-
88
3. 2. Fortgeschrittene Textgeneratoren Ray Kurzweil, ein
bekannter Programmierer, der mageblich an der Entwicklung von
Spracherkennungs-Software mitgearbeitet hat und auch in der
AI-Forschung aktiv ist, kommt dem Ideal der Verwechselbarkeit von
menschlicher und maschineller Gedichtproduktion sehr nahe.
Kurzweil, eine schillernde Figur, verdient eine etwas ausfhrlichere
Vorstellung. Mit 26 Jahren grndete er eine Computerfirma, die sich
sehr erfolgreich der Entwicklung von Schrifterkennungs-Software
widmete. Es folgte eine Lesemaschine fr Blinde, die ebenfalls viel
Zustimmung, unter anderem von Stevie Wonder, fand. Mit diesem
zusammen grndete er die Firma Kurzweil Music Systems, die sich mit
neuen Mglichkeiten der Musikproduktion beschftigte. Seit dieser
Zeit ist Kurzweil auch immer wieder auf dem Gebiet verschiedener
knstlerischer Disziplinen ttig. Neben dem Gedichtgenerator
entwickelte er ein Grafikpro-gramm. Die Firma Kurzweil Educational
Systems widmete sich einstweilen pdagogischen Projekten, zum
Beispiel einem Gert fr Menschen mit Leseschwche. Aufsehen erregte
und erregt Kurzweil mit seinen Prognosen zur Entwicklung knstlicher
Intelligenz: Der mensch-liche Geist werde in absehbarer Zeit auf
Maschinen bzw. Festplatten bertragen und der Mensch knne so ohne
Krper leben. Kurzweil hat auch bereits ein alter ego gebaut, eine
computeranimierte Frau namens Ramona, die man sehen und singen hren
und mit der man via Internet chatten kann. Raymond Kurzweils
Cybernetic Poet vermischt Phrasen und Wrter aus klassischer und
moderner Poesie mit eigenem Text.
RKCP [Ray Kurzweils Cybernetic Poet] uses advanced language
modeling techniques to actually write original poetry based on the
poems of other authors that it has read. While sharing in language
and style with the analyzed poems, the RKCP poetry is completely
original. It often comes up with intriguing and unexpected turns of
phrase [...].
Zu den Autoren, die RKCP kennt bzw. analysiert hat, zhlen Blake,
Byron, Keats, Shelley, Stevenson, Emily Dickinson, Walt Whitman, T.
S. Eliot, W. C. Williams und Robert Frost. Spracherkennung, nicht
-kreation war auch die Annherungsweise Kurzweils an die Literatur.
Das Programm analysiert die Struktur einzelner Wrter, Phrasen und
Klangmuster sowie die Gesamtstruktur des Gedichts. Der Generator
produziert dann unter Rckgriff auf diesen Speicher neue Gedichte,
die zugleich den Vorlufern sehr hnlich sind. Ein plagiarism
avoidance algorithm soll Plagiate aus den Texten der verwendeten
stilbildenden Autoren verhindern. Wenn der Generator ein Wort nach
dem anderen schreibt, sucht er nach Assoziationen zu
vorangegangenen Wrtern, bercksichtigt die Stellung des Worts
innerhalb des Gedichts und die stilistischen Parameter, die durch
den gewhlten vorbildlichen Autor vorgegeben sind. Die Suche ist
nicht immer erfolgreich; in solchen Fllen whlt das Programm ein
vorlufiges Wort aus, welches spter durch ein anderes ersetzt wird,
das den Anforderungen besser entspricht. Es wird nicht immer das
beste, auf einer Skala ganz oben angesiedelte Wort verwendet, weil
sonst alle Gedichte mit einer poet personality identisch wren. Dank
rekursiver Mechanismen bewegt sich der Schaffensprozess nicht
linear vorwrts. Wenn der Generator keine befriedigenden Lsungen
findet, setzt er die Anforderun-gen herunter, lockert die selbst
auferlegten Zwnge (constraints) und schreibt ein Gedicht,
-
89
das den neuen Vorgaben gerecht wird. Der kreative Prozess ist
also ein Durchrechnen aller mglichen Varianten unter
Bercksichtigung gewisser Wahrscheinlichkeiten und Hufig-keiten, mit
der Mglichkeit, alles wieder rckgngig zu machen. Die Annahme
dahinter ist natrlich, dass auch das Schaffen eines perfekten
Kunstwerkes ein Rechenprozess bzw. eine Kombination logischer
Operationen ist und daher von Maschinen bernommen werden kann. Nur
am Rande sei erwhnt, dass dieses Verarbeiten von Texten realer
Autoren mit dem Ergebnis neuer Texte sehr stark an die unter dem
Titel Intertextualitt firmierende Art der Textproduktion erinnert.
Die Kreativitt des Programms beruht einmal mehr auf Kombinato-rik,
dem Zusammensetzen zuvor anderswo extrahierter Elemente, es ist
allerdings sehr sensibel fr den Kontext und die Semantik. Und es
ist lernfhig, das heit es stellt ein erweiterungsfhiges Netzwerk
dar. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass einige der
computergenerierten Gedichte aus lngeren Bruchstcken der
vorbildlichen Texte, z. B. ganzen Zeilen, zusammengesetzt sind, was
der plagiarism avoidance algorithm eigentlich verhindern sollte.
Nach diesem Prinzip funktioniert der Cybernetic Poet Screen Saver,
der stndig neue Gedichte kreiert, die man als Bildschirmschoner
verwenden kann. Auf seiner Homepage prsentiert Kurzweil stolz das
Beispiel eines haiku written by Ray Kurzweils Cybernetic Poet,
after reading poems by Wendy Dennis:
Sashay down the page through the lioness nestled in my soul.
Wendy Dennis scheint eine Bekannte des Programmierers zu sein,
tatschlich sind die Namen der zeitgenssischen Autoren kaum zu
identifizieren, der Grund dafr sind wahrscheinlich
Copyrightprobleme mit den Werken renommierter lebender Autoren.
