Herstellung der Abgeschlossenheit betrieblicher Prozesse durch Abgleich von Verantwortung und Informationsfluß Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades Doktoringenieur (Dr.-Ing.) von: Dipl.-Ing. Sven Karl Mertens geb. am 17. Februar 1971 in Flensburg genehmigt durch die Fakultät für Maschinenbau der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg Gutachter: Prof. Dr.-Ing. Hermann Kühnle Prof. Dr.-Ing. Karl-Heinz Grote Dr.-Ing. André Dechange Promotionskolloquium am 17. März 2000
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Herstellung der Abgeschlossenheit betrieblicher
Prozesse durch Abgleich von Verantwortung und
Informationsfluß
Dissertation
zur Erlangung des akademischen Grades
Doktoringenieur
(Dr.-Ing.)
von: Dipl.-Ing. Sven Karl Mertens
geb. am 17. Februar 1971 in Flensburg
genehmigt durch die Fakultät für Maschinenbau
der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
Gutachter: Prof. Dr.-Ing. Hermann Kühnle
Prof. Dr.-Ing. Karl-Heinz Grote
Dr.-Ing. André Dechange
Promotionskolloquium am 17. März 2000
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Vorwort
Die vorliegende Arbeit entstand während meiner Tätigkeit als
wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut für Fa-
brikbetrieb und –automatisierung (IFF), Magdeburg.
Dem Leiter des Institutes für Arbeitswissenschaft, Fabrikauto-
matisierung und Fabrikbetrieb (IAF) sowie des Fraunhofer-
Instituts für Fabrikbetrieb und –automatisierung (IFF), Herrn
Prof. Dr.-Ing. H. Kühnle, gilt mein besonderer Dank für seine
Diskussionsbereitschaft und die stete Förderung der Arbeit.
Herrn Prof. Dr.-Ing. K.-H. Grote, Institut für Maschinenkon-
struktion (IMK) der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg,
und Herrn Dr.-Ing. A. Dechange, Ericsson Consulting GmbH, dan-
ke ich für die eingehende Durchsicht der Arbeit und die sich
daraus ergebenden wertvollen Anregungen.
Ein herzlicher Dank geht auch an Herrn Dr.-Ing. M. Hartmann
und an Herrn Dipl.-Ing. M. Reißer für die stete Diskussionsbe-
reitschaft und konstruktive Kritik.
Schließlich möchte ich allen Mitarbeitern, die mir bei der Um-
setzung und Fertigstellung der Arbeit behilflich waren, dan-
ken.
Ganz besonderen Dank gilt Jeannette M., die durch Ihre Geduld
und Ihr Verständnis die Rahmenbedingungen schuf, unter denen
und besserer Service sind Kennzeichen für den Käufermarkt 1. Der
Kunde gestaltet durch seine Wünsche den Markt und erwartet von
den Unternehmen, daß sie schnellstmöglich, kostengünstig und
mit verbesserter Qualität ihre Leistungen an den Käufer wei-
tergeben /44/. Unternehmen müssen sich dieser Herausforderung
stellen, um zu überleben oder um die potentiellen Wachstums-
chancen für sich zu nutzen /74/. In beiden Fällen ist eine
Veränderung der Unternehmensstrukturen erforderlich /24/, /9/,
/32/, /56/.
Moderne Unternehmens- und Organisationskonzepte geben wertvol-
le Hinweise, wie die Anforderungen des Marktes erfüllt werden
können. Die zu bewältigende Marktkomplexität 2, die sich in Form
von konkurrierenden Zeit-, Kosten-, Qualitätszielen nieder-
schlägt, läßt sich am effizientesten durch Organisationen rea-
lisieren, die durch wandlungsfähige Strukturen 3 geprägt sind
1 Ein sich schnell änderndes Käuferverhalten bewirkt z.B. eine hohe Pro-duktdiversifikation bei gleichzeitigem hohen Kostendruck für die Produk-tionsbetriebe. Zur hieraus resultierenden Veränderungsdynamik siehe z.B.Warnecke /97/, Kühnle /43/ und Drucker /13/.
2 Die Komplexität läßt sich durch die Vielzahl der Beziehungen zwischen denElementen, also durch die Anzahl der Relationen, als auch durch die An-zahl der Elemente eines Systems bestimmen. Je größer die Komplexität ei-nes Systems ist, um so schwieriger ist die Koordination der Systemele-mente und seine Steuerung hinsichtlich des Systemziels /41/.
3 Unter Wandlungsfähigkeit soll hierbei die Fähigkeit eines Systems zur ak-tiven, schnelleren Anpassung der Strukturen auf zeitlich nicht vorher-sehbar wechselnde Aufgaben aus eigner Substanz (= Anpassungsfähigkeit)in Verbindung mit der Fähigkeit zur evolutionären Entwicklung der Struk-turen bei zeitlich konstanten oder längerfristigen vorhersehbar wech-selnden Anforderungen aus eigner Substanz (= Entwicklungsfähigkeit) nachHartmann /27/ verstanden werden.
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/11/. Der Mitarbeiter, der das flexibelste1 und lernfähigste
Element der Organisation ist, muß daher bei der Entwicklung
einer wandlungsfähigen Struktur auch als dominierendes Gestal-
tungselement mit eingebunden werden /49/, /57/. Grundlage je-
der Gestaltung ist Kenntnis und das Verstehen der existieren-
den Abläufe sowie der angestrebten Ziele /19/, /78/.
Die Abbildung der Mitarbeiteraktivitäten und die Orientierung
an den Unternehmenszielen sind durch eine Beschreibung der Or-
ganisationsabläufe in Form von Prozessen transparent darstell-
bar 2. Die Prozeßbeschreibung mit Aktivitäten, Input- und Out-
putgrößen sowie Zielen ist somit die notwendige Voraussetzung
für die Formulierung moderner Unternehmensstrukturen, die al-
lerdings durch weitere Elemente komplementiert werden muß
/15/, /80/.
Die Informationsflüsse 3 und Verantwortungen 4 der Prozesse müs-
sen bei einer Beschreibung berücksichtigt werden, da diese
Elemente den Handlungsraum der Mitarbeiter maßgeblich mit be-
stimmen /27/, /61/, /69/. Die richtige Verknüpfung der Elemen-
1 Flexibilität bezeichnet die Fähigkeit, auf wechselnde Situationen raschzu reagieren und sich anpassen zu können.
2 Um Prozesse zu verstehen und auf sie einwirken zu können, ist es notwen-dig, sie angemessen zu modellieren, d.h. geeignete Modelle für Prozessezu bilden. Ein Modell ist dabei ein immaterielles und abstraktes Abbildder Realwelt für die Zwecke eines Subjektes /95/.
3 Unter einem Informationsfluß soll der Austausch von Informationen zwi-schen organisatorischen Einheiten, wie Menschen oder EDV-Systemen sowieder Austausch von Information zwischen abstrakten Elementen, wie Aktivi-täten oder Prozessen verstanden werden. Die Input- und Outputgrößen ei-nes Prozesses stellen die Eingangs- und Ausgangsinformationen für einenInformationsfluß dar.
4 Der Begriff der Verantwortung bezieht sich auf die Zuordnung zur Ausfüh-rung von Aktivitäten in Prozessen, die von organisatorischen Einheitenwahrgenommen werden.
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te repräsentiert als Ergebnis einen vollständigen und damit
die angestrebte Abgeschlossenheit eines Prozesses 1.
In der vorliegenden Arbeit wird eine Vorgehensweise darge-
stellt, die durch einen Abgleich von Verantwortung und Infor-
mationsfluß die Herstellung der Abgeschlossenheit von betrieb-
lichen Prozessen ermöglicht. Grundlage hierfür sind Ansätze
und Konzepte für prozeßorientierte und wandlungsfähige Struk-
turen sowie die Entwicklung eines ergänzenden Ansatzes, um
vorhandene Schwächen in den Konzepten aufzulösen. Neben den
Grundlagen ist also eine Vorgehensweise zu erarbeiten, die die
praktische Anwendbarkeit und somit einen Nutzennachweis zu-
läßt.
Die Betrachtung von Prozessen und die Herstellung von abge-
schlossenen Prozessen ist für eine Organisation die Grundvor-
aussetzung zur permanenten Weiterentwicklung und situationsge-
triebenen Anpassung. Damit werden erhebliche Beiträge zur
nachhaltigen Verbesserung der Nutzung von Ressourcen in Unter-
nehmen, insbesondere Produktionsbetriebe, erzielt.
1 Der abgeschlossene Prozeß kann als Übertragung von abgeschlossenen Aufga-benkomplexen auf organisatorische Einheiten interpretiert werden. Hier-bei geht es vor allem um die horiziontale Abgrenzung. Der Grad der In-terdepenzen bestimmt die Abgeschlossenheit des Aufgabenkomplexes. DieAbgeschlossenheit des Prozesses respektive des Aufgabenkomplexes wirktsich positiv auf die Motivation der organisatorischen Einheiten aus,durch Frese als Autonomieeffekt gekennzeichnet. Zum einen ist eine bes-sere Zuordnung von Anreizen zu den Handlungsergebnissen der betrachtetenEinheit realisierbar; zum anderen wird die Möglichkeit einer verstärktenPartizipation an der Entscheidungsfindung wahrgenommen. Die Steigerungder Motivation einer organisatorischen Einheit korreliert mit der Pro-zeßeffizienz, die dadurch erhöht wird /18/.
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2 Herstellung der Abgeschlossenheit betrieblicher
Prozesse durch Abgleich von Verantwortung und
Informationsfluß
Die Fähigkeit einer Organisation zur Anpassung in einer sich
veränderten Umwelt ist Grundvoraussetzung zum Existieren und
zum Wachsen /47/. Das turbulente Umfeld 1, in dem sich eine Or-
ganisation bewegt, verlangt nach Anpassungsmechanismen, die
eine schnelle Reaktion und ein gezieltes Agieren ermöglichen.
Unternehmen müssen sich daher einem permanenten Wandel unter-
ziehen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu behaupten respektive
zu steigern 2 /24/. Die Gestaltungsansätze für ihre Organisatio-
nen orientieren sich an dem optimalen Zusammenspiel der einge-
setzten Mittel 3. Als brauchbarer Organisationsansatz hat sich
die Prozeßorganisation etabliert, die eine ablauforganisatori-
sche Zusammenfassung von Aufgaben hinsichtlich eines zu erfül-
lenden Zieles ermöglicht /6/, /21/, /26/.
Die Güte einer Organisation ist durch die Effizienz der aus-
führenden Prozesse darstellbar. Prozesse beschreiben innerhalb
1 Kühnle und Hartmann charakterisieren das turbulente Umfeld für ein Unter-nehmen respektive für einen Produktionsbetrieb mit den folgenden Ausprä-gungen: geringe Planbarkeit der Ereignisse, Anpassungsfähigkeit ansprunghafte und kurzzyklische Veränderungen, hohe Kundenorientierung,hohe Innovationstätigkeit, Bewältigung einer steigenden Komplexität so-wie permanente Unternehmenspositionierung und –ausrichtung /26/.
2 Untersuchungen haben gezeigt, daß eine gut organisierte Ablauforganisa-tion einen Vorsprung im Wettbewerb je nach Branche von bis zu 10 Jahrenermöglicht, während neue Fertigungstechnologien einen Vorsprung bis zumaximal 5 Jahren und neue Produkte nur bis zu 3 Jahren bringen /8/.
3 Als globale Ausrichtung eines Unternehmens definiert Wittek die Zielfunk-tion eines Unternehmung als „... den Bestand des Unternehmens unter Ein-bindung einer maximalen Leistung und unter Beachtung des Optimal-Prinzips für Sachmittel, Kapital und Methoden, eines humanitären Lei-stungsprinzips und hinreichende Berücksichtigung gesellschaftspolitischbedeutungsvoller Entwicklungen und Aspekte auf Dauer sicherzustellen“/104/.
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einer Organisation die Folge von Aktivitäten, die notwendig
sind, um ein gestelltes Ziel zu erreichen /6/. Die Aktivitäten
werden im allgemeinen durch unterschiedliche Stellen in der
Organisation ausgeführt. Die dadurch entstehende Arbeitstei-
ligkeit wird in vielen Gestaltungsansätzen 1 untersucht. Der sy-
stemorientierte Ansatz, der viele neuere Unternehmens- und Or-
ganisationskonzepte geprägt hat, wird als Grundlage für die
weiteren Betrachtungen genutzt. Ein dominierendes Betrach-
tungsmodell innerhalb des systemorientierten Ansatzes ist das
6-Ebenen-Modell nach Kühnle /49/, /54/.
Das 6-Ebenen-Modell bildet ein Unternehmen ganzheitlich als
vernetztes System ab. Durch die horizontale Aufteilung des
komplexen Systems Unternehmen in sechs Dimensionen reduziert
das Modell die vorherrschende Komplexität. Durch die 6 Ebenen
kann ein Unternehmen in unabhängige, voneinander bearbeitbare
Aspekte zerlegt und untersucht werden. Mit ihrem Anspruch auf
eine ganzheitliche Betrachtung des Unternehmens sind die Ebe-
nen miteinander vernetzt und gleichwertig zu betrachten /50/.
1 Die folgenden Ansätze sind durch unterschiedliche Umfeldbedingungen ge-prägt und entwickelt worden: Physiologischer Ansatz (Taylor), Bürokrati-scher-administrativer Ansatz (Weber, Fayol, Urwick), Motivationsorien-tierter Ansatz (Mayo, Maslow), Entscheidungsorientierter Ansatz (Mar-schak, Barnard, Simon), Systemorientierter Ansatz (Etzioni, Ackoff, Eme-ry) /94/.
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KulturelleEbene
Strategische Ebene
Sozio - informelle Ebene
Wirtschaftlich- finanzielleEbene
InformationelleEbene
Prozeß- und MaterialflußEbene
Unternehmensselbstverständnis
Visionen
Segmentierung
gelebte Unternehmenskultur
Ablauforganisation
KostenLeistungen
Aufbauorganisation
Ausfüllen strategischer Räume
Kundengerechtes Leistungsprogramm
Informationsfluß
Kompetenz
Unternehmensressourcen
Unternehmens-
rahmen
Datenfluß
Verantwortung
Strukturierung
Input Transformation Output
Kommunikation
Zeit
Produktivität
Abbildung 1: 6-Ebenen-Modell mit drei exponierten Ebenen für
eine ganzheitliche Prozeßbetrachtung und abgeleite-
te, charakterisierende Elemente nach Kühnle /50/
Zur Untersuchung der Prozeßabgeschlossenheit werden innerhalb
des 6-Ebenen-Modells die Sozio-informelle Ebene 1, die Informa-
1 Die Sozio-informelle Ebene betrachtet die spezifischen Verhaltensweisen,welche die Zusammenarbeit von Menschen prägen. Bestimmende Dimensionensind Soziologie und Psychologie, die in informellen Kontakten zwischenPersonen zum Ausdruck kommen. Auf dieser Ebene wird somit das Bezie-hungsgefüge der Menschen im Unternehmen beschrieben, welches auf denkulturellen Grundwerten basiert. Die kulturelle Ebene gibt den Rahmenvor, innerhalb dessen sich die Merkmale der Sozio-informellen Ebene aus-prägen /25/.
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tionelle Ebene1 sowie die Prozeß- und Materialflußebene 2 be-
trachtet. Durch die Nutzung der drei Ebenen sind alle relevan-
ten Aspekte der Aufbau- und Ablauforganisation sowie des In-
formationsflusses abgedeckt, die für eine Diskussion zur Her-
stellung der Prozeßabgeschlossenheit notwendig sein können.
Die Sozio-informelle Ebene enthält als ein beschreibendes Ele-
ment die Verantwortung. Der in dieser Ebene formulierte Ver-
antwortungsbegriff stellt die Definitionsgrundlage der zu be-
trachtenden Verantwortung in Prozessen dar. In der Informatio-
nellen Ebene werden Informationsflüsse unter dem Aspekt der
Vollständigkeit diskutiert sowie Hinweise auf die starken In-
terdependenzen zwischen Informationsfluß und Kommunikation ge-
geben. Die Prozeß- und Materialflußebene des 6-Ebenen-Modells
betrachtet die Ablauforganisation unter den Gesichtspunkten
der Prozeßsegmentierung sowie der Layoutgestaltung des Materi-
alflusses. Die Beschreibung der Prozeß- und Materialflußebene
formuliert Kühnle mit dem systemischen Ansatz der Input-Output
Transformation /46/.
Das entwickelte 6-Ebenen-Modell von Kühnle gewährleistet eine
ganzheitliche Sicht bei der zu diskutierten Betrachtung der
1 Gegenstand der Informationellen Ebene sind die Informationsflüsse sowiedie Möglichkeiten zu deren technischer Ausstattung. Betrachtet werdendie Informationsflüsse hinsichtlich ihrer Durchgängigkeit und Integra-tion. Besonders zu beachten sind hierbei die Anforderungen an:
- Informationserzeugung und –erfassung,
- Informationsspeicherung,
- Informationsnutzung, -austausch und -verwendung sowie
- Informationswege /49/.
2 Auf der Prozeß- und Materialflußebene werden die technischen Prozesse undMaterialflüsse betrachtet und damit alle physischen Vorgänge im Unter-nehmen aufgegriffen, die für die Erzeugung von Gütern erforderlich sind.Diese Ebene kann somit auch als technische Ebene bezeichnet werden, inder Logistik und Materialwirtschaft entlang der gesamten Auftragsabwick-lung in die Betrachtungen integriert werden /49/.
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Prozeßabgeschlossenheit. Grundlage der Diskussion bilden die
drei vorgestellten exponierten Ebenen des 6-Ebenen-Modells.
Die Arbeit befaßt sich mit dem Abgleich von Verantwortung und
Informationsfluß zur Herstellung der Abgeschlossenheit von
Prozessen. Mit dem Begriff der Abgeschlossenheit soll in einer
ersten Begriffsbestimmung eine Synchronisation des Informati-
onsflusses zu einem Prozeß und zu einer zugeordneten Verant-
wortung in Form einer geschlossenen Einheit 1 ausgedrückt wer-
den.
Die Erweiterung der Prozeßbetrachtung um das Element Verant-
wortung berücksichtigt somit die Bedingungen des gewählten sy-
stemorientierten Gestaltungsansatzes 2 und ermöglicht eine Er-
gänzung bestehender Unternehmens- und Organisationskonzepte.
2.1 Aufbau und Abbildung von Prozessen
2.1.1 Prozeßbegriff
Unternehmens- und Organisationskonzepte nutzen den Prozeßbe-
griff in unterschiedlichen Ausprägungen und Bezeichnungen
/10/, /92/. Der zu verwendende Prozeßbegriff wird durch eine
Herleitung sowie mit der Eingrenzung von generalisierten Defi-
nitionen hin zu speziellen, organisationsbezogenen Definitio-
nen determiniert.
1 Bullinger sieht Unternehmensprozesse als definierte Abläufe des Betriebs-geschehens an, die inhaltlich als abgeschlossen gelten, wenn sie vonvor- oder nachgelagerten Vorgängen isoliert betrachtet werden können/6/.
2 Bedingungen des systemorientierten Ansatzes sind nach Voss: Harmonisie-rung von Verantwortung (Aufbauorganisation) und Funktion (Ablauforgani-sation), Unterstützung der Ablauforganisation durch Automation und EDVsowie Agieren mit Zielen zur Beherrschung der zunehmenden Dynamik undKomplexität von Systemen und Umwelt /94/.
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Unter einem Prozeß ist im allgemeinen die Gesamtheit von auf-
einander einwirkenden Vorgängen in einem System zu verstehen,
durch die Materie, Energie oder Information umgeformt, trans-
portiert oder gespeichert wird 1.
Eine besondere Untermenge dieser Prozesse sind die Geschäfts-
prozesse. Ein Geschäftsprozeß ist die Folge von Aktivitäten,
welche erforderlich sind, um ein bestimmtes Geschäftsziel
durch Umformung, Transport oder Speicherung von Materie, Ener-
gie oder Informationen zu erreichen /22/.
Der zu erarbeitende Prozeßbegriff lehnt sich im Grundsatz an
die Definition des Geschäftsprozesses an. Innerhalb der Arbeit
werden nur organisationsbezogene 2, insbesondere betriebliche,
Prozesse diskutiert. Ausgeschlossen werden damit alle nicht
organisationsbezogenen Prozesse, wie technische, chemische
oder biologische Prozesse.
Unter Berücksichtigung dieser Eingrenzung stellt der Prozeßbe-
griff von Eversheim die in der Arbeit zu diskutierenden Ele-
mente für eine ganzheitliche Prozeßbetrachtung dar. Ein Prozeß
ist nach Eversheim als ablauforganisatorische Zusammenfassung
von Aktivitäten definiert, der ein bestimmtes Ziel verfolgt,
Ressourcen benötigt und von Mitarbeitern ausgeführt wird /14/.
1 [DIN 66201 Teil 1 - 05.81, Prozeßrechensysteme: Begriffe]. Nach Vossenund Becker wird ein Prozeß bezeichnet als eine inhaltlich abgeschlosse-ne, zeitliche und sachlogische Abfolge der Funktionen, die zur Bearbei-tung eines betriebswirtschaftlich relevanten Objektes notwendig sind.
2 Organisation wird definiert als dauerhaft wirksame Regelung von Systemen.Organisatorische Systeme bestehen aus den Elementen Aufgaben, Aufgaben-träger, Sachmittel und Informationen. Die Elemente weisen die Dimensio-nen Zeit, Raum und Menge auf. Sie werden durch Aufbau- und Ablaufbezie-hungen miteinander verknüpft /17/.
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Die Definitionen belegen, daß Prozesse Ziele, Input- und Out-
putgrößen besitzen sowie durch eine begrenzte Anzahl von Vor-
gängen bzw. Aktivitäten beschreibbar sind.
2.1.2 Integration der Verantwortung und des Informationsflus-
ses
Die Diskussion des 6-Ebenen-Modells und des Prozeßbegriffes
sowie die damit abgeleitete Prozeßbetrachtung zeigt deutlich
die Notwendigkeit der Integration von Verantwortung und Infor-
mationsfluß in betrieblichen Prozessen auf /45/. Die Integra-
tion der Verantwortung ist als eine Erweiterung des Prozeßbe-
griffes zu verstehen, während der Informationsfluß den beste-
henden Prozeßinput und –output eingrenzt.
Die Integration der Verantwortung bei der Prozeßbetrachtung
kann nach Kühnle durch die Nutzung eines neuen Prozeßelementes
ermöglicht werden. Die Herleitung und Formulierung der Verant-
wortung bei Prozessen muß mit der organisatorischen und sozio-
logischen Perspektive von Verantwortung diskutiert werden.
Der Begriff der Verantwortung kann nach Bronner durch die Be-
dingungen und die Ausgestaltung der Verantwortung näher be-
schrieben werden. Die Elemente der Verantwortungsbedingungen
sind Handlungsziele 1, Handlungsfähigkeiten und Handlungsspiel-
räume. Die Ausgestaltung der Verantwortung ist durch Verant-
1 Das Vorhandensein operationaler Ziele ist die zwingende Voraussetzungjeglicher Art und Ausgestaltung von Verantwortung /77/.
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wortungsobjekte1, -formen und –instrumente charakterisiert. Ei-
ne Verallgemeinerung des Begriffs gibt Hauschildt an. Er be-
schreibt die Verantwortung als Pflicht einer Person oder Orga-
nisationseinheit, für die zielentsprechende Erfüllung einer
liert aus der soziologischen Perspektive den Begriff der Ver-
antwortung als kausale Zurechnung begangener Taten. Handlungen
und ihre Folgen müssen individuellen oder kollektiven Akteuren
zugerechnet werden und zwar vom Handelnden selbst wie von Be-
obachtern, da die Adressaten oder Betroffenen des Handelns ih-
re Reaktionen an eine Instanz richten müssen /12/. Höhn opera-
tionalisiert den Verantwortungsbegriff für die Organisations-
gestaltung in Form einer Stellenbeschreibung. Um festzustel-
len, wofür ein Stelleninhaber im Rahmen der Hierarchie verant-
wortlich ist, muß man von den Aufgaben, die er zu erfüllen
hat, sowie den dazugehörigen Kompetenzen 2 und der Zielsetzung
der Stelle ausgehen. Daraus ergibt sich automatisch seine Ver-
antwortung /33/. Die Begriffsformulierung von Höhn wird für
die Arbeit um das Verantwortungsobjekt erweitert.
Die Verantwortung mit der dazugehörigen Kompetenz in einer Or-
ganisation ist durch die Zuordnung zu einer zielgerichteten
Aktivität beschreibbar, die von einem Verantwortungsobjekt in
1 Verantwortungsobjekte können Ressourcen oder auch Ereignisse von Handlun-gen beschreiben. „Ressourcen sind hierbei in materiellem und personellemSinne zu verstehen. Wie Ressourcen sind auch die Ergebnisse von Handlun-gen in materiellem und personellem Sinne zu verstehen. Zielvorgaben imdispositiven Bereich lassen sich nicht meterisieren. Vor allem wegen deshohen Kontrollaufwandes werden bei Aktivitätszielvorgaben die Ergebnisseals Indikatoren der Zielerreichung benutzt“ /5/.
