6 Vektorräume und Komplexe Zahlen 6.1 Vektorräume Vektorräume sind in gewisser Weise Verallgemeinerungen der Zahlenmengen. So gibt es in einem Vektorraum eine Addition mit Eigenschaften analog der für die reellen Zahlen. Außerdem kann man Vektoren durch die Multiplikation mit reellen Zahlen stauchen oder dehnen. Eine Multiplikation mit den von den reellen Zahlen gewohnten Eigenschaften gibt es jedoch im allgemeinen nicht. Daher werden verschiedene Arten von Ersatz-Multiplikationen (Zahlen mit Vektoren oder Vektoren mit Vektoren) betrachtet. Vektoren erlauben vielfältige innermathematische Anwendungen wie in der Geometrie oder Analysis, sowie auch außermathematische Anwendungen z.B. in der Mechanik. Je nach Anwendung haben sie unterschiedliche Formen. Ziel dieses Abschnittes ist einerseits die Wiederholung von Begriffen, welche von der Schule her bekannt sein sollten, und eine allgemeinere Einordnung. 6.1.1 Zahlenkörper Seien K eine Menge mit einer Addition „+“ und die Multiplikation „·“ mit folgenden Eigenschaften: ∀x, y ∈ K : x + y = y + x (Kommutativgesetze) ∀x, y ∈ K : x · y = y · x ∀x, y, z ∈ K : x +(y + z )=(x + y)+ z (Assoziativgesetze) ∀x, y, z ∈ K : x · (y · z )=(x · y) · z ∀x, y, z ∈ K : x · (y + z )= x · y + x · z (Distributivgesetz) ∀x ∈ K : x +0= x, 1 · x = x (neutrale Elemente 0 bzw. 1 ∀x ∈ K : ∃ =1 − x ∈ K : x +(−x)=0 (additiv inverse Zahl) ∀x ∈ K \{0}∃ =1 x −1 ∈ K : x −1 · x = 1) (multiplikativ inverse Zahl) Definition 6.1. Eine Menge K mit Operationen + und · und Elementen 0 =1 und obigen Gesetzen heißt (Zahlen-) Körper . Bemerkung 6.2. Die Menge N der natürlichen Zahlen und die Menge der ganzen Zahlen Z bilden mit der üblichen Addition und Multiplikation keinen Zahlenkörper, da Inverse Elemente zu Addition bzw. Multiplikation fehlen. 105
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6 Vektorräume und Komplexe Zahlen
6.1 Vektorräume
Vektorräume sind in gewisser Weise Verallgemeinerungen der Zahlenmengen. So gibt esin einem Vektorraum eine Addition mit Eigenschaften analog der für die reellen Zahlen.Außerdem kann man Vektoren durch die Multiplikation mit reellen Zahlen stauchen oderdehnen. Eine Multiplikation mit den von den reellen Zahlen gewohnten Eigenschaften gibt esjedoch im allgemeinen nicht. Daher werden verschiedene Arten von Ersatz-Multiplikationen(Zahlen mit Vektoren oder Vektoren mit Vektoren) betrachtet.
Vektoren erlauben vielfältige innermathematische Anwendungen wie in der Geometrie oderAnalysis, sowie auch außermathematische Anwendungen z. B. in der Mechanik. Je nachAnwendung haben sie unterschiedliche Formen.
Ziel dieses Abschnittes ist einerseits die Wiederholung von Begriffen, welche von der Schuleher bekannt sein sollten, und eine allgemeinere Einordnung.
6.1.1 Zahlenkörper
Seien K eine Menge mit einer Addition „+“ und die Multiplikation „·“ mit folgendenEigenschaften:
∀x, y ∈ K : x + y = y + x (Kommutativgesetze)∀x, y ∈ K : x · y = y · x∀x, y, z ∈ K : x + (y + z) = (x + y) + z (Assoziativgesetze)∀x, y, z ∈ K : x · (y · z) = (x · y) · z∀x, y, z ∈ K : x · (y + z) = x · y + x · z (Distributivgesetz)∀x ∈ K : x + 0 = x, 1 · x = x (neutrale Elemente 0 bzw. 1∀x ∈ K : ∃=1 − x ∈ K : x + (−x) = 0 (additiv inverse Zahl)∀x ∈ K \ {0}∃=1x
−1 ∈ K : x−1 · x = 1) (multiplikativ inverse Zahl)
Definition 6.1. Eine Menge K mit Operationen + und · und Elementen 0 6= 1 und obigenGesetzen heißt (Zahlen-) Körper .
Bemerkung 6.2. Die Menge N der natürlichen Zahlen und die Menge der ganzen ZahlenZ bilden mit der üblichen Addition und Multiplikation keinen Zahlenkörper, da InverseElemente zu Addition bzw. Multiplikation fehlen.