Auch Kurzweil selbst findet sich unter den beispielhaften lebenden
Dichtern. Anders verhlt es sich natrlich bei den Dichtern
vergangener Jahrhunderte. Nach der Lektre von Werken Robert Louis
Stevensons dichtete der Generator die folgenden Verse, die doch -
mit konventionellen Mastben gemessen - sehr poetisch anmuten:
Spite of Old Delight In spite of old delight And winter comes
the streams And I know that I can see the foam, Here is full of
dreams.
Das Programm entnimmt einigen Textstellen bzw. den wenigen
sichtbaren Parametern Regeln, die es mit Hilfe der statistischen
Wahrscheinlichkeit zu so genannten Markov-Modellen entwickelt. Der
Poetic Screen Saver produziert stndig, seine Erzeugnisse ziehen ber
den Bildschirm und sind dann verschwunden, was eine weitere
perfekte Realisierung des allgegenwrtigen Hinweises auf die
Flchtigkeit von Texten im digitalen Medium ist.
-
90
Tests haben ergeben, dass weniger als die Hlfte der Testpersonen
in der Lage waren, zwischen Produkten von RKCP und menschlichen
Gedichten zu unterscheiden. Kurzweils Ziel - und das Ziel aller
AI-Forscher - ist es, die Programme so intelligent zu machen, dass
sie die Testpersonen vollkommen tuschen. Die Maschinenprodukte
sollen von menschlichen Kreationen nicht zu unterscheiden sein. Wer
bei solchen Zielen lchelt, sollte bedenken, dass z. B.
Schachprogramme Weltmeister zu besiegen. Es geht Kurzweil darum,
die Akzeptanz von Maschinen zu verbessern, sie als Chance und nicht
als Bedrohung zu betrachten. In einem neueren Buch (Fantastic
Voyage - Live Long Enough To live Forever) prsentiert Kurzweil die
Vision, so lange zu leben, bis es mglich sein wird, seinen Geist
auf eine Maschine zu bertragen und auf diese Weise ewiges (?) Leben
zu erlangen. Und es geht darin nicht nur um Intelligenz, sondern
auch um Emotionen, die Maschinen der nchsten Generation sollen
empfindende (spiritual) Maschinen sein. Das Austesten der
Glaubwrdigkeit von Maschi-nenprodukten heit nach Alan Turing, dem
Mathematiker und Pionier der Computertechnik, Turing-Test (vgl. A
(Kind of) Turing Test). Vielleicht ist an dieser Stelle eine
Hypothese zum Unterschied zwischen menschen- und
maschinengenerierten Texten angebracht. Der Unterschied scheint vor
allem in der Leser-erwartung zu bestehen. Bei menschlichen
Gedichten ist ein Teil der Motivation fr die Lektre und
Interpretation die Annahme, dass sich der Autor etwas dabei
gedacht, etwas gefhlt, zum Ausdruck gebracht hat, das vielleicht
nicht immer deutlich zu erkennen ist, aber umso eher zur Suche
herausfordert. In einem Maschinengedicht ist man schneller bereit,
sich damit abzufinden, dass es sinnfrei ist. In selbstkritischen
Kommentaren rumt Kurzweil ein, dass die Kohrenz der generierten
Gedichte in einem engeren Umkreis gro ist, z. B. zwischen Wrtern
bzw. Versen, die eng nebeneinander stehen, dass es aber nicht so
einfach ist, Kohrenz ber ein ganzes lngeres Gedicht hinweg zu
erzielen. Diese spezielle Fhigkeit des Programms wird in einem
tool, das sich Poets Assistant nennt, gentzt. Es ermglicht die
Suche nach geeigneten Textfort-setzungen, man kann sich Vorschlge
liefern lassen. Diese Vorschlge sind wiederum geprgt von einem
vorbildlichen Autor oder einer Kombination mehrerer Autoren, die
man selbst bestimmen kann. (Rimbaudelaire und hnliche
ALAMO-Programme sind nicht so weit entfernt.) Die Vorschlge des
Dichter-Assistenten umfassen Reim, Halbreim, Alliterationen, das
nchste Wort, das Zu-Ende-fhren von Phrasen und sogar Vorschlge fr
das gesamte restliche Gedicht. Eine fortgeschrittene - und
kostenpflichtige - Version des Cybernetic Poet stellt ein reines
tool zur Textanalyse bereit. Es fhrt eine Sprachanalyse eines
Gedichts durch und fertigt aufgrund der Ergebnisse Varianten bzw.
andere Texte im selben Stil an. Nur am Rande sei erwhnt, dass das
Kriterium der Kohrenz sehr traditionalistisch ist und sich auf
moderne Dichtung nur sehr schwer anwenden lsst. Die dichtende
Maschine scheint wertebewusst zu sein. Ernsthafte Anstrengungen, im
Zusammenhang mit der AI-Forschung Literaturgeneratoren zu
erarbeiten, werden am Departamento de Sistemas Informticos y
Programacin der Universi-dad Complutense in Madrid unter der
Leitung von Pablo Gervs unternommen. Unter anderem sind folgende
Programme in Ausarbeitung, leider - wohl wegen urheberrechtlicher
Fragen - aber nicht online zugnglich bzw. bentzbar: - WASP (Wishful
Automatic Spanish Poet), eine Gruppe von Programmen, die formelle,
man knnte auch sagen: klassische spanische Gedichte erzeugen;
-
91
- ProtoPropp, ein Mrchengenerator, der auf Vladimir Propps
Morphologie des Mrchens beruht; dieses Programm ist durchaus
praxisorientiert. Die spanischen Informatiker gehen davon aus, dass
die moderne Unterhaltungsindustrie einen stndig wachsenden Bedarf
an Spezialisten fr Drehbcher, Computerspiele, kurz: plots aller Art
erkennen lsst. Plot-Programme sollten den Kreativen Vorschlge fr
Drehbcher u. . machen, Muster anbieten, die von ihnen dann
aufgegriffen, verfeinert und gewissermaen ins Reine gearbeitet
werden knnen; - KIIDS (Automatic Direction for Interactive Digital
Storytelling) versucht den schwierigen Ausgleich zwischen
interessanten autorgesteuerten plots (determinism) und der
interaktiven Freiheit der User zu erzielen. Dieses Projekt ist vor
allem auf die Herstellung von Computerspielen ausgerichtet. Bei den
beiden letztgenannten Projekten liegt ein Haupt-problem darin,
einen gewissen Grad an berraschung (unpredictability) zu wahren, da
schematisierte plots la Propp natrlich zu langweilig sind; nach gut
zweihundert Jahren Unterhaltungsindustrie ist der Spielraum fr
Innovationen nur noch gering. Offensichtlich praxisorientiert ist
auch The Emotional Storyteller, der Mrchen automatisch laut
vorliest und dabei den emotional richtigen Tonfall verwendet. In
der durchgehend automatisierten Schne Neuen Welt bekommen Kinder
die Gutenachtgeschichte formvoll-endet aus dem Lautsprecher erzhlt.
