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An den Wassern von Ninive. Sanheribs Wasserbauten für die assyrische Metropole, Antike Welt 2012/2, 2012, 29–36.

Apr 11, 2023

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Oliver Rettig
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Page 1: An den Wassern von Ninive. Sanheribs Wasserbauten für die assyrische Metropole, Antike Welt 2012/2, 2012, 29–36.

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ANTI KE\/\/EITZeitschrift fiir Archäologie und Kulturgeschichte

Ph i l ipp von Zabern 2/2012 € 12,80 (D) / €, 14,- (A) /sFr 25,- www.zabern.de

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DEUTSCI-I !-At{ DHightech undArchäologie

GRIECH EN LAN SNeue Erkenntnisseaus Kleonai

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I Entdecku ngsreiseI in das antike Verona

Page 2: An den Wassern von Ninive. Sanheribs Wasserbauten für die assyrische Metropole, Antike Welt 2012/2, 2012, 29–36.

An den Wassern von NiniveSanheribs Wasserbauten für die assyrische Metropole

von Ar ie lM. Bagg

er unerwartete Tod Sargons II. (722-

705 v. Chr.), der auf dem Schlachtfeld

gefallen war und nicht bestattet werden konnte,

machte Sanherib (705-681 v. Chr.) zum König

von Assyrien. Das tragische Schicksal seines

Vaters muss Sanherib tief getroffen haben und

eine nicht unwesentliche Rolle bei der Verle-

gung des Regierungssitzes von Dur-Schamrken

(Horsabad, Irak) nach Ninive am östlichen

Tigrisufer gespielt haben. Durch Sanheribs

Bauprogrammwurde Ninive (Mosul, Irak), das

bereits eine lange Siedlungsgeschichte hinter

sich hatte, zu der größten, am prächtigsten

ausgestatteten und am besten zu verteidigen-

den Stadt Assyriens. Er ließ eine gewaltige

Stadtmauer mit Gräben und weiteren Ver-

teidigungsanlagen sowie einen Palast und

ein Arsenal bauen und erweiterte damit die

Fläche der Stadt von ca. 130 ha auf über 750ha.

Um seine neue Hauptstadt und ihre Umge-

bung mit Wasser zu versorgen, unternahm San-

herib außerdem das anspruchsvollste Wasser-

bauprojekt der assyrischen Geschichte: vier

Kanalsysteme, insgesamt über 150 km lang,

mit Kanälen und kanalisierten Wasserläufen,

Tunneln, Aquädukten und Wehren, dessen

Abb .1Das <große Reliefl> vonChinis (9,30 x 9,20 m), dassich an der Ableitungsstellevon <Sanheribs Kanal> be-fand, zählt zu den größtenassyrischen Bildwerken. Eszeigt in der Mitte ein Götter-paar, das mit Assur undseiner Gemahlin Mull issuin Verbindung gebrachtwird. Hinter jeder Götter-figur erscheint der König inSeitenansicht, jewei ls vonlinks bzw. rechts gesehen.Das Relief wurde in früh-christlicher Zeit durch dieAnlage von Mönchsklausenstark beschädigt.

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Page 3: An den Wassern von Ninive. Sanheribs Wasserbauten für die assyrische Metropole, Antike Welt 2012/2, 2012, 29–36.

Abb .2Um seine neue Hauptstadt

und ihre Umgebung mitWasser zu versorgen,

unternahm Sanherib einanspruchsvolles Wasser-

bauprojekt. Vier Kanal-systeme, insgesamt über150 km lang, mit Kanälenund kanalisierten Wasser-

läufen, Tunneln, Aquäduk-ten und Wehren, wurdenzwischen 702-688 v. Chr.

gebaut: l. Kisir-Kanal, ll.Gebirge-Musri-Kanal, l l l .Nördliches Kanalsystem,

lV. Chinis-Chosr-Kanal.Während der Verlauf von

einigen Kanalstrecken nurvermutet werden kann

C--), sind andere Streckenarchäologisch bezeugt

(-).

