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Aug 08, 2018

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    Christof Schalhorn

    Hegels Jenaer Begriff des Selbstbewusstseins(1801-1805/06)

    Hegels Begriff des Selbstbewusstseins in seinen Jenaer Jahren vor der Phnomenologiedes Geistes (1807) hat bislang keine eigene Darstellung gefunden. Das erklrt sich wohlzum Teil aus seiner wenig exponierten Stellung in Texten, deren berlieferung unvoll-

    stndig ist. Gleichwohl ist es nichtnur

    mglich, sondern aufschlussreich, den JenaerSelbstbewusstseinsbegriff separat zu verfolgen. Denn an ihm lsst sich Hegels Abkehrvon einer transzendentalphilosophisch orientierten Position hin zu seiner eigenen, spe-kulativen Metaphysik paradigmatisch aufzeigen.

    Die zu diesem Zweck betrachteten Schriften unterteilen sich in zwei aufeinander fol-

    gende Gruppen: Erstens die Jenaer Kritischen Schriften, und zwar die Differenzschrift(1801), ,Glauben und Wissen' (1802) und der ,Naturrechtsaufsatz' (1802/03)1; zweitensaus den erhaltenen Manuskripten Hegels diejenigen Passagen der Systementwrfe I(1803/04), // (1804/05) und /// (1805/06), die fr die Geistesphilosophie relevant sind.Um einen Ausblick zu geben, so wird anhand dieser Schriften:

    (1) die Entwicklung des Jenaer Selbstbewusstseins-Begriffs skizziert. Dabei stehtjede dieser Gruppen fr eine gegenlufige Tendenz: In der erstgenannten Gruppe von

    Schriften erfolgt ausgehend von einem transzendentalen Begriff von reinem Selbstbe-wusstsein als intellektueller Anschauung eine Abwertung. Und zwar eine Abwertungdes Selbstbewusstseins zugunsten von Hegels metaphysischer Konzeption des Absolu-ten als Geist. Innerhalb der Systementwrfe I, II und /// erfolgt dann eine Aufwertung,indem Hegel an Stelle des Bewusstseins das Selbstbewusstsein in neuer Deutung zum

    Leitbegriffdes Geistes macht.

    (2) eine Differenzierung in Hegels Selbstbewusstseins-Begriff aufgezeigt. Denn He-gel kennt verschiedene Typen von Selbstbewusstsein. Damit ergeben sich einerseitssystematische Berhrungspunkte zur breiten Phnomenalitt von Selbstbewusstsein.

    Die vollstndigen Titel der hier in Kurzform genannten Schriften lauten: Differenz des Fichte'sehenund SeheHing'sehen Systems der Philosophie in Beziehung aufReinhold's Beytrge zur leichternbersicht des Zustands der Philosophie zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts, lstes Heft,.Glauben und Wissen, oder die Reflexionsphilosophie der Subjectivitt in der Vollstndigkeit ih-rer Formen, als Kantische, Jacobische, und Fichtesche Philosophie' und .Ueber die wissenschaft-lichen Behandlungsarten des Naturrechts, seine Stelle in der praktischen Philosophie, und seinVerhltni zu den positiven Rechtswissenschaften'.

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    Andererseits differenziert sich Hegels Kerninteresse: die im Selbstbewusstsein erfol-gende Erkenntnis des Absoluten. Diese kann nmlich eine blo formale oder eine in-haltlich angereicherte sein.

    (3) ein strukturelles Problem in den Mittelpunkt gestellt. Es betrifft die Symmetriebzw.

    Asymmetrievon

    Subjektund

    Objektin der Erkenntnisrelation. Virulent wird die-

    ses Problem in der Opposition zwischen dem Bewusstsein (Symmetrie) und dem Selbst-bewusstsein (Asymmetrie) als Leitbegriffen des Geistes. Dabei ergibt sich im erstenFall die Erkenntnis des Absoluten als Objekt-Erkenntnis, im zweiten Fall als Selbst-Er-kenntnis. Diese Opposition zeigt und entscheidet sich besonders im Verhltnis der Sys-tementwrfe I und ///.

    Was aber ist bei Hegel am Anfang der Jenaer Zeit unter ,Selbstbewusstsein' philoso-phisch zu verstehen? Das sei einleitend beleuchtet mit Bezug auf einen Begriff desSelbstbewusstseins, den Hegel zwar erwhnt, aber nicht direkt behandelt: das empiri-sche Selbstbewusstsein.

    Geht man aus vom empirischen Bewusstsein, bei dem das Subjekt sich auf die ,man-nichfaltigen Objekte' der Erfahrung bezieht, dann ergeben sich fr das empirischeSe/fofbewusstsein bei Hegel zwei Typen. Zum einen hat das Subjekt in der Differenz zuden Objekten ein Bewusstsein von sich als Subjekt berhaupt

    -

    der Typ des empiri-schen Ich-Bewusstseins. Zum anderen hat das Subjekt ein Bewusstsein von sich selbstals empirisches Objekt in der ,Einzelheit und Besonderheit des Individuums'

    -

    der Typder empirischen Selbstzuschreibung.

    Einschrnkend ist festzustellen, dass manches der folgenden Ausfhrungen durchaus hypothe-tischen Charakter hat, weil die Textbasis und die Ausarbeitung durch Hegel teilweise unvoll-stndig sind. Auerdem ist festzuhalten, dass das Selbstbewusstsein in starkem Ma an anderewichtige Theoreme angrenzt

    -

    logische, ontologische, epistemologische -, die hier nicht gleich-falls errtert werden knnen. Das betrifft auch bekannte Begriffspaare und Begriffe Hegels, wieGegensatz-Einheit/Identitt, Subjekt-Objekt, Allgemeines-Einzelnes, Spekulation usf. Grundlegendhierfr ist nach wie vor K. Dsing, Das Problem der Subjektivitt in Hegels Logik. Systematischeund entwicklungstheoretische Untersuchungen zum Prinzip des Idealismus und zur Dialektik,Bonn

    1976,sowie fr die frhe Jenaer

    Epoche:H.

    Kimmerle,Das Problem der

    Abgeschlossen-heit des Denkens. Hegels .System der Philosophie' in den Jahren 1800-1804, Bonn 1970. FrHegels Jenaer Begriffe von Bewusstsein und Selbstbewusstsein vor allem in der Zeit der Sys-tementwrfe I bis /// ist zu nennen: L. Siep, Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie.Untersuchungen zu Hegels Jenaer Philosophie des Geistes, Freiburg/Mnchen 1979, besonders54-68,178-190.S. in der Differenzschrift GW4, 36, auch 28 und 34 sowie im .Naturrechtsaufsatz' 434: ,Dasempirische Bewutseyn ist darum empirisch, weil die Momente des Absoluten in ihm zerstreut,nebeneinander, aufeinanderfolgend, zersplittert erscheinen.'S. in der Differenzschrift GW4, 34: ,Ich [kommt] in Entgegensetzung [gegen ein Objekt] vor.'Vgl. auch im .Naturrechtsaufsatz', ebd., 434.GW4, 462. In .Glauben und Wissen', ebd., 389, nennt Hegel dies den ,empirische[n] Standpunkteines jeden Einzelnen' und charakterisiert diesen Standpunkt so, dass ,fr jeden Einzelnen [...]

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    Solchem empirischen Selbstbewusstsein, das in den philosophischen Debatten unse-rer Tage eine groe Rolle spielt, gilt nun Hegels Interesse gerade nicht. Stattdessen inte-ressieren ihn Formen von Selbstbewusstsein, die zwar gleichfalls empirisch auftreten,deren Gegenstand aber das Absolute ist. Das Absolute als jenes monistische Konzept, in

    dem die empirischeDifferenz von

    Subjektund

    Objekt geradeberwunden ist.

    Die Verbindung von Selbstbewusstsein und Absolutem ist nun eine zentrale ber-zeugung des (frh-)idealistischen Philosophierens. Hegel allerdings bringt in seiner Je-naer Epoche in Bezug auf diese berzeugung tief greifende Vernderungen an, die nunbeginnend mit der Differenzschrift darzustellen sind.

    1. Differenzschrift

    In der Differenzschrift ist philosophisch interessant das Abstraktions-Selbstbewusstsein.Hegel nennt es ,reines Selbstbewutseyn'.