Auch das ALAMO hat schon mit Generatoren, die plots konstruieren,
experimentiert. Le Jardin des Drames ist als Hilfe fr Autoren
gedacht, die eine Inspirationskrise (writers block) durchmachen. In
einer Auflistung von Figuren, die ein wenig an die von Vladimir
Propp an-hand von Mrchen entwickelte strukturalistische
Erzhlgrammatik erinnern, finden sich z. B. Figuren, die bestimmte
Funktionen erfllen, wie Le reprsentant du bien souhait, lobtenteur
virtuel de ce bien, Lopposant etc. An Handlungsmotiven stehen zur
Wahl dsirer pour soi, dsirer et etre contre ce dsir, tre dsir et
tre contre, tre desir et le vouloir, usw. Ein Musterszenario
besteht aus einer force dsirante, einem objet du dsir, einem
obtenteur, einer opposition, einem arbitre und einer rescousse
(Hilfe-leistung). In diese Leerstellen knnen nun verschiedene
Akteure (Kind, Jugendlicher, alte Frau, verheirateter Mann, Witwe )
und Aktionen (begehrt, beneidet, sucht ) eingesetzt werden. Solche
Erzhlgeneratoren arbeiten mit durch die Analysen des
Strukturalismus herausgearbeiteten Erzhl- und Handlungsmustern.
Wichtige Stationen der Konstruktion von Handlungen sind die
Bestimmung der Konfliktsituation, der Lsungsabsicht und der
Lsungsstrategie, als Verknpfungsgebot wird die Kausalitt Ursache -
Wirkung eingesetzt. Scott Turners Minstrel schafft neue plots in
Anlehnung an erinnerte hnliche Situationen. Ein Ergebnis dieser
Textproduktion mit dem Titel The Vengeful Princess liest sich wie
folgt:
Once upon a time there was a Lady of the Court named Jennifer.
Jennifer loved a knight named Grunfeld. Grunfeld loved Jennifer.
Jennifer wanted revenge on a lady of the court named Darlene
because she had the berries which she picked in the woods and
Jennifer wanted to have the berries. Jennifer wanted to scare
Darlene. Jennifer wanted a dragon to move towards Darlene so that
Darlene believed it would eat her. Jennifer wanted to appear to be
a dragon so that a dragon would move
-
92
towards Darlene. Jennifer drank a magic potion. Jennifer
transformed into a dragon. A dragon moved towards Darlene. A dragon
was near Darlene. Grunfeld wanted to impress the king. Grunfeld
wanted to move towards the woods so that he could fight a dragon.
Grunfeld moved towards the woods. Grunfeld was near the woods.
Grunfeld fought a dragon. The dragon died. The dragon was Jennifer.
Jennifer wanted to live. Jennifer tried to drink a magic potion but
failed. Grunfeld was filled with grief. Jennifer was buried in the
woods. Grunfeld became a hermit. Moral: Deception is a weapon
difficult to aim. (Turner 9)
hnliche nackte plots liefert auch der nach dem Mrchenforscher
Vladimir Propp benannte Proppian Fairy Tale Generator. Hier kann
man gewnschte Motive (functions) eingeben und wird prompt mit einem
adquaten Erzhlgerst bedient. Eher parodistisch ist Nanette Wyldes
Storyland angelegt. Das Design der Startseite wie auch die Musik
signalisieren Zirkus, also Unterhaltungsindustrie. Zwar erinnert
die Schpferin des Programms an Cut-up und Oulipo, aber die
kritisch-satirische Komponente herrscht vor. Die im Grunde
hanebchenen Zufallsgeschichten von Storyland stellen die ebenso
hanebchenen Zufallsgeschichten blo, mit denen uns die
Unterhaltungsindustrie beglckt. Auch dort arbeitet man mit den
Methoden sampling, appropriation, hybrids, stock content, design
templates. Die Risken von Diskontinuitt und Lcherlichkeit werden in
Kauf genommen. Der Generator produziert Geschichten wie die
folgende:
Es fllt auf, dass sehr wohl gewisse semantische Verknpfungen
gebildet werden. Der Grtner entwickelt Mitgefhl, der Juniorpartner
gesellschaftsfeindliche Einstellungen, aber beide sind auf der
Suche nach einer Daseinsberechtigung. Absurd ist natrlich die
Schlusswendung, in der der Juniorpartner den Grtner zerstrt, da wir
wissen, das es sich um ein und dieselbe Person handelt. Immerhin
knnte man annehmen, dass eine Persnlich-keitsspaltung vorliegt, in
deren Folge der Menschenfeind den Philanthropen beseitigt. Ein
inkommensurabler Fremdkrper bleibt hingegen der Mathematiklehrer,
gewissermaen ein blindes Motiv, wie es natrlich auch in realen
Geschichten vorkommt. Noch etwas kurioser wird die Angelegenheit,
wenn man feststellt, dass der Generator offenbar immer
-
93
Dreiecksgeschichten konstruiert und auch Motive wie die
Entwicklung von emphatic skills wiederkehren.
