Top Banner
8/19/2019 3.1 nichts http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 1/189 Ulrich Enderwitz Reichtum und Religion Die Herrschaft des Wesens Das Heil im Nichts Ça ira
189

3.1 nichts

Aug 07, 2018

Download

Documents

zelebrant
Welcome message from author
This document is posted to help you gain knowledge. Please leave a comment to let me know what you think about it! Share it to your friends and learn new things together.
Transcript
Page 1: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 1/189

Ulrich Enderwitz

Reichtum und ReligionDie Herrschaft des Wesens

Das Heil im Nichts

Ça ira

Page 2: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 2/189

Werkverzeichnis

REICHTUM UND RELIGIONVier Bücher in sieben BändenBuch 1: Der Mythos vom Heros (1990)Buch 2: Der religiöse Kult (1991)Buch 3: Die Herrschaft des Wesens

Band 1: Das Heil im Nichts (1996)Band 2: Die Polis (1998)Band 3: Der Konkurs der alten Welt (2001)Band 4: Die Krise des Reichtums (2005)

KONSUM, TERROR UND GESELLSCHAFTSKRITIK (2004)Eine tour d’horizonHERRSCHAFT, WERT, MARKT (2004)

Zur Genese des kommerziellen SystemsDIE SEXUALISIERUNG DER GESCHLECHTER (1999)

Eine Übung in negativer AnthropologieDER KONSUMENT ALS IDEOLOGE (1994)

200 Jahre deutsche IntelligenzANTISEMITISMUS UND VOLKSSTAAT (1998)

Zur Pathologie kapitalistischer KrisenbewältigungDIE MEDIEN UND IHRE INFORMATION

Ein Traktat (1996)TOTALE REKLAME (1986)

Von der Marktgesellschaft zur KommunikationsgemeinschaftDIE REPUBLIK FRISST IHRE KINDER (1986)

Hochschulreform und Studetenbewegungin der Bundesrepublik Deutschland

Page 3: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 3/189

Die Deutsche Bibliothek – CIP-EinheitsaufnahmeUlrich Enderwitz :Reichtum und Religion [vier Bücher in sieben Bänden] / UlrichEnderwitz. - Freiburg i. Breisgau: Ça iraDie Herrschaft des WesensDas Heil im NichtsISBN: 3-924627-48-7c Ça ira, Freiburg i. Breisgau, 1996Postfach 27379002 FreiburgSatz:Umschlaggestaltung: Dieter Roeschmann, FreiburgDruck: Litosei s.r.l., Sesto di Rastignano (Bologna)

Page 4: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 4/189

Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

. Das Wesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Der Weltüchtige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

. Der Erleuchtete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

. Die universale Heilsperspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89

. Der sekundäre Heilsweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116

. Die Parias . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143

. Das vergesellschaftete Heil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167

Page 5: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 5/189

Vorwort

Zwei Bände meiner auf vier Bände angelegten Studie “Reichtum und Re-

ligion” sind bereits erschienen: “Der Mythos vom Heros” und “Der religi-öse Kult”.Der dritte Band trägt den Titel “Die Herrschaft des Wesens”. Am Beispielvon vier verschiedenen Kulturzusammenhängen (Indien, Griechenland,China, Israel) wird die Ablösung der opferkultlich-polytheistischen, theo-kratischen Ordnung durch einen auf Transzendenz und ethisches Ver-halten abgestellten, nomothetischen Wesenskult rekonstruiert. Grund fürden fundamentalen Wechsel des religiösen Paradigmas sind in allen vierFällen massive gesellschaftliche Umschichtungen und Spannungen imZusammenhang mit der Zunahme der agrarischen und handwerklichen

Produktivität und der Entstehung einer neuen Form gesellschaftlicherDistribution, nämlich des Handels. Unmittelbarer Auslöser des Paradig-menwechsels sind die orgiastischen Naturkulte, in denen die sozialenSpannungen überall ihren religiösen Ausdruck nden.

Schließlich wird im Rahmen des dritten Bandes noch zu zeigen sein,wie der Wesenskult im Christentum in Konkurs geht, Hand in Handmit dem Zusammenbruch des Römischen Reiches, das die für die Wirt-schaftsordnung der Antike entscheidende Balance zwischen agrarischfundierten Territorialherrschaften und vom Handel geprägten Stadtrepu- bliken zerstört und sich damit selber zugrunderichtet.

Was hier mit dem Untertitel “Das Heil im Nichts” erscheint, ist der ersteTeil des gerade skizzierten dritten Bandes. Inhalt dieses ersten Teils istdie buddhistisch-hinduistische Entwicklung. Nachgezeichnet wird, wiedas Wesensverhältnis, das die Aristokratie der sich auösenden Theo-kratien den orgiastischen Naturkulten und ihrem sozialrevolutionären

5

Page 6: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 6/189

Hintergrund entgegenstellt, in den Zielpunkt eines individuellen Selbst-

ndungsprojekts umgewandelt und auf dem Weg über die Askese unddie buddhistische Erleuchtung zum Kernpunkt einer universalen Heils-perspektive erhoben wird. Zentraler Sinn dieser Heilslehre ist die quietis-tische Stillstellung der dank der Produktivitätsfortschritte in der erstenHälfte des ersten vorchristlichen Jahrtausends entstandenen Pariaschich-ten. Der Hinduismus erweist sich am Ende als eine geniale Technik, dieweltverneinende Heilsperspektive so in den weltlichen Zusammenhangeinzubinden, daß sie zu einer realiter tragenden Säule der gesellschaftli-chen Ordnung wird, die sie formell verneint.

6

Page 7: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 7/189

. Das Wesen

Der sozialkritische Druck, den die Unterschicht mit ihrem dionysischen Herrn,dem als Gegenspieler der Götter reklamierten anderen Subjekt, erzeugt, zwingtdie Oberschicht, dem anderen Subjekt in seiner vollen Wahrheit, seiner absolutenNegativität, die Ehre zu geben. Das andere Subjekt in seiner vollen Wahrheit zuakzeptieren, erfordert aber, zu ihm zu konvertieren, sich auf seinen Standpunktzu stellen, weil andernfalls der Anerkennende der Negativität, die er anerkennt,selber verfällt. Die Konversion, die schon wegen der absoluten Andersartigkeitdes anderen Subjekts systematisch-ontologisch schwierig genug erscheint, wirdhistorisch-empiriologisch noch dadurch zusätzlich erschwert, daß ja die ganzevon der Oberschicht im Verein mit dem Priesterkönig geübte Opferpraxis dar-auf abgestellt war, das andere Subjekt vom Erscheinen abzuhalten und in einunbestimmtes Jenseits zu verdrängen. Auf den epiphanischen Mechanismus

des Reichtums zurückzugreifen, um das andere Subjekt aus seinem Jenseitshervorzuholen und in eine Greifbarkeit zurückzubringen, in der die Konversionzu ihm, der Sprung hinüber auf seinen Standpunkt, leichter ele, verbietet sichvon selbst, da ja die Anerkennung des anderen Subjekts in der vollen Wahrheitseiner Negativität auch und wesentlich die Anerkennung der Selbstzurücknahmebedeutet, die der Reichtum in actu seiner epiphanischen Funktion vollzieht, dieEinsicht in seine Abdankung als vermeintliches Konstitutiv des anderen Subjektsund seine Entlarvung als in Selbstverneinung begriffener Schein.

Angesichts der sozialkritisch pointierten – und das heißt, spezisch ge-gen den Reichtum als aristokratische Sphäre gerichteten – halbwahrenNegativität des dionysischen Herrn der Unterschicht, die ihr den Kultum die jenseitig wahren Herren des Reichtums, die Götter, verschlägtund diesen vielmehr in eine um Tod und Auferstehung jenes dithyram- bischen Gegenspielers der Götter kreisende Veranstaltung verkehrt, be-schließt die Oberschicht, der von allem Götterkult bloß kaschierten und

7

Page 8: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 8/189

unterdrückten vollen Wahrheit die Ehre zu geben und sich die Posi-

tion des ex improviso des Opferreichtums als die wirkliche Identitätder Götter erschienenen anderen Subjekts in seiner ganzen, keineswegsnur sozialkritisch-empiriologisch, sondern durchaus totalperspektivisch-ontologisch gewendeten Indifferenz und Negativität zu eigen zu machen.Sie faßt also den Beschluß, Beelzebub mit Luzifer, den gesellschaftsspren-genden Herrn einer angeblich reichtumentzogen unmittelbaren Subsis-tenz mit dem das gesellschaftliche Sein zwar in toto entkräftenden, ebendeshalb aber die gesellschaftliche Totalität als solche unangetastet lassen-den Herrn einer vorweislich reichtumüberhoben absoluten Transzendenzauszutreiben. Die Position dieses in absoluter Transzendenz reichtume-vokativ anderen Subjekts sich zu eigen machen, seine von unbedingterIndifferenz erfüllte Haltung teilen, auf seinen von unendlicher Negativität bestimmten Standpunkt sich stellen muß die Oberschicht, weil jede bloßpassive Anerkennung des anderen Subjekts, jede ihm äußerlich bleibendeeinfache Afrmation der mit ihm offenbaren Wahrheit sie selber ja in ebender Lage verhielte, der seine vernichtende Indifferenz gilt, und sie alsoder vollen Entwirklichung und kompletten Entwertung aussetzte, die jene Indifferenz für die gesamte davon betroffene Sphäre bedeutet. Willdie Oberschicht jener vom anderen Subjekt ausgehenden Irrealisierungund Disqualizierung entrinnen, so muß sie mehr tun, als sich bloß seinervernichtenden Wahrheit stellen, bloß dem Verdikt, das es über die Weltverhängt, Anerkennung zollen, darf sie also das andere Subjekt nichteinfach nur für wahr halten und akzeptieren, sondern muß sich mit ihmidentizieren, muß zu ihm konvertieren, muß, kurz, ihre Bereitschaft,ihm stattzugeben, mit der entschiedenen Absicht verknüpfen, zu ihmüberzulaufen.

In einer Bewegung, die man als Musterfall einer Identikation mitdem Aggressor bezeichnen könnte, wäre die Indifferenz des anderenSubjekts nicht so frei von aller Aggression, sein vernichtendes Auftretennicht so bar jeder identizierbaren Stoßrichtung, muß die Oberschichtdie durch die nunmehr offenbare Wahrheit des anderen Subjekts Lügen

gestrafte Sphäre einer reichtumbezüglichen Existenz, in der sie selberzuhause ist, uchtartig räumen, um sich ans rettende Ufer jenes Wahr-heit bedeutenden anderen Subjekts hinüberzuüchten und seines ihreigenes Dasein des Scheins überführenden salvierenden Seins teilhaftigzu werden. Indes ist dies leichter gesagt als getan, diese salvierende

8

Page 9: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 9/189

Konversionsabsicht leichter theoretisch vorgesetzt, als praktisch aus-

geführt. Tatsächlich gehört ja die Oberschicht dieser Welt, die das inseiner Wahrheit aufgefaßte andere Subjekt zum Offenbarungseid ihrerScheinhaftigkeit treibt, mit Haut und Haar an, ist sie diesem reichtum-zentrierten Dasein, das kraft der absoluten Negativität seiner reichtum-revokativen Transzendenz das andere Subjekt entwirklicht und entwer-tet, mit all ihrem empirisch-reellen Sinnen und historisch-habituellenTrachten verhaftet. Und tatsächlich steht das andere Subjekt selbst die-ser reichtumorientiert weltlichen Sphäre, in der die Oberschicht reellverhaftet und habituell befangen ist, unendlich fern, steht ihr so fernwie das transzendente Sein, als das es sich offenbart und in das es sichrestituiert hat, dem immanenten Schein, den es durch seine Offenba-rung als solchen bloßgestellt und destituiert hat, nur stehen kann. Undnicht nur in diesem systematisch-ontologischen Sinn eines Seins, das apriori seines transzendent-ursprünglichen Bestehens von allem a pos-teriori entstandenen, selbstinduziert-immanenten Irrweg und Scheinnichts weiß und indifferent absieht, steht es der innerweltlichen Sphäreabsolut fern, sondern uneinholbar distant verhält es sich zu ihr auch imhistorisch-empiriologischen Sinn eines Seins, das in der einzigen Form,in der es mit dem Schein noch in scheinbare Berührung kam, noch einesuggestive Gleichzeitigkeit mit dem Schein und spekulative Nähe zu ihmzu beweisen schien, in der Form nämlich seines ex improviso des Reich-tums epiphanischen Auftretens, seines hier und jetzt Ereignis werdendenErscheinens, längst schon aus der innerweltlichen Sphäre verschwundenund ihrem Kontext zur topischen Verhältnislosigkeit seines unerfahrbartranszendenten Bestehens entrückt ist.

Die Oberschicht selbst war es ja, die im Verein mit dem Priesterkönigdafür sorgte, daß in der letzten Ausprägung dieser Form von epiphani-scher Gegenwart, in der es sich blicken ließ, in der Gestalt nämlich derex improviso des Opferreichtums vor dem Altar erscheinenden wahrenIdentität der Götter, das andere Subjekt auf Nimmerwiedersehen vonder Bildäche verschwand. Sie war es, die dadurch, daß sie die Opfer-

handlung als ein auf die möglichst rasche Beseitigung der Opfergabengerichtetes, kurzschlüssig abbreviiertes Ritual exekutierte, dem ande-ren Subjekt den Erscheinungsort nahm und seinem Auftreten kraft derlückenlosen Aufeinanderfolge von sakramentaler Darbringung und sakri-zieller Wegschaffung ein für allemal einen Riegel vorschob. Und nun, da

9

Page 10: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 10/189

die Penetranz des von der Unterschicht ins Spiel gebrachten dionysischen

Wechselbalgs jener wahren Identität der Götter die Oberschicht veran-laßt, die letztere als solche anzuerkennen und damit dem ersteren seinenAnschein von Wahrheit zu verschlagen und den Prozeß seiner ebensogeborgten wie ktiven Evidenz zu machen, und da zugleich aber die ver-nichtende Indifferenz jener wahren Identität die Oberschicht zwingt, ihrvon dieser Indifferenz der Irrealisierung überantwortetes eigenes Daseinuchtartig zu räumen und sich im Sinne einer regelrechten Konversionauf die Seite eben jener indifferent wahren Identität zu schlagen – nunalso steht ihr die letztere als die ex improviso des Reichtums Gestaltannehmende epiphanische, als die hier und jetzt leibhaftig auftauchendepartout nicht mehr zur Verfügung.

Stünde sie ihr noch als das epiphanisch gegenwärtige andere Subjekt,als das sie zum letzten Mal ex improviso des Opferreichtums in Erschei-nung trat, zu Gebote, die als Seitenwechsel geforderte Identizierungmit jener Identität behielte zwar für die Oberschicht allemal den kruzi-katorisch konversionshaften Charakter eines veritablen ontologischenSprungs, eines in absoluter Diskretheit zu vollziehenden Übertritts ausdem einen Seinszustand in einen toto coelo anderen oder vielmehr auseinem Scheinzustand von Sein in den Zustand des Seins selbst, kurz, sie behielte für die Oberschicht die ganze initiationsförmig unendliche Härteeiner um der Selbstndung willen zu vollbringenden fundamentalenSelbstaufgabe, eines dem Eintritt in die wahre Identität des einen Seinsvorausgehenden, ebenso rückhalt- wie rücksichtslosen Austritts aus derfalschen Kontinuität des eigenen Daseins. Aber weil das, wozu als zurtoto coelo anderen Identität die Oberschicht überzutreten, wozu sie inabsoluter Diskretheit zu konvertieren hätte, immerhin doch hier und jetzt präsent, in eben dem falschen Dasein, aus dem es rücksichtslosherausführen und mit dem es rückhaltlos Schluß machen sollte, bereitsszenisch sichtbar und epiphanisch da wäre, vollzöge sich der dem his-torischen Inhalt nach absolut diskrete Übertritt tatsächlich als ein seinerempirischen Form nach relativ kontinuierlicher Übergang und hätte der

als ontologischer Sprung ausgemachte Seinswechsel ebensowohl dieannehmlich äußere Gestalt einer im topologischen Aufriß vorstellbarenZustandsveränderung. Die zur Identizierung mit der qua anderes Sub- jekt wahren Identität der Götter aufgerufene Oberschicht müßte zwar ihrganzes bisheriges reichtumzentriertes Dasein der Negativität eines neuen

10

Page 11: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 11/189

Selbst preisgeben, aber dies tuend, hätte sie eben das neue Selbst schon

vor Augen und könnte insofern quasi bruchlos ihre gegen das eigeneDasein gewendete Negativität aus der Positivität dessen heraus üben, derin ersichtlicher Wahrheit das andere Sein schon so gut wie ist, könnte ausdem bisherigen Kontinuum mit der Zuversicht dessen herausspringen,den vom neuen, das bisherige Kontinuum als haltloses Blendwerk ent-larvenden Halt nur eben dieser eine beherzte Sprung trennt. Währendsie sich von dem vermeintlich festen, kraft der Wahrheit des anderenSubjekts indes als Truggebilde entlarvten Boden ihres reichtumorientier-ten Daseins löste, um ihre Zuucht zu eben dieser im anderen Subjektgestaltgewordenen Wahrheit zu nehmen, xierte sie bereits ihren Flucht-und Zielpunkt und gliche insofern dem Akrobaten, der seinen als todes-mutiger Sprung offenbaren Positionswechsel zwar ohne Netz und imfreien Fall, immerhin aber zwischen den klar denierten Punkten zweier,in die topische Einheit der Zirkuskuppel gebannter Trapeze vollzieht.

Genau allerdings von solch zielbestimmter Orientierung oder ucht-perspektivischer Absicherung der als ein ontologischer Sprung der Ober-schicht abgeforderten Identizierung mit dem anderen Subjekt kannwegen des kategorischen Ausschlusses des letzteren aus dem Kontinuumder theokratischen Gesellschaft im allgemeinen und ihrem opferkultli-chen Szenarium im besonderen, für den mittels ritueller Abbreviatur derOpferhandlung Priesterkönig und Oberschicht schon seit langem sorgen,keine Rede sein. Weil durch ihre eigenen, zum sakrosankten Ritual ver-schliffenen opferkultlichen Manipulationen das andere Subjekt ein fürallemal aus jeder epiphanischen Präsenz vertrieben und in die uneinhol- bar apriorische Absenz seines allen innerweltlichen Scheins überhobenenursprünglichen Seins entschwunden ist, bedeutet dem Anschein nach fürdie Oberschicht die geforderte Identizierung mit der im anderen Subjektanerkannten wahren Identität, sich die Negativität des anderen Subjektszu eigen zu machen, ohne es selbst dabei vor Augen, geschweige dennan ihm selbst eine Orientierung, einen prospektiven Halt zu haben. Sichauf den Standpunkt des anderen Subjekts zu stellen, zu seiner wahren

Identität zu konvertieren, bedeutet mithin für die Oberschicht, der Ge-samtheit des eigenen, innerweltlichen Daseins den Laufpaß zu geben,der bisherigen reichtumzentrierten Perspektive in toto mit unbedingterIndifferenz zu begegnen, sich aus allen gewohnten Lebensverhältnissennachdrücklich zu lösen, ohne deshalb doch dem bestimmenden Motiv

11

Page 12: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 12/189

und identikatorisch guten Grund für den Abschied vom gewohnten

Leben im entferntesten näherzutreten, ohne die mindeste Aussicht al-so, in actu der Loslösung vom eigenen Dasein jenes für die Loslösungmaßgebenden anderen Subjektseins teilhaftig zu werden. Während dieOberschicht einerseits die Bedingung für den Übertritt zum anderenSubjekt als wahrer Identität erfüllt und gegen die innerweltliche Sphäredie vom anderen Subjekt ihr bewiesene Negativität auf der ganzen Linieder eigenen gewohnheitsmäßigen Einlassung in sie übt und zur Geltung bringt, bleibt ihr andererseits aber der Lohn dafür, eben der tatsächlicheÜbertritt zu dem die Negativität beweisenden positiv anderen Subjekt,wegen dessen unüberbrückbarer Transzendenz versagt, so daß sie, ihrem bisherigen immanenten Dasein unwiderruich entfremdet, zugleich aberdem jene Entfremdung erwirkenden transzendent anderen Selbstseinunüberbrückbar fern, sich wie im freien Fall ausgesetzt, wie zwischenBaum und Borke suspendiert vorkommen muß. Unter dem Gesichts-punkt des ihrer Konversion gesteckten Ziel- und Haltepunkts, der wegenseiner wesentlichen Absenz zwar als ein ihre Ablösung vom alten Haben besorgendes Scheidemittel in Betracht kommt, nicht hingegen als die denneuen Sollzustand verkörpernde verbindliche Identität zur Verfügungsteht, droht, mit anderen Worten, der Oberschicht der ihr qua Identi-zierung abverlangte qualitative Sprung zu einem Sprung ins Nichts zugeraten – ins Nichts jener unabsehbaren Negativität, die zwar dazu taugt,die Oberschicht von ihrem als Schein entlarvten gewohnten Dasein ab-und zu sich herüberzuziehen, nicht hingegen geeignet ist, die Konvertitinin das wahre Sein, kraft dessen sie deren gewohntes Dasein als Scheinentlarvt, hinübergelangen und Eingang nden zu lassen.

Wie könnte wohl dieser Sprung ins Nichts, dieser Sturz ins Offeneund Unbegrenzte einer vom schwankenden Gegenstand der Verwerfung,vom verworfenen Schein und vom festen Grund der Verwerfung, vomverwerfenden Sein, gleich weit entfernten Negativität die Oberschicht alsErgebnis ihrer Konversion zufriedenstellen? Wie könnte sie akzeptabelnden, daß der identizierende Standpunkt, auf den sie sich hiermit

gestellt sieht, nichts als die standpunktlose Schwebe sein soll, in die dasrein negative Tun der Ablösung von allem bisherigen Dasein sie versetztund in der die rein negative Bewegung einer von aller bisherigen Iden-tität gewahrten Entfremdung sie hält? Was gäbe sie nicht darum, wennsie jenem Negativität erzeugenden Standpunkt die Leibhaftigkeit und

12

Page 13: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 13/189

Personalität der früheren epiphanischen Präsenz revindizieren und damit

ihrer Identizierung mit ihm die Positivität einer durch Selbstanschauungorientierten Selbstndung, durch Selbstwahrnehmung kontrolliertenSelbstwerdung verleihen könnte. Daran indes, daß die Oberschicht dasvon ihr durch Präzipitation der Opferhandlung aus dem sakriziellenZusammenhang ausgeschlossene und in die uneinholbare Transzendenzseines apriorischen Seins abgewiesene andere Subjekt aus eigener Kraft indie innerweltliche Gegenwart zurück- und dort wieder zur Erscheinung bringt – daran ist schlechterdings nicht zu denken. Um das tun zu kön-nen, müßte sie sich ja eben des epiphanischen Mechanismus bedienen,den ihre Anerkennung des durch ihn zur Erscheinung kommenden an-deren Subjekts in der vollen Wahrheit, in der es erscheint, doch vielmehrein für allemal außer Kraft gesetzt hat. Sie müßte jenes Opferreichtumss-zenarium, jenes Darbringungsmedium wieder in Betrieb nehmen, eximproviso dessen das andere Subjekt zuletzt erschien, aber in Wahr-heit – der Wahrheit, die sie jetzt anerkennt – nur erschien, um sich überseinen Erscheinungsort, jenes Reichtumsmedium, als über eine ontolo-gisch radikal irrealisierte Sphäre, einen historiologisch total entwertetenSchein indifferent zu erheben und negativistisch hinwegzusetzen. DieOberschicht müßte, mit anderen Worten, dem in der unbedingten Indif-ferenz und absoluten Negativität, in der es erscheint, offenbaren Sinndes anderen Subjekts diametral zuwiderhandeln, müßte sich gegen ihrenunmehr erklärte Einsicht vergehen, daß dieses auf offener Reichtums-szene ex improviso auftretende andere Subjekt nichts als ein in seinemursprünglichen Sein reafrmiertes Subjekt im anteriorischen Vorhinein jeglichen Reichtumsszenariums ist, nichts als ein Subjekt, dessen aprio-rische Wahrheit oder uranfänglich bleibende Wirklichkeit der ganzen,durch den Reichtumbezug bestimmten gesellschaftlichen Inszenierungund historischen Aufführung das vernichtende Zeugnis einer halluzi-natorischen Fehlleistung, eines ebenso sinn- wie ziellosen und deshalbin kreisläuger Selbstvereitelung in sich zurückkehrenden Irr- und Um-wegs ausstellt. Bediente sich die Oberschicht des Reichtums als eines

neuerlichen Erscheinungsmediums für das andere Subjekt, nähme sie ihnqua Opferreichtum abermals in Anspruch, um dem anderen Subjekt zurfrüheren und früher gefürchteten epiphanischen Präsenz zu verhelfen,sie unterstellte ihm eine konstitutive Bedeutung, mutete ihm eine initia-tive Rolle zu, die ihm erklärtermaßen nicht zukäme und der er nämlich

13

Page 14: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 14/189

ex cathedra der ihm selbst gegenüber absolut revokativen Negativität

des von ihm in die Epiphanie gerufenen anderen Subjekts oft genugabgeschworen hätte.Was dem Reichtum in seiner anfänglichen Eigenschaft eines unver-

sehens ausgefällten subsistentiellen Überschusses und dann später inseiner Funktion einer aufs Geratewohl dargebrachten sakramentalenGabe an die Götter vielmehr bloß zukam, war jene mühsam genug inihrer Eigenart auskultierte paradoxe Konstitutionstätigkeit, die in demMaß, wie das durch sie Konstituierte als das in Wahrheit einfach nur inintegrum seines ursprünglichen Seins Restituierte, als das in Wirklichkeiteinzig und allein in pristinum seines uranfänglichen Bestehens Reduzier-te erkennbar wurde, auf eine Revokation ihrer selbst hinauslief und dasheißt, darin aufging, sich im Resultat ihres Vollbringens in aller Form alssolche, als konstitutives Tun, zurückzunehmen. Weil das ex improvisodes initiativen Reichtums erscheinende andere Subjekt die Indifferenzund Negativität, in der es erschien, auch und gerade gegen seinen Er-scheinungsort, den Reichtum selbst, bewies, und weil dieses auf denersten Blick widersinnige Verhalten einen Sinn überhaupt nur unter derBedingung gewann, daß es sich bei jenem epiphanischen Ereignis stattum das progressive Hervorgehen eines im Schoß des Gegebenen bislangverborgenen, positiv entspringenden neuen Seins vielmehr bloß um dasrevokative Zurückkehren eines durch den Schein des Gegebenen bislangverstellten, restitutiv ursprünglichen alten Seins handelte, stellte sich derex improviso des Reichtums scheinbar initiative Vorgang und konstitutiveProzeß als ein in Wahrheit bloß präsentativer Regreß oder monstrativerKonkurs heraus – präsentativ in dem Verstand, daß der Reichtum sichin Gestalt des Konstituierten die vernichtende Quittung seiner eigenenunbedingten Überüssigkeit präsentierte, monstrativ in der Weise, daßer im Moment des Initiierten den sonnenklaren Beweis seiner eigenenabsoluten Nichtigkeit erbrachte. Ein Sein in die Welt setzend, das ex actuseines unendlich indifferenten Auftretens mit der Welt historiologischkurzen Prozeß machte und zwischen ihr und sich selbst die ontologische

Kluft eines sie zum aposteriorischen Vergehen oder halluzinatorischenIrrweg erklärenden apriorischen Bestehens und kategorischen Stand-punkts aufbrechen ließ, ließ das Reichtumsszenarium seine auf jenes Seingerichtete Setzungstätigkeit ebensowohl als eine gegen ihren Urheber sichkehrende Selbstverneinungsaktion erkennbar werden und gab in dem

14

Page 15: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 15/189

Maß, wie es dem ersteren die Ehre gab, zu verstehen, daß dessen Auftritt

nicht konstruktiv auf Grund, sondern im Gegenteil refutativ auf Kostender Welt des Reichtums zustande kam, das heißt, eine nicht als aus ihrerBedingung sich folgerichtig ergebende und zu ihr wie die Wirkung zurUrsache sich verhaltende allzeit objektive Konsequenz, sondern als einüber seine Voraussetzung paradox sich erhebendes und von ihr wie dasselbstevident Wahre vom selbstverräterisch Falschen sich lösendes ein fürallemal revokatives Resultat Gestalt annahm.