    Negativ betrachtet heit es ,rein', weil es-

    so Hegel-

    dadurch zustande komme,dass das Subjekt von aller Empirie, d.h. von allen mglichen Erfahrungsobjekten, abs-

    o

    trahiert. Sofern das Subjekt denkt, verhlt es sich als ,reines Denken'. Diesen negati-ven Aspekt des Abstraktions-Selbstbewusstseins hat Hegel seine ganze Jenaer Epochehindurch beibehalten. Ja, es handelt sich wohl um die einzige Konstante seines philoso-phischen Selbstbewusstseinsbegriffs berhaupt.

    Das ist anders mit dem positiven Aspekt. Bei ihm geht es um den Inhalt des reinenSelbstbewusstseins, also um das, was der Gegenstand des reinen Denkens ist. In derDifferenzschrift wird dieser Inhalt als eine doppelte Erkenntnis-Relation gedacht, in de-ren Zentrum die das Absolute auszeichnende Identitt von Subjektivitt und Objektivi-tt steht. Zum einen nmlich beziehe sich das Subjekt als reines Denken auf sich selbst.Dabei komme es zur Erkenntnis der eigenen

    -

    quasi internen-

    Identitt unter der For-

    mel des Ich = Ich. Zum anderen bestehe darin zugleich die Erfahrung der Identitt von

    seine Realitt die unbegreifliche Sphre gemeiner Wirklichkeit [ist], in die er nun einmal ein-geschlossen ist.' Auch Hegels Ausfhrungen zur .empirischen Psychologie' gehren in diesenZusammenhang, s. ebd., 322.Die Abgrenzung bzw. das Zusammenspiel von empirischem und absolutem Selbstbewusstsein(vgl. in der Differenzschrift GW4, 35) ist eines der Themen, die sich aus den Jenaer SchriftenHegels nicht hinreichend behandeln lassen.Hegels Ansicht vom Selbstbewusstsein muss in den Jenaer Kritischen Schriften

    -

    vor allem in der

    Differenzschrift-

    seiner teils kritischen, teils affirmativen Darstellung der Theorien von Fichte,Schelling und Kant entnommen werden. Das erfolgt hier ohne zu fragen, ob Hegels Darstellungdiesen Theorien gerecht wird, und ohne Hegels Verhltnis zu diesen Theorien zu diskutieren.S. vor allem GW4, 35-36.

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    Subjektivitt und Objektivitt berhaupt. Es handle sich um die Erkenntnis der das Ab-solute auszeichnenden

    -

    quasi externen-

    Identitt.

    Leider unterzieht Hegel in der Differenzschrift keine der beiden Identitten und auchnicht ihr Verhltnis zueinander und zum Absoluten einer eingehenden Analyse. Das

    entsprichtfreilich dem

    Hauptinteresseder Schrift:

    ausgehendvon

    gemeinsamenber-

    zeugungen die Differenz zwischen dem Fichteschen und Schellingschen System zumarkieren. Die beschriebene Auffassung des reinen Selbstbewusstseins aber zhlt He-gel zu solch einer gemeinsamen berzeugung

    -

    der er sich offensichtlich anschliet.Das gilt auch fr den Ausdruck der .intellektuellen' Anschauung. Im Unterschied zur

    empirischen Anschauung verwendet Hegel ihn fr die .spekulativ' genannte, weil dasAbsolute betreffende Erkenntnisart des reinen Selbstbewusstseins. Zu ihr

    -

    und somit

    auch zum reinen Selbstbewusstsein-

    sei exklusiv der transzendentale Philosoph in derLage. Diese Exklusivitt unterscheidet das reine Selbstbewusstsein von der in der

    Differenzschrift ebenfalls vorkommenden ,absoluten Selbstanschauung'.12 Mit ihr sollals Schlusspunkt des philosophischen Systems fr den Menschen die Erkenntnis desAbsoluten gegeben sein. Auch wenn Hegel die ,absolute Selbstanschauung' offenbarnicht als Selbstbewusstsein konzipiert, ist sie hier anzufhren

    -

    weil er noch in Jena ge-nau das tun wird.

    Sieht Hegel in der Differenzschrift die hier skizzierte Auffassung des reinen Selbst-bewusstseins als das ,khn ausgesprochene^] chte[n] Princip der Spekulation' auchbei Fichte und Schelling gleichermaen vorhanden, so kritisiert er bekanntlich Fichtefr seine systematische Anwendung dieses Prinzips. Hegel beanstandet die Einseitig-keit, in der allein ein subjektiver, von der Objektivitt abstrahierter Ausgangspunkt zumPrinzip gemacht sei. Das nmlich fhre durch die sekundre, uerliche Einbeziehungder Objektivitt (,Ansto') zu einem Dualismus und belaste so die identittsphilosophi-sche Durchfhrung des Systems. Auf die Rechtmigkeit dieser Vorwrfe und auf diemit Schelling favorisierte Lsung einer ,Ergnzung' des subjektiven Prinzips durch dasobjektive der Naturphilosophie ist hier nicht einzugehen.14 Trotzdem ist festzuhalten,

    9 S. etwa GW4, 35-36 und 62.S. ebd., 6: ,Das reine Denken seiner selbst, die Identitt des Subjekts und des Objekts, in derForm Ich = Ich ist Princip des Fichte'schen Systems, und wenn man sich unmittelbar an diesesPrincip, so wie in der Kantischen Philosophie an das transcendentale Princip, welches der De-duktion der Kategorieen zum Grunde liegt, allein hlt, so hat man das khn ausgesprochne chtePrincip der Spekulation.'Vgl. GW4, 35 und ff. (,Dem Philosophen entsteht die reine Selbstbewutseyn [...]'). Hegelunterscheidet von der .intellektuellen' offenbar die .transcendentale Anschauung' (vgl. ebd.,27-28 und 34), was fr den vorliegenden Zusammenhang allerdings ohne Bedeutung ist.

    2 GW 4,46.3S. ebd., 7, 37ff., 64ff.

    4S.ebd.,64ff.

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    dass bereits in der Differenzschrift die durch die Abstraktion verursachte Inhaltslosig-keit des reinen Selbstbewusstseins als Problem verstanden wird.

    2. ,Glauben und Wissen'In dem Aufsatz ,Glauben und Wissen' ist Hegels Problembewusstsein angesichts der In-haltslosigkeit des reinen Selbstbewusstsein verschrft. Ganz unabhngig von der Fichte-schen Ansto- oder der Schellingschen Ergnzungs-Lsung kritisiert er nun direkt des-sen ,Formalismus' und ,Leerheit'.15

    In seiner Analyse fr diesen Befund nimmt Hegel den negativen Aspekt des reinenSelbstbewusstseins auf

    -

    leer ist es durch Abstraktion von aller Empirie -, deutet den

    positiven Aspekt jedochneu. Denn nunmehr verliert das reine Denken mit dem

    empiri-schen Inhalt jeden positiven Inhalt und gelangt nur mehr zur Erfahrung der ,formale[n]Identitt'.1 Das bedeutet: Von einer inhaltlichen Erkenntnis

    -

    sei es des Subjektes alsinterne sei es des Absoluten als externe Identitt

    -

    ist keine Rede mehr.Freilich bleibt zu fragen, wie die Erfahrung einer blo formalen Einheit bzw. Identi-

    tt logisch zu denken ist-

    eine Frage, die sich auch im Folgenden aus Hegels JenaerTexten nicht beantworten lsst. Gleichwohl kann der Umstand, dass sich Hegel aufdiese Weise bzw. ab diesem Zeitpunkt strukturellen Analysen und damit den bekanntenProblemen des transzendentalen reinen Selbstbewusstseins nicht mehr stellt, nicht hochgenug eingeschtzt werden.Diese neue Deutung des positiven Aspektes des reinen Selbstbewusstseins zeigt sichentsprechend in Hegels Abwertung der intellektuellen Anschauung. Hegel restringiertnmlich (im Fichte-Teil von ,Glauben und Wissen') nun die intellektuelle Anschauungauf den Akt, ,von allem fremdartigen im Bewutseyn [zu] abstrahiren, und sich selbst

    18[zu] denken'. Wiederum besteht der Inhalt dieses Sich-selbst-Denkens nur mehr in derLeere des .rein Formelle[n]' des Wissens.19 Hinzu kommt, dass es sich jetzt um einenAkt handelt, der nicht mehr nur dem transzendentalen Philosophen, sondern jedemMenschen

    jederzeit mglichist. Damit wird das

    Konzeptder intellektuellen Anschau-

    ung in der Tat etwas ,Gemeine[s] und Einfache[s]'20 und scheidet-

    brigens auch unter

    Ebd., 328 (,das leere Ich', abstraction des Ich'), 390ff. (,formales' und .formelles Wissen').Ebd., 343-344.Mit anderen Worten ist hier der Punkt, wo Hegel die Pfade und Probleme der von Dieter Henrichfr den transzendentalen reinen Selbstbewusstseinsbegriff aufgewiesenen ,Reflexionstheorie desSelbstbewusstseins' fr immer verlsst.

