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5 Franziska DÖVENER Altrier revisited – Zum Nachleben einer römischen Siedlung In memoriam Prof. Dr. Wolfgang Schiering (1926-2005) Abb. 1: Altrier auf der topographischen Karte (1:50 000, Administration du Cadastre et de la Topographie, Luxembourg)
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Altrier revisited - Zum Nachleben einer römischen Siedlung, Hémecht 62, 1, 2010, 5-30

Feb 03, 2023

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Franziska DÖVENER

Altrier revisited –Zum Nachleben einer römischen Siedlung

In memoriam Prof. Dr. Wolfgang Schiering (1926-2005)

Abb. 1: Altrier auf der topographischen Karte (1:50 000, Administration du Cadastre et de la Topographie, Luxembourg)

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Das Dorf Altrier liegt in exponierter Lage auf einer Hochfläche bei etwa 399 m über dem Meeresspiegel (Abb. 1). Bei schönem Wetter bietet sich von hier aus eine exzellente Fernsicht weit bis ins Ösling, bis zu den Steilhängen des Moseltals oder zu dem bei Mensdorf gelegenen Widdenberg (Berg des Lenus Mars Veraudunus1). Südlich des Ortes befindet sich ein scharfer Geländeabbruch von ungefähr 120 Me-tern Gefälle zum sogenannten „Schwengsgronn“ hin, einer ausgedehnten Talaue mit den Ortschaften Rippig, Hemstal und Zittig. Das Plateau von Altrier stellt eine Art Wasserscheide dar. Unweit des Dorfes entspringen zwei ergiebige Quellen: Im Nordwesten der „Wameschbuur“2, welcher den Härdbaach speist, im Süden bringt der Hemstaler Born das Bächlein Tränk hervor. Der geologische Untergrund bei Altrier setzt sich aus verwittertem Strassener Kalkstein und Mergel (Lias/Sinemu-rium) und Luxemburger Sandstein (Lias/Hettangium) zusammen, letzterer enthält zahlreiche Versteinerungen3. Nördlich von Altrier beginnt die Müllertalregion, auch Luxemburger Schweiz genannt, mit ihren zerklüfteten Sandsteinfelsen im Umfeld des Flüßchens Schwarze Ernz.

Seit Jahrhunderten hat der Boden rings um Altrier archäologisches Fundmate-rial freigegeben, darunter auch zahlreiche Zeugnisse der Steinzeit und der Vor-geschichte, wie z.B. neolithische Steinbeile aus geschliffenem Jadeit oder ein frühlatènezeitliches Adelsgrab4. In der römischen Epoche befand sich in Altrier eine kleinstädtisch-dörfliche Siedlung (Vicus), die im Gebiet der Civitas Tre-verorum lag, inmitten eines Netzes von Nebenstraßen der Strecken von Reims über Trier nach Köln oder Mainz bzw. von Trier nach Tongern (Abb. 2). Benach-barte Vici waren Echternach (Epternacum?), elf Kilometer entfernt, Wasserbillig(Suromag(i)um)5, sechzehn Kilometer entfernt, und Niederanven (Andethanna), in achtzehn Kilometer Entfernung. Der römische Vicus von Altrier, dessen antiker Name unbekannt ist, gehörte zu den kleineren agglomérations sécondaires und hatte, anders als z.B. Dalheim, wohl keine administrative Funktion6.

Das nachrömische Schicksal des Ortes liegt im Dunkel der Geschichte. Für eine Besiedlung während des Mittelalters fehlen bislang archäologische Zeugnisse. Die nächstgelegenen merowingerzeitlichen Funde kamen bei Christnach, Waldbilllig, Berburg und im Müllertal zutage7. Vielleicht hat es eine Siedlungsverlagerung in den „Schwengsgronn“ gegeben; das Dorf Zittig wird erstmals 817 urkundlich er-

1 s. W. Binsfeld, Der Gott auf dem Widdenberg, Hémecht 26, 1974, 216 f. Abb. 1 und 2. 2 Diese Quelle wurde auch „Wamersborn“ genannt, s. J. Engling, Das Römerlager zu Alttrier, PSH 8, 1852,

101. 3 Für die Auskünfte zur Geologie danke ich S. Philippo (Musée National d’Histoire Naturelle) und P.

Ziesaire (Société Préhistorique Luxembourgeoise). 4 C. D’Amico u.a., Steinbeilklingen aus „Jade“ im Großherzogtum Luxemburg, Bulletin de la Société

Préhistorique Luxembourgeoise 17, 1995, 183 f. Kat.Nr. 8 und 9, Taf. 8,9. - Zum Adelsgrab siehe S. 27f. 5 Zur Inschrift der Vicani Suromag(i)enses s. C. Bis-Worch, Frühmittelalterliche Kirchenbauten im alten

Erzbistum Trier: Mertert, Diekirch und Echternach – drei luxemburger Fallbeispiele aus archäologischer Sicht in: M. Polfer, L’évangélisation des régions entre Meuse et Moselle et la fondation de l’abbaye d’Echternach (Ve-IXe siècle) PSH 117, 2000, 103 Anm. 22.

6 Zu Dalheim s. J. Krier/R. Wagner, Ricciacum-Dalheim, ville romaine sur la Voie d’Agrippa, Dossiers d’Archéologie hors-série no. 5 (Dijon 1995) 65 ff. und 73 mit weiterführender Literatur.

7 H. Schaaff, Die Altertümer der Merowingerzeit im Großherzogtum Luxemburg (Luxembourg 1993) Beilage 1, Nr. 81, 82, 83 und 93.

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wähnt, eine Schenkungsurkunde von 895 nennt Hemstal8. Dagegen scheinen die mittelalterlichen Urkunden keinen Hinweis auf Altrier zu enthalten, jedenfalls nicht unter seinem heutigen Namen9. Ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts erfährt der antike Ort jedoch eine Art Wiedergeburt.

Auf der ältesten gedruckten Karte von Luxemburg von Gérard de Jode, sie ent-stand vor 1578, finden sich sowohl der Name „Alt Trier“ als auch ein Bildsym-bol, welches ein beachtliches Ruinenfeld darstellen könnte, denn die Wiedergabe von Häusern und Kirchtürmen der Nachbarorte unterscheidet sich deutlich davon

8 R.M. Staud/J. Reuter, Die kirchlichen Kunstdenkmäler des Dekanats Echternach, T’Hémecht 6, 1953, 137 f. und 305 ff.

9 So fehlt Altrier bei C. Wampach, Urkunden- und Quellenbuch zur Geschichte der altluxemburgischen Territorien bis zur burgundischen Zeit / bis zum Jahr 1517 / bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts, Vol. I-X (Luxemburg 1935-1955) und auch für die frühe Neuzeit bei A. Schon, Zeittafel zur Geschichte der Luxemburger Pfarreien von 1500-1800 (Heft 1-5) (Esch 1954-1956).

Abb. 2: Der Vicus von Altrier innerhalb der Civitas Treverorum

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(Abb. 3)10. Links daneben ist ein Waldgebiet angegeben, mit dem vermutlich der Marscherwald gemeint ist. Auf den Karten vom Ende des 16. Jahrhunderts bzw. vom Anfang des 17. Jahrhunderts, welche auf die Karte De Jodes oder auf Karten von Jacques de Surhon und Abraham Ortelius zurückgehen, ist Altrier allerdings

10 Zur Karte von Gérard de Jode s. E. van der Vekene, Les cartes géographiques du Duché de Luxembourg éditées aux XVIe, XVIIe et XVIIIe siècles. Catalogue descriptif et illustré (Luxembourg 1980) 2 f. Nr. 1.01. – Das Bildsymbol neben „Alt Trier“ ähnelt den übrigen Piktogrammen für Ortschaften, jedoch ohne Dächer oder Türme. Eine außergewöhnliche Felsformation ist wohl nicht gemeint, da es in Altrier kein Naturdenkmal dieser Art gibt. Selbst das Müllertal ist hier nur mit der Beschriftung „Mulerdal“ versehen. Vor einiger Zeit ist ein Frühdruck der De Jode-Karte (datiert 1573-1577) im Kunsthandel aufgetaucht, s. P. Fritzen/P.H. Meurer, Der Lutzenburgii typus des Antwerpener Verlages Gerard de Jode. Ein Neufund und neue Erkenntnisse zur ältesten gedruckten Landkarte des Herzogtums Luxemburg, Hémecht 60, 2008, 173-190. Darauf fehlen allerdings zahlreiche Orte, darunter auch Altrier. Die kartographischen Details könnten auf verschiedene Quellen zurückgehen: Auf die unpublizierten Landesaufnahmen während der frühen 1550er Jahre durch Jacques de Surhon bzw. durch Arnold Mercator (zwischen 1559 und 1567) oder auf die während einer Reise von 1575 erworbenen Landeskenntnisse von Abraham Ortelius und Jan van Schilde, s. P. Fritzen/P.H. Meurer, a.O. 182 ff.

Abb. 3: „Alt Trier“ auf der Karte von Gérard de Jode (entstanden vor 1578, Archiv MNHA)

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schon mit dem Bildsymbol für eine Ortschaft versehen worden11. Ob es sich dabei um einen Kopistenfehler handelt oder in dieser Zeit eine erste Besiedlung Altriers begann, sei dahingestellt. Eine Handschrift des ausgehenden 17. Jahrhunderts er-wähnt jedenfalls eine „diruta domus“ (= zerstörtes Haus = Ruine?) für das Jahr 156312.

Erstmals urkundlich genannt wird „Alttrier“ am Ende des 16. Jahrhunderts, nämlich in einer Auflistung der zu Bech gehörigen Orte im sogenannten „Großen Bertels“, einer 1597 begonnenen, illustrierten Handschrift (Chartular/Güterverzeichnis) des Echternacher Abtes Johannes Bertels (1544-1607)13. In diesen Kontext gehört auch ein Regest, welches für das Jahr 1603 im Repertorium cancellariae monasterii sancti clementis Willibrordi Epternacensis (von 1767) aufgeführt wird und „Alttrier et aliis locis curiae de Bech“ mit Hinblick auf Rechtsansprüche („Jurisdictio“) erwähnt14. Damit ist eventuell die Hochgerichtsbarkeit gemeint, die – durch Kauf erworben – zeitweise von einen Vertreter des Echternacher Abtes (Schultheiß) ausgeübt wurde15.

Die nächste Nennung Altriers findet sich bei Marquard Freher (1565-1614), in seinem 1619 posthum erschienenen Kommentar zu Ausonius’ Mosella16. Fre-her, der in Heidelberg als Jurist und Historiker in kurpfälzischen Diensten stand, schreibt lediglich „Alt-Trier autem vicus hodie ignobilis ad III. [tertium] ab urbe lapidem“17. Bei dieser Entfernungsangabe kann mit der „urbs“ nur die Stadt Lu-

11 z.B. die Luxemburg-Karte des Matthias Quad von 1589 oder diejenige von Pieter van den Keere von 1617, s. E. van der Vekene a.O., 34 f. und 60 ff.