Solange die Stammesgemeinschaft der mythologischen Zeit und später-hin dann die Opfergemeinde der theokratischen Gesellschaft vor dieserim epiphanischen anderen Subjekt Gestalt werdenden revokativ vernich-

tenden Wahrheit über die Welt des Reichtums die Augen verschlossenund sich beeilten, die erscheinende Wahrheit sei’s mit mythologischenMitteln der von ihm des Irrealis überführten Welt des Reichtums alsintegrales Moment zu assimilieren, sei’s mit sakriziellem Zeremoniellaus dieser Welt des Reichtums als einen inakzeptablen Fremdkörper zueskamotieren, konnte allerdings das Reichtumsszenarium seine scheinbarkonstitutive Tätigkeit immer aufs neue entfalten und stand insofern jenerepiphanische Mechanismus Stammesgemeinschaft und Opfergemeindestets wieder neu zu Gebote. Oder vielmehr stand er ihnen nicht zu Ge- bote, sondern stellte sich spontan wieder ein, so oft die von ihnen durch

Vereinnahmung oder Verdrängung beiseite geschaffte Wahrheit Gele-genheit erhielt, ex improviso eines sich selbst überlassenen und promptdie alte monstrative Dynamik beweisenden Reichtumsszenariums aber-mals auf den Plan zu treten. Weil sie die im anderen Subjekt ihnen vomReichtum selbst mit scheinkonstitutiver Kraft präsentierte vernichten-de Quittung für ihr reichtumzentriertes Beginnen nicht akzeptierten,sondern nach Möglichkeit rasch von der Bildäche verschwinden lie-ßen, konnte es geschehen, daß sie den Reichtum im Zuge seiner sei’snachfestlichen Neuschöpfung, sei’s opferkultlichen Darbringung immeraufs neue in jene improvisatorisch-monstrative Position brachten, in der

er ihnen, die von seinem im anderen Subjekt bestehenden selbstrevo-kativen Offenbarungseid zuvor partout nichts hatten wissen wollen,die eben darin ihrem reichtumxierten Tun ausgestellte vernichtendeQuittung immer wieder neu und immer gleich überraschend vorlegenkonnte. Jetzt aber, da unter dem Eindruck des dionysischen Gegenspielers

15

Page 16: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 16/189

der Götter und der mit ihm sozialkritisch von der Unterschicht vorge-

brachten Halbwahrheit die Oberschicht von ihrer opfergemeindlichenVerdrängungstätigkeit Abstand genommen und die ihr im Opfer sichpräsentierende Quittung akzeptiert hat, will heißen, die qua anderesSubjekt offenbare volle Wahrheit über die Welt des Reichtums in ihremBewußtsein hat Geltung gewinnen lassen – wie könnte jetzt wohl dasReichtumsszenarium noch einmal in jene alte Position einer unwillkürlichepiphanischen Monstranz gelangen, noch einmal die frühere Bedeutungeines im eigenen Offenbarungseid das andere Subjekt zur Erscheinung bringenden scheinkonstitutiven Präsentationsmediums hervorkehren?

Damit der Reichtum die alte Position wieder einnehmen und die frü-here epiphanische Präsentationsleistung neu erbringen könnte, müßtedie Oberschicht ja erst einmal ihr gehabtes afrmatives Verhältnis zuihm wiedergewinnen, ihn als in der vorherigen Positivität eines zumimprovisatorischen Erscheinungsmedium taugenden realen Guts undnalen Objekts sich retablieren lassen können. Genau in dieser Eigen-schaft aber hat den Reichtum die von ihm präsentierte vernichtendeWahrheit des anderen Subjekts ja ein für allemal ausgehebelt. Was inder vernichtenden Wahrheit, in der sie es nunmehr zur Kenntnis nimmt,das andere Subjekt der Oberschicht über den Reichtum, ex improvisodessen es ihr erscheint, kundtut, ist ja dessen von aller Gediegenheit undnalen Realität himmelweit entfernte historiologische Unwirklichkeitund ontologische Scheinhaftigkeit, ist dies, daß a priori der Wahrheit, dieer monstriert hat, er, der Reichtum selbst, aller konstitutiven Bedeutunginskünftig bar und in der Tat nichts weiter mehr ist als eine vom uran-fänglichen Sein des anderen Subjekts ziellos abführende nichtssagendeIllusion, eine von seiner ursprünglichen Geschichte zeitlos abfallendehalluzinatorische Verirrung. Und was das in seiner Wahrheit geschauteandere Subjekt deshalb von der Oberschicht, die zu ihm seine Zuuchtnehmen, zu ihm konvertieren will, verlangt, ist Abkehr vom Reichtum,Aufgabe der ganzen zum Reichtumsszenarium verlaufenden, innerwelt-lich illusorischen Perspektive, der sie bis dahin angehangen hat. Weil

das andere Subjekt als die ex improviso des Opferreichtums offenbareapriorische Wahrheit der Götter mit eben diesem Opferreichtum als derpars pro toto dessen, was der Oberschicht der opferkultlichen Gesell-schaft bis dahin wirklich und wert ist, partout nichts anfangen kannund mit der Radikalität ontologischer Indifferenz bricht, ist für die um

16

Page 17: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 17/189

Page 18: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 18/189

Page 19: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 19/189

die durch das im anderen Subjekt Gestalt gewordene wahre Sein als

illusorischer Abfall und irrweghafter Schein entlarvt ist, sieht sich imBemühen um die Identikation mit jenem wahren Sein die Oberschichtgezwungen, auf den bloßen Kredit des in seiner absoluten Jenseitigkeitverhaltenen letzteren hin mit der ersteren in toto zu brechen, sie in ge-nere zu verwerfen, und darauf zu hoffen – beileibe nicht zu vertrauen,geschweige denn zu bauen; ganz im Gegenteil! – daß in dem Nichts, indas sie sich damit Hals über Kopf hineinstürzt, der rettende Halt jeneranderen wahren Identität ihrer harrt. Einer Totalität des immanentenScheins, einer Erscheinungswelt ausgeliefert, aus der sie rückhaltlos aus- brechen und mit der sie rücksichtslos reinen Tisch machen muß, umder Identität des als transzendente Wirklichkeit wahren Seins teilhaftigwerden zu können, sieht sich die Oberschicht gezwungen, in todess-prunggewaltigster Manier das Sein, zu dem sie konvertiert, auf absolutnichts zu gründen, eine Konsequenz zu ziehen, die sie in keiner Weise alskonsekutives Verhältnis wahrzunehmen vermag, unter einer Prämisse zuagieren, deren Gegebenheit erst der aus ihr zu folgernde Schlußsatz zuerweisen verspricht.

Aber kann so die Oberschicht eigentlich verfahren? Ist nicht dieser zumSatz ins Ungewisse einer orientierungslos allumfänglichen Negativitättopologisch prolongierte und insofern in seiner ganzen Tragweite odervielmehr Fallhöhe offenbare ontologische Sprung, zu dem sich die Kon-vertitin bereitnden muß, zuviel des Guten oder, genauer gesagt, jenesZuviel des Schlimmen, das ihr alle Sprungkraft rauben und sie an derMöglichkeit einer Identizierung mit dem anderen Subjekt überhauptverzweifeln lassen muß? Welche Chance hat sie denn, daß in dem Nichtsan eigenem Dasein, in das sie hinausspringt, das andere Subjekt, dasdieses Nichts verfügt, in der Positivität seines identischen Seins auf siewartet und sie auffängt? Ist sie nicht mit Haut und Haar zu Hause, mitLeib und Seele befangen in dem durch die Indifferenz des anderen Sub- jekts in den Offenbarungseid seiner Irrealität und Nichtigkeit getriebeneneigenen Dasein? Warum sollte wohl sie, die Oberschicht, sich aus dem

Konkurs der Reichtumperspektive und innerweltlichen Sphäre, die ihreigenes Dasein ist, herausretten können? In den Konkurs geht ja, wieoft genug ausgeführt, der Reichtum, der das toto coelo andere, absolutindifferente Subjekt, das ex improviso seiner erscheint, als ein von al-ler scheinbaren Konsequenzhaftigkeit und Konstituiertheit himmelweit

19

Page 20: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 20/189

Page 21: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 21/189

nichts als seiner Scheinbarkeit sich überführenden Fortgang entlarvt, aus

diesem konkursiven Zirkel auszuscheren und im ontologischen Sprungauf den festen Boden jenes jenseits des scheinhaften Zirkels als ursprüng-liches Sein perennierenden Ausgangspunkts hinüberzuwechseln? Weroder was könnte es überhaupt sein, der oder das dem Konkurs da ent-ränne und per Identikation mit dem anderen Subjekt ins ursprünglich bleibende Sein hinübergelangte, da ja doch sie, die Oberschicht, nicht nur,wie oben festgestellt, ihr gesamtes reales Tun und Ergehen, ihr habituellmateriales Dasein, sondern mehr noch, wie eben bemerkt, ihr ganzespersonales Sein und Bestehen, ihre prinzipiell formale Identität, in jenemkonkursiven Zirkel begriffen und insofern an dessen Schicksal gebundenndet? Wer oder was bleibt von ihr, der an der Reichtumsperspektivenicht nur ihren objektiven Inhalt, ihren Bestand, sondern mehr noch ihreaktive Erfüllung, den Verstand ihres Daseins habenden Oberschicht, nachder historiologischen Vereitelung und ontologischen Revokation dieserPerspektive durchs anteriorische Sein des anderen Subjekts überhauptübrig für den Vollzug der als ontologischer Sprung vorgestellten Konver-sion zu jenem anteriorischen Sein? Besteht die Crux des der Oberschichtabgeforderten ontologischen Sprungs tatsächlich, wie oben suggeriert,nur darin, daß er in Abwesenheit des Zielpunkts der Konversion zueinem Sprung ins Nichts gerät, und ist er nicht vielmehr bereits dadurchzum Scheitern verurteilt, daß von der Oberschicht nach Abzug ihresreichtumbezüglichen Daseins und Wirkens überhaupt nichts bleibt, dasnoch springen könnte?

Eben diese provokativ reduktionistische, die Oberschicht mit Leib undSeele auf ihr innerweltliches Sein und Beginnen reduzierende Formu-lierung indes läßt, näher besehen, deutlich werden, daß der Vorstellungeines dem innerweltlich illusorischen Zirkel und dessen Konkurs sich ent-ziehenden und zur Identikation mit dem wahren Sein des transzendentanderen Subjekts bereiten immanenten Subjektmoments am Ende docheine Denkbarkeit eignet. Und zwar ist das, was ein solches Entrinnenaus dem Zirkel denkbar werden läßt, paradoxerweise jene gerade noch

als Beweis für die unentrinnbare Involviertheit der Oberschicht in ihrinnerweltliches Dasein geltend gemachte Urheber- und Trägerschaft, diesie als Erbin von Stammesgemeinschaft und Opfergemeinde im Blickauf die ganze reichtumbezügliche Perspektive und Prozessualität wahr-nimmt. Wenn nämlich die Oberschicht tatsächlich das gesellschaftliche

21

Page 22: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 22/189

Subjekt kontinuiert, das ab initio handelndes Subjekt und seit Stammesge-

meinschaftszeiten die Reichtumsperspektive betreibender Intendant ist,und wenn sie also in dieser Eigenschaft eines intentionalen Stifters undmotivationalen Trägers wirklich dem ganzen, im Resultat sich selber adabsurdum einer bloßen Scheinbewegung führenden Reichtumbildungs-prozeß initiativ vorsteht und von Anfang an Bahn bricht, so verleiht ihrdiese urheber- und trägerschaftliche Funktion zwangsläug die janus-köpge Bedeutung, einerseits zwar dasjenige zu sein, was sich in jenerScheinbewegung selbstidentikatorisch dingfest macht und zur Gänze inihr aufgeht, andererseits aber auch dasjenige darzustellen, was, um in derScheinbewegung begriffen zu sein, erst einmal von dem anteriorischenSein, das ihr als das in ontologischer Differenz andere Sein vorausliegt,sich hat losreißen und seinen Ausgang hat nehmen müssen. Als dastranszendentale Subjekt, das motivationale A und O eines reichtumorien-tierten Prozesses, der sich ex improviso des erzielten Reichtums als einevor dem apriorischen Seinszustand und absoluten Bestehen des anderenSubjekts offenbare kreisläuge Abfallgeschichte oder sinnlose Fehlhand-lung zu erkennen gibt, ist die Oberschicht ebenso gewiß, wie sie kraftihrer Kontinuität mit Stammesgemeinschaft und Opfergemeinde als derhistorische Träger dieser Abfallgeschichte und als das handelnde Subjektdieser Fehlhandlung deniert ist, auch als dasjenige anzusehen, was, umTräger der Abfallgeschichte zu werden, vom apriorischen Standpunkt desanderen Subjekts hat Abstand nehmen, von seinem absoluten Bestehenhat abfallen müssen – kurz, sie ist als der aus dem Seinszustand dessichselbstgleich anderen Subjekts in die Scheinbewegung des reichtum-orientiert handelnden Subjekts übergewechselte Apostat bestimmt.

So wahr die als gleichermaßen motivationaler Urheber und transzen-dentaler Erhalter der Geschichte gesellschaftlichen Reichtums perennie-rende Oberschicht jetzt mit Leib und Seele in den phänomenalen Irrtumverstrickt ist, als der sich die Reichtumsgeschichte im revokativen Re-sultat ihres Konkurses vor dem a priori anderen Subjekt herausstellt, sowahr ist sie in diese transzendentale Funktion eines historischen Subjekts,

in diese apperzeptionelle Irrtumsverfallenheit einst durch Abtrünnigkeitvom apriorischen Standpunkt jenes im konkursiven Resultat der ganzenGeschichte ebenso unverändert fortbestehenden wie unvermittelt wie-derkehrenden anderen Subjekts gelangt und war sie, mit anderen Worten,ursprünglich in der Selbigkeit und Beständigkeit jenes im anteriorischen

22

Page 23: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 23/189

Jenseits zu dem prozessualen Schein, in dem sie seitdem sich umtreibt,

bleibenden wahren Seins befaßt. Ehe das in der Oberschicht kontinuiertegesellschaftliche Subjekt sich an den reichtumsorientierten Prozeß verlor,den das ex improviso des Prozeßergebnisses auftauchende anteriorischeSein des negativitätserfüllt anderen Subjekts als eine sich selbst revo-zierende halluzinatorische Abschweifung und zirkelhafte Fehlleistungoffenbart, war mithin dies gesellschaftliche Subjekt in ursprünglicherIdentität mit jenem anteriorischen Sein, in uranfänglicher Kontinuitätmit seinem apriorischen Bestehen – nur daß es die Ursprünglichkeitnicht im Sinne eines Fortgangs im bleibenden Sein selbst, sondern imUnverstand eines Entspringens zur Scheinbewegung des Reichtumbil-dungsprozesses nutzte und vielmehr verriet, die Uranfänglichkeit nichtals den Ausgangspunkt oder Auftakt für eine beständige Entwicklungdes Anfangs selbst, sondern als das Ausfalltor oder Signal zu einer zir-kelhaft halluzinatorischen Suche nach eben jenem eingangs der Sucheverlorenen Anfang wahrnahm und vielmehr preisgab. So gesehen eignetalso dem qua Oberschicht kontinuierten transzendentalen Subjekt dervor dem anderen Subjekt vor den Fall seiner Irrealität und Vergeblichkeitkommenden reichtumorientierten Geschichte tatsächlich ein diese Ge-schichte transzendierendes Moment, geht es tatsächlich in der zirkelhaftselbstrevokativen Scheinbewegung dieser Geschichte nicht völlig auf,ragt es tatsächlich mit jenem urtümlichen Moment, das nichts anderes alsder ursprüngliche Moment seiner Abtrünnigkeit vom wahren Sein desanderen Subjekts und Verirrung in die Scheinbewegung der von ihm alstranszendentalem Subjekt konstituierten Geschichte ist, aus dem Scheinheraus.

Daß aber dieses Moment eines Nichtaufgehens im Zirkel, dieser Au-genblick des Herausragens aus dem Schein der Oberschicht die Mög-lichkeit eines Entrinnens aus dem Konkurs des Zirkels, die Chance zueiner Rückkehr ins anteriorische Sein sollte bedeuten können, ist nichtohne weiteres zu erkennen. Schließlich ist dieses Moment von Identi-tät mit dem anteriorischen Sein kein gegenwärtiger Fall, sondern ein

vergangener Zustand: Das in der Oberschicht kontinuierte transzen-dental historische Subjekt ist nicht praesenti casu oder in actu seinerGeschichte mit dem transzendent anderen Subjekt verbunden, sondern bloß modo praeterito oder ab ovo seiner Geschichte mit ihm liiert. JenesMoment von Zugehörigkeit zum ursprünglich wahren Sein des anderen

23

Page 24: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 24/189

Subjekts hat das in der Oberschicht verkörperte historische Subjekt ja

durch sein Historischwerden ebenso ursprünglich aufgegeben bezie-hungsweise ad acta der unerreichbaren Modalität eines am Anfang derGeschichte abgeschlossenen Vorlebens gelegt. Wie sollte es da nun, nach-dem die Geschichte vor dem ex improviso ihres eigenen Resultats sichrestituierenden wahren Sein des anderen Subjekts in den Konkurs ihreroffenbaren Aussichts- und Sinnlosigkeit gegangen ist, auf jenes Momentvon ursprünglicher Seinshaftigkeit sich berufen, sich beziehen, gar zu-rückkommen können? Wie sollte es nun, nachdem es längst und in derTat ab initio seiner Geschichte gegen jenes urtümliche Sein, das es vor-mals war, sich ebenso lang und breit vergangen wie kurz und bündigentschieden hat, in solch Präteritum sich zurückversetzen oder letzteresvielmehr in die zirkelsprengende Präsenz der repristiniert eigenen undeigentlichen Identität zurückrufen können?

Zumal es ja doch die am Ende der Geschichte ausgewiesene und näm-lich durch den resultativen Konkurs der Geschichte vor dem als anderesSubjekt apriorischen Ausgangspunkt oder Punkt des ursprünglichenAbfalls ausgemachte Besonderheit solchen Präteritums ist, daß der Mo-dus, in dem es sich dem historischen Subjekt und dessen Gegenwartdarbietet, nicht einfach nur einer der temporal trennenden Distanz be-ziehungsweise des modal unterscheidenden Aspekts, sondern vielmehreiner der fundamental ontologischen Differenz oder radikal historiologi-schen Unvereinbarkeit ist! Als das im spontanen Resultat des historischenProzesses ex improviso nämlich des Reichtums wiederauftauchende ur-sprünglich wahre Sein gibt sich das andere Subjekt ja nicht nur als derin integrum sich beweisende apriorische Ausgangspunkt, der in pris-tinum sich machende absolute Anfang zu erkennen, sondern erklärtdamit zugleich alles, was danach kam, den ganzen historischen Prozeß,für null und nichtig, widerruft ihn als irreal, disqualiziert ihn als vordem Sein veriegenden Schein. Nicht also bloß an ein urzeitlich ver-gangenes, ein aller Geschichte vorhergegangenes Sein, ein Sein, das siepartout nur war, solange sie sich noch nicht in ihre apostatisch-historische

Prozessualität verstrickt hatte, muß die das historische Subjekt kontinuie-rende Oberschicht, will sie dem Zirkel ihrer Abfallbewegung entrinnen,wiederanknüpfen; vielmehr präsentiert sich dies Präteritum, an das sieAnschluß gewinnen muß, mehr noch in einer jeder Chronologie undrealen Zeitfolge spottenden unüberbrückbar ontologischen Differenz zu

24

Page 25: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 25/189

ihrer Geschichte und verhält sich also in dem Maß, wie es die Abfallbewe-

gung als auch und gerade eine Bewegung des Abfalls von aller wirklichenSukzession und des Ausstiegs in einen illusorischen Fortgang, kurz, alsIrrealisierung vorstellig werden läßt, zu dieser Geschichte oder verwahrtsich, besser gesagt, ihr gegenüber wie das an sich bestehende leibhaftigeSein gegenüber einem in sich vergehenden Schattenbild und Schein.

Vom apriorischen Sein, von dem es abgefallen ist, sieht sich das qua Oberschichtkontinuierte historische Subjekt im Sinne einer ontologischen Differenz getrennt.Diese scheint auf den ersten Blick die chronologische Distanz zum apriorischenSein, in die seine Abfallbewegung das historische Subjekt verschlagen hat, nur

zu vertiefen und zu verschärfen. Tatsächlich aber hebt die ontologische Differenzdie chronologische Distanz auf, weil sie die Abfallbewegung ihrer temporalenDimension entkleidet und sie als illusionären Vorgang, als Scheinbewegungentlarvt. Dadurch stellt sich das apriorische Sein als ein bleibendes Präsens dar,zu dem zurückzukehren, immer den gleichen distanzlos ontologischen Sprungerfordert. Dieser ontologische Sprung aber hat den Schrecken eines Sprungesins Nichts verloren, weil das Subjekt nun erkannt hat, daß es sein eigener, per Abfallbewegung im Stich gelassener Anfang ist, zu dem es zurückkehrt, daß esmit anderen Worten das zeitlos vergangene Wesen seiner selbst ist, bei dem essich wieder einndet.

Die wie zwischen Sein und Schein aufbrechende ontologische Differenzzwischen dem als Geschichte fortlaufenden empirisch-präsenten Zustanddes qua Oberschicht kontinuierten gesellschaftlichen Subjekts und seinerals Präteritum vorausgesetzten urständlich-apriorischen Wirklichkeitscheint auf den ersten Blick die Unwiederbringlichkeit jenes Präteritumsnur zu besiegeln, es nur vollends unmöglich werden zu lassen, daß je-mals das gesellschaftliche Subjekt aus seinem Zustand eines fortlaufendhistorischen Scheins in jenen Urstand bleibend apriorischen Seins zu-rückgelangt. Indes ist nun genau diese ontologische Differenz, näher betrachtet, der Umstand, der im Gegenteil für das in der Oberschicht

kontinuierte historisch-gesellschaftliche Subjekt die – wie man will –Rückkehr in jenes urständliche Sein oder neuerliche Vergegenwärtigung jenes vorzeitlichen Präteritums in den Bereich des Möglichen rückt. Sosehr sie nämlich über den historischen Prozeß selbst den Stab seiner unbe-dingt illusorischen Vergeblichkeit und absolut sinnlosen Scheinhaftigkeit

25

Page 26: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 26/189

bricht, so sehr setzt diese ontologische Differenz damit den Träger des

historischen Prozesses, eben das in der Oberschicht sich kontinuierende,gesellschaftlich handelnde Subjekt, der seiner Bedeutung als nicht nurimmanenter Akteur, sondern zugleich auch transzendentaler Autor desProzesses entspringenden Grenzerfahrung aus, sich von jenem vernich-tenden Verdikt über sein Tun einerseits zwar zutiefst betroffen und zurGänze erfaßt zu nden, andererseits aber auch fundamental entlastetund nicht minder gänzlich ausgenommen zu fühlen. Als kontinuiertesSubjekt und gesellschaftlicher Träger jener einzigen großen Abfallbe-wegung, als die das ex improviso des Reichtums erscheinende andereSubjekt den ganzen historischen Prozeß bloßstellt, ndet sich die Ober-schicht einerseits zwar dem gleichen vernichtenden Verdikt unterworfen,das solche Bloßstellung über ihre Geschichte verhängt, und gewahrt siesich insofern in zunehmender und zunehmend uneinholbarer Distanzzu dem mit dem Sein des anderen Subjekts noch synchronen Urstandoder vorzeitlichen Präteritum, von dem sie um ihres autorschaftlichenEngagements im historischen Prozeß willen abgefallen ist. Aber weilkraft der ontologischen Differenz, in der es erscheint, das andere Subjektden historischen Prozeß als einen Abfall ja nicht bloß im Sinne einesAbrückens und Abweichens vom uranfänglichen Sein, sondern mehrnoch im Verstand eines Herausspringens und Ausscheidens aus dessenSeinshaftigkeit begreiich werden läßt, weil es also den historischenProzeß nicht sowohl als einen Vorgang der die Realitätsebene wahren-den chronologischen Entfernung vom ursprünglichen Ausgangspunkt,sondern vielmehr als Prozedur einer ontologischen Preisgabe der ganzenfür den ursprünglichen Ausgangspunkt kennzeichnenden Wirklichkeitsetzt, weil es mithin das Ausgehen des historischen Prozesses von sei-nem, des anderen Subjekts, apriorischen Sein nicht eigentlich als realenVerrat, als fehlentwicklungsförmige Diversion, als privatives Zehren ander zugrunde liegenden Substanz jenes Seins, sondern als verräterischeEntrealisierung, als fehlleistungshafte Illusion, als halluzinatorisches Sich-verzehren in der eigenen fortlaufenden Akzidentialität entlarvt – weil das

so ist, büßt nun andererseits für die Oberschicht dies über sie als histo-risches Subjekt verhängte Verdikt den Charakter des über eine wirklicheUntat, ein historisches Vergehen, in dem sie mit ganzem verwirktem Seininvolviert ist, gefällten Urteils ein und nimmt statt dessen die Züge derüber eine phantasmagorische Fehlhandlung, eine hysterische Verirrung,

26

Page 27: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 27/189

in die sie mit allen verblendeten Sinnen verstrickt ist, gestellten Diagnose

an.Vom anderen Subjekt in seinem apriorischen Sein, seiner vorzeitlichenAnfänglichkeit her gesehen, erscheint zwar unmittelbar der historischeProzeß, in dem die Oberschicht die autor- und trägerschaftliche Subjek-trolle kontinuiert, als eine Geschichte temporal fortlaufenden Verrats amapriorischen Sein und scheint deshalb die Oberschicht sich immer weiterund immer unwiderruicher von dessen Anfänglichkeit, in die sie zurückmöchte und an der sie im Präteritum ihrer eigenen vorautorschaftlichenUrsprünglichkeit teilhatte, zu entfernen. Aber weil jenes apriorische Seinsich ja am unverhofften Ende der Geschichte, ex improviso nämlich desvon der Geschichte hervorgetriebenen Reichtums, als die ebenso unver-änderte wie einzige Wahrheit des ganzen Prozesses herausstellt und weiles kraft dieser seiner resultativ einfachen Wiederherstellung oder viel-mehr Restitution die Geschichte der Irrealisierung eines absolut folgen-und sinnlosen Entwurfs unterwirft, sie als ein illusionäres Zwischenspiel,eine phantasmagorische Abschweifung disqualiziert, weil also das sosichselbstgleich restituierte apriorische Sein den historischen Prozeß re-gelrecht als Prozeß dementiert und als eine mit dem Sein, das es selberist, absolut nichts zu schaffen habende halluzinatorische Leerlaufreaktionoder Scheinbewegung aufdeckt – weil das apriorische Sein des anderenSubjekts eine solche, als ontologische Differenz ausgesprochene und fürdie Realität des historischen Prozesses vernichtende Bedeutung an denTag legt, ist es nun auch mit der Realität der dem Träger des Prozessesnachgesagten Distanz zum apriorischen Sein, mit der Temporalität derKluft, die ihn von seinem eigenen, im apriorischen Sein einbegriffenen,vorzeitlichen Präteritum angeblich trennt, nicht eben weit her und ist,was auf den ersten Blick als unaufhaltsamer Fortgang in einer ebensounumkehrbar wie linear vergehenden, biographisch ausgeführten Zeiterscheint, bei näherer Betrachtung vielmehr nur ein haltloser Umtrieb ineinem ebenso unabsehbar wie zirkulär sich dehnenden, phantasmago-risch eingebildeten Raum. Statt eine als realer Verrat am apriorischen Sein

fortschreitende lebendige Gegenwart, die ihren von ihr getragenen Autorund Träger immer weiter von seinem Ursprung abführt und letzterenimmer mehr im schemenhaften Dunkel eines unter der unaufhebbarenLast des Prozesses selbst verschütteten Präteritums versinken läßt, ist sodie von der Oberschicht kontinuierte Geschichte nach dem Zeugnis des

27

Page 28: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 28/189

in ontologischer Differenz erscheinenden apriorischen Seins nichts als ein

die verräterische Irrealisierung der eigenen Prozessualität bedeutenderandauernder Verlust der lebendigen Gegenwart des apriorischen Seins,der sie, die Geschichte, ins Zwielicht eines durch illusionäre Flucht vorder Gegenwart, durch schattenweltliches Vergehen gegen die lebendigeGegenwart selbst, kurz, durch gespenstisches Halluzinieren entstande-nen imaginären Raumes taucht und ihre Trägerin, die das historischeSubjekt kontinuierende Oberschicht, im Banne eines nach Maßgabe ihrerScheinweltlichkeit ebenso traumhaft unwirklichen wie dimensionslosunendlichen Abstands von der Lichtquelle ihres verlorenen Seins verhält.