Ein weiteres Programm, das sowohl Text analysiert wie auch
eigene Werke verfasst und insbesondere als Hilfswerkzeug fr Dichter
Verwendung fand, ist POE (Poetic Oriented Evaluations) von Franz
Josef Czernin und Ferdinand Schmatz. Die beiden Autoren bekennen
sich zu einem rationalen und entmystifizierten Literaturbegriff und
wollen den schpferischen Prozess - wie OuLiPo, ALAMO und viele
andere - durch Experimente transparenter machen. Wie Kurzweils
Poets Assistant hilft POE bei der Suche nach Lsungen und macht
unbewusste (oder unbewusst scheinende) Entscheidungsvorgnge
sichtbar. Das Programm beruht auf der strukturalistischen Analyse
von sprachlichem Material. Insbesondere wird die Buchstaben- bzw.
Lautstruktur eines Textes bestimmt, die Verteilung einzelner
Buchstaben oder Gruppen von Buchstaben festgehalten. Ein
eingegebener Text wird durch Permutation, Ersetzung, Einfgung und
andere Operationen bearbeitet; das Programm kann Texte z. B. auch
zu Wortlisten umformen. Nach Magabe der strukturellen Muster und
Vorgaben, was das Auftreten eines bestimmten Buchstabens, die
Wortlnge, den Prozentsatz der Vokale oder andere grammatikalische
Kategorien betrifft, die man als user festlegen kann, erstellt POE
einen neuen Text. Der Generator ist also eigentlich ein
statistisches Analysewerkzeug und eine Textverarbeitung im engeren
Sinn, ein Hilfsin-strument. Beispiele, in denen Czernin und Schmatz
die Vokalstruktur eines Hlderlin-Gedichts bentzen, sind die
Gedichte tag und nacht:
tag (Ferdinand Schmatz) Andenken (Friedrich Hlderlin) sog aber
licht; die leuchten wellartig Wo aber sind die Freunde? Bellarmin
lind dem gelnde; blasses Mit dem Gefhrten? Mancher wgt heuers
fracht. die nebel brummen Trgt Scheue, an die Quelle zu gehn; fern:
seichtes, stndig der preisung Es beginnet nmlich der Reichtum wind;
gegeben trieb Im Meere. Sie sie daher, sinne umfangen Wie Maler,
bringen zusammen das rhren; der seh; und gewhrt Das Schne der Erd
und verschmhn
-
94
den ermdeten die sicht und Den geflgelten Krieg nicht, und luft;
oder weitab, fanal unter Zu wohnen einsam, jahrlang, unter dem
vertrauten lacht horn in die fahrt, umschwrzend Dem entlaubten
Mast, wo [nicht] die Nacht durchglnzen die weissverplankten, der
schwank Die Feiertage der Stadt, und kaibetrieb. und
scheinersonnener glanz sinnt. Und Saitenspiel und eingeborener Tanz
nicht.
nacht (Franz Josef Czernin) so aber sind, die streunen
gestaltig; mit dem, gewchsen, schatten schwrzt streuen; acht, die
schwelle zu drehn; es bestimmen, trnig der reibung in leeren. wie
die wangen sinken, zustande; das hren. der quell und erkrhn den
erhgelten tief; schicht und ruht zonen scheinbar. andrang unter dem
verschauten: schacht, so dicht die pracht durchrndernd. die
schreien sagen: der schwankt und laibe zielt und eingezogenen hang
misst.
In einem nchsten Schritt wurden nur die Substantive und Verben
in beiden Gedichten beibehalten, gemischt und neu angeordnet, so
dass ein neues Gedicht, ein Hybrid von Hlderlin, Czernin, Schmatz
und POE entstand:
dmmerung sog leuchten, vertrautumschwrzend brummen, streuen: die
zu drehn wgt trnig der seh; gegeben die sinne, die rhren; die
weissverplankten sinken, gewhrt der vertrauten; erkrhn tief sog und
leuchten wgt umschwrzend und ruht seh,
-
95
ruht scheinbar. umschwrzend weissverplankten unter sinnt unter
dem gegeben sog leuchten, wgt, so dicht die gewhrt, so dicht die
sinnt. die vertrauten dieumschwrzend sagen: die weissverplankten:
und sog zielt, eingezogenen hang misst und sinnt.
Mit POE erstellte Texte wurden brigens in Buchform verffentlicht
- vorher waren von den Autoren allein verfasste Gedichte
reihenweise abgelehnt worden -, und zwar unter dem Titel Die
Reisen. In achtzig flachen Hunden in die ganze tiefe Grube (1987).
Sie wurden zunchst als Werke von Schmatz und Czernin ausgegeben und
von der Kritik gut aufgenommen. Erst spter lfteten die Herausgeber
die wahre Autorschaft. Eine Kostprobe aus dem Band:
Teller und Schwei strue seit sich aus unseren kammern solche
sfte geschpft hatten, werden euch auch die wurzeln bertragen: ihr
schnittet euch selbst durch und durch sichtlich in scheiben auf,
die an jede flssigkeit grenzten. der halm grnt uns, die blte rtet
euch, sobald wir ausgeschlachtet worden sein werden von all dem
verscherben: immer habt ihr euch gegabelt durch uns gste, die
zweigsamen. doch die glser, die klingen uns bald, so im heien als
messer, whrend wir jetzt einander kosten euch ber dem wachsenden
teig.
-
96
ganz verblmt blttert ihr uns von den decken, den ganzen schmus:
diese luster werden geschwankt haben, durch all unseren kohl von
euren blumen gebissen? - ihr brachtet uns zum sieden.