12 Es handelt sich um das noch ausführlicher zu erwähnende „Mémorial de l’Abbé Zender“ von 1698, das sich unter der Abteilungsnummer SHL 15/20 in den Archives Nationales Luxembourg befindet, s. P. Spang, Bertels abbas delineavit. 1544-1607. Les dessins de l’abbé Bertels. Comment le premier historien du pays de Luxembourg a vu et dessiné notre région européeene et les hommes qui y vivaient (Luxembourg 1984) 20 und 204. – Der Autor des Mémorials scheint jedoch seiner Quelle nicht getraut zu haben, er bezeichnet die Urkunde als „copiam non authenticam“.

13 „in pagis Zuttingen [= Zittig] et Repingen [= Rippig] ac Alttrier“, s. P. Spang a.O. 20 und 112 sowie die Transkription von F. Breithof, L’Abbaye d’Echternach 1597 (Extrait d’un manuscrit de l’abbé Bertels), in: Königlich-Großherzogliches Progymnasium zu Echternach – Programm für das Schuljahr 1882-1883 (1882) 11 f. – Der Ortname „Alttrier“ könnte hier nachträglich hinzugefügt worden sein; er wurde mit dickflüssigerer Tinte geschrieben und reicht auffällig über das Zeilenende hinaus (freundlicher Hinweis von B. Schmitt). – Der „Große Bertels“ wird heute unter der Abteilungsnummer A-XXIX-1215 in den Archives Nationales Luxembourg aufbewahrt.

14 Das Repertorium (Katalog) von 1767 befindet sich in den Archives Nationales Luxembourg unter der Abteilungsnummer A-XXIX-1231 (2 Bände). Sein Verfasser ist vermutlich der Archivar Philipp Becker (freundliche Mitteilung von T. Falmagne). Der Text des Eintrages (Regest) auf der Doppelseite 20 lautet: „Anni regna abbatum 1603 Jõe Bertels. Cum præpositi vicem gerens simili jurisdictio modo idem jus sibi in alttrier et aliis Locis curiæ de Bech assumeret monasterio pro gravium testium testimoniis provisum fuit interdicto omnio Sb L :N :.“. Am Rand der rechten Seite findet sich der Vermerk „Locul: xxviii Cist. i-2-4“, ein Verweis auf den Aufbewahrungsort einer Originalurkunde. Bei der Lesung und Interpretation dieses Regests leisteten B. Schmitt, S. Martini und T. Herrmann wertvolle Hilfe. Ihnen sei ebenso herzlich gedankt wie auch N. Zeien, J. Schroeder, R. Nolden und T. Falmagne für zahlreiche Hinweise im Zusammenhang mit der Recherche in den ANL.

15 Das Hochgericht war vorher bei der Herrschaft Bollendorf bzw. beim Propst in Echternach, s. N. Majerus, Die Luxemburger Gemeinden nach den Weistümern, Lehenserklärungen und Prozessen. Band 1 Abweiler – Bettembourg (Luxemburg 1955) 366 f., 374 ff. (Bech im Jahr 1631) und 375 (Bericht über den Hof Bech 1651) sowie F. Breithof a.O. 11 Anm. 4 (Registrum censuale pro 1695).

16 D. Magni Ausonii Burdigalensis Mosella cum commentario Marq. Freheri (Ausgabe Gotthard Voegelin/Heidelberg, 1619) Sp. 125.

17 „Alt-Trier ist heute ein ruhmloses Dorf beim dritten Stein von der Stadt aus.“

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xemburg gemeint sein: Sie liegt etwa drei metrische Meilen, d.h. 22,56 km, von Altrier entfernt. Diese Angabe findet sich auch später bei Alexander Wiltheim: „tertio a Luciliburgo lapide, Epternacum versus“18. Man darf annehmen, daß Fre-her den Ort nicht aus eigener Anschauung kannte, sondern den Namen „Alt-Trier“ entweder einem Kartenwerk (oder Itinerar?) oder einer uns unbekannten Schrift entnahm. Sein Kommentar bezüglich der „heutigen Ruhmlosigkeit“ läßt zumindest auf Kenntnisse des Gegenteils schließen.

In den Verzeichnissen der Feuerstätten zwischen 1501 und 1624, demographisch-fiskalischen Dokumenten jener Zeit, ist Altrier jedenfalls nicht aufgeführt, auch nicht unter dem Hof Bech19. In dem „Bericht über den Hof Bech“ von 1651 kommt Altrier in der Aufzählung aller zum Hof Bech gehörigen wie auch der übrigen umliegenden Dörfer zunächst nicht vor, jedoch ist gegen Ende dort zu lesen: „Alt Trier ist ebenmäßig, so viell grundt und mittelgerichtigkeit betrifft, zum hoff Bech und herren praelaten zugehörig, aber zu Alt Trier der zehendte der ehrwürdigen Frauen zu Uhren zuständig“20. Abermals geht es um die zuständige Gerichtsbar-keit, aber auch um Zehntrechte in Altrier, welche diesmal nicht die Abtei Echter-nach innehatte, die Grundherr des Hofes Bech war, sondern das Kloster St. Irmi-nen in Oeren zu Trier21. Wer jedoch den genannten Zehnten erwirtschaftete, bleibt offen. In Zeiten von Krieg, Pest, Hunger und Hexenwahn ist für Altrier mit keiner nennenswerten Bevölkerung zu rechnen22. In diesem Zusammenhang ist auffällig, daß im „Großen Bertels“ lediglich für die benachbarten Dörfer Zittig und Rippig „homines et bona“ aufgelistet werden23.

18 A. Wiltheim, Luciliburgensia sive Luxemburgum Romanum (1661-1677) (Ausgabe A. Nëyen / Luxemburg 1842) 280; „beim dritten Stein von Luxemburg gegen Echternach“

19 s. J. Grob/J. Vannérus, Dénombrements des feux des Duché de Luxembourg et Comté de Chiny. Tome premier. Documents fiscaux de 1306 à 1537 (Bruxelles 1921) und Archives Nationales Luxembourg Abteilungsnummer A XIII-7 Dénombrement général de 1624 A-L. – Die Nachbardörfer Altriers waren in dieser Zeit den Herrschaften Beaufort, Berbourg und der Propstei Echternach zugehörig. Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts bis ins Jahr 1823 gehörte die neuentstandene Ortschaft Altrier zur Gemeinde Breidweiler, s. C. Beck, Genealogische Haus- und Familienbilder der Pfarrei Hemstal von 1700 bis 1917 nebst vorausgehenden geschichtlichen Notizen (Luxemburg 1917) 12. Heute ist Altrier ein Teil der Gemeinde Bech (Kanton Echternach, Distrikt Grevenmacher) sowie der Pfarrei Hemstal.

20 N. Majerus a.O. 375 ff.21 Weder Altrier, noch seine Nachbarorte Bech, Zittig und Rippig werden bei T. Zimmer, Das Kloster St.

Irminen-Oeren von seinen Anfängen bis ins 13. Jahrhundert, TrZ 23, 1954/55, 5-180 erwähnt. Jedoch stand dem Kloster – nach dem Visitationsbericht von 1570 – das Patronatsrecht der Kirche St. Brictius in Hemstal und „auch zwei Drittel des Zehnten zu, von dem der Pfarrer das letzte Drittel erhielt“, s. F. Pauly, Siedlung und Pfarrorganisation im alten Erzbistum Trier. Das Landkapitel Mersch (Trier 1970) 183 ff. – Die Zehntrechte für Altrier, die also zwischen dem 13. und dem 16. Jahrhundert erworben worden sein müssen, erklären sich eventuell aus seiner Zugehörigkeit zum Sprengel von Hemstal. Eine ausführliche Recherche in Urkunden des Klosters St. Irminen-Oeren, z.B. im Landeshauptarchiv Koblenz (D), könnte sicherlich zusätzliche Informationen zur Ortsgeschichte liefern (freundlicher Hinweis von B. Schmitt).

22 Zur sozialen Lage und dem Elend der regionalen Bevölkerung im 16. und 17. Jahrhundert sehr aufschlußreich ist das Kapitel über die Hexenverfolgungen bei N. van Werveke, Kulturgeschichte des Luxemburger Landes I (Luxemburg 1923 / Neuauflage Esch-sur-Alzette 1983, hrsg. v. C. Hury) 311 ff. – In einer Statistik zu den Bevölkerungsverlusten durch Pest und Krieg zwischen 1635 und 1656 ist Altrier nicht zu finden, s. J.-C. Muller, Jean Guillaume Wiltheim (1594-1636) Jesuit – Historiker – Opfer der Pest, Hémecht 38, 1986, 52 ff.

23 s. F. Breithof a.O. 12. – Zu den Ansprüchen des Echternacher Klosters an sein Umland im Mittelalter s. z.B. H. Trauffler, Die Abteistadt Echternach im Mittelalter (Dissertation, Universität Trier 1996) 334 Karte 8 (freundliche Mitteilung von L. Clemens).

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Als Antikenstätte wurde Altrier zum ersten Mal von Christoph Brouwer (1559-1617) im letzten Buch der Antiquitatum Annalium Trevirensium libri XXV (1591/1670) genannt, allerdings fälschlicherweise, nämlich als Fundort einer Weihinschrift für einen Silvanus-Tempel24. Im 17. Jahrhundert befassen sich die Ahnväter der luxem-burgischen Archäologie, die Brüder Jean-Guillaume und Alexander Wiltheim, mit Altrier. Das 15. Kapitel seines Werks Historiae Luxemburgensis Antiquariarum Disquisitionum Partis Primae Libri tres betitelt Jean-Guillaume Wiltheim (1594-1636) De Ala Trevirorum seu Alt-Trier25. Darin führt er den Ortsnamen „Alt-Trier“ auf die bei Tacitus (Historien II, 14) erwähnte Reitereinheit der Treverer, die Ala Treverorum26, zurück und berichtet über die am Ort gefundenen römischen Altertü-mer. Diese Herleitung des Namens erfreute sich lange Zeit großer Beliebtheit und wurde auch noch im 20. Jahrhundert verbreitet27. Gegen diese Etymologie hatte sich allerdings bereits Alexander Wiltheim (1604-1684) ausgesprochen: Zwar be-zeichnet er die Ruinen in Altrier ebenfalls als „Romana Castra“, jedoch lehnt er es ab, dort – nur aufgrund der Namensähnlichkeit – den Standort der Ala Treverorum zu postulieren28. Leider schreibt Alexander Wiltheim nichts Weiteres zu unserem Ort, allerdings werden drei römische Keramikgefäße, die in oder bei Altrier aus dem Boden kamen, in dem 1978 aufgefundenen Manuscrit Wiltheim de Baslieux abgebildet. Es handelt sich um eine Sammlung von 31 Blättern mit 45 aquarellier-ten Zeichnungen aus dem Nachlaß der Grafen Saintignon in Baslieux (Lothringen). Die Aquarelle wurden von Wiltheims Neffen Nicolas angefertigt, die zugehörigen schriftlichen Angaben stammen von Alexander Wiltheim29.