    GW4,390-391.Ebd., vgl. auch 388 (,diese intellectuelle Anschauung ist etwas formelles').Ebd., 390.

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    dem Namen ,transcendentale Anschauung'-

    fr Hegel als Explikant des reinen Selbst-bewusstseins und Erkenntnisquelle des Absoluten dauerhaft aus.

    Allerdings erfhrt in ,Glauben und Wissen' das Selbstbewusstseins-Thema auchkonstruktive Impulse. Und die hngen eben mit jener formalen Einheits- bzw. Identi-

    tts-Erfahrungim reinen Selbstbewusstsein zusammen. Ihren

    Ausgangnehmen diese

    Impulse bei einer von Hegel bei Kant ausgemachten spekulativen Metaphysik-Konzep-tion.

    Diese spekulative Metaphysik-Konzeption sieht Hegel in ,Glauben und Wissen' be-kanntlich darin, dass Kant das von ihm so genannte ,Vermgen der ursprnglichensynthetischen Einheit der Apperception' gerade nicht subjektiv denke, sondern objek-

    21tiv. Metaphysisch sei es nmlich ,das Erste und Ursprngliche', und so die gemeinsa-me Wurzel von Aprioritt und Aposterioritt, aus der ,das subjective Ich sowohl als dieobjective Welt erst zur nothwendig zweytheiligen Erscheinung und Produkt sich tren-

    22nen .

    Was bedeutet diese spekulative Metaphysik-Konzeption fr das Selbstbewusstsein?Es bedeutet, vorsichtiger: es knnte bedeuten, dass, wenn Hegel das .subjective Ich'neben der .objectiven Welt' als .Produkt' des Absoluten bezeichnet, die im abstraktenSelbstbewusstsein erfahrene ,formale Einheit bzw. Identitt' keine andere ist als die desAbsoluten selbst. Damit kme das Absolute als Gegenstand der Erfahrung im Selbstbe-wusstsein wieder ins Spiel

    -

    aber nur formal und nicht als inhaltliche Erkenntnis.Das entsprche zumindest im Ansatz auch Hegels in ,Glauben und Wissen' formu-

    lierter Maxime, den Menschen nicht als ,fixe, unberwindliche Endlichkeit der Ver-nunft' zu begreifen, sondern ,als Abglanz der ewigen Schnheit, als geistige[n] Focus

    23des Universums'. Auf jeden Fall handelt es sich um eben die Auffassung, die Hegelim ,Naturrechtsaufsatz' dann explizit vertritt.

    Ebd., 329 bzw. 334f. Hier sieht Hegel bei Kant auch einen objektiven Begriff von Selbstbe-wusstsein und Ich, s. 328 (u.a. .wahres Ich').Ebd., 329. Es ist bekannt und soll hier nicht nher ausgefhrt werden, dass Hegel mit dertranszendentalen Apperzeption sowohl die Kantische produktive Einbildungskraft als auchVernunft und Verstand zusammenschliet und mit der reflektierenden Urteilskraft in der ,Idee derabsoluten Mitte eines anschauenden Verstandes' kulminieren sieht (vgl. ebd., 335, 339-343).Nimmt man Hegels Loblied auf Kants ,wahrhafte Form' der .Triplicitt' und Kants spekulativgedeutete Urteils- und Schlusslehre hinzu (ebd., 335), so ergeben sich tatschlich die Umrisseeines Begriffs vom Absoluten und einer Philosophie, die auf Hegels eigene spekulativeKonzeption vorausweisen.Ebd., 323.

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    3. ,Naturrechtsaufsatz'

    Im ,Naturrechtsaufsatz' skizziert Hegel sein eigenstndiges Systemprogramm. In des-sen Zentrum steht das Doppeltheorem des Absoluten, das als ,absoluter Begriff bzw.

    ,Idee' zugrunde liegend alle Verhltnisse strukturiert und im, Geist' seine reale Er-

    scheinung hat.24 Mit dem ersten Theorem-

    der zugrunde liegenden Idee-

    kommt He-

    gel auf seine Formulierung der Kantischen spekulativen Metaphysik aus .Glauben undWissen' zurck. Diese Idee ist nmlich .das Princip der Entgegensetzung und die Ent-gegensetzung selbst'.25 Im zweiten Theorem

    -

    dem Geist-

    behauptet Hegel in der Rea-litt eine Hherstellung des Geistes gegenber der Natur. Damit bringt er das Themader Asymmetrie von Subjektivitt und Objektivitt programmatisch ins Spiel. Hegelschreibt nmlich, der Geist habe als ,absolute[s] Erkennen' das ,Universum in sich' zu-rckgenommen und ,bergreif[e]' so ,die auseinandergeworfene Totalitt dieser Viel-heit'.27

    Wieder ist nach der Bedeutung dieser Systemprogramms fr den Begriff von Selbst-bewusstsein zu fragen. Einschlgig ist eine Formulierung, mit der Hegel die beiden,Produkte' (wie sie in ,Glauben und Wissen' heien) der Trennung der Idee charakteri-siert. Sie lautet, dass die Idee in der Trennung ,als reine Einheit sich entgegengesetzt ist

    28als Vielheit'. Die ,Vielheit' ist die objektive Welt, also letztlich die Natur. Und die,reine Einheit' verwirklicht sich im Geist, der sich selbst im subjektiven Ich begreift.Damit aber ist ausgesprochen, dass im bzw. als subjektives Ich das Absolute (= die

    Idee) wenn auch nicht inhaltlich so doch formal - als ,reine Einheit' - vorhanden istbzw. zur Erfahrung gelangt. Der Ort dieser Erfahrung ist die Leere des reinen Selbstbe-29

    wusstseins.

    Auf diese Weise hat Hegel erstens einen genuinen Bezug zwischen dem Selbstbe-wusstsein und der Erkenntnis des Absoluten hergestellt. Dies aber zweitens so, dass essich nur um eine Forma/-Erkenntnis handelt, d.h. ohne dass der Bezug eine inhaltlicheErkenntnis wre. Diese Differenzierung ermglicht Hegel im ,Naturrechtsaufsatz' dieDoppeldeutigkeit seiner Kritik an den Moralphilosophien von Kant und Fichte. In ihnensei das im reinen Selbstbewusstsein wurzelnde ,Sittengesetz' zwar einerseits ,das wahre

    24

    25

    26

    27

    28

    29

    30

    GW 4,471,484.

    Ebd., 441.Ebd., 464 (,der Geist hher als die Natur').Ebd.

    Ebd., 441.Dies kann hier nur auf der Grundlage der Gleichsetzung von Wrtern gesagt werden, nmlich:formale Einheit = Leere.

    GW4, 431-434; vgl. 424: ,[...] wie die absolute Einheit sowohl als einfache Einheit, die wir dieursprngliche nennen knnen, als auch als Totalitt in dem Reflex des empirischen Wissenserscheint; beyde Einheiten, welche im Absoluten Eins, und deren Identitt das Absolute ist,mssen in jenem Wissen getrennt und als ein verschiedenes vorkommen.'

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    Wesen und das Absolute'. Andererseits aber sei es blo formal und .bedingt' durch dieempirische Realitt, mit der keine Einheit herzustellen sei. Auf diese Weise ergebe sich

    31eine Opposition zwischen ,reinem Selbstbewutseyn' und ,realem Bewutseyn'.Die berwindung dieser Opposition ist es dann, was zur inhaltlichen Erkenntnis des

    Absoluten fhren soll. Hier konstatiert

    Hegelim

    ,Naturrechtsaufsatz'das Scheitern von

    Kant und Fichte und entwickelt als seine eigene Lsung die Konzeption der Sittlichkeit.Unter den logischen und ontischen Prmissen einer spekulativen Metaphysik der Ideebzw. des Geistes konstituiere sich in den sittlichen Institutionen eines Volkes das Ver-hltnis von ,reinem Selbstbewutseyn' und ,realem Bewutseyn' real als identisches.In der ,absolute[n] sittliche[n] Totalitt' gelange das Subjekt damit zur inhaltlichen Er-kenntnis des Absoluten.