2 Als Kompetenz werden alle Rechte bezeichnet, die sich aus der Übertragungvon Aufgaben an Stellen und Personen für diese ergeben. Sie verkörperndie formalen Mindestbedingungen organisatorischer Handlungsfähigkeit.Kompetenzen umfassen sowohl die Zuständigkeit für Handlungen als auchdie Durchsetzbarkeit von Handlungen. Soweit solche Rechte vorbehaltloszugewiesen werden, sind damit spezifische Aufgaben vollständig und aus-schließlich übertragen /17/.
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Form einer personell besetzten Stelle oder Organisationsein-
heit wahrgenommen wird /12/.
Die Übertragung der Verantwortung auf eine Organisationsein-
heit kann nach Döbert mit den kollektiven Akteuren einer Hand-
lung verglichen werden /12/. Aus dieser Betrachtungsweise er-
gibt sich eine Teilbarkeit der Verantwortung. Das elementare
Teil eines Verantwortungsobjekts wird durch die personell be-
setzte Stelle repräsentiert.
Die Verantwortung im Prozeß wird durch die Einführung und Nut-
zung eines Verantwortungselements abgebildet. Das Verantwor-
tungselement weist einem zu beschreibenden Element die Verant-
wortung der Prozeßausführung zu. Das Verantwortungselement,
das zur Vereinfachung auch als Verantwortung bezeichnet wird,
ist damit bei der Prozeßbetrachtung unabdingbar.
Ein Informationsfluß 1 charakterisiert einen Austauschvorgang
von Informationen 2. Die Eingangs- und Ausgangsinformation eines
Informationsaustausches werden durch den Input und Output des
Prozesses repräsentiert. Die Anforderungen an den Input und
Output lassen sich wie folgt beschreiben:
- Der Input stellt den Eingangszustand einer beliebigen Infor-
mation dar, welche durch eine Aktivität zu einem Output
1 Eine Begriffsbestimmung zum Informationsfluß erfolgt im Kapitel 3. Der zudiskutierende Zusammenhang zwischen Informationsfluß und Kommunikationbei betrieblichen Prozessen ist für eine Formulierung von Anforderungenan den Prozeßbegriff nicht relevant und wird daher ebenfalls in Kapitel3 beschrieben.
2 Informationen in Unternehmen repräsentieren das Wissen und die Daten, diefür das Unternehmen einen Wert besitzen. Information ist demnach zweck-gebundenes, auf das unternehmerische Handeln ausgerichtetes Wissen. Da-mit kann unter Information die Teilmenge des vorhandenen Wissens und derDaten verstanden werden, welche für die Erreichung bestimmter Ziele ge-eignet sind /57/, /69/, /19/.
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transformiert wird. Der Output stellt den Ausgangszustand
der transformierten Information dar.
- Input und Output einer Aktivität sind eindeutig durch ihre
Zustände unterscheidbar.
Der betrachtete Input und Output bezieht sich auf die informa-
tionstransformierenden Aktivitäten von Prozessen, siehe
Abbildung 2.
Hauptcharakterisitikum eines Prozesses
Betrachteter Input / Output
Input
AktivitätOutput
Materie
-input
Informations
-input
Materie
-output
Informations
-output
Materie-transformierende
Aktivität
Information-transformierende
AktivitätLegende
Abbildung 2: Eingrenzung des Inputs und Outputs bei der Be-
trachtung betrieblicher Prozesse /22/
Eine Verkettung von Aktivitäten ist durch die Bildung eines
Informationsflusses möglich. Die Information im Informations-
fluß muß dabei gleichzeitig den Output und den Input zweier
unterschiedlicher Aktivitäten repräsentieren.
In Anlehnung an Gaitanides wird die Prozeßabbildung mit den
Erweiterungen des entwickelten Prozeßbegriffs in der Abbildung
3 dargestellt.
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Kunde
Leistungsvereinbarung
Lieferant
Info.-
output
ZusätzlicheElemente für dieProzeßbeschreibung
Fläche beinhaltetElemente des Prozeßum-felds
Fläche beinhaltetElemente einesProzesses
Informationsfluß
Ziel
Verantwortung
Legende
Beziehung im Prozeßumfeld
Info.-
input Information-
transformierendeAktivität
Abbildung 3: Abbildung eines Prozesses mit Integration der
Verantwortung /19/
Ein exponiertes Charakteristikum ist nach Gaitanides die Er-
kenntnis, daß alle Aktivitäten, die in einer Organisation in
einer wertschöpfenden Kette untereinander verknüpft sind und
aufeinander einwirken, auch eine Leistung liefern. Für die Ab-
bildung von Prozessen bedeutet die Betrachtung der zu erbrin-
genden Prozeßleistung, daß jeder Prozeß als Leistungsbeziehung
zwischen einem Lieferanten und einem Kunden formulierbar wird.
Jede Aktivität hat somit mindestens einen Kunden 1, der den er-
1 Unter einem Kunden wird auch die nachfolgende Organisationseinheit ver-standen /19/.
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zeugenden Output nachfragt. Die abgebildete Leistungsvereinba-
rung formuliert möglichst exakt den Input und Output zwischen
Lieferant und Kunde und stellt damit eine Bewertungsoption 1 zur
Untersuchung der Zielerfüllung des Prozesses dar.
Die durchgeführten Betrachtungen zum Prozeßbegriff sowie die
Integration der Verantwortung und des Informationsflusses er-
weitern die diskutierte Prozeßbeschreibung. Ein Prozeß umfaßt
somit die folgenden Elemente:
Ein Prozeß besitzt eine Aktivität, eine Verantwortung, einen
Input und Output sowie ein Ziel /19/.
Alle weiteren Ausführungen zu Prozessen beziehen sich auf die
oben beschriebene Definition.
2.1.3 Gültigkeit einer Prozeßabbildung
Bei der Abbildung von Prozessen in Form von Modellen2 muß die
Gültigkeit der Darstellung sichergestellt sein. Nach Stübel
können die folgenden Methoden dazu beitragen, eine Gültig-
keitsprüfung von Modellen vorzunehmen: Verifikation, Kalibrie-
rung, Sensitivitätsanalyse und Validierung.
1 Eine Bewertung kann aus der Sicht des Kunden erfolgen. Er überprüft im-plizit den entstandenen Aufwand im Prozeß durch den Abgleich seiner ver-einbarten Leistung mit dem erhaltenden Output. Zeigt sich, daß eine Dif-ferenz zwischen Leistungsvereinbarung und Output besteht, so kann durchdas Intervenieren des Kunden eine Verbesserung in der Input-Output-Relation initiiert werden.
2 Nach Krallmann ist ein Modell "ein abstraktes System, das ein anderes(meist reales) System in vereinfachter Weise abbildet. (…) Sie haben denVorzug, daß sie leichter als die Realität, d. h. das zugrundeliegendeSystem, zu überblicken sind". Sie haben die Eigenschaft, die Realitätniemals vollständig abbilden zu können /41/, siehe auch /38/.
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Die Verifikation umfaßt die Überprüfung der benutzten Daten
und den Nachweis ihrer korrekten Umsetzung in ein Modell. Die
Verifikation beginnt mit dem Nachweis der Korrektheit der Aus-
gangsdaten und überprüft dann die stufenweise vorgenommenen
Abbildungen auf Richtigkeit und Vollständigkeit in Bezug auf
Darstellung und Umsetzung der Einzelrelationen.
Die Kalibrierung soll zur Angleichung des Gesamtverhaltens des
Modells an die wahrgenommene Realität führen. Damit ist eine
Verhaltensprüfung und –angleichung mit Hilfe von Outputver-
gleichen und Parameteränderungen gemeint. Parameter sind dabei
die Größen, die während des Modellaufs unverändert bleiben und
die Stärke der Relation zwischen einzelnen Variablen ausdrük-
ken. Zu ändern sind vorrangig solche Größen, die nicht genau
erfaßt werden konnten. Resultat der Kalibrierung ist eine nach
subjektiver Entscheidung „genügende“ Ähnlichkeit zwischen Mo-
dell und abgebildetem System. Diese Dimension wird auch als
empirische Gültigkeit bezeichnet.
Die Sensitivitätsanalyse stellt die Empfindlichkeit in Abhän-
gigkeit von Parameterveränderungen fest. Sie wird schon wäh-
rend der Verifikation und Kalibrierung benutzt, um eventuelle
Strukturfehler im Modell erkennen zu können. Dabei werden auch
diejenigen Modellparameter erkannt, die im Sinne einer Verhal-
tensverbesserung zu ändern sind. Darüber hinaus lassen sich
mit Hilfe der Sensitivitätsanalyse neben einer Trennung we-
sentlicher und unwesentlicher Einflußgrößen auch Daten ermit-
teln, die für die Anwendung in der Realität besondere Bedeu-
tung haben, z.B. systemimmanente kritische Größen, die beson-
dere Beachtung verdienen. Ergebnis der Sensitivitätsanalyse
ist die Darstellung der quantitativen Abhängigkeiten der Mo-
dellausgabewerte von der Änderung einzelner oder mehrerer Pa-
rameter.
Durch die Validierung wird eine Bewertung des verifizierten
und kalibrierten Modells vorgenommen. Dabei wird die „Güte“
des Modells für den vorgesehenen Zweck festgestellt. Diese Er-
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klärung von Validierung entspricht der Festlegung einer prag-
matischen Gültigkeit oder Zielangemessenheit, bei der ent-
schieden wird, ob die Modellaussagen brauchbar sind. Dies kann
im Vergleich mit Alternativmodellen und –methoden geschehen
oder durch Nachweis, daß die Problemstellung durch das Modell-
ergebnis „getroffen“ wurde /91/.
Die beschriebenen Methoden Verifizierung, Kalibrierung, Sensi-
tivitätsanalyse und Validierung zur Prüfung der Gültigkeit ei-
ner Prozeßabbildung stellen für diese Arbeit die zu erfüllen-
den Anforderungen an die zu entwickelnde Beschreibung von Pro-
zessen dar.
2.2 Abgeschlossenheit von Prozessen
2.2.1 Grundlegende Ausprägungen
Moderne Unternehmens- und Organisationskonzepte zeichnen sich
durch eine prozeßorientierte Organisation aus. Die Effizienz-
steigerung der Prozesse und die optimale Ausnutzung der Unter-
nehmensressourcen determinieren die Hauptmotivatoren zur Im-
plementierung von prozeßorientierten Organisationen /18/,
/48/.
Die Gestaltung des Leistungsprozesses von seiner Auslösung bis
zur Vertragserfüllung steht im Mittelpunkt der Prozeßeffizi-
enz. Um eine hohe Prozeßeffizienz zu erreichen, ist es erfor-
derlich, den Leistungsprozeß über alle Wertschöpfungsstufen
auf die Ziele des Gesamtunternehmens auszurichten. Üblicher-
weise sind Zwischenläger und lange Durchlaufzeiten Anzeichen
für unzureichende Prozeßeffizienz. Ressourceneffizienz bezieht
sich nach Frese auf die umfassende, kosteneffiziente Nutzung
von Potentialfaktoren, also von Personen, maschinellen Anlagen
und immateriellen Ressourcen. Zur Gewährleistung einer hohen
Ressourceneffizienz muß die Ressourcennutzung über Schnitt-
stellen von Organisationsbereichen hinweg auf die Ziele des
Gesamtunternehmens ausgerichtet werden. Gelingt dies nicht,
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ist u.a. mit Leerkapazitäten und Produktionskosten zu rechnen
/17/.
Eine exponierte Zielstellung von prozeßorientierten Organisa-
tionen ist die Reduzierung der Schnittstellen in den Prozes-
sen 1. Schnittstellen sind zu unterteilen in Prozeßschnittstel-
len und organisatorische Schnittstellen /40/. Prozeßschnitt-
stellen liegen zwischen Prozessen, die in einem sachlogischen
Zusammenhang verbunden sind. Organisatorische Schnittstellen
bezeichnen die Übergänge zwischen Verantwortlichkeiten respek-
tive Organisationseinheiten, die eine Beziehung untereinander
besitzen /72/.
Der Abbau von Schnittstellen kann durch eine Reorganisation
der vorhandenen Aktivitäten oder durch die Eliminierung von
Aktivitäten ermöglicht werden 2. Die entstehenden Prozesse be-
sitzen eine optimierte Abfolge der Aktivitäten /42/. Die orga-
nisatorischen Schnittstellen werden bei dem Vorgehen, im Ge-
gensatz zu den Prozeßschnittstellen, nicht zwangsläufig redu-
ziert, da die Reorganisation explizit auf eine optimierte Kom-
bination der Aktivitäten zielt. Um einen abgeschlossenen Pro-
zeß mit einem Optimum an organisatorischen Schnittstellen und
Prozeßschnittstellen herzustellen, ist die diskutierte erwei-
terte Prozeßbetrachtung notwendig /46/.
1 „Mögen auch viele in der Praxis vorkommende organisatorische Strukturenmit ihren Bereichen und Abteilungen historisch gewachsen sein, so bildendoch moderne Organisationsformen den Prozeß direkt in der Aufbauorgani-sation ab, um Schnittstellenprobleme innerhalb der Organisation weitge-hend zu vermeiden“ /23/.
2 Gaitanides unterscheidet bei der Reorganisation die Umstrukturierung vonAktivitäten in der Aufbauorganisation sowie das Eliminieren und Unter-stützen durch Mechanisierung und Automatisierung von Aktivitäten in derAblauforganisation /19/.
- 28 -
Erweiterte Prozeßbetrachtungen, die eine Beschreibung und Be-
wertung von Prozessen ermöglichen, sind damit die Vorausset-
zung für eine Herstellung von abgeschlossenen Prozessen. Die
Überführung in einen abgeschlossenen Prozeß muß dabei einen
meßbaren positiven Effekt zum Beispiel in Form einer Reduzie-
rung von Organisation- und Prozeßschnittstellen erzeugen. Die
Qualität 1 der Prozeßabgeschlossenheit und damit das optimale
Zusammenspiel aller Organisationselemente ist durch ein geeig-
netes Maß als Wert meßbar darzustellen /35/.
2.2.2 Anforderungen für die Beschreibung und Herstellung von
abgeschlossenen Prozessen
Die Methode zur Herstellung der Prozeßabgeschlossenheit erfor-
dert eine formale Beschreibung der betrieblichen Prozesse, da
die zu entwickelnde Methode anschaulich und konkret zu gestal-
ten ist sowie in der Praxis gut einsetzbar sein muß. Zur Be-
schreibung von betrieblichen Prozessen ist der systemtheoreti-
sche Ansatz zu empfehlen. Für die Herstellung der Abgeschlos-
senheit ist damit ein Modell unerläßlich, das die spezifischen
Aspekte der realen Betriebsprozesse in einer geeigneten Weise
zusammenfaßt. Für die Prozeßbeschreibung ist eine homomorphe
Abbildung zu wählen, d.h., nicht alle Elemente und Beziehungen
des Systems kehren im Modell wieder. Diese überwiegend benutz-
te Abbildungsform reduziert die Komplexität des Modells. Die
Anforderungen zur Beschreibung und Herstellung der Prozeßabge-
schlossenheit richten sich zu einem Großteil an die Formulie-
rung des Prozeßmodells und natürlich seines Einsatzes. Das
Prozeßmodell repräsentiert somit die Grundlagen für die zu
entwickelnde Methode.
1 Borchert zeigt, daß die Qualität einer optimalen Auslegung eines Prozes-ses sich daran messen läßt, wie die Subsysteme im Unternehmen abgestimmtsind und Engpässe im Betriebsablauf vermieden werden können /4/.
- 29 -
Der erarbeitete Prozeßbegriff umfaßt die Beschreibung eines
betrieblichen Prozesses mit den Anforderungen an eine gültige
Abbildung, siehe Kapitel 2.1.3. Die Anforderungen an eine Ver-
knüpfung von Prozessen sowie die Formulierung von Prozeßinhal-
ten werden im folgenden determiniert.
Eine Verknüpfung von Prozessen auf einer gleichwertigen, hori-
zontalen Sicht muß durch die Input-Output-Beziehung des Infor-
mationsflusses formulierbar sein, um eine ganzheitliche Be-
trachtung der betrieblichen Prozesse sicherstellen zu können.
Die vertikale Prozeßverknüpfung, die eine Übersichtlichkeit
der Modellinhalte in Form einer Komposition oder Dekomposition
gewährleistet, setzt einen Bezugspunkt voraus. Als Bezugspunkt
muß die Aktivität in der eingeführten Arbeitsdefinition des
Prozeßgriffes genutzt werden, da die Aktivität als nicht mehr
zerlegbar definiert ist. Die Sicht, auf der sich die Aktivität
befindet, kann als Elementar-Sicht 1 gekennzeichnet werden. Eine
vertikale Verknüpfung von Aktivitäten ist somit durch überge-
ordnete Prozeßsichten möglich.
Das Vorgehen zur Formulierung von Modellinhalten muß die hori-
zontale und vertikale Verknüpfung in Form zweier differenzier-
ter Beschreibungsmethoden unterstützen, um eine Abgrenzung der
Sichten zu gewährleisten.
Zur Formulierung von Modellinhalten auf der Elementar-Sicht
ist es erforderlich, alle Elemente, die mit dem Element Akti-
vität verknüpft sind, zu ermitteln und in einem logischen Zu-
sammenhang darzustellen. Die Prozeßabbildung in Kapitel 2.1.2
zeigt diesen Zusammenhang auf. Die dargestellte Verantwortung,
1 Die Elementar-Sicht stellt bei der Prozeßbetrachtung die unterste Be-trachtungssicht dar, auf der sich alle Elemente befinden, die nicht mehrzergliederbar sind.
- 30 -
die dem Input, der Aktivität und dem Output zugeordnet ist so-
wie mit der Leistungsvereinbarung, mit dem Lieferant und dem
Kunden in unmittelbarer Beziehung steht, ist prädestiniert zur
Formulierung der Elementar-Sicht. Als Verantwortungsrepräsen-
tant auf der Elementar-Sicht kann die Stelle nach Voss als
kleinste, nicht mehr teilbare Organisationseinheit festgelegt
werden /94/. Eine Stelle wird in der Regel durch einen Mitar-
beiter des Unternehmens besetzt. Eine Beschreibung der Prozes-
se muß damit unter Einbeziehung der Mitarbeiter mit der Model-
lierung der Elementar-Sicht erfolgen /65/. Dementsprechend ist
die Vorgehensweise zur Formulierung der Elementar-Sicht klar
zu gliedern, so daß die Methode allen beteiligten Mitarbeitern
transparent ist, um ein Höchstmaß an mitarbeitereigenem Pro-
zeßwissen zu verwenden /58/. Folglich müssen die Mitarbeiter
aktiv in die Prozeßbeschreibung und bei der Betrachtung der
Prozeßabgeschlossenheit integriert werden 1.
1 Als Gründe für die Verfolgung eines partizipativen Ansatzes lassen sichnach Peschke die Berücksichtigung des Fachwissens der Anwender, die Ein-beziehung neuer Arbeitsträger, die Akzeptanzsteigerung bei den Anwenderndurch aktives Erleben des Entwicklungsprozesses und die gesteigerte Be-deutung der Anwender, die heute vermehrt auch gleichzeitig Auftraggebersind, nennen /71/.
- 31 -
3 Stand der Technik
Die permanente Gestaltung und Weiterentwicklung von Organisa-
tionsstrukturen ist eine aktive Aufgabe jedes Unternehmensma-
nagements. Der steigenden Umfelddynamik kann mit neuen und
net werden, siehe auch Kapitel 2. Die eindeutige und abge-
schlossene Prozeßbetrachtung als regulierendes Element der Un-
ternehmenskomplexität ist jedoch nicht ihrer Wichtigkeit ent-
sprechend in Lösungsansätzen zur Beherrschung der Umfelddyna-
mik verankert /81/, /58/.
Die Diskussion vom Stand der Technik erfolgt daher zunächst
mit einer Untersuchung systemorientierter Ansätze zur Prozeß-
betrachtung. Aufbauend auf den gewonnenen Erkenntnissen werden
Beschreibungsmodelle von organisationsbezogenen Prozessen mit
impliziten Darstellungen von Verantwortungen und Informations-
flüssen betrachtet. Abschließend erfolgt ein Diskurs über exi-
stierende Ansätze zum Abgleich von Verantwortung und Informa-
tionsfluß an betrieblichen Prozessen.
3.1 Grundlagen der Prozeßbetrachtung in Organisationen
Unternehmen sind Elemente eines umfassenden Wirtschaftssy-
stems, die über Markttransaktionen in Verbindung stehen /18/.
Damit Unternehmen ihr Handeln zielorientiert durchführen kön-
nen, bedienen sie sich heutzutage der interpersonellen Ar-
beitsteilung unter Berücksichtigung personenbezogener Verhal-
tensregeln und maschinenbezogener Funktionsregeln. Diese orga-
nisatorische Gestaltung führt zu einem System von Regelungen,
das das Agieren der Unternehmensmitglieder auf ein übergeord-
netes Unternehmensziel ausrichtet und somit zur Aufgabenerfül-
lung beiträgt.
Im Rahmen der aufgabenorientierten Organisationsgestaltung,
die teilweise von weitgehend unspezifizierten respektive ent-
individualisierten Aufgabenträgern als Instrumente der Aufga-
- 32 -
benerfüllung ausgeht, wird in eine aufbau- und ablauforganisa-
torische Perspektive differenziert /51/. Dabei beziehen sich
die strukturellen Eigenschaften einer Organisation hauptsäch-
lich auf die fünf folgenden Dimensionen einer Organisations-
struktur:
- Die Spezialisierung ergibt sich daraus, daß die zur Errei-
chung eines Ziels notwendigen Aufgaben arbeitsteilig durch
mehrere Personen bearbeitet werden müssen. Die Spezialisie-
rung ist das Ausgangsproblem jeder organisatorischen Struk-
turierung.
- Die Probleme der Koordination ergeben sich aus der Speziali-
sierung und umfassen die Regeln und Maßnahmen, die notwendig
sind, um Aktivitäten der einzelnen Organisationsmitglieder
aufeinander abzustimmen.
- Durch die Über- und Unterordnung von Aufgaben und die Zuord-
nung von Weisungsbefugnissen entsteht ein hierarchischer Or-
ganisationsaufbau. Die Dimension der Konfiguration der Orga-
nisation erfaßt die damit verbundenen Regelungen.
- Die Entscheidungsdelegation beschreibt die Verteilung und
Festlegung von Entscheidungskompetenzen innerhalb der Orga-
nisation.
- Die Formalisierung umfaßt den Konkretisierungsgrad, inwie-
fern Regelungen über die Kommunikation zwischen den Organi-
sationsmitgliedern schriftlich fixiert sind.
In den Unternehmen kommt es hinsichtlich dieser fünf Merkmale
zu betriebsspezifischen Ausprägungen. Aufgrund der Untersu-
chungen von Taylor zum wissenschaftlichen Fabrikmanagement
/18/ entwickelte sich seit Anfang der zwanziger Jahre dieses
Jahrhunderts die Überzeugung, daß sich die Produktion durch
zunehmende Spezialisierung verbessern und wirtschaftlich am
- 33 -
effizientesten gestalten läßt. Dieser zielorientierte Gestal-
tungsansatz innerhalb der Produktion hat die Organisation-
stheorie in den vergangenen Jahrzehnten entsprechend beein-
flußt.
Die Spezialisierung als Organisationsprinzip findet ihren Aus-
druck in der Stellen- und Abteilungsbildung einer Unternehmung
/41/. Innerhalb der Stellenbildung erfolgt eine Zuordnung ei-
ner Menge von Teilaufgaben an eine Person als Stelleninhaber,
die diese Aufgaben aufgrund einer geeigneten Ausbildung im
Rahmen der normalen Arbeitszeit erfüllen kann, siehe Abbildung
4.
Aufgabenanalyse Aufgabensynthese
Bildung von Teilaufgaben Stellenbildung
Teil-aufgabe
Stelle
Stelle
Teil-aufgabe
Teil-aufgabe
Teil-aufgabe
Aufgabe
Abbildung 4: Grundkonzeption der betriebswirtschaftlichen Or-
ganisationslehre, insbesondere Stellenbildung /18/
Diese Arbeitsteilung ist somit ein wesentliches Element effi-
zienten Wirtschaftens geworden. Allerdings ist sie nicht der
alleinige Erfolgsfaktor, da bei dieser Form der Aufgabenerfül-
lung sowohl eine funktionierende Kommunikation als auch Logi-
stik erforderlich ist.
- 34 -
Diese arbeitsteiligen Prozesse basieren überwiegend auf der
kombinierten Anwendung der Zerlegungsprinzipien Segmentierung
– horizontale Dimension – und Strukturierung – vertikale Di-
mension /51/. Zur vereinfachten Koordination der arbeitsteili-
gen Prozesse werden die ausführenden Stellen zu organisatori-
schen Einheiten höherer Ordnung, wie beispielsweise Gruppen,
Abteilungen - im Sinne der Strukturierung – aggregiert. Inner-
halb dieser Hierarchie nehmen Instanzen eine gesonderte Funk-
tion ein, da sie als dauerhafte Leitungseinheiten sowohl Ent-
scheidungs- als auch Weisungsbefugnis gegenüber subordinierten
Stellen besitzen, siehe Abbildung 5.