Um 1640, während des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648), wurde bei Altrier durch den Luxemburger Gouverneur und General Johann von Beck eine soge-nannte „Schanze“ oder „Redoute“ errichtet, die zur Verteidigung gegen die fran-

24 Ch. Brouwer/J. Masen, Antiquitatum Annalium Trevirensium libri XXV (Trier 1670) 51. – Das Werk von Christoph Brouwer war 1591 bereits druckfertig, konnte jedoch erst 1670, von Jacob Masen überarbeitet und ergänzt, posthum erscheinen, s. dazu M. Embach, Christoph Brouwer in : Bischöfliches Dom- und Diözesanmuseum Trier/Bibliothek des Bischöflichen Priesterseminars (Hrsg.), Für Gott und die Menschen. Die Gesellschaft Jesu und ihr Wirken im Erzbistum Trier (Katalog, Mainz 1991) 303-307. – Zu der in Augsburg (Kirche St. Ulrich) gefundenen Silvanus-Inschrift s. J. Krier, Die Treverer außerhalb ihrer Civitas. Mobilität und Aufstieg (Trier 1981) 126 f. Nr. 47.

25 J.-G. Wiltheim, Historiae Luxemburgensis Antiquariarum Disquisitionum Partis Primae Libri tres, Caput XV (1629/1630)(Kopie Nëyen & Kopie Würth-Paquet, Luxemburg 19. Jahrhundert) 176 ff. bzw. 188 ff.

26 Zur Ala Treverorum s. G. Alföldy, Die Hilfstruppen der römischen Provinz Germania Inferior (Epigraphische Studien Band 6) (Düsseldorf 1968) 37 f. sowie J. Krier a. O. (1981) 181 ff. und J. Krier/F. Reinert, Das Reitergrab von Hellingen. Die Treverer und das römische Militär in der frühen Kaiserzeit (Luxemburg 1993) 87.

27 Nach den Aussagen älterer Besucher der Ausgrabung in der Altrierer Flur „Im vordersten Meesch“ wurde diese These auch noch im Grundschulunterricht gelehrt.

28 A. Wiltheim a.O. 280. – Auf der zu A. Wiltheims Luciliburgensia Romana gehörigen Karte Luciliburgense Territorium Romanum (= ANLux, SHL, Abt. 15, Nr. 382, fol. 1, freundliche Mitteilung von N. Zeien) ist neben der Bezeichnung „Castra Rom.“ ein dreiteiliges Bauwerk (ohne Dach ?) wiedergegeben, s. J. Krier/E. Thill, Alexandre Wiltheim 1604-1684. Sa vie – son œuvre – son siècle. Bilan d’une exposition (Luxembourg 1984) 2 und 65 ff. sowie N. van Werveke, Catalogue descriptif des manuscripts conservés à la Bibliothèque de la Section Historique de l’Institut Grand-Ducal (Quatrième série, nos. 326-382), PSH 51, 1903, 285. – Die Reste römischer Siedlungen (vici) wurden in der älteren Literatur oft als „Römerlager“ interpretiert, so z.B. auch der Vicus von Dalheim.

29 Zum Manuskript s. J. Krier/R. Weiller, Le Manuscrit Wiltheim de Baslieux. Un document archéologique et historique du XVIIe siècle (Luxembourg 1984) sowie J. Krier/E. Thill, a.O. 81, Nr. 62.

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zösischen Truppen dienen sollte30. Nach Johann Engling lag diese militärische An-lage hinter dem Komeshaus in Richtung Echternach, d.h. in der heutigen Flur „Bei der Redoute“, sie maß ungefähr 80 Meter an Umfang und war – wie die Schanze zwischen Heffingen und Reuland – vierseitig, verschlossen und mit aufgeworfe-nen Winkeln versehen. Zu Englings Zeiten seien beide Anlagen noch vollkommen sichtbar gewesen31. Sicherlich spielte die strategische Lage des Platzes auf der Hochfläche beim Bau der Schanze eine Rolle, merkwürdig erscheint jedoch, daß dafür nicht die höchste Stelle des Plateaus gewählt wurde32.

Gegen Ende des 17. Jahrhunderts bezeichnet ein Archivar des Echternacher Klos-ters, hierin sicherlich den Gebrüdern Wiltheim folgend, das „Dorf Altrier“ als „Rö-

30 s. J. Bertholet, Histoire ecclésiastique et civile du Duché de Luxembourg et Comté de Chiny I (Luxembourg 1751) 428 : „Le Général Beck, Gouverneur de Luxembourg, en fit relever quelques terrasses, dans les dernières guerres, afin d’y mettre une garde avancée.“ sowie J. Engling, Das Römerlager zu Alttrier, PSH 8, 1852, 139. – Der Aufsatz von J. Engling wurde am 6. Juni 1853 abgeschlossen. Die PSH sind jedoch mit Rückstand erschienen.

31 J. Engling a.O. 139. – Zur Schanze bei Heffingen s. N. Folmer, Carte archéologique du Grand-Duché de Luxembourg Feuille 12 Larochette (Luxembourg 1980) 52 und E. Schneider, G. Lemmer, Vingt-sept camps retranchés du territoire luxembourgeois (Luxembourg 1968) 24. Zu einer Schanze (des 17. Jahrhunderts ?) bei Blaschette s. N. Folmer, Carte archéologique du Grand-Duché de Luxembourg Feuille 17 Junglinster (Luxembourg 1975) 28 Taf. II. Die Verf. dankt A. Schoellen für die Literaturhinsweise. – Zum Aussehen solcher Schanzen s. weiterhin z.B. H. Kerschmer, „Diß war ein starck Viereck / hat in der mitt ein Cavalier“ – Wallenstein in Zirndorf 1632, in: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege / Gesellschaft für Archäologie in Bayern (Hrsg.), Das Archäologische Jahr in Bayern 2005 (Stuttgart 2006) 145-148.

32 Die höchste Stelle des Plateaus liegt westlich von Altrier bei heute 407,7 m NN zwischen der Flur „Strooss“ und „virum Wald“. Dort wurden überwiegend römische Münzen der ersten und zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts gefunden.

Abb. 4: „Alttrier“ im Mémorial de l’Abbé Zender (1698)(P. Spang, Bertels Abbas Delineavit, Luxemburg 1984, 204)

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merlager“: „Alttrier vicus olim castris Romanorum, celebris, nunc absque ullo habitatore totus desertus inter rudera“33. Auf der beigefügten Zeichnung, die 1698 im Stil des Chartulars von Johannes Bertels angefertigt wurde, werden die Orte Hersberg und Altrier wiedergeben. Bei „Alttrier“ sind dort jedoch nur Bäume und angrenzende Ackerflächen abgebildet („ganz verödet“) (Abb. 4)34. In dieser Zeit (1695) wird Altrier abermals erwähnt, aber ohne konkrete Details35.

Die neuzeitliche Besiedlung des Platzes erfolgte um 1750 durch Mathias Komes aus Strassen, der sich als Hauptmann in österreichischen Diensten, wie uns Jo-hann Engling berichtet, „durch seine Diensttreue ausgezeichnet hatte und deshalb

33 „Altrier ist ein Dorf, einst durch ein Römerlager berühmt, nun ohne irgendeinen Bewohner, ganz verödet zwischen eingestürzten Gemäuern.“ – Diese Handschrift wird „Mémorial de l’Abbé Zender“ genannt, vgl. Anm. 12. – Dieses Zitat findet sich ohne Hinweis auf die genaue Quelle („in einem ungedruckten, um das Jahr 1670 geschriebenen Buche“) bei M.F.J. Müller, Historisch-geographische Beschreibung des im Groß-Herzogtum Luxemburg gelegenen Dorfes Alttrier, Luxemburger Wochenblatt 4, 28.4.1821, 2-6, in dessen Besitz sich das Manuskript damals befunden hat, s. N. van Werveke, PSH 45, 1896, 232 f. Nr. 20. Es wird später auch von J. Engling aufgegriffen, a.O. 139.

34 „A(nn)o 1563 Elocavit subp(rae)positus Matthias Suab [= Schwab ?] dirutam domum ibidem vide in loculamento Bech copiam non authenticam nec videtur sortita effectum.“ – Bei dem hier genannten Verweis auf weitere Informationen („vide in loculamento Bech“) muß sich um eine unbekannte Urkunde des Klosterarchivs aus der Zeit des Echternacher Abtes Antonius Hovaeus (1562-1568) handeln.

35 s. F. Breithof a.O. 11 Anm. 4 (Registrum censuale pro 1695).

Abb. 5: Das „Komeshaus“ im heutigen Zustand (Januar 2006)

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vom Kaiser gegen 1740 die Erlaubnis erhielt, sich zu Alttrier anzusiedeln und die dortigen Steinrauschen zu genießen mittelst jährlicher Entrichtung von einem Tha-ler und zwei Sester [etwa 30-40 Liter] Korn. Doch ward ihm bald nachher diese Entrichtung erlassen und beinahe der ganze Flächenraum, soweit er mit Schutt und Steinen bedeckt war, als erbliches Eigentum geschenkt“36. Weiterhin schreibt Engling: „Wo Mathias Komes die beträchtlichsten und geeignetesten Gebäulich-keitsreste vorfand, da eben benutzte er sie und erbaute darüber Haus, Stallung und Scheune. So ging aus dem Schutte einer römischen Gebäulichkeit das so genannte Komeshaus hervor“37. Das Komeshaus (Abb. 5) wurde 1789 neugebaut, so daß danach das später angebaute „Karlshaus“ (= „Carels“) als das „älteste“ Haus des Ortes galt38. Die römerzeitlichen Bauelemente, welche im Komeshaus verbaut wa-ren, hat Johann Engling jedoch noch selbst gesehen. Es handelt sich einerseits um an der Südfassade noch sichtbares, römisches Mauerwerk, andererseits um einen „gewölbten Keller“, einen „Brunnenschacht“, einen „Backofen“, den „Rumpf ei-ner runden kannelierten Säule“ sowie um zwei Grabinschriften39.