    Vielleicht berraschend aber fr die weitere Entwicklung bezeichnend ist nun, dassHegel das Zustandekommen der inhaltlichen Erkenntnis des Absoluten nicht ber den

    32

    Selbstbewusstseins- sondern ber den Bewusstseinsbegriff definiert. Denn in ihren In-stitutionen existiert die Sittlichkeit als Objekt fr das Subjekt, das darin das ,reale ab-33solute Bewutseyn der Sittlichkeit' erlangt. Die inhaltliche Erkenntnis des Absoluten

    erfolgt somit als Objekt-Bewusstsein.Diese Orientierung am Objekt-Bewusstsein zeigt sich auch im wenig spter verfass-

    ten sog. System der Sittlichkeit (1802/03). Dort geht Hegel so weit, die intellektuelle,auch ,absolut' genannte Anschauung

    -

    die in der Differenzschrift ja als Selbstbewusst-sein auftritt - zum Objekt-Bewusstsein umzudeuten. Sie sei nmlich nur .durch dieSittlichkeit, und in ihr allein eine reale'. 4 Das mndet in die

    Formulierung,wonach in

    der intellektuellen Anschauung als Bewusstsein der sittlichen Institutionen ,die Augendes Geistes und die leiblichen Augen vollkommen zusammen [fallen]'.35

    Es ist diese Auffassung einer gegenstndlichen Existenz und Erkenntnis des Absolu-ten, die Hegel in die nun anschlieende Phase der Systementwrfe mitnimmt, um siedort erst zu vertiefen und zuletzt einer Revision zu unterziehen. Im Kern ergibt sich da-bei eine Opposition von Bewusstsein und Selbstbewusstsein als Leitbegriffe des Geis-

    Ebd., 442; vgl.441: Jene erste

    Seite,nach welcher das

    Wesen des Rechts und der Pflicht - unddas Wesen des denkenden und wollenden Subjekts schlechthin eins sind, ist-

    wie im allgemeinendie hhere Abstraction der Unendlichkeit

    -

    die groe Seite der Kantischen und Fichteschen Philo-sophie'.Vgl. ebd., 468 ( .Reflex' im .reinen Bewutseyn' und im .empirischen Bewutseyn').Ebd., 462. Mglicherweise im Widerspruch zu diesem Befund steht die allgemeine Charakteri-sierung des Geistes, 464. Dazu gehrt auch die Definition des Absoluten als Selbsterkennen (464und 484).GW5, 324.Ebd., 324; vgl. auch 326, u.a. ,[...] es erkennt an dem Entgegengesetzten absolut dasselbe, wasdas Subjekt ist; es schaut die Dieselbigkeit an.' S. auch GW4, 467. Bekanntlich arbeitet Hegel imSystem der Sittlichkeit auch mit dem Begriff der .Potenz' fr die gegenstndliche Existenzformder sittlichen Institutionen.

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    tes. Die Problemgehalte dieser Opposition als ein Entwicklungsmotiv der Jenaer Sys-tementwrfe zu begreifen, ist das Anliegen der folgenden Darstellung.

    4. Systementwrfe IDie Systementwrfe von 1803/04 enthalten in einer Vielzahl von fragmentarischenTexten Hegels erste Ausfhrung des Systemteils der Geistesphilosophie. Umso berra-schender ist, dass dort das Selbstbewusstsein terminologisch gar nicht und der Sachenach nur unscheinbar vorkommt.

    Fragt man nach dem Grund fr die wenig prominente Behandlung, so zeigt sich, dassdas Selbstbewusstsein seine Leitfunktion komplett an einen anderen Begriff verlorenhat

    -

    das Bewusstsein. Indem

    Hegelvermittels des Bewusstseins nicht

    wenigerals den

    Geistbegriff insgesamt strukturiert, folgt er den genannten Tendenzen im ,Natur-rechtsaufsatz' und im System der Sittlichkeit. Das sowie die damit verbundenen Prob-leme sind nun zu zeigen.

    Wie im ,Naturrechtsaufsatz' fasst Hegel das realisierte Absolute-

    also den Geist quaBewusstsein

    -

    als Komplex auf, welcher das ,Einsseyn des Einfachen und der Unend-38

    lichkeit' ist. Zentral ist hierbei der Terminus ,Unendlichkeit'. Als spekulativer Kern-begriff der mittleren Jenaer Zeit beschreibt er solche Sachverhalte, die ihre Differenzen

    -

    in der Regel ist es ein Diffrentes-

    in sich selber tragen.39 Die dialektische Pro-

    grammformel, die Hegel in derselben Zeit fr solche Sachverhalte bereithlt, ist das be-kannte ,Gegentheil seiner selbst'. Als ,Gegentheil seiner selbst' unterscheidet sich et-was von einem Anderem, mit dem es zugleich identisch ist.

    Einzige Ausnahme ist die Erwhnung in der Gliederungsnotiz zur .Intelligenz' (GW6, 329),wobei es sich aber um einen zeitlich etwas spteren und um keinen ausgefhrten Text handelt.Vor allem anhand der Fragmente 18: ,Das Wesen des Bewutseyns...' und 19: ,Die erste Form

    der Existenz des Geistes...'. Etwaige Differenzen zwischen den verschiedenen Geistesphiloso-phie-Fragmenten der Systementwrfe I bleiben in dieser Darstellung auen vor.GW6,266f., vgl. 275f.Vgl. zu Hegels Jenaer Begriff der Unendlichkeit R. Schfer, Die Dialektik und ihre besonderenFormen in Hegels Logik, Hamburg 2001, z.B. 108ff.Siehe z.B. GW6, 273: ,Das Wesen des Bewutseyns ist, da unmittelbar in einer therischenIdentitt absolute Einheit des Gegensatzes sey; es kann di nur seyn, indem unmittelbar, insofernes entgegengesetzt ist, die beyden Glieder des Gegensatzes es selbst sind, an ihnen als Glieder desGegensatzes unmittelbar das Gegentheil ihrer selbst, die absolute Differenz sich selbst aufheben-de und aufgehobne Differenz sind, einfach sind.' Sowie ebd., 274: ,[...] da alles diffrente ent-gegengesetzte in seiner Differenz unmittelbar an sich in seinem Gegenteil ist, und darin nicht ist.'Bereits im .Naturrechtsaufsatz' stellt Hegel semantisch-logische berlegungen zur Dialektik von.Unendlichkeit' und .Gegentheil seiner selbst' an: vgl. GW4.431 f., 446f., 463,474ff.

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    174 Christof Schalhorn

    Nach diesem Schema definiert Hegel den Geist qua Bewusstsein als Komplex, des-sen Diffrente das Bewutseyende" und das Bewute" sind. (Im Folgenden ist vonihnen als ,Subjekt' und ,Objekt' die Rede.) Dabei

    -

    und das ist entscheidend-

    nimmt

    Hegel neben den beiden Differenten das Bewusstsein insgesamt als ,Mitte' an, die zwi-

    schen ihnen existiert. Damit ergibt sich ein im Prinzip dreigliedriger Komplex.Er

    istmit Hegel durch folgende sieben Punkte zu charakterisieren :

    1. Das Subjekt ist ,Ttiges', das Objekt ,Passives'.2. Die Ttigkeit des Subjekts besteht darin, das Objekt zu verndern. Die Vernde-

    rung wird als Aufheben verstanden.3. Es gibt zwei Weisen des Aufhebens: das empirische, das nicht zu einer Identifizie-

    rung von Subjekt und Objekt fhrt; und das absolute, bei dem das der Fall ist.4. Das absolute Aufheben erfolgt mit Bezug auf ein , Drittes'.5. Dieses Dritte ist die

    .existirendeMitte' von

    Subjektund

    Objekt,und dabei ein

    phnomenaler Sachverhalt, der zwischen Subjekt und Objekt steht. Hegel bezeich-net ihn als diejeweilige ,Potenz'.