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6 Vektorräume und Komplexe Zahlen
Beispiel 6.3. Die Menge Q der rationalen Zahlen pq mit p, q ∈ Z, q 6= 0 ausgestatter mit
der üblichen Addition und der üblichen Multiplikation bildet einen Zahlenkörper, wobei
• rationale Zahlen pq und r
s genau dann als gleich gelten, wenn ps = qr gilt,
p
q=
r
s⇐⇒ ps = qr ,
• rationale Zahlen pq und r
s addiert werden, indem beide Zahlen auf den gemeinsamenHauptnenner gebarcht werden und dann die Zähler addiert werden,
p
q+
r
s=
ps
qs+
qr
qs=
ps + qr
qs,
• rationale Zahlen pq und r
s addiert werden, indem Zähler und Nenner multipliziert wer-den,
p
q· rs
=pr
qs.
Beispiel 6.4. Die Menge R der reellen Zahlen ausgestattet mit der üblichen Addition undder üblichen Multiplikation bildet einen Zahlenkörper, wobei mir den uns hier in der Vor-lesung zur Verfügung stehenden Mitteln weder definiert werden kann, was reelle Zahlensind, noch wie sie addiert oder multipliziert werden. (Reelle Zahlen werden als Äquiva-lenzklassen von Intervallschachtelungen, als Dedekind-Schnitte, als Äquivalenzklassen vonCauchy-Folgen eingeführt. Die Einführung reeller Zahlen als Dezimalbrüche mangelt daran,dass Dezimalbrüche als formale Reihen betrachtet werden müssten und es sehr kompliziertist, für diese Addition und Multiplikation zu definieren.)
Beispiel 6.5. Sei M = {0, 1} mit folgender Addition und Multiplikation:
0 + 0 = 0 , 0 + 1 = 1 , 1 + 0 = 1 , 1 + 1= 0 ,
0 · 0 = 0 , 0 · 1 = 1 , 1 · 0 = 1 , 1 · 1= 1 .
Wir erhalten den zweielementigen Zahlenkörper F2.
Beispiel 6.6. Die Menge Rn der reellen n-Tupel bildet für n > 1 zusammen mit der üblichenkomponentenweisen Addition keinen Zahlenkörper, da eine geeignete Multiplikation fehlt:Zum Skalarprodukt fehlen Inverse, das Vektorprodukt im R3 ist nicht kommutativ.
Beispiel 6.7. Die Menge Rn×n der n-reihigen Matrizen bildet für n > 1 zusammen mit derüblichen Matrizenaddition und -multiplikation keinen Zahlenkörper: Die Muliplikation istnicht kommutativ und es mangelt an der Existenz inverser Matrizen.
6.1.2 Vektorraum Rn
Sei n ∈ N>0. Wir betrachten die Menge
\pst{}}Rn := Xni=1R = R× · · · × R
︸ ︷︷ ︸
n−mal
= {(x1, . . . , xn) | xi ∈ R}
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6.1 Vektorräume
der reellen n-Tupel .
In Rn definiert man die Addition von Elementen x = (x1, . . . , xn), y = (y1, . . . , yn) unddie Multiplikation mit einem Skalar (reeller Zahl) λ ∈ R durch
x + y := (x1 + y1, . . . , xn + yn) und λ · x := (λx1, . . . , λxn) .
x + y heißt Summe von x und y, λx heißt Vielfaches, konkret λ-Faches von x.
Insbesondere betrachtet man die Räume R2 und R3 der Paare bzw. Tripel reeller Zahlen zurBeschreibung von Punkten in der Ebene oder im (drei-dimensionalen) Raum.
λ · (x + y) = λ · x + λ · y , (λ + µ) · x = λ · x + µ · x , λ(µ · x) = (λµ) · x , (6.2)
x + 0 = x , x + (−x) = 0 , 0 · x = 0 , 1 · x = x , (−1) · x = −x . (6.3)
Wir setzen:x− y := x + (−y) = (x1 − y1, . . . , xn − yn) .
Schreibweise: Wir schreiben ein n-Tupel (x1, . . . , xn) auch als so genannten Spaltenvek-tor . Beachte den Unterschied zum Zeilenvektor (ohne Kommas!):
(x1, . . . , xn) =
x1...
xn
für n>16= (x1 · · · xn) .
Spezielle Vektoren sind der Nullvektor 0 = (0, . . . , 0) und die i-ten Einheitsvektoren
ei := (0, . . . , 0, 1, 0, . . . , 0) ,
bei denen genau an der i-ten Stelle eine 1 steht.