36 J. Engling, a.O. 139. – Diese Auskünfte erhielt J. Engling von den Nachfahren des Mathias Komes. Eine Urkunde dieser Schenkung und Erlassung lag 1852 bei der Familie allerdings nicht mehr vor. Ein Visitationsbericht der Pfarrei Hemstal von 1750 (Parochia Hemstall visitata 22do Septembris 1750) nennt Altrier „Königsland“ („Königslandt seu Alt-Trier“), so daß eine Schenkung durch den Landesherren unproblematisch erscheint (freundliche Mitteilung von B. Schmitt). Zu diesem Zeitpunkt gehörte „la cense dite Alt-Trier“ zur Herrschaft Beaufort, s. N. van Werveke, Circonscription du pays Duché de Luxembourg et Comté de Chiny en quartiers, hauts-commands, justices, villes, bourgs, villages, hameaux, moulins, censes, forges, etc., d’après le Cadastre de Marie-Thérèse en 1766-1771, PSH 46, 1898, 20 und 38. – Über dieses „Staats- und Herrengut“, den unbebauten „bedeutenden Länderkomplex“, auf welchem später Altrier entstehen sollte, schrieb dagegen C. Beck in seinem 1905 verfaßten Aufsatz Abstammung des Ortsnamens Altrier. Eine Richtigstellung, Ons Hémecht 11, 1905, 483-485: „Der letzte Eigentümer war Herr Hauptmann Zins, ,in Diensten seiner Kaiserlichen, Königlichen und Apostolischen Majestät und Kommandant der Leibwache Seiner Durchlauchtigsten Hoheit des Prinzen von Lichtenstein zu Feldburg’, der seiner Nichte Catherina Jost, Ehefrau Matthias Comes’, den Altrierer Bann im Jahre 1774 testamentarisch vermacht hat.“ Diese Angabe hatte C. Beck aus einer Kopie des am 17. Juli 1774 eröffneten Testaments gezogen, die in den Beständen des Pfarrarchivs Hemstal allerdings nicht nachzuweisen ist. Später erwähnt der Pfarrer den „Altrierer Bann“ im Zusammenhang mit der Zinschen Erbschaft nicht mehr, s. C. Beck a.O. (1917) 11f. Ebendort ist zu lesen, daß das Komeshaus zwischen 1753 und 1755 erbaut wurde. Mathias Komes (= Comes) war seit 1745 mit Catherina de Jost aus Kreberg (ehemaliges Vogteihaus, auch Schäferei genannt) bei Rippig verheiratet, aus dieser Ehe gingen 9 Kinder hervor. Die fünf jüngeren Kinder wurden ab 1756 in Altrier geboren.

37 J. Engling a.O. 140, Taf. IX, 4.10.11.38 J. Engling a.O. 140. – Nach C. Beck a.O. 1917, 112 f. wurde das Haus „Carels“ („Filiale von Comes“)

1776 durch die Eheleute Karl Philipps und Margaretha Komes (zweitälteste Tochter des Mathias Komes) erbaut. Diese waren durch eine notarielle Verfügung vom 21. Mai 1774 zu den Erben von Haus und Gütern ernannt worden und sollten den übrigen Komes-Kindern „einen Abstand ertheilen“ (Archives Nationales Luxembourg, MCN 03830, Notar A. Hartmann, 1774/Nr. 161). In diesem Dokument befindet sich auch ein Verweis auf eine 1755 bei dem Luxemburger Notar (Paul) Herman(n) hinterlegte Vollmacht, die im Minutier Central des Notaires 1581-1930 (MCN 03970, Archives Nationales Luxembourg) jedoch nicht (mehr) vorhanden ist. Erstaunlich ist das Datum der o. g. Verfügung über den Komesschen Besitz (nach C. Beck a.O. 1917, 12), nämlich zwei Monate vor der Testamentseröffnung des Hauptmann Zins! Weiterhin ist augenblicklich nicht zu ermitteln, welcher Gebäudeteil des Komeshauses „Comes“ und welcher „Carels“ ist. Das Haus „Carels“ kam später über die Nichte Maria Comes, verheiratete Delveaux, in den Besitz der Familie Delveaux, welche dort eine Gastwirtschaft betrieben. Die Söhne Delveaux legten C. Beck zufolge am Anfang des 20. Jahrhunderts im Garten hinter dem Haus einen römischen, „von Norden nach Süden laufenden Baukomplex“ frei.

39 J. Engling a.O. 107-108, 110, 115-116 und 126. – Der heutige Verbleib dieser Bauelemente ist ungeklärt. Die beiden Grabinschriften für Aprilius Tralius und Minervina sind im CIL XIII aufgeführt (Nr. 495* und Nr. 494*), gelten dort allerdings als Fälschungen. Andererseits ist nicht nachvollziehbar, weshalb

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Zu dem im Komeshaus erhaltenen Mauerwerk schreibt Johann Engling40: „Von allen Gebäulichkeitsresten, die man hier seit Menschengedenken sah, war der bedeutendste aber ein vielleicht zur Hälfte noch erhaltener Römerbau, über und aus welchem das frühere und dermalige ‚Komeshaus’ erbaut wurde. Dieses rö-mische Gebäude war, als es zur modernen Wohnung umgestaltet wurde, noch ein Stockwerk hoch, und maß 45 Fuß in der Breite und gegen 60 Fuß in der Länge41. Ein Theil davon ruht als Fundament unter dem jetzigen Komeshause, auf dessen Vorderseite er noch derzeit durch seine regelmäßig über einander geschichteten Steine sichtbar ist und bis an die unteren Fensterbänke reicht; ein anderer Theil ist durch die Scheune übermauert; und ein dritter bildet durch seine Mauerreste die dreiseitige Einschließung des Hinterhofes an dem genannten Hause.” An an-derer Stelle ergänzt er diese Angaben wie folgt: “Eine der schöneren Bauten war vielleicht die Römerwohnung, aus welcher nachmals das jetzige ‚Komeshaus’ hervorging. Seine Mauer zur Mittagsseite [=Süden] war zwei Stockwerke hoch, und aus regelmäßig über einander gelegten Steinschichten erbaut. Da diese Bau-art […] vorzugsweise unter Kaiser Gallienus herrschte, so ließe sich mit großer Wahrscheinlichkeit daraus folgern, daß der in Rede stehende Römerbau seinem Entstehen nach in die Mitte des 3. Jahrhunderts gehört42.” Die Bedeutung von Englings Beobachtungen zum Komeshaus wird im Zusammenhang mit den Er-gebnissen der Ausgrabungen von 2004 bis 2006 (Flur „Im vordersten Meesch“) noch deutlich werden.

An dieser Stelle sei ein Exkurs zum Ortsnamen von Altrier eingefügt. Der Name scheint in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstanden zu sein, zumindest liegen keine früheren Zeugnisse vor. Die älteste Nennung, auf der Luxemburg-Karte von Gérard de Jode, lautet „Alt Trier“, in zwei unverbundenen Worten ge-schrieben. Im „Großen Bertels“ findet sich der Name „Alttrier“43. Für seine Zeit singulär benennt Alexander Wiltheim – in seiner Schrift Luciliburgensia sive Lu-xemburgum Romanum – die antike Stätte „Altrier“, im Manuscrit Wiltheim de Bas-lieux findet sich jedoch auch die Schreibweise „Alt-Trier“. Die heutige Zusammen-schreibung und der Wegfall des zweiten „t“ kommen vermehrt im 19. Jahrhundert

eine Familie, die unzählige archäologische Funde auf ihrem Grund gemacht hat, in ihrem Haus Fälschungen verbauen sollte. Auch sprechen die beiläufigen, wenig repräsentativen Anbringungsorte eher für Spolien als für Fälschungen: „eingemauert am Heerde und beinahe gänzlich verwischt“ bzw. „mit Kalkmörtel gefestigt unter der Pferdsmuhle“. Schließlich ist noch anzunehmen, daß J. Engling Fälschungen als solche erkannt hätte. - Zur Problematik, allerdings ohne zusätzliche Informationen, s. auch J. Leonardy, Die angeblichen Trierischen Inschriften-Fälschungen älterer und neuerer Zeit (Trier 1867) 41; 49 und C. M. Ternes, Les inscriptions antiques du Luxembourg, Sonderdruck aus Hémecht 17, 1965, 9 ff. Nr. 1 und Nr. 9. – Das „Bruchstück eines Grabsteins aus grauem Sandstein“, das „im Garten des Gasthofs Weiler-Höltgen“ (= Komeshaus um 1890, im Besitz der Familie Weyler-Hoeltgen, Nachfahren des Matthias Komes) gefunden worden sein soll, ist merkwürdig ähnlich: „D(is) M(anibus) APRILIO FIRM(o?) DEFVN(cto?)“, s. H. Finke, Neue Inschriften, Ber. RGK 17, 1927 (1929) 24 Nr. 71 (freundliche Mitteilung J. Krier). Sie wurde nach einer Fotografie transkribiert. Vielleicht handelt es sich dabei um die verlagerte (?) Inschrift CIL XIII, 495* mit anderer Lesung.

40 J. Engling a.O. 108.41 Das entspricht – je nach dem, welches Maßeinheit man für einen Fuß annimmt – ungefähr 15 mal 20

Metern. 42 J. Engling a.O. 126. 43 s. P. Spang a.O. 112, vgl. auch Anm 13.

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auf, so z.B. bei L.-Ch.-J. L’Éveque de la Basse Moûturie44, und setzt sich im 20. Jahrhundert durch. Was die Deutung des Namens betrifft, so vertrat Johann Engling die These, daß „die frühesten Bewohner der Gegend von Alttrier, verwundert über den Umfang und Reichthum der dort aufgefundenen Gebäulichkeits- und anderer Alterthumsreste, diese nicht besser zu deuten [wußten,] als für Überbleibsel einer ehemals untergegangenen Stadt, und zwar, weil ihnen keine hinlänglich große nä-her lag als Trier, für die von ‚Alttrier’“45. Im Zusammenhang mit dem als Ruinen gedeuteten Bildsymbol auf der Luxemburg-Karte Gérard de Jodes sowie mit Hin-blick auf die fehlende mittelalterliche Tradierung des (unbekannten) gallo-römi-schen Ortsnamens erscheint die Erklärung Englings logisch. Unter den übrigen, zum Teil mit Mühe unternommenen Deutungen des Ortnamens46 ist m. E. lediglich die Herleitung von „alt Driesch“ (altes „unangebautes, brach liegendes Land“)47 erwägenswert. Eventuell erfuhr eine bestehende volkstümliche Bezeichnung im Zuge zunehmender Antikenbegeisterung während der Renaissancezeit48 eine hu-manistische Umdeutung. Seit dem Bau der militärischen Schanzanlage durch Jo-hann von Beck, spätestens aber seit der neuzeitlichen Besiedlung Altriers durch Mathias Komes hat der Ort einen zweiten Namen, der sich bis heute als luxembur-gischer Ortsname gehalten hat, nämlich „Op der Schanz“. Auf der zwischen 1771 und 1778 entstandenen Karte von J. de Ferraris steht er – ohne weitere Nennung Altriers – als „auff der Schantz“49.

Die Siedlung in Altrier vergrößerte sich nach und nach: Auf der Ferraris-Karte sind nur zwei rote Flecken für Gebäude (Häuser mit Scheune und Stall ?) zu er-kennen50. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts kamen zu „Comes“ und „Carels“ mindestens drei Häuser hinzu und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es mindestens vierzehn weitere Häuser in Altrier51. Im Jahr 1852 zählte das Dorf

44 L.-Ch.-J. L’Évêque de la Basse Moûturie, Itinéraire du Luxembourg germanique ou Voyage historique et pittoresque dans le Grand-Duché de Luxembourg (Luxemburg 1844) 231 f. – Zum Landschaftsbild bei Altrier schreibt dieser Autor : « […] toute cette hauteur ne se présentait au siècle dernier, qu’un vaste terrain couvert de broussailles et de ruines de bâtiments romains », a.O. 232.

45 J. Engling a.O. 104. – Die Argumente von C. Beck, der J. Englings Vorschlag zur Namensdeutung heftig widerspricht („diese durch nichts erhärtete Phantasieerklärung“), sind unlogisch und bringen auch keine neuen Aspekte zum Problem, s. C. Beck, a.O. 1905, 483-485.