    6. Die Mitte ist der Vollbegriff von Bewusstsein und besitzt folgende Charakteristika:(a) Sie stellt als das ,Werk' beider die Existenzform der Einheit von Subjekt undObjekt dar. (b) Als Existenzform der Einheit hat die Mitte eine .gedoppelte'Struktur. Denn sie ist in sich geteilt in eine subjektive Seite

    -

    das ,einfache Eins-seyn' (z.B. Arbeit)

    -

    und in eine objektive Seite-

    die gebundene Existenz' (z.B.Werkzeug), (c) Die Mitte fungiert als Mittel', dessen sich das Subjekt bei seinemAufheben des Objekts bedient, (d) Sie ist fr das Subjekt der Gegenstand, in demdieses wie im ,Naturrechtsaufsatz' ,absolutes Bewutseyn' hat.43

    7. Im Unterschied zum ,Naturrechtsaufsatz' deutet Hegel nun nicht nur die sittlichesondern die gesamte geistige Welt auf der Basis dieses Bewusstseinsbegriffs: Diegeistigen Sachverhalte werden jeweils mit einer Potenz identifiziert und in eineStufenfolge gebracht, ber die das Subjekt zu einer immer reicheren Erkenntnis desAbsoluten gelangt.

    Bevor die Eigenheiten und Probleme dieses Bewusstseinsbegriffs errtert werden sol-

    len, ist nach der Rolle des Selbstbewusstseins in den Systementwrfen I zu fragen.Abgesehen von beilufigen reflexiven Wendungen kommt das Selbstbewusstsein derSache nach im bergang vom theoretischen' zum praktischen' Bewusstsein vor. Dortnmlich

    -

    auf dem Hhepunkt seiner ,negativen Befreiung aus der Natur'- unternimmt

    41

    42

    43

    44

    Die Nachweise der sieben Punkte finden sich vor allem in Fragment 18 (GW6, 273 ff.).Beide Nachweise ebd., 277.Vgl. ebd., 274, 314, 330f.Das .absolute Bewutseyn' fungiert dabei als Gegenstand; s. GW6, 269, 271, 313ff., 330f.Allerdings ist diese Erkenntnis des ,absoluten Bewutseyns' insofern implizit, als das Subjekt inden meisten Potenzen weder um seine Erkenntnis des Absoluten noch um die Bewusstseins-Konstellation berhaupt wei.

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    Hegels Jenaer Begriff des Selbstbewusstseins 175

    es das Subjekt in der Potenz des Verstandes, ,von allem absolut [zu] abstrahiren'. ' Dasdeutet Hegel so, dass das Subjekt sich in die Form des Verstandes, die Allgemeinheit,zurckzieht. Das Resultat sei die ,reine Beziehung, die absolute Leerheit des Unendli-chen, das formale der Vernnftigkeit, die einfache, absolute Abstraction der Einheit; die

    Reflexion als Punkt'.Damit ist das aus den Jenaer Kritischen Schriften bekannte Abstraktions-Selbstbe-wusstsein beschrieben und zwar nach seinem negativen Aspekt: als nur formales Wis-sen'. Seine inhaltliche Leere ist es gerade, aus der Hegel die Notwendigkeit fr das the-oretische Bewusstsein deduziert, praktisch zu werden, indem es die Natur begehrt undbearbeitet.

    Als Rsume ist damit fr das Selbstbewusstsein in der Geistesphilosophie von1803/04 festzuhalten: Es kommt als realphilosophische Geistesgestalt vor, und zwar ander systematischen Stelle des ,Verstandes'. Dabei ist sein Charakteristikum das Be-wusstsein der radikalen Leere. Mit dieser seiner Beschrnkung auf die Potenz desVerstandes ist das Selbstbewusstsein bei Hegel auf seinem systematischen Tiefpunkt an-gelangt.

    Freilich ist das nur die Konsequenz aus Hegels Orientierung des Geist- am Bewusst-seins-Begriff und weiter aus Hegels Konzeption des Bewusstseins als existierende ge-doppelte Mitte. Um das zu zeigen, seien vier Konsequenzen dieser Konzeption heraus-gestellt:1. Differenz. Durch die Orientierung am Bewusstseinsbegriff wird die Differenz von

    Subjekt und Objekt im Geist betont. Das zeigt sich in der Mitte, in der die Einheitvon Subjekt und Objekt ja existiert und bezogen auf die daher Subjekt und Objektdie existierenden Differenten sind.

    2. Symmetrie. Die Struktur des Geistes ist im Bewusstsein durch die symmetrischeBedeutung von Subjekt und Objekt geprgt. Denn beider Einheit existiert gerade inder Mitte, in der und bezogen auf die Subjekt und Objekt gleichrangig sind. Dasbelegt auch die Doppelung der Mitten in eine subjektive und eine objektive Seite.

    3. Schwaches Aufheben. Die Betonung der Differenz fhrt zu einem schwachen Be-

    griffvon Aufheben des

    Objektsdurch das

    Subjekt.Das

    gehtim Einzelnen aus He-

    gels Ausfhrungen zu den Potenzen hervor, folgt aus der Betonung der Differenzund zeigt sich in der Konzeption der Mitte als Mittel, mit dem das Subjekt das Ob-

    jekt nur uerlich verndert.

    GW 6,296.Ebd., 295; vgl. ,absolut frsichseyende Form, absolute Reflexion in sich selbst, absolute Leerheitdes Begriffs' ebd., 280.Es ist diese grtmgliche Leere, welche in der grtmglichen ,Klufft' zur Empirie, der .To-talitt der Bestimmtheiten' besteht (ebd., 296).

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    176 Christof Schalhorn

    4. Absolutes Bewusstsein. Die Erkenntnis des Absoluten ist nach dem Vorbild des

    empirischen Objekt-Bewusstseins konzipiert. Denn das Absolute existiert als Po-48

    tenz real und ist als solches vom Subjekt zu rezipieren.

    Abgesehen von den prinzipiellen Problemen einer spekulativen Logik mit ihrer Identifi-

    zierung von Entgegengesetzten, erweisen sich im Geistbegriff von 1803/04 vor allemzwei Punkte als problematisch:1. Logisch, die Konzeption der Mitte als existierende Einheit. Einerseits ist die Mg-

    lichkeit einer empirischen Existenz des Absoluten schwer verstndlich. Denn mitihr befindet sich das Absolute auf der Objekt-Seite und hat seine Existenz als ein.entgegengesetztes', was einer Verendlichung des Unendlichen gleichkommt.Andererseits ergibt sich durch das Existieren der Mitte eine Drei-Gliedrigkeit desVerhltnisses, die durch Hegels dialektische Mittel unter der Programmformel des

    ,Gegentheil seiner selbst' nicht gedeckt erscheint. Denn es lsst sich nach den se-paraten Einheits- und Differenz-Verhltnissen zwischen der Mitte und einerseitsdem Subjekt, andererseits dem Objekt fragen. Nimmt man aber die Doppelung derMitte in einfaches Einsseyn' und gebundene Existenz' hinzu, dann ergibt sich so-gar eine Fnf-Gliedrigkeit, die den Rahmen vollends sprengt.

    2. Epistemologisch, die symmetrische Stellung des Subjekts. Dieses Problem ergibtsich vor dem Hintergrund einer philosophischen berzeugung, die Hegel selber be-reits im ,Naturrechtsaufsatz' skizziert hat: die Hherstellung des Geistes, in demdie Natur situiert ist bzw. der sie bergreift. Dabei kommt die Erkenntnis des Ab-soluten dann als Selbst-Erkenntnis zustande

    -

    was mit Hegels Orientierung amBewusstseins-Begriff gerade nicht mehr der Fall ist und auch nicht der Fall seinkann. Eine sachliche Argumentation fr die berzeugung von der Hherstellungdes Geistes wird stark machen mssen, dass allein das Subjekt der uns bekannteOrt der Objekt-Erkenntnis ist. Der Ort nmlich, in dem mit allen Begriffen ber-haupt sowohl die Differenz zu als auch die anvisierte Einheit mit dem Objekt ihreeinzige uns zugngliche Prsenz hat. Aber auch der Ort wo

    -

    wenn berhaupt-

    die

    Selbst-Erkenntnis des Absoluten ein philosophisches Thema sein kann.51

    49

    5051

    Vgl. fr die Nachweise oben sowie: ,[...] das Bewutseyn [...] ist [...] ein mit einer Bestimmtheitbehafftetes, existirendes.' (Ebd., 276)

    -

    Wie diese Rezeption zu denken ist, thematisiert Hegelleider in den Jenaer Schriften nicht.