Weit entfernt davon, die chronologische Distanz zu einem Präteritumüberbrücken zu müssen, das sie einst war und von dem sie sich durch diefortschreitende Wirklichkeit ihres historischen Prozesses immer weiterwegentwickelt hat, muß also die Oberschicht bloß die ontologische Kluftzu einem Präsens überspringen, das nach wie vor ihr Sein ist und vondem als von ihrer unverändert fortdauernden Wirklichkeit sie durchden als Verfolgung irrealer Möglichkeiten sich disqualizierenden his-torischen Prozeß immer gleich entschieden abgefallen ist. Weit entferntdavon, sich durch das Tagewerk des historischen Prozesses vom Ur-sprungspunkt ihrer Teilhabe am Sein des anderen Subjekts zielobjektivfortzubewegen und deshalb dem wegen der Irreversibilität des Vorgangsunvollziehbaren Zwang zu unterliegen, die seit dem Ursprungspunktvorgegangene Zeit zurückzudrehen oder als geschehene ungeschehen zumachen, ndet sich die Oberschicht nach dem Zeugnis des in der Gestaltdes anderen Subjekts erschienenen ursprünglichen Seins selbst durchden historischen Prozeß bloß in das Nachtgespinst einer Sein und Zeitüberhaupt entbehrenden Scheinbewegung verstrickt und darin wie ineiner gegenstandslosen Leerlaufreaktion umgetrieben und mithin einzigund allein der Forderung konfrontiert, sich aus dem Traumdasein, dassie nicht sowohl lebt, als vielmehr zu leben träumt, in den Wachzustand,der ihr wirkliches Leben ist, das sie, traumbefangen, zu leben versäumt,zurückzuversetzen.

So also sieht die Chance auf ein umstandslos unmittelbares Entrinnenaus dem Zirkel ihres als Abfallbewegung historischen Irrwegs aus, diedas apriorische Sein des anderen Subjekts kraft seiner ontologischenDifferenz, seiner gegenüber dem historischen Prozeß wie Sein gegenüberdem Schein sich verhaltenden Absolutheit der das historische Subjekt

28

Page 29: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 29/189

kontinuierenden Oberschicht als der Apostatin, die vor ihrer urheber-

schaftlichen Ein- und trägerschaftlichen Auslassung in die Geschichteselber des apriorischen Seins teilhaftig war, eröffnet. In dem Maß, wie dasapriorische Sein des anderen Subjekts kraft der ontologischen Differenz,in der es sich behauptet, den historischen Prozeß irrealisiert und dasheißt, zum halluzinierten Schein und üchtigen Traum disqualiziert,erklärt es natürlich die autorschaftliche Einlassung der Oberschicht inund ihre trägerschaftliche Bestimmung durch den historischen Prozeßfür ebenso scheinhaft und unwirklich und erschließt ihr damit die Mög-lichkeit, die Wiedergewinnung der Teilhabe am apriorischen Sein alswesentlich nur einen Wechsel aus Traumgelden in den Wachzustand,als Rückkehr aus einer Scheinsphäre, in der sie nicht eigentlich ist, son-dern bloß zu sein vermeint, in eine Wirklichkeit, in der sie nicht sowohlwar, sondern in Wahrheit nach wie vor ist, kurz, als übergangs- undumstandslos leibhaftiges Zusichkommen aus einem zeit- und haltlosgespenstischen Außersichsein zu begreifen.

Das einzige, was, um diese Gelegenheit zum Entrinnen beim Schopf zu fassen, die Oberschicht tun muß, ist, bei vollem Bewußtsein und mitganzer Seele die in solcher Entwirklichung ihrer Geschichte zum Traum-gebilde beschlossene Umwertung aller Werte oder Umsetzung aller Wirk-lichkeit auch zu vollziehen: sich nämlich in dem, was sie nach Maßgabeder Scheinhaftigkeit des historischen Prozesses gar nicht ist, sondern bloß scheint, in ihrer historischen Subjekthaftigkeit, aus- und abzusetzenund sich statt dessen in das, was sie in der Wahrheit und Wirklichkeitihrer falschen und illusionären Prozessualität nicht etwa bloß war, son-dern nach wie vor ist, in ihr ursprüngliches Sein, zurückzuversetzenoder vielmehr zurückzunehmen. Gänzlich befangen, wie sie ja ist, in derScheinbewegung ihres historischen Vergehens, muß, um solcher Schein- bewegung zu entkommen, die Oberschicht ihr ebenso gänzlich die Ge-folgschaft aufkündigen, sie in toto einstellen und aufgeben und sich stattdessen auf das apriorische Bestehen jenes Seinszustands versteifen, indem sie sich nach wie vor befände, triebe sie sich nicht in der historischen

Scheinbewegung herum, oder in dem sie – positiv und dem ontologi-schen Nichtstatus des historischen Prozesses gemäßer formuliert! – sichin dem Augenblick wieder zu benden gewiß sein kann, in dem ihr dieScheinmotion abzustellen gelingt. Aus einem innerweltlich-historischenUmtrieb, in dem sie sich konkret erfährt oder instinktiv weiß, ohne in ihm

29

Page 30: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 30/189

doch Wirklichkeit zu haben oder mehr als scheinbar zu sein, muß sie in

einen außerweltlich-apriorischen Zustand hinüberwechseln, der ihr Seinoder in dem sie Wirklichkeit ist, obwohl sie in ihm sich nur erst abstraktzu begreifen oder projektiv wahrzunehmen vermag.

So aber als Wechsel aus einem Nichtsein, in dem sie mit Leib und Seele befangen und mit allen Sinnen zu Hause ist, in ein Sein vorgestellt, dasfür sie, all seiner eigentlichen Wirklichkeit und ebenso letztlichen wieursprünglichen Wahrheit ungeachtet, wesentlich nur erst in der Über-windung ihrer Befangenheit und der Preisgabe ihres Zuhause, mithinex negativo des Negativen, besteht, scheint sich der Oberschicht ihrevermeintliche Chance zu entrinnen doch wieder bloß als der oben geschil-derte ontologische Sprung, als die zur Suspendierung und bedingungslo-sen Aufhebung des ganzen empirischen Daseins nötigende existentielleSchwebe, als Sprung in ein mit dem Sein als toto coelo anderem ebensoentschieden hinterm Berg haltendes wie entfernt winkendes Nichts dar-zubieten. Gezwungen, aus einem Schein, in dem sie mit Haut und Haarsich bendet, in ein Sein hinüberzuwechseln, in dem wirklich zu sein, sienichts als diese ihre Scheinbendlichkeit hindert, scheint die Oberschicht,in jenes Sein zu entrinnen, am Ende doch nur eine Chance zu haben,wenn sie bereit ist, Kopf und Kragen zu riskieren und im geschildertenkruzikatorischen Konversionsakt in das Nichts ihres Scheins sich hin-einzuhalten oder vielmehr halsüberkopf hineinzuspringen, um von demin ontologischer Differenz hoffentlich aus dem Nichts herausspringendentoto coelo anderen Sein aufgefangen und zu sich gebracht zu werden.

Indes, der wesentliche Unterschied zu der oben geschilderten und alsunzumutbarer Salto mortale verworfenen Situation besteht nun darin,daß dank der angestellten Überlegung von der autorschaftlichen Ur-sprünglichkeit des qua Oberschicht kontinuierten historischen Subjekts,von einer vorzeitlichen, seinem apostatischen Geschichtlichwerden not-wendig vorausgehenden Partizipation dieses historischen Subjekts amtoto coelo anderen Sein das letztere für die Oberschicht eine zur Redevom Präteritum Anlaß gebende biographische Afnität und Kontinuitäts-

bedeutung gewinnt. So wahr die das historische Subjekt verkörperndeOberschicht in dem historischen Prozeß, als dessen Träger sie fungiert,kraft des Zeugnisses des ex improviso des Prozeßresultats erscheinendenanderen Subjekts eine Abfallbewegung vom Sein jenes anderen Subjektsgewahren muß, deren Urheber niemand anderes als sie selber ist, so

30

Page 31: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 31/189

wahr stammt sie ex negativo ihrer Urheberschaft oder im janusköp-

gen Augenblick ihrer in die Geschichte sich wendenden apostatischenUrsprünglichkeit aus einer Vergangenheit, in der sie noch zeit- und zu-standsgleich mit dem anderen Subjekt perenniert, nimmt sie also ihrenAusgang von einem Präteritum, in dem sie im apriorischen Sein des ande-ren Subjekts als an dem ihr eigenen Präsens noch ebenso ununterschiedenwie ununterbrochen partizipiert. Zwar, weil sich nun ex cathedra derabsoluten Negativität des anderen Subjekts die vermeintlich historischeAbfallbewegung als eine tatsächlich halluzinatorische Scheinbewegungherausstellt und weil also der Abfall vom anderen Subjekt, die Trennungvon seinem vorzeitlichen Sein in Wahrheit gar nicht beanspruchen kann,ein das Sein fortführender Vorgang und zeitlich fortlaufender Prozeß zusein, sondern vielmehr soviel wie den Verlust des Seins selbst, die Preis-gabe der Zeit als solcher impliziert, ist es mit der Vergangenheitsform jenes Präteritums nicht eben weit her und ist es um den scheinbarenchronologischen Abstand zwischen hier dem als Präsens ausführlichempirischen Dasein der das historische Subjekt kontinuierenden Ober-schicht und dort ihrem als Präteritum ursprünglich apriorischen Seinin Wahrheit so bestellt, daß er sich auf die beschriebene ontologischeDifferenz reduziert und mithin nichts weiter markiert als die zeitloseKluft und unendliche Diskretion zwischen dort der abwesenden Rea-lität des für sich bestehenden Präsens des apriorischen Seins und hierdem umtriebigen Irrealis des an sich vergehenden Nonsens des empi-rischen Scheins. Aber weil es für die Oberschicht ja darum geht, ausdiesem empirischen Schein in jenes apriorische Sein zurückzukehrenoder, genauer gesagt, im Sprung hinüberzuwechseln, gewinnt auch undgerade in der aller Vergangenheitsform und temporalen HerleitbarkeitHohn sprechenden Unmittelbarkeit, in der es sich behauptet, das durchihre historische Urheberschaft verbürgte janusköpge Moment von ur-sprünglicher Partizipation am apriorischen Sein für sie eine wesentlicheBedeutung.

Sosehr nämlich zwar die als ontologische Differenz ausgesprochene

zeit- und distanzlose Unvermitteltheit, in der sich empirischer Schein undapriorisches Sein wie Halluzination und Wirklichkeit zueinander verhal-ten, die Bedingung der Möglichkeit dafür ist, daß für die Oberschicht derangestrebte Wechsel vom einen in den anderen Zustand sich überhauptals vollziehbarer Sprung denken läßt und nicht bereits als vorgestellte

31

Page 32: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 32/189

Bewegung an der Unumkehrbarkeit der verstrichenen Zeit, an der Un-

wiederbringlichkeit des in den späteren Zustand übergegangenen, in ihmals Eigenständiges untergegangenen und zu seinem bloßen Rejekt, ebenzu seiner Vergangenheit, aufgehobenen früheren Zustandes scheitert, so-sehr kehrt solch ein als ontologischer Sprung antizipierter Wechsel dochzugleich die Schreckensphysiognomie absoluter Selbstpreisgabe undEntfremdung hervor und birgt in der Tat die furchtbare Drohung in sich,daß in dem Augenblick, in dem die Oberschicht den empirischen Scheinihres Daseins zunichte macht, um des apriorischen Seins des anderenSubjekts teilhaftig zu werden, vielmehr bloß das Nichts ihrer wartet, weildas erhoffte Sein, ihr aus dem Nichts entgegenzukommen, helfend die

Hand zu reichen und das Gnadengeschenk der Vereinigung mit ihm zumachen – aus welchen Abgründen auch immer – versäumt. Kategorialdie Bedingung dafür, daß die Oberschicht nicht an einer chronologischenUnwiederbringlichkeit des ihrem empirischen Dasein vorausgesetztenapriorischen Seins, das sie anstrebt, scheitern muß, sondern dies Sein alsdie jenseits aller Chronologie ihres Daseins unverändert bleibende undunvermittelt präsente Wirklichkeit zu erreichen vermag, läuft real derontologische Sprung, zu dem sie ansetzt, Gefahr, zu einem Sprung insNichts zu geraten, eben deshalb, weil der Oberschicht jede als Leitliniereklamierbare chronologische Verbindung zwischen den Umständen,

die sie quittiert, und dem Zustand, den sie intendiert, fehlt, weil ihrkeine das apriorische Sein mit dem empirischen Schein verknüpfen-de temporale Konsequenz als ein das Dunkel der ontologischen Kluftdurchspannender Ariadnefaden den Weg weist und weil von daher dasapriorische Sein in wahrhaft epiphanischer Selbstherrlichkeit aus demNichts ihres Daseins auftauchen und Ereignis werden, aber geradesogut das Ereigniswerden auch bleiben und das Nichts ihres Daseins überihr zusammenschlagen lassen kann. Und genau diese dilemmatischeSituation einer ontologischen Differenz, die mit der Verheißung einesdenkbaren Sprungs aus dem empirischen Schein ins apriorische Sein die

Drohung des geradesogut vorstellbaren Sprungs aus dem empirischenSchein ins Nichts verknüpft sein läßt – sie genau ist es, in der die Über-legung von einer dem historischen Subjekt im janusköpgen Augenblickseines historischen Beginnens oder Abfalls zur Geschichte eigenen Teilha- be am apriorischen Sein für die Oberschicht eine haltgebende, weil aufs

32

Page 33: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 33/189

apriorische Sein hin unverhofft richtungweisende und insofern vor dem

möglichen Sturz ins Nichts sicherstellende Bedeutung erlangt.Was nämlich die aller chronologischen Referierbarkeit bare ursprüngli-che Teilhabebeziehung, die jedem temporalen Nachweis entzogene kon-substantielle Herkunft, worin die das historische Subjekt kontinuierendeOberschicht sich im Blick auf das apriorische Sein des anderen Subjektserkennt – was diese Wahrnehmung des apriorischen Seins als der eige-nen, durch das halluzinatorische Vergehen des historischen Prozessesverspielten und zur transzendenten Gegenwart entrückten, mithin inWirklichkeit unvergangenen Vergangenheit bewirkt, ist, daß der ontolo-gischen Differenz eine Art biographische Identität, dem absolut fremden

Sein ein Moment von unverbrüchlich bleibender Vertrautheit vindiziertwird. Als ein Zustand, an dem das in der Oberschicht kontinuierte histo-rische Subjekt ursprünglich noch teilhat oder in dem es im apriorischenVoraus zu seiner halluzinatorischen Einlassung in die Geschichte nochist, ist das apriorische Sein nicht mehr einfach nur Sein des anderen Sub- jekts, das ontologisch oder schlechthin Andere zum empirischen Scheinder Oberschicht, sondern es ist das vergangene, aber zeitlos vergangeneund insofern vielmehr unvergängliche Sein der Oberschicht selbst, ihrschlechthin eigenes Wesen. Es ist nicht mehr einfach nur das, was imallentscheidend ontologischen Unterschied zum bloßen Scheinen des

historischen Subjekts das andere Subjekt wirklich ist und was auch dashistorische Subjekt werden kann, vorausgesetzt, es gelingt ihm, sich, seinScheinen, los und des im anderen Subjekt bestehenden wirklichen Seinsteilhaftig zu werden; es ist vielmehr das, was im essentiallogisch allent-zweienden Unterschied zu sich selbst das historische Subjekt wirklichwar, ehe es sich in die Scheinbarkeit des historischen Prozesses verrannte,ist sein eigenes Präteritum, dies Präteritum aber, da ja sein Fortgang inden historischen Prozeß zeitlos-irrealer Natur, bloß eine halluzinatorischeWendung ins Scheinbare ist, in der vergangenheitslosen Insistenz oderobsessiven Gegenwärtigkeit des unverwandt bleibenden Seins selbst.

So wahr das historische Subjekt an jenem in ontologischer Differenz alsdas Sein perennierenden apriorischen Zustand des anderen Subjekts im janusköpgen Augenblick seiner historischen Urheberschaft noch selberpartizipierte und so wahr das, was jetzt das qua Oberschicht kontinuiertehistorische Subjekt von seinem ursprünglichen Sein trennt, nicht sowohl

33

Page 34: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 34/189

dessen durch historischen Fortgang chronologisch gezeitigte Vergangen-

heit, sondern bloß das eigene chronisch-zeitlos geübte Vergehen gegenes ist, und nicht also darin besteht, daß kraft historischen Prozesses einneues Sein, eben das empirische Dasein der Oberschicht, bewirkt und dasursprüngliche Sein realiter in es versetzt wurde, sondern darin, daß dank jenes Prozesses das ursprüngliche Sein verwirkt und durch den Scheindes empirischen Daseins irrealiter verdrängt ist – so wahr dies alles sichso verhält, so wahr ist nun das Sein des unverwandt daran festhaltendenanderen Subjekts ebensowohl und vielmehr das Wesen der davon abtrün-nigen und in den Schein seines Daseins gewendeten Oberschicht. Verirrtin die scheinerzeugende Bewegung eines durch halluzinatorischen Abfallvom apriorischen Sein, durch urheberschaftlich schieren Seinsverlust inGang gebrachten historischen Prozesses, verhält sich die das historischeSubjekt kontinuierende Oberschicht zu jenem apriorischen Sein nichteinfach als zu einem jenseitig anderen, ontologisch differenten, zu einemSein, das nicht ihres, sondern das des anderen Subjekts ist – sie verhältsich vielmehr zu ihm als zu einem entrückt eigenen, biographisch dis- junktiven, zeitlos vergangenen Sein, ihrem Wesen, einem Sein, das sienach wie vor wäre, wäre sie nicht vor ihm in den Schein ihres empirischenDaseins ausgerückt, einer Realität, an der teilzuhaben oder die zu sein,nichts als ihr Bestehen auf oder in der historischen Scheinbewegung, ihrVerharren im Irrealis der Geschichte, sie abhält.

Diese – der unvermittelt ontologischen Fremde ein Moment von ebensounmittelbar biographischer Heimat vindizierende – Umdeutung desunverwandt bleibenden, apriorischen Seins des anderen Subjekts in daszeitlos vergangene, ursprüngliche Sein ihrer selbst, ihr eigenes Wesen, istes nun also, was der Oberschicht erlaubt, den zwecks Identizierung mitdem apriorischen Sein ihr abverlangten ontologischen Sprung als einenebensosehr von Selbsterhalt wie von Selbstaufgabe geprägten, ebensosehrzur Reexion und Erinnerung verhaltenden, wie zur Entäußerung undEntfremdung treibenden, die Identität ebensosehr wiederholenden undwiederherstellenden wie wechselnden und ersetzenden Vorgang wahr-

zunehmen und somit alle angesichts der Tiefe der ontologischen Kluftsie etwa anwandelnde Angst vor einem Sprung ins Nichts zu besiegen.Weil das, wohinein die Oberschicht überzuwechseln aufgerufen ist, jetztnicht mehr einfach das jenseits allen Scheins bestehende absolute Sein desanderen Subjekts, sondern vielmehr das durch den Abfall in die Sphäre

34

Page 35: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 35/189

des Scheins im Stich gelassene und als ein absolutes Jenseits gesetzte

eigene Wesen ist, hat nun auch der geforderte Wechsel selbst nicht mehrden Wandlungscharakter einer ins Blaue hinein vollzogenen, unbestimmttotalen Umkehr, sondern nurmehr den Läuterungssinn einer auf denursprünglichen Standpunkt gerichteten, radikal bestimmten Rückkehr, istseine Bedeutung nicht mehr die einer ins Nichts stürzenden und damithoffentlich zur Wahrheit freisetzenden wildentschlossenen Entscheidung,sondern nurmehr die einer von Täuschung befreienden und dadurchmit Sicherheit auf den Boden der Wirklichkeit zurückbringenden festent-schlossenen Besinnung, hört er, kurz, auf, sich als gnostische Erleuchtung,als konversive Erweckung zu präsentieren, und suggeriert sich schlichtund einfach als anamnestische Desillusionierung, als reexives Erwachen.Von der Totalität ihres empirischen Daseins sich abwendend und auf die Realität des apriorischen Seins sich richtend, kann die Oberschichtdank des ebenso zeitlich wie wesentlich biographischen Postens, dengleichzeitig mit ihrer trägerschaftlichen Rolle im historischen Prozeß siekraft autorschaftlicher Janusköpgkeit in jener ontologischen Alternativezu beziehen vermag, gewiß sein, daß der als ontologischer Sprung aus-gemachte radikale Wechsel, den sie vollziehen muß, eher restaurative alsprojektive, eher durch reexive Erinnerung als durch konversive Entäu-ßerung bestimmte, eher auf die Wiedererlangung eines Uralten als auf die Erreichung eines Brandneuen passende Züge aufweist und mithineher einem in personaler Kontinuität verhaltenen reduktionistischenÜbergang aus der Irrealität des Traums in die Realität des Wachseins alseinem die Persönlichkeit selbst verändernden initiatorischen Übertritt ausder empirischen Täuschung des Nichtseins in die gnostische Wahrheitdes Seins gleicht.

35

Page 36: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 36/189

. Der Weltüchtige

So gewiß die als Übergang von Traum in Wachsein vollzogene Einkehr im Sein

eine Rückkehr zum zeitlos vergangenen eigenen Wesen ist, so gewiß erweist sichder ontologische Konversionssprung als quasibiographischer Restitutionsakt.Von der Erscheinungswelt her gesehen, ist diese Rückkehr ins Wesen Einkehr insNichts, aber weil dies Nichts das Nichts der Erscheinungswelt als der Gesamtheitdes Scheins ist, ist es sub specie seines Vollzugs unmittelbar das Wesen. Währendindes so das Subjekt den Sprung ins Nichts vielmehr als reines Zusichkommen,als Rückkehr seiner selbst zu seinem Wesen erkennt, entsteht ihm das neueProblem einer Aufspaltung zwischen ihm, dem durch Einkehr ins Nichts einfachnur zu sich kommenden Selbst und dem, was das Selbst an scheinverbundenerIndividualität und Identität hierbei fahrenlassen muß.

In der sicheren Gewißheit, daß das Sein, dem sie als dem vom anderenSubjekt offenbarten A und O des ganzen Prozesses, der negativitätserfüllt bleibenden, revokativ apriorischen Wahrheit der ganzen Geschichte imontologischen Sprung zustrebt – daß dies Sein die biographische Formdessen hat, was sie in, der Scheinbarkeit ihres präsenten Daseins ge-mäß, zeitloser Vergangenheit selber war, was ihr eigenes Wesen ist –in solch haltgebender Gewißheit kann nun die Oberschicht die für denSprung erforderliche Ablösung vom empirischen Dasein, seine ebensodurchgreifende wie umfassende Fürnichtserklärung, vollziehen. Sichvon den Umständen und Zuständlichkeiten ihres empirischen Daseins

und allen Engagements darin lossagend und zur Nichtigkeit der ganzeninnerweltlich-historischen Sphäre, in der sie sich umtreibt, bekennend,kann die Oberschicht sicher sein, daß unmittelbar hinter dem Nichtigenund für nichts Erklärten das ontologisch Andere, das Sein, ihrer harrt,nicht etwa um sie als das andere, das seinshaft Fremde, zu empfangen

36

Page 37: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 37/189

und sich einzuverleiben, sondern bloß um sie als das eigene, das we-

senhaft Vertraute, zu umfangen und zu sich kommen zu lassen. Abernicht eigentlich hinter dem Nichtigen und für nichtig Erklärten, als nichtsWahrgenommenen harrt das als eigenes Wesen vertraute Sein, sondernes wartet, wie das Reden von Unmittelbarkeit ja bedeuten will, in derNichtigkeit selbst, ist im Nu und Akt der Fürnichtserklärung, im gesetz-ten Nichts des Scheins als solchem gegenwärtig. Eben das leistet ja die biographische Assimilation des die Oberschicht zur Trennung von ihremempirischen Dasein und zur Identizierung mit seinem apriorischenSein sollizitierenden anderen Subjekts, die der Oberschicht jenes aprio-rische Sein als ihr zeitlos vergangenes, eigenes Wesen wahrzunehmenerlaubt, und eben darin besteht ja die Sicherheit, die diese biographischeAssimilation ihr im Blick auf den geforderten ontologischen Sprung ge-währt: daß in der Tat der Tod des einen, des Scheins, in ebenso perfekterGleichsinnigkeit wie Gleichzeitigkeit ist mit dem Leben des andern, demSein, daß also nach dem Vorbild der Rückkehr vom Traum in den Wach-zustand zwischen dem als bloße Erscheinung abgesetzten empirischenDasein und dem als wirkliches Wesen gesetzten apriorischen Sein einals Übergangsprozeß, als wie auch immer iegender Wechsel gar nichtmehr zu begreifender simpler Reduktions- und Restitutionsakt stattndetund deshalb die Negation des empirischen Daseins kurz und bündigmit der Position des apriorischen Seins zusammenfällt, das Nichts derErscheinung schlicht und einfach das wirkliche Wesen ist. Was vorher einSturz ins Bodenlose, in ein ungewisses Übergangs- und Zwischenstadiumscheinen konnte, ein Ereignis, das einerseits zwar bereits die Nichtigkeitdes täuschenden Scheins, andererseits aber noch schlechterdings nichtsvom wahren Sein zum Inhalt hatte, das erweist sich nun, da biographischsichergestellt ist, daß hinter der Erscheinung immer gleich das Wesenharrt, daß in janusköpger Unmittelbarkeit die Abkehr vom Falschenmit der Einkehr ins Wahre, die Umkehr mit der Rückkehr koinzidiert, alsdas gewisseste Zusichkommen, das bruchloseste, einfachste Erwachen.So wahr das Sein, das jenseits des sie voll okkupierenden Scheins ihres

empirischen Daseins die Oberschicht anstrebt, ihr eigenes, zeitlos vergan-genes, und das heißt nicht am chronologischen Maßstab des illusorischprozessualen Vergehens, als das sich ihr Dasein herausgestellt hat, zumessendes Wesen ist und so wahr sie ihr Wesen exakt so lange als Sein hatoder wirklich ist, wie sie noch nicht in der Eigenschaft des historischen

37

Page 38: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 38/189

Subjekts von ihm abgefallen ist und sich noch nicht in das als Negation

des Seins fortlaufende Vergehen ihrer empirischen Illusion verwickelt hat,so wahr ist die als Negation des Negativen begreiiche Absetzung undFürnichtserklärung dieses scheinhaften Daseins ebenso konsubstantiellsynonym wie koinzidentiell synchron mit der Wiedereinsetzung und alsPosition des Positiven restituierten Gegenwart jenes wesenhaften Seinsselbst.