46 Eine erste Aufzählung der Vorschläge (Ala Trevirorum, alta/altera Treviris, Alt-Driesch, Altrev) findet sich bereits bei J. Engling a.O. 102 f., weitere bei C. Beck a.O. 1917, 18 f.

47 s. J. und W. Grimm, Deutsches Wörterbuch II (Leipzig 1860) 1408, s.v. „Driesch“. 48 Hierzu lese man die mit Hinweisen auf antike Monumente gespickte Reisebeschreibung des Kartographen

Abraham Ortelius, s. K. Schmitt-Ott, Itinerarium per nonnullas Galliae Belgicae partes. Der Reiseweg durch einige Gebiete des belgischen Galliens von Abraham Ortelius und Johannes Vivianus (Frankfurt am Main 2000). Im Gegensatz zu Grevenmacher oder Wasserbillig befand sich Altrier jedoch nicht auf der Strecke dieser im Jahr 1575 unternommenen und 1584 publizierten Reise. – Einen weiteren vorzüglichen Einblick in diese Epoche bietet der Katalog der Mansfeld-Ausstellung des MNHA Luxembourg, s. J.-L. Mousset/K. De Jonge (Hrsg.), Pierre-Ernest de Mansfeld (1517-1607) : un prince de la Renaissance (Luxembourg 2007).

49 J. de Ferraris, Carte de cabinet des Pays-Bas autrichiens (Nachdruck, Brüssel 1965) Echternach 256(3) und Grevenmacheren 257(1)

50 J. de Ferraris a.O. – Es kann sich eigentlich nur um die Häuser „Comes“ und „Carels“ (1776 erbaut) handeln.

51 Die Angaben folgen der Aufstellung bei C. Beck a.O. 1917, 111. Ein Unsicherheitsfaktor entsteht dadurch, daß bei manchen Häusern das Erbauungsjahr nicht bekannt ist.

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185 „Seelen“, 2001 waren es 248 Einwohner52. Durch den kontinuierlichen Haus-, Stra-ßen-53 und Ackerbau in und um Altrier wurde fortwährend in den archäologischen Be-stand der römischen Siedlung eingegriffen bzw. dieser wurde infolgedessen nachhaltig zer-stört. Sowohl bei diesen un-umgänglichen und natürlichen Veränderungen der Siedlungs-struktur, als auch bei privaten Ausgrabungen oder gezielter Schatzsuche, kamen immer wieder vorgeschichtliche und römische Funde zutage.

Den ausführlichsten Bericht über die Altrierer Funde bis zur Mitte des 19. Jahrhun-derts bietet der 1853 verfaßte, bereits mehrfach zitierte Aufsatz Das Römerlager zu Alttrier von Johann Engling (1801-1888)(Abb. 6)54. Auch Engling ging davon aus, daß es sich bei den römischen Ruinen in Altrier um die Reste einer „Sicher-heitsanlage“, d.h. ein römisches „Stand- oder Winterlager“ handelte, welchem er jedoch eine wechselvolle Geschichte mit verschiedenen Nutzungs- und Zerstö-rungsphasen zubilligte. Aufgrund der in Altrier gefundenen Münzen datierte er es von ungefähr 50 v. Chr. bis ins 5. Jahrhundert55. Als erster veröffentlichte er eine

52 J. Engling a.O. 140 bzw. Recensement Général vom 15.02.2001. – Die Einwohnerzahl scheint um die Mitte des 19. Jahrhunderts erheblich geschwankt zu haben: Für 1847 nennt die offizielle Table alphabétique des villes, bourgs, villages, hameaux, chateaux, fermes, moulins et maisons isolées du Grand-Duché de Luxembourg (Luxembourg 1847, ohne Autor) 155 Einwohner und 18 Feuerstellen für Altrier, im Jahr 1865 werden 178 Einwohner und 28 Feuerstellen gezählt, s. H. Sivering, Statistique du Grand-Duché de Louxembourg – Villes, bourgs, villages, hameaux, chateaux, fermes, moulins et maisons isolées du Grand-Duché (Luxembourg 1865). Beachtlich ist die Zunahme von zehn Feuerstellen (= Haushalte) innerhalb von 13 Jahren, die sich anhand der Angaben bei C. Beck a.O. 111 ff. so nicht nachvollziehen läßt (für Altrier und Kreizenheicht).

53 Hier sind vor allem der Bau der Landstraße von Luxemburg nach Echternach im Jahr 1844, so J. Engling a.O. 140, und der Bau der Umgehungsstraße zwischen Altrier und Hersberg (E 27/N11) in den späten 50er Jahren des 20. Jahrhunderts zu nennen.

54 J. Engling a.O. 99-142, Taf. VIII-XI. – Eine interessante Biographie Englings bietet V. Wagner, Johann Engling (1801-1888) und der „Klöppelkrieg“ in: Klëppelkrich 1798 – Erinnerungen einer Landschaft, hrsg. von „Islek ouni Grenzen“ (2002) 201-264. – Der aus Christnach stammende Professor für Theologie und Philosophie am Luxemburger Priesterseminar war mit den historischen Zeugnissen seiner Heimat bestens vertraut, wohl auch, weil er bis ins hohe Alter alle Reisen zu Fuß unternahm.

55 J. Engling a.O. 133 ff.

Abb. 6: Johann Engling (1801-1888)(R. Weiller, Numismates au pays de Luxembourg, Hémecht 28, 1976, 483)

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archäologische Karte Altriers, in welche er die ihm bekannten römischen Fundstel-len und den möglichen Verlauf der Römerstraße eintrug (Abb. 7)56.

Johann Engling stand auch in Kontakt mit Peter Komes, dem 1796 geborenen Enkel des Ortsgründers von 1750. Dieser beschäftigte sich „seit mehr als zwanzig Jahren […] mit antiquarischen Ausgrabungen“ und hatte u.a. 1866 ein langrecht-eckiges Gebäude im „Komesgarten“, einem südlich des Komeshauses gelegenen Gelände, freigelegt (Abb. 8)57. Diesen Befund stellt Engling in einem Aufsatz vor. Die Ausgrabungsstelle befand sich schräg gegenüber der erst 1863 errichteten Ka-pelle St. Matthias, ungefähr 20 Meter von der Hauptstraße Altriers entfernt58. Bei

56 J. Engling a.O. Taf. VIII. – Die auf der Weltausstellung 1889 in Paris gezeigte „Carte archéologique du Grand-Duché de Luxembourg“ von P.M. Siegen (Bibliothèque Nationale du Luxembourg, Réserve Précieuse MS IV:689, freundliche Mitteilung von U. Degen) enthält keine neuen Erkenntnisse zu Altrier („Section D, Sud-Est“), sondern kompiliert im zugehörigen Text (a.O. 77-81) weitgehend den Aufsatz von J. Engling.

57 J. Engling, Eine altchristliche Basilika zu Alttrier, Organ des Vereins für christliche Kunst im Apostolischen Vikariate Luxemburg VII, 1867 (Luxemburg 1869) 36 ff.

58 J. Engling a.O. (1869) liefert einen genauen Plan und eine Beschreibung der ausgegrabenen Befunde. – Das Gebäude liegt vermutlich unter dem 1880 errichteten Haus „Schneidesch“ (Op der Schanz Nr. 28) und dem „Veräinsbau“ von 1909.

Abb. 7: Archäologische Karte von Altrier nach J. Engling (J. Engling, Das Römerlager zu Alttrier, PSH 8, 1852, Taf. VIII)

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Abb. 8: Die „altchristliche Basilika“ nach J. Engling (J. Engling, Eine altchristliche Basilika zu Alttrier, Organ des Vereins für christliche

Kunst im Apostolischen Vikariate Luxemburg VII, 1867, Taf. 1)

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der Interpretation der römischen Baustrukturen als frühchristliche Basilika, d.h. als ein in constantinischer Zeit umgewandeltes Gerichts- und Handelsgebäude, spielte seinerzeit sicher der Wunsch eine Rolle, neben der neuen auch eine ganz alte Kirche im Ort zu beherbergen. Viel eher handelt es sich bei dem 7 mal 19 Meter großen, langrechteckigen Gebäude um ein sogenanntes Streifenhaus mit einem zugehörigen Keller (4 x 7 Meter) im Süden. Der Zugang zu diesem Keller erfolgte von der Westseite aus (Reste einer Treppe), parallel zur Südwand des Kel-lers verlief ein aus Wasserrinnen und einem „hausteinernen Behälter“ bestehendes Drainagesystem.

Von einer weiteren, zunächst landwirtschaftlich motivierten Ausgrabung in Altrier berichtet der Luxemburger Hauptmann Wilhelm Weydert (Capitaine Guillaume Weydert59) in einem an die Section Historique de l’Institut Grand-Ducal gerichte-ten Schreiben vom 20. Januar 189260: „Unterzeichnenter [sic] schickt das Seiner Exellenz [= N. van Werveke] letzthin versprochene Püppchen, wie die Leute auf der Schanz solche Figuren [= Terrakotte] zu bezeichnen pflegen. Der Ackerer Mi-schel vom Michelhof kaufte vor mehren [sic] Jahren ein Stück Land, von einem unweit seinem Hofe eben ausgerottetem Walde, über dem Ausstocken dieses Stü-ckes stieß derselbe auf mehrere Mauerüberreste. Um nun einen wohlfeilen Dünger für seinen mageren Sandboden an Ort und Stelle zu haben, ließ er einen dieser Mauerüberbleibsel ausbrechen, um den hierdrauf gewonnenen alten Kalk zu die-sem Zwecke zu gebrauchen. […] Die kleine Figur wurde in einer Nische an der Wand, wo sich einer der regelrechten viereckigen Steine herauszog, gefunden.“ W. Weydert fügt dem Brief eine Skizze und eine ausführliche Beschreibung bei, deren Autor er jedoch nicht ist61.

Ab dem Ende des 19. Jahrhunderts und im frühen 20. Jahrhundert setzte in Al trier eine neue Phase „antiquarischer Ausgrabungen“ ein. Besonders aktiv waren, außer dem oben bereits erwähnten Johann Mischel, die ortsansässigen Landwirte Johann Bisenius und Nicolas Hermann62. Die Ausgrabungen fanden, wie zuvor, auf eigenen

59 Zum Hauptmann Weydert s. J. Hess, Hauptmann Weydert, in: An der Ucht 21, 1967, 137-139 und G. Thill, Genèse du plan-relief de la forteresse et ville de Luxembourg réalisé par le capitaine Guillaume Weydert, in: Les Amis de l’Histoire Luxembourg/Jeunes et Patrimoine (Hrsg.), Chateaux-Forts, Ville et Forteresse. Contributions à l’Histoire luxembourgeoise en l’honneur de J.P. Koltz (Luxembourg 1986) 221-237.

60 Korrespondenz und Plan s. Fardes bleues de la Section Historique de l’Institut Grand-Ducal de Luxembourg, Archiv MNHA.