Segmentierung
Bereich
Instanz 1.Ebene
Stelle ohneWeisungs-befugnis
Abteilung
Gruppe
Strukturierung
Instanzen 2.Ebene
Instanzen 3.Ebene
Zuordnungskante in der Hierachrie
Legende
Stelle
Abbildung 5: Grundstruktur eines hierarchischen Stellensy-
stems, beispielhaft dargestellt an einem Unterneh-
mensbereich /51/
Die Strukturierung der Arbeit kann nach den unterschiedlichen
Verrichtungen oder nach den Objekten geschehen. Bei der Ver-
richtungszentralisation werden Stellen, Abteilungen und/oder
Bereiche nach dem Kriterium der Gleichartigkeit von Tätigkei-
ten an verschiedenen Objekten gruppiert. Bei der Objektzentra-
- 35 -
lisation erfolgt eine Zusammenfassung von Stellen, Abteilungen
und/oder Bereichen nach den Kriterien der Gleichartigkeit von
Objekten, an denen Verrichtungen vorgenommen werden. Neben der
Anwendung des Verrichtungs- bzw. des Objektprinzips ist auch
die Regelung der Verantwortung ein organisationsbestimmendes
Kriterium. Hier lassen sich drei klassische Grundmodelle hin-
sichtlich der Festlegung der Weisungsbefugnis differenzieren:
- das Einliniensystem,
- das Mehrliniensystem und
- das Stabliniensystem.
Diese hierarchischen Ordnungen haben die Aufgabe, die Arbeits-
teilung im Sinne von Segmentierung der Arbeit handhabbar zu
machen und die Informationsbeziehungen zwischen den Stellen zu
kanalisieren1. Die Arbeitssegmentierung, die als eine Synthese
von Arbeitsinhalten angesehen werden kann, wird in modernen
Unternehmens- und Organisationskonzepten als Prozeßsynthese
diskutiert /94/.
Bei der Prozeßsynthese von Organisationen können drei Arten
der Gestaltung unterschieden werden.
1 Insbesondere das Middle-Management hat die verantwortungsvolle Aufgabe,sowohl die Information im notwendigen Umfang den subordinierten Stellenzur Verfügung zu stellen als auch die Information für das Top-Managemententsprechend aufzubereiten /103/.
- 36 -
- personelle Prozeßsynthese 1,
- temporale Prozeßsynthese 2,
- lokale Prozeßsynthese 3.
Hierbei sind die einzelnen Synthesearten bei gleichbleibender
Zielsetzung in den meisten Fällen nicht alternativ, sondern
komperativ-ergänzend zu sehen. Die Prozeßsynthese leistet da-
mit einen erheblichen Beitrag zur Bildung von prozeßorientier-
ten Organisationen.
Die unterschiedlichen Ansätze zur Gestaltung einer Prozeßorga-
nisation sollen exemplarisch an den drei Vertretern Scheer,
Hammer/Champy und Gaitanides diskutiert werden, die derzeit
die wichtigsten, existierenden Ansätze zur Gestaltung einer
Prozeßorganisation repräsentieren. Durch die Einschränkung auf
drei zu diskutierende Ansätze wird die Orientierung im Stand
der Technik vereinfacht, ohne die Vielfältigkeit der Gestal-
tungsaspekte zu vernachlässigen.
1 Die personelle Gestaltung betrachtet die Arbeitsverrichtungen in einerStelle. Sie versucht, für diese Stelle durch Ausgliederung von wesens-fremden sowie durch Zuweisung von zusammengehörigen Aufgaben unter Be-rücksichtigung mitarbeiter-spezifischer Gegebenheiten ein persönlich-sachliches Optimum zu erreichen.
2 Die temporale Gestaltung nimmt eine Leistungsabstimmung der beteiligtenPersonen und Stellen im Sinne einer Harmonisierung vor und versuchtdurch Abstimmung von Arbeitsgängen sowie Gangfolgen und Arbeitstakteneinen gleichmäßigen Durchlauf zu erzielen.
3 Die lokale Gestaltung befaßt sich mit der räumlichen Anordnung der Ar-beitsplätze im Sinne von Bearbeitungsplätzen sowie den zwischen ihnenstattfindenden Transportwegen und gestaltet die Ausstattung der Arbeits-plätze durch die Zuordnung von bestmöglichen Arbeitsmitteln sowie durchdie Vermeidung von Gegenläufigkeit und Leerlauf.
- 37 -
3.1.1 Geschäftsprozeßoptimierung
Scheer hat zur Gestaltung und zur Beschreibung von Prozeßorga-
nisationen die ereignisgesteuerte Prozeßkette (EPK) entwik-
kelt, die im Rahmen der Geschäftsprozeßoptimierung, d.h. der
Gestaltung von Informations- und Kommunikationssystemen zur
Anwendung kommt /80/. Er zeigt mit seinen entwickelten Metho-
den und Instrumenten die Wichtigkeit der richtigen Abfolge von
Prozessen in einem Unternehmen auf. Seine Fokussierung zielt
auf die Nutzenpotentiale, die bei der Automatisierung von Pro-
zessen entstehen /80/.
Die Modellierung von Geschäftsprozessen umfaßt dabei alle be-
trieblichen Prozesse, die durch eine sachlogische Verknüpfung
beschreibbar sind. Ein organisationsübergreifender Prozeß wird
dabei wie ein organisationsinterner Prozeß mit der gleichen
Wertigkeit behandelt. Im Vordergrund steht die Wirtschaftlich-
keitserhöhung durch elektronische Vorgangsverarbeitung. Vor-
bild ist die automatisierte Prozeßsteuerung in der Fertigung.
Geschäftsprozeßoptimierung bezieht sich somit auf die Schaf-
fung und Steuerung der „Metastruktur“ informationeller Abläufe 1
und wird in der Regel im Rahmen der Einführung von Standard-
software durchgeführt. Eine Bereinigung der tradierten Abläufe
um redundante Aktivitäten vereinfacht die Anpassung der neuen
Geschäftsprozesse erheblich /81/.
Im Gegensatz zu anderen prozeßorientierten Gestaltungsansätzen
bleiben die funktionalen Organisationsstrukturen im Unterneh-
men weitgehend unverändert. Eine crossfunktionale, prozeßori-
1 Die Beschreibung der Abläufe und deren Management werden vonVossen/Becker als Workflowmanagement diskutiert. Workflowmanagement kannals eine Ausprägung der Prozeßorganisation angesehen werden /95/.
- 38 -
entierte Steuerung erfolgt jedoch maschinell durch elektroni-
schen Abbau von Schnittstellen und durch die Neuzuordnung der
Arbeitsverteilung. Dabei lassen sich allenfalls hohe Effizi-
enzverbesserungen realisieren. Hohe Effektivitäts- bzw. Flexi-
bilitätsverbesserungen sind dagegen nicht zu erzielen, da kein
permanenter Rückkopplungsmechanismus integriert ist, der die
gewählte Informations- „Metastruktur“ ex post in Frage stellt.
3.1.2 Business Process Reengineering
Der aus dem anglo-amerikanischen stammende Ansatz des Business
Process Reengineering von Hammer und Champy weist auf die Be-
deutung des umfassenden und umwälzenden Charakters einer Pro-
zeßoptimierung hin /24/. Die Definition des Business Process
Reengineering beinhaltet drei Schlüsselwörter, die für eine
Beschreibung von Prozessen relevant sind. Fundamentales Über-
denken, Radikales Redesign von Unternehmensprozessen1 zeigen
den Neubeginn bei der Formulierung der Organisation auf. Die
Beschreibung der Organisation orientiert sich dabei an den
verfolgten Zielen und der abgeleiteten Strategie, erst dann
werden konkrete Unternehmensprozesse entwickelt. Die vorhande-
nen Abläufe sind bei der Entwicklung der Prozesse nicht von
Bedeutung und werden daher nicht abgebildet oder überprüft 2.
Business Process Reengineering wird durchgeführt, um das Un-
ternehmensgeschehen radikal zu verbessern. Gezielt werden Or-
ganisationsstrukturen aufgebrochen und Abläufe erneuert. Dazu
werden Idealprozesse entworfen, die aus unternehmensstrate-
gisch neu definierten Zielen abgeleitet sind. Weite Teile bis-
1 Unter Unternehmensprozeß wird ein Bündel von Aktivitäten verstanden, daseinen oder mehrere unterschiedliche Inputs benötigt und der als Ergebnis(Output) einen Wert für einen Kunden erzeugt /24/, /19/.
2 Business Process Reengineering nach Hammer und Champy ignoriert, was ist,und konzentriert sich auf das, was sein sollte.
- 39 -
heriger Aufbaustrukturen werden auf diese Weise in Frage ge-
stellt. Diese neukonzipierten Unternehmensprozesse lassen die
Erblast oft jahrzehntelanger edv-gestützter Abläufe fast voll-
ständig hinter sich und eignen sich als erster Baustein für
eine tiefgreifende, prozeßorientierte Reorganisation des Un-
ternehmens.
Die Formulierung von Unternehmenszielen und hieraus die Ablei-
tung einer zu verfolgenden Strategie bilden die Grundlage für
die Gestaltung der Prozeßorganisation. Der Ansatz von Hammer
und Champy priorisiert damit eine zukunftsorientierte Organi-
sationsgestaltung, die eine Reflexion auf bestehende und ver-
gangene Organisationsstrukturen im Grundsatz negiert. Bei ei-
ner erfolgreichen Anwendung des Ansatzes des Business Process
Reenginieering müssen somit die Schwächen einer zu verbessern-
den Organisation gegenüber den Stärken dominieren. Da eine Un-
tersuchung und Würdigung der bestehenden Organisation im Ge-
staltungsansatz nicht integriert sind, besteht die Gefahr ei-
ner organisatorischen Fehlentwicklung.
3.1.3 Prozeßorganisation
Der Ansatz der Prozeßorganisation von Gaitanides bildet eine
wichtige Grundlage zur Entwicklung weiterer moderner Organisa-
tionsansätze. Konzepte, wie Lean Production, Concurrent Engi-
neering oder Total Quality Management nutzen die geleisteten
Vorarbeiten von Gaitanides /1/, /15/, /41/, /62/. Gaitanides
diskutiert ganzheitlich Methoden und Instrumente zur Prozeßor-
ganisation. Er favorisiert die partizipative Prozeßgestaltung
und erschließt damit Nutzenpotentiale durch die Selbstrefle-
xion der Organisation. Gaitanides unterscheidet dabei die drei
Verbesserungsoptionen Eliminierung, Reorganisation und Automa-
tisierung von Prozessen /19/.
Das Konzept der Prozeßorganisation von Gaitanides wurde Anfang
der 80er Jahre entwickelt. Stellen, Abteilungen und Bereiche
eines Unternehmens werden „bottom-up“ auf Basis der einzelnen,
- 40 -
durch Ist-Analyse identifizierten Aktivitäten gebildet 1. Die
nach der Ist-Aufnahme auf ihre Stellen bezogenen Bindungen
entlassenen Aktivitäten werden durch Clusterbildung hinsicht-
lich funktionaler oder prozeßfortschrittbezogenen Ähnlichkei-
ten zusammengefaßt. Die Wahl des funktionalen Kriterium führt
im wesentlichen auch wieder zu einer funktionalen Gliederung
der Organisation. Eine am Prozeßfortschritt orientierte Ge-
staltung ermöglicht die konsequente Umsetzung des Material-
bzw. Informationsflusses in einer Aufbaustruktur und somit in
einem hohen Maße die Vermeidung von Schnittstellen. Prozeßori-
entierte Aufbaugestaltung bedeutet somit in letzter Konse-
quenz, einen Prozeß als einen eigenständigen Unternehmensbe-
reich zu organisieren oder ihn zumindestens als eigenständige
Abteilung zu führen.
Diese fundamentale Innovation der Prozeßorganisation ist die
Umkehrung der seit Kosiol /39/ geltenden Gestaltungsrichtung.
Der klassische organisatorische Ansatz bildet zunächst Teil-
aufgaben und delegiert diese an eine Funktion, bis der Umfang
der Teilaufgaben ein Volumen angenommen hat, das vom Aufgaben-
eigner selbst zu bewältigen ist, siehe auch Abbildung 4. Erst
am Ende dieser Aufgabenstrukturierung werden die crossfunktio-
nalen Abläufe gestaltet. Im Gegensatz zu dieser „Top-down“
Richtung der Gestaltung ergänzen die Ansätze zur Prozeßorgani-
sation die Gestaltung um eine „bottom-up“ Orientierung. Dies
eröffnet neue, erweiterte Gestaltungspotentiale.
1 Bei der Gestaltung von Organisationen können drei verschiedene Vorgehens-weisen bei der Beschreibung und der Implementierung von zu veränderndenOrganisationszuständen differenziert werden. Die Unterscheidung läßtsich im wesentlichen nach den Merkmalen Initiative, Partizipation undInformation charakterisieren. Die resultierenden Ansätze sind:
- Buttom-up („von unten nach oben“) – Konsensformierung;
- Top-down („von oben nach unten“) – Konsensmobilisierung;
Im Rahmen der Stellenbildung ist damit zu entscheiden, welche
Aktivitäten von welchen Organisationsmitgliedern durchgeführt
werden sollen bzw. welche DV-technische Unterstützung einsetz-
bar ist. Anhand von Parametern wie Anzahl der Bearbeitungs-
schritte, Menge der Vorgänge und Bearbeitungszeit kann die An-
zahl der Stellen sowie die Verteilung der Aktivitäten auf ein-
zelne Stellen vorgenommen werden. Organisatorische Grundregeln
sind durch die strategischen Zielsetzungen, durch Anforde-
rungsprofile vorhandener Mitarbeiter und durch personalpoliti-
sche Gesichtspunkte zu bilden.
Die zielorientierte Steuerung der Arbeitsteilung bildet den
übergeordneten Entscheidungsrahmen. Die Prozeßorganisation un-
terscheidet die Koordination der Prozeßaktivitäten von der Ko-
ordination der Prozesse untereinander. Organisatorische In-
strumente wie Hierarchie, Standardisierung, Stäbe usw. haben
zunächst einmal den prozeßinternen Ablauf zu unterstützen
/36/, /98/.
Aufgrund dieser organisatorischen „bottom-up“ Orientierung im
Prozeßmanagement ergibt sich ein erhebliches Verbesserungspo-
tential, das im Vergleich zur klassischen Vorgehensweise darin
liegt, Stellen in erster Linie nicht nach dem Anforderungspro-
fil einer hierarchisch orientierten Aufgabenteilung zu bilden,
sondern nach einer durch die Wertschöpfungskette vorgegebenen
Prozeßnotwendigkeit /96/. In diesem Sinne hat die konsequente
Prozeßorientierung eine Tendenz zu einer vorgangsbezogenen
Aufbauorganisation.
Die Abbildung 6 zeigt die drei vorgestellten Organisationsan-
sätze mit exponierten Charakteristika im Vergleich /17/, /19/,
/24/, /80/, /97/.
- 42 -
Prozeßorganisationnach Gaitanides
Strategie-getrieben
Neue Aufbau- und neue Ablauf-organisation
Top-down
Streben nach Idealprozessen
Business ProcessReengineering nach
Hammer/Champy
Geschäftsprozeß-optimierung nach Scheer
Effizienz und Effektivität
Neue Ablauf- und neue Aufbau-organisation
Bottom-up
Ausrichtung nach wertschöpfendenProzessen
Effizienz
Unterstützung der Ablauf-organisation
Top-downBottom-up
Reduzierung von Zeit und Kosten
Vorgehens-weise
Motivation
Ziel
Ergebnis
Abbildung 6: Gegenüberstellung von Ansätzen zur Gestaltung von
Prozeßorganisationen
Die drei gegenübergestellten Ansätze repräsentieren die thema-
tische Auseinandersetzung sowie die aktuellen Entwicklungsten-
denzen bei der Gestaltung von Prozeßorganisationen. Weitere
Gestaltungsansätze zur Prozeßorganisation werden innerhalb der
vorliegenden Arbeit nicht betrachtet, da entweder eine Zuord-
nung des zu betrachteten Ansatzes zu einem Ansatz der disku-
tierten Vertreter möglich ist oder der Inhalt des betrachteten
Ansatzes für die Bearbeitung der Aufgabenstellung einen zu ge-
ringen verwertbaren Beitrag bietet.
- 43 -
3.2 Modellbildung von Prozessen
Von besonderer Bedeutung für die Betrachtung von Prozessen ist
die Organisationsmodellierung 1 mit der die aktuelle Situation
im Unternehmen und die zu optimierenden Strukturen formal be-
schrieben werden, exemplarisch ist hier der Ansatz CIMOSA 2 zu
erwähnen /84/, /101/.
Analysiert man die gegenwärtig verfügbaren Techniken zur Be-
schreibung von Organisationen und im speziellen von Prozessen,
so stellt man fest, daß diese entweder nicht geeignet sind,
Organisationen und Prozesse in ihrer gesamten Komplexität ein-
fach und verständlich darzustellen, oder daß die Beschreibun-
gen nicht genügend Fachinhalte (Semantik) besitzen 3 /89/, /64/,
/90/.
3.2.1 Geschäftsprozesse
Die Beschreibung von Geschäftsprozessen orientiert sich an ei-
nem bestehenden Organisationszustand, der sukzessiv durch ge-
eignete Darstellungsmethoden verfeinert wird. Scheer stellt
1 Mit Hilfe der Organisationsmodellierung werden schon bei der Betrachtungder erstellten Prozeßpläne Schwachstellen in Ablauf und mögliche Verbes-serungsmaßnahmen erkennbar /66/.
2 CIMOSA (Computer Integrated Manufacturing Open Systems Architecture) istein Standard zur Unternehmensmodellierung, der aus einer Reihe von euro-päischen Forschungsprojekten von Anwendern, DV-Herstellern und For-schungsinstituten entstanden ist. CIMOSA besteht im wesentlichen ausfolgenden Komponenten: ein systematisches Rahmenwerk für allgemeine Un-ternehmensmodellierung, eine Modellierungsmethode sowie eine Infrastruk-tur mit spezifizierten Diensten zur Ausführung der Modelle. Als herstel-lerunabhängiges Konzept ist CIMOSA in mehrere europäische Vornormen ein-geflossen.
3 Die Beschreibung von Prozessen ist mit mehreren bekannten Modellierungs-methoden möglich. Ausgehend von Funktions- und Ablaufmodellierungen wirdjedoch unter dem Fokus der ganzheitlichen Abbildung von Unternehmen dieProzeßbeschreibung neu formuliert /95/.
- 44 -
mit seinem Ansatz der „Architektur integrierter Informations-
systeme (ARIS)“ eine Modellierungsmethodik bereit, die eine
umfassende Geschäftsprozeßbeschreibung ermöglicht /53/. Wegen
der hohen Komplexität wird das Modell in verschiedenen Sichten
zerlegt. Dadurch besteht die Möglichkeit, einzelne Sichten
durch besondere Methoden zu beschreiben, ohne jeweils die Zu-
sammenhänge zu den anderen Sichten einbeziehen zu müssen. An-
schließend werden die Verbindungen zwischen den Sichten wieder
aufgenommen /2/.
Bei der Festlegung der Sichten muß beachtet werden, daß die
Beziehungen innerhalb der Sicht sehr hoch sind und die Bezie-
hungen zwischen den Sichten relativ einfach und lose gekoppelt
werden. Nur unter dieser Voraussetzung ist eine Zerlegung
sinnvoll. Scheer gibt die vier folgenden Sichten zur Darstel-
lung eines Geschäftsprozesses an:
- Datensicht 1
- Funktionssicht 2
- Organisationssicht 3 und
1 Zustände, wie „Kundenstatus“, und Ereignisse, wie „Rechnung gestellt“,bilden die Datensicht /80/.
2 Die auszuführenden Funktionen sowie ihr Zusammenhang bilden die Funkti-onssicht. Sie beinhalten einmal die Beschreibung der Funktion selbst,die Aufzählung der einzelnen Teilfunktionen, die zu dem Gesamtzusammen-hang gehören sowie die zwischen den Funktionen bestehenden Anordnungsbe-ziehungen /81/.
3 Die Modellelemente Stelle und Organisationseinheit werden wegen ihres en-gen Zusammenhangs zu der Sicht Organisation zusammengefaßt. Stellen sindOrganisationseinheiten zugeordnet. Sie werden nach Kriterien, wie „glei-che Funktion“ oder „gleiches Arbeitsobjekt“ gebildet. Die Struktur unddie Beziehungen von Stellen und Organisationseinheiten wird durch dieseSicht dargestellt /80/.
- 45 -
- Steuerungssicht
Mit der Zerlegung des Geschäftsprozesses in die einzelnen
Sichten wird zwar die Komplexität reduziert, allerdings geht
dabei auch die Beschreibung der Zusammenhänge zwischen den
Sichten verloren. Aus diesem Grunde wird mit der Steuerungs-
sicht die Verbindung zwischen der Daten-, Organisations- und
Funktionssicht hergestellt.
Zweiter Grundgedanke neben dem Zerlegungsprinzip des ARIS-
Ansatzes ist ein Konzept unterschiedlicher Beschreibungsstu-
fen. Informationssysteme können in unterschiedlicher Nähe zur
Informationstechnik beschrieben werden. Die Realisierung be-
triebswirtschaftlicher Tatbestände mit Hilfe der Informations-
technik wird allgemein durch differenzierte Life-Cycle-Modelle
in Form von Stufen- oder Phasenkonzepten beschrieben /15/. Der
Life-Cycle umfaßt dabei den gesamten physischen Lebensablauf
eines Informationssystems 1. Der Life-Cycle hat für ARIS aber
nicht die Bedeutung eines Vorgehensmodells, sondern definiert
unterschiedliche Beschreibungsstufen, die sich nach der Nähe
zur Informationstechnik richten. Dabei wird einer dreistufigen
Gliederung gefolgt.
Die oberste Stufe bildet ein Fachkonzept, das das zu unter-
stützende betriebswirtschaftliche Anwendungskonzept in einem
formalisierten Modell beschreibt, womit ein Ausgangspunkt für
eine konsistente Umsetzung in die Informationstechnik geschaf-
1 Ausgangspunkt der Modellierung des Informationssystems ist die betriebs-wirtschaftliche Problemstellung. Die Beschreibung umfaßt grobe Tatbe-stände, die sehr nahe an den fachlichen Zielsetzungen und der fachlichenModellwelt orientiert sind. Zur Darstellung werden deshalb auch nurhalbformale Beschreibungsmethoden eingesetzt. Sie können aufgrund ihrerfehlenden Detailliertheit und auch des in der Fachwelt spezifischen Vo-kabulars nicht als Ausgangspunkt einer formalisierten Umsetzung für eineImplementierung von Informationssystemen dienen /80/.
- 46 -
fen wird. Auf der Stufe des DV-Konzeptes wird die Begriffswelt
des Fachkonzeptes in die Kategorien der DV-Umsetzung übertra-
gen. So werden z.B. anstelle von Funktionen die ausführenden
Module oder Benutzeroberflächen definiert. Diese Stufe kann
auch als Anpassung der Fachbeschreibung an generelle Schnitt-
stellen der Informationstechnik bezeichnet werden. In der un-
tersten Stufe, der technischen Implementierung, wird das DV-
Konzept auf konkrete hardware- und softwaretechnische Kompo-
Nach Vossen und Becker besteht durch die EPK in der ARIS-
Architektur erstmals die Möglichkeit, Unternehmen bzw. Anwen-
dungssysteme auf der fachlichen Ebene abgeschlossen objektori-
entiert zu beschreiben, ohne hierbei auf die Aspekte der Auf-
bau- und Ablauforganisation zu verzichten. Durch die Einbezie-
hung objektorientierter Konstrukte können die Vorteile einer
objektorientierten Modellierung (Wiederverwendbarkeit und Mo-
dularität der Ergebnisse) auch auf betriebswirtschaftliche
Fragestellungen übertragen werden /95/.
Das ARIS-Konzept beinhaltet unterschiedliche Modellierungsme-
thoden, die für die Beschreibung von integrierenden Informati-
onssystemen in Unternehmen einen erheblichen Beitrag leisten.
Der Ansatz der objektorientierten Modellierung mit der Inte-
gration von organisatorischen Aspekten ist sinnvoll und ist
durch die vorliegende Arbeit weiter zu entwickeln. Die unter-
schiedlichen Sichten und Stufen mit den zugehörigen Beschrei-
bungsmethoden sowie die ARIS-Zielsetzung ist bei der Betrach-
tung der Abgeschlossenheit von Prozessen nur partiell brauch-
bar, da der Umfang an Regelungen und Konventionen für ein Mo-
- 49 -
dell1 den formulierten Anforderungen für eine einfache Prozeß-
beschreibung nicht entspricht. Die explizite Unterstützung ei-
ner partizipativen Vorgehensweise bei der Herstellung von ab-
geschlossenen Prozessen ist ebenfalls nicht im ARIS-Ansatz
enthalten 2.