Allerdings ist das wesenhafte Sein, dessen sich so die Oberschicht imunmittelbaren Effekt oder implikativen Gleichsinn der Fürnichtserklä-rung ihres scheinhaften Daseins gewiß sein kann, ist das als Negationdes Negativen umstandslos sich ergebende und wie Erwachen aus Traum

geschehende Positive auch wesentlich nur in negativer Form und nämlichpartout nur in der Bedeutung des an die Stelle des scheinhaften Daseinsgesetzten oder getretenen reinen Nichts zu haben. Eben deshalb, weilnicht die täuschende Erscheinung, sondern das im diametralen Gegenteilwirkliche Wesen, nicht der historische Schein, sondern das in absoluterVerschiedenheit apriorische Sein der Standpunkt oder Zustand ist, dendie Oberschicht mit ihrem als biographischer Restitutionsakt sicherge-stellten ontologischen Konversionssprung anstrebt, ist nun aber auchfür die mit Haut und Haar an der täuschenden Erscheinung Hängende,mit Leib und Seele im historischen Schein Befangene das Angestrebte

rein durch nichts an der Erscheinung beziehungsweise, aktiv betrachtet,durch rein nichts als durch deren durchgängige Negation, mithin, objek-tiv begriffen, als das reine Nichts des Scheins bestimmt. Jeder Versuch,das angestrebte Wesen positiv zu bestimmen, es jenseits der Erscheinungals Existenz sui generis erscheinen, es außerhalb des Scheins und freivon ihm als das für sich seiende andere, das sich präsentierende Wesenzur Vorstellung kommen und anwesend sein zu lassen, liefe wegen ihrervollständigen und in toto allererst abzuwerfenden Scheinbefangenheitfür die Oberschicht darauf hinaus, Elemente der Erscheinung zu We-sensmerkmalen zu erheben, Scheinmomente als Bestandteil des Seins

zu hypostasieren, mithin den wie immer biographisch abgesichertenontologischen Sprung so zu konterkarieren, daß aus dem Übergang eineÜberführung, aus dem uchtartigen Transit vom einen in den anderenZustand ein wohnwechselförmiger Transfer des einen in den anderenwürde, ihn also in der Weise zu unterlaufen, daß das von ihr als ihr

38

Page 39: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 39/189

eigenes Wesen angestrebte apriorische Sein sich auf eine bloße, eben-

soviel tatsächliche Kontinuität wie scheinbare Diskretheit beweisendeProjektion ihres empirischen Daseins reduzierte. Von der Erscheinungher gewahrt, sub specie des Scheins betrachtet, ist das Wesen absoluteNegation, ist das Sein Nichts, ist es das die Erscheinung rein Ausschlie-ßende, den Schein unendlich Negierende, etwas, an dem einzig undallein dies, daß es großgeschriebenes Nichts ist, darauf hinweist, daß esnicht einfache Mangelerscheinung, nicht in der Absenz des Scheins sicherschöpfende Fehlanzeige, sondern daß es vielmehr scheinloses Sein, imunendlichen Urteil von der Erscheinung befreites reines Wesen ist.

Diesem Nichts verschreibt sich nun die Oberschicht in der festen Über-zeugung oder vielmehr sicheren Gewißheit, nicht nur das apriorischeSein des anderen Subjekts darin zu haben, sondern auch und zugleichihr unmittelbar eigenes Wesen in ihm wiederzunden. Sie negiert ihrganzes empirisches Dasein und erkennt in dieser umfassenden Negationihres Daseins ihr einzig wahres Sein, ihr neualtes Wesen. Sie will vonder innerweltlichen Erscheinungssphäre partout nichts mehr wissen,und zwar in der afrmativ totalisierten Bedeutung, daß sie nurmehr undausschließlich vom Nichts der Erscheinungssphäre etwas wissen will.Sie wendet sich vom umgebenden Schein ab, erklärt ihn für nichtig, undndet sich dem sie statt dessen umgebenden Nichts an Schein als ihremsie reklamierenden Existential übereignet. Für sie, die in der Ablösungs-kampagne, in der Vernichtungsaktion Begriffene ist dabei das, was sie tut,keine ihre Identität afzierende, sie selbst verändernde Aktivität, sondernist einfaches, auf dem Fleck vollzogenes Zusichkommen, einfache, in acturealisierte Bewußtwerdung dessen, was sie ist. So gewiß das apriorischeSein, in dem sie ihr eigenes Wesen erkennt, ihr bereits als das Resultatihrer Ablösung vom empirischen Dasein, als das Nichts des Daseins,das sie von sich wirft, vor Augen steht, so gewiß ist ihre Einlassungin das Nichts beisichbleibendes Zusichkommen, simple, ihre Identitätwahrendes Erwachen aus der Person, die sie zu sein scheint, zu demSubjekt, das sie in Wirklichkeit ist.

Anders allerdings und für ihre Identität bedrohlicher stellt sich dieSache für sie dar, soweit sie noch ganz oder halbwegs in dem empiri-schen Dasein, das sie im Begriff steht, von sich zu werfen, befangen,noch nicht voll in der Ablösungskampagne engagiert, nur erst per Ab-sichtserklärung in die Vernichtungsaktion eingetreten ist. Ihr, der noch

39

Page 40: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 40/189

halbwegs oder ganz ans empirische Dasein Gewöhnten, im Gebrauch

der Erscheinungen dieser Welt Verhaltenen, in ihren Genuß Versunke-nen, tritt, während sie sich aufgerufen ndet, an die weltverneinendeBewegung Anschluß zu gewinnen, ebenso einhaltgebietend wie schre-ckenerregend vor Augen, daß jenes in der Negation des empirischenDaseins bestehende Zusichkommen, jenes wesenhafte Erwachen ebenso-wohl eine Trennung von sich, einen Selbstverlust impliziert und nämlichauf die Aufgabe dieser empirischen Person und historischen Individua-lität hinausläuft, die sie zur Zeit noch ist oder jedenfalls mit aller durchden Habitus des Gebrauchs und die Gewohnheiten des Genusses aus-gebildeten Unabweisbarkeit zu sein scheint. So, wie sie unmittelbar istoder zu sein scheint, hängt die Oberschicht am empirischen Dasein, stehtund fällt sie mit ihm, ndet sie an den innerweltlichen Erscheinungenihren motivationalen Widerhalt, hat sie an der Sphäre des geschichtlichenScheins ihren habituellen Bestimmungsgrund. Verwirft sie das empirischeDasein, reißt sie sich von der Erscheinungswelt los, so entzieht sie auchund entschieden dieser an die Erscheinungswelt gebundenen empiri-schen Person und historischen Individualität den Boden, trennt sich vonihr und stürzt sie in dasselbe als Wesen angenommene Nichts, dessen siedie Erscheinungswelt überführt.

Im Vorfeld oder vielmehr im Zuge, aber nicht eigentlich im Zuge, son-dern eher im Verzug ihres intendierten Seinswechsels oder ontologischenSprungs sieht sich mithin die Oberschicht einer identitätspraktischenVeränderung oder Selbstreduktion ausgesetzt, die geeignet ist, sie an Sinnund Vernunft der ganzen weltüchtig-wesensorientierten Unternehmungzweifeln zu lassen. Wohlgemerkt, nicht etwa daran zweifeln zu lassen,daß es für den zur Weltverneinung Entschiedenen, zur WesentlichkeitEntschlossenen sinnvoll und vernünftig ist, das empirische Sein von sichzu werfen und sich dem reinen Nichts anheimzugeben, als das ihm subspecie des empirischen Daseins der Standpunkt des anderen Subjekts, auf den er sich stellen möchte, entgegentritt. Angst vor dem Nichts muß sienicht mehr haben, als einen unabsehbaren Sprung ins Nichts muß sie den

Übertritt zum Standpunkt des anderen Subjekts nicht mehr fürchten, seitihre Überlegungen zum Verhältnis von historischem Schein zu apriori-schem Sein, vom irrealen Vergehen der Geschichte zur bleibenden Realitätdes Ursprungs ihr klargemacht haben, daß jener als Nichts sich ihr prä-sentierende andere Standpunkt in Wahrheit nichts als ihr eigenes Wesen

40

Page 41: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 41/189

ist. Seitdem sie unterscheiden gelernt hat zwischen sich als dem vom

Sein abgefallenen und dem Schein verfallenen Träger der Geschichte undsich als dem in solcher Scheinverfallenheit bloß selbstvergessenen undhalluzinatorisch sich selbst entfremdeten Teilhaber an jenem apriorischenSubjektstatus, von dem sie mittels historischer Trägerschaft abgefallen ist,darf sie sicher sein, daß für sie in ihrer selbstvergessenen Teilhaberschaftdie Verwerfung der geschichtlichen Erscheinungen oder Abkehr vomSchein, kurz, die Preisgabe ihrer historischen Trägerschaft, gleichbedeu-tend ist mit einer einfachen Rückkehr zu sich selbst, zusichkommendesErwachen und nichts sonst ist.

Um so mehr Zweifel aber müssen sie, die in der historischen Träger-schaft halbwegs oder ganz noch Befangene, anwandeln, ob sie klug bera-ten oder es opportun für sie ist, sich zu jener teilhaberschaftlich wesens-orientierten, weltüchtigen Einstellung überhaupt zu entschließen unddie selbstreduktiven, auf empirische Entpersönlichung und Verlust derhistorischen Individualität zielenden Konsequenzen auf sich zu nehmen,die für sie in ihrer innerweltlichen Befangenheit jener Beschluß impliziert.So wahr die Entscheidung, sich dem apriorischen Wesen zuzuwenden,die Abkehr von der Fülle des empirischen Daseins bedeutet, so wahrimpliziert sie für die Entschiedene ebensosehr und zugleich den Abschiedvon all den individuellen Verhaltensweisen oder Lebensformen, mit de-nen sie sich aufs empirische Dasein bezieht, und von den sämtlichenEinstellungen oder Gewohnheiten, mit denen sie den Erscheinungen je-nes Daseins verhaftet ist, mithin aber eine sie, die in diesen Lebensformenvorläug noch Befangene, heimsuchende Identitätsveränderung größtenAusmaßes, eine sie, die mit diesen Gewohnheiten nachhaltig noch Be-faßte, ereilende Selbstreduktion unabsehbarster Konsequenz. Angesichtsder Radikalität, mit der sie im Zuge ihres Entschlusses, der Welt derErscheinungen den Rücken zu kehren und nichts als das wesentlicheSein sich vorzunehmen, zugleich aufhören muß, das zu sein, was sieals ihre im Gewahrsam der Erscheinungswelt entwickelte individuellePersönlichkeit, ihre im Umgang mit dem Schein ausgebildete empirische

Subjektivität weiß und erfährt, fragt sie sich voll widerstrebenden Zwei-fels und voll aufsässiger Sorge, ob sie in der solchermaßen Entschlossenenüberhaupt noch sich, so wie sie ist oder scheint, wiedernden, über-haupt noch sie selbst nach Maßgabe ihrer jetzigen Selbsterfahrung seinkann oder ob sie nicht die Sichselbstgleichheit, die sie im ontologischen

41

Page 42: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 42/189

Sprung behauptet, mit der Abstraktheit und Selbstentfremdung, in die

sie als Springende sich versetzen muß, teuer bezahlt beziehungsweiseob sie nicht den ontologischen Sprung als einen Sprung ins Nichts undunendlichen Selbstverlust nur um den Preis auszuschließen vermag, daßsie ihn im Sinne einer identitätslogischen Aufspaltung an sich selbervorwegnimmt und nämlich als conditio sine qua non für die Erlangungder nötigen Mobilität und Sprungkraft in entfremdeter Selbstherrlichkeitan der eigenen Person vollzieht.

Ihren äußeren Ausdruck ndet die Aufspaltung in wesenhaftes Selbst und em- pirische Person darin, daß sich die Oberschicht in wenige Wesensentschlosseneund viele Zögerliche zerlegt, denen die Tatsache, daß ihnen das wesenhafte Selbstin der fremden Gestalt der Entschlossenen gegenübertritt, als Bestätigung ihrer Angst vor einem mit der Wendung zum Wesen verknüpften Identitätsverlust er-scheint. Das Gros der Artgenossen bleibt zurück und überläßt dem Vorauseilen-den die Entscheidung, ob und wie er sich zu den Zurückbleibenden verhalten soll. Auch wenn die Mitwirkung der Säumigen für die Fortsetzung der Weltuchtnicht konstitutiv ist, geht doch von ihrer Säumigkeit ein gewisser hinderlicherSog aus; um die Säumigen anzutreiben, gibt ihnen der Vorauseilende deshalbnoch einmal das Beispiel der weltüchtigen Entschlossenheit, die er an und fürsich bereits bewiesen hat.

Nicht also zwar Angst vor dem, was nach der Verwerfung des empi-rischen Daseins als dessen erklärtes Nichts auf sie zukommt und als ihrWesen anerkannt sein will, um so mehr aber Angst um das, was sie in derVerwerfung des empirischen Daseins an daseinsbedingter Persönlichkeitund empirischer Individualität preisgeben und einem wesensorientiertabstrakten Selbst aufopfern muß, ergreift die als diese empirische Personnoch halbwegs oder ganz am Dasein hängende, als dieses spezischeSubjekt noch unmittelbar sich zum Dasein verhaltende Oberschicht, da siesich zur Entscheidung als zum Abschied von diesem zur gleichen Nich-

tigkeit wie das Dasein im ganzen verurteilten Teil ihrer selbst aufgerufenndet. Und diese weniger antizipierende als relativierende Angst, dieseAngst nicht sowohl vor ihrer künftigen Beziehung zum wesenhaftenSein als vielmehr um ihre von der Beziehung ausgeschlossene bisherigeVerhaltenheit im wesenlosen Schein, diese Angst wird dadurch nicht

42

Page 43: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 43/189

geringer, sondern nur noch größer, daß die Oberschicht jene gefürchtete

identitätslogische Aufspaltung, der sie, die am Dasein mehr oder minderHängende, in seinen Erscheinungen halbwegs oder ganz Befangene,sich konfrontiert sieht, nun nicht etwa bloß nach Art einer quasi innerenEntscheidung, einer von ihr in toto oder als einheitlicher Person zu er- bringenden selbstnegierenden Abstraktionsleistung vor sich hat, sondernmehr noch in der äußeren Gestalt eines von einzelnen Momenten ihrerselbst ihr zum Trotz gefaßten und ihr entgegen in die Tat umgesetztenEntschlusses vorgeführt bekommt. Während sie als Gruppe, sie als dasGros der Oberschicht noch vor der Entscheidung zum Eintritt in dasdaseinsnegierende Wesensverhältnis zurückschreckt und sich in Angst

verzehrt nicht zwar vor dem, was sie im Nichts des Daseins qua Wesenerwartet, wohl aber um das, was sie zuvor an eigener Persönlichkeit undsie ausmachender Individualität fahrenlassen und für nichts erachtenmuß – während sie im großen ganzen also noch unentschieden zaudert,ergreifen einzelne, weniger am empirischen Dasein hängende, wenigerstark von seinen Erscheinungen gefesselte Mitglieder der Schicht dieInitiative und machen sich kurzentschlossen auf den daseinsverneinen-den, weltüchtigen Weg in das großgeschriebene Nichts, das das Seinist, das ihr Wesen ist. Sie, die einzelnen, die ein biographischer Zufall –desillusionierende Krankheits- und Leidenserfahrungen, die von Standes

wegen genährte Sucht, sich um jeden Preis vor anderen auszuzeich-nen, ein zum abstraktiv disponierten Charakter sich niederschlagendesTriebschicksal, eine auf andere Weise nicht zur Geltung zu bringendeübermäßige Willens- und Tatkraft – in ein distanzierteres beziehungswei-se reservierteres Verhältnis zum empirischen Dasein versetzt und denGewohnheiten, die es begründet, weniger verhaftet beziehungsweise denBefriedigungen, die es gewährt, weniger verfallen sein läßt, sie, denendeshalb auch der mit der Preisgabe des empirischen Daseins einhergehen-de Verlust der am gewohnten Leben klebenden, in seine Bedürfnis- undBefriedigungsstrukturen eingebetteten eigenen Person und ausgebildeten

Individualität weniger bedrohlich erscheint, weniger Kopfzerbrechenoder Bauchschmerzen bereitet als den übrigen, sie also lösen sich aus demGros, setzen sich an seine Spitze und tun eben das, was an sich auch dasGros aufgerufen ist zu tun: sie kündigen dem empirischen Dasein dieGefolgschaft auf, wenden sich von seinen Erscheinungen ab und machen

43

Page 44: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 44/189

sich auf den Weg in jenes Nichts des Scheins, das das Sein und ihnen das

Wesen ist.Und indem das geschieht, wird nun aber diese weltüchtig vorpre-schende Motion, dies Sich-an-die-Spitze-setzen einzelner für die im empi-rischen Dasein zurückbleibende, an der gewohnheitsmäßigen Observanzseiner Erscheinungen festhaltende Majorität zu einer Absetzbewegung,in deren Verlauf ihr jene identitätslogische Aufspaltung, vor der sie vorallem Angst hat, jenes wie nichts gefürchtete interne Zerfallen ihrer selbstin das im Verfolg seiner wesentlichen Bestimmung vom empirischenDasein sich lösende Selbst einerseits und andererseits die empirisch be-stimmte, wesenlose Person, deren das Selbst sich entkleidet und die esals leere, am Dasein klebende Hülle verwirft und zurückläßt, als äußeresfactum brutum ebenso anschaulich wie abscheulich vor Augen tritt. Ge-nau die Dynamik eines von Angst um die eigene Person und empirischeIndividualität geprägten Zurückschreckens vor der als Verwesentlichunggeforderten Selbstwerdung, das die letztere aller mitreißenden Konti-nuierlichkeit und identitätspraktischen Selbstverständlichkeit beraubtund im Lichte einer refutativen Verlustaktion und abstraktiven Entfrem-dungskampagne erscheinen läßt, die nun ihrerseits der Angst erst ihrenGegenstand gibt und dem Zurückschrecken seinen Grund liefert – ge-nau diese, von der Oberschicht insgeheim bereits antizipierte Dynamikeiner spalterischen Selbstentfremdung des Subjekts, die im Sinne einerfür die eigene Erfüllung Sorge tragenden Prophetie Produkt der Zö-gerlichkeit ist, die der Angst vor ihr entspringt – genau sie nimmt inder Figur der entschlossen vorauseilenden einzelnen eine nicht wenigersozial relevante als sinnenfällige Gestalt an und zerreißt die Oberschichtin die zunehmend disparateren beiden Bestandstücke dort des, wie vonallem empirischen Dasein, so auch von aller daseinsbedingt empirischenIndividualität sich zu lösen und ins Nichts einzutreten entschlossenen,abstraktiv wesentlichen einen und hier der dadurch auf die empirischeIndividualität zurückgeworfenen und zu ihr als wesenlosem Konkre-tum, als vernachlässigenswertem Rückstand ebensosehr verurteilten, wie

auf sie als auf ihre unverzichtbare Eigenheit, ihre persönliche Identitätvereidigten vielen. Was die im Dasein retardierte, in den Gewohnheitenihres Lebens befangene Oberschicht mit jenem weltüchtig avancierteneinzelnen vor sich hat, ist eben das ihr entfremdete, ihrer Gewohnheitenund Interessen nicht achtende, mit ihr als empirischer Person kurzen

44

Page 45: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 45/189

Prozeß machende, abstraktiv wesensorientierte Selbst, dessen antizipiert

bloße Möglichkeit bereits sie auf den Fleck ihrer afrmativen Angst umsich, um ihre wesenlose Identität, um diese ihre der Selbstnegation ver-fallende empirische Person bannte und das nun, da ihm solch lähmendeAngst der im Dasein Befangenen die Gelegenheit verschafft hat, Wirk-lichkeit zu werden und als objektiv fremde Macht sich abzusetzen undhervorzutreten, sie, die Befangene, vollends zurückwirft und nämlichin der angesichts seiner abstraktiven Verschiedenheit oder disjunktivenFremdheit augenscheinlich nur zu gegründeten Angst und Sorge um ihrewesenlos empirische Identität endgültig zu arretieren Miene macht.

Die Majorität der Oberschicht ndet sich demnach durch ihre gehei-me Angst um sich als daseinsbestimmte, empirische Individuen in einregelrechtes Dilemma verstrickt, um nicht zu sagen in einen klassischenTeufelskreis gebannt: Damit sie ihrer Angst Herr werden und sie über-winden könnte, müßte sie jene Entschlossenheit und Zielstrebigkeit imweltüchtig wesenhaften Selbstsein annehmen, die ihr der beherzt vor-auseilende Artgenosse vormacht; aber eben deshalb, weil der Artgenossevorauseilt, während sie durch die Angst um ihre personale Identität, ihreempirische Individualität zurückgehalten wird, gewinnt für sie das inihm verkörperte weltüchtig wesenhafte Selbst eine Fremdheit und Ab-straktheit, die ihr den Fortgang zu ihm und das ihm eigene Procedere erstrecht als den befürchteten Fall von radikaler Selbstabspaltung und darinimpliziertem totalem Identitätsverlust vorstellig werden läßt und damitihrer Angst um sich hinlänglich Nahrung gibt, sie hinlänglich substanti-iert, um sie vollends unüberwindlich zu machen. Mit dem entschlossenwesensbestimmten Aufbruch einzelner Weltüchtiger konfrontiert oderdiesen auf den Weg der Daseinsverneinung sich machenden einzelnen,genauer gesagt, im Rücken, kann die vom Dasein noch zurückgehalteneund im Blick auf das weltüchtige Procedere ohnehin schon von Angstum ihre empirische Identität erfüllte Majorität der Oberschicht sich unterdem lähmenden Eindruck der ihre schlimmsten Befürchtungen bestä-tigenden abstraktiven Entfremdung und reduktiven Entpersönlichung

der Aufgebrochenen weniger denn je zum Aufbruch entschließen undverharrt, wo ihre Angst vor dem Identitätsverlust sie unüberwindlichfesthält: im Bannkreis der ihre Person bildenden empirisch-kreatürlichenBedingtheiten, in der Observanz ihrer sie als Individuum ausmachendenhistorisch-kultürlichen Gewohnheiten. Dem im einzelnen Artgenossen

45

Page 46: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 46/189

gestaltgewordenen wesensorientierten Selbst gegenüber, das sie eben-

sosehr in abstracto als ihr eigenes gelten läßt, wie sie es in concreto alsihren abstraktiven Widerpart ablehnt, das sie ebensosehr pro forma sei-nes weltüchtigen Sollens gutheißt, wie sie sich ihm pro materia ihresweltsüchtigen Habens verweigert – diesem Selbst gegenüber oder viel-mehr hinter ihm her tut sie kund, daß sie ihm nicht zu folgen vermöge,und zwar nicht etwa, weil sie sich ihrem Status quo, ihrer empirischenIndividualität aktiv-behauptend verbunden fühle und deshalb unbedingtan ihr festhalten müsse, wohl aber, weil sie ihrer empirischen Individua-lität passiv-resignierend verfallen sei und sich aus solcher Hörigkeit umkeinen anderen Preis als den des völligen Identitätsverlusts losreißen

könne. Sie erklärt sich für bewegungs- und handlungsunfähig, zieht sichauf ihre Schwäche und Scheinverfallenheit als auf ein unüberwindlichesTrägheitsmoment und Problem zurück und überläßt in widerständigerPassivität ihm, dem Vorauseilenden, das Gesetz des Handelns, über-läßt ihm, der eben durch sein Vorauseilen seine Entschluß- und Tatkraft,seinen unbesorgten Aktivismus pro domo des Wesens unter Beweis ge-stellt hat, ob und wie er zu der zwischen ihm und ihr aufgerissenenidentitätslogischen Kluft sich stellen, ob und wie er seinen zielstrebigweltüchtigen Lauf unterbrechen, zu ihr sich zurückwenden, in ihrerSchwäche ihr beispringen, sie mit sich fortreißen, in seine daseinsvernei-

nende Perspektive, sein wesenhaftes Selbstsein hinübergeleiten soll.Sie überläßt ihm die Entscheidung, aber tatsächlich setzt sie ihn durchihr entscheidungsunfähiges Beharren, ihre angstdiktiert widerständigeTrägheit massiv unter Druck, nötigt ihn geradezu, in seinem Weltucht-geschäft innezuhalten und ihr den angezeigten Samariterdienst zu leisten:ihr nämlich die lähmende Angst um die eigene empirische Person zunehmen und das abstraktiv wesensbestimmte Selbst, das er ihr vorführt,als eine mit ein bißchen gutem Willen, mit einem Minimum an Entschluß-kraft auch für sie erreichbare Perspektive nahezubringen. Unter Druckgerät er, weil er sich in seiner weltüchtigen Bewegung bislang mit ihr im

Einklang und von ihrer Solidarität getragen wähnte und nun plötzlich,da ihre daseinsokkupierten Stimmen aus wachsender Ferne an sein Ohrdringen, der ihn umgebenden Leere und Einsamkeit inne wird, plötzlichgewahr wird, wie sehr auf eigene Faust und gesellschaftlich isoliert er seindaseinsverneinendes Geschäft tatsächlich betreibt. Er erfährt die zwischen

46

Page 47: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 47/189

ihm in seiner exponierten Stellung und der Majorität in ihrem angstdik-

tierten Beharren aufreißende und sich gleichermaßen verbreiternde undvertiefende Kluft als ein Vakuum, dessen Ursache das Zurückweichender Majorität vor der gemeinsamen Aufgabe, ihre Desertion vom projek-tierten Sollen ist und von dem deshalb eine ihn in seinem Vorankommen beeinträchtigende Gegenwirkung, ein nach rückwärts gerichteter Sogausgeht. Durch ihr von Sorge um die eigene Person bestimmtes Festhaltenam gewohnten Dasein sich aus seinem Verneinungsprojekt zurückzie-hend und nach Maßgabe des Progresses, den er darin macht, automatischvon ihm distanzierend, übt die Majorität auf den Weltüchtigen kraftder Leere, die sie, sich ihm entziehend, um ihn verbreitet, eine als Ent-zugserscheinung verstehbare Anziehung aus, die als Zugzwang nachhinten einen diametralen Gegensatz zu seinem weltüchtigen Vorwärts-drängen, seiner die Erscheinungen verneinenden Wesensorientierung bildet. Von der Majorität im Stich gelassen, fühlt sich der Weltüchtigehin- und hergerissen zwischen der objektiven Forderung, seinen Wegunbeirrt fortzusetzen, und dem subjektiven Bedürfnis, hierfür die quasolidarisches Miteinander und intentionale Gleichsinnigkeit geeignetstenVoraussetzungen wiederherzustellen.