Vorlufer der computergenerierten Zufallstexte sind die
stochastischen Texte (was nichts anderes bedeutet als
Zufallstexte), die Theo Lutz 1959 auf einem Grorechner namens ZUSE
Z 22 an der TH Stuttgart erstellte. Die Textgeneration verluft
folgendermaen: Der Maschine werden Substantive, Prdikate, logische
Operatoren (ein, jeder, kein, nicht jeder) und Konstanten (und,
oder, so gilt, Punkt) sowie das Wort ist eingegeben, verschlsselt
als Dualzahlen. Eine Zufallszahl bestimmt das erste Subjekt, wertet
das Geschlecht aus, aus einer neuen Zufallszahl wird ein logischer
Operator festgelegt, der auf das Geschlecht des Substantivs
abgestimmt wird. Der so entstandene Satz lautet: NICHT JEDER BLICK.
Jetzt folgt das Wort ist, das an dieser Stelle fix vorgegeben ist,
dann werden ein Prdikat und eine logische Konstante gesucht. Der
Satz lautet nun: NICHT JEDER BLICK IST NAH. Nach weiteren
Operationen und Hinzufgungen ist ein weiterer Elementarsatz
hinzuge-kommen: NICHT JEDER BLICK IST NAH UND KEIN DORF IST SPAET.
Das Programm ist nun einmal durchgelaufen. Es beginnt von vorne und
bildet ein weiteres Paar solcher Elementarstze. Die 16 fr den
Speicher ausgewhlten Substantive und Verben sind Kafkas Das Schloss
entnommen. Es handelt sich um:
DER GRAF DER FREMDE DER BLICK DIE KIRCHE DAS SCHLOSS DAS BILD
DAS AUGE DAS DORF DER TURM DER BAUER DER WEG DER GAST DER TAG DAS
HAUS DER TISCH DER KNECHT OFFEN STILL STARK GUT SCHMAL NAH NEU
LEISE FERN TIEF SPAET DUNKEL FREI GROSS ALT WTEND
Das ergibt immerhin ber 4 Millionen mgliche Stze. Einige weitere
von ZUSE generierte Zeilen lauten:
EIN GAST IST LEISE. JEDES BILD IST FERN. EIN TISCH IST OFFEN.
JEDER KNECHT IST FREI. JEDER TURM IST NEU UND EIN BILD IST ALT.
NICHT JEDER TISCH IST GROSS ODER JEDES DORF IST ALT. (Vgl. Theo
Lutz: Stochastische Texte)
Als hommage an Kafka ist - wie schon ZUSE 22 - auch Simon Biggs
The Great Wall of China gedacht. Ihr Schpfer nennt den Generator
eine real-time interactive language machine. Die Basis fr die
Textgestaltung bilden smtliche Wrter von Kafkas Erzhlung Beim Bau
der Chinesischen Mauer. Es handelt sich um einen fortgeschrittenen
Generator,
-
97
der Stze unterschiedlicher Lnge bildet und auf benachbarte Stze
Rcksicht nimmt, um semantische Zusammenhnge herzustellen
(contextualisation device). Nach Bedeutung in den kreierten Stzen
zu suchen, ist dennoch ein hoffnungsloses Unterfangen. Die
Installation enthlt visuelle Elemente, die auf Betrachteraktivitten
(Mouse-over) oder den Text reagieren oder eine andere
Textkomponente beeinflussen. Die piktorialen Elemente sind aber
keine Illustrationen, sondern agieren eher wie Textelemente. Biggs
spricht von der transmogrifi-cation of the linguistic into the
abstract and obscure, in chinesische Zeichen, die fr den
europischen Leser in der Regel keine Bedeutung besitzen und sich in
sich stndig verndern-de Grafiken verwandeln. Ein anderer Generator
produziert spam poetry. Wie spam sollen diese ganz offensichtlich
sinnlosen Botschaften per e-mail verschickt werden. Man kann sie
als unangenehmen Scherz auffassen, als ein weiteres (knstlerisches)
Element, das ungefragt unsere e-mail-Briefksten fllt, aber auch als
Stellungnahme gegen die kommerziell inspirierten Eindringlinge in
unsere Privatsphre (oder Halbprivatsphre, e-mail-Dienste sind Teil
des Internets, in dem man nie wirklich privat ist), als Protest von
Seiten der globalisierungs-kritischen Teile der Internet-Gemeinde.
Ein Beispiel fr ein spam-Gedicht:
holmberg rack | AT hypnotize infarction [media] | BIT PASTY b
LIMP-OR-LIVELY )
dreaming IRRITATING
[ .personal paisa ]
person go (me) gentleman
( festival library MUST )
painting had. crack
ic is it) {intensely} ivcod
cracked [jungle] [...]
Es hat wenig Sinn darber nachzugrbeln, was ein holmberg rack
sein mag. Semantische Isotypien finden sich in den Wortgruppen
media - bit, hypnotize - dreaming oder personal - person -
gentleman - head, aber insgesamt betrachtet fehlt dem Gedicht
Kohrenz, wie es bei Generatoren, die keine Elemente knstlicher
Intelligenz eingebaut haben, der Normalfall ist. Die Bedeutung des
Texts ist die Anspielung auf die spam-Flut, die Oszillation
zwischen Kunstwerk und Belstigung. Die typographischen Variationen,
ebenfalls typisch fr manche spam-Texte, verstrken den Eindruck der
Inkohrenz. Sie sorgen fr ein komplexes Spiel von Differenzen, die
keinem bestimmten Zweck dienen. Confronted with such a text, the
reader struggles to correlate differences so that they become
significant, until finally the mind is
-
98
swamped with the enormity of the task and comes to rest. At this
point the text can begin to function like a Zen koan, schreibt
Katherine Hayles (Chance Operations 236) ber John Cages Mureau.