3.2.2 Prozeßketten
Zur Entwicklung und Modellierung der Unternehmensprozesse eig-
net sich die Beschreibungsmethode der Prozeßketten /52/ . Unter
Prozeßketten ist die Darstellung von betriebswirtschaftlichen,
administrativen oder planenden Aufgaben durch die logische
Reihenfolge ihrer Aktivitäten und der dabei benötigten Infor-
mationen (Inputs und Outputs) zu verstehen. Die folgende Ab-
bildung zeigt ein Beispiel einer Prozeßkette.
1 Um eine Prozeßmodellierung erfolgreich einsetzen zu können, sind umfang-reiche Konventionen festzulegen. Zum einen sind es die Modellkonventio-nen, die die zu verwendeten Modellobjekte mit den Ausprägungen defi-niert, zum anderen Darstellungskonventionen. Siehe auch weitere Ausfüh-rungen von Vossen /95/, /80/.
2 Der Schwerpunkt bei der Modellbeschreibung liegt auf der Ebene der Fach-konzepte. Diese werden aus sogenannten Referenzmodellen gebildet undggf. in einer Top-down Vorgehensweise den Organisationsspezifika ange-paßt /80/.
- 50 -
Steuerinformation
Auftrag verwalten
Entwickeln Fertigen Versenden
Produkte,Unterlagen
LieferscheinFertigungs-unterlagen
Lasten-heft
Kundenauftrag
Nichtereignisspezifische Information
Produkteentwerfen
Detailsentwickeln
Stücklistenverwalten
Fertigungs-unterlagen
Konstruktions-unterlagen
EntwurfPflichten-heft
Lasten-heft
Detaillierung der Funktion
„Entwickeln“
AngebotKundenhistorie
Referenzaufträge
Produktespezifizieren
Abbildung 9: Top-down Modellierung einer Prozeßkette mit De-
taillierung einer Funktion
Die Entwicklung einer Prozeßkette ist ein Top-down Vorgang,
der die Konsistenz aller für das Unternehmen definierten Pro-
zeßketten mit ihren Funktionen sowie Informationen garantiert
und der auch nach Bedarf verfeinert werden kann. Die verknüp-
fenden Informationen gemäß der oben stehenden Abbildung sind
Ereignisse in Form von Steuerinformationen, nach deren Eintre-
ten erst die nachfolgenden Aktivitäten respektive Funktionen
gestartet werden können; selbstverständlich können dafür auch
mehrere Ereignisse erforderlich sein. Zusätzlich zu den Steue-
rinformationen steht für die Funktionsbearbeitung eine Viel-
zahl von nicht-ereignisspezifischen Informationen zur Verfü-
gung, die zum Beispiel als Stammdaten oder Normen gespeichert
sind.
Die Beschreibung der Unternehmensprozesse mit der Methode der
Prozeßkette stellt ein einfaches und leistungsfähiges Instru-
ment dar. Bei der Detaillierung der Prozesse wird eine isolie-
rende Betrachtungsweise unterstützt, d.h., eine Korrelation zu
anderen detaillierten Prozessen wird explizit vernachlässigt.
Die Anpassung an die zu entwickelnde Organisationsstrukur, die
- 51 -
die detaillierten Prozesse operationalisiert, erfordert somit
andere, zusätzliche Beschreibungsmethoden, die eine Einbindung
der Organisation in die entwickelten Prozeßketten unterstüt-
zen. Für die Betrachtung der Prozeßabgeschlossenheit ist damit
die Beschreibungsmethode der Prozeßkette nur teilweise geeig-
net.
3.2.3 Prozeßstrukturen
Die Darstellung von Prozeßstrukturen, die eine Detaillierung
und Aggregation der Prozesse mit ihren Interdependenzen zulas-
sen, basiert auf Grundlagen der Prozeßdefinition des Kapitel
2.1.2. Jeder Prozeß ist demnach durch die Faktoren Input–
Transformation–Output zu beschreiben. Diese Betrachtungsweise
ist unabhängig vom Prozeßdetaillierungsgrad, d.h., sie ist
sowohl für einzelne Arbeitsschritte als auch für komplette
Arbeitsabläufe anwendbar.
Jeder dieser Arbeitsschritte bzw. Teilprozesse sowie der Ge-
samtprozeß benötigen einen Input, der in einem vordefinierten
Ablauf zu dem gewünschten Output transformiert wird. Der Un-
terschied zwischen den verschiedenen Aggregationsstufen be-
steht lediglich in der Anzahl der zusammengefaßten Arbeits-
schritte und mithin in der Anzahl der betrachteten Einzeler-
gebnisse, deren Summe letztlich das Gesamtergebnis des be-
trachteten Prozeßsegmentes oder Prozesses ausmacht. Die Glie-
derung in Teilprozesse sowie die Darstellung der Abläufe auf
verschiedenen Aggregationsstufen ist gleichbedeutend mit der
Einführung von Prozeßebenen. Aus der Summe aller Prozeßebenen
resultiert die Prozeßstruktur. Unter einer Prozeßstruktur ist
somit die hierarchische Darstellung aller im Prozeß vorkommen-
den Aktivitäten zu verstehen. Jede Prozeßebene besitzt ihren
eigenen spezifischen Detaillierungsgrad /19/.
Prinzipiell sind zwei Darstellungsarten für die Abbildung von
Prozessen möglich: die vertikale und die horizontale Darstel-
lung. Die vertikale Darstellung ist in der Regel bereichs-
- 52 -
bzw. abteilungsorientiert, d.h., die durchzuführenden Prozesse
oder Teilprozesse werden aus rein funktionaler Sicht 1 den ver-
schiedenen Prozeßebenen zugeordnet. Diese Vorgehensweise hat
den Nachteil, daß Schnittstellen und Abhängigkeiten zu anderen
Bereichen nur unzureichend wiedergegeben werden. Dieses gilt
insbesondere, wenn Aufbau- und Prozeßorganisation nicht über-
einstimmen. Mögliche Ablaufverbesserungen sind daher fast aus-
schließlich auf bereichsspezifische Aspekte reduziert. Funkti-
onsübergreifende Gesichtspunkte sind kaum identifizierbar. Da-
her bleibt das Risiko der funktionalen Suboptimierung erhal-
ten. Darüber hinaus ist bei der vertikalen Darstellung der De-
taillierungsgrad der festgelegten Prozeßebenen mit den Prozeß-
ebenen anderer Unternehmensbereiche häufig nicht identisch, da
in der Regel bereichsübergreifende Dokumentationsmethodik ein-
zuhalten ist. Die erforderliche Prozeßstrukturtransparenz ist
infolgedessen mit der vertikalen Prozeßdarstellung nur schwer
oder nicht zu erreichen.
Im Unterschied zu der vertikalen Prozeßdarstellung steht bei
der horizontalen Darstellung nicht der Bereich, sondern der
Prozeßablauf im Vordergrund. Kennzeichen dieser Darstellungs-
form ist, daß auf jeder Prozeßebene komplette Abläufe, d.h. in
sich abgeschlossene Prozeßeinheiten abgebildet werden und zwar
unabhängig davon, wie viele Bereiche an der Leistungserstel-
lung beteiligt sind. Folglich spiegelt diese Darstellung so-
wohl prozessuale als auch organisatorische Schnittstellen wi-
der. Bereichs- bzw. abteilungsübergreifende Ablaufprobleme
sind somit leichter identifizierbar und die Gefahr der Subop-
timierung ist deutlich geringer als bei der vertikalen Prozeß-
darstellung.
1 Die funktionale Sicht wird durch den Funktionsbegriff näher determiniert.Eine Funktion wird als eine sachorientierte, personunabhängige Tätigkeitgesehen, die einer Organisationseinheit zuordbar ist /94/.
- 53 -
Die Festlegung von Prozeßverantwortlichkeiten ist nur bei der
vertikalen Prozeßdarstellung explizit möglich. Die Zuordnung
der einzelnen Arbeitsschritte zu den beteiligten Funktionen
zeigt, wann bzw. welche Funktion an der Leistungserstellung
beteiligt ist. In Anlehnung an die Prozeßstruktur ist nun eine
Verantwortungszuordnung nach prozessualen Aspekten möglich,
siehe Abbildung 10. Die organisatorischen Schnittstellen zwi-
schen Aufbau- und Prozeßorganisation lassen sich mit der Be-
schreibungsmethode der Prozeßstruktur identifizieren.
Kernprozeß
Prozeß 1 Prozeß 2 Prozeß 3 Prozeß 4 Prozeß 5
Teilprozeß4.2
Teilprozeß4.3
Prozeßebene
1
2
3
Teilprozeß4.1
Teilprozeß1.1
Teilprozeß1.2
OE A OE B OE A OE A OE B
Abbildung 10: Prozeßstruktur mit Zuordnung von Verantwortung
in Form von zuständigen Organisationseinheiten (OE)
auf der dritten Prozeßebene /19/
Die vertikale Darstellung der Prozeßstruktur ermöglicht eine
Die Verknüpfung der Prozesse mit Organisationseinheiten stellt
eine Option dar, die ein Ausweisen der Interdependenzen zwi-
schen den Prozessen unterstützt. Die Betrachtung von Prozeß-
ketten auf einer ausgewählten Prozeßdetaillierung, die durch
Input- und Outputgrößen der Prozesse formuliert werden, wird
- 54 -
nicht explizit unterstützt. Die dadurch fehlende Einbeziehung
des Informationsflusses unterschlägt einen wichtigen Betrach-
tungsaspekt der Prozeßabgeschlossenheit.
Die Beschreibungsmethoden der Prozeßstruktur bzw. der Prozeß-
kette und des Geschäftsprozesses sind weiter zu entwickeln, um
die definierten Anforderungen an eine Prozeßbeschreibung zu
erfüllen. Die Erweiterung der diskutierten Modellierungen mit
einer expliziten Betrachtung von Verantwortung und Informati-
onsfluß stellt einen geeigneten Modellansatz zur Untersuchung
der Abgeschlossenheit von Prozessen dar.
3.3 Beschreibung der Verantwortung in Prozessen
Die Beschreibung der Verantwortung ist in Prozessen differen-
ziert zu betrachten. Der Verantwortungsbegriff, der in Kapitel
2.1.2 eingeführt worden ist, fokussiert die Verantwortung auf
ein Verantwortungsobjekt.
Die Kopplung von Verantwortungsobjekten mit Prozessen und In-
formationsflüssen innerhalb einer durchgängigen Beschreibung
wird von Haurat verfolgt /29/. Das von Haurat entwickelte
Olympios Modell 1 basiert auf der Beschreibung des Informations-
austausches von Lieferanten und Benutzern, die miteinander in
Beziehung stehen. Die Elemente Lieferant und Benutzer reprä-
sentieren die Verantwortung für ihre ausführenden Prozesse.
Sie werden im Sinne des eingeführten Verantwortungsbegriffes
durch Verantwortungsobjekte, wie z.B. Stellen mit zugeordneten
Aufgaben oder Stelleninhabern mit selbst wahrgenommenen Akti-
1 Das Olympios Modell repräsentiert mit seiner ganzheitlichen Betrachtungden bisher umfassendsten Ansatz zur Untersuchung der Korrelation vonVerantwortung und Prozeß.
- 55 -
vitäten, dargestellt. Der Grundbaustein des Olympios Modell
bildet daher das Lieferanten-Benutzer-Modell (LBM) /28/.
Dabei verfolgt der Benutzer ein Ziel, welches er durch Beauf-
tragung des Lieferanten zu erreichen versucht. Das Ziel be-
schreibt das Produkt und den Termin, an dem es verfügbar sein
muß. Der Benutzer teilt sein Ziel dem Lieferanten durch einen
Auftrag mit, welcher unter Verwendung von Ressourcen das ge-
wünschte Produkt erstellt. Dem Lieferant wird als aktives,
ausführendes Modellelement eine Aktivität zugeordnet. Die Ak-
tivität, die durch die Ressource- und Produktzuordnung eine
Input-Output-Transformation repräsentiert, kann als Prozeß in-
terpretiert werden. Der Benutzer erhält durch sein beauftrag-
tes Produkt einen Input, welches für ihn als Ressource gekenn-
zeichnet wird. Die Transformation von Produkt zu Ressource aus
Benutzersicht stellt damit die Option zur Prozeßverkettung
dar, die durch die beiden Sichtweisen von Lieferant und Benut-
zer eine konsistente Prozeßverkettung ermöglicht. Die
Abbildung 11 beschreibt ein Lieferanten-Benutzer-Modell (LBM).
- 56 -
Lieferant
Ressourcen
Aktivität
Auftrag
Produktund Termin
Ziel
Benutzer
: Symbol Verantwortungsobjekt
: Symbol Aktivität
: Symbol Zuordnung mit Ausprägung
: Fläche beinhaltet Elemente eines Prozesses
Legende
Abbildung 11: Auszug aus dem Lieferanten-Benutzer-Modell (LBM)
nach Haurat mit Kennzeichnung von Prozeßelementen
/28/
Die Modellelemente Lieferant und Benutzer stellen Verantwor-
tungsobjekte dar, die durch die ausgetauschten Input- und Out-
putgrößen miteinander verknüpft sind. Die Zuordnung der Akti-
vität zur Verantwortung als transformierendes Element zeigt
den prozeßbezogenen Charakter des Modells auf. Das Olympios
Modell gibt damit wichtige Hinweise zur Beschreibung der Ver-
antwortung. Die Kopplung der Verantwortungsobjekte an die Mo-
dellelemente Benutzer und Lieferant zeigt die Notwendigkeit
der Nutzung eines äquivalenten Modellelements bei der Abbil-
dung von abgeschlossenen Prozessen auf.
Vernachlässigt wird im Olympios Modell die Möglichkeit, ver-
schiedene Modelldetaillierungen zu erzeugen. Beispielsweise
ist die Bindung der Verantwortungsobjekte an eine Organisati-
onssicht vorgegeben, die bei einer konsistenten Modellierung
nicht geändert werden darf. Die Hierarchisierung von Aktivitä-
- 57 -
ten bzw. Prozessen ist damit explizit nicht möglich und somit
kann der Anforderung an eine Prozeßabbildung mit unterschied-
lichen Prozeßdetaillierungen nicht entsprochen werden.
3.4 Prozeßbezogene Betrachtung von Informationsflüssen
Die Betrachtung des Informationsflusses kann im engeren Sinne
als ein Austausch von Information gesehen werden. Die Untersu-
chung von betrieblichen Prozessen erfordert aber eine erwei-
terte Begriffsdiskussion des Informationsflusses, da eine ein-
deutige Korrelation zwischen Prozeß und Informationsfluß for-
mulierbar sein muß /55/. Der Informationsfluß wird daher im
weiteren Sinne als ein Teil der betrieblichen Kommunikation in
und zwischen Prozessen 1 verstanden, um die organisatorischen
Aspekte bei dem Austausch von Informationen mit zu berücksich-
tigen.
Die Kommunikation umfaßt alle Ausprägungen eines Informations-
austausches /57/. Beispielhaft ist die wichtige Differenzie-
rung von fehlerfreien und gestörten Informationsflüssen zu
nennen. Bei der Modellierung von betrieblichen Prozessen ist
eine Ausweisung von fehlerfreien und gestörten Informations-
flüssen erforderlich, um die Vollständigkeit der Abbildung be-
werten zu können /61/.
Störungen in der Kommunikation sind u.a. als organisatorische
Unzulänglichkeiten identifizierbar. Die Störungen in der Kom-
munikation korrelieren mit der Abgeschlossenheit von Prozes-
sen, siehe auch Kapitel 2.2.1. Die Beschreibung der notwendi-
gen Kommunikation für einen Prozeß darf somit nicht nur aus
1 Ein Prozeß ist durch die erarbeitete Definition aus dem Kapitel 2.1.1 be-schrieben.
- 58 -
technischer Sicht gesehen werden, sondern muß auch die anderen
Ausprägungen von Kommunikation mit berücksichtigen.
Die im folgenden dargestellten Ansätze geben einen Überblick
zum Stand der Technik. Die zu diskutierenden Ansätze verfolgen
alle das Ziel, die hemmenden Faktoren der Kommunikation bei
einer arbeitsteiligen Aufgabenerfüllung von Organisationsein-
heiten in einem Prozeß zu eliminieren /86/, /83/. Die hemmen-
den Faktoren, die als Kommunikationsstörungen gekennzeichnet
sind, senken die Effizienz in Prozessen /102/.
Die wissenschaftliche Erforschung der Gegenstände und der
Funktionsweisen von Kommunikationsvorgängen wird als Semiotik
bezeichnet. Die Semiotik wird in drei Untersuchungsebenen der
Kommunikation unterteilt: in die Syntaktik, die Semantik und
die Pragmatik /73/. Die Ursachen für auftretende Störungen auf
den Kommunikationsebenen wurden von v. Weizsäcker untersucht
/100/ und bilden die Grundlage für viele Ansätze zur Analyse
der Kommunikation. Die Semiotik befaßt sich auf allen drei
Ebenen der Kommunikation mit Zeichen, deren Beziehungen und
Wirkungen.
Die Syntaktik wird als die Analyse von Zeichen und deren Be-
ziehungen, die Semantik als Analyse dieser Beziehungen und ih-
rer Bedeutung sowie die Pragmatik als die Analyse der Wirkun-
gen von Zeichen auf ihre Benutzer bzw. Empfänger verstanden.
Die pragmatische Ebene ist die umfassendste Stufe der Analyse
und bildet damit einen wesentlichen Anhaltspunkt zur Beschrei-
bung unterschiedlicher Modelle der Verständigung. Begriffe,
wie Daten, Zeichen, Nachricht und Information, werden durch
die skizzierten Ebenen voneinander abgegrenzt und ihr Stellen-
wert in Kommunikationsvorgängen wird damit verdeutlicht. Mit
dieser Ebenenbetrachtung lassen sich Nachrichten und Informa-
tionen von Daten und Zeichnen unterscheiden, wobei ein wesent-
licher Unterschied in ihrem unterschiedlichen Kontext- und
Zweckbezug liegt. Daten, Zeichen, Nachrichten und Informatio-
nen sind damit wichtige Elemente zur Beurteilung der Informa-
- 59 -
tionsübertragung. Die Abbildung 12 zeigt die verschiedenen
Analyseebenen eines Kommunikationsvorgangs.
Pragmatische Ebene
Semantische Ebene
Syntaktische Ebene
EMPFÄNGER
SENDER
Kommunikationsvorgang
Übertragung von (physikalischen)Zeichen
Übertragung von Zeichen +Bedeutung der Zeichen
Übertragung von Zeichen +Bedeutung + Absicht des Senders
Nachrichten und Informationen
Daten
Wirkung
Abbildung 12: Semiotische Gliederung der Kommunikation in drei
Ebenen /72/
Auf der syntaktischen Ebene stellen Daten bzw. physikalischen
Zeichen das Betrachtungsobjekt dar, ohne das über sie Aussagen
über die Bedeutungen gemacht werden /7/. Ihre Aufgabe besteht
lediglich darin, Probleme der richtigen und vollständigen
Übertragung zu beschreiben oder die Zusammensetzung von Zei-
chenkombinationen zu analysieren.
Das nachrichtentechnische Kommunikationsmodell von Shannon und
Weaver untersucht die syntaktische Ebene eines Kommunikations-
vorgangs /87/. Das Modell beleuchtet vor allem die vergleichs-
weise eindeutig beschreibbaren und großteils mathematisch-
statistisch erfaßbaren Kategorien, wie Zeichen, Sender, Emp-
fänger, Kapazitäten. Es wird der Weg einer Nachricht von einem
Sender über einen Übertragungskanal hin zu einem Empfänger
nachgezeichnet. Aus einer Quelle werden bestimmte Zeichenkom-
binationen erzeugt, die im Sender in Übertragungssignale umge-
- 60 -
wandelt und über einen Übertragungskanal an einen Empfänger
weitergeleitet werden.
Das nachrichtentechnische Kommunikationsmodell ist besonders
dafür geeignet, Störungen zu analysieren, die im Wege der
Übertragung auftreten können. Voraussetzung für einen erfolg-
reichen Kommunikationsvorgang ist jedoch die syntaktische
Richtigkeit einer Nachrichtenübertragung. Die nachrichtentech-
nische Modellierung dieses Vorgangs ist dabei eine wichtige
Grundlage. Das Modell kann für die Analyse von Verständigungs-
zusammenhängen lediglich als Ausgangspunkt dienen, da Sender
und Empfänger im Kommunikationsvorgang nur formal und als sta-
tische Objekte betrachtet werden.
Die semantische Ebene beschreibt die Beziehungen zwischen Zei-
chen und der Bedeutung, die ihre Verwender ihnen zuschreiben.
Sofern Sender und Empfänger den übertragenen Zeichen dieselbe
Bedeutung zuordnen, wird von einer Nachricht gesprochen. Die
Wirkungsweise von Nachrichten wird auf der pragmatischen Ebene
betrachtet. Durch die Verknüpfung der Bedeutung der Zeichen
und den Handlungsfolgen und Wirkungen beim Empfänger entsteht
aus einer Nachricht eine Information. Information kann also
als zweckorientiertes Wissen interpretiert werden.
Die Axiome von Watzlawick, Beavin und Jackson dienen der Be-
schreibung der pragmatischen Wirkungsweisen von Kommunikation
/99/. Ihre Überlegungen machen auf eine Reihe wichtiger Kommu-
nikationsaspekte aufmerksam, die großen Einfluß auf interper-
sonelle Kommunikationsbeziehungen besitzen. Die Forscher be-
schreiben verschiedene allgemeine Grundeigenschaften menschli-
cher Kommunikationsweisen und leiten daraus fünf Axiome ab.
- 61 -
- Das erste Axiom besagt, daß man nicht nicht kommunizieren
kann 1.
- Im zweiten Axiom wird davon ausgegangen, daß jede Kommunika-
tion einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt besitzt 2.
- Das dritte Axiom bezieht sich darauf, daß Beziehungen zwi-
schen Kommunikationspartnern durch die Art der Interpunktion
von Kommunikationsabläufen geprägt sind 3.
- Im vierten Axiom wird zwischen digitaler und analoger Kommu-
nikation unterschieden 4.
1 Dies bedeutet, Handeln oder Nichthandeln, Worte oder Schweigen haben alleMitteilungscharakter: Sie beeinflussen andere, und die können ihrerseitsnicht nicht auf diese Kommunikation reagieren und kommunizieren damitselbst.
2 Eine Mitteilung enthält in erster Linie zwar Informationen, aber als wei-teren Aspekt enthält sie auch einen Hinweis darauf, wie ihr Sender sievom Empfänger verstanden haben möchte. Der Beziehungsaspekt bestimmt so-mit den Inhaltsaspekt einer Kommunikation und ist daher eine Metakommu-nikation.
3 Dem unvoreingenommenen Beobachter erscheint eine Folge von Kommunikatio-nen als ein ununterbrochener Austausch von Mitteilungen. Jeder Teilneh-mer an dieser Interaktion muß ihr jedoch unvermeidlich eine Struktur zu-grunde legen, die als „Interpunktion von Ereignisfolgen“ bezeichnetwird. Dabei wird von wechselseitigen Verhaltensketten ausgegangen, indemeine Person durch bestimmtes Verhalten einen Reiz auslöst, ein bestimm-tes Verhalten einer anderen Person folgt und diesem wiederum ein be-stimmtes Verhalten der erst genannten Person folgt usw.. Zusammenfassendwird formuliert, daß die Natur einer Beziehung durch die Interpunktionder Kommunikationsabläufe seitens der Partner bedingt ist.
4 Diese sind zwei grundsätzlich verschiedene Weisen, in denen Objekte dar-gestellt und damit zum Gegenstand von Kommunikation werden können. Sielassen sich entweder durch eine Analogie ausdrücken oder durch einen Na-men. Namen sind Worte, deren Beziehung zu dem damit ausgedrückten Gegen-stand eine rein zufällige oder willkürliche ist. In der analogen Kommu-nikation findet man etwas besonderes Dingartiges in dem zu Kennzeichnungdes Dings verwendeten Ausdrucks (z.B. Zeichensprache).
- 62 -
- Das fünfte Axiom unterscheidet Kommunikationsbeziehungen in
symmetrische und komplementäre Beziehungen 1.
Die Beschreibung von Störungen bei der Kommunikation innerhalb
der drei aufgezeigten Ebenen Syntaktik, Semantik und Pragmatik
stellt damit die Grundlage für die Betrachtung der betriebli-
chen Informationsflüsse bei der Herstellung der Prozeßabge-
schlossenheit dar. Dabei muß bei der Analyse der Ebenen zwi-
schen Abbildungsaufwand und Abbildungsnutzen differenziert
werden. Die alleinige Beschreibung der syntaktischen Ebene 2,
die der Modellierung der technischen Informationsübertragung
nach Shannon und Weaver entspricht, erfüllt nicht die gestell-
ten Abbildungsanforderung an einen betrieblichen Informations-
fluß. Die Betrachtung von semantischen Inhalten bei der Kommu-
nikation ist für eine Herstellung der Prozeßabgeschlossenheit
erforderlich, da nur so sichergestellt werden kann, daß ein
Informationsfluß zwischen zwei Verantwortungen unabhängig von-
einander inhaltlich bestätigt werden kann. Die Pragmatik ist
aufgrund der schweren Modellierbarkeit aus der heutigen Sicht
nicht geeignet zur Ausweisung von gestörten, betrieblichen In-
formationsflüssen und kann damit keinen Beitrag zur vorliegen-
den Arbeit leisten /88/.