Nicht etwa, daß die Mitwirkung der vor Ort ihrer persönlichen In-volvierung im Dasein festgehaltenen Majorität für den weltüchtigenProgreß des Vorwärtsdrängenden konstitutiv wäre! Weil das, was erqua Weg zum Wesen zu vollbringen hat, kein Positivum, kein in dieWelt zu setzendes Werk impliziert, sondern rein negativer Natur ist undnämlich auf nichts als auf die Verneinung des Daseins mit allen zu ihmunterhaltenen Bezügen, mithin einfach nur auf den eigenen Austritt ausder Welt hinausläuft, braucht der Vorwärtsdrängende kein konstrukti-ves Zusammenwirken mit den anderen, sind Kooperation, gemeinsameAnstrengung kein für die Erfüllung seiner Aufgabe unabdingbares Er-fordernis und kann er vielmehr sein destruktives Geschäft, wenn er nurwillensstark und entschlossen genug ist, in selbstmächtiger Einsamkeit,großartiger Isolation verrichten. Immerhin aber ist er beim Antritt seines

Wegs zum Wesen von einer nicht bloß theoretischen, sondern durchauspraktischen Allgemeinverbindlichkeit der den Weg weisenden Resoluti-on ausgegangen, hat er sich also beim Aufbruch von der Überzeugungtragen oder beügeln lassen, daß, was er tut, das Tun aller, eine mindes-tens seine Klasse, die Oberschicht, umfassende solidarische Aktion sei

47

Page 48: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 48/189

– und insofern ist die Wahrnehmung, daß die Majorität stillschweigend

vom vermeintlich gemeinsamen Vorhaben Abstand genommen hat, sichvoll Angst um ihre empirische Individualität, ihre persönliche Identitätans Dasein klammert und ihn bei seinem weltüchtigen Geschäft alleinläßt, eine nach Maßgabe der sozialen Reorientierung und emotionalenUmstellung, die sie ihm neben seiner Aufgabe der Daseinsverneinungabverlangt, irritierende und okkupierende, in seiner Resolution ihn be-einträchtigende, von seiner wesentlichen Tätigkeit ihn ablenkende Erfah-rung. Sowenig für den vom einzelnen Weltüchtigen zurückzulegendenWeg zum Wesen die Mitwirkung der anderen konstitutive Bedeutung beanspruchen kann, so sehr wirkt sich doch aber das als Aufkündigung

vermeintlicher Gefolgschaft oder als Zerstörung mutmaßlichen Gleich-klangs von ihm bemerkte Fehlen dieser Mitwirkung nachteilig auf seinVorhaben aus, indem es ihn, den Weltüchtigen, in der oben als Sog beschriebenen Weise in die Reexivität der kraft Weltverhaftung Zu-rückbleibenden verwickelt, zum wie sehr auch widerstrebenden undkursorischen Nachdenken über ihre Bedenklichkeiten, ihre aus persön-licher Involviertheit geübte Zurückhaltung nötigt und damit von seinereigentlichen Aufgabe, seinem wesentlichen Geschäft wenn schon nichtin der Bedeutung einer im Eifer der Reexion ausgeführten komplettenKehrtwendung, eines aus dem bedachten Bedenken heraus vollzoge-

nen Rücktritts abbringt, so immerhin doch im Sinne einer Einbuße anKonzentration und eindeutiger Zielstrebigkeit, einer ständigen halbenBeschäftigung mit dem, was hinter ihm vorgeht oder vielmehr auf derStelle tritt, ablenkt.

Gewiß kann er sich gegen diese, seine Konzentration aufs Wesentliche beeinträchtigende, reexive Okkupation mit dem, was er an sich hintersich hat und was als ein sie nicht loslassendes Problem die Majorität ihmin soghaft paradoxer Gegenläugkeit zu ihrer wachsenden Retardationnachzutragen und aufzudrängen tendiert, verwahren, kann er sich gegenden Strudel der existentiellen Vorbehalte, die aus dem Hinterhalt jener

Retardation gegen ihn anbranden und im Zurückuten ihn in ihre angst-diktiert unendliche Kreiselbewegung hineinreißen wollen, anstemmen,kann er sich mit aller Macht und voller Kraft von der Betrachtung derdie Majorität lähmenden Bedenken, von der Rücksicht auf ihre sie zurUnentschlossenheit verhaltenden persönlichen Widerstände loszureißen

48

Page 49: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 49/189

streben, um mit wiedergewonnener ganzer Resolution, mit der Entschie-

denheit des par excellence wesensbestimmten Selbst in seinem Geschäftder Daseinsverneinung fortzufahren. Aber lieber – weil weniger kraftauf-wendig, weniger von heroischer Gewaltsamkeit gezeichnet – ist es ihmschon, wenn er die hinter ihm aufreißende und in actu des Aufreißenseine Sogwirkung entfaltende Lücke, statt sie durch die Vollendung derTrennung, durch das endgültige Zerreißen allen Zusammenhangs mitGewalt aus der Welt schaffen zu müssen, vielmehr dadurch beseitigenkann, daß er sie schließt und kraft Mobilisierung der Majorität, kraftihr geleisteter Hilfestellung die ursprüngliche Gemeinsamkeit in derweltüchtigen Motion, die alte Einmütigkeit in der Option für das alsdas Nichts des Daseins perennierende Sein des anderen Subjekts, dasin Wahrheit das eigene Wesen ist, wiederherstellt. Gelingt ihm, der inRichtung Wesen vordrängt, das um das Problem des Identitätsverlustskreisende Bedenken der Zurückgebliebenen zu zerstreuen, schafft eres, ihnen über die Entäußerungs- und Entfremdungsängste, von denensie zurückgehalten werden, hinwegzuhelfen und sie Anschluß an seineavancierte Position wesensbestimmten Selbstseins gewinnen zu lassen,so hat er, ohne sich von ihnen gewaltsam loszureißen, sich gegen sieabstraktiv isolieren zu müssen, den in ihnen bestehenden irritierendenStörfaktor beseitigt und kann auf der Grundlage ihrer reafrmiertenoder vielmehr aus der Vermeintlichkeit in die Wirklichkeit überführtenTeilhabe jene volle Konzentration für die Daseinsverneinung und unein-geschränkt weltüchtige Resolution aufbringen, von deren Entfaltungsie ihn abhalten, solange sie ihn mit der soghaften Sabotage, die ihreängstliche Reserve de facto für ihn bedeutet, widerstreben.

Und warum sollte es ihm nicht möglich sein, sie von dieser ihrer derVerlustangst, der Sorge um die empirische Person entspringenden Reser-ve zu befreien und ihnen die für den Gleichschritt mit seiner weltüchti-gen Motion erforderlichen Beine zu machen? Schließlich hat ja das, woransie als an ihre unverzichtbare empirische Individualität sich klammernoder was vielmehr als ihre unabdingbare persönliche Identität sie festhält

und ihnen den Weg zum wesensbestimmten Sein verlegt, er selbst bereits– nach Maßgabe seiner im Verhältnis zu ihnen avancierten Position in derVerneinung des Daseins – hinter sich gebracht und abgeschüttelt. Undschließlich ist er, so gesehen, ein lebendes, wo nicht gar leuchtendes Ex-empel dafür, daß es mit der Unverzichtbarkeit der Individualität, an der

49

Page 50: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 50/189

sie hängen, mit der Unabdingbarkeit der Identität, die sie nicht losläßt,

nicht gar so weit her sein kann. Was die Majorität als ihre empirisch einge-eischte Bedürfnisstruktur und Bedingtheit, ihre historisch ausgebildeteVerhaltensform und Gewohnheit nur um den Preis des völligen Identi-tätsverlusts, mithin nur im Sinne eines Opfers der eigenen Person glaubt,fahrenlassen zu können, und was sie eben deshalb meint, partout festhal-ten zu müssen, das hat offenbar er, der einzelne Weltüchtige, mühelosund ohne jedes Gefühl des Identitätsverlusts von sich geworfen, ist er, derentschlossen Vorwärtspreschende, leicht und ohne jede Erfahrung einesumfänglich persönlichen Opfers los geworden. Sollte er da nicht imstandesein, ihnen, den Zurückbleibenden, das gute Beispiel, mit dem er voran-gegangen ist, noch einmal eigens zu geben, das an sich schon von ihmVollbrachte für sie, die Verzagten, vorbildliche Wirklichkeit werden zulassen, um ihnen durch solch exemplarische Wiederholung die Kraft zurNachfolge, den Mut, es ihm nachzutun, einzuößen? Jene historischenGegebenheiten und empirischen Gewohnheiten, die er an sich bereitsabgeworfen, von denen er sich eigentlich schon losgemacht hat – sie mußer ostentativ noch einmal ablegen, von ihnen muß er sich demonstrativnoch einmal lossagen, um sie der säumigen Majorität als das Partikulare,das man ohne Identitätsverlust abstreifen, als das persönliche Beiwerk,von dem man sich ohne Selbstverlust lösen kann, vorzuführen. Müssendie Zögernden nicht, wenn sie auf diese Weise vorexerziert bekommen,daß sie mit ihrer Angst um die vermeintliche Identität bloßen, unschwerverzichtbaren Partikularitäten aufsitzen, daß sie mit ihrem Hängen an derangeblich eigenen Person nichts als entbehrlich maskenhaftes Beiwerkfetischisieren, ihr Widerstreben aufgeben und sich zu jener avanciertenPosition als zu ihrem in Wahrheit eigenen Selbstsein bequemen?

50

Page 51: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 51/189

Entgegen dem Nachfolgeeffekt, den der Weltüchtige sich von seiner beispielhaft

vorgelebten Verzichtshaltung erhofft, bestärkt diese die Zögernden nur noch inihrer Reserve, zumal die Entsagung in dem Maße gewaltsame Züge annimmt,wie der Weltüchtige entdecken muß, daß die weltlichen Bindungen, die erbereits überwunden zu haben glaubt und deren Auösung er nur noch einmalbeispielgebend vorführen will, ihm nach wie vor zu schaffen machen und seinerweltüchtigen Motion in die Quere zu kommen drohen. Teils gewalttätig, mitFeuer und Schwert, teils beharrlich, mittels Zermürbungstaktik, sucht er seinetrieb- und gewohnheitsmäßigen Bindungen an die Welt auszurotten und ver-wandelt sich dabei aus einem Nothelfer und paradigmatischen Befreier in denSelbstsucher und eigensüchtigen Asketen.

Da er sich nun aber daranmacht, im Verzicht auf empirische Gewohn-heiten und in der Absage an persönliche Bedürfnisse der Majorität einBeispiel zu geben oder vielmehr das gute Beispiel, mit dem er an sichihr vorangegangen ist, eigens für sie noch einmal in die paradigmatischeTat umzusetzen, hat sein vorbildliches Agieren nicht den gewünsch-ten Erfolg oder vielmehr einen völlig anderen als den geplanten Effekt.Indem er sich demonstrativ leibliche und geistige Befriedigungen ver-sagt, ostentativ den Genuß von Nahrung verachtet, sexuelle Bedürfnisseunterdrückt, liebgewordene Gewohnheiten ablegt, soziale Bindungenlöst, Streben nach Ruhm und Ansehen verwirft, seinen Besitz weggibt,kurz, öffentlichkeitswirksam Entsagung übt, taugt sein Tun höchstensund nur dazu, bei der Majorität, die ja in eben diesen Genüssen undBefriedigungen, in eben diesen Bedingungen und Gewohnheiten, in ebendiesen Intentionen und Okkupationen sich persönlich am Werk undihre Individualität am Leben gewahrt, den mit seiner weltüchtigenMotion ohnehin schon verknüpften Eindruck abstrakt unpersönlicherRücksichtslosigkeit und anti-empirisch lebensfeindlicher Leichtfertigkeitnoch zu verstärken und mithin ihrer Angst vor der in jeglicher Nach-folge implizierten und als regelrechter Identitätsverlust antizipierbarenEntpersönlichung und Entfremdung neue Nahrung zu geben. Was er mit

leichter Hand von sich wirft, sind genau die Dinge, die ihnen so lieb undteuer sind wie sie sich selbst, in denen sie zu Hause, eingewohnt sind undmit denen nicht zuletzt sein in förmlicher identitätslogischer Abspaltungsich etablierendes alternatives Selbstsein sie als mit ihrem unverzichtbarpersönlichen Eigentum, als mit Leib und Seele, Fleisch und Blut, Haut

51

Page 52: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 52/189

und Haar ihres empirischen Bestehens hat zusammenrücken und sich

identizieren lassen. Weit also davon entfernt, daß die Leichtfertigkeitund Unbedenklichkeit, mit der er dem, woran sie hängen, womit siesich identizieren, entsagt, ihnen den Mut, geschweige denn die Lust,machen könnte, es ihm nachzutun, ist sie ihnen nur Bestätigung derabstrakten Fremdheit und des unpersönlichen Andersseins, worin erihnen erscheint, und mithin höchstens geeignet, den als identitätszer-spaltendes, angsterregendes Nadelöhr vorgestellten Graben zwischenihrem mit der Empirie konkreszierten Leben und seiner von der Empirieabstrahierenden Existenz weiter zu vertiefen.

Und ihre Angst und Abwehr werden dadurch nicht geringer, daß seineEntsagungshandlungen, seine Verzichtsleistungen den anfänglichen Cha-rakter kursorischer Leichtigkeit oder spielerischer Kurzentschlossenheitallmählich ablegen und Züge von Gewaltsamkeit und widerstandsträch-tiger Schwerstarbeit hervorkehren. In der Tat ist nämlich genau dies derunverhoffte Effekt, den seine im Blick auf ihr eigentliches Ziel, die Mobi-lisierung der Majorität für das Unternehmen Weltucht, gänzlich erfolg-lose, beispielgebende Tätigkeit zeitigt: daß sie ihn, den Beispielgebendenselbst, zusehends in die Probleme verstrickt, die er der Majorität als un-schwer lösbare vorführt, zunehmend mit den Bedenken vertraut werdenund sich aufhalten läßt, deren umstandslose Erledigung er ihr nahelegenmöchte. Zwar hat er, der Beispielgebende, diese Probleme und Bedenkender Majorität dank seiner avancierten Stellung in der Verneinung desDaseins an sich bereits überwunden, aber da er sich nun zurückwendet,um sie kraft seines Beispiels auch für die Majorität überwindbar werdenzu lassen, stellt sich heraus, daß sie selbst für ihn mitnichten so passéund abgetan sind, wie sie an sich erschienen. Indem der in der WeltuchtFortgeschrittene innehält, um diese als Hemmschuhe und Stolpersteinedes Fortschritts wirksamen Probleme und Bedenklichkeiten sich eigensnoch einmal vorzunehmen und dem an ihnen scheiternden Gros seinerSchicht zu zeigen, wie sie sich mühelos aus dem Weg räumen lassen, wirder gewahr, daß auch er selbst sie keineswegs im Sinne ihrer offensiven

Überwindung und eines detaillierten Fertigwerdens mit ihnen, sondernvielmehr bloß im Begriff ihrer abstraktiven Ausklammerung und einerpauschalen Nicht-Befassung mit ihnen hinter sich gebracht hat. Da er diein leiblich-seelischen Bedürfnissen, persönlichen Bindungen, empirischenGewohnheiten bestehenden Hemmnisse, die der Majorität den Weg,

52

Page 53: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 53/189

den er geht, verlegen, retrospektiv ins Auge faßt, um sie den säumigen

Weggenossen als ohne weiteres überwindbar vorstellig werden zu lassen,stellt er fest, daß es sich dabei um nach wie vor eigene, introspektivdurchaus noch als Bestandteile seiner selbst auszumachende Vorbehaltehandelt, um Widerstände, die er in petto seines wesensbestimmten Pro-cedere mit sich schleppt oder vielmehr blind auf seinem weltüchtigenWeg vor sich herschiebt und die bislang nur deshalb nicht als ernsthafteHindernisse für den eigenen Fortgang virulent geworden sind, weil ersie eben bloß als bewußtlosen Ballast mitgeführt, ihre Präsenz ignoriert,sich über sie, wo sie vor ihm auftauchen wollten, kurzerhand hinwegge-setzt, mit anderen Worten, getragen von seinem weltüchtigen Impuls,darauf verzichtet hat, sie als solche gelten zu lassen und sich bei ihnenaufzuhalten.

Diese Entdeckung, daß die Bedürfnisse, Bindungen, Gewohnheiten,die der Majorität Fesseln anlegen, auch bei ihm selbst mitnichten alsüberwunden gelten können, daß sie, wiewohl manifest keine Rolle mehrspielend, doch aber latent vorhanden sind und eine potentielle Bedro-hung darstellen – diese Entdeckung beunruhigt ihn und läßt ihm seineigenes Fortschreiten problematisch werden. Wie soll er, der Weltüch-tige, des Erfolgs seines daseinsverneinenden Tuns je sicher sein können,wenn er ein solches Arsenal an potentiell resolutionsvereitelnden Be-stimmungen nach wie vor als persönliche Habe stillschweigend mit sichherumschleppt beziehungsweise als Leibgepäck und Seelenbagage be-wußtlos vor sich herschiebt? Muß er nicht immer damit rechnen, daß jeneinnere Reserve, die er mit sich herumträgt, so still und gefügig sie sichvorläug auch stellt, zu neuer Virulenz, neuer Sperrigkeit erwacht undeben das Dasein, das er meint, aus dem Feld geschlagen oder ad actagelegt zu haben, als ihren phänomenalen Bezugspunkt, ihren intentio-nalen Bestimmungsgrund wieder auf den Plan und zur Geltung bringt?Muß er nicht ständig gewärtig sein, daß jene Bedürfnisse, Bindungenund Gewohnheiten, die er in petto hat, so unwesentlich und vernach-lässigenswert sie fürs erste auch tun, abermals auffällig oder aufmüpg

werden, ihr im negierten Dasein bestehendes vorgebliches Recht fordernund damit entweder durch alte Daseinsrücksichten ihm den Weg insNichts, das Sein ist, unabsehbar verlegen oder aber durch neue Daseins-orientierungen ihn von diesem Wege unversehens abbringen? Und mußer deshalb nicht vordringlich bestrebt sein, diese persönliche Zeitbombe,

53

Page 54: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 54/189

die er unwissentlich mit sich herumschleppt, zu entschärfen, diese fünfte

Kolonne des Daseins, der er unabsichtlich Unterschlupf bei sich gewährt,aufzuspüren und zu eliminieren? Wie, wenn nicht durch Ausräumungdieser – wie sehr auch schlafenden – Mördergrube seines Herzens, durchBeseitigung dieser – wie sehr auch verborgenen – Fallgrube der eigenenPerson, soll er die weltüchtige Zielstrebigkeit und Selbstsicherheit, diederen Entdeckung ihm geraubt hat, zurückgewinnen? Wie sonst soller wieder er selbst oder vielmehr dies ohne Reserve in der Weltuchtaufgehende, dies vorbehaltlos im Aufbruch zum Nichts begriffene Selbst,das er nur erst an sich ist, für sich und in voller Wirklichkeit werden?

Indem so aber der vorläug verhinderte Weltüchtige, was er ver-meintlich bloß für andere, nämlich für die Majorität und im Interesseihres Fortkommens, unternimmt, als in Wahrheit ein Fürsichsein, nämlichals etwas realisiert, das für ihn selbst Bedeutung hat, seinen eigenenFortgang betrifft, nimmt nolens volens sein Tun einen anderen Charakteran: Aus dem paradigmatisch detachierten Beginnen wird ein persönlichengagiertes Vollbringen, aus dem leichthin sich exemplizierenden Aktder Freiheit wird eine gewaltsam sich exekutierende Befreiungsaktion.In der Tat liegt ja die Gewaltsamkeit bereits im Begriff der vom Welt-üchtigen als die eigene identizierten Sache, ist simpler Ausdruck desUmstands, daß der Weltüchtige die Bedürfnisse, Bindungen und Ge-wohnheiten der Majorität eben nicht mit der Überlegenheit und Distanzdes von ihnen Freien beispielhaft abfertigen kann, sondern sich aus derpersönlichen Haftung und Betroffenheit dessen heraus, der sie potentiellselber hegt, selber an ihnen hängt, selber in ihnen befangen ist, gegen sieverwahren und leibhaftig von ihnen losreißen muß. Eben deshalb, weiler feststellen muß, daß die Fesseln, die das Gros seiner Artgenossen ansDasein knüpfen, Ketten sind, die, wie immer latent und unmerklich, nachwie vor auch ihn selber beschweren oder fallstrickartig bedrohen, ist dieFreiheit von diesen Fesseln kein Sein, das er in der Funktion eines Soll denArtgenossen didaktisch-paradigmatisch vorhalten und ohne jede eigeneInvolvierung darbieten könnte, sondern vielmehr ein Soll, das er allererst

gegen die – wie sehr auch zum latenten Substrat zurückgenommene –eigene Person praktisch-empiriologisch durchsetzen und das heißt: imSinne einer die eigene Person in die Länge und Breite ihrer heimlichenDaseinsverfallenheit vor die leibhaftige Alternative “Freiheit oder Tod”stellenden Säuberungsaktion als das wahre Sein seiner selbst zur Geltung

54

Page 55: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 55/189

bringen muß. Als wie auch immer zum Potentialis zurückgenommene

Bestandteile der eigenen Person muß er die Bindungen und Gewohnhei-ten, die er der Majorität als entbehrlich vorführen möchte, ebensowohlund primär sich handgreiich selber vom Leibe schaffen, aus dem Herzenreißen, von der Seele wälzen, aus dem Kopfe schlagen.

Liegt in solcher, nicht weniger gegen die eigene Person sich richtenden,als an die Person der Artgenossen sich wendenden, und nicht wenigerpeinlich kruzikatorischen, an sich selbst das Exempel statuierenden,als reinlich paradigmatischen, anderen ein Beispiel gebenden, demons-trativen Vorgehensweise die Gewaltsamkeit schon theoretisch-logisch beschlossen, so wird diese noch praktisch-empirisch vergrößert durchdas geradezu unheimliche Beharrungsvermögen und die regelrecht zau- berische Widerstandskraft, die jene zum Dasein unterhaltenen persön-lichen Bindungen, jene an den Erscheinungen festgemachten individu-ellen Gewohnheiten den Läuterungsanstrengungen des Weltüchtigen,seinen Bemühungen ums wahrhaft freie Selbst entgegensetzen. So un-scheinbar und geringfügig jene heimlichen Rücksichten und persönlichenNeigungen, die als wie immer inerte fünfte Kolonne sein Selbstsein zudiskreditieren und seine daseinsverneinende Resolution zu sabotierendrohen, auf den ersten Blick auch erscheinen mögen, sobald er sie sichvorknöpft, sie näher ins Auge oder in welches Sinnesorgan oder Reexi-onsvermögen auch immer faßt und sich daranmacht, sie ein für allemalabzulegen, denitiv zu erledigen, wird er gewahr, was für eine Sisyphos-arbeit er sich da aufgeladen hat. Ebenso tief eingebettet in den Stromder biologisch-leiblichen Existenz wie fest verschränkt mit dem Gefügeder biographisch-seelischen Konstitution und ebensosehr in der eigenenTriebnatur und Lebendigkeit wurzelnd wie Leben aus dem Verbund mitden übrigen, aus dem Bedürfnissystem als solchem schöpfend, zeigensich jene Rücksichten und Neigungen, mögen sie auch auf den erstenBlick den Eindruck leicht zu unterdrückender idiosynkratischer Regun-gen oder unschwer abzustellender anakoluthischer Schwächen machen, bei genauerem Hinsehen oder, besser gesagt, kräftigerem Hinlangen

vielmehr sowohl ihrem quantitativen Umfang als auch ihrer qualitati-ven Beschaffenheit nach von solcher Zähigkeit und Widerstandskraft,solcher Reproduktionsfähigkeit und Unausrottbarkeit, daß der Kampf gegen sie nolens volens zur blutigen Operation, zum Schlachtfest ge-rät, unversehens die abstoßenden Züge einer den ganzen Organismus

55

Page 56: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 56/189

erschütternden, die ganze Person in Mitleidenschaft ziehenden, leiblich-

seelischen Greueltat hervorkehrt.In förmlichen, gegen die eigene biologische Bendlichkeit und gegendie biographisch-persönliche Beschaffenheit angestrengten Vernichtungs-kampagnen, in regelrecht selbstzerstörerischen Gewaltakten macht sichalso der Weltüchtige daran, jene in der ganzen personalen Perspek-tive verankerten diversen Rücksichten und vom ganzen individuellenTriebgrund getragenen vielfältigen Neigungen aufzuspüren und zurStrecke zu bringen, zu erstürmen und auszuräuchern, zu umzingeln undniederzumachen, zu entwurzeln und auszurotten, zu isolieren und zueliminieren, abzutöten und abzutun. Aber selbst wenn ihm die Gewalt-tat schließlich vollbracht, nach langer, schrecklicher Metzelei geglücktscheint, selbst wenn er an der Stelle der alten Bindung, Neigung oderBedürftigkeit nichts mehr als verbrannte Erde, verdorrtes Fleisch, kada-veröse Seele, abgestorbenen Trieb, zersetztes Gefühl zu gewahren vermag– kaum wendet er sich ab, um nach gelungener Selbstreinigung das frü-here Geschäft der Daseinsverneinung wiederaufzunehmen, und blickt einletztes Mal zurück, um sich seiner mit Gewalt erwirkten, beispielgeben-den Freiheit von persönlichen Banden und empirischen Gewohnheitenabschließend zu vergewissern, schon sieht er, was er zertreten glaubte,neu emporkeimen, was er abgetötet wähnte, zu neuem Leben erwachen.Als ginge es nicht mit rechten Dingen zu, sieht er die Häupter der Hydra,die er um Leib und Leben gebracht glaubt, unverdrossen nachwachsen,die Drachensaat, vom eigenen Blut gedüngt, wieder aufschießen, ge-wahrt, wie totgeglaubte Bedürfnisse, vom Anblick des zur Verneinungins Auge gefaßten Daseins wundersam belebt, sich abermals regen, wievermeintlich abgetane Gewohnheiten, vom Eindruck der zum Abschußaufs Korn genommenen Erscheinungswelt unwilllkürlich ermuntert,wieder in Kraft treten.

So aber zum Schluß seiner blutigen Säuberungsaktion mit der klapp-mechanischen Reproduktionsfähigkeit seiner biologischen Triebe und dergespenstischen Unverwüstlichkeit seiner psychologischen Neigungen,

mithin aber mit dem Mißerfolg seiner aggressiven Selbstreinigungskam-pagne konfrontiert, muß der Weltüchtige einsehen, daß es mit raschenGewalttaten nicht getan ist. Um die Hoffnung auf eine Erfüllung desparadigmatischen Selbstreinigungsgebots nicht überhaupt drangebenzu müssen, nimmt er deshalb Abstand von der Vorstellung eines mit

56

Page 57: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 57/189

gesammelter Macht forcierten Entscheidungskampfs und eines dadurch

ermöglichten raschen Erfolgs auf der ganzen Linie und setzt statt dessenauf einen Stellungs- und Zermürbungskrieg, auf eine langfristige, wonicht lebenslange, Auseinandersetzung mit dem in seinen unerreichbarenSchlupfwinkeln schwer zu fassenden und bei seinem unerschöpichenRückhalt noch schwerer zu erledigenden leiblich-seelischen Gegner. Jeneorganischen Triebe und epiphanischen Neigungen, die er bei all ihrerLatenz im Verdacht einer fünften Kolonne und Partisanengruppe in spehat, sucht er nicht mehr zu überrumpeln und mit Macht zu berennen, son-dern er macht sich daran, sie einzukreisen und mit Geduld zu belagern.Statt mit Feuer und Schwert gegen sie vorzugehen, bemüht er sich, mitlogistischen Mitteln und strategischen Maßnahmen ihre Widerstandskraftauszuhöhlen, ihre Verbindungslinien zu kappen, ihnen den Nachschubabzuschneiden, das Wasser abzugraben, sie auszuhungern. Er zieht einenKordon um sie, beobachtet sie, führt Protokoll über sie, hält sie Tag undNacht unter Bewachung, kundschaftet ihre Stärken und Schwächen aus,unterwirft sie ebenso zunehmenden wie umfassenden Restriktionen,engt Schritt für Schritt ihren Spielraum ein, nutzt jede Gelegenheit zuweitergehenden Repressalien und sucht durch methodische Disziplinund systematische Anstrengung das zu vollbringen, was ihm durch Ge-waltakte und jähe Eingriffe partout nicht gelingen will: dem innerenFeind das Leben zu vergällen und schließlich denitiv den Garaus zumachen.