Ist dann x = (x1, . . . , xn) ein Vektor aus Rn, so kann man ihn als
x = x1e1 + x2e2 + · · ·+ xnen =
n∑
i=1
xiei ,
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6 Vektorräume und Komplexe Zahlen
d. h., als eine Linearkombination der ei darstellen. Außerdem ist (e1, . . . , en) minimalin folgendem Sinne: keiner der Vektoren ei lässt sich als Linearkombination der übrigenEinheitsvektoren darstellen.
(e1, . . . , en) heißt kanonische Basis und x1, . . . ,xn heißen die Koordinaten von x bezüg-lich der kanonischen Basis.
6.1.3 Allgemeine Vektorräume
Definition 6.8. Sei K ein Körper. Eine Menge V mit einer Addition + und einer Multi-plikation · mit Zahlen aus K heißt Vektorraum , wenn genau ein Nullvektor 0 ∈ V undfür jedes x ∈ V genau ein additives Inverses (entgegengesetzter Vektor) −x ∈ V
existieren, so dass (6.1), (6.2), (6.3) für alle x, y, z ∈ V , λ, µ ∈ K gelten. Die Elemente einesVektorraumes heißen Vektoren .
Bemerkung 6.9. Ein Vektorraum ist also eine algebraische Struktur, in der Summe undVielfaches mit „vernünftigen“ Eigenschaften definiert sind.
Beispiele von Vektorräumen:
1. Der Raum Rn der reellen n-Tupel ist ein Vektorraum über dem Körper R, siehe oben.
2. Wir betrachten die Menge Rm×n der reellen m × n-Matrizen mit üblicher Summe undüblichen reellen Vielfachen. Dann ist auch Rm×n ein Vektorraum
3. Wir betrachten die Lösungsmenge L ⊆ R eines linearen, homogenen Gleichungssystemsmit reellen Koeffizienten. Dann ist L ein reeller Vektorraum.
4. Wir betrachten die Lösungsmenge L ⊆ Q eines linearen, homogenen Gleichungssystemsmit rationalen Koeffizienten. Dann ist L ein rationaler Vektorraum.
5. Wir betrachten die Menge F aller Funktionen f : R → R. Für f, g ∈ F definieren wirSumme und Vielfaches durch
Definition 6.10. Seien n Vektoren b1, . . . , bn in einem Vektorraum V über K gegeben.Das n-Tupel (b1, . . . , bn) heißt linear unabhängig , wenn der Nullvektor 0 nur trivial alsLinearkombination der bi darstellbar ist:
λ1b1 + · · ·+ λnbn = 0 ⇒ λ1 = · · · = λn = 0 .
Das n-Tupel (b1, . . . , bn) heißt vollständig , wenn jeder Vektor v ∈ V als Linearkombinationder bi darstellbar ist:
∀v ∈ V ∃x1, . . . , xn ∈ K : v = x1b1 + x2b2 + . . . + xnbn . (6.4)
Ein linear unabhängiges und vollständiges n-Tupel (b1, . . . , bn) heißt Basis von V .
Bemerkung 6.11. Die Darstellung (6.4) bezüglich (b1, . . . , bn) ist eindeutig.
Definition 6.12. Ist (b1, . . . , bn) eine Basis, so heißt V ein n-dimensionaler Vektorraum .Die Zahlen x1, . . . , xn (in dieser Reihenfolge) in (6.4) heißen die Koordinaten von v bezüg-lich der Basis (b1, . . . , bn).Der Vektor (x1, . . . , xn) ∈ Rn in (6.4) heißt Koordinatenvektor von v bezüglich dieserBasis.
Existiert also eine Basis (b1, . . . , bn), so entspricht jedem Vektor v ∈ V genau ein Koordina-tenvektor x ∈ Rn und umgekehrt, wobei
V ∋ v = x1b1 + x2b2 + · · ·+ xnbn ←→ (x1, . . . , xn) = x ∈ Rn .
Außerdem entsprechen sich Addition und Multiplikation mit Skalar in V und Rn.
Bemerkung 6.13. Anstelle eines n-dimensionalen Vektorraumes V über R kann stets derisomorphe Vektorraum Rn der n-Tupel betrachtet werden.
6.1.4 Skalarprodukt und Norm
Definition 6.14. Für Vektoren x, y ∈ Rn definieren wir das euklidische Skalarprodukt
〈x, y〉 := x1y1 + · · ·+ xnyn =n∑
i=1
xiyi = x⊤y .
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6 Vektorräume und Komplexe Zahlen
Das Skalarprodukt ordnet Vektoren x, y ∈ Rn eine reelle Zahl zu und hat folgende Eigen-schaften (α, β ∈ R, x, y, z ∈ Rn):
Definition 6.17. Der Vektorraum (Rn,+, ·) ausgestattet mit der Länge ‖ · ‖ heißt eukli-discher Raum .