1 Bei einer auf Gleichheit beruhenden Beziehung ist das Verhalten der bei-den Partner sozusagen spiegelbildlich und ihre Interaktion daher symme-trisch. Im zweiten Fall ergänzt das Verhalten des einen Partners das desanderen, wodurch sich eine grundsätzlich andere Art von verhaltensmäßi-ger Gestalt ergibt, die komplementär ist. Symmetrische Beziehungenzeichnen sich also durch Streben nach Gleichheit und Verminderung vonUnterschieden zwischen den Partnern aus, während komplementäre Interak-tionen auf sich gegenseitig ergänzenden Unterschiedlichkeiten basieren.
2 Die diskutierten Beschreibungsmethoden Geschäftsprozeß und Prozeßkettebeziehen sich alle auf die syntaktische Ebene. Die Nutzung von Begriffs-synonymen oder Glossaren zur Beschreibung von semantischen Inhalten derKommunikation wird explizit in keinem der dargestellten Ansätze berück-sichtigt.
- 63 -
3.5 Ansätze zum Abgleich von Verantwortung und Information
in betrieblichen Prozessen
Eine umfassende Betrachtung der Prozeßabgeschlossenheit im
Sinne der Anforderungen findet sich in existierenden Ansätzen
nicht wieder /75/, /70/. Speziell die Betrachtung von Informa-
tionsflüssen und Verantwortung wird bei der Gestaltung von be-
trieblichen Prozessen noch nicht berücksichtigt /68/, /76/. Es
besteht aber die Notwendigkeit zu einer erweiterten Prozeßun-
tersuchung, um Optimierungsmöglichkeiten der Prozeßorganisati-
on zu identifizieren und zu bewerten. Vorteile bei der Prozeß-
betrachtung ergeben sich damit durch das Aufzeigen von neuen
Optimierungspotentialen sowie deren Erschließung.
Vossbein formuliert für die Prozeßbetrachtung, daß diese dem
Zweck dient, eine Komplexitätsreduktion vorzunehmen, um durch
den Zerlegungsvorgang den gesamten Prozeß in seine Bestandtei-
le transparent zu machen. Damit ist eine Untersuchung der Pro-
zeßzusammenhänge möglich, die auf eine Verbesserung des Ablau-
fes durch Neugestaltung zielt 1.
In der vorgeschlagenen Prozeßbetrachtung, die durch das Zerle-
gungsprinzip erweitert werden kann, werden die folgenden ver-
schiedene Analysearten für eine Optimierung respektive Neuge-
staltung unterschieden /4/:
- Die Sachanalyse unterscheidet nach Objekten, Verrichtungen
und Ergebnis.
- Die Formalanalyse gliedert nach Planen, Entscheiden, Kon-
trollieren und betrachtet damit die Handlungsdimensionen.
1 Hervorzuheben bei dieser Definition ist der Aspekt der Neugestaltung undnicht einer Ablaufoptimierung durch technische Unterstützung /94/.
- 64 -
- Die Phasenanalyse zergliedert den Prozeß in die Zeitfolgen
und führt zu einer zeitlichen Betrachtung von Teilprozessen.
- Die Beziehungsanalyse untersucht die Abhängigkeit von Teil-
prozessen im Sinne einer technologischen oder logischen
Zwangsläufigkeit.
Die Zergliederung der Prozeßbetrachtung erleichtert im ersten
Schritt die Analyse, ist aber dann bei der Synthese der Ergeb-
nisse, die durch diesen Ansatz eine hohe Anzahl von Interde-
pendenzen aufweisen, schwieriger durchzuführen 1. Eines der
Hauptschwierigkeiten der Prozeßanalyse ist daher die Frage,
bis zu welcher Tiefe eine solche Analyse durchzuführen ist
/94/. Die Anforderungen an die Kalibrierung und Verifikation
steigen bei umfangreichen Prozeßbetrachtungen und werden bei
der Nutzung des Zergliederungsprinzips nur mit großen Aufwand
erfüllt. Die damit entstehende Abhängigkeit zu dem Umfang ei-
ner Prozeßbetrachtung schließt die Verwendung des Zergliede-
rungsprinzips für die vorliegende Arbeit aus.
Die Betrachtung von Prozessen zur Herstellung der Abgeschlos-
senheit erfordert Abbildungs- und Betrachtungsmethoden, die in
der Zusammensetzung noch nicht existent sind. Bei der Betrach-
tung von Prozessen geben die Ansätze von Scheer, Hammer/Champy
und Gaitanides wertvolle Hinweise, vernachlässigen aber die
explizite Einbindung der Verantwortung. Haurat zeigt mit dem
Beschreibungsansatz des Olympios Modells eine Möglichkeit zur
Formulierung von Verantwortungselementen in Prozessen auf. Das
Olympios Modell nutzt für den konsistenten Modellaufbau aus-
schließlich nur eine Modelldetaillierung und entspricht damit
1 Bei der beschriebenen Prozeßbetrachtung kann nach Grobanalyse und Fein-analyse differenziert werden. Die beiden Analysestufen bieten damit fürdie Prozeßbetrachtung eine Option zur Detaillierung.
- 65 -
nicht den Anforderungen unterschiedlicher Prozeßdetaillierun-
gen. Die Betrachtung der Kommunikation durch die drei Analyse-
ebenen der Semiotik zeigt die Notwendigkeit der Untersuchung
von syntaktischen und semantischen Informationsübertragungen
bei der Prozeßabbildung auf. Die Abbildung der syntaktischen
Kommunikation in Form des technischen Informationsflusses ist
für eine verifizierbare Prozeßbeschreibung nicht ausreichend.
Die bestätigte und prüfbare Informationsübertragung ist nur
mit Einbezug von semantischen Inhalten der Kommunikation for-
mulierbar. Die Beschreibung des Informationsflusses muß damit
die beiden Aspekte Syntax und Semantik beinhalten.
Zusammenfassend sei festgestellt, daß keiner der diskutierten
Ansätze die Problemstellung der vorliegenden Arbeit löst. Die
Betrachtung der Prozeßabgeschlossenheit im angestrebten Sinne
muß durch eine geeignete Modellierung der betrieblichen Pro-
zesse erfolgen. Die anschließende Bewertung der Prozesse ist
notwendig, um die Voraussetzungen für eine Herstellung der Ab-
geschlossenheit von betrieblichen Prozessen zu schaffen.
- 66 -
4 Zielsetzung der Arbeit
Die Arbeit zielt auf die Entwicklung einer Methode zur Her-
stellung der Abgeschlossenheit betrieblicher Prozesse durch
einen Abgleich von Verantwortung und Informationsfluß. Hierfür
ist es notwendig, eine Prozeßbeschreibung und Vorgehensweise
zu entwickeln, die eine bestehende Organisation abbildet und
basierend auf deren Beschreibung, den Abgleich von Verantwor-
tungen und Informationsflüssen zu Prozessen ermöglicht. Fol-
gende Schritte werden dafür ausgeführt:
- Erarbeitung einer Beschreibung, die Prozesse, Verantwortun-
gen und Informationsflüsse in einem Modell abbildet.
- Entwickeln einer partizipativen Aufnahmemethode, die beste-
hende und neue Modellinhalte evolutionär 1 und rekursiv 2 in
die erarbeitete Beschreibung zu einem Modell überführt.
- Untersuchung der Abgeschlossenheit von Prozessen durch Be-
trachtung der Verantwortungen und Informationsflüsse. Aus-
weisen von nicht abgeschlossenen Prozessen und Ermittlung
eines Abgeschlossenheitsgrades.
- Entwicklung einer Vorgehensweise zur Herstellung der Abge-
schlossenheit von Prozessen.
Die Beschreibung und die Herstellung der Prozeßabgeschlossen-
heit wird am Ende der Arbeit exemplarisch an einem Prozeß der
Auftragsabwicklung eines mehrstufigen Einzelfertigers vali-
diert.
1 Unter evolutionär wird ein Aufnahmeverhalten verstanden, das Modellinhal-te, die von unterschiedlichen Modellierern formuliert sind, an jeder be-liebigen Stelle eines Modells anknüpfen läßt.
2 Unter rekursiv wird die Modelleigenschaft verstanden, Inhalte in einemModell eindeutig durch die Verwendung von Modellsichten hierarchisch zugliedern, um somit eine konsistente Detaillierung sicher zu stellen.
- 67 -
5 Beschreibungsmodell für betriebliche Prozesse
In der Diskussion über Modellierungsmethoden für Prozesse sind
Defizite bei der Erhebung wie auch bei einer realitätsnahen
Abbildung feststellbar /80/. Die eingesetzten Verfahren besit-
zen insbesondere Schwachstellen bei dem Einbinden von Mitar-
beiterwissen und bei einer ganzheitlichen Beschreibung von
Prozessen /20/, /16/. Die zu entwickelnde Methode zur Model-
lierung von betrieblichen Prozessen orientiert sich an den An-
forderungen, die die Defizite aus dem Stand der Technik auflö-
sen.
Die Modellierungsmethode untersucht betriebliche Prozesse und
beschreibt den Zustand einer Organisation in Form eines Pro-
zeßmodells. Die Methode läßt sich durch eine zirkuläre Vorge-
hensweise darstellen. Die Inhalte der Vorgehensweise sind:
- Partizipativer und evolutionärer Modellaufbau auf einer Ele-
mentar-Sicht (Sicht 1. Ordnung) und
- Aggregation der Modellinhalte durch übergeordnete Sichten
(Sichten n+1-ten Ordnung) 1
Der partizipative und evolutionäre Modellaufbau zur Beschrei-
bung des Zustandes von betrieblichen Prozessen erfolgt durch
die Stelle respektive durch den Stelleninhaber. Die Stelle re-
präsentiert die kleinste Organisationseinheit eines Prozesses
und ist somit für eine realitätsnahe Abbildung der Mitarbei-
terprozesse, -verantwortung und -kommunikation geeignet.
1 Die Variable n ist Element der Menge der ganzzahligen, positiven Zahlen.Sie kennzeichnet die Ordnungsnummer der betrachteten Sicht.
- 68 -
Die Aggregation der Modellinhalte in Form einer Modellhierar-
chisierung erfolgt durch Experten1, die durch eine eindeutige
Zuordnung der Modellelemente der Elementar-Sicht zu Modellele-
menten der n+1-ten Ordnung eine oder mehrere übergeordnete Mo-
dellsichten formulieren. Der Anforderung einer ganzheitlichen
Betrachtung von Prozessen wird damit entsprochen, da durch die
unterschiedlichen Modellsichten der betriebliche Prozeß
detailliert sowie konsistent zusammengefaßt werden kann.
5.1 Grundlagen zur Modellbildung
Der Aufbau respektive die Verknüpfung der Modellinhalte ist
zweckmäßig durch eine geringe Anzahl von Modellregeln zu ge-
stalten, um einen einfachen und offenen Zugang zu dem Modell
für die Modellierer 2 zu erreichen. Die Beschreibung der be-
trieblichen Prozesse erfolgt mit fünf Modellelementen. Die Ge-
währleistung einer Komposition bzw. Dekomposition des Modells
wird durch die Hierarchisierbarkeit der Modellelemente mit
Hilfe von zugeordneten Sichten sichergestellt.
Basierend auf dem definierten Prozeßbegriff in Kapitel 2.1.1
und den formulierten Anforderungen ist die Überführung der
Prozeßbeschreibung in Modellelemente, Regeln und Konventionen
erforderlich. Es ergeben sich die folgenden Transformationen
aus der Charakteristika des Prozeßbegriffs zu den Modellele-
menten, siehe Abbildung 13.
1 Unter dem Begriff Experten werden Personen verstanden, die durch Erfah-rungen und Wissen einen Untersuchungsgegenstand objektiv strukturierenkönnen.
2 Unter einem Modellierer wird eine Person verstanden, der in der Lage ist,dem Modell Inhalte hinzuzufügen. Der Modellierer besitzt im allgemeinendie Rolle eines Prozeßteilnehmers im betrachteten betrieblichen Prozeß.
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Charakteristik des Modellelement SymbolProzeßbegriffes
Aktivität Prozeß
Verantwortung Verantwortung
Input / Output Information
Ziel Verantwortung (implizite Abbildung)
Inputverknüpfung oder Beziehungskante (einfach)Outputverknüpfung mit Beziehungskante (parallel)einer Aktivität
Komposition/Dekomposition Hierarchiekantevon Aktivitäten od. Verant-wortungen od. In- u. Output
Abbildung 13: Transformation der Charakteristika des
Prozeßbegriffes in Modellelementen mit abgeleiteten
Symbolen
Das Ziel des Prozesses wird der Verantwortung impliziert, das
bedeutet, daß das Ziel und die Zielerreichung nur durch die
Verantwortung wahrgenommen werden können. Die Beschreibung der
Zuordnung der Verantwortung auf ein reales Element in der Or-
ganisation ist daher notwendig. Als kleinstes Element in der
Organisation, welches Verantwortung übernehmen kann, wird die
Organisationseinheit Stelle definiert. Alle anderen Elemente
der Organisation, die Verantwortung übernehmen können, werden
aus der Organisationseinheit Stelle zusammengesetzt.
- 70 -
5.1.1 Elemente
Ein betrieblicher Prozeß ist durch die fünf eingeführten Mo-
dellelemente beschreibbar. Die grafische Notation der Modell-
elemente ist in der Abbildung 13 dargestellt. Die verwendeten
Symbole orientieren sich an der Beschreibung von Prozeßrechen-
systemen nach der Deutschen Industrie Norm 1. Die Symbole stel-
len bei einer Prozeßbeschreibung syntaktische 2 Modellausprägun-
gen dar. Die Modellelemente können weiterhin mit verschiedenen
Ausprägungen versehen werden, um das Modell mit semantischen
Inhalten anzureichern. Die semantischen 3 Inhalte in Form von
Elementausprägungen werden mit bekannten Notationen, wie Tex-
te, Zahlen oder Farben, dargestellt.
Zur Generierung des Modells und zur Unterstützung der Methode
des partizipativen und evolutionären Modellaufbaus 4 werden spe-
zialisierte Bezeichnungen der Modellelemente benötigt. Die
Aufnahme der Modelldaten erfolgt durch eine Befragung von
Stellen bzw. der Stelleninhaber, die mit Hilfe der Modellele-
mente die Elementar-Sicht des betrieblichen Prozesses formu-
lieren. Die Modellelemente sind speziell für die partizipative
Aufnahmemethode gekennzeichnet, um die Befragung zu vereinfa-
chen. Die Abbildung 14 stellt die spezialisierten Bezeichnun-
gen und Ausprägungen der Modellelemente dar.
1 DIN 66201 Teil 1 - 05.81: Prozeßrechensysteme: Begriffe
2 Mit der Begriffsbezeichnung syntaktisches Modellelement werden alle not-wendigen Elemente und Ausprägungen beschrieben, die für ein Modell vor-handen sein müssen.
3 Das Begriffsattribut semantisch kennzeichnet einen auswertbaren Aspektfür ein Element. Eine semantische Beschreibung der Elemente ist für denModellaufbau nicht erforderlich.
4 Die partizipative und evolutionäre Modellierung ist als eine sich selbstentwickelnde Modellierung zu verstehen, die eine logische Verknüpfungvon unabhängig formulierten Modellinhalten auf einer gleichen Sicht zu-läßt.
- 71 -
Stelle (Verantwortung 1. Ordnung)Verantwortung
Tätigkeit (Prozeß 1. Ordnung)Prozeß
Information (Information 1. Ordnung)Information
Symbol GeneralisierteBezeichnung desModellelements
Spezialisierte Bezeichnungdes Modellelements auf der
Abbildung 14: Spezialisierte Bezeichnungen der Modellelemente
für die Elementar-Sicht auf den betrieblichen
Prozeß
Die eingeführten Bezeichnungen der Modellelemente und eine
Auswahl von möglichen Ausprägungen werden für die Elementar-
Sicht näher beschriebenen. Die Ausprägungen der Modellelemente
dienen zur Bewertung der betrieblichen Prozesse, die in syn-
taktische und semantische Ausprägungen zu differenzieren sind.
Durch die Bewertung werden nicht abgeschlossene Prozesse aus-
gewiesen. Die somit geschaffene Grundlage dient der Herstel-
lung der Prozeßabgeschlossenheit.
Die Elementar-Sicht beschreibt den betrieblichen Prozeß in der
untersten Kompositionsstufe innerhalb eines Modells. Die ver-
wendeten Modellelemente sind als Elemente der 1. Ordnung ge-
kennzeichnet und können nicht zergliedert werden.
- 72 -
Das Element Prozeß 1. Ordnung repräsentiert auf der Elementar-
Sicht die Tätigkeit. Die Tätigkeit muß, um für das Modell exi-
stent zu sein, eine Transformation von einem Eingangszustand
zu einem Ausgangszustand beschreiben. Die Zustände sind nach
der eingeführten Prozeßdefinition als Input und Output zu be-
zeichnen. Die Transformation ist durch ein Prädikat oder durch
die Kombination Substantiv mit Prädikat eindeutig gekennzeich-
net. Exemplarisch ist die Tätigkeit „Angebotsnummer vergeben“
zu nennen, die eine Transformation des Inputs „nicht regi-
striertes Angebot“ zu dem Output „registriertes Angebot“
durchführt.
Die Tätigkeit bzw. der Prozeß 1. Ordnung sowie alle übergeord-
neten Prozesse besitzen die semantische Ausprägung Kapazität,
die die Verfügbarkeit des Prozesses beschreibt. Die Ausprägung
wird erstmalig bei dem partizipativen und evolutionären Mo-
dellaufbau erhoben. Die Festlegung der Normierung der Kapazi-
tät erfolgt durch die Modellkonventionen. Die folgende Tabelle
zeigt die Definitionen für das Element Tätigkeit.
BeschreibungSyntaktischeAusprägung
SemantischeAusprägung
Symbol mit Prädikat oderSubstantiv mit Prädikat
Kapazität
Tabelle 2: Element Tätigkeit (Prozeß 1. Ordnung)
Das Element der Verantwortung 1. Ordnung entspricht einer or-
ganisatorischen Stelle, die im betrachteten betrieblichen Pro-
zeß eine Tätigkeit ausführt. Die Stelle wird durch einen zuge-
ordneten Modellierer, in der Regel der Stelleninhaber, inhalt-
lich vertreten. Das Element Stelle muß um existent zu sein,
ebenso wie der Prozeß, mit einem Informationsinput und
-output verknüpft sein. Die Beschreibung erfolgt mit einem
Substantiv oder mit zwei Substantiven. Beispielhaft kann das
- 73 -
Element durch einen Vornamen und Nachnamen, wie „Martin Z.“,
als Stelleninhaber eindeutig gekennzeichnet werden. Die
Tabelle 3 zeigt die Definitionen des Elementes Stelle.
BeschreibungSyntaktischeAusprägung
SemantischeAusprägung
-Symbol mit Substantivoder zwei Substantiven
Tabelle 3: Element Stelle (Verantwortung 1. Ordnung)
Die Informationen 1. Ordnung repräsentiert den Input und Out-
put, die mit der Tätigkeit respektive mit deren Transformation
verknüpft sind. Die Kennzeichnung der Information erfolgt mit
einem Substantiv oder mit bis zu drei Substantiven.
Die semantischen Ausprägungen des Elements sind Übertragungs-
zeit und Übertragungshäufigkeit. Die Ausprägungen werden erst-
malig bei der Befragung aufgenommen und sind bei einer Aggre-
gation allen weiteren Informationen n+1-ten Ordnung zugeord-
net. Unter der Ausprägung Übertragungszeit wird die Zeit defi-
niert, die eine Information von der Informationsabgabe bis zur
Informationsaufnahme benötigt. Die Ausprägung Übertragungshäu-
figkeit definiert die Häufigkeit einer Übertragung. Sie cha-
rakterisiert damit die Intensität eines Informationsaustau-
sches. Die Normierung der Ausprägungen wird in den Modellkon-
ventionen festgelegt. Die folgende Tabelle stellt die Be-
schreibung und die Ausprägungen des Elementes Information dar.
- 74 -
BeschreibungSyntaktischeAusprägung
SemantischeAusprägung
Symbol mit Substantivoder zwei Substantivenoder drei Substantiven
Übertragungszeit
Übertragungs-häufigkeit
Tabelle 4: Element Information (Information 1. Ordnung)
Das Element Beziehungskante beschreibt die Verknüpfung mit den
Elementen Tätigkeit und Information sowie die Verknüpfung zwi-
schen den Elementen Stelle und Information. Nach der Reihen-
folge der Elemente innerhalb der Verknüpfung wird zwischen In-
put- und Outputverknüpfung differenziert. Die Inputverknüpfung
wird als Lieferantenbeziehung und die Outputverknüpfung wird
als Benutzerbeziehung bezeichnet.
Weitergehend wird bei einem Informationsfluß, der durch eine
Beziehungskante mit einer Information repräsentiert wird, zwi-
schen dem einfachen Informationsfluß und dem parallelen Infor-
mationsfluß differenziert. Der einfache Informationsfluß be-
schreibt entweder einen Informationsfluß mit dem zugeordneten
Element Tätigkeit oder einen Informationsfluß mit dem zugeord-
neten Element Stelle. Der parallele Informationsfluß verknüpft
mit zwei gleichen Informationsflüssen, die durch zwei gleiche
Informationen gekennzeichnet sind, die Elemente Stelle und Tä-
tigkeit. Der parallele Informationsfluß wird durch blau einge-
färbte Beziehungskanten beschrieben. Der einfache Informati-
onsfluß wird als eine schwarz eingefärbte Beziehungskante dar-
gestellt. Die Ausprägungen des Elements Beziehungskante sind
in der folgenden Tabelle 5 festgehalten.
- 75 -
BeschreibungSyntaktischeAusprägung
SemantischeAusprägung
Symbol Lieferantenbeziehung
Benutzerbeziehung
Tabelle 5: Element Beziehung (Beziehungskante 1. Ordnung)
Die Zuordnung des Elementes Prozeß, Verantwortung oder Infor-
mation der Sicht n-ter Ordnung zu einem gleichartigen Element
der Sicht n+1-ten Ordnung wird durch das Element Hierarchie-
kante beschrieben. Die verknüpften Elemente bilden eine Hie-
rarchie, die durch aufsteigende Ordnungsnummern der Sichten
eindeutig determiniert ist. Das Modellelement Hierarchiekante
besitzt keine semantischen Ausprägungen und wird als Symbol
beschrieben, siehe Tabelle 6.
BeschreibungSyntaktischeAusprägung
SemantischeAusprägung
Symbol -
Tabelle 6: Element Hierarchiekante (Hierarchiekante 1. Ord-
nung)
5.1.2 Regeln und Konventionen
Die Modellelemente Prozeß, Verantwortung, Information, Bezie-
hungskante und Hierarchiekante unterliegen bei der Formulie-
rung der symbolischen Prozeßbeschreibung Regeln und Konventio-
nen. In der Abbildung 16 sind die Modellelemente mit ihren
Existenzbedingungen und den daraus entstehenden notwendigen
Verknüpfungsoptionen basierend auf der eingeführten symboli-
schen Notation dargestellt.
- 76 -
4. InformationsflußEin Informationsfluß muß, um existent zu sein,einen Informationsinput und einenInformationsoutput mit der selben Informationbesitzen (einfacher Informationsfluß).
1. ProzeßEin Prozeß muß, um existent zu sein, mind. einenInformationsinput und mind. einenInformationsoutput besitzen.
2. VerantwortungEine Verantwortung muß, um existent zu sein, mind.einen Informationsinput und mind. einenInformationsoutput besitzen.
3. InformationEine Information muß, um existent zu sein, Teileines Informationsinputs oder -outputs sein.3.1 Der Informationsinput ist eine Verknüpfungzwischen Information und Beziehungskante.3.2 Der Informationsoutput ist eine Verknüpfungzwischen Beziehungskante und Information.
5. ProzeßhierarchieEine Hierarchie bzw. eine Hierarchiekante istexistent, wenn mind. zwei unterschiedlicheProzesse der Ordnung n mit einem Prozeß derOrdnung n+1 verknüpft sind.
6. VerantwortungshierarchieEine Hierarchie bzw. eine Hierarchiekante istexistent, wenn mind. zwei unterschiedlicheVerantwortungen der Ordnung n mit einerVerantwortung der Ordnung n+1 verknüpft sind.
7. InformationshierarchieEine Hierarchie bzw. eine Hierarchiekante istexistent, wenn mind. zwei unterschiedlicheInformationen der Ordnung n mit einer Informationder Ordnung n+1 verknüpft sind.