Dieser Text besteht aus allen Wrtern aus Henry David Thoreaus
Journal, die auf Musik, Klnge oder Gerusche Bezug nehmen. Dieses
Wortmaterial hat John Cage einer Reihe von I Ching
Zufallsoperationen unterzogen. Durch die vielfltige, ebenfalls
durch den Zufall bestimmte Typographie erinnert Mureau stark an die
spam-Texte. Folgt man der Informationstheorie, bemisst sich der
Grad des Informationsgehaltes einer Botschaft am Wechselspiel von
Ordnung und Zufall, Erwartetem und berraschung. Bis zu einem
gewissen Punkt nimmt die Information bei steigendem Grad der
Zuflligkeit zu, wenn dieser Punkt berschritten ist, nimmt die
Information wieder ab. Ein Zuviel an Zuflligkeit, der Mangel an
Ordnung, lsst eine Botschaft daher bedeutungslos und (zumindest fr
menschliche Leser) unlesbar werden. Erinnert sei an Birkhoffs
Gleichung, die das stheti-sche Ma ebenfalls durch das Verhltnis von
Ordnung und Komplexitt bestimmt (M = O : C; zit. in Bense 31).
Stark kontextgebunden und sogar performativ im buchstblichen Sinn
sind die von dem Zufallsgenerator Poem for Echelon von Jaka
Zeleznikar produzierten Gedichte. Das Pro-gramm erzeugt Texte, in
die Schlsselwrter eingebaut sind, die Echelon alarmieren sollen.
Echelon ist eine Spionageeinrichtung der Nato, die von den USA, dem
UK, Canada, Australien und New Zealand betrieben wird. Echelon soll
weltweit e-mails, SMS und Telefonate berwachen. Es verwendet
angeblich Wrterbcher, mit deren Hilfe es nach Schlsselwrtern sucht
und Nachrichten, die solche Schlsselwrter (keywords, auch
spookwords genannt) enthalten, markiert und fr die sptere Analyse
aussortiert. Die von Poem for Echelon durch einen Zufallsgenerator
geschaffenen Gedichte sollen per e-mail versandt werden, um das
Spionagenetzwerk unntigerweise zu beschftigen. Die
pseudo-aufrhrerischen Botschaften lenken die Aufmerksamkeit auf die
berwachungsinstrumente, die sich indiskret in unsere private
Kommunikation einschalten. Jedes Echelon-Gedicht besteht aus drei
Teilen: aus einem Titel, einer Prosapassage und einer Struktur, die
an visuelle Gedichte erinnert und wie eine encodierte Botschaft
aussieht. Die Geste des als ob verwandelt die terroristische
Botschaft in ein reines Kunstwerk ohne jede pragmatische Bedeutung.
Aber gerade die Nichternsthaftigkeit des Textes, sein
Kunstcharak-ter, bringt eine neue Funktion hervor, wenn er als
e-mail versandt wird, nmlich die, den Spionage-Scanner irre zu
fhren. Das Experiment soll beweisen, dass ein Kunstwerk mit einer
aufrhrerischen Botschaft verwechselt werden kann. Die
berwachungsmaschine ist nicht fhig, die Absicht zu erkennen, sie
bewegt sich auf der Ebene eines blo mechanisch permutierenden
Textgenerators, der keinerlei Gespr fr die Semantik oder fr
Kontexte hat. Er kann nicht erkennen, ob eine Nachricht der
Vorbereitung eines Terroranschlags dient oder nur mit dieser Idee
spielt. Daraus knnte man schlieen, dass Spionage dieser Art nicht
nur eine Verletzung der Privatsphre darstellt, sondern auch vllig
ineffizient ist. rebels migth track your activity! S c h e n g e n
N R O W M K N A O M I S e r g e y e v C o h i b a S u m m e r c o n
C E S I D S I G P M S P m u e z z i n P A R K H I L L W L y n c
h
-
99
R o l m v i r t u a l N A D D I S P G P 2 . 6 . 2 . M D 2 B a l
d w i n S A R T J A N E T I B P E C S E N C P r e t o r i a S p o k
e L a c r o s s e B R O M U R E U S A F A N M S P R I M E S S L D R
M N A B S S A D C C S t e a k K n i f e S D I S P o r n o 1 * N A V
C M K G - 8 4 C I S n a i l b o m b P K K F r e e h J E R T O B u r
n s C I D P T T n u m b e r k e y i e . o r g 1 9 2 . 4 7 . 2 4 2 .
7 F C I C I S S o s c o n o n a c L A S I N T S D I S S h a l d a g
K v a s h n i n O A D R M o n i c a I S K G - 8 4 C W I D a n a r c
h y B N D C C S f i l o f a x 7 0 7 f o r s c h u n g S e c e r t S
e r v i c e P E C S E N C C 2 W P P P V L F V e r i s i g n P o d F
l a m e L i n k 1 6 1 7 I S S - A D P S a t e l l i t e p h o n e s
D I T S A The crowd sang hymns and waved scarves as the frail. The
student curat ors of the Emerson Hack Gallery have been busy
tooling on classes and are way behind on keeping these pages up to
date. Past about 1997, the re's quite a bit which has happened but
hasn't properly been documente d here. Interesting Hacks to LRTS
USA - an incredibly repressive regim e. report about SUN connected
to Windows I hope Edens will help us uni te, especially in the
situation the world is in. Die Schlsselwrter in diesem Text, die
Echelon alarmieren sollen, sind Rolm, Lynch, JANET, Spoke, Porno,
anarchy, Secert [sic!], Service, Verisign, Flame, und Satellite
phones. Andere heikle Wrter sind muezzin, Steak Knife, Snailbomb,
Burns, number key oder Forschung und Namen (oder Akronyme?) wie
NAOMI und Sergeyev. Installationen wie Poem for Echelon sind fest
im digitalen Medium verankert bzw. mit dem Verffent-lichungsort
Internet verknpft. Vielleicht sind die seiner Funktion zugrunde
liegenden Befrchtungen berzogen, interessanter ist die schwierige
Frage, ob der Text eine performative (ernsthafte) Botschaft
darstellt oder nur weies Datenrauschen. Ganz offensichtlich liegt
die Bedeutung der Gedichte nicht im Text selbst, sondern im Kontext
bzw. der widmungsgemen Verwendung des Textes. Wo ist die Grenze
zwischen echt und geflscht, zwischen pragmatischem Text und
Fiktion? Ob wir es gerne hren oder nicht, unsere Position als Leser
ist ganz hnlich der des Spionagesystems. In gewisser Weise wirft
Poem for Echelon die grundlegenden Fragen des (literarischen)
Lesens auf. Bedeutung erscheint als Produkt der Wahrnehmung bzw.