Definition 6.18. Eine Abbildung ‖ · ‖ : V → R, v 7→ ‖v‖ heißt Norm in V , wenn (6.6)entsprechend für alle λ ∈ R und alle x, y ∈ V gilt.
Definition 6.19. v ∈ V heißt normiert oder Einheitsvektor , wenn ‖v‖ = 1.
Bemerkung 6.20. Wenn 〈·, ·〉 ein Skalarprodukt in V ist, dann ist durch ‖v‖ :=√
〈v, v〉 fürv ∈ V eine Norm in V definiert.
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6.1 Vektorräume
Es gilt die Cauchy-Schwarz-Bunjakowski-Ungleichung
|〈v, w〉| ≤ ‖v‖ · ‖w‖ für allev, w ∈ V .
Sei (b1, . . . , bn) eine Basis in V und seien v, w ∈ V mit
v =n∑
i=1
xibi , w =n∑
i=1
yibi .
Dann gilt
〈v, w〉 =n∑
i=1
n∑
j=1
gijxiyj mit gij := 〈bi, bj〉 .
Definition 6.21. Zwei Vektoren a, b ∈ V heißen orthogonal zueinander , wenn
〈a, b〉 = 0
gilt.
Wenn 〈bi, bi〉 = 1, 〈bi, bj〉 = 0 für i 6= j, dann sind die Vektoren b1, . . . , bn normiert undpaarweise orthogonal (d. h., orthonormal) und es gilt gii = 1 und gij = 0 für i 6= j. Dahergilt dann
〈v, w〉 =
n∑
i=1
xiyi .
Bemerkung 6.22. Die Einheitsvektoren e1, . . . , en in Rn sind orthonormal bezüglich deseuklidischen Skalarproduktes.
Definition 6.23. Für zwei Vektoren v, w ∈ V \ {0} eines euklidischen Raumes V wird derWinkel ∡(v, w) ∈ [0, π] definiert durch
cos ∡(v, w) =〈v, w〉‖v‖ · ‖w‖ .
Bemerkung 6.24. Durch obige Defintion wird der Winkelbegriff vom Zweidimensionalen herverallgemeinert und ist nun auch allgemein in euklidischen Vektorräumen verfügbar.
Bemerkung 6.25. Zwei Vektoren v, w ∈ V \{0} sind genau dann orthogonal zueinander (d. h.〈v, w〉 = 0), wenn der Winkel zwischen ihnen π
2 (also 90◦) ist.
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6 Vektorräume und Komplexe Zahlen
6.1.5 Analytische Geometrie
Aus der Schule sollte die Anwendung des R2 und des R3 für die analytische Geometrie,Grundaufgaben der analytischen Geometrie und deren Lösung bekannt sein:
• Darstellungen von Geraden und Ebenen,
• Orthogonalprojektion,
• Schnittpunkte von Geraden und Ebenen,
• Winkel zwischen Geraden und Ebenen,
• Lotfußpunkte und Lotgeraden.
Zum Skalarprodukt kommen im R3 noch Kreuzprodukt und Spatprodukt hinzu. Für eineausführlichere Darstellung der analytischen Geometrie wird auf andere Vorlesungen bzw.Bücher verwiesen.
6.2 Komplexe Zahlen
Ziel ist, die Menge R2 so mit einer Addition „+“ und einer Multiplikation „·“ auszustatten,dass ein Zahlenkörper entsteht.
Wenn dies geht, so können wir mit Punkten in der Ebene R2 richtig rechnen – im Unterschiedzur Vektorrechnung, bei der eine Division fehlt.
6.2.1 Körper der komplexen Zahlen
Wir vewenden für den R2 die schon bekannte Addition
(a, b) + (c, d) := (a + c, b + d) . (6.7)
Sie erfüllt alle an sie forderten Eigenschaften für einen Zahlenkörper.
Beispiel 6.26. Es seien z1 = (2,−1), z2 = (1, 3). Dann gelten
z1 + z2 =(2,−1) + (1, 3) = (3, 2) ,
z1 − z2 =(2,−1)− (1, 3) = (1,−4) .
Benötigt wird noch Multiplikation im R2, d. h., wir haben
(a, b) · (c, d)
so zu definieren, dass wieder ein Element des R2 entsteht, und so, dass das Produkt vernünfti-ge Eigenschaften hat (Kommutativgesetz, Assoziativgesetz, Distributivgesetz, Existenz vonneutralem Element und von inversen Elementen).
112
6.2 Komplexe Zahlen
Insbesondere wollen wir ein Paar (x, 0) ∈ R2 mit der reellen Zahl x ∈ R identifizieren:
(x, 0) = x für x ∈ R .
Außerdem soll die Multiplikation mit einer reellen Zahl die schon vom R2 bekannten Eigen-schaften haben.