Ordnung der Sicht
n+1
n
n+1
n
n+1
n
Abbildung 15: Modellelemente mit Existenzbedingungen und
notwendigen Verknüpfungsoptionen
Durch eine Kennzeichnung von exponierten Zuordnungen ausge-
wählter Modellelemente werden gesonderte, syntaktische Ausprä-
gungen des Modells dargestellt. Hervorzuheben ist die Zuord-
nung des informationstransformierenden Systems, das wie folgt
definiert wird:
- 77 -
Jeder Prozeß mit zugehöriger Verantwortung läßt sich als ein
informationstransformierendes System (IS) betrachten, welches
die eindeutige Zuordnung von Prozeß und Verantwortung reprä-
sentiert.
Das IS wird in der symbolischen Beschreibung durch eine ge-
rahmte Fläche gekennzeichnet, die ein Element Prozeß und ein
dazu gehöriges Element Verantwortung beinhaltet.
Eine weitere wichtige syntaktische Modellausprägung bei der
Verknüpfung von Modellelementen ist die Kennzeichnung der Ver-
knüpfung als Schnittstelle, siehe auch Kapitel 2.2.1. Jeder
Informationsfluß zwischen zwei Prozessen oder zwei Verantwor-
tungen stellt eine einfache Schnittstelle dar. Der Informa-
tionsfluß von zwei informationstransformierenden Systemen in
Form eines parallelen Informationsflusses ist mit zwei gleich-
siert. Die Bewertung in einfache Schnittstelle und parallele
Schnittstelle dient der Ordnung der Modellelemente auf einer
Sicht. Als weitere Differenzierung wird die einfache Schnitt-
stelle in eine Prozeßschnittstelle und in eine Verantwortungs-
schnittstelle unterteilt, siehe Abbildung 16.
- 78 -
1. Kennzeichnung InformationstransformierendesSystem (IS)Als IS wird eine definierte Zuordnung zwischenVerantwortung und Prozeß bezeichnet. ZurKennzeichnung des IS sind die ElementeVerantwortung und Prozeß mit einer grauen Flächehinterlegt.
2. Kennzeichnung paralleler InformationsflußZwei Informationsflüsse werden als parallelbezeichnet, wenn ein ganzzahliges Vielfaches vonzwei Informationsflüssen die gleiche Informationbesitzen (paralleler Informationsfluß) und miteinem IS verknüpft sind. Zur Kennzeichnung sind dieBeziehungskanten blau eingefärbt.
3. Modelldefinition Schnittstelle3.1. Ein Informationsfluß entspricht einerProzeßschnittstelle, wenn zwei unterschiedlicheProzesse mit einem Informationsfluß verknüpft sind.3.2. Ein Informationsfluß entspricht einerVerantwortungsschnittstelle, wenn zweiunterschiedliche Verantwortungen mit einemInformationsfluß verknüpft sind.3.3. Ein Informationsfluß entspricht einerparallelen Schnittstelle, wenn zweiunterschiedliche IS mit einem parallelenInformationsfluß verknüpft sind.
Abbildung 16: Konventionen für die Darstellung von
syntaktischen Modellinhalten durch Kennzeichnung
von exponierten Elementzuordnungen
Ein betrieblicher Prozeß ist durch die Modellelemente Prozeß,
Verantwortung, Information und Beziehungskante auf einer Sicht
n-ter Ordnung beschreibbar. Die Verknüpfung der Elemente in-
nerhalb einer Sicht n-ter Ordnung wird durch das Element Be-
ziehungskante dargestellt. Die im Modell zulässigen Zuordnun-
gen sind in der Abbildung 17 gezeigt.
- 79 -
2. Zusammenführen2.1 Vor einem Zusammenführpunkt bei einemProzeß müssen mind. zwei Prozesse angeordnetsein.
2.2 Vor einem Zusammenführpunkt bei einerVerantwortung müssen mind. zwei Verantwortungenangeordnet sein.
2.3 Vor einem Zusammenführpunkt bei einem ISmüssen mind. zwei IS angeordnet sein.
1. Verteilen1.1 Hinter einem Verteilerpunkt bei einemProzeß müssen mind. zwei Prozesse angeordnetsein.
1.2 Hinter einem Verteilerpunkt bei einerVerantwortung müssen mind. zwei Verantwortungenangeordnet sein.
1.3 Hinter einem Verteilerpunkt bei einem ISmüssen mind. zwei IS angeordnet sein.
3. Schleife3.1 Für eine Schleife müssen mind. zweiProzesse verknüpft sein, die mind. zweiInformationsflüsse besitzen.
3.2 Für eine Schleife müssen mind. zweiVerantwortungen verknüpft sein, die mind. zweiInformationsflüsse besitzen.
3.3 Für eine Schleife müssen mind. zwei ISverknüpft sein, die mind. zwei paralleleInformationsflüsse besitzen.
Abbildung 17: Modellregeln für Zuordnungen der Modellelemente
Die Konventionen bei der Nutzung von den semantischen Ausprä-
gungen der Modellelemente wird durch die folgende Tabelle
festgelegt:
- 80 -
Modellelement Regel Normierung
von
Wertebereich
Prozeß Je Stelle wird eine Gesamtka-
pazität von 100% vereinbart,
die auf die auszuführenden
Prozesse vollständig zu ver-
teilen ist.
Kapazität 0% bis 100%
Information Die Nutzungszeit je Informa-
tion wird als Durchschnitts-
wert angegeben.
Übertragungs-
zeit
Stunden, Tage,
Monate, Jahre 1
Information Die Übertragungshäufigkeit je
Information wird als Durch-
schnittswert angegeben.
Übertragungs-
häufigkeit
Anzahl je Wo-
che, Anzahl je
Monat 1
Tabelle 7: Konventionen für die eingeführten semantischen
Ausprägungen der Modellelemente
5.2 Partizipativer und evolutionärer Modellaufbau
Der partizipative und evolutionäre Modellaufbau wird durch ei-
ne Vorgehensweise determiniert. Das Vorgehen für die Modellie-
rung entspricht einer zirkulären Iteration, die bei einer an-
gemessenen Beschreibung des betrieblichen Prozesses beendet
wird. Die Abbildung 18 zeigt das Vorgehen.
1 Ein Tag wird durch acht Stunden, ein Monat durch zwanzig Tage, und einJahr durch 240 Tage beschrieben.
- 81 -
nicht angemesseneBeschreibung
angemesseneBeschreibung
Vertikale Verknüpfung
Aufnahme vonModellelementen
Horizontale Verknüpfung
Start
Ende
Beschreibung betrieblicher
Prozeß
Abbildung 18: Vorgehen zur Modellgenerierung
Durch eine strukturierte Befragung1 bei den Stellen respektive
bei den Mitarbeitern des Prozesses werden die Modelldaten par-
tizipativ erhoben. Die Verifizierung der Modelldaten erfolgt
durch ein Abgleich der einzelnen Befragungen. Die Datenaufnah-
me ist nicht an eine determinierte Folge gebunden, sondern
kann auf der Elementar-Sicht an jeden Punkt des betrieblichen
1 Die Befragung der Stelle kann durch verschiedene Befragungstechniken, wieInterview oder Fragebogen als Primäraufnahme oder durch unterschiedlicheTechniken der Sekundäraufnahme erfolgen /101/.
- 82 -
Prozesses erfolgen. Der Aufbau des Modells mit Inhalten auf
der Elementar-Sicht ist somit als evolutionär zu bezeichnen.
Die Aufnahme von Daten zur Modellbeschreibung erfolgt durch
eine strukturierte Befragung der Stellen 1 mit ihren Tätigkei-
ten, die die Rolle von informationstransformierenden Systemen
einnehmen. Der Umfang und die Abfolge der Befragung sollte mit
dem zu betrachtenden Prozeß im Einklang stehen. Der Befra-
gungsumfang kann weitergehend mit einer Sensitivitätsanalyse
determiniert werden, siehe Kapitel 2.1.3. Zur Reduzierung des
Befragungsumfanges kann optional ein legitimierter Vertreter
einer Gruppe von Stellen befragt werden. Eine vollständige Be-
fragung ist dennoch anzustreben, da damit eine Verifikation
der Prozesse und der Kommunikation 2 in der betrachteten Modell-
sicht durchführbar ist sowie die Möglichkeit einer umfassenden
Mitarbeiterpartizipation gegeben ist.
Die aufgenommenen Daten werden in die Elementar-Sicht des Mo-
dells überführt und gesichert. Die Modelldaten stehen jeder
weiteren Befragung zur Verfügung und sind änder- und erweiter-
bar. Die Verifizierung der Daten wird durch jede Befragung
durchgeführt, da der Befragte alle ihn betreffend gemachten
Aussagen über seine Kommunikation einsehen und bestätigen
kann.
Die Befragung ist in sechs Schritten gegliedert. Der erste
Schritt ist die Aufnahme der im betrieblichen Prozeß invol-
1 Die Stelle kann durch einen Stelleninhaber oder durch ein automatisiertesSystem besetzt sein. Das System muß durch eine eindeutige Dokumentationoder durch einen Sprecher die Tätigkeiten und die Kommunikationsvorgängebeschreiben. Falls dies nicht möglich ist, darf das betroffene Systemnicht als Stelle im Modell bezeichnet werden /57/.
2 Unter Kommunikation wird die syntaktische und semantische Kommunikationnach dem semiotischen Modell von Weizsäcker verstanden /100/.
- 83 -
vierten Verantwortung. Die Verantwortung in Form der Stelle
wird durch den Stelleninhaber repräsentiert. Zur Vereinfachung
ist die Stelle bzw. der Stelleninhaber im folgenden als Mitar-
beiter bezeichnet. Im zweiten Schritt systematisiert und ge-
wichtet der Mitarbeiter seine Tätigkeiten. Eine Gewichtung der
Tätigkeit erfolgt mit der semantischen Modellausprägung Kapa-
zität. Der Mitarbeiter weist seinen Tätigkeiten Kapazitätspro-
zentwerte zu, die in der Summe 100% ergeben müssen 1. Der dritte
Schritt umfaßt die Bildung von einem respektive mehreren in-
formationstransformierenden Systemen des Mitarbeiters, siehe
Abbildung 19.
Schritt
GenerierteModellelemente
1.Ermittlung
Stelle
2.ErmittlungTätigkeit
3.Erstellung IS
durch Zuordnung der Stelle
zu der Tätigkeit
Beispiel Martin Z. Angebotsnummervergeben
Martin Z.Angebotsnummer
vergeben
Abbildung 19: Bildung von informationstransformierenden Syste-
men (IS)
In dem vierten Schritt werden die Beziehungen zwischen Infor-
mationslieferanten und Mitarbeiter ermittelt. Der Mitarbeiter
beschreibt, welche Information er für welche Tätigkeit benö-
1 Der Kapazitätssummenwert von 100% entspricht einem Personaljahr, d.h. derBefragte ordnet den einzelnen Tätigkeiten seine, auf ein Jahr bezogene,aufzuwendende Kapazität zu.
- 84 -
tigt und wer ihm die Information liefert. Der fünfte Schritt
umfaßt die Darstellung der Benutzerbeziehungen des Mitarbei-
ters. Der Mitarbeiter formuliert, welche Informationen er mit
welchen Tätigkeiten erzeugt und wer die Informationen erhält.
In dem vierten und fünften Schritt werden die Informationsin-
puts bzw. Lieferantenbeziehungen und die Informationsoutputs
bzw. Benutzerbeziehungen vom Mitarbeiter formuliert. Der sech-
ste Schritt dupliziert generisch die ermittelten Informa-
tionsinputs bzw. –outputs. Er wird durch die Verknüpfung der
Informationen mit dem IS ausgelöst. Die semantischen Mo-
dellausprägungen Übertragungszeit und Übertragungshäufigkeit
der ausgetauschten Informationen werden nach der Erstellung
aller Informationsverknüpfungen vom Mitarbeiter formuliert.
Die Schritte vier bis sechs der Befragung sind, unter Auslas-
sung der Lieferanten- und Benutzerbeziehung, in der Abbildung
20 in der symbolischen Notation dargestellt.
4.Ermittlung
Informations-input
6.Zuordnung und Duplizierenvon Informationsinput und
-output an IS
Schritt
GenerierteModell-elemente
5.Ermittlung
Informations-output
Beispiel nicht registriertes
Angebot
registriertesAngebot
nicht registriertes AngebotMartin Z.
Angebotsnummer vergebenregistriertes Angebot
Abbildung 20: Verknüpfung des IS mit den formulierten Informa-
tionsinputs und -outputs
Das Modell unterstützt bei der Befragung den partizipativen
und evolutionären Modellaufbau für die zu ermittelnden Infor-
mationsflüsse durch das Auslesen von relevanten Modellinhal-
- 85 -
ten. Der Mitarbeiter erhält damit die Möglichkeit seine Pro-
zeßbeziehungen und Informationsflüsse mit den bereits formu-
lierten Modellelementen Tätigkeit, Stelle oder Information zu
beschreiben. Weiterhin präsentiert das Modell dem Mitarbeiter
die Informationsflüsse, in denen er bereits involviert ist,
mit der Möglichkeit, diese zu bestätigen oder zu negieren.
5.2.1 Horizontale Verknüpfung von Modellelementen
Das Modell generiert sich evolutionär aus den Verknüpfungen
des Informationsflusses mit den zugeordneten informations-
transformierenden Systemen. Die Verknüpfung der Modellelemente
Tätigkeit, Stelle, Information und Beziehungskante auf der
Elementar-Sicht erfolgt mit der Bildung von Lieferanten- und
Benutzerbeziehungen.
Die horizontale Verknüpfung von IS basiert auf der Logik der
Informationsquellen und -senken. Jedes IS stellt die beiden
Rollen Informationslieferant (Quelle) und Informationsbenutzer
(Senke) dar. Die Ermittlung von Benutzer- und Lieferantenbe-
ziehungen eines IS zu anderen IS ist durch die Verwendung der
Zielangabe des Informationsflusses möglich, siehe Kapitel 5.2.
Die Existenz von Benutzer- und Lieferantenbeziehungen eines IS
stellt damit die Grundlage der horizontalen Verknüpfung dar.
Bei der Verknüpfung werden die Benutzer- und Lieferantenbezie-
hungen des informationstransformierenden Systems verglichen.
Bei einer Übereinstimmung der Substantive von Benutzer und
Lieferant wird eine unvollständige Beziehung gebildet. Sind
zusätzlich die Substantive der ausgetauschten Information
identisch und eine Beschreibung der Tätigkeiten vorhanden, so
liegt eine vollständige Beziehung vor. Bei einer vollständigen
Beziehung wird der Informationsaustausch von zwei Stellen un-
abhängig voneinander formuliert. Bei einer Beziehung werden
die beiden Fälle unvollständig (Fall I) und vollständig (Fall
II) unterschieden. Die unvollständige Beziehung untergliedert
sich weiterhin in eine unvollständige Lieferantenbeziehung
- 86 -
(Fall Ia) und in eine unvollständige Benutzerbeziehung (Fall
Ib), siehe Abbildung 21.
Fall IaUnvollständige
Beziehung
Mitarbeiter 1 (v 1) formuliert miteigener Tätigkeit 1 (p 1) alsLieferant mit der Information B(B) folgende Benutzerbeziehungzu Mitarbeiter 2 (v 2).
Mitarbeiter 2 (v 2) bestätigt miteigener Tätigkeit 2 (p 2) alsBenutzer folgende Lieferanten-Benutzer-Beziehung zu StelleMitarbeiter 1 (v 1).
Mitarbeiter 1 (v 1) formuliert miteigener Tätigkeit 1 (p 1) alsBenutzer mit der Information A(A) folgende Lieferantenbeziehungzu Stelle Mitarbeiter 3 (v 3).
Fall IbUnvollständige
Beziehung
Fall IIVollständige
Beziehung
p1
v1v3 A
A
p1
v2v1 B
B
p1
v2v1 B
B p2
Abbildung 21: Beziehungsarten eines informationstransformie-
renden Systems
Durch die Verknüpfung der Prozesse und Verantwortungen mit
weiteren Prozessen und weiteren Verantwortungen auf einer
Sicht ist die Formulierung von verifizierten, mehrfachen Ver-
knüpfungen bzw. eine Verkettung möglich. Es werden die drei
Verkettungsarten Prozeß, Verantwortung und informationstrans-
formierendes System (IS) bei einer Mehrfachverknüpfung diffe-
renziert.
Die Verkettung Prozeß beschreibt eine Ordnung der Elemente
Prozeß, Information und Beziehungskante. Die Verkettung Ver-
antwortung repräsentiert eine Ordnung der Elemente Verantwor-
tung, Information und Beziehungskante. Die Verkettung IS ord-
net die Elemente Prozeß, Verantwortung, Information und Bezie-
hungskante.
- 87 -
Die Verkettungen werden generisch aus den Modellinhalten der
Elementar-Sicht erzeugt. Die horizontalen Verknüpfungen sind
mit einer vorhandenen Formulierung einer Prozeß-, Verantwor-
tungs- und Informationshierarchie in übergeordnete Sichten ag-
gregierbar. In der Abbildung 22 wird eine verifizierte Verket-
tung von informationstransformierenden Systemen dargestellt,
die charakterisierend für die Elementar-Sicht ist.
vollständigbestätigte
Beziehungskette
Verantwortung v 1mit Prozeß p1 p1
v1
Verantwortung v 2mit Prozeß p2 p2
v2
Verantwortung v 3mit Prozeß p3 p3
v3
p3
v3
p1
v1
p2
v2
Abbildung 22: Horizontale Verknüpfung (Verkettung) von infor-
mationstransformierenden Systemen
Auf der Elementar-Sicht befinden sich nach der Befragung der
Die Verkettung von informationstransformierenden Systemen ba-
sierend auf dem parallelen Informationsfluß repräsentiert die
vollständige Verknüpfung von Modellelementen auf einer Sicht
n-ter Ordnung.
Durch die Ordnung der Modellelemente auf einer Sicht n-ter
Ordnung in Form der Verknüpfung wird das Ausweisen von abge-
- 88 -
schlossenen Prozessen unterstützt. Die Sachlogik eines Ablau-
fes kann durch die aufgenommenen semantischen Ausprägungen der
Modellelemente charakterisiert 1 werden, so daß Optionen für ei-
ne Bewertung vorhanden sind.
5.2.2 Vertikale Verknüpfung von Modellelementen
Das Modell entwickelt sich aus der Sicht 1. Ordnung, die als
erste Sicht durch den partizipativen und evolutionären Modell-
aufbau formuliert wird. Die Abhängigkeiten zu den übergeordne-
ten Sichten werden nach deren sukzessiven Erstellung von den
Experten durch die Hierarchisierung der Elemente Prozeß, Ver-
antwortung und Information mit Hilfe des Elements Hierarchie-
kante gebildet. Die Modellelemente Prozeß, Verantwortung, In-
formation und Beziehungskante werden dabei eindeutig in einer
Hierarchie geordnet.
Der Detaillierungsgrad der Prozeßbetrachtung kann durch die
Bildung von Sichten an ein Optimum angepaßt werden. Die Anzahl
der Sichten ist durch die Anzahl der Elemente auf der Sicht 1.
Ordnung begrenzt, welche durch die folgende Existenzbedingung
einer übergeordneten Sicht determiniert wird.
Eine übergeordnete Sicht wird als existierend definiert, wenn
sie zur untergeordneten Sicht unterscheidbar ist und minde-
stens eine Zuordnung von mindestens zwei Elementen der unter-
geordneten Sicht zu einem gleichartigen Element der übergeord-
neten Sicht besitzt.
1 Die Charakterisierung eines Ablaufes mit den ausgewählten Ausprägungender Modellelemente bei der Datenaufnahme kann beispielhaft durch dieSummenbildung von Kapazitäten oder Informationsübertragungszeiten be-schrieben werden.
- 89 -
Die Komposition der Modellelemente erfolgt mit der Bildung ei-
ner Hierarchie der Modellelemente, die in Form von übergeord-
neten Sichten formuliert wird 1. Unter einer Hierarchie ist eine
eindeutige, vertikal abgestufte Ordnung von Elementen defi-
niert /17/. Die Hierarchie dient somit zur Komplexitätsredu-
zierung des Modells. Die von den Mitarbeitern formulierte
Sicht 1. Ordnung wird durch Experten mit weiteren übergeordne-
ten Sichten zusammengefaßt.
Die Modelldaten zur Formulierung der übergeordneten Sichten
werden bei Experten erhoben, die die Prozesse, Verantwortungen
und Informationen der Sichten n+1-ten Ordnung beschreiben. Das
Modellelement Hierarchiekante repräsentiert dabei die formale
Zuordnung zwischen der Sicht n-ter Ordnung und der Sicht n+1-
ten Ordnung. Die in einem Modell formulierten Sichten sind
durch eine Zählung zu quantifizieren, um die Gesamtanzahl der
enthaltenen Sichten in einem Modell zu bestimmen.
Die Variable m enthält die Anzahl der Sichten in einem Modell.
Die Variable m ist ein Element der Menge der ganzzahligen, po-
sitiven Zahlen.
Das Modellelement Beziehungskante sowie die syntaktischen und
semantischen Modellausprägungen einer Sicht n-ter Ordnung sind
durch die Hierarchiekante nach einer Komposition respektive
Dekomposition eindeutig zugeordnet. Die Regeln für die Mo-
dellausprägungen bei einer vertikalen Verknüpfung entsprechen
1 Mit dem Begriff der Hierarchie lassen sich drei unterschiedliche Inter-pretationen verbinden: Erstens kann die Hierarchie als grundlegendesOrdnungsprinzip von Organisationen und sozialen Systemen verstanden wer-den. In einer zweiten Sichtweise bringt Hierarchie eine formale Strukturder Über- und Unterordnung zum Ausdruck. Drittens bezeichnet sie alsProzeß der Hierarchisierung die veränderbare und nicht bloß formale Aus-differenzierung von Organisationen /37/. Der in der Arbeit genutzteHierarchiebegriff lehnt sich an die zweite Interpretation an.
- 90 -
den eingeführten Regeln und Konventionen der horizontalen Ver-
knüpfung.
Die Ermittlung und die Herstellung der Prozeßabgeschlossenheit
ist durch die Hierarchisierung der Modellelemente auf jeder
Modellsicht möglich, da eine eindeutige Zuordnung der artglei-
chen Elemente Prozeß, Verantwortung oder Information existent
ist. Die Prozeßabgeschlossenheit des Modells wird durch die
Zusammenfassung aller Sichten ermittelt.
- 91 -
6 Betrachtung und Herstellung der Abgeschlossen-
heit von betrieblichen Prozessen
6.1 Kriterien der Prozeßabgeschlossenheit
Der Begriff der Prozeßabgeschlossenheit kann wie folgt gefaßt
werden:
Unter der Prozeßabgeschlossenheit ist der Abgleich von den
Elementen Verantwortung, Informationsinput und -output zu ei-
nem Prozeß definiert, wobei der Informationsinput und -output
für die Elemente Prozeß und Verantwortung jeweils identisch
(paralleler Informationsfluß) sind.
Die Prozeßabgeschlossenheit repräsentiert damit eine Interpre-
tation des etablierten Kongruenzprinzips der Organisationsleh-
re. Kongruenz besagt, daß Aufgaben einer Organisationseinheit
nur in Verbindung mit der notwendigen Kompetenz und Verantwor-
tung über die Aufgabenerfüllung erfolgreich wahrgenommen wer-
den können. Der Begriff der Prozeßabgeschlossenheit fokussiert
in Anlehnung an das Kongruenzprinzip die Elemente Prozeß und
Verantwortung sowie in einer Erweiterung die Elemente Informa-
tionsinput und Informationsoutput.
Die Güte der Kongruenz von Prozeß, wahrgenommener Verantwor-
tung und Information in einer Organisation kann in Form eines
Prozeßabgeschlossenheitsgrades quantifiziert werden. Durch die
Ermittlung des Prozeßabgeschlossenheitsgrades können abge-
schlossene und nicht abgeschlossene Prozesse eindeutig diffe-
renziert werden. Die ausgewiesenen nicht abgeschlossenen Pro-
zesse können durch geeignete Neuzuordnungen von Verantwortun-
gen und Informationen in abgeschlossene Prozesse überführt
werden.
Die Abbildung 23 zeigt die Verknüpfung der Modellelemente Pro-
zeß, Verantwortung, Information und Beziehungskante auf der
- 92 -
Sicht n-ter Ordnung, die einen abgeschlossenen Prozeß reprä-
sentieren.
Element Prozeß Element Verantwortung
Element Information Element Beziehungskante
Kennzeichnung einesinformationstrans-formieren Systems
Legende
Abbildung 23: Darstellung eines abgeschlossenen Prozesses mit
den Elementen Prozeß, Verantwortung, Information
und Beziehungskante
Die beiden Elemente Verantwortung und Prozeß, die den Kern des
abgeschlossenen Prozesses darstellen, werden zusammen als in-
formationstransformierendes System bezeichnet, siehe auch Ka-
pitel 5.1.2. Der Informationsinput und -output des abgeschlos-
senen Prozesses besitzt die syntaktische Modellausprägung des
parallelen Informationsflusses. Die Informationsinputs und
-outputs müssen bei einer Verknüpfung mit einem abgeschlosse-
nen Prozeß die drei folgenden Bedingungen erfüllen.