An den Wassern von Ninive - Sanheribs Wasserbauten für die assyrische Metropole

Durchfrihrung zwischen ca. 702-688 v. Chr.

man nachvollziehen kann und das eine riesige

Herausforderung für die damaligen Fachleute

darstellte (Abb. 1).

Die Quellenlage frir die Wasserbauten San-

heribs ist aus mehreren Gründen als günstig

einzuschätzen. ln den umfangreichen Bau-

berichten der Tonfäßchen-, Prismen- und

Kolossinschriften sowie in den Felsinschriften

wurden u. a. auch die Wasserbauten geschil-

dert, manchmal sogar mit konkreten Angaben

zu technischen Detailfragen. Hinzu kommen

der archäologische Befund und die Palast-

reließ. Auf den Steinplatten, die die Wände

von Sanheribs <Südwestpalasb> und Assur-

banipals <Nordpalast>> in Ninive verzierlen,

wurden Kandle, Wasserhebevorrichtungen und

Parkanlagen abgebildet, die die Angaben der

schriftlichen Quellen ergänzen. Sanheribs In-

schriften und Reliefs zeugen von seinem Inte-

resse flir technologische Innovationert, TLtm

Beispiel hinsichtlich des Transports von Stier-

kolossen, der Anschaffrrng neuer Materialien,

der Hortikultur, der Metallurgie sowie der

Wasserhebevorrichtungen und des Wasser-

baus. Die technischen Lösungen, gegebenen-

falls Neuerungen, stammen sicher nicht vom

König selbst, aber ohne seine Teilnahme an

der Entwicklung und Durchfiihrung der In-

genieurbauten wären sie vermutlich nie ent-

standen.

Um den Wasserbedarf der neuen Haupt-

stadt abzudecken, wurden die Wasserressour-

cen des Gebiets zwischen Ninive und den

Bergen erschlossen. Das Wasser wurde durch

vier Kanalsysteme geleitet, die aus verschie-

denen Richtungen auf die Stadt zuflossen, so

dass ein speichenörmiges Muster entstand.

Sie wurden in vier Stufen gebaut (Abb. 2).

Ein Kanal, Obstgärten und ein Park

Der Kisiri-Kanal, 702v. Chr. erstmals erwähnt,

bildete die erste Stufe des Kanalsystems, das

Ninive mit Wasser versorgen sollte. Es han-

delte sich um einen etwa 16 km langen Kanal,

der parallel zum Chosr - einem Nebenfluss

des Tigris - verlief und von diesem Fluss ge-

speist wurde. Der Chosr musste zu diesem

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ANTIKEWEI:T 2/12

Page 4: An den Wassern von Ninive. Sanheribs Wasserbauten für die assyrische Metropole, Antike Welt 2012/2, 2012, 29–36.

An den Wassern von Ninive - Sanheribs Wasserbauten für die assyrische Metropole

Zweck am Kanalkopf abgedämmt werden,

vermutlich bei asch-Schallalat, wo Reste eines

(heute restaurierten) Staudarnmes vorhanden

sind. In Verbindung mit diesem Projekt ste-

hen die Verteilung von Grundstücken ober-

halb der Stadt, die nr Obstgärten bestimmt

wurden, und die Einrichtung einer Park-

anlage um den neuen Palast herum. In die-

sem Park gediehen Weinstöcke, Frucht- und

Ölbäume, Gewürzpflanzen und Zypressen.