Damit sind schon festgelegt:
• 0 = (0, 0) als Null und 1 = (1, 0) als Eins,
• (a, 0) · (c, d) = (ac, ad) und somit
(a, b) · (c, d) = (a, 0) · (c, d) + (0, b) · (c, d)
Satz 6.28. Die Menge R2 zusammen mit der Addition + und der Multiplikation · entspre-chend (6.7) und (6.8) bildet einen Zahlenkörper.
Definition 6.29. Die Menge R2 zusammen mit der Addition + und der Multiplikation ·entsprechend (6.7) und (6.8) heißt Körper der komplexen Zahlen C. Die Elemente vonC heißen komplexe Zahlen C.
6.2.2 Algebraische Darstellung komplexer Zahlen
Bemerkung 6.30. C ist ein zweidimensionaler Vektorraum über R mit der Basis
(e1, e2) = ((1, 0), (0, 1)) ,
d. h., für jede komplexe Zahl (x, y) gilt
(x, y) = x · (1, 0) + x · (0, 1) = x · e1 + y · e2 . (6.9)
e2
y · e2(x, y) = x · e1 + y · e2
e1 x · e1
Wir können uns daher die Elemente von C auch als Punkte in der Ebene vorstellen, nachdemwir einen Nullpunkt und zwei aufeinander senkrecht stehende Koordinatenachsen ausgewählthaben: Die waagerechte Achse gehört zum Basisvektor e1 = (1, 0), d. h., zu den reellen Zah-len, die vertikale Achse gehört zum Basisvektor e2 = (0, 1). Komplexe Zahlen können auch
114
6.2 Komplexe Zahlen
als Zeiger (Ortsvektoren) in der Ebene, Gaußsche Zahlenebene genannt, interpretiertwerden.
Bemerkung 6.31. Addition der komplexen Zahlen (a, b) und (c, d) heißt Verschiebung desPunktes (a, b) um den Vektor (c, d) in den Punkt (a + c, b + d).
Wir haben schon1 = e1 = (1, 0) .
Wir setzen
i := e2 = (0, 1) .
Wegen (6.9) haben wir damit
(x, y) = x + iy .
i
yi (x, y) = x + yi
1 x
Wir können uns daher nun die Elemente von C als Punkte in der Ebene vorstellen, nachdemwir einen Nullpunkt und zwei aufeinander senkrecht stehende Koordinatenachsen ausgewählthaben: Die waagerechte, reelle Achse gehört zum Basisvektor 1 = (1, 0), d. h., zu den reellenZahlen, die vertikale, imaginäre Achse gehört zum Basisvektor i = (0, 1).
Definition 6.32. Für eine komplexe Zahl z = x + yi nennen wir y := Re(z) den Realteilund y := Im(z) den Imaginärteil von z.
Damit hat die Gleichung x2 = −1 in C zwei Lösungen!
Da C ein Zahlenkörper ist, kann man mit komplexen Zahlen im Sinne von Addition undSubtraktion, Multiplikation und Division genau so rechnen wie mit reellen Zahlen. Beachtetman i2 = −1, so wird einfach ausmultipliziert.
Definition 6.35. Die komplexen Zahlen z = x + iy und z̄ := x − iy, die gleichen Realteilund zueinander negativen Imaginärteil haben, heißen komplex konjugiert zueinander.
y
z = x − iy
z + z
z = x + iy
x
Bemerkung 6.36. Das Konjugieren einer komplexen Zahl z = x + iy zu z̄ := x − iy ist dasSpiegeln des Punktes (x, y) an der reellen Achse.
Bemerkung 6.37. Das Produkt zweier zueinander konjugiert komplexer Zahlen ist eine reelleZahl:
Beachte: Die letzten beiden Formeln lassen sich in der Gaußschen Zahlenebene gut verste-hen. Zu einer komplexen Zahl z erhält man die komplex Konjugierte nämlich (nach Defini-tion) einfach durch Spiegelung an der reellen Achse. Insbesondere gelten auch
z−1 =z
z · z =1
|z|2z ,
w
z=
w · z̄|z|2
,
Beispiel 6.40. Es seien z1 = 2 − i, z2 = 1 + 3i, vergleiche die Beispiele 6.26, 6.27. Danngelten
z1 + z2 = 3 + 2i , z1 − z2 = 1− 4i ,
z̄1 = 2 + i , z̄2 = 1− 3i ,
|z1| =√
22 + (−1)2 =√
5 , |z2| =√
12 + 32 =√
10 ,
z1 · z2 = 2 + 6i− i + 3 = 5 + 5iz1
z2=
(2− i)(1− 3i)√10
=2− 6i− i− 3√
10
=−1− 7i√
10= −√
10
10− 7√
10
10i .
Bemerkung 6.41. Im Unterschied zu den reellen Zahlen haben wir keine Ordnungsrelationmit den vom Reellen bekannten Eigenschaften.