1. Ein abgeschlossener Prozeß besitzt r * 2 gleiche Informa-
tionsinputs und s * 2 gleiche Informationsoutputs.
2. Bei einem r-zahligen Informationsinput eines Prozesses muß
der gleiche r-zahlige Informationsinput zu der zugeordneten
Verantwortung existent sein.
- 93 -
3. Bei einem s-zahligen Informationsoutput eines Prozesses muß
der gleiche s-zahlige Informationsoutput zu der zugeordne-
ten Verantwortung existent sein.
Die Variablen r und s sind Elemente der Menge der ganzzahli-
gen, positiven Zahlen.
Zur Herleitung eines Prozeßabgeschlossenheitsgrades ist es
notwendig, die erarbeiteten symbolischen Formulierungen der
Modellelemente in eine mengenalgebraische Beschreibung zu
überführen. Die Nutzung der Beschreibungsinstrumente der Men-
genalgebra erlauben eine verallgemeinerte Begriffsform der
Prozeßabgeschlossenheit.
Die Betrachtung der Prozeßabgeschlossenheit erfolgt innerhalb
einer ausgewählten Sicht n-ter Ordnung, die durch die Hierar-
chisierung der Modellelemente eindeutig determiniert ist. Die
Modellelemente Prozeß, Verantwortung und Information der Sicht
n-ter Ordnung werden als Elemente p, v und i der Urmengen P, V
und I bezeichnet. Die Vereinigungsmenge aus den Urmengen P, V
und I wird als Grundmenge G definiert. Der folgende Ausdruck
für die Grundmenge G beschriebt die Gesamtheit der betrachten
Elemente bei der Formulierung der Prozeßabgeschlossenheit:
- 94 -
Legende
G Grundmenge aller betrachteten ElementeP Urmenge aller Prozeßelemente pV Urmenge aller Verantwortungselemente vI Urmenge aller Informationselemente i
G = P ∪ V ∪ I
Mit {p p ∈ P und v v ∈ V und i i ∈ I}
und P ⊂ Ν+0 und V ⊂ Ν+
0 und I ⊂ Ν+
0 und G ⊂ Ν+0
Abbildung 24: Bestimmung der Mengen für die Beschreibung der
Prozeßabgeschlossenheit
Die Modellelemente Beziehungskante und Hierarchiekante werden
explizit nicht als Mengenelemente dargestellt. Die Beziehungs-
kante, die die Modellelemente Prozeß, Verantwortung und Infor-
mation verknüpft, repräsentiert bei der mengenalgebraischen
Beschreibung ein Ordnungskriterium. Die Beziehungskante deter-
miniert durch die Verknüpfung der Elemente p, v und i die Zu-
ordnung der Elemente in die Urmengen P, V und I oder in die
Schnittmengen, die aus den Urmengen gebildet werden.
Die Hierarchiekante verknüpft Elemente der Sicht n-ter Ordnung
mit gleichartigen Elementen der Sicht n+1-ten Ordnung. Die
mengenalgebraische Beschreibung bezieht sich jedoch bei der
Untersuchung der Prozeßabgeschlossenheit nur auf die Elemente
einer Modellsicht n-ter Ordnung. Eine vollständige Betrachtung
der Prozeßabgeschlossenheit für ein Modell erfolgt durch eine
sequentielle Verknüpfung der Modellsichten. Die Hierarchiekan-
te ist somit nicht in eine mengenalgebraische Beschreibung zu
überführen.
Durch die Formulierung einer Schnittmenge für die Prozeßabge-
schlossenheit aus den drei Urmengen P, V und I sowie mit Nut-
- 95 -
zung der Verknüpfung zwischen p, v und i können die Modellin-
halte einer Sicht n-ter Ordnung in eine mengenalgebraische
Darstellung eindeutig überführt werden. Die Abbildung 25 zeigt
für die Sicht n-ter Ordnung alle Urmengen sowie alle möglichen
Kombinationen der Urmengen in Form von Schnittmengen als Venn-
Diagramm. Die Elemente der Schnittmenge P ∩ V ∩ I repräsentie-
ren abgeschlossene Prozesse.
Legende
P Urmenge aller Prozeßelemente pV Urmenge aller Verantwortungselemente vI Urmenge aller Informationselemente iP ∩ V Schnittmenge Prozeß und VerantwortungV ∩ I Schnittmenge Verantwortung und InformationP ∩ I Schnittmenge Prozeß und InformationP ∩ V ∩ I Schnittmenge Prozeß, Verantwortung und InformationP ∪ V ∪ I Grundmenge G aller betrachteten Elemente
P ∩ V ∩ I
PV
I
V ∩ IP ∩ I
P ∩ V
Abbildung 25: Darstellung der Schnittmenge P ∩ V ∩ I sowieweiterer Schnittmenge aus den Urmengen P, V und I
als Venn-Diagramm
Die Abgeschlossenheit von Prozessen ist durch die mengenalge-
braische Bildung der Schnittmenge P ∩ V ∩ I eindeutig dar-
stellbar. Für die Ermittlung der Mengenzugehörigkeiten der
Elemente p, v und i wird die bereits eingeführte symbolische
Prozeßbeschreibung genutzt. Die Transformation der Elemente
- 96 -
Prozeß, Verantwortung und Information sowie der Beziehungskan-
te und des informationstransformierenden Systems in eine men-
genalgebraische Beschreibung zeigt die Abbildung 26.
Informations- transformierendes p, v in Schnittmenge P ∩ VSystem
Prozeß, Information, p, i in Schnittmenge P ∩ IBeziehungskante
Verantwortung, v, i in Schnittmenge V ∩ IInformation,Beziehungskante
Prozeß, Verantwortung, p, v, i in Schnittmenge P ∩ V ∩ IInformation,Beziehungskante
Abbildung 26: Transformation der symbolischen
Prozeßbeschreibung in eine mengenalgebraische
Darstellung
Die Zuordnung der Modellelemente Prozeß, Verantwortung und In-
formation zu den Mengenelementen p, v und i ist eindeutig. Das
Element Beziehungskante und die Kennzeichnung des informa-
tionstransformierenden Systems repräsentieren die Ordnungskri-
terien der Schnittmengen. Die Ordnungskriterien der Schnitt-
mengen entsprechen in der symbolischen Beschreibung den Ver-
knüpfungen zwischen den Elementen Prozeß, Verantwortung und
Information. Die Regeln für eine zulässige Verknüpfung sind in
Kapitel 5.1.2 festgelegt und werden mit der oben beschriebenen
Transformation in die mengenalgebraische Darstellung über-
führt. In der Abbildung 27 sind die Ordnungskriterien der Men-
- 97 -
gen als symbolische Beschreibung der Modellelemente in einem
Venn-Diagramm dargestellt.
P ∩ V ∩ I
P V
I
V ∩ IP ∩ I
P ∩ V
Abbildung 27: Venn-Diagramm mit Ordnungskriterien in Form der
symbolischen Beschreibung der Modellelemente
Die mengenalgebraische Darstellung fokussiert eine Sicht n-ter
Ordnung des Modells. Hervorzuheben ist bei der Darstellung die
Kennzeichnung von Schnittstellen durch die Elementzuordnungen
in den Schnittmengen. Die Mächtigkeit der Schnittmengen korre-
liert mit der Anzahl der Schnittstellen. Es ergeben sich die
folgenden Interdependenzen:
- Die Schnittmenge P ∩ I umfaßt alle Prozeßschnittstellen.
- Die Schnittmenge V ∩ I umfaßt alle Verantwortungsschnitt-
stellen.
- 98 -
- Die Schnittmenge P ∩ V ∩ I umfaßt alle parallelen Schnitt-
stellen.
Durch die Formulierung des parallelen Informationsflusses, der
die Elemente p, v und i in der Schnittmenge P ∩ V ∩ I ver-
knüpft, wird die Prozeßschnittstelle mit der zugeordneten Ver-
antwortungsschnittstelle zu einer parallelen Schnittstelle mit
zweifacher Wertigkeit überführt. Die parallele Schnittstelle
wird bei der semantischen Modellbetrachtung als eine Schnitt-
stelle gezählt, so daß die Gesamtzahl aller ermittelten
Schnittstellen reduziert wird.
6.2 Ermittlung und Klassifizierung eines Abgeschlossen-
heitsgrades
Die Abgeschlossenheit eines betrieblichen Prozesses ist durch
die Schnittmenge P ∩ V ∩ I, die sich aus den drei Urmengen P,
V und I bildet, darstellbar. Zur Herstellung von abgeschlosse-
nen Prozessen ist die Quantifizierung der Prozeßabgeschlossen-
heit notwendig. Die Formulierung eines Abgeschlossenheitsgra-
des für Prozesse basiert auf der mengenalgebraischen Beschrei-
bung der Mächtigkeit von Mengen. Die Mächtigkeit einer Menge
quantifiziert die Anzahl der enthaltenen Elemente 1. Die
Schnittmenge P ∩ V ∩ I bildet zusammen mit der Grundmenge G
die Basis zur Berechnung des Abgeschlossenheitsgrades. Der Ab-
geschlossenheitsgrad AG n für eine Sicht n-ter Ordnung des Mo-
dells wird wie folgt definiert:
1 Die Mächtigkeit verallgemeinert ebenso den Begriff der Anzahl von Mengenmit unendlich vielen Elementen. Zwei Mengen A und B werden als gleichmächtig (äquivalent) oder von gleicher Mächtigkeit | A | = | B | bezeich-net, wenn es eine umkehrbar eindeutige Zuordnung zwischen den Elementenvon A und B gibt.
- 99 -
Legende
AGn Abgeschlossenheitsgrad der Sicht n-ter OrdnungP Urmenge aller Prozeßelemente pV Urmenge aller Verantwortungselemente vI Urmenge aller Informationselemente i
P ∩ V ∩ I
P ∪ V ∪ I
mit AG n ∈ Q und P ⊂ Ν+0 und V ⊂ Ν+
0 und I ⊂ Ν+
0
AGn := 0 ≤ AGn ≤ 1
Abbildung 28: Berechnung des Abgeschlossenheitsgrades (AGn)
einer Modellsicht n-ter Ordnung
Zur Berechnung des Prozeßabgeschlossenheitsgrades eines Mo-
dells werden die Abgeschlossenheitsgrade der enthaltenen Mo-
dellsichten mit einem Gewichtungsfaktor multipliziert und die
entstehenden Produkte summiert. Der Gewichtungsfaktor korre-
liert mit der Ordnungsnummer der Modellsicht 1. Die Gewichtung
hat das Ziel, die betrachteten Sichten eines Modells mit den
unterschiedlichen Grundmengen G der Ordnung 1 bis zur Grund-
menge G der Ordnung (m-1) anzugleichen 2. Die unterschiedliche
Anzahl an Elementen auf den Sichten wird durch die Nutzung des
Gewichtungsfaktors nivelliert, so daß der berechnete Abge-
schlossenheitsgrad für ein Modell eine konsolidierte Gesamt-
1 Die dominierenden Einflußfaktoren bei der Bildung des Gewichtungsfaktorssind die differenten Grundmengen der Modellsichten und die Dichte sowieIntensität der Elementverknüpfungen. Die Ermittlung von Dichte und In-tensität der Elementverknüpfungen basiert auf den Urmengen P, V und Isowie auf der Modellausprägung Übertragungshäufigkeit des Informations-flusses.
2 Bei der Ermittlung des Abgeschlossenheitsgrades werden die Sichten derOrdnung 1 bis (m-1) betrachtet. Die Sicht m-ter Ordnung wird bei der Er-mittlung nicht betrachtet, da der Abgeschlossenheitsgrad der Sicht m-terOrdnung durch die Modellhierarchisierung den Wert 1 zugewiesen bekommt.
- 100 -
aussage aller betrachteten Sichten ermöglicht. Der Wert des
Gewichtungsfaktors muß den Anforderungen, die für die Kali-
brierung eines Modells erforderlich sind, entsprechen, siehe
Kapitel 2.1.3. In der vorliegenden Arbeit wird der Gewich-
tungsfaktor als Funktion der Ordnungsnummer n gebildet. Die
Abbildung 29 zeigt die Berechnungsvorschrift für den Abge-
schlossenheitsgrad eines Modells.
Legende
AGn Abgeschlossenheitsgrad der Sicht n Ordnungqn Gewichtungsfaktor der Sicht n Ordnungm Anzahl der Modellsichtenn Ordnungsnummer einer Modellsicht
AG := Σ AGn · qn mit q n := (m-1)
10 ≤ AG ≤ 1
0 ≤ q n ≤ 1
n
Σ n(m-1)
1
Abbildung 29: Berechnung des Abgeschlossenheitsgrades (AG) ei-
nes Modells
Der Abgeschlossenheitsgrad (AG) repräsentiert eine exponierte
Ausprägung des Modells, da alle Modellelemente betrachtet und
in Beziehung gesetzt werden. Der ermittelte AG, der die
Schnittmenge P ∩ V ∩ I der drei Urmengen quantifiziert, be-
schreibt ein Maß für die Güte einer Organisation 1. Die dadurch
entstehenden Vergleichsmöglichkeiten zu unterschiedlichen Or-
ganisationszuständen ermöglichen eine gezielte Ausrichtung der
Betriebsprozesse respektive deren Elemente an eine angestrebte
Organisationsstruktur.
1 Die Aussage zur Güte einer Organisation ist angelehnt an dem Organisati-onsprinzip der Kongruenz zwischen Aufgabe, Kompetenz und Verantwortung.
- 101 -
6.3 Herstellung der Abgeschlossenheit von Prozessen
Die Abgeschlossenheit von Prozessen wird durch den Abgleich
von Verantwortung und Informationsfluß hergestellt. Das Vorge-
hen basiert auf dem erarbeiteten Prozeßmodell sowie deren Be-
wertung. Die Darstellung
- der symbolischen Prozeßbeschreibung und die daraus abgelei-
teten syntaktischen und semantischen Bewertungen sowie
- die mengenalgebraische Darstellung mit der quantifizierenden
Bewertung des Abgeschlossenheitsgrades
repräsentieren damit die Grundlagen für einen durchzuführenden
Abgleich von Verantwortung und Informationsfluß. Die Abbildung
30 zeigt das iterative Vorgehen zur Herstellung der Prozeßab-
geschlossenheit.
- 102 -
Bewertung der Verknüpfung von Prozeß,
Verantwortung und Information
Mengenalgebraische Ermittlung des
Abgeschlossenheitsgrades
Abgleich der Prozeß- oder Verantwortungs-
oder Informationshierarchie
Abgleich der Verknüpfungen zwischen Prozeß,
Verantwortung und Information
Eliminierung oder Einfügung von
Prozeß oder Verantwortung oder Information
Beschreibung von Prozeß, Verantwortung und
Information
Start
Ende
auf derSicht 1. Ordnung oder Sicht n+1 Ordnung
auf derSicht n+1 Ordnung
Herstellung der Prozeßabge-
schlossenheit
angemessenerAG
nicht angemessenerAG
Bewertung Abgeschlossenheits-
grad (AG)
Abbildung 30: Vorgehen zur Herstellung der Abgeschlossenheit
von betrieblichen Prozessen
Die Quantifizierung der Prozeßabgeschlossenheit in Form des
Abgeschlossenheitsgrades AG sowie die Bewertung mit den Attri-
buten „angemessen“ und „nicht angemessen“ steuert prioritär
das Vorgehen. Die Definition eines angemessenen Abgeschlossen-
heitsgrades wird durch die formulierten Klassifizierungen und
- 103 -
Bewertungsraster für Organisationen respektive für betriebli-
che Prozesse, die in Kapitel 6.2 eingeführt wurden, unter-
stützt 1.
Zur Herstellung der Prozeßabgeschlossenheit stehen drei Optio-
nen für einen Abgleich von Verantwortung und Informationsfluß
für die Prozeßabgeschlossenheit zur Verfügung. Die Optionen
für den Abgleich auf den Modellsichten der Ordnung 1 und der
Ordnung n+1 werden mit exponierten Prinzipdarstellungen der
symbolischen Prozeßbeschreibung vorgestellt.
Die Sicht 1. Ordnung repräsentiert vor dem Abgleich den Ist-
Zustand der betrachteten betrieblichen Prozesse. Die Modellie-
rer, die bei dem partizipativen und evolutionären Modellaufbau
die betrieblichen Prozesse mit ihren syntaktischen und seman-
tischen Ausprägungen formulieren, generieren eine verifizierte
erste Modellsicht. Mit den eingeführten Verknüpfungsregeln für
die Sicht 1. Ordnung wird der Abgleich von Verantwortung und
Informationsfluß direkt bei dem Modellaufbau durchgeführt. Die
Sicht 1. Ordnung des Modells im Ist-Zustand besitzt daher vor
einem Abgleich die größte Anzahl an abgeschlossenen Prozessen.
Die Abbildung 31 zeigt eine Prinzipdarstellung der symboli-
schen Prozeßbeschreibung sowie die Vorgehensschritte „Ermitt-
lung und Bewertung des Abgeschlossenheitsgrades“ und „Optionen
zur Herstellung der Prozeßabgeschlossenheit“.
1 Der angemessene Abgeschlossenheitsgrad wird durch Experten bestimmt undfestgelegt. Anzumerken sei, daß der Wert des Abgeschlossenheitsgrades inAbhängigkeit von der Modellgröße und der Aufwand-Nutzen-Relation zu de-finieren ist.
- 104 -
P V
I
Ermittlung und Bewertungdes Abgeschlossenheits-grades AG1
Herstellung derProzeßabgeschlossenheit
Beschreibung und Bewertungder Verknüpfung von Prozeß,Verantwortung undInformation
Option 1 Abgleich der Verknüpfungen zwischen Prozeß, Verantwortung undInformation
Option 2 Eliminierung oder Einfügung von Prozeß oderVerantwortung oder Information
Abbildung 31: Vorgehensschritte für den Abgleich von
Verantwortung und Informationsfluß auf der Sicht 1.
Ordnung bei einem nicht angemessenen AG
Die Bewertung der betrieblichen Prozesse ist vor dem Abgleich
für die Wahl der Optionen bezüglich der Herstellung der Pro-
zeßabgeschlossenheit notwendig. Die symbolische Prozeßbe-
schreibung beinhaltet mit den bewertenden Elementausprägungen
die Voraussetzung, um die mengenalgebraischen Ordnungskriteri-
en der Modellelemente zu determinieren. Die Zuordnung, Elimi-
nierung oder Neuordnung der Elemente im Venn-Diagramm basiert
somit auf den Bewertungen der symbolischen Prozeßbeschreibung.
Nicht abgeschlossene Prozesse werden durch das Venn-Diagramm
ausgewiesen. Die Zuordnung der Modellelemente in die Schnitt-
mengen komprimiert damit die symbolische Prozeßbeschreibung
auf den Aspekt der Abgeschlossenheit.
- 105 -
Eine Erweiterung der Bewertung durch zusätzliche Aspekte der
syntaktischen und semantischen Modellausprägungen unterstützen
den detaillierten Abgleich zur Prozeßabgeschlossenheit durch
die gewonnenen Erkenntnisse. Die Bewertungsmöglichkeiten kor-
relieren mit den definierten Ausprägungen der Modellelemente.
Die eingeführten Ausprägungen werden mit ihren Bewertungsvor-
schriften auszugsweise in der Tabelle 8 dargestellt.
Element(e) Syntakti-
sche Aus-
prägung
Semantische
Ausprägung
Bewertungsvor-
schrift
Ergeb-
nisdar-
stellung
Ein-
heit
Prozeß - Kapazität Addition ausge-
wählter Kapazitä-
ten
Summe %
Verantwortung,
Beziehungskante
Lieferant - Zählung ausgewähl-
ter Lieferanten
Anzahl -
Verantwortung,
Beziehungskante
Benutzer - Zählung ausgewähl-
ter Benutzer
Anzahl -
Information,
Beziehungskante
Input - Zählung ausgewähl-
ter Inputs
Anzahl -
Information,
Beziehungskante
Output - Zählung ausgewähl-
ter Outputs
Anzahl -
Information - Übertra-
gungszeit
Addition ausge-
wählter Übertra-
gungszeiten
Summe Tage
Information - Übertra-
gungshäu-
figkeit
Mittelung ausge-
wählter Übertra-
gungshäufigkeiten
Durch-
schnitt
1 /
Woche
Tabelle 8: Syntaktische und semantische Ausprägungen mit in-
terdependenten Bewertungsvorschriften
Durch die Erweiterungsoptionen der Bewertung sind Verbesserun-
gen, die durch die Herstellung von abgeschlossen Prozessen er-
zielt werden, differenzierter darstellbar.
- 106 -
Das Vorgehen des Abgleichs von Verantwortung und Information
auf übergeordneten Modellsichten soll exemplarisch an der Mo-
dellsicht n+1-ten Ordnung beschrieben werden. Die Sicht der
Ordnung n+1 unterscheidet sich gegenüber der Sicht 1. Ordnung
bei der Generierung der Modellinhalte. Die Beschreibung der
übergeordneten Sichten erfolgt durch Experten, die eine Seg-
mentierung der Prozesse, eine Strukturierung der Verantwortung
und eine Gruppierung der Informationen durchführen. Die verti-
kale Verknüpfung der Modellinhalte durch eine Hierarchie
stellt damit eine weitere Herstellungsoption zur Verfügung,
die für den Abgleich genutzt werden kann. Zusammen mit den
zwei Herstellungsoptionen, die auf der Sicht 1. Ordnung zur
Anwendung kommen, ergeben sich drei Alternativen für den Ab-
gleich von Verantwortung und Informationsfluß auf einer Sicht
n+1-ten Ordnung, siehe auch Abbildung 32.
- 107 -
P V
I
Ermittlung und Bewertungdes Abgeschlossenheits-grades AGn+1
Herstellung derProzeßabgeschlossenheit
Beschreibung und Bewertung– der Verknüpfung von
Prozeß, Verantwortung undInformation
– der Hierarchie Prozeß,Verantwortung undInformation
– der Aggregation derInformationsflüsse derSicht 1. Ordnung in dieSicht n+1 Ordnung
Option 1 Abgleich der Prozeß-oder Verantwortungs-oder Informations-hierarchie
Option 2 Abgleich derVerknüpfungen zwischenProzeß, Verantwortungund Information
Option 3 Eliminierung oderEinfügung von Prozeßoder Verantwortungoder Information
Abbildung 32: Vorgehensschritte für den Abgleich von Verant-
wortung und Informationsfluß auf der Sicht n+1-ten
Ordnung bei einem nicht angemessenen AG
Der vollständige Abgleich des Modells erfolgt durch die itera-
tive Herstellung der Prozeßabgeschlossenheit auf der Modell-
sicht 1. Ordnung bis zur Modellsicht m-ter Ordnung. Optional
kann die beschriebene Vorgehensweise durch das Erreichen eines
vor dem Abgleich festgelegten AG beendet werden.
- 108 -
7 Validierung der Methoden zur Beschreibung und
Herstellung der Prozeßabgeschlossenheit
Am Beispiel eines mittelständischen Herstellers von Raumsyste-
men1 sollen im folgenden die Vorgehensweise bei der Anwendung
der Methoden und die erzielten Ergebnisse vorgestellt werden.
7.1 Beschreibung des betrieblichen Prozesses der Auftrags-
abwicklung eines Unternehmens der Investitionsgüter-
branche
Das Unternehmen produziert mit insgesamt 1200 Mitarbeitern
Sonnenschutz- und Raumsysteme2. Die Fertigung der Raumsysteme
erfolgt in zwei Werken an unterschiedlichen Standorten. Der
sungen an und läßt sich nach Warnecke in die Gruppe der Ein-
zelfertiger einordnen /82/. Die Qualität der Fertigungsspezi-
fikation von Kundenwünschen ist speziell bei der Einzelferti-
gung entscheidend für eine wirtschaftliche Leistungserstel-
lung, da eine Wiederholung und somit Optimierung desselben
Prozesses der Auftragsabwicklung im Allgemeinen ausgeschlossen
werden kann 3. Die beschriebene immanente Interdependenz sowie
1 Unter Raumsystemen werden Produkte verstanden, die eine individuelleRaumgestaltung mit variablen Trennwänden ermöglichen. Das Raumsystem be-steht aus den Trennwandelementen und einem Schienensystem zur Führungdieser Elemente.
2 Der Gesamtumsatz von ca. 250 Mio. DM splittet sich zu ca. 70% auf den Be-reich Sonnenschutz und zu ca. 30% auf den Bereich Raumsysteme. Mit gut40% Marktanteil ist das Unternehmen bei Raumsystemen Markt- und Techno-logieführer /34/.
3 Die aus der unmittelbaren Abhängigkeit von individuellen Kundenvorgabenresultierende Unsicherheit in der Konstruktion ist in den Unternehmender Einzelfertigung stark ausgeprägt, da in diesem Fall die Erfüllungder Konstruktionsaufgaben von externen Entscheidungsträgern abhängt, dienur sehr begrenzt von der Unternehmung zu beeinflussen sind /93/.
- 109 -
ein angestrebter Umsatzzuwachs motiviert das Unternehmen, die
Auftragsabwicklung1 näher zu betrachten.