61 W. Weydert schreibt: „Anliegende Aufzeichnung ist durch einen Mischel der geholfen hat auszubrechen, aufgenommen worden.“ - Bei den damals entdeckten Gebäuderesten handelte es sich u.a. um einen fast komplett erhaltenen römischen Keller mit Treppe und einem Drainagesystem aus Ziegelröhren. Die geschwungene Handschrift und die Wortwahl der Beschreibung der Skizze erinnern stark an J. Engling, der jedoch im Jahr 1892 bereits seit vier Jahren verstorben war. Die erwähnte Grabung fand allerdings schon mehrere Jahre vor Weyderts Brief statt.

62 E. Wilhelm, Pierres sculptées et inscriptions de l’époque romaine. Catalogue (Luxemburg, 1974) 46 ; dies., Verrerie de l’epoque romaine. Catalogue (2. Auflage, Luxemburg, 1979) 43 Anm. 39. – So findet sich in der Obermoselzeitung der Bericht eines nichtgenannten Autors über Ausgrabungen im Winter 1902/1903, bei welchen an zwei Stellen römische Gebäudereste (darunter auch hypokaustierte Räume) u.a. durch den „Schatzgräber [Nik.] Hermann“ freigelegt wurden, s. N.N., Neue Ausgrabungen im Römerlager in Altrier, Obermoselzeitung 22, 1903, 1 (24.3.03). Explizit wird hier auch der neuzeitliche Abbruch von antiken Mauern erwähnt: „ […] während alles übrige Steinwerk des Bautenkomplexes als Baumaterial ausgegraben worden ist“. – Zu den Grabungen von J. Bisenius s. auch C. Beck a.O. 14 ff. und R. Weiller, Numismates au pays de Luxembourg, Hémecht 28, 1976, 477. – Weitere Ausgräber

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Garten- und Ackerflächen in Altrier, aber auch in der näheren Umgebung, vor allem dem Marscherwald, statt63. Viele Fundobjekte aus den umfangreichen Sammlungen Mischel und Bisenius gelangten über späteren Ankauf in die Be-stände des heutigen Nati-onalmuseums (MNHA)64, andere Altertümer wurden z.B. an das 1877 gegrün-dete Provinzialmuseum in Trier verkauft (Abb. 9)65.

dieser Zeit waren die Söhne des Gastwirts Delveaux gewesen (vgl. Anm. 38); außerdem gelangten Altrierer Fundstücke durch M. Braun und N. Hermann aus Altrier und durch M. Eltz aus Diekirch in die Sammlungen des Rheinischen Landesmuseums Trier.

63 Emile Menster, der 1907 geboren wurde und aus dem Haus „Keller“ in Altrier stammte, schrieb dazu: „In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren es dann Architekt Karl Arendt [= Charles Arendt, 1825-1910] und Professor van Werveke [= Nicolas van Werveke, 1851-1926], welche beratend und aufklärend bei den Grabungen mitwirkten. Jeder Maulwurfshügel, der rote Ziegelsplitter aufwies, wurde geprüft. Den aufgeworfenen Boden warf man durch große Siebe, welche in den Sandgruben des Marscherwaldes verwendet wurden. Am Fuße desselben fand man die kleinen Gegenstände, wogegen die großen Gefäße und Statuetten mit Messer und Holzspan freigelegt wurden“, s. Manuskript E. Menster vom März 1978 (Fardes bleues de la Section Historique de l’Institut Grand-Ducal de Luxembourg, Archiv MNHA) und ders., Aus der Geschichte der keltisch-römischen Siedlung Altrier (5), Letzeburger Sonndesblad 117, 1984, Nr. 32, 13. – Um welche Grabungen es sich hierbei handelte, bleibt jedoch unklar.

64 P. Medinger, Rapport du Conservateur, PSH 64, 1930, 478-482. - Im Jahr 1929 wurden aus der Sammlung Mischel 70 keltische bzw. gallo-römische Grabinventare und etwa 200 römische Münzen angekauft, 1930 aus der Sammlung Bisenius mehrere keltische und gallo-römische Grabinventare mit interessanten Fundobjekten; ders., Rapport du Conservateur, PSH 1933, 402-407 ; ders., Rapport du Conservateur, PSH 67, 1938, 602-620.

65 Das Inventar des Rheinischen Landesmuseum Trier, welches der Verfasserin freundlicherweise von S. Faust, Landesmusem Trier, zur Verfügung gestellt wurde, verzeichnet 327 Fundstücke mit Altrierer Provenienz. Darunter befinden sich allein 128 Einträge, überwiegend Terrakotten, die um 1900 N. Hermann abgekauft wurden. Sie stammen vermutlich aus den Gartenbereichen der Parzellen 421 und 422, links des Weges nach Hersberg (für die Unterstützung der Kataster-Recherchen danke ich herzlich

Abb. 9: Postkarte des Provinzialmuseum Trier mit Fundstücken aus Altrier (um 1912)

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Diese private Grabungstätigkeit hatte bisweilen den Charakter von Schatzsucherei, wie ein Schreiben von Dr. Ernest Graf deutlich macht66. Der Echternacher Arzt und „begeisterte Altertumsfreund“ Graf (1858-1924) berichtet über die Ausgrabungen und Funde des Landwirts Johann Mischel, bei welchen 1913/14 auch eine römi-sche Nekropole freigelegt wurde (Abb. 10). Die dicht unter der Grasnarbe gelege-nen Brandgräber (Urnen und Steinkisten) fanden sich entlang des Weges, der von der Hauptstraße (Op der Schanz) in Richtung Bech und Zittig abzweigt, sowie im Gartenbereich des damaligen Hauses Bisenius67. Die dort gemachten Funde wur-den von Dr. Graf als auch von dem eigens angereisten Direktor der Vorgeschicht-lichen Abteilung des Rheinischen Landesmuseums Trier, Dr. Paul Steiner, als sehr bedeutend („de la plus haute importance sous le point de vue archéologique“) eingestuft, ein Erwerb der Objekte durch den Luxemburger Staat oder durch das Trierer Museum wurde angedacht68. Dr. Grafs damals an Johann Mischel geäußerte Bitte, die unsystematischen Grabungen nicht fortzusetzen, blieb seinerzeit leider ungehört. Jedoch scheint in den Folgejahren wenigstens die „noch am Anfang die-ses Jahrhunderts geübte Praxis Luxemburger Sammler, ihre obendrein historisch und kulturell allzuoft zusammenhanglosen Funde ins Ausland zu verkaufen“ 69 zu

C. Zahlen und A.J. Peffer von der Administration du Cadastre et de la Topographie Luxembourg). – Zu den Sammlungen der Gesellschaft für nützliche Forschungen und des Provinzialmuseums s. auch L. Schwinden, Römische Funde in der Altertümersammlung der Gesellschaft für nützliche Forschungen, Kurtrierisches Jahrbuch 40, 2000 (Festschrift Antiquitates Trevirenses) 171-206.

66 Rapport du Dr. Graf, membre de l’Institut historique sur la découverte d’une nécropole gallo-romaine à Altrier en 1913-1914 (handschriftlicher Bericht mit beigefügtem Plan des Geometers Kolbach aus Echternach) („Croquis d’une partie d’Altrier et de ses environs“, Archives Nationales du Luxembourg, IP-1800). – Zum Wirken von Ernest Graf s. R. Waringo, Die bronze- und eisenzeitlichen Funde des Echternacher Arztes Ernest Graf, Hémecht 39, 1987, 571-610.

67 s. auch J. Goedert, De la Société archéologique à la Section historique de l’Institut Grand-ducal. Tendances, méthodes et resultats de 1845 à 1985, PSH 101, 1987, 184. – Über die Auffindung des „römischen Kirchhofs“ mit mindestens 18 Gräbern durch J. Mischel & Sohn existiert ein Bericht der Großherzoglichen Gendarmerie-Station Echternach vom 20.11.1913 (Fardes bleues de la Section Historique de l’Institut Grand-Ducal de Luxembourg, Archiv MNHA). – Die Fläche, in der die Gräber gefunden wurden, ist heute zum Teil bebaut bzw. mit Garten- und Weideflächen bedeckt. Bei Sondagen, die 2004 im Vorfeld einer Baumaßnahme zwischen den Häuser Op der Schanz Nr. 48 und Nr. 52 durchgeführt wurden, fanden sich keine weiteren Spuren des römischen Friedhofs. Nach E. Grafs Beschreibung der Fundstücke scheint es sich um Gräber des 1. und 2. Jahrhunderts gehandelt zu haben: „Le travail belge se documente surtout par les vases plats en forme d’assiette, les broches et fibules sont incrustées d’émail coloré disposé en figures geométriques ou de millefiori, quelques unes portent des inscriptions.“ – Am östlichen Ortsausgang von Altrier findet sich allerdings in der Wand einer alten Scheune (gegenüber Haus Nr. 55) ein vermauerter Reliefstein mit Schuppendekor, bei dem es sich um den Rest eines Grabpfeilerdachs handeln könnte. Der Stein soll aus dem früher als Steinbruch genutzten Weideflächen („Steekaul“) südlich des Weges nach Bech stammen (freundliche Mitteilungen von P. Betzen und N. Petry).

68 Aus einem Ankauf der Objekte ist wohl nichts geworden, der Verbleib der Altrierer Grabinventare ist unklar, sie werden zumindest nicht bei den Erwerbungen von 1929/1930 genannt. Nach Auskunft von Herrn Norbert Petry aus Altrier sind bei den Nachfahren von J. Mischel keine Reste der Sammlung mehr vorhanden. E. Graf a.O. erwähnt Keramikgefäße, die von P. Steiner zur Restaurierung nach Trier mitgenommen wurden : „Des tas de tessons et poteries brisées jetées par le Sieur Mischel couvraient entretemps par endroits les terrains remués, et de nombreuses poteries prises au hasard et emportées à Trèves Mr Steiner parvint à reconstruire quelques chruchons ert amphores.“

69 R. Waringo a.O. 572 Anm. 6. - Daß der Verkauf von außergewöhnlichen Fundstücken durchaus einträgliches Zubrot sein konnte, zeigen die im Inventar des Trierer Landesmuseums aufgelisteten Kaufsummen für Altrierer Antiquitäten. Aus einem J. Mischel zugeschriebenen handschriftlichen „Verzeichnis der gefundenen Altertümer“ („de 1905? jusque pendant la guerre“) erfährt man Details

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Abb. 10: Fundskizze zu J. Mischels Grabung einer römischen Nekropole in Altrier (1914) („Croquis d’une partie d’Altrier et de ses environs“,

Archives Nationales du Luxembourg, IP-1800)

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enden. So öffneten sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts antiquarische Sammlungen, wie z.B. die des Altrierer Landwirts Jean-Nicolas Petry, eines Neffen von Johann Bisenius, der wissenschaftlichen Bearbeitung70.