    Vgl. ebd., 275-276: ,Die absolute Allgemeinheit (d.h. der wahre Begriff des Bewusstseins) wirdnur in dem Subjecte, in dem Isoliren des Gegensatzes zur Mitte. Als diese Mitte ist es selbst einentgegengesetztes oder es hat darin die Form seiner Existenz; denn seine Existenz ist das, worines als ein entgegengesetztes ist.' (Hinzufgung in Klammem im Zitat vom Verfasser, CS.) S. auchebd., 279.

    Vgl. GW5,474f.Mit solchen Behauptungen sind natrlich Kernprobleme der philosophischen Erkenntnistheorieberhrt, die hier nicht eigens behandelt werden knnen.

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    Hegels Jenaer Begriff des Selbstbewusstseins 177

    Ist es auch schwer nachweisbar, so doch nicht ausgeschlossen, dass die beiden genann-ten Probleme in den folgenden Jenaer Systementwrfen zu einer Konzeptionsnderung

    52des Geistbegriffs beitragen.

    5. Systementwrfe II

    Bekanntlich hat sich von den Systementwrfen aus den Jahren 1804/05 keine Geistes-philosophie erhalten. So bleibt als Quelle nur die .Metaphysik der Subjektivitt' ausdem Manuskript zur .Logik, Metaphysik, Naturphilosophie' mit den Kapiteln ,1. Theo-

    53retisches Ich, oder Bewutseyn', ,11. Praktisches Ich' und ,111. Der absolute Geist'. Inseiner ,Metaphysik' behandelt Hegel zunchst unter dem Begriff des ,Erkennens' dasAbsolute als

    ,Idee',anhand deren er dann in der

    ,Metaphysikder

    Subjektivitt'die

    strukturelle Grundlegung der Geistesphilosophie expliziert.4

    Dabei schliet Hegel nichtnur durch die dialektischen Programmformeln wie .Gegentheil seiner selbst' und .Un-endlichkeit' an die Geistesphilosophie von 1803/04 an, sondern vor allem durch seineKonzeption des Ichbegriffs mit der Unterscheidung in .theoretisches' und .praktisches'Bewusstsein.

    Dieser Anschluss zeigt sich auch beim Selbstbewusstsein. Denn wie in der Geistes-philosophie von 1803/04 kommt es in der .Metaphysik der Subjektivitt' dem Terminusnach zwar nicht, der Sache nach jedoch im bergang vom .theoretischen' zum .prakti-schen' Ich vor. Denn als .theoretisches' hat das Ich die zwei Seiten als .freies' und als.ursprnglich bestimmtes' Ich. .Ursprnglich bestimmt' ist das Ich, weil es sich berdie Objektivitt empirisch bestimmt sieht. Zugleich aber kann es sich von der Be-stimmtheit ,frei' machen und ist so ,das sich selbstbewutwerden'.56 Als solches cha-rakterisiert Hegel es als die ,formale absolute Reflexion, die sich selbst gefunden hat,und einfaches Gleiches geworden ist'. Damit ist nichts anderes als das Abstraktions-Selbstbewusstsein und sein ,formales Wissen' bezeichnet.

    Klaus Dsing beschreibt diese Konzeptionsnderung als Paradigmenwechsel von der Sub-stanzmetaphysik hin zur Subjektphilosophie (vgl. ,Idealistische Substanzmetaphysik. Problemeder Systementwicklung bei Schelling und Hegel in Jena', in: Hegel in Jena hg. von D. Henrichund K. Dsing, Bonn 1980).Vgl. kritisch zu einer solchen Nutzung: R.P. Horstmann, ,ber das Verhltnis von Metaphysikder Subjektivitt und Philosophie der Subjektivitt in Hegels Jenaer Schriften', in: Hegel in Jena(s. vorige Anm.), 181-196.Hegel merkt GW7, 177 an, dass in der Metaphysik (der Subjektivitt) der Geist wohl behandeltwerde, wenn auch ,nur' als ,Idee'.Der Terminus .Bewutseyn' fllt GW7, 160-161 in bezeichnender und 161-162 zwei Mal ineher bertragener Bedeutung.Ebd., 162.Vgl. mehrfach ebd. 160-163 (.formale Reflexion') sowie 171 (,formaler Geist').

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    178 Christof Schalhorn

    Allerdings weicht die .Metaphysik der Subjektivitt' in einem entscheidenden Punktvon der Geistesphilosophie von 1803/04 ab: Die Symmetrie von Subjekt und Objektwird durch die subjektive Asymmetrie im Geistbegriff ersetzt.

    Dafr spricht freilich nicht schon, dass 1804/05 die Konzeption der Mitte nicht an-

    zutreffen ist. Denn dieses Fehlen knnte dem Metaphysik-Charakter anzulasten sein.Ist

    das realisierte Erkennen des Absoluten-

    welches durch die Mitte ja erst zustandekommt

    -

    doch gerade nicht das Thema der Metaphysik sondern der Geistesphiloso-u 58phie.

    Fr die subjektiv bestimmte Asymmetrie von Subjekt und Objekt im Geistbegriffspricht stattdessen, dass Hegel in der ,Metaphysik der Subjektivitt' erstens das Abso-lute selbst mit dem (Subjektivitt markierenden) Begriff des Ich belegt, und dass erzweitens von diesem Ich sagt, dass es sich ,selbst zugleich [als] ein bestimmtes, oderein dem Ich entgegengesetztes' setzt.60 Damit ist die objektive als Abkmmling der

    subjektiven Seite behauptet. Das zeigt sich auch in Hegels Behauptung der Immanenzdes Gegensatzes von Subjekt und Objekt im Subjekt. Denn er schreibt, dass ,der Ge-gensatz [...] ganz immanent im Ich [ist] oder es [...] nur seine Unendlichkeit, in wel-cher er ist.' Hegels Annahme der Immanenz erweist sich des weiteren in seiner Ent-gegnung auf einen Einwand. Dieser lautet, dass die Setzung des Objekts durch dasSubjekt dann ja wohl beim empirischen Bewusstsein erfolgen msse! Hierzu stellt He-gel fest, dass das Ich sich ,nicht gleichsam unter den Augen [...] seine Bestimmtheit'erzeugt, ,sondern diese ist ihm unbegreifflich, bewutlos'.

    Mit der Annahme der

    subjektiven Asymmetriewandelt sich

    konsequentdie

    Konzep-tion des ,absoluten Bewutseyns': Die Erkenntnis des Absoluten wird nicht mehr ana-log zur Objekt-Erkenntnis gedacht, sondern als Selbst-Erkenntnis des Subjekts. In der.Metaphysik der Subjektivitt' kommt genau dies im Zusammenhang mit einer begriff-lichen Eigentmlichkeit vor. Es handelt sich um die Terminologie des Findens, mit derHegel das Selbst-Erkenntnis-Verhalten des Ich beschreibt. Hervorzuheben ist die Pas-sage, wo es vom Ich heit, dass es ,nur ist, als ein sich findendes, nicht getrennt, etwa

    Vgl. den Schluss der .Metaphysik' (GW 7,176 ff.) sowie den Beginn der Naturphilosophie (179 f.).Siehe ebd., 160 (,absolute Einheit', ,Totalitt'), 171 (,geschlossenen Kreis') sowie zum ,Ich' ab154 ff.

    Ebd., 159.Indem das Absolute selbst sich etwas als Objekt entgegensetzt, ist es selbst zugleich das diesemObjekt gegenber stehende Subjekt. Zum ,bergreifenden' Charakter des Ich vgl. GW7, 164:,[...] es ist der Krais seines eigenen Kraises, und des andern, oder des An sich des entge-gengesetzten [...].' S. auch ebd., 174 (zur subjektiv bestimmten Asymmetrie von Subjekt undObjekt).Ebd., 160,

    vgl.161 (,ganz ein im Ich

    geschlossenes'),ebd. (,nur selbst als ein Fremdes er-

    scheint').Ebd., 160, vgl. auch 159: ,[...] obzwar Reflexion und Negation, ist es ein Theil der Welt, ein innegirter Form gesetzter Theil, aber darum ein bestimmtes negatives.'