Indem so nun der Weltüchtige, um der schier unverwüstlichen Dra-chensaat seiner organischen Triebe und empirischen Neigungen dochnoch beizukommen oder wenigstens die Hoffnung auf ihre schließlicheÜberwindung sich zu erhalten, seine Strategie ändert und die aus demStand heraus unternommene Zerstörungsaktion durch eine umständ-lich durchgeführte Zermürbungsoperation, die martialische Exekuti-onskampagne durch eine bürokratische Repressionsroutine, die kur-zerhand inszenierte gewalttätige Befreiungshandlung durch eine vonlanger Hand geplante disziplinierte Entwöhnungsübung ersetzt, hört

sein Tun vollends auf, beispielgebende Bedeutung zu prätendieren, undkehrt ganz ungeniert jenen Charakter einer unparadigmatisch existen-tiellen Selbstreinigungsanstrengung und Selbstsalvierungsbemühunghervor, der es im Prinzip von dem Augenblick an beherrscht, da derWeltüchtige hat entdecken müssen, daß die Regungen und Schwächen,

57

Page 58: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 58/189

deren Überwindung er seinen Artgenossen beispielhaft vorführen soll,

in Wahrheit seine unüberwunden eigenen sind und als unbewältigte jederzeit auch ihm selbst wieder zu schaffen machen können. So wahr beim Kampf gegen den leiblich-seelischen Widersacher an die Stelle vonRazzien und massierten Überrumpelungsmanövern eine systematischeUnterdrückung und organisierte Zermürbungstaktik tritt, so wahr wirdaus dem Weltüchtigen, der seine Weltucht kurz unterbricht, um denanderen vorzuführen, wie man der eigenen Person und empirischen Indi-vidualität mit all ihrer Daseinsverfallenheit erfolgreich den Rücken kehrt,endgültig der Selbstsüchtige, der seine Weltucht ad calendas graecasvertagt, weil er fest entschlossen ist, sich nicht von der Stelle zu rühren,

ehe er nicht diese Fähigkeit, sich von der eigenen Person zu lösen undderen Daseinsverfallenheit ebenso detailliert wie in toto zu überwinden,sich selber bewiesen hat. Er, der auf dem Weg zum Wesen weit schonvorgedrungen war, der die Bindung ans Dasein an sich schon hintersich hatte, er kehrt, vom nothelferischen Beispielgeben in den Abgrund beispiellos eigener Nöte gestürzt, still und heimlich zurück, verkriechtsich in einen Winkel und wird zum Asketen, der, was er schließlich denanderen vormachen soll, erst einmal bei und für sich selber veranstaltet,in eigener Regie, am eigenen Leibe und zur eigenen Erbauung übt undeinexerziert.

Die asketische Beschäftigung des Weltüchtigen mit sich selbst gibt den Artge-nossen die Möglichkeit, in voller Anerkennung seiner lebensverneinenden Bemü-hungen mit ihrem gewohnten Leben fortzufahren. Der Asket bestätigt sogar ih-re Lebensverbundenheit, insofern sein unabschließbarer Kampf um die Befreiungvom Leben eine negative Hommage an es darstellt. Deshalb ehren sie ihn und un-terstützen ihn in seinem fortgesetzten Kampf gegen das Leben dadurch, daß sieihn mit dem Lebensnotwendigen versorgen.

Mit dieser Arretierung des Weltüchtigen in der Rolle des die Selbst-

befreiung Übenden, des die Lösung von persönlichen Bindungen undleiblich-seelischen Gewohnheiten Exerzierenden, kurz, mit seiner Ver-wandlung in den Asketen, hat also sein an sich als beispielhaft angelegtesTun jede paradigmatische Qualität denitiv eingebüßt und den Charaktereines Vorhabens schierer Selbsterbauung, eines Projektes partout nur

58

Page 59: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 59/189

Page 60: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 60/189

Artgenossen am Weltuchtgeschäft zu versichern oder auch nur, da die

erreichte neue Solidität und Unanfechtbarkeit seines Selbstseins solchsolidarische Mitwirkung vollends bedeutungslos werden läßt, um denArtgenossen den Dank dafür abzustatten, daß sie ihn durch ihr offen zurSchau gestelltes Gebrechen, den sichtbarlich aufgerichteten Kreuzbalkenihrer Daseinsverfallenheit beizeiten auf das Geschwür in seinem Innern,den heimlichen Splitter im eigenen Auge haben aufmerksam werdenlassen.

Bis zu diesem lebensprojektförmig fernen Punkt also, da der Weltüch-tige seiner ihn auf dem Fleck asketischer Selbstdisziplinierung arretie-renden leiblich-seelischen Neigungen und weltlich-natürlichen Schwä-chen Herr geworden ist, werden die in den Fesseln ihrer Neigungenund Schwächen hilos schmachtenden Artgenossen wohl oder übel auf sein befreiendes Paradigma, sein den Weg aus dem Kerker der organi-schen Triebe und empirischen Gewohnheiten weisendes beispielgebendesVorangehen warten müssen. Bis zu diesem fernen Punkt, da er seineÜbungen in Verzicht und Entsagung erfolgreich und mit dem Ergeb-nis nämlich eines aufs Streben nach dem Wesen reduzierten Selbstesabgeschlossen hat, bleibt ihnen, die weder generell die Kraft und Ent-schlossenheit zum Verzicht mitbringen, noch speziell die Disziplin undAusdauer haben, sich darin zu üben, einzig und allein, sich in die Tugendder Schwachen, in Geduld zu fassen.

Nicht, daß ihnen das schwerele oder auch nur unlieb wäre! Tatsäch-lich sind sie heilfroh, den in die Asketenrolle zurückgenommenen Welt-üchtigen auf solch unparadigmatisch-selbstsüchtige Weise mit seineneigenen, leiblich-seelischen Nöten befaßt und in deren zum endlosenSelbstsansierungsexerzitium sich entfaltende Überwindung vertieft zusehen. Heilfroh sind sie, den mit seinem Selbstreinigungstun zu Anfangverknüpften normative Vorbild- und suggestiven Nachfolgeanspruch ersteinmal und auf unausgemacht lange Zeit wieder los zu sein. Schließlichist, was auch immer an Selbstbefreiungsaktionen er ihnen – egal, ob mitspielerisch leichter Hand, ob mit gewalttätig hartem Griff – vorführen

mag, jedenfalls nicht dazu angetan, ihnen Freude, geschweige denn denMut zur Nachahmung zu machen, und prinzipiell nur geeignet, jeneEntpersönlichungs- und Entfremdungsängste, die sie vor der Selbstwer-dung in der Weltucht zurückschrecken und als gegen ein regelrechtesIdentitätsspaltungsunternehmen sich mit triebgebundenem Leib und

60

Page 61: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 61/189

gewohnheitsbewehrter Seele sperren ließen, noch zu verstärken. Was

kann ihnen da besseres passieren als das Stolpern des als Weltüchtigerwandelnden Paradigmas über den Fallstrick seiner latent eigenen Nei-gungen und in petto persönlichen Schwächen, ein Stolpern und Stürzen,das dem Weltüchtigen seine exhortative Vorwurfshaltung und seinenimperativen Forderungsgestus ihnen gegenüber gründlich verschlägtund ihn in die Disziplin einer unablässigen Selbsterforschungs- undSelbstreinigungsanstrengung, in das unabsehbare Projekt eines selbst-süchtigen Asketentums verstrickt? Da der Weltüchtige jedes Interessean ihrem Fortkommen, jeden Spiritus-rector-Anspruch mit Rücksicht auf sie verliert und sich ganz ins Privatissime der asketischen Sorge um sichselbst zurückzieht, können die Artgenossen, aus dem Lehrverhältnis bisauf weiteres entlassen und vom Nachfolgedruck ad calendas graecasentlastet, in aller Ruhe zusehen, wie er ebenso unermüdlich wie unabseh- bar die Probe auf jenes Exempel macht, das er ihnen nach bestandenerPrüfung irgendwann wohl auch wird geben, um nicht zu sagen, an ihnenwird statuieren wollen und von dem aber, solange er es selbst erst probt,sie sich keineswegs anfechten und schon gar nicht hindern lassen müssen,ihrem weltsüchtigen Dasein verhaftet zu bleiben und in ihren Neigungenund Schwächen, ihren Trieben und Gewohnheiten zu verharren.

Nicht, daß sie dem Ringen des asketischen Einzelgängers um seineSelbstbefreiung die Anerkennung versagten! Nicht, daß sie, was er alsebenso beharrlicher wie beherzter Einzelkämpfer zu vollbringen sucht,nicht aller Ehren für wert hielten! Nicht, daß sie seiner diszipliniertenAnstrengung nicht wahrhaftig den Wert einer Pioniertat, einer in Hinsichtaufs gemeinsame Anliegen bahnbrechenden Leistung beimäßen! Schließ-lich ist die daseinsverneinende Weltucht, für die er durch Selbstrei-nigung einen festen Grund zu legen sucht, für die er das Selbst durchdie Befreiung von persönlichen Neigungen und empirischen Schwächengeschickt zu machen und zuzurichten bestrebt ist, auch in ihren Augendie maßgebende Wahrheit über den Schein ihres Daseins, auch von ihnenals eine über die Welt der Erscheinungen den Stab brechende, ebenso

verbindliche wie wesentliche Erscheinung anerkannt. Aber eben deshalb,weil der zum Asketen gewordene Weltüchtige sich vorerst eher auf dieprivate Grundlegung des gemeinsamen Vorhabens als auf seine öffent-liche Durchführung kapriziert, weil er, statt den säumigen Artgenossendurch demonstrative Startbereitschaft Beine zu machen, nur erst bemüht

61

Page 62: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 62/189

ist, sich der eigenen Startbereitschaft introspektiv zu versichern, und weil

er also die Probleme, die sie mit dem gemeinsamen Vorhaben haben,statt sie ihnen in knapper Form als lösbar vorzustellen, sich vollinhaltlichzu eigen macht, um ihre Lösbarkeit mit unparadigmatisch problembe-wußter Gründlichkeit erst einmal überhaupt am eigenen Leib und ineigener Person nachzuweisen – weil das so ist, wird für die Artgenossendie Weltucht aus einem imminenten Vorhaben zu einem permanentenAnliegen, aus einem kategorische Imperativ zu einem idealischen Sollen,das sie bei aller formellen Verbindlichkeit, die es für sie behält, und beialler existentiellen Bejahung, mit der sie ihm gegenüberstehen, doch jedenfalls nicht hindern kann, vorderhand an ihrem problematischenHaben festzuhalten, in ihren scheinverdächtigen Dasein zu verharren.Angesichts eines Exerzitiums, das, wie bahnbrechend es auch immer seinmag, vorerst jedenfalls keinerlei wegweisende Bedeutung für sie hat, weilder darin zum Asketen umgebogene Weltüchtige nicht etwa als publikesParadigma zur Nachfolge aufzurufen und zum Mitmachen zu bewegen,sondern bloß für das Vorhaben Weltucht sich privatim in Bereitschaft zuversetzen und zusammenzunehmen beansprucht, nicht etwa ihnen mitgutem Beispiel voranzugehen, sondern sich bloß in die für den Vorgangals solchen erforderliche gute Verfassung zu bringen sucht – angesichtssolchen, ebenso privat erbaulichen wie abstrakt asketischen Exerzitiumssind die Artgenossen schwerlich bereit, sich in ihren Bindungen ans Da-sein, ihren Lebensgewohnheiten irre machen, geschweige denn von ihnenabbringen zu lassen.

Und nicht nur ist die als Probe aufs Exempel, das er eben deshalb nochgar nicht geben kann, wohlverstandene Askese des in sich gegangenenWeltüchtigen nicht dazu angetan, die säumigen Artgenossen aus derReserve ihres Daseins herauszulocken, sie ist im Gegenteil geeignet, dieSäumigen in den Maß in solcher Reserve zu bestärken, wie sie sich, recht besehen, als eine unwillkürliche Hommage an sie zu verstehen gibt.Schließlich sind, womit der zum Asketen gewordene Weltüchtige fertigzu werden sucht, ein und dieselben Triebdispositionen und Lebensge-

wohnheiten, die auch die Artgenossen ans Dasein fesseln, sind, was erzu überwinden bemüht ist, im Prinzip dieselben Schwierigkeiten, dieauch sie mit der Sprengung jener Fesseln und der als Selbstwerdung begreiichen rückhaltlosen Konzentration aufs Wesentliche haben. Unddaß dieses Fertigwerden keine Kleinigkeit, daß diese Überwindung keine

62

Page 63: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 63/189

geringe und mit der linken Hand zu erledigende Aufgabe ist, das beweist

zur Genüge sein mit ebensoviel Ausdauer wie Disziplin durchgeführtesund von ebensoviel leiblicher Kasteiung wie seelischer Entsagung undpersönlicher Verwerfung geprägtes asketisches Programm. Je länger dasProgramm währt und je deutlicher sich die in seinem Rahmen absol-vierten Exerzitien als ein nicht weniger ritualisierter als determinierterKampf, ein nicht weniger unabsehbares als unnachsichtiges Ringen, kurz,als ein ebenso lebenslanges wie lebensentscheidendes Projekt zu ver-stehen gibt, um so klarer legt es Zeugnis ab von der Stärke und dengewaltigen Ressourcen des Gegners und bedeutet mit anderen Worteneine implizite Anerkennung jener zu überwindenden Triebdispositio-nen und abzuschüttelnden Lebensgewohnheiten als aller Voraussichtnach unüberwindlicher Hindernisse und praktisch nicht zu beseitigen-der Widerstände. Und das aber beinhaltet für die Artgenossen, die an jenen triebdispositionellen Hindernissen resignativ scheitern und jenenlebensgewohnheitlichen Widerständen widerstandslos erliegen, wennauch beileibe keine ofzielle Exkulpation, keine förmliche Entlastung,so immerhin doch eine faktische Rehabilitierung, eine stillschweigendeRechtfertigung. Rückt der zum Asketen gewordene Weltüchtige schondurch die asketische Wendung als solche von seiner anfänglichen, in derStatuierung eines Exempels sich erschöpfenden Kurzangebundenheitihnen und ihrem Tun und Treiben oder vielmehr ihrem Leben und Lassengegenüber ab und gibt, indem er in ihrer Daseinsverfallenheit sein eige-nes Problem erkennt und dessen Überwindung zum höchstpersönlichenAnliegen erklärt, alle paradigmatischen Aspirationen, alles imperativi-sche Beispielgeben vorerst auf, so tut er nun durch die Art, wie er seinpersönliches Anliegen realisiert, eben durch sein in die Länge und Breiteeines Lebensprojekts entfaltetes asketisches Programm, ein übriges undschließt sich umgekehrt dem Beispiel der Artgenossen an, macht sich defacto dessen, was er selber tut, deren Perspektive zu eigen. In dem Maß,wie er den asketischen Kampf gegen jene Neigungen und Bindungen, vondenen nicht nur die Artgenossen nicht loskommen, zum organisierenden

Zentrum seines eigenen Tuns und Treibens werden und als lebenslangesExerzitium seine ganze Existenz bestimmen läßt, räumt er dem Bekämpf-ten ex negativo haargenau dieselbe dominierende Stellung ein, mißt erihm in Form streitbarer Ablehnung exakt die gleiche gravierende Be-deutung bei, wie das ex positivo oder im Sinne wehrloser Hingabe die

63

Page 64: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 64/189

Artgenossen tun. Er, der eigentlich nur den Artgenossen ihre sie ans

Dasein knüpfenden Triebe und Gewohnheiten als leicht zu überwindendeSchwäche hat vorführen wollen, bestätigt, indem sich ihm unter derHand nicht nur das allgemeine Lehrstück in die persönliche Bewäh-rungsprobe, die exemplarische Vorführung in den empirischen Nachweis,der Schaukampf ins engagierte Treffen verkehrt, sondern dabei mehrnoch zur lebenserfüllenden Aufgabe, zum A und O des eigenen Sinnensund Trachtens auswächst, die tatsächlich unwiderstehliche Stärke und bindende Kraft jener vermeintlich bloßen Schwäche und gibt insofernden der letzteren widerstandslos erliegenden und ihrer Bindekraft sichfügenden Artgenossen ex actu seiner praktischen Orientierung oder im-plicite seiner ganzen Lebensform recht. Sosehr der Asket gegenüber denpersönlichen Neigungen und weltlichen Gewohnheiten, die ihn und dieArtgenossen ans Dasein ketten, die Haltung einer im Dienste schließlicherWeltucht geübten resoluten Selbstläuterung oder selbstüberwindendenNegation wahrt, sosehr läßt doch der Umstand, daß sich ihm im aske-tischen Exerzitium diese Selbstüberwindung zu einer Lebensaufgabe,diese Negationshaltung zu einem biographisch ausfüllenden Geschäftentfaltet, die mit ihr verknüpfte Weltuchtperspektive zu einer Formalieverkommen und läßt, was er tut, nolens volens in ein Unternehmen admajorem gloriam dessen sich verwandeln, wogegen sein Tun an sichgerichtet ist.

Indem unter wie immer negativen Vorzeichen und in wie sehr auch eli-minativer Absicht der Asket sein Tun und Treiben ebenso umfassend unddauerhaft auf die triebförmigen Bindungen ans Dasein und die gewohn-heitsmäßigen Verstrickungen in die Welt einstellt, wie die Artgenossenin positiver Bedeutung und unter integrativen Gesichtspunkten ihr Le- ben und Lassen darauf eingerichtet haben, verkehrt sich das de jureoder nominell negative, auf die Beseitigung jener Bindungen gerichteteVerfahren de facto oder reell in ein reafrmatives und nämlich nichtweniger unabsehbar als primär auf die Bestätigung jener Verstrickungen,die zur Beseitigung anstehen, abgestelltes Verhalten. Die Artgenossen

jedenfalls können mit einer Negativität wie der asketischen, die durch ihrProcedere oder, besser gesagt, ihr Exercere den Gegenstand der Negation,wenn auch unter negativen Vorzeichen, geradeso sehr ins Zentrum rücktund ebenso dauerhaft in Geltung beläßt wie das ihnen eigene positiveFesthalten an ihm, zufrieden sein. Sie, die ursprünglich einer ebenso

64

Page 65: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 65/189

kategorischen wie exemplarischen Verwerfung ihres problematischen

Lebensinhalts gewärtig sein mußten, nden plötzlich diesen Lebensinhaltnicht nur als Problem voll und ganz anerkannt, sondern mehr noch insZentrum einer Aufmerksamkeit gerückt, die es in ihrer umgekehrtenWertigkeit dem artgenossenschaftlichen Engagement an Intensität undDauer ohne weiteres gleichzutun verspricht und die insofern ihnen, denArtgenossen, an ihrem Lebensinhalt festzuhalten und auf ihre Fasson mitihm selig zu werden erlaubt, während sie gleichzeitig der als Problem- bewußtsein durchaus von ihnen geteilten negativen Grundstimmungihm gegenüber komplementären Ausdruck oder vielmehr ein Ventil ver-schafft. Mit einem Kritiker, der die allgemeine Lebensweise, gegen die er

zu Felde zieht, zwar in aller Gründlichkeit und Ausführlichkeit negiert,aber eben durch diese Gründlichkeit und Ausführlichkeit die Negationzu einer faktischen Reafrmation des Negierten, zu einer heimlichenHommage an es geraten läßt, und der also ineins beides tut, der an ihrerStelle den Kampf gegen die auch von ihnen als Fesselung und Verfal-lenheit anerkannten leiblich-seelischen Bindungen oder persönlichenGewöhnungen ans Dasein auscht und der sich in diesem Kampf aberderart engagiert, der ihn mit soviel Inbrunst und Hingabe führt, daßsein Tun ihrem problematischen Beharren auf den Bindungen und ihremanfechtbaren Genuß des Gewohnten praktisch gar nicht in die Quere

kommen kann, weil es zu einer ex negativo perfekten Parallelaktion zuihrem Treiben sich entwickelt, zu einem als kritischer Kommentar fort-laufenden Komplement, das in dem Maß, wie es mit dem Kommentierennicht fertig wird, vom Kritisierten nicht loskommt, als ein fortwährendesKompliment an letzteres sich erweist – mit solch einem Kritiker läßt sichwohl auskommen.

Weil als Asket der Weltüchtige aus seiner Negationsaufgabe quasi einpositives Geschäft, aus seinem an sich lebensentscheidenden, biographie-abschneidenden distanzierten Angriff gegen das, was der Weltucht imWege steht, einen de facto lebenslangen, biographieerfüllenden intimen

Umgang mit dem in Angriff genommenen Hemmnis werden läßt, ndeter bei den Artgenossen bereitwilligen Kredit und erweisen sie ihm einevon der Angst vor seiner Intervention befreite und höchstens noch vomSchauder der Bedrohlichkeit, in der er ihnen eingangs seiner asketischenEtablierung erschien, durchbebte Achtung. Als eine der Positivität ihres

65

Page 66: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 66/189

Lebens ebenso integrierend wie dauerhaft komplementäre Negationsin-

stanz, eine im Sinn der Wesensrücksicht, die alles Gewohnte muß in Fragestellen können, ihre Empirie ebenso habituell begleitende wie radikal bestreitende kritische Kraft wird er von ihnen gern akzeptiert und ndetAufnahme in ihrer Mitte oder – seiner bei aller reellen Einlassung formellfestgehaltenen Fluchtabsicht gemäßer – an ihrer Peripherie, wo er ineinem das formell Provisorische seines reell unabsehbaren Aufenthaltsakzentuierenden Winkel, in einer kahlen Klause oder unwirtlichen Höh-le seinem einfach durch die Form des institutionalisiert lebenslangenEngagements zu einer faktischen Bejahung des Negierten entschärftenlebensverneinenden Geschäft nachgeht. Wie sehr sie, was oder vielmehrwie er es tut, honorieren, beweisen sie ihm durch ihre Fürsorglichkeit,dadurch, daß sie sein Tun und Ergehen aus der Distanz im Auge behaltenund ihn für seinen als Lebensform in ihren Lebenszusammenhang inte-grierten Kampf gegen das Leben mit dem Lebensnotwendigen versorgen.Als das perennierende Negativ zu dem Positiv, das sie selber darstellen,ist er ihnen lieb und teuer, weil er ihnen mit jedem Akt der asketischenVerwerfung dessen, woran sie sich klammern, bedeutet, daß er auf seineWeise ihr Leben des langen und breiten mit ihnen teilt, statt es kurzerhandin die Schanze seiner Weltucht zu schlagen

66

Page 67: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 67/189

. Der Erleuchtete

Die Unterstützung der Artgenossen gibt dem Weltüchtigen zu denken; er

erkennt, daß er sich in eine Sackgasse verrannt hat, insofern seine Negation derWelt zu einer ins Negierte integrierten Position geworden ist. Er täte besserdaran, die asketischen Selbstreinigungsbemühungen aufzugeben und umstands-los zur Weltucht zurückzukehren. Aber kann er das angesichts der Sabota- gedrohung, die von seinen eigenen, nach wie vor unbewältigten Trieben undGewohnheiten ausgehen?

Genau diese Verehrung und Unterstützung, die er mit seinem Programmeiner Befreiung von den Fesseln leiblich-seelischer Daseinsverfallenheit,mit seinem Projekt einer zur Weltucht geschickt machenden asketi-schen Selbstüberwindung bei den Artgenossen genießt, muß den fürdie Dauer des Projekts von seinem eigentlichen Vorhaben abgerücktenund in den Kreis der Artgenossen oder jedenfalls an dessen Peripheriezurückgekehrten Weltüchtigen nun aber nachdenklich stimmen. Fürseine ihn in den Asketen verwandelnde Vorgehensweise, die nach Maß-gabe der in ihr statthabenden Unterbrechung der Weltuchtmotion undRückkehr an den von den Artgenossen festgehaltenen Ausgangspunkt besser als Regreßverfahren zu bezeichnen wäre, glaubt er bislang guteund als Rechfertigung vollauf hinreichende Gründe zu haben. Daß ersich um einer ebenso zielgerichteten wie solidarischen Weltucht willenin paradigmatisch-kursorischer Überwindungsabsicht der Probleme der

Artgenossen annimmt und den Säumigen auf die Sprünge zu helfen bereit ist, kommt ihm genauso vernünftig vor, wie es ihm notwendigerscheint, jene manifesten Probleme der Artgenossen, nachdem er inihnen die latent eigenen Stolpersteine und Fallstricke erkannt hat, vorallem Versuch einer beispielgebenden Überwindung erst einmal selbst in

67

Page 68: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 68/189

den Griff zu bekommen und als eine ihn persönlich belastende Hypothek

zu bewältigen. Und sogar daß diese Bewältigungsprozedur den Umfangund die Bedeutung einer unabsehbar asketischen Anstrengung, eines zurLebensaufgabe sich entfaltenden Exerzitiums gewinnt, kann ihn bis dahinnoch eine zwar bedauerliche, aber durch die Umstände gerechtfertigteKomplikation, eine durch das Interesse an der Sicherstellung der Welt-uchtperspektive wohlbegründete Abhaltung dünken. Auch wenn solchgarantiert lebenslange Abhaltung die Weltuchtperspektive de facto auseinem realen Projekt zu einem idealen Prospekt, aus einem praktischenZweck zu einem theoretischen Soll verüchtigt, kann der zum Aske-ten gewordene Weltüchtige doch nach wie vor an die Überzeugungsich klammern, daß an einer als conditio sine qua non aller Weltuchtwohlverstandenen vorherigen Überwindung seiner persönlichen Bindun-gen ans diesseitige Dasein und heimlichen Verfallenheit an die Welt derErscheinungen kein Weg für ihn vorbeiführe.

Exakt in diesem Punkt aber sticht ihm nun die afrmative, integrativeReaktion der Artgenossen, die Art, wie diese ihn nicht nur in seinem Win-kel respektvoll gewähren, sondern ihm mehr noch die für sein asketischesEntmaterialisierungsgeschäft erforderliche materielle Unterstützung zu-teil werden lassen, den Star. Daß der Kampf gegen die als sein eigenes,wie immer latentes Problem wiedererkannte Daseinsverfallenheit derArtgenossen sich als eine biographisch endlos in die Länge gezogene,faktisch unabsehbare Auseinandersetzung erweist, läßt sich als bloße, wiesehr auch folgenreiche Erschwerung der Lage akzeptieren. Aber daß sichunter der Hand seiner Unabsehbarkeit der Kampf gegen die gewohnteLebensweise in einen Teil der Lebensweise, in deren integrierendes Mo-ment, verwandelt – diese objektive Verkehrung der Situation muß wie einOffenbarungseid wirken, der die prinzipielle Verfehltheit des asketischenTuns ans Licht bringt. Und nichts anderes signalisiert ja die Zuvorkom-menheit und Unterstützungsbereitschaft, mit der die Artgenossen demasketischen Treiben aus respektvoller Entfernung beiwohnen: daß dieNegation, die der Asket übt, zu einer ins Negierte integrierten Position,

der beherzte Widerstand, den er der Verstrickung in die Welt leistet, zueinem festen Bestandteil eben dieser Verstrickung geworden ist, kurz,daß er, der um die Sprengung des Kontinuums der empirischen Existenz bemühte Asket, sich im perfekten Selbstwiderspruch zu einer Institutionin genau dem Kontinuum entwickelt hat, das er eigentlich sprengen will.