Die größte Gruppe unter den Altrierer Funden stellten – neben zahllosen Münz-funden71 – zweifelsohne die figürlichen Terrakotten dar. Mehrere Hundert davon, überwiegend Darstellungen mütterlicher Gottheiten, kamen im näheren und wei-teren Umfeld der sogenannten „Bildchen“-Eiche (Abb. 11) zutage, d.h. in einem heute weitgehend überbauten bzw. gestörten Bereich entlang der Straße zwischen Altrier und Hersberg, nördlich des Komeshauses und unterhalb der Beckschen Schanze gelegen72. Die 23 Meter hohe, über 300 (500 ?) Jahre alte Eiche birgt in einer Höhlung ihres Stamms ein Marienbild73. Dort wird seit dem späten 18. Jahrhundert die Gottesmutter als Nothelferin verehrt; in früheren Zeiten suchten vor allem Frauen diesen Ort auf74. Dem von J. Engling angedeuteten Fortleben eines heidnischen Kultplatzes unter christlichem Vorzeichen an dieser Stelle wi-derspricht C. Beck vehement mit Hinweis auf die gut dokumentierte Entstehung des Wallfahrtsortes nach zwei Todesfällen durch Blitzschlag im Jahr 173175. Auch das Alter des Baumes und die fehlenden mittelalterlichen Zeugnisse für eine Mari-enverehrung in Altrier stehen der Annahme J. Englings entgegen76. Eventuell mag der Kult aber durch die in der Nähe der Pilgerstätte gefundenen Tonfigürchen weib-

zu dem Halbdeckelgefäß (Inv.Nr. 1911, 0730) aus Abb. 10: „Beim Pflügen des Ackers zwischen den Häusern von J. Mischel und E. Mischel einen bronzenen Kessel mit Halbdeckel worauf ein Panther einen Hirsch verfolgend eingraviert und aufgemalt. Derselbe und ein silberner Löffel wurde[n] ins Trierer Museum verkauft. Für 600 Mark.“ – Im Trierer Inventar wird dagegen der Fundort präzisiert („mitten in einem römischen Gebäude, östlich von Bisenius Haus“), der Kaufpreis jedoch nicht genannt. Zu diesem Fundstück s. B. Bienert, Die römischen Bronzegefäße im Rheinischen Landesmuseum Trier (Trier 2007) 119 f. Kat.-Nr. 127.

70 R. Weiller, a.O. 1976, 477. – R. Weiller, Un poids romain trouvé à Altrier, Hémecht 21, 1969, 77.71 Für die Münzfunde vor 1994 aus Altrier und der näheren Umgebung s. R. Weiller, Monnaies antiques

découvertes au Grand-Duché de Luxembourg – Die Fundmünzen der Römischen Zeit im Großherzogtum Luxemburg (Berlin) I, 1972, 38-57; II, 1977, 17-20; III, 1983, 17-18; IV, 1990, 19-23; V, 1996, 20.

72 Die Tonstatuetten von Muttergottheiten wurden in der älteren Literatur ungenau als Nehalennien bezeichnet, so auch bei J. Engling, a.O. 1852, 114 f. Taf. 11; ders., „Maria im Walde“ zwischen Alttrier und Hersberg, und die durch sie verdrängten Nehalennien. Ein Nachtrag zu dem Aufsatze „Das Römerlager zu Altrier“, PSH 15, 1859, 180-198, Taf. 1-3; ders., Unsere Marienbäume – einst Sitze der Abgötterei und des Aberglaubens. Ein Beitrag zur Geschichte des Christentums im Luxemburger Land, PSH 16, 1860, 95-118.

73 Die Altersangaben variieren bei Administration des Eaux et Forêts Luxembourg, Arbres Remarquables du Grand-Duché de Luxembourg (Luxemburg 1981) 12-13; A.A. Schmitz, „Bildchen“-Eiche, ältester einheimischer Baum. Auftakt der Kampagne “Eine Zukunft für unsere Baumdenkmäler“, Luxemburger Wort 13.06.2006, Stad a Land, 24. – Zur „Marieneiche bei Altrier“ s. auch N. Gredt, Sagenschatz des Luxemburger Landes (Nachdruck Esch-Alzette 1964) 508 Nr. 1056.

74 J. Engling, a.O. 1859, 183: „Alsdann begegnet man hier Haufen von niederknieenden Andächtigen aus den benachbarten Ortschaften, vorzugsweise Wallnerinnen [=Wallfahrerinnen; freundlicher Hinweis von V. Wagner], Frauen, Mütter und solche, welche Mütter zu werden hoffen.“

75 s. J. Engling, a.O. 1859, 182 ff. und C. Beck, Nachtrag zu der Abhandlung des Herrn Engling „Maria im Walde zwischen Altrier und Hersberg“, Ons Hémecht 13, 1907, 126-129.

76 Die bereits im Visitationsprotokoll von 1570 erwähnte kleine Kapelle der Heiligen Margaretha (s. J.W. Heydinger, Archidiaconatus, Tituli S. Agathes, in Longuiono, Trier 1884, Nachdruck Bastogne 1999, 275) am Nordrand von Hersberg scheint nicht in Zusammenhang mit der „Bildchen“-Eiche zu stehen, wenngleich diese Heilige auch Patronin der Jung- und Ehefrauen sowie der ungewollt Kinderlosen und der Gebärenden ist, s. C. Jöckele, Das große Heiligenlexikon (München 1995) 290 ff.

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Abb. 11: Die „Bildchen-Eiche“ zwischen Altrier und Hersberg (Januar 2006)

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licher Gottheiten, welche christlichen Heiligenbildern entfernt ähneln, gefördert worden sein77.

J. Engling zitiert den aus Echternach stammenden Grundschullehrer J.P. Petery78, der von der Entdeckung zahlreicher weiß- oder rotgelblicher Terrakotten-Frag-mente sowie einigen Bronzemünzen (Antoninus Pius-Constans) „in einem Erdein-sturze des […] Komes’schen Liegenthumes, an einem Hügel zur linken Seite der Strasze von Alttrier nach Hersberg“ durch sechs Schulkinder berichtet79. Bei dieser Fundstelle handelt es sich um den Ort, wo auch um 1990 beim Bau einer Ga-rage neben der ehemaligen Altrierer Molkerei (Heeschbregerwee Nr. 5) zahlreiche Terrakottenfragmente gefunden wurden80. Die von J. Engling 1859 publizierten Fundstücke stellen überwiegend sitzende Muttergottheiten (Matronen) dar, die auf dem Schoß ein Wickelkind oder ein Hündchen halten, es gibt aber auch Reste einer Epona zu Pferde, Fragmente einer weiteren Pferdefigurine sowie den behelmten Kopf einer Minerva und einen Frauenkopf mit Mauerkrone, bei dem es sich um eine Kybele-Darstellung handeln dürfte.

Die große Zahl von Terrakotten-Funden in Altrier hat bereits früh zu der Vermutung Anlaß gegeben, daß sich dort eine Werkstatt für solche Tonstatuetten befunden ha-ben könnte81. Als Alternative zu dieser Hypothese ist an ein Heiligtum zu denken, in welchem sich die Figurinen einst als Votivgaben befunden hätten. J. Dheedene entschied sich bei dieser Fragestellung, die er 1961 aufgriff, aus typologischen und keramologischen Gründen für den Töpferei-Standort, ohne dabei die Existenz eines nahegelegenen Heiligtums ausschließen zu wollen82. Allerdings werden die von ihm zitierten, bei J. Engling erwähnten „Backöfen“ und „Ziegelöfen“ dort nie in Zusammenhang mit Terrakotten-Funden genannt83. G. Schauerte glaubt 1985 zwar auch an ein Töpferatelier – ja sogar an Tonlagerstätten – in Altrier, welches er der „Mosel-Werkstattgruppe“ zuordnet, er hält Dheedenes Argumente jedoch für falsch84. Als Erzeugnisse eines „kleinen Töpferateliers“ in Altrier will er nur eine

77 Der älteste bekannte Fund einer Tonstatuette in Altrier wird für das Jahr 1793 notiert, s. Baron A. de Loë, Belgique ancienne: Catalogue descriptif et raisonné. III. La période Romaine (Musées royaux d’art et d’histoire à Bruxelles) (Bruxelles 1937) 284. Es handelt sich um eine sitzende Muttergottheit mit Hündchen auf dem Schoß.

78 s. M. Jonas, Liste des personnes qui ont été autorisées à pratiquer l’enseignement primaire dans le Grand-Duché, Mémorial du Grand-Duché de Luxembourg 4, 2e partie (19.1861), 20 f.

79 s. J. Engling, a.O. 1859, 186 f. – Die Funde wurden am 22. und 24. März 1859 gemacht. Nach einer Skizze J.P. Peterys vom 24. März 1860 (Fardes bleues de la Section Historique de l’Institut Grand-Ducal de Luxembourg, Archiv MNHA) befand sich die Fundstelle linksseitig an der Straße nach Hersberg, etwa 40 Meter von der Kreuzung mit der Altrierer Hauptstraße „Op der Schanz“ entfernt.

80 Freundliche Mitteilung von Herrn N. Petry (Altrier), dessen Vater J.-N. Petry dort auch früher schon Terrakottenfragmente aufgelesen hatte.

81 s. J. Engling a.o. 1859, 187.82 J. Dheedene, Alttrier – un atelier de figurines en terre cuite ?, Helinium 1, 1961, 211-222.83 J. Dheedene a.O. 219 nach J. Engling a.O. 1852, 107. – Ein Beispiel für einen echten Brennofen für

Tonfiguren bietet dagegen ein neuerer Fundkomplex aus der Mainzer Bauhofstraße: s. M. Witteyer, Verbrannte Götter. Ein Terrakottabrennofen aus Mainz, Antike Welt 27, 1996, 489-494 sowie M. Witteyer u.a., Mißratene Götter – Der Terrakottenfund aus Mainz (Dokumentation der Ausstellung vom 2.2.-26.3.1999).

84 G. Schauerte, Terrakotten mütterlicher Gottheiten. Formen und Werkstätten rheinischer und gallischer Tonstatuetten der römischen Kaiserzeit (Beihefte der Bonner Jahrbücher 45, 1985) 75-85.

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Anzahl von „eigenwilligen Kopftypen“, die auf Tafel 3 in J. Englings Schrift von 1859 zu sehen sind, gelten lassen, leider präzisiert er diese Angaben aber nicht. Zu-letzt hat sich G. van Boekel 1990 und 1993 mit den Terrakotten aus Altrier beschäf-tigt85. Zu der Frage der angeblichen Altrierer Töpferwerkstatt schreibt sie: „Er kan een lokale terracottaproduktie geweest zijn, zoals J. Dheedene meent, maar het is opvallend dat sommige beeldjes toe te schrijven zijn aan ateliers in Keulen, Trier en Bad Bertrich“86. Weiterhin nennt G. van Boekel Mittelgallien als Herkunftsregion von weiteren in Altrier gefundenen Tonstatuetten87. Solange also kein Neufund einer Töpferwerkstatt den eindeutigen Nachweis einer Terrakotten-Fabrikation in Altrier liefert, erscheint es sinnvoll, das sich auf einen Fundplatz in Altrier kon-zentrierende, gehäufte Vorkommen von Tonfiguren eher mit einem Heiligtum in Zusammenhang zu bringen88.

Gegen Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre wurden Amateurausgrabungen mit Schülern durch Altrierer Schullehrer durchgeführt. Diese Aktivitäten erstreck-ten sich auf den Bereich hinter der ehemaligen Altrierer Molkerei (Kultbezirk am Heeschbregerwee) und auf den „Wameschbuur“. Die Ergebnisse dieser Grabungen sollen auf Tafeln in der Schule präsentiert worden sein, diese Dokumentation ist heute jedoch leider verschollen89.