Rezeption mit dem Erwartungshorizont als Matrix. Nur der Kontext
und die Entscheidung des Lesers, wie er sich dem Text gegenber
verhlt, entscheiden ber den knstlerischen oder pragmatischen
Charakter des Textes.
-
100
Ein neueres Beispiel fr Netzaktivismus mit Hilfe eines
Textgenerators ist Jrg Piringers Projekt vy2ms. Sein Textgenerator
erzeugt scheinbar verschlsselte Texte, die Zollbeamten und
Polizisten gefhrliche Aktivitten vortuschen sollen. Das Projekt
bezieht sich auf den Beschluss des US-amerikanischen
Innenministeriums vom Juli 2008, Einreisende nach
kompromittierenden Daten zu durchsuchen und insbesondere auch
Laptops zu perlustrieren. Die vy2ms-Texte sollen von den usern
abgespeichert werden, die Sicherheitsbeamten unntig beschftigen und
auf die Absurditt ihrer Aktivitten hinweisen. Neil Henessy, der
sich zur franzsischen Gruppe der Pataphysiker bekennt, ist
ausgebildeter Computertechniker. The Jabberwocky Engine ist
natrlich nach Lewis Carrolls Alice in Wonderland benannt. Der
Generator produziert nonsense-Wrter, die wie englische Wrter
klingen, hnlich wie Carrolls portmanteau-Wrter. Die Wortbildung
funktioniert so, dass bei Kontakt zweier Buchstaben oder eines
Wortes und eines Buchstabens die Wahrscheinlichkeit berprft wird,
dass sie als Nachbarn in einem englischen Wort vorkommen. Blau
gefrbt sind Wrter oder Wortteile, grn sind aus zwei blauen Wrtern
zusammengesetzte Wrter, rote Wrter sind Abfall, der zur Explosion
gebracht wird. Unter output kann man die Wortkreationen in Ruhe
bewundern. Ist dieser Generator an sehr konventionellen Kriterien
fr Literarizitt orientiert, so ist der SubGenius Brag Generator
(Subgenies Prahlgenerator) von Josh Laviosh, einem
Computer-techniker an der Washington University, der
nonsense-Poesie verpflichtet. Er ist eine Adaptation der Dada
Engine, eines Textgenerators des australischen Programmierers A. C.
Bulhak. Von Bulhak stammt auch der Postmodernism Generator, der von
der legendren Aktion des New Yorker Physikers Alan Sokal inspiriert
ist, dem es 1996 gelang, der Zeit-schrift Social Text einen vllig
unsinnigen Essay in postmodernem Stil unterzujubeln. Die Texte
montieren fr einen solchen Beitrag typisches Vokabular und bekannte
Autoritten (Lyotard, Derrida, ) mit zum grten Teil erfundener
Sekundrliteratur. Als Ziel formuliert Bulhak the simulation of
postmodernism and mental debility using recursive transition
networks. Neuere Textgeneratoren beruhen hufig auf dem Prinzip des
remixing: sie greifen in spiele-risch-bearbeitender und meist
destruktiver Manier auf bestehende (Druck-)Texte und/oder Bilder im
Internet zurck. Besonders auffllig ist der Trend zur Verknpfung mit
nicht-litera-rischen Webseiten, also die Missachtung der
Unterscheidung zwischen Fiktion und Wirklich-keit (die beiden
Kategorien sind im cyberspace natrlich ohnehin uerst fragwrdig).
Der Grafik Dynamo! von Kate Armstrong und Michael Tippett ldt
Bilder aus Blogs (meist aus LiveJournal) und Nachrichtenservern im
Netz, fgt Textblasen hinzu und erzeugt so Zufallscomics mit real
life-Elementen. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass
das Netz auch als Stofflieferant fr intentional generierte Texte
gentzt wird. Autorinnen und Autoren, die sich der sogenannten
Flarf-Bewegung zugehrig fhlen, geben (meist zwei) Begriffe in die
google-Suchmachine ein und verfertigen aus Textbausteinen, die sie
den auf diese Weise ermittelten Webseiten entnehmen, poetische
Texte. Zum Unterschied von den Produkten der offensichtlich blind
auswhlenden maschinellen Generatoren spielt das Moment der
Nachbearbeitung hier eine magebliche Rolle. Die Texte werden dann
in der Regel an die Flarf-mailinglist gesandt, wo sie von anderen
Autoren weiter bearbeitet werden. Dadurch entsteht eine theoretisch
unendliche Recycling- und Verarbeitungskette. Verwandt mit dieser
Form von Cut up ist auch Spoetry oder Spam poetry, die sich an den
durch
-
101
zufllige Auswahl generierten Textteilen in spam mails
inspiriert, die dazu dienen, die spam filter zu berlisten. hnlich
basieren die dreizeiligen Gedichte, die unter dem Titel 3by3by3
angefertigt werden, auf dem Vokabular, das in Nachrichten des Tages
in den Google News vorgefunden und dann vom Autor oder auch mit
Hilfe von textgenerativen Programmen (Text Scrambler, Markov Text
Synthesizer, Travesty Generator und andere) assembliert wurde. So
entstehen Texte wie der folgende von Jeff Nichols:
Sharp Fragile Hurt Bugs Bunny, built on tropes of wire, his rib
is not yours I give just about everything else to women They fight
as warriors, flexible and steady. The double bed the best form of
defence Hes vulnerable, he lays the blame And protects the
slow-burning land. We discern only rhythm to history James is born
blowing up Plows these years, sinks deeper.