In den Königsinschriften wird das Projekt

folgendermaßen geschildert: <.Einen Park, ein

Ebenbild des Amanus-Gebirges, in dem alle

Gewürzpfl anzen und Früchte der Obstgärten

sowie Bäume, die Erzeugnisse der Gebirge

und des Landes Kaldu (gemeint ist Babylo-

nien) zusarnmengebracht sind, legte ich an

der Seite des Palastes an. Damit Obstgärten

gepflarut werden konnten, teilte ich vom

Ackerland oberhalb der Stadt Grundstücke

von jeweils2hafür die Bewohnervon Ninive

als Los ab und übergab sie ihnen. Um die Fel-

der zum Gedeihen zu bringen, riss ich vom

Gebiet von der Stadt Kisiri bis zur Umgebung

von Ninive Berg und Tiefland mit Picken aus

Eisen auf und legte einen Kanal an. Über eine

Landstrecke von 16 km ließ ich dorthin aus

dem Chosr dauerndes Wasser fließen und es

durch Gräben in die besagten Obstgärten rau-

schen> (Bellino-Zylinder, 57 -60) (Abb. 3).

Bergquellen, ein Naturreservat

und ein Aquädukt

Die rlächste Stufe, das Gebirge Musri-Kanal-

system, wird erst 694v. Chr. genannt. In diesem

Fall wurde Quellwasser yom Gebirge Musri,

heute Djebel Baschiqa, in Reservoiren ge-

saÄmelt und durch Kanäle in den Chosr ge-

leitet. Obstgärten und Getreidefelder wurden

südlich der Stadt angeleg[ und bewässert. In

den sieben Jahren, die beide Projekte tren-

nen, änderte sich das Aussehen der Stadt

und ihrer unmittelbaren Umgebung stark.

Im Jahr 699 v. Chr. ließ Sanherib ein Sumpf-

gebiet entstehen, das als Sicherung gegen

die potentielle Gewalt des Wassers während

des Fnihlingshochwassers sowie als eine Art

Naturreservat dienen sollte. In diesem Sumpf

gedieh das Röhricht, das als Baumaterial

für die Palastanlagen verwendet wurde, und

es vermehrten sich dort Wildtiere. Auf diese

Weise wurde eine für Assvrien exotische

Abb .3Die Ruinen von Ninivebefinden sich heutemitten im östlichen Teilder modernen Stadt Mosulim Nordirak. Sanheribs12 km lange Stadtmauersowie die Hügel Kuyunjikund Nebi Yunus (<<Prophet

Jona>), auf denen jeweils

5an heribs 5üdwestpalastund Zeughaus standen,sind deutlich zu erkennen.Der mittlere Teil der Ruinewird durch die moderneStadt bedeckt.

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An den Wassern von Ninive - Sanheribs Wasserbauten für die assyrische Metropole

Abb. 4 Parkanlagen und Gärten prägten das Erscheinungsbild der neuassyrischen Hauptstädte. lm 8. Jh. v. Chr. entwickelte sichin Assyrien ein neues Konzept für königl iche Gärten, die durch künstl iche Hügel, Pavi l lons, Türme, Teiche und eine üppige Bewaldunggekennzeichnet waren. Sargon l l . l ieß einen solchen Park in seiner Residenz Dur-Scharruken (<Sargons Burg>) anlegen und auf denReliefplatten, die seinen Palast schmückten, darstel len (Chorsabad, Palast, Raum 7, Platte 12).

Landschaft geschaffen, die charakteristisch

frir Babylonien war. Im gleichen Jahr wurde

in Ninive ein Aquädukt aus Backsteinen ge-

bautund 697 v. Chr. entstandennördlichund

östlich der Stadt weitere Parks.

Stadtgärten sind bereits in den Inschriften

Adad-nararis I. (1305-1274 v. Chr.) erwähnt

und die Einfuhr und Anpfl anzungvon fremden

Bäumen- und Pflanzenarten wurde schon von

Tiglatpileser I. (1114-1076 v. Chr.) und Assur-

nasirpal II. (883-859 v. Chr.) unternommen.