68

Page 69: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 69/189

Page 70: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 70/189

Lebensweise geübten Negationstätigkeit im Rahmen oder vielmehr am

Rande der Lebensweise einen festen Platz zu sichern, gleichbedeutendist mit einem objektiven Fehlschlag, einem in der Sache selbst gelegenenScheitern des Selbstreinigungsunternehmens.

Aus objektiven Gründen, die in der Widerstandskraft und Regenera-tionsfähigkeit der negierten leiblich-seelischen Triebe und persönlichenGewohnheiten liegen, ist also die asketische Selbstbefreiungsaktion desWeltüchtigen zum Scheitern verurteilt oder führt sich, genauer gesagt,ad absurdum einer in actu der lang und breit geübten Negationstätig-keit fortlaufenden faktischen Afrmation des Negierten. Was aber folgtfür den Weltüchtigen aus diesem Scheitern seines Askeseprogramms?Welchen theoretischen und mehr noch praktischen Schluß kann odermuß er daraus ziehen? Folgt daraus etwa die Erkenntnis, daß er sich besser nicht durch Solidaritätsrücksichten oder durch das Eigeninteressean einem gesammelten Vorgehen bei der Weltucht hätte verführen las-sen sollen, die Selbstbefreiungsprobleme der Artgenossen aufzugreifenund sie zu seiner Sache zu machen? Oder bringt ihn diese Erkenntnisetwa gleich auch zu der Einsicht, daß er besser daran täte, das ganze ausseinem Engagement konsequierende fruchtlose Askesegeschäft an denNagel zu hängen und beim Leisten seiner Weltucht zu bleiben oder viel-mehr zu diesem ursprünglichen Gewerke zurückzukehren, daß er mithingut beraten wäre, wenn er sein Heil in der entschlossen individuellenDaseinsverneinung suchte, statt seine Hoffnung auf eine über die indivi-duelle Selbstläuterung und deren paradigmatische Wirkung erreichbarekollektive Geschlossenheit in der Daseinsverneinung zu setzen?

Steht einer solch einfachen Konsequenzzieherei indes nicht die in derAskese gewonnene Selbsterkenntnis im Wege? Hat der Weltüchtige,indem er sich der artgenossenschaftlichen Probleme annahm, diese dennnicht als original die seinen erfahren müssen? Hat er denn nicht zu sei-nem Leidwesen realisieren müssen, wie sehr es seine eigene, in pettolauernde triebhafte Verfallenheit ans Dasein und gewohnheitsmäßige Fi-xierung an die Erscheinungswelt ist, womit er, der bloß den Artgenossen

Hilfestellung leisten zu müssen meinte, in Wahrheit fertig zu werdenund als mit einem im Blick auf die Weltucht höchstpersönlich drohen-den Hemmnis ins reine zu kommen hat? Und hat er nicht mehr noch bei seinem ihn in den Asketen verwandelnden Bemühen, diese eigeneVerfallenheit und persönliche Fixierung loszuwerden, deren tatsächliche

70

Page 71: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 71/189

Virulenz und Gefährlichkeit in die Länge und Breite der asketischen

Exerzitien studieren können? Kehrt er also nicht, wenn er das asketischeSelbstreinigungsbemühen als ein fruchtloses und sich augenscheinlich adabsurdum führendes Unterfangen aufgibt, um sich kurzerhand wiederdem alten Geschäft der weltüchtigen Daseinsverneinung zuzuwenden,gleichermaßen mit der objektiv ganzen Hypothek seiner tatsächlichentriebhaften Bindung ans Dasein und gewohnheitsmäßigen Involviertheitin der Erscheinungswelt und mit dem subjektiv belastenden Bewußtseindes gravierend unüberwindlichen Charakters dieser Hypothek zurück?Ist das aber als Ausgangsstellung für eine erneuerte Weltuchtmotionakzeptabel und überhaupt vorstellbar? Und besiegelt, so gesehen, dasScheitern seines Selbstreinigungsversuchs nicht in der Tat das Schicksalseines Weltuchtvorhabens in der dilemmatischen Weise, daß er wederdas Problem seiner persönlichen Daseinsverfallenheit, um dessen Beseiti-gung willen er die Weltucht stornierte, lösen, noch um der Wiederauf-nahme der Weltucht willen dies ungelöste Problem in der artikuliertenForm und virulenten Bestimmtheit, die es durch den Lösungsversuchgewonnen hat, ignorieren und auf sich beruhen lassen kann?

Kann denn, nachdem er in endlosen Exerzitien und in aufreibendenKasteiungen die ganze Unberechenbarkeit, Unwiderstehlichkeit und Un-verwüstlichkeit seiner Triebnatur und gewohnheitsmäßigen Verfassungkennen und fürchten gelernt hat, der Weltüchtige ernsthaft wagen, mit jener Natur und Verfassung – wie man will – im Rücken oder im Busen ansein früheres Geschäft der Daseinsverneinung, so als sei unterdes nichtsgeschehen, zurückzukehren? Wie käme er denn dazu, jenes Problem derhypothekarisch eigenen Triebnatur just in dem Augenblick, da es sichnicht nur in seiner Unlösbarkeit erwiesen, sondern auch in seiner ganzenGewichtigkeit herausgestellt hat, für vernachlässigenswert zu erklären,um kurzerhand wieder zu der um jenes Problems willen unterbroche-nen Tagesordnung überzugehen? Was könnte er denn von solch einerVorgehensweise anderes erwarten als bittere Niederlagen und herbe Ent-täuschungen: Niederlagen, die ihm die aus dem Hinterhalt der eigenen

Person hervorbrechende Triebhaftigkeit und Gewohnheit zufügt, indemsie das Geschäft der Daseinsverneinung immer wieder unvermutet durchBejahung des gerade Negierten konterkariert, Enttäuschungen, die seinerin dem Maß harren, wie auf diese Weise jeder vermeintliche Fortschritt beider Weltucht im Zweifelsfall immer wieder spurlos revoziert wird und

71

Page 72: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 72/189

er, der Weltüchtige, sich mithin auf den Fleck eines im Felde des Daseins

ebenso unerklärt wie unentschieden ausgetragenen Tauziehens mit dereigenen Person gebannt ndet. Mit der Erregbarkeit und Unersättlichkeitseiner Triebe, der Anhänglichkeit und Fixheit seiner Gewohnheiten danklanger Exerzitien bestens oder vielmehr schmerzlichst vertraut, sieht ergeradezu vor sich, wie es ablaufen wird – wie er durch Konzentration auf das Nichts, das sein Wesen ist, im einen Augenblick Aspekte des Daseinstilgen und wegschaffen wird, nur damit im nächsten Augenblick deraus dem Hinterhalt der eigenen Person vorbrechende Trieb die gleichenAspekte wieder besetzt und neu intendiert, wie er sich von den Erschei-nungen als vom nichts bergenden, Nichts verbergenden Schein, der sie

sind, lösen und abwenden wird, nur damit gleich anschließend die ausder Hinterhand der empirischen Individualität vordrängende Gewohn-heit die alte Bindung an eben diese Erscheinungen wiederherstellt undneu bekräftigt.

Der Weltüchtige faßt den Gedanken, daß er selbst durch seine Unentschie-denheit in der Weltverneinung den Trieben und Gewohnheiten immer wiederNahrung verschafft und daß er nur konsequent die Flucht fortsetzen muß, damit jene gegenstandslos werden und absterben. Er erkennt, wie sehr er durch Her-umdoktern an den als Symptome begreiichen Trieben der Krankheitsursache,

der trieberregenden Welt, immer wieder Vorschub geleistet hat. Ihm wird dieErleuchtung zuteil, daß es nicht darum geht, sich durch Befreiung von derempirischen Person zum Auszug aus der Erscheinungswelt bereit zu machen,sondern ausschließlich darauf ankommt, sich durch den Auszug aus der Erschei-nungswelt auf das wesenhafte Selbst zu reduzieren, das zum Einzug ins Nichts,ins Nirwana, geschickt ist.

Während so aber der auf die Zinne seines fruchtlosen Asketentumsgestellte oder vielmehr zwischen Unerfüllbarkeit und Unverzichtbarkeitder asketischen Selbstläuterungsbedingung in der Klemme sitzende Welt-

üchtige auf der Suche nach einem Ausweg aus seinem Dilemma hinund her schwankt zwischen dem Impuls zu einer kurzentschlossenenWiederaufnahme der Weltucht und selbstquälerischen Zweifeln an denErfolgsaussichten einer solchen Wiederaufnahme, kommt ihm der Ge-danke, ob nicht eben dieses Schwanken schuld an der Ausweglosigkeit

72

Page 73: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 73/189

aus dem Dilemma, wo nicht gar – als Symptom einer grundlegenderen

Unentschiedenheit der Betrachtung und Zweideutigkeit der Haltung –verantwortlich für das asketische Dilemma als solches ist. Eingegebenwird ihm dieser Gedanke von der früher oder später sein Bewußtseinerreichenden Wahrnehmung, daß er sich bei seiner zweifelsüchtigenAntizipation der wiederaufgenommenen Weltucht einer merkwürdigensyntaktischen Ungereimtheit, um nicht zu sagen logischen Widersprüch-lichkeit schuldig macht. Einmal nämlich antizipiert er, daß er Daseinwegschafft, von Erscheinungen sich löst, nur um gleich anschließend zuimaginieren, wie sein Trieb das weggeschaffte Dasein wieder besetzt,seine Gewohnheit eine neuerliche Bindung an die Erscheinungen, vondenen er sich gelöst hat, herstellt. Wie aber? Wenn er das Dasein wirklichgetilgt, sich von den Erscheinungen ernstlich abgewandt hat, was bleibtdann dem Trieb eigentlich noch zu besetzen und woran kann sich dieGewohnheit dann überhaupt noch binden? Müßte der Trieb dann nichteigentlich ins Leere zielen, die Gewohnheit beziehungslos in der Lufthängen? Und ist nicht – weniger mystizierend gefragt – die Bedingungdafür, daß auf die Absetzung des Daseins dessen Neubesetzung, auf dieTrennung von den Erscheinungen die Wiederanknüpfung an sie erfolgenkann, dies, daß er, der Weltüchtige, die Absetzung des Daseins nichtwirklich vornimmt, die Trennung von den Erscheinungen nicht ernstlichvollzieht? Ist nicht die Bedingung dafür, daß ihm seine leiblich-seelischePerson und empirische Individualität unliebsam aufstoßen und einenStrich durch die Rechnung der Daseinsverneinung machen kann, seineeigene heimliche Bereitschaft, vom eben erst vollstreckten Akt der Da-seinsverneinung gleich wieder abzurücken, nicht das erwirkte Nichts anDasein als eine unwiderruich ausgemachte Tatsache festzuhalten undsich aus seiner qua Weltucht aktiv entschiedenen Verneinungshand-lung unversehens in die unentschieden reaktive Konzessionshaltung, dieLaissez-faire-Attitüde dessen zurücksinken zu lassen, dem das Daseinals etwas selbstverständlich Gegebenes gilt und der die Erscheinungenals natürlich Vorauszusetzendes akzeptiert. Ist nicht mit anderen Worten

schuld daran, daß ihm die Möglichkeit einer Beeinträchtigung und garDurchkreuzung seiner weltüchtigen Motion durch die eigene Triebnaturüberhaupt aufstoßen kann, die Tatsache, daß er selbst zwischen sichals entschlossen daseinsverneinendem Selbst und unentschlossen da-seinsverhaftetem Triebwesen schwankt und durch das stillschweigende

73

Page 74: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 74/189

Absehen von der entschlossenen Bewegung des ersteren und die Rück-

sicht auf die unentschlossene Haltung des letzteren diesem allererst denSpielraum eröffnet und den Geltungsbereich erschließt, kraft dessen esersterem, dem weltüchtigen Selbst, hinderlich und gar verderblich wer-den kann. Und ist also nicht, wenn er antizipiert, wie seine persönlicheDaseinshörigkeit ihm den gerade erst eingeschlagenen Weltuchtweggleich wieder verlegt, diese Antizipation eine für die eigene Erfüllungsorgende Prophezeiung insofern, als er durch den heimlichen Sichtwech-sel, den er unter dem Eindruck des artgenossenschaftlichen Beispielsvollzieht und der ihn statt des Nichts an Dasein die eigene Daseinshörig-keit ins Auge fassen läßt, für exakt die weltuchtvereitelnde Neuxierung

ans Dasein, die er fürchtet, allererst den Grund legt und den Gegenstandschafft?Was wäre denn, wenn er an seiner weltüchtigen Daseinsverneinung

unbeirrt festhielte, wenn er sich um die daseinsbejahenden Triebe underscheinungsbekräftigenden Gewohnheiten, die in petto der eigenenPerson schlummern beziehungsweise im leiblich-seelischen Hinterhaltseiner selbst lauern, schlicht nicht kümmerte, einfach keine Gedankenmachte? Woran denn sollten die Triebe sich dann überhaupt festmachen,woran sich eigentlich die Gewohnheiten halten? Woran wohl, da docheben das Dasein, dessen sie bedürften, um Geltung zu gewinnen, schlicht

und einfach ein Nichts für ihn wäre und er eben die Erscheinungen, diesie brauchten, um zu Vorschein zu kommen, sich ebenso nachdrücklichaus den Sinnen wie entschlossen aus dem Sinn geschafft hätte? Undist nicht in der Tat dies, daß er, von den säumigen Artgenossen dazuverführt, sich für die eigene Triebnatur zu interessieren, in seinem welt-üchtigen Impetus erlahmt, seinen Daseinsverneinungsgriff lockert unddurch seine interessehalber schiere Abstandnahme vom Negationsge-schäft das Negierte wieder ins Spiel und zu Kräften kommen, kurz, dietriebnatürlich alte Positivität zurückgewinnen läßt, die Voraussetzungdafür, daß die Triebe neue Nahrung erhalten, die Gewohnheiten wieder

etwas zu beißen oder vielmehr durchzukauen bekommen, mithin beidein die Lage versetzt werden, sich auf ihre die Weltucht störende oderdurchkreuzende Weise zur Geltung zu bringen? Hielte der Weltüchtigean seiner daseinsverneinenden Resolution unbeirrt fest, ließe er sich vonseinem erscheinungsabstraktiven Kurs partout nicht abbringen, es träte

74

Page 75: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 75/189

die oben beschworene Situation ein: die in petto seiner selbst verbor-

genen Triebe zielten, falls sie aus gewohnheitsmäßig eigenem Antriebhervorbrächen, ins Leere, die im Hinterhalt der eigenen Person lauerndenGewohnheiten hingen, falls sie aus triebhaft schierer SichselbstgleichheitRaum griffen, in der Luft.

Aber hätten die Triebe überhaupt noch einen Grund hervorzubrechen,wären die Gewohnheiten überhaupt noch disponiert, Raum zu greifen?Wie stünde es denn um den Beweggrund eines Triebs, der nichts mehrhätte, woran er sich entzünden und worauf er sich richten könnte, wienähme eigentlich die Motivationslage einer Gewohnheit sich aus, dienichts mehr vorfände, woran sie sich festmachen und entfalten könnte?Hervorbrechen könnte ein solcher Trieb tatsächlich nur noch aus be-sagtem gewohnheitsmäßig eigenem Antrieb, nämlich in der Weise, daßer die Leere, in die er zielte, mit dem aus Reminiszenzen gefertigtenTrugbild eines Beweggrunds füllte, kurz, im Sinne eines sich selbst denAnhaltspunkt liefernden halluzinierenden Automatismus; und Raumgreifen könnte eine derartige Gewohnheit höchstens noch kraft ihrertriebhaft schieren Sichselbstgleichheit, nämlich so, daß sie die Luft, in dersie hinge, mit der aus nichts als ihrer Routine sich speisenden Projekti-on eines Motivs schwängerte, kurz, in der Bedeutung einer sich selbstden Gegenstand vormachenden Leerlaufreaktion. So gewiß indes solcheselbstgesetzten Beweggründe und vorgespiegelten Auslöser als Bedin-gung für das Hervortreten der Triebe und Gewohnheiten deren prinzi-pielle Abhängigkeit von der Voraussetzung des äußeren Daseins undgrundlegende Angewiesenheit auf die Gegebenheit der Erscheinungs-welt deutlich werden ließen, so gewiß wäre zugleich klar, daß sie alsmotivationaler Ersatz für das negierte äußere Dasein und die eliminierteErscheinungswelt keine Haltbarkeit hätten und nicht lange von Bestandwären. Teils, weil die Münchhausiade, sich am eigenen Schopf aus demSumpf zu ziehen und nämlich seine ganze Aktivität auf einen selbst-geschaffenen Anlaß zu gründen, den Trieb auf Dauer emotional oderquantitativ-dynamisch überforderte, teils weil die Aufgabe, diesen Anlaß

immer wieder aus Reminiszenzen zu reproduzieren, mangels originalerErfahrung und damit ohne die Möglichkeit, mittels Erfahrung die Remi-niszenzen aufzufrischen, den Trieb auf längere Sicht vor kategorial oderqualitativ-eidetisch unüberwindliche Probleme stellte, käme mit Sicher-heit der Punkt, an dem er unter der Last der ihm aufgebürdeten halt- und

75

Page 76: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 76/189

gegenstandslosen Selbsttätigkeit zusammenbräche und verendete und so

den sinnenfälligen Beweis dafür erbrächte, daß Triebe – aller scheinbarenSpontaneität zum Trotz – eine im Kern durchs äußere Dasein provozierteReaktionsbildung, Gewohnheiten – allem vorgeblichen Automatismusungeachtet – in letzter Instanz eine erscheinungsbedingte Verhaltensformsind – eine Reaktionsbildung und Verhaltensform, die mit dem, was siehervorruft, steht und fällt und die bei längerem Entzug dessen, was sie bedingt, ihr Existenzrecht verliert und nolens volens zugrunde geht. InsLeere zielend und durch den anhaltenden Entzug des äußeren Daseins zusehr geschwächt, um noch Ersatz fürs entzogene Dasein schaffen zu kön-nen, in der Luft hängend und durch die fortwährende Abstraktion vonder Erscheinungswelt zu sehr entwöhnt, um noch ein spontanes Nach- bild von den verschwundenen Phänomenen zustandezubringen, gäbendie Triebe und Gewohnheiten schließlich den Geist auf und zollten mitdem eigenen Hinscheiden ihrer Natur als daseinsbedingter Reex, ihrerBeschaffenheit als erscheinungsabhängige Funktion Tribut. Die Leer-laufreaktionen, zu denen der Trieb sich mittels Ersatzbildung aufgerafft,die Automatismen, in denen sich die Gewohnheit mangels wirklichenGegenstands umgetrieben hätte, erwiesen sich als die letzten Zuckungeneines Subjekts, das, durch den Entzug der Erscheinungen des Daseinsebensowohl seines Existenzgrunds wie seines Lebenselements beraubt,den Offenbarungseid seiner mit Hinfälligkeit synonymen Gegenstandslo-sigkeit leistete und ganz von selber oder aus eigenster Substanzlosigkeitabstürbe, welkte, verebbte, erlösche.

Dergestalt also sinnt der an seinem Asketentum verzweifelnde Welt-üchtige dem irgendwann in ihm wach werdenden Verdacht nach, daßer mit seiner besorgten Reexion auf die eigene Triebnatur als auf einenalle Weltucht zu durchkreuzen geeigneten Störfaktor sich als manipu-lativer Prophet betätigt und nämlich der Triebnatur überhaupt erst jeneErhaltungsmöglichkeit eröffnet und jenen Entfaltungsraum erschließt, diesie zu einem besorgniserregenden Störfaktor werden lassen und ihr dieKapazität verleihen, der Weltucht in die Quere zu kommen. Dergestalt

macht er sich klar, welch toto coelo anderen und für seine Triebe undGewohnheiten fatalen Verlauf die Sache nähme, wenn er sich weigerte,sich durch die Reexion auf die eigene Triebnatur im Weltuchtgeschäftirre machen und von der für dies Geschäft entscheidenden, unbeirrtdaseinsverneinenden Haltung abbringen zu lassen. Und indem er so

76

Page 77: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 77/189

– durch sein widersprüchliches Schwanken zwischen daseinseliminie-

render Resolution und daseinsimplizierender Reexion auf die Spurseines manipulativen Prophetentums oder Selbstvereitelungsmechanis-mus gebracht – über jenen alternativen Ausgang nachsinnt und sichantizipierend Klarheit verschafft, kommt in der Tat der Befund, zu demsein Nachdenken ihn gelangen läßt, einer Erleuchtung gleich.

Jäh über den wahren Zusammenhang zwischen eigener Triebnatur undäußerer Erscheinungswelt aufgeklärt, gewahrt er, wie sehr das vermeintli-che Problem der die Weltucht unterlaufenden Triebnatur tatsächlich nureines der im eigenen Lauf innehaltenden, an ihr selber inkonsequentenWeltucht ist, wie sehr eine in beharrlicher Daseinsverneinung beste-

hende konsequente Weltucht das Problem als scheinhaft enthüllt undsich von selbst erledigen läßt und wie gröblich also er, der Weltüchtige,fehlgeht, wenn er sich von den säumigen Artgenossen verführen läßt,das vermeintliche Problem isoliert aufs Korn und pointiert in Angriff zu nehmen und seine vorherige Lösung zur conditio sine qua non derdanach erst fortzusetzenden beziehungsweise wiederaufzunehmendenWeltucht zu machen. Er gewahrt, wie sehr er, wenn er vom Daseins-verneinungsgeschäft Abstand nimmt, um erst einmal seiner daseinsbeja-henden Triebnatur mit asketischen Mitteln den Garaus zu machen, einerVerwechslung von Ursache und Wirkung, von Krankheit und Symptom,

aufsitzt und wie sehr er tatsächlich der Ursache die Stange hält, derKrankheit Vorschub leistet, während er an der Wirkung Anstoß nimmt,am Symptom herumkuriert. Eben dadurch, daß er sich aufs Symptomkonzentriert, sich der daseinsgespeisten Triebnatur zuwendet, reafr-miert er die Krankheit, das der Triebnatur Nahrung gebende Dasein,teils weil er es mit der Wendung selbst stillschweigend als logische Vor-aussetzung der Triebnatur zu verstehen gibt und zur Geltung bringt,teils weil er es mit dem in der Wendung implizierten Verzicht auf seinepraktische Verneinung offenkundig als empirische Gegebenheit bestehenund in Kraft bleiben läßt. Will der Weltüchtige wirklich seinen Trieben

und Gewohnheiten den Garaus machen, so muß er, eben weil sie bloßesSymptom, Ausuß des Daseins, Reaktiv der Erscheinungswelt sind, sichschleunigst von ihnen abwenden, stante pede sein Interesse von ihnenabziehen, und zu jenem das Dasein selbst betreffenden Negationsgeschäftzurückkehren, von dem er um ihrer asketisch gezielten Bekämpfung

77

Page 78: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 78/189

willen abgelassen hat. Weit entfernt davon, daß er auf diesem Wege Ge-

fahr läuft, das Negationsgeschäft, zu dem er zurückkehrt, unter demDamoklesschwert seiner unbewältigten Triebe und unüberwundenenGewohnheiten betreiben zu müssen, kann er im Gegenteil gewiß sein,im Säurebad des Negationsgeschäfts auch und wesentlich jenes Damo-klesschwert versinken und zu nichts sich auösen zu sehen. So wahrer gegen die im Dasein bestehende Krankheit selbst vorgeht, den alsErscheinungswelt perennierenden Krankheitsherd aufs Korn nimmt,so wahr kann er sicher sein, daß in dem Maß, wie es ihm gelingt, dieKrankheit niederzuschlagen, nolens volens auch ihre Äußerungen sicherledigen, daß mit dem Verlust des Nährbodens, was auf ihm gedieh,dahinwelkt, mit dem Entzug des Brennstoffs das Feuer wie von selbsterlischt.

Und war nicht, so gesehen, bei seinem ersten beherzten Weltucht-versuch die Latenz und Unscheinbarkeit des eigenen Triebpotentials,auf dessen Spur ihn die Reexion der artgenossenschaftlich virulentenTriebnatur brachte, bereits Ausdruck des segensreichen, das Feuer dämp-fenden und erstickenden, der Triebkraft den Boden entziehenden Ein-usses der von ihm praktizierten Daseinsverneinung? War es also nichtZeichen völliger Verblendung, daß er sich vom Beispiel der Artgenossenverführen ließ, diesen bereits fortgeschrittenen Prozeß des mittelbarenLatent- und Obsoletwerdens der eigenen Triebnatur zu unterbrechen,und daß er im Bemühen, der Triebnatur unmittelbar zu Leibe zu rückenund als solcher den Prozeß zu machen, teils dem Dasein Gelegenheitgab, sich wieder in Szene zu setzen und zu reafrmieren, teils damit derdirekt attackierten Triebnatur selbst indirekt ermöglichte, wieder Kraftzu schöpfen und sich am reafrmierten Dasein neu zu manifestieren?Was kann er demnach jetzt, da er aus seiner Verblendung erwacht und jäher Erleuchtung teilhaftig geworden ist, Besseres tun, als das ganzefehlgeleitete Unternehmen asketischer Triebbekämpfung ad acta zu legenund stante pede zur Daseinsverneinung als dem auch und gerade imBlick auf die Überwindung der Triebnatur sich empfehlenden und in all

seiner Indirektheit sich zur via regia erklärenden Weg zurückzukehren?Erleuchtet, und das heißt, im reexiven Konkurs zum Offenbarungseidseines – der Verwechslung von Symptom und Krankheit geschuldeten –prinzipiell falschen Beginnens einer Pege der Krankheit durch Herum-doktern an den Symptomen gebracht, weiß der Weltüchtige nun also,

78

Page 79: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 79/189

was er zu seiner Genesung zu tun hat. Statt noch länger gegen seine in-

neren Bindungen ans äußere Dasein Sturm zu laufen oder mit ebensovielDisziplin wie Ausdauer anzugehen, macht er sich kurzentschlossen dar-an, diesem äußeren Dasein selbst die Verbindlichkeit zu nehmen und denAbschied zu geben, statt sich weiter mit seinen leiblichen Begierden undpersönlichen Gewohnheiten herumzuschlagen, beginnt er kurzerhand,mit dem aufzuräumen, was die Begierden weckt und die Gewohnheitenschafft, statt sich wie gehabt in Selbstbehauptung gegen die von derErscheinungswelt erzeugte eigene Triebnatur zu üben, betreibt er jetztmit der ganzen Entschiedenheit des durch Schaden klug Gewordenenseine Selbstzurücknahme aus der die Triebnatur erzeugenden und näh-renden Erscheinungswelt. Kurz, an die Stelle der als Abrechnung mitdem eigenen personalen Innenleben konzipierten asketischen Verwah-rung gegen sein empirisch-immanentes Ich läßt der aus der Sackgasseseines Asketentums zu sich kommende Weltüchtige nunmehr die alsAbwendung von der Objektivität des äußeren Daseins wohlverstandenemeditative Versenkung in sein identisch-transzendentes Selbst treten.Nicht mehr modo obliquo, nämlich durch eine qua Trennung von dereigenen Person zu erwirkende Resektion dessen, was ihn an der Annul-lierung der Erscheinungswelt hindern und damit von der Rückkehr insWesen abhalten könnte, sondern via directa, nämlich durch eine kraft Ab-wendung von der Erscheinungswelt durchgesetzte Reduktion auf das anihm, was zum Wesen bestimmt und bereit ist, betreibt der Weltüchtige jetzt seine Weltucht. Indem er mittels meditativer Versenkung in sich,mittels selbstzentrierter Reduktion, von der Außenwelt abstrahiert undsich löst und, wie alles Interesse an ihr, alle Kenntnis von ihr, allen Bezugzu ihr aufgibt, so schließlich sie in tot aus Sinnen und Sinn verliert, setzter eben die Daseinsverneinung kurzerhand in die Tat um, die er zuvorwähnte, erst einmal gegen ihre Sabotage durch seine eigene Triebnatursicherstellen zu müssen, und macht in der Tat die Erfahrung, wie sehrumgekehrt solche Verneinung geeignet ist, ihm mitsamt dem äußerenDasein auch die eigene Triebnatur vom Halse zu schaffen.