6.2.3 Polardarstellung
Betrachtet man eine komplexe Zahl z 6= 0 als Zeiger in der komplexen Zahlenebene, so kannz offenbar auch in folgender Form dargestellt werden:
z = |z| cos ϕ + i|z| sinϕ = |z|(cos ϕ + i sinϕ) ,
wobei ϕ = arg(z) ein Winkel sei, den der Zeiger mit der reellen Achse bildet.
117
6 Vektorräume und Komplexe Zahlen
ϕ
i
yi (x, y) = x + yi
1 x
r
Dieser Winkel wird Argument von z genannt. Üblicherweise wird für eine eindeutige Dar-stellung der Hauptwert des Winkels im Intervall ]− π,π] gesucht, d. h.,
Arg(z) ∈ ]− π, π] .
Für z = x + iy setzen wir
Arg(z) := ϕ mit cos ϕ =x
|z| und{
0 ≤ ϕ ≤ π, falls y ≥ 0−π < ϕ < 0, falls y < 0
}
,
wenn z 6= 0. Weiter sei Arg(0) := 0.
Zusammengefasst haben wir die eindeutige trigonometrische Form oder Polardarstel-lung einer komplexen Zahl z mit
z = |z| (cos Arg(z) + i sinArg(z)) ,
wobei sich ein beliebiges Argument ϕ von z von Arg(z) nur durch Vielfache von 2π unter-scheidet.
6.2.4 Komplexe Sinus-, Cosinus- und Exponential-Funktionen
Ein Vorteil der komplexen Zahlen besteht darin, dass man bestimmte reelle Funktionen un-ter Erhaltung ihrer wichtigsten Eigenschaften auf C erweitern kann. Außer den (natürlichen)Potenzfunktionen und damit den Polynomen sind dies die Exponential- und Hyperbelfunk-tionen sowie die trigonometrischen Funktionen:
exp: C→ C , exp z := ez := eRe(z) (cos Im(z) + i sin Im(z)) ,
sin : C→ C , sin z :=1
2i
(eiz − e−iz
), cos : C→ C , cos z :=
1
2
(eiz + e−iz
),
sinh: C→ C , sinh z :=1
2
(ez − e−z
), cosh: C→ C , cosh z :=
1
2
(ez + e−z
).
Diese Funktionen erfüllen die aus dem Reellen bekannten Additionstheoreme. Insbesonderegelten
118
6.2 Komplexe Zahlen
ez1+z2 = ez1ez2 , e−z =1
ez, enz = (ez)n.
Für z = iy mit y ∈ R erhalten wir die Euler-Formel bzw. Moivre-Formel
eiy = cos y + i sin y , einy = (cos y + i sin y)n = cos ny + i sinny .
Die Moivre-Formel ermöglicht zum Beispiel die Berechnung von cos 3ϕ:
und der Euler-Formel erhalten wir nun die Exponentialdarstellung
z = |z|eiArg(z) .
Die komplexen Zahlen z und w werden multipliziert, indem ihre Beträge multipliziert undihre Argumente addiert werden:
z · w = |z|eiArg(z) · |w|eiArg(w) = |z||w|ei(Arg(z)+Arg(w)) .
Bemerkung 6.42. Multiplikation der komplexen Zahlen z und w heißt also Dehnen desVektors z = (x, y) um den Betrag |w| und Drehen um den Nullpunkt um den WinkelArg(w) .
Bemerkung 6.43. Die Multiplikation mit der komplexen Zahlen eiϕ ist das Drehen um denNullpunkt mit dem Winkel ϕ.
Zwei komplexe Zahlen z und w 6= 0 werden dividiert, indem ihre Beträge dividiert undihre Argumente subtrahiert werden:
z
w=|z|eiArg(z)
|w|eiArg(w)=|z||w|e
i(Arg(z)−Arg(w)) .
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6 Vektorräume und Komplexe Zahlen
Eine komplexe Zahl z wird potenziert, indem ihr Betrag potenziert und ihr Argumentvervielfacht wird:
zn =(
|z|eiArg(z))n
= |z|neinArg(z) .
Beispiel 6.44. Wegen 1 + i =√
2eiπ
4 und i− 1 =√
2ei 3π
4 gilt
(1 + i)5 · (i− 1)7 =(√
2eiπ
4
)5·(√
2ei 34π
)7=
(√2)12· ei(5·π
4+7· 3
4π)
= 26 · ei 264
π = 64 · ei(6π+ 12π) = 64eiπ
2 = 64i .
Bemerkung 6.45. Während die algebraische Darstellung sehr gut geeignet ist für die Additionund Subtraktion, ist die Exponentialdarstellung besser geeignet für Multiplikation, Divisionund Potenzierung.