Ab Sargon II. entwickelte sich ein neues

Konzept für königliche Gärten, die meist in

Verbindung mit Palästen erwähnt werden

und eine üppige Bewaldung, einen Pavillon,

einen kleinen Turm auf einem künstlichen

Hügel sowie Teiche hatten, wodurch man

eine nordsyrische Landschaft nachahmen

wollte (Abb. 4). Auf einer reliefierten Wand-

platte aus Assurbanipals Palast in Ninive wird

ein Park mit einem mit Laub- und Nadel-

bäumen bepflanzten Hügel dargestellt, der

durch ein Grabennetz bewässert wird, das

von einem Aquädukt gespeist wird (Abb. 5).

Die Spitzbögen des Aquädukts weisen eine

große Atrntlchkeit mit denen von Sanheribs

Aquädukt bei Djerwan auf (s. u.). Es ist sehr

wahrscheinlich, dass diese Wandplatte in un-

mittelbarer Nähe einer anderen Reliefplatte

Abb. sAuf einer Reliefplatte aus Assurbanipals Nordpalast(Ninive, Raum H;8M124939) wird eine Parklandschaftmit Aquädukt dargestellt. Ein Pavillon und danebeneine Stele mit einer Königsdarstellung stehen aufdem Gipfeleines mit Laub- und Nadelbäumen be-pflanzten Hügels. Ein Kanal, der von rechts nach linkfließt, wird von einem Aquädukt gespeist, dessenSpitzbögen eine große Ahnlichkeit mit denen desa rchäolog isch bezeu gten Aquäd u kts bei Djerwa naufirrueisen. Die bewässerte Parkanlage stellt wahr-scheinlich einen von Sanheribs Parla dar.

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stand, auf der eine ummauerte Stadt, ver-

mutlich Ninive, abgebildet ist. Dies wäre ein

Hinweis darauf, dass sich die hügelige Park-

landschaft mit Aquädukt in Ninive oder sei-

ner Umgebung befand und würde die schrift-

lichen Angaben bestätigen (Abb. 6).

Kanalisierte Gebirgsbäche

und Felsreliefs

Die dritte Stufe, das sog. Nördliche Kanal-

system, wurde wahrscheinlich zwischen 694-

688 v. Chr. gebaut und ist archäologisch be-

zeugt. Durch dieses Kanalsystem, das eine

Kombination von künstlichen Kanälen und

natürlichen Wasserläufen war, wurden Fel-

der nördlich der Stadt bewässert. Das System

sammelte das Wasser mehrerer Wadis (d. h.

Flussläufe, die nur zeitweilig Wasser fiihren),

u. a. des Rubar Dahuk, des Wadi Bahanda-

waya und des Wadi al-Milah. Seine letzle

Strecke verlief parallel zum Tigris und er-

reichte Ninive von Nordwesten. Im Zusam-

menhang mit den Kanalbauten finden sich in

Maltai, Faida und Schiru Malikta Felsreliefs,

ein typisches Merkmal von Sanheribs Wasser-

bauten (Abb. 7). Drei bzw. vier Kanalstrecken

wurden in den steinigen Boden gegraben: ins-

gesamt ca. 40-55 km. Als Ingenieurbau war

daher das nördliche Kanalsystem viel wichti-

ger als die beiden früheren Projekte.

An den Wassern von Ninive - Sanheribs Wasserbauten für die assyrische Metropole

Das älteste Aquädukt aus Steinquadern

Um 688 v. Chr. wurde die letzte und an-

spruchsvollste Stufe der Wasserbauten San-

heribs erreicht: das Chinis-Kanalsystem.