Die erste offizielle Ausgrabung im Umfeld von Altrier, d.h. durch Mitarbeiter des Musée National d’Histoire et d’Art Luxembourg, fand zwischen Ende April und Anfang Juli 1972 statt90. Sie diente der Erforschung eines imposanten, auf einem

85 s. G.M.E.C. van Boekel, Fidelis en Servandus: twee inscripties op Romeinse terracottabeeldjes uit Altrier (Groothertogdom Luxemburg) en Vechten, Westerheem 49, 1990, 70-81. – In den späten 1980er Jahren hat Frau van Boekel die in den Sammlungen des MNHA Luxembourg vorhandenen Terrakotten gesichtet. Sie beabsichtigte eine umfassende Publikation der Tonfiguren aus dem Moselgebiet, das Projekt scheint jedoch zu ruhen.

86 „Hier kann eine lokale Terrakotta-Produktion gewesen sein, wie J. Dheedene meint, aber es ist auffallend, daß sämtliche Bildchen (=Tonfiguren) Werkstätten in Köln, Trier und Bad Bertrich zuzuschreiben sind.“ (G.M.E.C. van Boekel a.O. 1990, 71). – Ein Jahr zuvor hatte G. van Boekel noch auch noch eine Altrierer Werkstätte für möglich gehalten, s. G.M.E.C. van Boekel, Terracottabeeldjes van de Scheveningenweg. Romeinse vondsten uit s’Gravenhage II (VOM-reeks 1989 nr. 3) 31.

87 s. G.M.E.C. van Boekel, Terres cuites du Centre dans les Pays-Bas, le Luxembourg et la Grande-Bretagne, in : C. Bémont, M. Jeanlin, C. Lahanier, Les figurines en terre cuite gallo-romaines (Documents d’archéologie française no. 38, 1993) 240-252, insbesondere auf der Verbreitungskarte S. 243. – Nach freundlicher Mitteilung von M. Weidner, die sich in ihrer Dissertation mit modelgeformten Trierer Töpfereiprodukten beschäftigt hat, wurden in Trier zwar überwiegend rottonige Terrakotten hergestellt, es liegen aber auch weißtonige Exemplare vor, s. auch M. Weidner, Matrizen und Patrizen aus dem römischen Trier. Untersuchungen zu einteiligen keramischen Werkstattformen (Trier 2009) 144 f. – Die während der Ausgrabungen von 2004 bis 2007 in Altrier gefundenen Terrakotten werden zur Zeit von J. De Beenhouwer (Wijnegem, B) untersucht.

88 Während der Notgrabung vom März bis Mai 2007 auf einer Parzelle entlang der Straße nach Hemstal („(Neie) Hemstler Wee“) wurden weitere Terrakotten-Funde (Fragmente von weiblichen Gottheiten sowie eine Stierterrakotte) gemacht. Sie lagen zwischen den rückwärtigen Bereichen zweier Streifenhäuser bzw. in einem Brunnen. Ein Hinweis auf eine Töpferei wurde aber auch hier nicht entdeckt.

89 Freundlicher Hinweis von N. Petry aus Altrier und Ch. Nicolas aus Bech. In der Sammlung Petry befindet sich eine große, rechteckige Ziegelplatte, die vom „Wameschbuur“ stammt. Es handelt sich eventuell um eine Suspensura-Platte aus einer Hypocaustheizung.

90 G. Thill, Frühlatènezeitlicher Fürstengrabhügel bei Altrier. Eine archäologische Fundgrube, Hémecht 24, 1972, 487-498 sowie E. Hollstein/H. Heyart, Naturwissenschaftliche Untersuchungen zu den Funden aus dem frühlatènezeitlichen Grabhügel bei Altrier, Hémecht 24, 1972, 499-501 und G. Thill, La tombe

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Geländesporn im Wald südlich von Altrier gelegenen Erdhügels, der durch „wildes Graben und Sandausbeutung“ in der Hügelmitte gefährdet war. Dabei wurde ein reich ausgestattetes Adelsgrab der jüngeren Hunsrück-Eifel-Kultur (5. Jahrhundert v. Chr.) entdeckt. Es enthielt u.a. einen mit Silensmasken verzierten, etruskischen Stamnos, ein verbogenes Schwert, eine anthropomorphe Bronzefibel mit Korallen-einlagen und einen goldenen Armreif (Abb. 12) 91. An der Entdeckung des Grabes nicht ganz unbeteiligt waren auch der rührige Nospelter Pfarrer und Hobbyarchäo-loge Georges Kayser sowie sein Mitstreiter René Gary92.

In den Jahren nach 1972 erschienen zwar immer wieder Publikationen, die sich mit der keltischen und römischen Vergangenheit Altriers beschäftigten, auf archäolo-gischem Sektor geschah jedoch – aufgrund fehlender Meldungen über Funde oder geplante Bauprojekte – nichts93. Im Ortskern von Altrier war aber seit den achtziger

d‘Altrier in: Trésor des princes celtes (catalogue d’exposition aux Galeries nationales du Grand Palais 20 octobre 1987-février 1988) (Paris 1987) 251-254 sowie Grabungstagebuch J. Zimmer (unveröffentlicht).

91 s. auch J. Metzler/C. Gaeng, Protohistoire in: F. Le Brun-Ricalens u.a. Préhistoire et protohistoire au Luxembourg. Les collections du Musée national d’histoire et d’art 1 (Luxembourg 2005), 138-143.

92 G. Kayser, Die gallo-römischen Gräber in der „Scheierheck“ in: Syndicat d’Initiative Nospelt, Nospelt - Pfarrer Kayser auf den Spuren der Vergangenheit (Luxembourg 1989) 18.

93 Neben zahlreichen wissenschaftlichen Veröffentlichungen, in welchen überwiegend Einzelfunde aus Altrier behandelt wurden, und dem Eintrag Altriers in die archäologische Karte, s. N. Folmer, Carte

Abb. 12: Grabinventar des frühlatènezeitlichen Tumulus bei Altrier (5. Jahrhundert v. Chr.)(Foto: A. Biwer, MNHA)

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Jahren vermehrt gebaut und im Zuge der Errichtung von Häusern und Garagen – vor allem am „Heeschbregerwee“ und „Op der Schanz“ – archäologische Substanz in nicht unerheblichem Umfang weggebaggert worden. Die zur Stelle eilenden Archäologen konnten meist nur die bereits erfolgte Zerstörung konstatieren (Abb. 13)94. Im Februar 2004 erhielt das MNHA durch den Echternacher Sondengänger Paul Betzen den Hinweis, daß im Vorfeld einer Baumaßnahme neben der Kapelle Sankt Matthias in Altrier bereits große Mengen von Mutterboden abgeschoben worden seien und zahlreiche Kleinfunde zutage kämen. Nach einer Besichtigung des etwa 0,75 Hektar großen Geländes (Abb. 14), auf dem sieben Einfamilienhäu-ser plus Zuwegung entstehen sollen, konnte rechtzeitig ein ministerieller Baustopp erwirkt werden. Es schloß sich eine mehrjährige Ausgrabung in der Flur „Im vor-

Archéologique du Grand-Duché de Luxembourg Feuille 18 – Betzdorf (Luxembourg 1973) 12 f., erschienen auch mehrere Zeitungsartikel, welche der breiten Öffentlichkeit eine Möglichkeit boten, sich über die Ortsgeschichte zu informieren, z.B. C.-M. Ternes, Le „Camp Romain“ d’Altrier, vu par Jean Engling (PSH 8, 1852, p. 99 sqq.), in: ders., Aux sources de l’archéologie luxembourgeoise (Luxembourg 1978) 110-114, E. Friedrich, Römersiedlung und Tumulus von Altrier, Revue 28.7.1979, 28 f., E. Menster, Aus der Geschichte der keltisch-römischen Siedlung Altrier (1-5), Letzeburger Sonndesblad 117, 1984, Nr. 28, 7; Nr. 29, 7; Nr. 30, 13; Nr. 31, 7; Nr. 32, 13 und R. Zenner, Über Hemstal, Altrier, Hersberg, Rippig und Zittig, Letzeburger Sonndesblad 128, 1995, Nr. 36, 24.

94 „Signalement: substructions gallo-romains détruites au printemps de l’année 1987 lors du creusement du terrain en vue de l’installation d’une plus grande cave […] Objets : tuiles, tessons, monnaies, bronze, fer, plomb.“ (A. Schoellen/N. Theis, Ortsregister MNHA, Altrier, 4. Mai 1987); A. Schoellen, Wenig Sinn für unsere Vergangenheit, Luxemburger Wort, 20.11.1999 (Briefe an die Redaktion).

Abb. 13: Eine unbeobachtete Baumaßnahme im Zentrum von Altrier (Mai 1987)(Foto: A. Schoellen / N. Theis, MNHA)

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dersten Meesch“ (2004-2006) an, über deren Ergebnisse noch ausführlicher zu be-richten sein wird95. In den Jahren 2006 und 2007 konnten die neuen Erkenntnisse zur Struktur der römischen Siedlung durch weitere Notgrabungen auf Baugrund-stücken in Altrier vervollständigt werden96.

Die Verfasserin dankt besonders Herrn Dr. Jean Krier (MNHA), Herrn Valentin Wagner und Herrn Bernhard Schmitt (beide Archives Diocésaines, Luxembourg) für zahlreiche Hilfen und Hinweise sowie ihre stete Diskussionsbereitschaft.

95 Erste Vorberichte s. F. Dövener, Neue Forschungen an altbekannter Stelle – Der römische Vicus von Altrier, Musée Info – Bulletin d’information du Musée d’histoire et d’art 18, 2005, 56 f. und dies., Neues zum römischen Vicus von Altrier, Empreintes – Annuaire du Musée national d’histoire et d’art 1, 2008, 59 ff. (s. auch www.bech.lu/updates/Empreintes2008_p59-71.pdf). – Die vorläufigen Ergebnisse wurden auch mehrfach in Abendvorträgen vorgestellt, zuletzt am 26. Oktober 2007 im Altrierer „Veräinsbau“.

96 Betroffen waren vier Grundstücke an den Straßen „Heeschbregerwee“,„(Neie) Hemstler Wee“, „Beim Tumulus“ und „Op der Schanz“, s. F. Dövener, Grabungsbeginn in Altrier 2007, Empreintes – Annuaire du Musée national d’histoire et d’art 1, 2008, 70 f. und dies., Fortsetzung der Ausgrabung 2007 in Altrier, Musée Info 4-6/2008, o.S. – Seit der Ausgrabung 2004 gestaltete sich die Zusammenarbeit der Gemeindeverwaltung Bech und des MNHA im Vorfeld von Baumaßnahmen exzellent; dafür sei dem ehemaligen Bürgermeister, Herrn Marc Pitzen, und seinen Mitarbeitern herzlich gedankt.

Abb. 14: Baumaßnahme in der Flur „Im vordersten Meesch“ vor dem Baustopp im Februar 2004

(Foto: J. Krier, MNHA)