Die Textbestandteile sind den ersten drei Abstzen der Artikel
The Hurt Locker: So Right About Men, So Wrong About Addiction ber
den Kriegsfilm von Kathryn Bigelow, Gordon Brown Blames Generals
for Snatch Land Rover Fiasco ber die Ausrstung der englischen
Truppen im Irak und America, the Fragile Empire ber die dsteren
Aussichten der USA, lngerfristig dominierende Weltmacht zu bleiben,
entnommen. In We Feel Fine durchforsten Suchmaschinen
Blog-Postings, in diesem Fall nach den Wrtern I feel oder I am
feeling. Die Stze, die diese Phrasen enthalten, werden komplett
kopiert, die der Phrase folgenden Adjektive aufgelistet und
statistisch ausgewertet. Diese knstlerische (oder
sozialpsychologische?) Installation ermglicht einen Einblick in the
human condition on a global scale. Die Betreiber betrachten sie als
eine Form von Kunst, die von allen Bloggern gemeinsam geschaffen
wird und keine fiktiven Welten kreiert, sondern ber unsere Welt
Auskunft gibt:
At its core, We Feel Fine is an artwork authored by everyone. It
will grow and change as we grow and change, reflecting whats on our
blogs, whats in our hearts, whats in our minds. We hope it makes
the world seem a little smaller, and we hope it helps people see
beauty in the everyday ups and downs of life.
Search Songs, ein Werk, das Johannes Auer gemeinsam mit Beat
Suter und Ren Bauer kreiert hat, greift auf die Live-Suchmaschine
web.de zu und setzt die als Zeichen fr Tne interpretierbaren
Buchstaben (c, d, e, f, g, a, h, ces, cis, des, dis, es, eis usw.)
in den dabei anfallenden Wrtern in Musik um. Die nicht als Noten
spielbaren Buchstaben definieren die
-
102
Tonlnge. In einem intermedialen bersetzungsvorgang wird der
Wortstrom in eine Melodie-linie bersetzt. Zustzlich kann man als
user Wrter eingeben, die dann in den Suchmaschi-nen-Text eingefgt
werden. Die Installation wurde 2008 auch im Rahmen einer Live
Performance bentzt, bei der ein Cellist die Melodie spielte, die
Zufallskomposition also human interpretiert wurde.
(http://www.youtube.com/watch?v=fl0VOWmhEv4) Diese Textgeneratoren
arbeiten hufig mit intermedialen bersetzungsvorgngen. Als ein Art
Metatext kann daher John Cayleys Translation gelten. Sein gesamtes
Werk kreist um Proble-me des Zeichens, der Lesbarkeit und der
bersetzung, er bersetzt auch selbst aus dem Chi-nesischen. Cayley
interpretiert bersetzung als Prozess kontinuierlicher Deformation
der Zei-chen, in dessen Verlauf sich hin und wieder sinnvolle Texte
ergeben. Der Knstler, der sich durch diverse Essays auch als
versierter Theoretiker ausgewiesen hat, greift eine kurze Passa-ge
aus Walter Benjamins Aufsatz ber Sprache berhaupt und ber die
Sprache des Men-schen heraus und performiert ihre Aussage. Er lsst
die Stze durch lange und unbersicht-liche Transformationen
(Buchstabenwechsel), die Cayley transliteral morphs nennt, ins
Eng-lische und Franzsische bersetzen. Die herangezogene Stelle aus
Benjamins Aufsatz lautet:
Seine volle Bedeutung gewinnt er [der Begriff der bersetzung] in
der Einsicht, dass jede hhere Sprache (mit Ausnahme des Wortes
Gottes) als bersetzung aller anderen betrachtet werden kann. Mit
dem erwhnten Verhltnis der Sprachen als dem von Medien
verschiedener Dichte ist die bersetzbarkeit der Sprachen ineinander
gegeben. Die bersetzung ist die berfhrung der einen Sprache in die
andere durch ein Kontinuum von Verwandlungen. Kontinua der
Verwandlung, nicht abstrakte Gleichheits- und hnlichkeitsbezirke
durchmisst die bersetzung.
In Cayleys Installation sieht dies folgendermaen aus:
Die Texte werden nach und nach formiert, dann wieder zerstrt, d.
h. nach Cayley/Benjamin bersetzt. Man knnte auch sagen, dass sich
aus dem Chaos heraus kurze Momente der Ordnung (der Lesbarkeit)
entwickeln.
-
103
Hier sind zwei franzsische Versionen und eine englische Fassung
zu erahnen - der eine der beiden franzsischen Texte stammt nicht
von Benjamin!
Hier ist ganz unten noch der Satz, der mit Kontinua beginnt, zu
erkennen; meist ist der Bild-schirm aber mit wirren Zeichenketten,
wie in den drei darber liegenden Texten, gefllt. Parallel zu diesen
Transformationen werden die Vorgnge in eine Montage aus
Druckbuch-staben und - transmedial - in zwei graphische Codes
(Farbflchen und Linien) sowie in Musik bersetzt. Translation diente
auch als Basis fr eine Performance mit dem Titel Imposition, bei
der die Transformationen in einer einzigen Sprache ber das Internet
bertragen und von den Zuschauern auf Laptops mitverfolgt werden
knnen. Zudem werden je nach gewhlter Sprache und Modus (sinking,
floating oder surfacing) vokalmusikalische Schleifen zugespielt.
Zur Veranschaulichung des Verfahrens stellt Cayley das folgende
Schema bereit:
- KIIDS (Automatic Direction for Interactive Digital
Storytelling) versucht den schwierigen Ausgleich zwischen
interessanten autorgesteuerten plots (determinism) und der
interaktiven Freiheit der User zu erzielen. Dieses Projekt ist vor
allem auf die ...