Über dieses Projekt berichten Texte, die sich

vor Ort befinden: zwei Berichte. die auf den

Kalksteinblöcken des Aquädukts bei Djerwan

mehrmals angebracht waren und die drei-

mal auf den Felsen von Chinis gemeißelte

Inschrift, die als Bavian-Inschrift (nach ei-

nem Dorf genannt, das 3 km stromaufwärts

von Chinis lag) in der Forschung bekannt

ist. Der Fluss Atrusch - so heißt der obere

Lauf des Gomal stromaufwärts von Chinis -,

dessen Quellen sich in den kurdischen Ber-

gen beflnden, wurde in der Nähe des Dorfes

Chinis (ca. 50 km nordöstlich von Ninive)

abgedämmt, damit er einen dort abgeleite-

ten Kanal speisen konnte. Die Einlaufstelle

von <,Sanheribs Kanal>> fslutr4 sich in einer

Schlucht des Flusses Atrusch /GomaI nörd-

lich von Chinis, wo zwei große Reließ und elf

kleinere Nischenreliefs in den Felsen einge-

meißelt waren. Der Kanalkopf umfasste einen

Damm, ein Einlaufbauwerk, eine ca. 300 m

lange Kanalstrecke mit Steinmauer und ei-

nen Tunnel. Ab diesem Tunnel wurde das

Wasser durch einen in den Felsen gehauenen

Einschnitt in den Kanal geleitet. Der Chinis-

Chosr-Kanal, der <<Sanheribs Kanal,> genannt

Abb .6Sanherib l ieß Ninive miteiner doppelten Stadt-mauer umgeben, diemindestens 24 m hoch warund aus einer äußeren Vor-mauer aus Kalksteinen undeiner inneren Mauer ausLehmziegeln bestand. EineReliefplatte aus Assurba-nipals Nordpalast (Ninive,

Raum H; BM 124938),aufder eine assyrische Stadt(al lem Anschein nachNinive) abgebildet ist, zeigteine doppelte Stadtmauer.Die dritte Mauer könntedie Umfassungsmauer derAkropolis (Kuyunjik) dar-stel len, auf der SanheribsPalast zu sehen wäre.

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Egl l

IfITIIT

I

An den Wassern von Ninive - Sanheribs Wasserbauten für die assyrische Metropole

Abb .7Monumentale Felsreliefs

im Zuge von Kanalbautenwaren Sanheribs persön-

liches Zeichen und wurdenin Faida, Maltai, Schiru

Malikta und Chinis err ich-tet. Das größte Relief vonMaltai zeigt eine Gruppe

von sieben Gottheiten, vondenen eine thront und dierestlichen auf einem oder

mehreren Tieren stehen(2,35 x 6,50 m).

wurde, erstreckte sich über 35 km und mün-

dete über einen Nebenfluss in den Chosr.

Der Kanalkopfbeim Dorf Chinis war nicht

nur aus technischen Gründen ein Meister-

werk. Neben den Wasserbauingenieuren ha-

ben auch die Bildhauer eine gewaltige Arbeit

geleistet: Die steilen Felswände am rechten

Ufer des Atrusch wurden mit zwei riesengroßen

und elf kleineren Reließ verziert. An der

Ableitungsstelle stand ein riesiger Felsblock,

das sog. Tonelief, heute in zwei Teile gespal-

ten und halb in den Fluss gesunken (Abb. 8).

Wenn man die Berichte über die akroba-

tischen und lebensgefährdenden Unterneh-

mungen liest, die die Forscher A. H. Layard

im 19. Jh. und L. W. King und Th. Jacobsen

im 20. Jh. gewagt haben, um die Inschriften

aufzunehmen, kann man die Leistung der

Bildhauer, die diese schwer zugänglichen Re-

ließ und Inschriften angefertigt haben, nur

bewundern und hochachten.

Etwa auf halbem Weg, beim Dorf Djerwan,

musste der Kanal ein Tal überqueren, wozu

ein Aquädukt aus 2 Mio. Kalksteinblöcken

gebaut wurde: 280 m lang, 22 m breit, die

sorgf,dltig gepflasterte Kanalsohle lag 7 m

über den Fundamenten. Fünf Spitzbögen

überspannten das Tal. Es handelt sich um

das älteste Aquädukt aus Quadern und ist

ein Glanzwerk des Brückenbaus (Abb. 9).