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    Hegels Jenaer Begriff des Selbstbewusstseins 179

    vorher, als es sich gefunden hat, sondern da es di Finden seiner selbst [ist], di istseine absolute Unendlichkeit;'

    Aufschlussreich ist diese Passage auch aus zwei weiteren Grnden: erstens, weildarin eine positionale Betrachtungsweise der Differenten im Geist zurckgewiesen

    wird. Fr eine solche Betrachtungsweise wre das Ich eine Position mit bestimmten Ei-genschaften, die sich, zum Beispiel erkennend, zu anderen Positionen mit bestimmtenEigenschaften verhlt

    -

    sich selber eingeschlossen. Fr Hegel dagegen ist das Ich ge-rade nicht unabhngig vom Verhltnis des Findens zu bestimmen. Es ist vielmehr dasVerhltnis zwischen sich und seinem Objekt.

    -

    Das bedeutet dann aber zweitens, dassdas Sich-Finden kein endgltig abschliebares bzw. kein erschpfendes Verhltnis seinkann. Denn da es auf sich selbst gerichtet ist, ist das Verhltnis nur im steten Vollzugsein eigenes Objekt. Damit ist seine im Zitat erwhnte ,absolute Unendlichkeit' der Ga-rant einer sich stets erneuernden Selbst-Erkenntnis-Bewegung. Ein Theorem mit provo-kantem logischen und folgenreichem lebensweltlichen Potential - scheint es doch eineparadoxale Form der Iteration in Anspruch zu nehmen, die jedem gelufigen Begriffvon Erkenntnis widerspricht.

    6. Systementwrfe III

    Anders als in der Geistesphilosophie von 1803/04 sind fr die von 1805/06 keine Text-

    passagen berliefert, in denen Hegel den Geist allgemein und ber einen Leitbegriffcharakterisiert. Erhalten ist nur die

    -

    allerdings durchgngige und umfangreiche-

    Aus-

    fhrung, in der Hegel, uerlich betrachtet, weitgehend dieselben Gestalten des Geistesauf hnliche Weise abhandelt. Die genauere Betrachtung zeigt freilich gravierende Un-terschiede, von denen die fr unser Thema relevanten sind: 1. die Struktur des Geistes,2. die Logik, nach der er sich verhlt, 3. die Rolle des Selbstbewusstseins.

    1. Struktur des Geistes. Zur Explikation der Struktur des Geistes verzichtet Hegel aufdie bislang zentralen dialektischen Programmformeln wie ,Gegentheil seiner selbst' undden

    Begriffder

    ,Unendlichkeit'.Stattdessen

    agierter mit dem

    Begriffsfelddes

    konkre-ten Allgemeinen. Wenn es auch sein mag, dass die Programmformeln einfach aufGrund ihrer Vagheit als entbehrlich erkannt worden sind, so erscheint ihr Verzicht dochzumindest im Fall des ,Gegentheils seiner selbst' nicht zufllig. Denn mit dieser Formellsst sich die subjektive Asymmetrie im Verhltnis der Differenten nicht angemessenausdrcken. Denn der Begriff des ,Gegentheils' ist symmetrisch; und dass Eins sein

    Ebd., 164, vgl. auch 162,171 f., 177.Wollte man nun den

    Selbstfindungs-stellvertretend fr den

    Selbstbewusstseins-Begriff nehmen,dann wre bereits in den Systementwrfen II der Geist als solcher nach dem Prinzip desSelbstbewusstseins bestimmt.

    Vgl. hierzu K. Dsing, Das Problem der Subjektivitt in Hegels Logik (s.o.), 244251.Unauthenticated | 186.124.42.151Download Date | 8/27/13 7:24 PM

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    180 Christof Schalhorn

    Gegenteil am Anderen hat, gilt von den beiden gleichermaen. Mglich wird eineasymmetrische Struktur dagegen durch das Explikationsmittel des konkreten Allgemei-nen.

    Denn dabei setzt der Geist als das Allgemeine die empirische Welt der Einzelheit-

    das Objekt - und macht sich selbst dadurch als Subjektzu

    einem Besonderen. So aberist er erstens auch als besonderes Subjekt das Allgemeine-

    d.h. sowohl die Identitt

    von Subjekt und Objekt als auch die Bedingung der Mglichkeit ihrer Differenz. Zwei-tens vermag er so berhaupt das Bedrfnis des Absoluten zu haben, das ja

    -

    wie Hegelbereits in der Differenzschrift konstatiert

    -

    neben der Abwesenheit auch die Anwesen-heit des Absoluten im Subjekt voraussetzt. Drittens wird der Geist in die Lage versetzt,durch Aufheben der ihm immanenten Differenz zum Objekt die Erkenntnis des Abso-luten explizit herzustellen. Damit ist der Umfang der subjektiven Asymmetrie im Geistskizziert.

    Dieses Aufheben erfolgt freilich anders als in der Geistesphilosophie von 1803/04,nmlich ohne die Vermittlung eines Dritten als ,existirende Mitte'. Das wird deutlichbei Betrachtung der Logik, nach der sich der Geist verhlt.

    2. Verhalten des Geistes. Hegel generiert aus seinem Begriff des Allgemeinen dieVerhltnisse der Setzung des Objekts als ontologisch verstandenes Urteilen und derAufhebung des Objekts als ontologisch verstandenes Schlieen.67 Fr den vorliegendenZusammenhang gengt es, die subjektive Asymmetrie darin festzuhalten. Sie bestehtbekanntlich darin, dass Hegel im Urteil die Kopula und im Schluss den mdius terminusals

    jeverschiedenen

    Einheitsbegriffder Differenten mit dem

    ,Ich',d.h. mit dem Geist

    selbst identifiziert.8Fr den Trennungsakt als Urteilen bedeutet dies, dass, wenn er auch nicht vom empiri-

    schen Subjekt initiiert und manipulierbar ist, er dem Bewusstsein doch zugrunde liegt: alsBedingung der Mglichkeit und als die Wirklichkeit der Erkenntnis berhaupt. Hier ist derOrt von Hegels spekulativer Interpretation der Kantischen Urteilslehre aus .Glauben undWissen'.

    Und fr den Aufhebungsakt als Schlieen bedeutet es, dass die objektiven Gestaltendes Geistes ihre Existenz nur im lebendigen Vollzug durch das empirische Subjekt haben.Die ,existirende Mitte' aus den Systementwrfen /wandert so auf die Seite des empirischenund zugleich absoluten Subjekts hinber: in dessen Aufhebungsleistungen sie sich vollzieht.Damit werden die logischen und die epistemologischen Probleme, zu denen die Drei-

    Vgl. zum Urteilen: GW8, 198, 222, 225; zum Schlieen: ebd., 199, 205, 209; sowie 200 und202f. ,Die Allgemeinheit ist eine solche, welche unmittelbar sich gleich, und sich selbstentgegengesetzt ist; in sich und ihr Gegentheil dirimirt ist, ebenso die Negativitt, und daseinfache Seyn ist unmittelbar Vieles. Es ist die Einheit der Gegentheile, das sich in sich be-

    wegende Allgemeine,das sich

    entzweytin

    seyende,die es sind, das dadurch die reine

    Negativittist.' (199)

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    Hegels Jenaer Begriff des Selbstbewusstseins 181

    Gliedrigkeit des Bewusstseins-Begriffs fhrte, obsolet. War die Erkenntnis des Absoluten inder Geistesphilosophie von 1803/04 Objekt-Bewusstsein, so ist sie in der Geistesphilosophievon 1805/06 Vollzugs-Bewusstsein. Damit aber kommt das Selbstbewusstsein neu ins Spiel.

    3. Selbstbewusstsein. Als erstes fllt auf, dass hier, anders als in den SystementwrfenI und //, Selbstbewusstsein sowohl dem Terminus als auch der Sache nach vielfach vor-kommt. Ja, es ist so, dass es kaum eine Geistesgestalt gibt, bei der der Terminus,Selbstbewusstsein' nicht explizit, wenn auch z.T. in Umschreibung genannt wird.Das hat seinen Grund. Denn einerseits handelt es sich bei den Gestalten des Geistes umFormen der soeben angesprochenen Erkenntnis des Absoluten im Vollzugs-Bewusst-sein des aufhebenden Subjekts, das andererseits nichts anderes als ein Fall von Selbst-bewusstsein ist. Der geistige Vollzugsakt der Einheit ist zugleich auch der Erkenntnis-akt der Einheit, und dessen Bewusstsein ein Bewusstsein des Subjektes von sich selbstals dem zugrunde liegenden Allgemeinen. Das Selbstbewusstsein ist mit anderen Wor-ten das universelle Medium, vermittels dessen der Geist sich selbst als Absolutes er-kennt. Das legitimiert es zu sagen, dass der Geist schlechthin Selbstbewusstsein istoder, in Hegels Worten, ,das Geistige, di erfllte selbstbewute Leben.' Also nichtblo bewusstes, sondern selbstbewusstes Leben zeichnet den Geist aus.