6.2.6 Komplexe Faktorisierung eines Polynoms
Wir betrachten eine quadratische Gleichung
x2 + px + q = 0 (6.10)
im Fall D = p2
4 − q < 0, d. h., in dem Fall, indem keine reelle Lösung existiert.
Seienx1 := −p
2− i√−D , x2 := −p
2+ i√−D .
Dann gilt
(x− x1)(x− x2) =(
[x +p
2]− i√−D
) (
[x +p
2] + i√−D
)
= (x +p
2)2 − i2(−D) = x2 + px +
p2
4− p2
4+ q
= x2 + px + q .
Damit sind obige x1 und x2 komplexe Lösungen der Gleichung (6.10) im Falle p2
4 − q < 0.
Insbesondere hat also jede quadratische Gleichung (6.10) mit reellen Koeffizienten genauzwei Lösungen.
Man kann zeigen:
Satz 6.46 (Fundamentalsatz der Algebra). Lässt man auch komplexe Nullstellen zu, sobesitzt jedes Polynom eine Faktorisierung nur in Linearfaktoren. Insbesondere hat jedes Po-lynom n-ten Grades, n ≥ 1, genau n komplexe Nullstellen, wenn mehrfache Nullstellenentsprechend oft gezählt werden.
Beispiel 6.47. x2 + 1 = (x + i)(x− i) .
120
6.2 Komplexe Zahlen
6.2.7 n-te Wurzeln in C
Wir suchen die (reellen und) komplexen Nullstellen des Polynoms f(x) = xn − 1, also dieWurzeln der Gleichung xn = 1. Nach dem Fundamentalsatz der Algebra wissen wir, dass f
genau n komplexe Nullstellen besitzt (Vielfachheiten mitgezählt). Über die Exponentialdar-stellung können wir unmittelbar n Lösungen der Gleichung angeben. Wegen eik·2π = 1 fürbeliebiges k ∈ Z sind (die voneinander verschiedenen komplexen Zahlen)
xk := ei k
n·2π , k = 0, 1, 2, . . . , n− 1
genau n Lösungen der Gleichung, mithin die n komplexen Nullstellen von f(x) = xn − 1.
Wir erweitern die Überlegung auf die Gleichung
zn = a , mit a ∈ C vorgegeben.
Sei etwa a = |a| · eiArg(a). Dann sind die Zahlen
n√
|a| · eiArg(a)+2kπ
n , k = 0, 1, 2, . . . , n− 1
genau die n Wurzeln (Lösungen) der Gleichung zn = a.
Damit können wir Gleichungen der Form
(z − a)n + b = 0 a, b ∈ C, n ∈ N>0
in C lösen.
Beispiel 6.48. Wir bestimmen alle Lösungen der Gleichung (z − 2i)3 − 64 = 0 in algebrai-scher Form: Mit w = z − 2i haben wir w3 = 64 und damit
w1 = 4 , w2 = 4e2π
3i = −2 + 2
√3i , w3 = 4e−
2π
3i = −2− 2
√3i
bzw.
wk = 4
[
cos2kπ
3+ i sin
2kπ
3
]
, k = 0, 1, 2 .
Somit sind
z1 = 4 + 2i , z2 = −2 + 2(√
3 + 1)i , z3 = −2− 2(√
3− 1)i
die gesuchten Lösungen.
Beispiel 6.49. Wir bestimmen alle Lösungen der Gleichung (z− 2)3 +√
8 = 0 für z ∈ C in
algebraischer Form: Sei w = z − 2. Dann gilt |w| = 3
√
|√
8| =√
2 und
arg w =1
3arg(−
√8) +
2kπ
3=
π
3+
2kπ
3,
121
6 Vektorräume und Komplexe Zahlen
woraus
z0 = 2 +√
2 cosπ
3+ i√
2 sinπ
3= 2 +
√2
2+ i
√6
2,
z1 = 2 +√
2 cos(π
3+
2π
3) + i√
2 sin(π
3+
2π
3) = 2−
√2
2,
z2 = 2 +√
2 cos(π
3+
4π
3) + i√
2 sin(π
3+
4π
3) = 2 +
√2
2− i
√6
2
folgt.
6.2.8 Geometrische Anwendungen
Da C bzw. R2 mit der geometrischen Ebene identifiziert werden kann, können wir die geome-trischen Anwendungen der Vektoranalysis wie Projektion, Schnitt von Geraden, Lot auf eineGerade und Winkel zwischen Geraden auch mit Hilfe der komplexen Zahlen durchführen.
Wir müssen hierzu nur noch
〈z, w〉 = Re z · Re w + Im z · Im w = Re(zw) = Re(zw)
für das (reelle) Skalarprodukt der Vektoren z, w und
det(z, w) = Re z · Im w − Im z · Re w = Im(zw)
für die Determinante der Vektoren z, w bemerken.