Auf den Steinblöcken ließ Sanherib mehrere

Inschriften einmeißeln, die seinen Namen

verewigen sollten: <<Sanherib, der König der

Gesamtheit, der König von Assyrien. Auf ei-

ner langen Strecke ließ ich vom Fluss Chazur

einen Kanal in die Umgebung von Ninive hin

graben. Über tief eingeschnittene Schluchten

baute ich einAquädukt aus Kalksteinblöcken.

Das genannte Wasser leitete ich über ihn

durch> (Djerwan Inschrift C).

Das Chinis-Projekt ist das einzige Wasser-

bauprojekt frir Ninive, das sowohl die nörd-

liche, als auch die südliche Region der Stadt

mit Wasser versorgt haben kann. Da die

Übertragung des Wassers aus dem Chinis-

Chosr-Kanal in den Chosr mehrere Kilo-

meter stromaufivärts von der Abzweigstelle

des Kisiri-Kanals erfolgte, konnte auch die-

ser Kanal mlt zusätzlichem Wasser gespeist

werden. Auf diese Weise konnten auch die

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Felder und Gärten. die nordöstlich von Ni-

nive lagen, mit mehr Wasser versorgt werden.

Wurde Ninive durch Wasser zerstört?

Zum Schluss einige Anmerkungen über die

vermeintliche Rolle von Sanheribs Was-

serbauten beim Untergang von Ninive: Im

Jahr 612 v. Chr. wurde Ninive von Medern

und Babyloniern belagert und erobert. Die

biblischen und klassischen Quellen haben

dazu beigetragen, dass viel über die Rolle des

Wassers bei der Zerstörung von Ninive spe-

kuliert wurde. Laut Diodor (1. Jh. v. Chr.),

der Ktesias (5.-4. Jh. v. Chr.) zltiert, wurde

die Stadt nach einer zweijährigen Belagerung

vom Euphrat überschwemmt, da es kräftig

und unaufhörlich geregnet hatte. Berücksich-

tigt man aber, dass Ninive am Tigris lag und

dass in den Sommermonaten (von Mai bis

August) starke Regengüsse heute an einWun-

der grenzen, so erweist sich Diodors Glaub-

würdigkeit als fraglich. Eine Verwechselung

mit Babylon, das tatsächlich von Sanherib

zerstört und überschwemmt wurde, ist nicht

auszuschließen. Nachdem Sanherib Baby-

lon eroberte, in Flammen aufgehen ließ und

seine Trümmer in den Euphrat wa{ ließ er

das Wasser des Euphrat durch Kanäle in die

Stadt fließen: <<Inmitten dieser Stadt grub

ich Kanäle und setzte sie unter Wasser. Ich

zerstörte ihre Fundamente und ließ ihre Ver-

nichtung die der Sintflut überholen. Damit

man in den zukrinftigen Tagen die Lage dieser

Stadt und ihrer Tempel nicht wiedererkennen

kann, löste ich sie in Wasser auf und vernich-

tete sie, so dass sie wie Überflutungsland aus-

sahen'> (Bavian Inschrift, 52-54).

Die andere Quelle frir die vermeintliche

Zerstörung Ninives durch unkontrollierte

Wassermengen ist die Bibel. Sie geht auf eine

Passage aus der Weissagung Nahums zurück,

die jedoch nach heutiger Kenntnis anders

gedeutet werden muss: Die <Schleusentore>>,

die Wasser in die Stadt fließen lassen haben

sollen, sind eigentlich <Stadttore am Fluss'>

(Nahum 2,7).Darüber hinaus, werden Ni-

nive und seine Einwohner mit einem Teich,

der sich entleert, verglichen, nirgendwo ist

aber von einem überschwemmten Gebiet die

Rede (Nahum 2, 9). So verschwinden die

Argumente fiir die Annahme, Ninive sei der

Vernichtungskraft unkontrollierbarer Wasser-

mengen, die durch Betätigung oder Zerstö-

rung von Regulierungsanlagen freigelassen

wurden, zum Opf-er gefallen. Der Fall von

Ninive wird in einer babylonischen Chronik

kurz erwähnt, aber über die Rolle des Wassers

wird nichts gesagt.