Die vorhandene Komplexität bei der Koordination der Auftrags-
abwicklung ist zu reduzieren, um somit eine wesentliche Stei-
gerung der Produktivität 2 zu erreichen. Eine effizientere Koor-
dination soll durch die Eliminierung von Schnittstellen und
der Harmonisierung von verbleibenden Prozeßschnittstellen mit
Verantwortungsschnittstellen hergestellt werden. Die Prozeßbe-
trachtung und die Prozeßgestaltung mit den Aspekten der Pro-
zeßabgeschlossenheit bilden die Schwerpunkte bei dem Vorgehen.
Nach der Festlegung der Zieldimensionen in Form der Kennzahlen
Produktivität 3 und Durchlaufzeit 4 erfolgt die Analyse des Ist-
Zustandes der Auftragsabwicklung.
Bei der bestehenden Aufbauorganisation des Unternehmens han-
delt es sich um eine Linienorganisation, wobei die Abteilungen
einer verrichtungsorientierten Struktur unterliegen. Die
Abbildung 33 zeigt einen Ausschnitt des Organigramms 5 in Form
der Verantwortungshierarchie von dem Unternehmensbereich Raum-
systeme.
1 Die Auftragsabwicklung nimmt in dem Unternehmensbereich die Transformati-onsfunktion der Kundenwünsche in Fertigungsspezifikationen wahr.
2 Produktivität bezeichnet die Ergiebigkeit des Wirtschaftsprozesses alsVerhältnis des (mengen- bzw. wertmäßigen) Produktionsergebnisses zurMenge der eingesetzten Produktionsfaktoren /85/.
3 Die Messung der Produktivität bezieht sich innerhalb der Untersuchung aufden Quotienten bearbeitete Aufträge je Mitarbeiter.
4 Die Durchlaufzeit ist unter dem Aspekt der Informationsübertragungszeitzu betrachten, da dort die größten Optimierungspotentiale vermutet wer-den. Eine differenzierte Untersuchung der Durchlaufzeitsummanden Trans-portzeit, Liegezeit und Bearbeitungszeit ist nicht gefordert.
5 Unter einem Organigramm wird eine übersichtliche Gesamtgliederung mit denwahrgenommenen Funktionen verstanden /94/, siehe auch weitere Ausführungvon Vossbein.
- 110 -
BereichRaumsysteme
Befragte Verantwortungen
4
2
3
Ordnungsnummer der Verantwortungssicht
Technik
Auftrags-abwicklung
Kaufm.Auftragsabw.
Tech.Auftragsabw.Produkte A
Tech.Auftragsabw.Produkte B
Montage-wesen
Arbeits-vorbereitung
Angebots-bearbeitung
Fertigung
ForschungVertrieb
Legende
1Günther K. Hans B. Alfred G. Holger R.Ursula S.
Abbildung 33: Verantwortungshierarchie (Ausschnitt) des Unter-
nehmensbereichs Raumsysteme mit Kennzeichnung der
befragten Verantwortungen
Die gekennzeichneten Verantwortungen bilden alle Organisati-
onseinheiten ab, die in der Auftragsabwicklung involviert
sind. Zur Identifikation von Prozessen, für die Aufnahme der
Verantwortungen und zur Ermittlung der Informationsbeziehungen
werden mit den Mitarbeitern 1 der verschiedenen Teilbereiche der
Auftragsabwicklung Interviews durchgeführt. Vor der eigentli-
chen Befragung findet eine Informationsveranstaltung über die
1 Es werden 46 Mitarbeiter auf den drei Verantwortungsebenen Stelle (Sicht1. Ordnung), Gruppe (Sicht 2. Ordnung) und Abteilung (Sicht 3. Ordnung)befragt. Die Gruppen sind im Durchschnitt mit 10 Mitarbeitern besetzt.
- 111 -
Ziele, die Vorgehensweise und die erwarteten Ergebnisse statt.
Es werden dadurch zwei Effekte erreicht. Die Mitarbeiter par-
tizipieren an dem Optimierungsprozeß und haben somit die Gele-
genheit, sich mit den beschriebenen Zielen zu identifizieren.
Des weiteren wird über die Vorstellung des Befragungsablaufes
eine Vorbereitung der Mitarbeiter auf die Interviews ermög-
licht.
Die Formulierung von Prozessen der Auftragsabwicklung ge-
schieht mit der Einbindung von Experten, bestehend aus den
Führungskräften des Unternehmensbereichs, die durch die vorge-
gebenen Ziele die übergeordneten Prozesse in einem Soll-
Zustand beschreiben 1. Die Beschreibung umfaßt dabei die Prozeß-
sichten der Ordnung 2 und 3, so daß durch die Experten ein
Ordnungsrahmen vorgegeben wird. Die Prozesse der 1. Ordnung
sind an dem Ist-Zustand orientiert und werden wechselseitig
von den befragten Mitarbeitern und den Experten gemeinsam for-
muliert. Die entwickelten Prozesse lassen sich in einer Hie-
rarchie darstellen 2. In der Abbildung 34 ist die Prozeßhierar-
chie für die Auftragsabwicklung, die die Grundlage bei der
Prozeßgestaltung bildet, beschrieben 3.
1 Alternativ können die zugehörigen Prozesse der Auftragsabwicklung überdie Verantwortungshierarchie determiniert werden.
2 Die Formulierung der Informationshierarchie sowie der Informationselemen-te ist angelehnt an dem beschriebenen Vorgehen der Prozeßdefinition. Aufeine explizite Darstellung des Vorgehens zur Definition der Informatio-nen wird aus Gründen des geringen Mehrwerts verzichtet.
3 Eine ausführliche Darstellung der Prozesse in der Elementar-Sicht (Sicht1) ist im Anhang aufgeführt.
- 112 -
Ordnungsnummer der Prozeßsicht
3
1
2
Auftrags-abwicklg
Auftrags-erfassg
Termin-planung
Auftrags-bearbg
Vor-planung
Steuerg.Vormontg
Steuerg.Produkt
Steuerg.Endmontg
Kalkul. Auftrag
Oberflä.klären
Schluß-rechng.
Auftraganlegen
Erfassg.techn.
Daten
Erfassg.Termine
Exemplarisch untersuchte Prozeßsicht
Legende
Abbildung 34: Darstellung der Prozeßhierarchie (Ausschnitt)
mit Kennzeichnung der Prozesse 2. Ordnung der Auf-
tragsabwicklung
Im folgenden wird exemplarisch die Modellsicht der 2. Ordnung
näher betrachtet. Die Prozesse und Verantwortungen der 2. Ord-
nung basieren auf Zuordnungen aus der Sicht 1. Ordnung. Die
dort formulierten Verknüpfungen der Elemente Prozeß und Ver-
antwortung durch den Informationsfluß sind durch die Hierar-
chisierung eindeutig auf die Sicht 2. Ordnung zu überführen.
Die entstehenden betrieblichen Prozesse lassen sich durch die
Verkettung der Informationen unter dem Aspekt der Verantwor-
tung sowie unter dem Aspekt des Prozesses differenzieren. Aus
den beiden generischen Verkettungen können die vorhandenen
Verantwortungs- bzw. Prozeßschnittstellen direkt ermittelt
werden. In der Abbildung 35 sind Ausschnitte aus der Verket-
tung des betrieblichen Prozesses Terminplanung und -steuerung
dargestellt.
- 113 -
A C
B C
A
A
A
A
B
BC
C
C
C
Prozesse 2. Ordnungp2a : Auftragserfassung und -änderungp2b : Terminplanung und -steuerungp2c : Auftragsbearbeitung
Abbildung 36: Verkettung des betrieblichen Prozesses
Terminplanung und –steuerung (Ausschnitt) auf der
Sicht 2. Ordnung
Aus der Modellbetrachtung sind die dominierenden Informations-
flüsse zwischen den einzelnen Verantwortungen gegenüber den
Informationsflüssen zwischen den Prozessen ersichtlich. Die
Verantwortungs- und Prozeßschnittstellen sowie die parallelen
Schnittstellen können in der integrierenden Darstellung des
betrieblichen Prozesses eindeutig identifiziert werden.
Die vollständige Verkettung der betrieblichen Prozesse der
Auftragsabwicklung wird im folgenden geschildert. Die Ausfüh-
rungen beziehen sich hierbei auf die Modellelemente der 2.
Ordnung.
Die kaufmännische und technische Abwicklung eines Auftrags be-
ginnt mit der Übergabe des Angebotes aus der Gruppe Angebots-
bearbeitung. Das beauftragte Raumsystem wird sequentiell ge-
fertigt. Der Fertigungsprozeß wird in der Auftragsabwicklung
- 115 -
geplant und zeitlich mit dem Kunden und der Fertigung abge-
stimmt. Der Planungs- und Abstimmungsprozeß ist in zwei Phasen
unterteilt. Nach der Maßaufnahme am Einbauort der Trennwandan-
lage erfolgt in der ersten Phase, die auch als Vormontage be-
zeichnet wird, die Konstruktion, Fertigung und Montage des
Schienensystems. Auf Grund der erforderlichen hohen Präzision
und Maßgenauigkeit der Anlagen wird nach Einbau des Schienen-
systems eine zweite Vermessung vorgenommen. Anhand dieser Maße
werden die Trennwandelemente konstruiert, gefertigt und am
Schienensystem installiert. Die zweite Phase wird als Endmon-
tage bezeichnet. Die terminliche Koordination für die Auf-
tragsabwicklung erfolgt durch die Gruppe Montagewesen. Die
Steuerung der Aufträge wird durch die kaufmännische Gruppe
realisiert. Sie überwacht den Auftragsfortschritt und bildet
den unmittelbaren Ansprechpartner für den Kunden. Die Gruppen
technische Auftragsabwicklung A und B planen den Auftrag und
erstellen alle notwendigen Dokumente für die Fertigung. Die
beiden Gruppen kommunizieren direkt mit allen nachgelagerten
Gruppen, die für die Fertigung des Auftrages verantwortlich
sind. Der betriebliche Prozeß der Auftragsabwicklung endet mit
der Erstellung der Schlußrechnung nach erfolgreicher Abnahme
der montierten Anlage durch den Kunden an der Baustelle.
7.2 Untersuchungen zur Abgeschlossenheit des Auftragsab-
wicklungsprozesses
Die Ausrichtung der Auftragsabwicklung ist nach einer Betrach-
tung der Urmengen P, V und I des Ist-Zustandes durch eine
starke Informationsorientierung charakterisiert. Die Anzahl
der Informationen korreliert mit der Anzahl der involvierten
Verantwortungen, so daß eine zweite Ausrichtung mit dem
Schwerpunkt auf die Verantwortung innerhalb der Auftragsab-
wicklung identifizierbar ist. Die beiden dominanten Ausrich-
tungen kennzeichnen einerseits die Notwendigkeit einer detail-
lierten Auftragsbeschreibung durch die signifikante hohe An-
zahl an Informationen sowie anderseits die dadurch entstehende
starke Verteilung der Informationen an die involvierten Ver-
- 116 -
antwortungen. Ein mangelnder Prozeßbezug der Informationen
läßt sich aus der geringen Anzahl der Prozeßelemente ablesen.
Die Anzahl der Modellelemente sowie die abgeleiteten Mengen-
verhältnisse zur Grundmenge G sind in der Tabelle 9 aufge-
führt.
Auftragsabwicklung Ist-Zustand
Anzahl der Modellelemente in den Ur-
mengen
Prozentuales Verhältnis der Urmenge
zur Grundmenge
P V I P / G V / G I / G
19 46 60 15% 37% 48%
Tabelle 9: Anzahl der Modellelemente der Auftragsabwicklung im
Ist-Zustand
Der Abgeschlossenheitsgrad AG, der die Organisationsgüte cha-
rakterisiert, wird vor dem Abgleich auf Grundlage der Befra-
gungen und durch die erarbeiteten Prozeß-, Verantwortungs- und
Informationshierarchien ermittelt. In der Tabelle 10 sind die
einzelnen Abgeschlossenheitsgrade der Sicht 3. Ordnung bis
Sicht 1. Ordnung sowie deren Gewichtungsfaktoren aufgeführt.
Zur Vereinfachung sind die Abgeschlossenheitsgrade als prozen-
tuale Werte dargestellt.
Auftragsabwicklung Ist-Zustand
Ordnungsnummer der Sicht Abgeschlossenheitsgrad Gewichtungsfaktor
3 20% 3 / 6
2 60% 2 / 6
1 90% 1 / 6
Tabelle 10: Abgeschlossenheitsgrade der Sicht 3. Ordnung bis
Sicht 1. Ordnung im Ist-Zustand
- 117 -
Der berechnete Abgeschlossenheitsgrad für den betrachteten
Prozeß der Auftragsabwicklung ergibt sich aus dem Quotienten 1
270% / 600% und beträgt 45%.
Die arbeitsteilige, hierarchische Organisation des Unterneh-
mensbereichs hat infolge der auftragsbezogenen Fertigung kun-
denspezifischer, maßgenauer Anlagen einen hohen Koordinations-
und Kommunikationsaufwand über viele Schnittstellen hinweg zur
Folge. Die Komplexität der Auftragsbearbeitung in den planen-
den Unternehmensbereichen wird bei der Betrachtung von den
Schnittstellen des Abwicklungsprozesses deutlich.
Die Anzahl der Schnittstellen werden basierend auf den
Schnittmengen P ∩ I, V ∩ I und P ∩ V ∩ I ermittelt 2. Die se-
mantische Betrachtung geschieht unter der Nutzung des Kriteri-
ums des parallelen Informationsflusses, siehe Kapitel 6.1. Der
Ist-Wert vor dem Abgleich beträgt damit 1717 Schnittstellen,
siehe Tabelle 11.
1 Die folgende Berechnung wird verwendet: AG = (20*3 + 60*2 + 90*1) /(100*3 + 100*2 + 100*1) = 270 / 600
2 Die Anzahl aller möglichen Schnittstellen für die Elemente Prozeß undVerantwortung ist durch die folgende Formel berechenbar: Anzahl allermöglichen Verknüpfungen = 0,5 * ((Elementanzahl)*(Elementanzahl – 1)).Das Element Prozeß besitzt auf der Sicht 1. Ordnung 105 Verknüpfungsmög-lichkeiten, die multipliziert mit den 52 Informationselementen auf derSicht 1. Ordnung als Produkt 5460 mögliche Informationsflüsse ergibt.Die tatsächlich vorhandenen Informationsflüsse zwischen den Prozessen,die durch die Zuordnungen in der Schnittmenge P ∩ I dargestellt werden,repräsentieren die Prozeßschnittstellen.
- 118 -
Prozeß-
schnittstel-
len
Verantwor-
tungs-
schnittstel-
len
Gesamt
einfache
Schnittstel-
len
davon paral-
lele
Schnittstel-
len
Gesamt
Schnittstel-
len
Schnitt
mengeP ∩ I V ∩ I - P ∩ V ∩ I -
Anzahl 784 1472 2256 519 1717
Tabelle 11: Anzahl der Schnittstellen im Ist-Zustand
Die beiden festgelegten, zu verbessernden Zieldimensionen Pro-
duktivität und Durchlaufzeit können durch die aufgenommenen
semantischen Modellausprägungen für den Ist-Zustand bewertet
werden. Die Produktivität wird als Quotient mit dem Zähler be-
arbeitete Aufträge 1 und dem Nenner Personalkapazität 2 normiert
für eine Zeitperiode 3 T ermittelt. Die Produktivität für den
Ist-Zustand entspricht dem Wert 2,43 bearbeitete Aufträge je
Mitarbeiter. Die Durchlaufzeit wird als Summe von Übertra-
gungszeiten der ausgetauschten Informationen definiert. Die
Durchlaufzeit wird ebenfalls bezogen für die Zeitperiode T er-
1 Ein Auftrag erhält den Status bearbeitet, wenn die Erstellung der Schluß-rechnung erfolgt ist. Eine Differenzierung nach der Auftragsart und nachdem Auftragsumfang bei einem zu bearbeiteten Auftrag ist vernachlässig-bar, da die Basis der Raumsysteme modular aufgebaut ist und die kunden-spezifischen Anforderungen für die Produktivitätsbetrachtung als gleich-wertig anzusehen sind.
2 Grundlage der Personalkapazität ist das Personaljahr eines Mitarbeiters,das mit dem Wert 1 Mitarbeiter oder 100% gleichgesetzt werden kann. Dieaufgewendete Personalkapazität für einen Prozeß leitet sich durch dieausführenden Tätigkeiten des Mitarbeiters mit den entsprechenden Kapazi-täten ab.
3 Die Zeitperiode T entspricht einem Arbeitsmonat, der 20 Arbeitstage um-faßt. Die Zeitperiode T normiert die beiden Ausprägungen bearbeiteteAufträge und Übertragungszeit, um vergleichbare Kennzahlen für unter-schiedliche Zustände des betrieblichen Prozesses der Auftragsabwicklungzu erhalten.
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mittelt und beträgt vor dem Abgleich 16 Arbeitstage, siehe
Abbildung 37: Produktivität und Durchlaufzeit im Ist-Zustand
Die Anzahl der bearbeiteten Aufträge ist abhängig von dem be-
stätigten Auftragseingang in der Zeitperiode T und stellt so-
mit eine externe Inputgröße für den Prozeß der Auftragsabwick-
lung dar 1. Die durch eine Prozeßgestaltung veränderbaren Größen
werden durch die Ausprägungen Personalkapazität, Übertragungs-
zeit und Schnittstellen charakterisiert. In der Abbildung 38
sind die aggregierten Durchlaufzeiten und die gebundenen Per-
sonalkapazitäten je Gruppenprozeß (Prozeß 2. Ordnung) im obe-
ren Diagramm aufgeführt. Das untere Diagramm zeigt die Anzahl
der bereits diskutierten Schnittstellen.
1 Ein Gestaltungsziel ist es, die externe Inputgröße zu steigern, d.h., dieMöglichkeiten zu schaffen, einen erhöhten, bestätigten Auftragseingangbearbeiten zu können. Der Auftragseingang korreliert in der Regel mitdem zu steigernden Umsatz.
Durchlaufzeit Übertragungszeit mit der Einheit[Arbeitstage]
Auftrags-erfassung
Termin-planung
Auftrags-bearbeitung
Abbildung 38: Bewertung der Prozesse des Ist-Zustandes auf der
Sicht 2. Ordnung
Zusammenfassend ist zu sagen, daß die in der Auftragsabwick-
lung vorhandene unscharfe Prozeßorientierung 1 der Gruppen (Ver-
antwortungssicht 2. Ordnung) vermehrt Informationsflüsse für
die Koordination generiert, die dadurch eine signifikant hohe
1 Mit der Bezeichnung unscharfe Prozeßorientierung soll ausgedrückt werden,daß die Abgrenzung des Prozesses nicht eindeutig formuliert ist. Dieshat zur Folge, daß vor dem Abgleich sich einige Prozeßinhalte über-schnitten und vermischten.
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Schnittstellenanzahl verursacht. Die Schnittstellen wirken
sich nachteilig auf die Produktivität sowie auf die Durchlauf-
zeit gegenüber dem Kunden aus.
Als Ergebnis der Prozeßbetrachtung stellt sich heraus, daß die
beiden markanten Probleme der Auftragsabwicklung einerseits in
der schlechten internen Terminabstimmung und andererseits in
dem mangelhaften Abgleich und der Aufbereitung von Auftrags-
spezifikationen 1 bestehen. Als Indikator für die schlechte
Durchlaufzeit ist die signifikant hohe Kapazitätsbindung in
dem Prozeß Terminplanung identifizierbar. Die Informations-
flüsse der drei Gruppenprozesse der Auftragsabwicklung (Sicht
2. Ordnung) besitzen einen hohen Anteil nicht paralleler In-
formationsflüsse, die die mangelhaften Zuordnungen der Grup-
penprozesse (Sicht 2. Ordnung) zu den Gruppenverantwortungen
darstellen.
7.3 Herstellung der Abgeschlossenheit von Segmenten des
betrieblichen Prozesses der Auftragsabwicklung
Mit dem Ausweisen der nicht abgeschlossenen Prozesse respekti-
ve deren Elemente sind die Ursachen der beschriebenen Schwie-
rigkeiten der Auftragsabwicklung identifizierbar. Zwei Ursa-
chen des niedrigen Abgeschlossenheitsgrades werden exempla-
risch dargestellt.
Die qualitativen und quantitativen Informationsprobleme lassen
sich mit Hilfe der Modellinhalte näher eingrenzen. Durch die
Zeitbewertung der Informationen wurde festgestellt, daß 17 In-
formationen der 60 ermittelten Informationen hohe Durchlauf-
1 Dabei ist mit Abgleich die Quantität und Vollständigkeit gemeint, währendunter Aufbereitung die Qualität der benötigten Informationen zu verste-hen ist.
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zeiten beansprucht haben. Diese Informationen können wie folgt
charakterisiert werden:
- Bei der Informationsnutzung mit unstrukturierten Informati-
onsträgern wurde ein zeitaufwendiges Einlesen respektive Ab-
stimmen bei jeder eingehenden Änderung verursacht (11 be-
nannte Informationen).
- Die Informationsnutzung auf strukturierten Informationsträ-
gern setzt eine konsequente Pflege in Form eines Änderungs-
dienstes voraus, der nicht durchgängig vollzogen wurde (6
benannte Informationen).
Eine weitere Unzulänglichkeit war die Zuordnung von Gruppen-
prozessen und -verantwortungen (Sicht 2. Ordnung) zu dem be-
trieblichen Prozeß der Auftragsabwicklung (Sicht 3. Ordnung).
Die vorhandenen Verknüpfungen der Informationen zu den Verant-
wortungen und Prozessen waren widersprüchlich und erzeugten
eine hohe, nicht mehr zu koordinierende Abstimmungsproblema-
tik.
Die Prozeßabgeschlossenheit wird basierend auf den Ergebnissen
durch einen Abgleich der Verantwortungen und Informationsflüs-
se zu den Prozessen hergestellt. Die durchgeführte Untersu-
chung gibt Hinweise für eine sachlogische Verknüpfung der Ele-
mente Prozeß, Verantwortung und Information. Damit ist die
Bildung von verschiedenen Soll-Zuständen unter Berücksichti-
gung der definierten Zieldimensionen möglich. Die durchzufüh-
rende Variantengenerierung erfolgt durch Eliminierung von Mo-
dellelementen sowie durch den Abgleich der Verknüpfungen zwi-
schen Prozeß, Verantwortung und Information durch die Bezie-
hungs- und Hierarchiekante. Die Varianten repräsentieren un-
- 123 -
terschiedliche Soll-Zustände mit charakterisierenden Prozeßab-
geschlossenheitsgraden 1.
Der ausgewählte Soll-Zustand nach dem Abgleich wird im folgen-
den durch eine exemplarische symbolische Darstellung der
Verkettung des betrieblichen Prozesses Terminplanung und
–steuerung auf der Sicht 2. Ordnung sowie durch die Anzahl der
Modellelemente, dem ermittelten Abgeschlossenheitsgrad und den
daraus resultierenden Schnittstellen beschrieben. Die semanti-
schen Modellausprägungen mit den korrelierenden Zieldimensio-
nen Produktivität und Durchlaufzeit weisen die Nutzenpotentia-
le des auswählten Soll-Zustandes aus. Die Abbildung 39 zeigt
die Verkettung des betrieblichen Prozesses Terminplanung und
–steuerung.
1 Die Formulierung von Soll-Varianten für Organisationen kann durch unter-schiedliche, bewährte Methoden erfolgen /14/, /18/, /46/. Der charakte-risierende Abgeschlossenheitsgrad unterstützt die Bewertung der Varian-ten. Der Abgeschlossenheitsgrad kennzeichnet die Güte des Organisations-zustandes und zeigt weitere, zu erschließende Verbesserungsoptionen auf.Die Auswahl der Variante kann durch die Festlegung eines angemessenenAbgeschlossenheitsgrades gezielt erfolgen.
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p2b
Ordnungsnummerder Sicht
3
2
3
2
p3 : Auftragsabwicklungp2a : Auftragserfassung und -änderungp2b : Terminplanung und -steuerungp2c : Auftragsbearbeitung
07/94 - 04/95 AssistentAbteilung Produktplanung und –entwicklung sowie Ab-teilung Qualitätsmanagement Wilhelm SchumacherSchraubenfabrik GmbH (Hilchenbach)
05/95 - 09/98 Wissenschaftlicher MitarbeiterFraunhofer Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF (Magdeburg)
seit 10/98 Wissenschaftlicher Mitarbeiter Leitung Geschäftsfeld Geschäftsprozeßmanagement, In-stitute for Manufacturing Strategies IMS GmbH (Bar-leben)
Weitere Tätigkeiten:
seit 02/1998 Mitglied im Industriearbeitskreis Wissensmanagement,geleitet von der Siemens AG, ZT IK 8 (München)
seit 04/1999 beratender Experte im Validierungsgremium der Vor-dringlichen Aktivität „Kompetenznetzwerke produzie-render Unternehmen“ im Rahmen des Programms „For-schung für die Produktion von morgen“ gefördert vomBMBF