An die Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Frau Ilse Aigner Wilhelmstraße 54 10117 Berlin Cc: Bundesumweltministerium Berlin, 9. April 2013 Sehr geehrte Frau Bundesministerin Aigner, die Verhandlungen über die Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik (GFP) treten in die letzte und entscheidende Phase. Wir, die unterzeichnenden Organisationen, fordern Sie eindringlich auf, die Absicht des Europäischen Parlaments zu unterstützen, die Fischbestände bis 2020 in einem Umfang oberhalb des höchstmöglichen Dauerertrags (MSY) wieder aufzubauen. Dafür muss die Überfischung bis 2015 beendet werden. Dreißig Jahre GFP haben zu einer massiven Übernutzung der Fischbestände geführt. Ökosysteme wurden geschädigt, ebenso die Lebensräume zahlreicher mariner Arten. Heute sind 47 Prozent der untersuchten Bestände im Atlantik überfischt, im Mittelmeer sind es 80 Prozent und in der Ostsee fünf von sieben Fischbeständen. 1 Das ist auch ein ökonomisches Problem: Mit der stillschweigenden Inkaufnahme der Überfischung europäischer Bestände werden Schätzungen zufolge jedes Jahr potenzielle Fangerträge im Wert von über 3 Milliarden Euro verschwendet, mit denen mehr als 100.000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden könnten. 2 Gemäß dem Seerechtsübereinkommen (SRÜ) der Vereinten Nationen von 1982 ist die Europäische Union rechtlich verpflichtet, Fischpopulationen auf ein nachhaltiges Niveau zurückzuführen (Artikel 61.3 und 119.1(a) SRÜ). 2002 hat die EU zugesagt, dieser Verpflichtung „soweit möglich bis spätestens 2015“ nachzukommen (Artikel 31(a) des auf dem UN-Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg angenommenen Durchführungsplans). Und erst im vergangenen Jahr haben die Staats- und Regierungsoberhäupter auf dem Rio+20-Gipfel versprochen, die Bemühungen zur Erfüllung dieser Aufgabe zu intensivieren, und alle Kraft darauf zu verwenden, die biologische Vielfalt in den Meeren zu schützen. Wie Sie wissen, hat das Europäische Parlament jüngst mit einer Mehrheit von 502 zu 137 Stimmen beschlossen, die Überfischung bis 2015 zu beenden. Ziel des Beschlusses ist es, die europäischen Fischbestände bis 2020 oberhalb des höchstmöglichen Dauerertrags wiederherzustellen und zu erhalten. Ohne eine solche ehrgeizige – aber doch realistische – Zielvorgabe für den Wiederaufbau 1 EU-Kommission (2012): Mitteilung der Kommission: Konsultation zu den Fangmöglichkeiten 2013 KOM (2012) 278 endgültig. 2 Nef (new economics foundation) (2012): Arbeitsplätze – Auf See verschollen (Jobs Lost at Sea). London, neweconomics.org/node/1968.
10
Embed
An die Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und ... · 2 der Fischbestände bliebe die GFP eine Politik, die ihren Anspruch verfehlt. Wir bedauern sehr, dass der Rat diese
This document is posted to help you gain knowledge. Please leave a comment to let me know what you think about it! Share it to your friends and learn new things together.
Transcript
An die
Bundesministerin für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Frau Ilse Aigner
Wilhelmstraße 54 10117 Berlin
Cc: Bundesumweltministerium
Berlin, 9. April 2013
Sehr geehrte Frau Bundesministerin Aigner,
die Verhandlungen über die Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik (GFP) treten in die letzte und entscheidende Phase. Wir, die unterzeichnenden Organisationen, fordern Sie eindringlich auf, die Absicht des Europäischen Parlaments zu unterstützen, die Fischbestände bis 2020 in einem Umfang oberhalb des höchstmöglichen Dauerertrags (MSY) wieder aufzubauen. Dafür muss die Überfischung bis 2015 beendet werden.
Dreißig Jahre GFP haben zu einer massiven Übernutzung der Fischbestände geführt. Ökosysteme wurden geschädigt, ebenso die Lebensräume zahlreicher mariner Arten. Heute sind 47 Prozent der untersuchten Bestände im Atlantik überfischt, im Mittelmeer sind es 80 Prozent und in der Ostsee fünf von sieben Fischbeständen.1 Das ist auch ein ökonomisches Problem: Mit der stillschweigenden Inkaufnahme der Überfischung europäischer Bestände werden Schätzungen zufolge jedes Jahr potenzielle Fangerträge im Wert von über 3 Milliarden Euro verschwendet, mit denen mehr als 100.000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden könnten.2
Gemäß dem Seerechtsübereinkommen (SRÜ) der Vereinten Nationen von 1982 ist die Europäische Union rechtlich verpflichtet, Fischpopulationen auf ein nachhaltiges Niveau zurückzuführen (Artikel 61.3 und 119.1(a) SRÜ). 2002 hat die EU zugesagt, dieser Verpflichtung „soweit möglich bis spätestens 2015“ nachzukommen (Artikel 31(a) des auf dem UN-Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg angenommenen Durchführungsplans). Und erst im vergangenen Jahr haben die Staats- und Regierungsoberhäupter auf dem Rio+20-Gipfel versprochen, die Bemühungen zur Erfüllung dieser Aufgabe zu intensivieren, und alle Kraft darauf zu verwenden, die biologische Vielfalt in den Meeren zu schützen.
Wie Sie wissen, hat das Europäische Parlament jüngst mit einer Mehrheit von 502 zu 137 Stimmen beschlossen, die Überfischung bis 2015 zu beenden. Ziel des Beschlusses ist es, die europäischen Fischbestände bis 2020 oberhalb des höchstmöglichen Dauerertrags wiederherzustellen und zu erhalten. Ohne eine solche ehrgeizige – aber doch realistische – Zielvorgabe für den Wiederaufbau
1 EU-Kommission (2012): Mitteilung der Kommission: Konsultation zu den Fangmöglichkeiten 2013 KOM (2012)
278 endgültig. 2 Nef (new economics foundation) (2012): Arbeitsplätze – Auf See verschollen (Jobs Lost at Sea). London,
der Fischbestände bliebe die GFP eine Politik, die ihren Anspruch verfehlt. Wir bedauern sehr, dass der Rat diese Zielvorgabe in seiner Allgemeinen Ausrichtung abgelehnt hat.
Dennoch bietet sich nun für Sie im Rahmen der bevorstehenden Verhandlungen zwischen Rat und Parlament noch einmal die Gelegenheit, alles in Ihrer Macht stehende zu tun, damit der Rat den Ansatz des Parlaments unterstützt. In Australien, Neuseeland, Norwegen, Russland und den Vereinigten Staaten haben vergleichbare Zielvorgaben für die Erholung der Fischbestände eine nachhaltige Verbesserung bewirkt. Wir rufen Sie dringend auf, diese Erfahrungen ernst zu nehmen und sicherzustellen, dass auch die GFP für ein verantwortungsvolles Fischereimanagement sorgt. Es geht letztlich nicht nur um ökologische Fragen, sondern ebenso um den Erhalt öffentlicher Güter und eine ökonomisch nachhaltige Zukunft unserer Küstenregionen.
Wegen des erkennbar wachsenden öffentlichen Interesses an diesem Thema werden wir dieses Schreiben in den kommenden Tagen den Medien zur Verfügung stellen.