Abb .8An der Ableitungsstel le beiChinis stand ein r iesiger,reliefi erter Steinblock, dassog. Torrelief, das heute inzwei Teile gespalten undhalb in den Fluss gesunken

ist. Auf dem Block wurdenu. a. geflügelte Stieremit menschlichem KoplGottheiten und der Königdargestellt.

2/l2ANTIKEWELT

Page 9: An den Wassern von Ninive. Sanheribs Wasserbauten für die assyrische Metropole, Antike Welt 2012/2, 2012, 29–36.

Abb .9Damit der Chinis-Chosr-Kanal ein Tal beim Dorf

Djerwan überquerenkonnte, baute Sanherib

das älteste bekannte Aquä-dukt aus Steinquadern,

dessen imposante Restenoch heute zu sehen sind.

Adresse des Autors

Priv. Doz. Dr. phil., Ing. Ariel M. BaggAltorientalisches InstitutUniversität LeipzigGoethestr.2D-04109 Leipzig

Bildnachweis

Abb. 1,7-8: Peter Miglus (Heidelberg);2: ArielM. Bagg;3: @ 2011 Google;4:P.E. Botta / E. Flandin, Monument deNinive ll, Paris (1849)Taf .1'13-114;5-6:@ The Trustees of the British Museum;9: J. Kramer, Deutsches ArchäologischesI nstitut, Orient-Abteilu ng.

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R. BICHLER / R. ROLLINGER, Die Hängen-den Gärten zu Ninive. Die Lösung einesRätsels?, in: R. Rollinger (Hrsg.), Von Sumerbis Homer. Festschrift für Manfred Schret-ten zum 60. Geburtstag am 25. Februar2004 (200s) 1s3-218.

Ein Herrscher und seine Stadt

Sanherib machte Ninive nicht nur zu seiner

Residenz, sondern verwandelte sie durch Mo-

numentalbauten in eine Metropole. Durch

technisch anspruchsvolle Wasserbauten wurden

die Einwohner der Stadt und die umliegenden

Felder mit Wasser aus den nördlichen und

nordwestlichen Bergen versorgt. Das Erschei-

nungsbild der Stadt sowie seiner unmittelbaren

Umgebung wurde durch das Anlegen von

Parkanlagen und Gärten unterschiedlicher

Art geprägt. Sanheribs hydraulische Projekte

waren aber keine Luxusbauten zur Bewässe-

rung von königlichen Parks, wie sie oft in-

terpretiert wurden, sondern waren an erster

Stelle der Bewässerung von Obstgärten und

Getreidefeldern zueedacht. In einem Gebiet.

in welchem Regenfeldbau nicht ohne Risiko

betriebenwerden konnte, diente die Bewässe-

rung nicht nur der Gewährleistung der Ernte,

sondern auch der Erhöhung der landwirt-

schaftlichen Produktivität.

Die zwei Unternehmungen, aufdie Sanhe-

rib so großen Wert legte, nämlich Ninive und

seine Wasserversorgung sowie die endgültige

Lösung des Konflikts mit Babylonien durch

die Zerstörung der Stadt Babylon, überlebten

ihn nicht lange. Kurz nach seiner Ermordung

begann sein Sohn Asarhaddon (680-669

v. Chr.) mit den Rekonstruktionsarbeiten

in Babylon und keine 70 Jahre später wurde

Ninive belagert und zerstört. Die kolossa-

len Bauten und die hydraulischen Projekte

machten jedoch Stadt und König unsterblich.

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