
Keine.
Hierarchie Keine. Es gibt eine Hierar-chie ausserhalb der
Mitbestimmung, die das Ganze zusam-menhält.
Rechte und Pflichten entsprechen einer mittleren
Verant-wortungshierarchie.
Innerhalb der Hierar-chie fehlt die Sicht für das Ganze.
Es wird alles top-down geregelt, wobei Freundlichkeit ein
notwendiges Korrelat für die Aufrechter-haltung der Motiva-tion
ist.
Verhältnis ist asym-metrisch.
Informationsfluss Vollständig und für alle in gleicher
Weise.
Optimal für das ganze System, nicht nur für die spezifische
Ar-beitsinsel oder den entsprechenden Be-reich.
Für die einzelne Ar-beit und für das Ganze herrscht hoher
Informationsfluss.
Es liegen keine oder nur oberflächliche Informationen über das
Ganze vor. Ein-seitiger Informations-fluss.
Informationen werden über den jeweiligen Arbeitsausschnitt
ver-mittelt.
Besteht nicht.
Zugehörigkeits-gefühl
Hoch. Sehr hoch. Mittel. Keine. Kann gegeben sein; es bestimmt,
was die Kameradschaft oder die Solidarität in schwierigen
Situatio-nen bewirken.
Initiative Eigeninitiative ist Grundlage für das Funktionieren
des Ganzen.
Eigeninitiative ist sehr erwünscht.
Eigeninitiative klein. Nicht vorhanden. Nicht erwünscht.
Beispiele Gemeinsame Grün-dung einer kleinen Firma; Planung
einer Freizeitaktivität bei gleichen Rechten.
Just Community-Schule, wo Partizipa-tion für die Schul-kultur,
nicht aber für die fachspezifische Ausbildung der Schülerinnen und
Schüler herrscht.
Verantwortung eines Lehrlings für einen Produktionsteil;
Ver-antwortung für die Einhaltung vorgege-bener Regeln in einer
Schule.
Fabrikationsarbeit mit Zuteilung von Ver-antwortung für As-pekte
einer Teilpro-dukt-Qualitätskon-trolle: Erklärung von
Entscheidungen, die Eltern den Kindern abgeben; Übernahme einer
Aufgabe bei der Durchführung einer gemeinsamen Unter-nehmung.
Job-Auftrag in einer Reinigungsfirma; Ausführung eines Auftrags
bei der Gestaltung einer Festlichkeit.
Militärischer Zug; „Handlangerarbeit“ auf dem Bau; Serien-arbeit
in der Fabrik.
Job-Arbeit ohne Motivation; ArbeiZeitvertreib; Arbevon
Gefangenen