    Dabei fllt zweitens auf, dass es mit den unterschiedlichen Geistgestalten auch unter-schiedliche Typen des absoluten Vollzugs-Bewusstseins, d.h. unterschiedliche Typenvon Selbstbewusstsein gibt. Beim theoretischen Geist, der ,Intelligenz', betreffen dieseTypen teils implizit, teils explizit die Form des Absoluten: als Erfahrung der inneren

    72

    Freiheit (bei der vorstellenden Einbildungskraft), der Meinigkeit (bei der Erinne-rung), der inneren Wirkmacht (beim Benennen)74 und der Leere (beim Verstand bzw.der Vernunft.)

    Mit dem praktischen Geist, dem ,Willen', erfolgt der bergang zu einer teils impli-ziten, teils expliziten Erkenntnis inhaltlicher Aspekte des Absoluten. Erwhnt sein soll

    Ebd., 197, 211 (,Mitte'). Vgl. zu dem gesamten Themenkomplex Klaus Dsing in Das Problemder Subjektivitt in Hegels Logik, 160ff., sowie 244ff.

    69

    S. GW8, 202, 204, 209 (,Anschauen seiner selbst'), 214 (,Selbstbewutseyne') 220 (gewutesFr sich seyn'), 224 (,frsichseyendes Ich'), 227 (.darin schaue ich mein Anerkanntseyn an'),233f., 243, 284 (,ihr Selbst darin wissen'), 250, 255f. (,des reinen Bewutseyns und meinerselbst'), 263 (,das sich selbst absolut Wissen als Einzelnheit'), 264 (,sich Selbstwissens'), 265(.Wissen [...] von sich selbst'), 266 (,sich selbst wissender Geist'), 280, 281 (,Wissen seiner alsdes Geistes').

    70Ebd., 243; s. auch 280.

    71Ebd., 250

    72Ebd., 186f. (,di reine Subject, das frey ist von seinem Inhalt; aber auch ber diesen Herr,1), 188sowie 181 und 187.

    73 S. ebd., 188 (,ich habe unmittelbar das Bewutseyn Meiner darin').74

    Ebd., 193 und 194 (,das erste innre wirken auf sich selbst').75

    Ebd., 200 f.

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    nur das ,Erkennen' in der Liebe bzw. im ,Anerkanntseyn'. Bei den folgenden Gestal-ten des ,wirklichen Geistes' verhlt es sich der Struktur nach hnlich, z.B. beim Selbst-bewusstsein der Stnde in der ,Constitution'.77 Gleiches gilt zu guter Letzt fr das ,Wis-

    78sen des absoluten Geistes von sich als absolutem Geiste' etwa in der Religion.

    Interessantist in diesem Zusammenhang die systematisch

    neue

    Situierung des Abs-traktions-Selbstbewusstseins. Denn offenbar fasst Hegel es nicht mehr nur als eine ei-gene Gestalt auf, der ein einziger systematischer Ort zukommt: im bergang vom theo-retischen zum praktischen Geist. Stattdessen generalisiert er die Mglichkeit desGeistes, sich ,in eine Abstraction [zu] setzen'. Und so kommt das Abstraktions-Selbst-

    79bewusstsein auch fters vor.

    Dabei gibt Hegel auch eine kritische Bewertung solchen abstrahierenden Verhaltens,bestehe dieses doch darin,

    sich [zu] analysiren, und eine[r] Existenz [zu] geben-

    wie das Thier nicht,-

    wo das Selbst,das in ein System sich legt, zur Krankheit wird; aber es ist nur augenblickliche, verschwin-dende Existenz."

    Wahre Erkenntnis ist somit nicht durch bloe innere Analyse des Selbst, nicht-

    wie

    Hegel ebenfalls in der Geistesphilosophie von 1805/06 formuliert-

    durch Jntussuscep-81

    tion' zu erlangen, die zur .Krankheit' fhrt. Wahre Erkenntnis zu erlangen, ist nurmglich, ,durch Erzeugung [eines Inhalts] und zwar eines solchen, worin sie (die Intel-ligenz

    -

    man darf generalisieren: der Geist) das Bewutseyn ihres Thuns hat; d.h. ihrer82als des Setzens des Inhalt, oder sich zum Inhalte machens.'

    Ergnzt um das Aufheben dieses Inhalts ergibt sich damit eine Konzeption von Geist,die dadurch absolut ist, dass sie die gesamte Wirklichkeit einbezieht. Ihr Vollzugsortaber ist das Selbstbewusstsein des empirischen Subjekts.

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    Ebd., 220.Ebd., 224, 227, 248, 253-256 (,mein positives Selbst', ,hierin erhalte ich das Bewutseyn alsmeiner selbst'), 265 und 266 (,Selbstbewutseyn' der Stnde), 277f.; s. auch 227 und 282.Ebd., 280, vgl. 281.Ebd., 199ff., s. bes. 223; vgl. 204, 224 (,Dem Ich, als abstractem Frsichseyn'), 237 (,als reineAbstraction'), 243 (,die Abstraction der Arbeit'), 264 (,aber ihre innre

    -

    die Freyheit desGedankens erhalten

    -

    der Geist [...] ist in sein reines Element des Wissens getreten [...] oder esist seine formale Existenz als [die des] sich Selbstwissens;

    -

    er ist di nordische Wesen, das insich ist, aber sein Daseyn im Selbst aller hat.').Ebd., 223 f.Ebd., 201.Ebd. (Hinzufgung in runden Klammern vom Verfasser, CS.)

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    Hegels Jenaer Begriff des Selbstbewusstseins 183

    7. Fazit

    Es sollte deutlich geworden sein, welche Wandlungen der Selbstbewusstseinsbegriff inHegels Jenaer Entwicklung erfhrt. Bezogen auf eine transzendental-philosophische

    Ausgangslage, war das zuerst seine Abwertung, bei der das reine Selbstbewusstsein un-ter Verabschiedung der intellektuellen Anschauung auf eine blo formale Bedeutungrestringiert wird. Dann erfolgte eine Aufwertung, bei der erstens dieses formale reineSelbstbewusstsein verknpft wird mit Hegels neuem Begriff vom Absoluten als Geist,dann zweitens einen Platz erhlt im neuen Systemteil der Geistesphilosophie, bevor dasSelbstbewusstsein drittens durch die Verabschiedung des Bewusstseins als Leitbegriffdes Geistes und durch die Logik des konkreten Allgemeinen in den Stand des univer-sellen Mediums gesetzt wird, ber das die Erkenntnis des Absoluten erfolgt. Dabei istmit der Opposition von Symmetrie im Bewusstsein und Asymmetrie im Selbstbewusst-sein auch etwas ber die sachlichen Motive Hegels deutlich geworden, ja, vielleichtber Strukturprobleme, die die Selbstbewusstseins-Thematik aufwirft.

    Allerdings-

    in den zuletzt genannten Punkten zeigen sich auch die Grenzen der vor-liegenden Darstellung wie auch der Behandlung des Selbstbewusstseinsbegriffs durchden Jenaer Hegel. Denn alle weiteren vor allem logisch-strukturellen Fragen zumSelbstbewusstsein lassen sich aus den Jenaer Texten heraus nicht mehr beantworten.Das gilt sowohl fr die subjektive Asymmetrie

    -

    die, wenn man so will, interne Strukturdes Selbstbewusstseins

    -,fr die Frage, wie das Wissen im Selbstbewusstsein berhaupt

    zu denken ist, als auch fr das Verhltnis von Hegels .philosophischen' Selbstbewusst-seins-Typen zu den Typen des empirischen Selbstbewusstseins.83

    Begriffe Hegels, die in den genannten Hinsichten relevant, jedoch mit Hegels Jenaer Mittelnallein nur schwer nutzbar zu machen sind, sind etwa: Ich, Selbst, Anschauen und vor allem Re-flexion.