Hinzu kommen aber zusätzliche Anwendungen, die sich aus der Anwendung der Multiplika-tion und des komplex Konjugiertem ergeben.
Beispiel 6.50. Eine Gerade g durch die Punkte z0 und z1 gegeben durch
g = {z0 + t · (z1 − z0) | t ∈ R} .
Eine Gerade g durch den Punkt z0 in Richtung r ist gegeben durch
g = {z0 + t · r) | t ∈ R} = {z ∈ C | 〈z, ri〉 = 〈z0, ri〉}= {z ∈ C | Re(zr̄i) = Re(z0r̄i〉} = {z ∈ C | Im(zr̄) = Im(z0r̄〉}
Lemma 6.51. Es seien g und h zwei Geraden durch die Punkte a ∈ C und b ∈ C mit denRichtungen p ∈ C bzw. q ∈ C.
1. Wenn 〈p, qi〉 = 0 gilt (d. h. wenn Im(pq̄) = 0 gilt), dann sind g und h parallel.
2. Wenn 〈p, qi〉 6= 0 gilt, dann sind g und h nicht parallel und ihr Schnittpunkt s ist gegebendurch
s =〈a, qi〉p− 〈b, pi〉q
〈p, qi〉 =Im(aq̄〉p− Im(bp̄)q
Im(pq̄〉 .
122
6.2 Komplexe Zahlen
Beispiel 6.52. Eine Kreislinie K mit Radius R und Mittelpunkt z0 ist gegeben durch
K = {z ∈ C | |z − z0| = R} .
Mit z = x + iy, z0 = x0 + iy0 entspricht dies
{(x, y) ∈ R2 : (x− x0)2 + (y − y0)
2 = R2} .
Der Schnitt eines Kreises mit einer Geraden führt zu einer quadratischen Gleichung für einereelle Unbekannte.
Beispiel 6.53. Die obere Halbebene ist gegeben durch
{z | Imz ≥ 0} .
Die rechte Halbebene ist gegeben durch
{z | Rez ≥ 0} .
Beispiel 6.54. Die Menge{z | |z + 2− i| > 2}
stellt das Äußere eines Kreises um −2 + i mit dem Radius 2 dar.
Multiplizieren wir eine komplexe Zahl z mit eiϕ, ϕ ∈ R, so wird ϕ zum Argument von z
Die Multiplikation mit eiϕ bewirkt also eine Drehung um 0 mit dem Winkel ϕ.
Die Multiplikation mit eiπ/2 = i ist also eine Drehung um 0 mit dem Winkel 90◦.Betrachtenwir nun die Spiegelung an der reellen Achse. Diese ist durch
z = Rez + iImz 7→ Rez − iImz = z
gegeben.
Als dritte elementare Kongruenztransformation fehlt uns nur noch die Verschiebung um|a| in Richtung eiArg(a):
z 7→ z + a .
Eine beliebige Kongruenztransformation in der Ebene setzt sich stets aus Drehung um0, Spiegelung an der reellen Achse und Verschiebung zusammen.
123
6 Vektorräume und Komplexe Zahlen
Beispiel 6.55. Eine Spiegelung an einer Geraden
g = {a + teiα | t ∈ R} , α ∈ R
durch den Punkt a erhält man in folgender Weise:
Zuerst verschieben wir die Gerade g so, dass ihr Bild durch den Nullpunkt verläuft,
z 7→ z − a ,
dann drehen wir um den Winkel −α, so dass das Bild der Gerade nun mit der reellen Achsezusammenfällt,
z 7→ ze−iα ,
dann wird an der reellen Achse gespiegelt,
z 7→ z ,
und schließlich wieder zurück gedreht und zurück verschoben:
z 7→ zeiα , z 7→ z + a .
Insgesamt erhalten wir durch Verkettung dieser fünf Abbildungen die Spiegelung an g durch
z 7→ (z − a)e−iαeiα + a = (z − a) e−iα eiα + a = (z − a)e2iα + a .
Bemerkung 6.56. Im Unterschied zur analytischen Geometrie haben wir hier zusätzlicheMöglichkeiten z. B. durch Verwendung der Division, der Multiplikation mit eiϕ zur Drehungum ϕ, der Spiegelung an der reellen Achse (durch komplexes Konjugieren) und durch Ver-wendung n-ter Einheitswurzeln zur Konstruktion von regulären n-Ecken. Andererseits kanndies so nur auf ebene Geometrie angewandt werden.
Bemerkung 6.57. Komplexe Zahlen finden außer in der ebenen Geometrie und bei Nullstellenvon Polynomen weitere Anwendungen in Algebra und Analysis, die in vielen Fällen dieTheorie durch Nutzung komplexer Zahlen einfacher wird.