In dem Maß, wie es sich im Zuge seines meditativen Rückzugs vorihm und um ihn lichtet und wie sein Blick sich zur allverneinenden,nichtserfassenden Nabelschau klärt, wird es in ihm leer und hinter ihmstill und ndet er sich selbst all der daseinsbestimmten Motive und er-scheinungsbedingten Bindungen ledig, die ihm eben noch als bedrohliche

79

Page 80: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 80/189

Hypothek im Nacken saßen oder auf der Seele lagen. Ein und derselbe

Rückgang in sich selbst, durch den er sich vom Dasein abwendet und vonder Erscheinungswelt löst, befreit ihn auch von der personalen Natur undindividuellen Beschaffenheit, die das Dasein ihm verleiht und in der dieErscheinungswelt ihn erhält. So wahr der Weltüchtige kraft abstraktiverReduktion auf sein ins Wesen zurückgewendetes Selbst mit den Erschei-nungen, die er nach Maßgabe seines historischen Abfalls vom Wesen indie Welt gebracht und zwischen sich und dem Wesen in Szene gesetzt hat,reinen Tisch macht und sie als schieren Schein zunichte werden läßt, sowahr läßt er damit auch zwangsläug den Teil von sich zunichte werden,der in Reaktion auf jenen Schein entstanden ist und auf seiner Grundlagesubsistiert. Kraft meditativer Versenkung und Selbstreduktion ebensosehrvon der eigenen Triebnatur erlöst wie vom äußeren Dasein entbundenund also ebensosehr der subjektiv-personalen Abhaltungen ledig wie derobjektiv-phänomenalen Widerstände überhoben, steht der Weltüchtigeals die unpersönlich wesenhafte Insistenz, auf die er sich reduziert hat,vor dem Nichts, zu dem der wesenlose Schein des Daseins sich ihmverüchtigt hat, und ist frei, in diesem reinen Nichts das schiere Seinzu erfassen, diese absolute Vergangenheit der Erscheinungswelt als seinzeitloses Wesen anzunehmen. Dank entschlossener Daseinsverneinung,die ineins Eliminierung seiner aufs Dasein angewiesenen Person undIndividualität ist, hinter das Ganze des Scheins seiner Abfallgeschichtevom Sein zurückgekehrt und an jenem entscheidenden Punkt wiederangelangt, an dem ihn von der Restitution in integrum seines zum Wesenzeitlos vergangenen wirklichen Seins nichts weiter mehr trennt als dieeigene, noch in der Abwendung von der Erscheinungswelt verhalteneund deshalb das Wesen nur erst in der Form eines Nichts an möglichemSchein erscheinen lassende negative Bewegung, hat der Weltüchtigefreie Bahn, die negative Bewegung dadurch ins Positive umzukehren undalso das letzte Trennende dadurch zu überwinden, daß er sich diesem subspecie der Erscheinung für Nichts sich erklärenden Wesen zuwendet, esals das Ziel, an dem er ist, annimmt und Einkehr in es hält – kurz, er istfrei, ins Nirwana einzugehen.

80

Page 81: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 81/189

Die Artgenossen sehen sich durch den neuen Aufbruch des Weltüchtigen in

die Bredouille gebracht: Mit der Askese war es ihnen ja gelungen, ihm ihre Sichtvom wesenhaften Selbst als einem Produkt der Abstraktion von der empirischenIdentität zu vindizieren; nun aber sticht er ihnen kraft Erleuchtung den Star undmacht ihnen klar, daß die empirische Identität keineswegs Voraussetzung deswesenhaften Selbst, sondern bloßes Korollar der Erscheinungswelt ist, mit derzusammen sie im Vollzug der Weltucht sich auöst und zu Nichts verschwin-det. Mit dieser Wendung wiederholt der durch seine Erleuchtung zum Buddha gewordene Weltüchtige auf freiwillig-künstliche Weise die gleiche Bewegung,die auf spontan-natürliche Art das dem Reichtum entspringende andere Subjektmacht, eine Bewegung, die ontologischer Sprung in dem Sinne ist, daß sie das,

woraus sie herkommt, im Moment ihres Resultierens als Voraussetzung revoziertund für null und nichtig, irreal, erklärt.

Mit wachsender Beunruhigung, mit einer Mischung aus Bewunderungund Grauen sehen die Artgenossen zu, wie aus dem ins blinde Aske-tentum verbohrten, in den Alptraum eines fruchtlosen Ringens mit dereigenen Person verstrickten Weltüchtigen der Erleuchtete, der Erwachte,der Buddha wird. Sie, die sich an die ebenso integrierende wie periphe-re Anwesenheit des verhinderten Weltüchtigen gewöhnt haben unddenen seine selbstquälerischen Kasteiungen und asketischen Exerzitien

nach Maßgabe der unwillkürlichen Anerkennung, die er mit ihnen derartgenossenschaftlichen conditio humana zollt, lieb und teuer sind – siemüssen erleben, wie er sich durch schieres, als Abwendung vom äußerenDasein und Rückzug aus der Erscheinungswelt wohlverstandenes, medi-tatives Insichgehen von seiner streitbaren Fixierung an das, was sie treibt,seiner negativen Bindung an das, was sie hält, befreit, sich erneut auf denweltüchtigen Weg macht und sich in der Tat anschickt, ihren Augen indie gleichermaßen ihr Dasein auf ein Nichts reduzierende und als diesNichts hinter ihrem Dasein sich spurlos verlierende Transzendenz desWesens ebenso unversehens wie unwiderruich zu entschwinden. Durch

einfaches Insistieren auf ihren triebnatürlichen Bindungen ans Daseinist es zuvor den Artgenossen gelungen, den Weltüchtigen von seinererscheinungsnegativen Wesensorientierung abzubringen und bis auf un-absehbar weiteres in den ugs von ihm als Selbstreinigungsaufgabe wahr-genommenen Kampf gegen eben jene daseinsspezischen Fesseln und

81

Page 82: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 82/189

Fallstricke zu verwickeln. Nun aber, da die Reexion des Widersprüch-

lichen in seinem Tun ihn zur Erleuchtung hat gelangen und nämlich jähhat erkennen lassen, daß er mit seinem asketischen Purgatorium einemSchein der Erscheinung, einem Symptom der Krankheit aufsitzt unddeshalb im Vorfeld der daseinsverneinenden Wesensorientierung und inVorbereitung auf sie ein Problem zu beseitigen sucht, das sich tatsächlichnur in deren Rahmen und Vollzug bewältigen läßt und dann quasi vonselbst erledigt – nun also stellt er den asketischen Kampf kurzerhand ein,hört auf, sich mit dem triebnatürlichen Problem der Artgenossen als miteiner ernsthaft eigenen Abhaltung zu befassen, und sucht, sich in medita-tiver Versenkung auf sein wesensorientiert abstraktes Sein reduzierend,

sein Heil in der Flucht – in jener wiederaufgenommenen anfänglichenWeltucht, die, statt durch das unbewältigt zurückgelassene Problem inihrem Fortgang bedroht zu sein, es vielmehr durch ihren Fortgang als einScheinproblem zu entlarven und zusammen mit dem Dasein als solchemzum Verschwinden zu bringen verspricht.

Indem er aber so verfährt, stürzt nun der Weltüchtige die Artgenossenin ärgste Not und Bedrängnis, weil das, was er solcherart im Stich läßtund als einen von der Erscheinungswelt gesetzten und deshalb zusam-men mit ihr veriegenden Schein verwirft, ja eben die triebnatürlicheBestimmtheit, eben die leiblich-seelische Person ist, an der als an ih-

rer unabtrennbaren Individualität, ihrer unverzichtbaren Identität siegegen sein wesenhaft abstraktives Selbstsein ebenso beharrlich wie imBewußtsein ihrer kreatürlichen Schwäche festhalten. Sie halten daranfest im Gegenzug gegen das Übermaß an Entäußerung und den Gipfelan Entfremdung, womit sie dies Selbstsein, zu dem sie aufgerufen sindund das in der Gestalt des Weltüchtigen ebenso verweisend wie her-ausfordernd auf den Plan tritt, konfrontiert. Am Dasein hängend undgefesselt von der Erscheinungswelt, gewahren sie in dem qua Selbst-werdung ihnen abverlangten Wesensverhältnis ein auf Kosten dessen,worin sie ihr triebnatürlich-empirisches Bestehen haben, durchgesetztes

und also um den Preis der Trennung von der eigenen Person erkauftesAbstraktionsprodukt oder Reduktionsereignis, zu dem sie ungeachtet allseines verpichtenden Wahrheitsanspruchs und verbindlichen Sollcha-rakters die Kraft und Bereitschaft nicht aufzubringen vermögen. Undin dem Maß, wie es ihnen gelingt, durch dies bloße Festhalten an ihrer

82

Page 83: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 83/189

empirischen Identität den Weltüchtigen von seiner rücksichtslos welt-

verneinenden Resolution abzulenken, ihn für ihr Problem zu interessierenund ihn dazu zu bringen, es sich ex negativo oder in der Absicht seinerÜberwindung zu eigen zu machen, kurz, ihn zum Asketen werden zulassen, gibt er ihnen indirekt recht und schließt sich ex negativo desasketischen Selbstüberwindungsversuchs ihrer Version vom Verhältniszwischen triebhafter Person und wesenhaftem Selbst an. Er rechtfertigtihren Standpunkt nicht nur praktisch-empirisch in der Weise, daß er ameigenen Leib und in die Länge und Breite seiner asketischen Übungenvorführt, wie schwer und am Ende unmöglich es auch und sogar fürihn, den zur Weltucht Entschlossenen, ist, sich von jenem triebhaftenTeil seiner selbst, jener persönlichen Identität zu trennen und die Ab-straktion von sich oder wesenhafte Reduktion auf sich selbst Wirklichkeitwerden zu lassen. Er gibt ihnen auch und mehr noch in dem theoretisch-systematischen Sinne recht, daß er durch seine asketischen Reinigungs-und Befreiungsbemühungen das wesenhafte Selbstsein als Resultat einesmittels Entäußerung der leiblich-seelischen Triebnatur zu vollziehendenReduktionsvorgangs, mithin als ein kraft Entfremdung von aller per-sonalen Identität zu erreichendes Abstraktionsprodukt anerkennt. Sogewiß durch einfaches Insistieren auf ihren Bindungen ans Dasein dieArtgenossen es schaffen, den Weltüchtigen für sie und ihren Standpunktzu interessieren und ihn zu veranlassen, die eigene, weltüchtige Haltungin Begriffen des abstraktiven Abstands und der reduktiven Ablösung von jenem artgenossenschaftlichen Standpunkt wahrzunehmen, so gewiß ver-führen sie ihn zur Annahme eines konsekutiven Verhältnisses zwischentriebgebundener Identität und wesensbestimmtem Selbst, die einer Aner-kennung oder vielmehr Rehabilitation der ersteren in der Rolle einer wieimmer in ihrer Überwindung und Ablösung bestehenden empirischenBedingung, einer wie immer durch ihre Negation und Beseitigung zuerfüllenden faktischen Voraussetzung für letzteres gleichkommt.

Genau im Hinblick auf diese wie immer unter negativen Vorzeichenreafrmierte, vorgebliche Kontinuität zwischen daseinsgebundener Stel-

lung und wesensbestimmter Haltung aber sticht nun der Weltüchtige,nachdem ihm seine Erleuchtung die Augen geöffnet hat, auch den Art-genossen den Star und bringt sie, was nicht etwa nur die Rechtfertigung,sondern überhaupt die Aufrechterhaltung ihres Standpunktes angeht,in die allergrößte Bedrängnis. Indem er erleuchtet erkennt, daß jener

83

Page 84: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 84/189

triebnatürliche Standpunkt nichts als eine Funktion des erscheinungs-

weltlichen Syndroms ist, das er als schieren Schein negiert, und deshalbim Zuge der Durchdringung und Zerstreuung des Scheins, in der Konse-quenz der Auösung und Beseitigung des Weltsyndroms sich quasi vonselbst erledigen muß, kommt diese praktische Einsicht einer theoretischenAbsage an jede Form von prozessualer Kontinuität mit den Artgenossenund in der Tat einem absoluten Bruch mit dem artgenossenschaftlichenDasein gleich. Eben das, was den Artgenossen bis dahin noch gelungenist, ihm als eine wie immer im Vergehen bestehende Vorstufe und wieimmer in ihrer Überwindung sich erschöpfende Voraussetzung seinernach Maßgabe ihrer Daseinsverneinung wesensbestimmten Haltung zu

suggerieren, klärt sich ihm, dem durch den Schaden eines fruchtlosen As-ketentums klug gewordenen Weltüchtigen, zu einem im Prinzip seinerAbkehr von der Erscheinungswelt bereits überwundenen und reparierten bloßen Abfall von der wesensbestimmten Haltung, einem ex cathedra sei-ner Daseinsverneinung bereits revozierten und geheilten schieren Verratan dem dank letzterer wiedergewonnenen Selbstsein.

Seine praktische Einsicht, daß es genügt, die als Zerstreuung von Schein begreiiche Daseinsverneinung voranzutreiben, um automatisch auchdie am Dasein hängende, mit dessen Schein stehende und fallende empi-rische Triebnatur und persönliche Identität loszuwerden, ist, mit anderen

Worten, gleichbedeutend mit der theoretischen Erkenntnis, daß der Welt-uchtentschluß als solcher, insofern er Entschluß zur Abkehr von einerhistorischen Scheinbewegung oder halluzinatorischen Leerlaufreaktionund zur Rückkehr in eine ontologische Wesensbestimmung oder einenrealisatorischen actus purus ist, zwischen der triebnatürlichen Identitätund dem weltüchtigen Selbst eine Kluft aufreißt, die durch keine tem-porale Konsequenz oder prozessuale Kontinuität mehr überbrückbar ist,weil sie in ein und demselben Sinn, in dem sie das weltüchtige Selbstin dem als zeitlos vergangenes Sein oder absolut beständiger Anfangperennierenden Wesen seinen Grund wiedernden läßt, die triebnatürli-

che Identität als Angebinde jenes als kapitales Vergehen gegen das Seinerscheinenden Scheins von Zeitlichkeit decouvriert, dem das Selbst durchseine Weltucht den Boden entzieht, sie mithin in den Abgrund jenes alsinitialer Verrat am Anfang sich zu verstehen gebenden illusorischen Be-ginnens stürzt, dem das Selbst durch seine Rückkehr zum Anfang jeden

84

Page 85: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 85/189

Page 86: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 86/189

pristinum eines absoluten Anfangs vor aller Reichtumerzeugung war,

sosehr verwies es ex cathedra dieses Restitutionsakts den ganzen seinemAuftritt formell vorausgesetzten reichtumrelativen Stammesprozeß inden Irrealis eines als Voraussetzung revozierten frucht- und ziellosen,kurz, phantasmagorischen Beginnens, unterwarf es das ganze seinemErscheinen institutionell zugrundeliegende reichtumproduktive Stam-messubjekt der Annullierung eines als Grundlage disqualizierten sinn-und bodenlosen, kurz, illusorischen Treibens. Und ganz ebenso bedeutetnun also die nicht weniger rückhalt- als rücksichtslose Daseinsvernei-nung des weltüchtigen Selbst in dem Maß, wie sie sich als eine im Nichtsdes historischen Daseins Ereignis werdende Restitution in integrum deszum eigenen Wesen zeitlos vergangenen Seins erweist, einen ontologi-schen Sprung, der die Irrealisierung der dem weltüchtigen Selbst formellvorausgesetzten triebnatürlichen Identität und nämlich deren Disquali-zierung zu einem am Schein, der das Dasein ist, hängenden scheinhaftenBeginnen, einem mit der Halluzination, in der die Erscheinungswelt besteht, stehenden und fallenden illusorischen Ansinnen impliziert.

Solange es den Artgenossen noch gelingt, durch bloßes Insistieren auf ihrer triebnatürlichen Identität das weltüchtige Selbst zu einer Rede-nition seiner ontologisch differenten Position in Begriffen eben diesertriebnatürlichen Identität zu verleiten und nämlich dazu zu bringen, seinePosition als Produkt eines selbstsüchtig asketischen Abstandnehmensstatt als Frucht eines identitätslos sichselbstgleichen Zusichkommensmißzuverstehen, sie sich fälschlich als Resultat eines abstraktiven Puri-kationsprozesses statt als das hic saltus eines revokativen actus purus zuvergegenwärtigen – solange ihnen das gelingt, bleibt dem Weltüchtigen jene ontologische Implikation seines Vorgehens notwendig verborgenoder gerät ihm im Eifer des asketischen Gefechts sofort wieder aus denAugen. Nun aber, da der Weltüchtige seinen daseinsnegativen Verstandund seine mit ihm verfolgte wesensbestimmte Sichselbstgleichheit wie-dergewonnen hat, da er, von aller triebnatürlichen Identität und allerasketischen Befassung mit ihr sich gleichgültig abwendend, zum Erleuch-

teten, zum Buddha wird, der sich anschickt, in das Nichts einzugehen,das gleichermaßen das Nichts des Daseins und der daseinsbedingtentriebnatürlichen Identität ist, nun, da er sich den Artgenossen als das inmeditativer Zurücknahme zu sich gekommene Selbst präsentiert, das imBegriff steht, ohne Rücksicht auf Verluste, die doch immer nur illusionäre

86

Page 87: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 87/189

Verluste, weil Verluste an Illusion sein können, den ontologischen Sprung

vom Dasein, das Schein ist, in das Nichts des Scheins, das Sein ist, zuvollziehen – nun also ändert das Insistieren der Artgenossen auf ihrerals daseinsbedingte Identität empirischen Person seine Bedeutung undverwickelt in eben dem Maß, wie es die Kraft einbüßt, den Buddha inseinem Weltuchtkurs irre zu machen und von der Daseinsverneinungabzulenken, die Insistierenden in den ontologischen Konkurs jenes vomBuddha uchtartig im Stich gelassenen Daseins, das sie bedingt und auf dem sie bestehen.

So gewiß die resolute Weltucht des Erleuchteten sich als ein im Wort-sinn weltentscheidendes Ereignis erweist und nämlich als Entscheidung

des wesenhaften Selbst gegen den Schein von Sein, der ihm die Weltist, und für das Nichts der Welt, das ihm Sein ist, herausstellt, so gewißentpuppt sich das Beharren der Artgenossen auf ihrer an dem, wogegendas scheidende Selbst sich entscheidet, ihren An- und Inhalt habendenIdentität als ein Bestehen darauf, sich als Korollar und Angebinde desScheins vom seinsbestimmten Selbst ebenso kategorisch abgetrennt wievom selbstgegebenen Sein ontologisch ausgeschlossen zu nden. Indemder Weltüchtige aus der Welt, die Schein ist, scheidet und ins Nirwana,das Sein ist, eingeht, nimmt er als das wesensbestimmte Selbst, das er ist,alles, was in dieser Welt von Bestand war, mit sich und läßt sie, die Art-

genossen, als ein Anhängsel und Zubehör nicht etwa seines in integrumdes Seins, das er immer schon ist, restituierten Selbst, sondern partoutnur der ad absurdum ihres Scheins geführten Welt, die er, als wäre sienie gewesen, vergißt, zurück. Zwischen ihn, den Weltüchtigen, der sichfürs Nichts, das Sein ist, entscheidet, und sie, die Artgenossen, die derWelt, die Schein ist, verhaftet bleiben, tritt als disjunktive Trennwand undunendliches Scheidemittel eben dieser mundane Schein, der die Desertiondes Weltüchtigen, seinen ontologischen Bruch mit der Scheinsphäredadurch an ihnen, den zurückbleibenden Artgenossen, heimsucht undrächt, daß er ihnen allen artgenossenschaftlichen Zusammenhang mit

dem Weltüchtigen bestreitet und verschlägt, um sie als seine, jederWesensbestimmung beraubten, autochthonen Geschöpfe, als seine, jedenSelbstseins baren, eingeborenen Subjekte haargenau der gleichen Dis-qualikation und Irrealisierung zu unterwerfen, deren der Weltüchtigedurch seine Flucht ihn überführt.

87

Page 88: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 88/189

Ohnmächtig und angsterfüllt müssen sie zusehen, wie er in medi-

tativer Sammlung in sich geht und als das kraft Wesensbestimmungzu sich gekommene Selbst sich anschickt, die Welt zu verlassen – jeneErscheinungswelt, die er eben dadurch, daß er sie verläßt, um in dasNichts, das Sein ist, einzugehen, dem Schicksal einer, wie man will, zunichts sich verlaufenden Illusion oder vor dem Nichts sich verlierendenScheinsphäre überantwortet, in deren hiermit erwiesener Unwirklichkeitsie, die säumigen Artgenossen, als vom Rückkehrer ins Sein ontologischverschiedene Geschöpfe des Scheins oder illusionäre Subjekte unrettbarzurück und unentrinnbar befangen bleiben. Und ihre Trennungsangstwird dadurch nicht geringer, daß sie, die zusehen müssen, wie der Bud-dha aus der Welt auszieht und ins Nirwana einkehrt, den Auszug nichteinmal zu sehen bekommen, weil er ja in Form meditativer Versenkung,das heißt, im Verborgenen oder Verhohlenen der leiblichen Hülle desBuddha vor sich geht, und daß also, was sie zu sehen bekommen, ebennur diese vom Buddha entleerte leibliche Hülle, der scheinspezischeAusdruck seines wesensbestimmten Zusichkommens, die im Diesseitszurückgebliebene Larve seiner ins Jenseits vollbrachten Entpuppung,der als heillos aufgelassene Ausgangspunkt seiner ins Heil angetretenenFlucht ist. In der Tat bestätigt dies nur die unüberbrückbar ontologischeDifferenz, in die seine dasseinsverneinende Weltucht, seine kraft me-ditativen Rückzugs auf sich von aller Erscheinung Abschied nehmendeEinkehr ins Nichts den Buddha entrückt: Während er kraft seines inmeditativer Versenkung wesensbestimmten Selbstseins sich aus demStaub der Erscheinungswelt macht und sein Heil in der Flucht vor demGanzen des Scheins sucht, als das die Erscheinungswelt sich ihm entlarvt, bleiben sie, die einstigen Artgenossen, als wesenlose Identität zurück undstehen vor dem Ganzen des Scheins wie der Ochs vor dem Berg oder wieder Blinde vor der Undurchdringlichkeit seiner Blindheit, bekommen vondem, was der Buddha in wesensbestimmtem Zusichkommen tut oder ist,nur eben den Schein mit, den er abgestreift, den Staub, den er von denFüßen geschüttelt, die Illusion, von der er sich gelöst hat

88

Page 89: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 89/189

. Die universale Heilsperspektive

Die zusammen mit der Erscheinungswelt, an der sie festhalten, durch den be-

vorstehenden Weggang des Buddha von Irrealisierung bedrohten Artgenossenkönnen den Abgängigen weder in der alten Weise arretieren, noch können sie ihnals ihre einzige und letzte Verbindung zum Wesen ziehen lassen. Sie müssen ihmnachfolgen, müssen nachmachen, was er ihnen als ein in meditativer Versenkungsich vollbringendes Zusichkommen vormacht. Die Frage ist nur, ob er ihnen,den vom Dasein Okkupierten, die Zeit läßt, die für die Imitation nötige Kraftund Sammlung zu gewinnen, ehe er sich ins Nirwana davonmacht. Es bleibtihnen nichts anderes übrig, als an sein Mitgefühl, seine Solidarität zu appellie-ren. Daß er ihnen die Kraft und Sammlung, um deren künftiger Gewinnungwillen sie einen zeitlichen Aufschub erbitten, ja längst vorlebt und durch seinBeispiel hier und jetzt gibt, läßt allerdings Zweifel an der Ernsthaftigkeit ihrerImitationsbereitschaft aufkommen.

Vom Blendwerk, das, einschließlich seiner eigenen historischen Personund empirischen Identität, der Erleuchtete hinter sich läßt, wie von einerundurchdringlichen Abschirmung umfangen und wie von unüberwind-lichen Kerkermauern umgeben, erfahren die Artgenossen den Abschieddes Weltüchtigen als weltentscheidendes Ereignis, als eine ontologischeScheidung, bei der sich der Seinsanspruch von der Scheinhörigkeit, daswesensbestimmte Selbst von der täuschungsspezischen Identität einfür allemal trennt. Mit seinem in meditativer Versenkung sich vollbrin-

genden Abgang ins Nirwana, ins großgeschriebene Nichts des Daseins,nimmt der Buddha alles mit, was im Dasein Bestand hatte, und läßt dasDasein als eine wesenlose Erscheinung, eine aufgelassene Kulisse, eineentleerte Hülse zurück, in der die von der Erscheinungen gespiegeltenhalluzinatorischen Wiedergänger des entschwundenen Buddha, seine

89

Page 90: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 90/189

in der Kulisse geisternden illusionsentsprungenen Schemen, eben die

mit dem Dasein zurückgelassenen Artgenossen, ihr Unwesen treibenund ihr nach Maßgabe der erwiesenen Irrealität des Daseins spukhaftesLeben führen. In dieser Bedeutung aber des aus dem Hier und Jetztverschwindenden Seinsbezuges, der durch sein Verschwinden dies Da-sein mit allen seinen Bewohnern dem Schicksal eines gespenstischenScheinzusammenhanges überläßt, können die Artgenossen ihn unmög-lich ziehen lassen. Um nicht hic et nunc im Alptraum einer um jedesSelbstsein und alle Wesensbestimmung gekürzten Identität zum Scheinund durch und durch illusionären Bewandtnis zu versinken, müssen siealles daransetzen, den jenes Selbstsein verkörpernden Buddha zu einerVertagung seiner Einkehr ins Nirwana zu bewegen, ihn dazu zu bringen,als ihre letzte Brücke zum Wesen nicht sich abzubrechen und ins Wesenzurückzuziehen, sondern vorerst stehenzubleiben, als ihr einziges Torzum Sein nicht sich zu schließen und dem Sein exklusiv zuzuwenden,sondern bis auf weiteres da zu sein. Sosehr der Buddha es ist, der durchseinen Abschied vom Dasein und Auszug ins Nirwana den Artgenossenallen im wesenhaften Selbst bestehenden Bezug aufs Sein entzieht und siein der Trostlosigkeit einer wesenlosen Scheinidentität zurückläßt, sosehrist er es nun auch, der, solange er seinen Abschied hinausschiebt und vordem Auszug ins Nirwana verweilt, ihre letzte Verbindung zum Wesendarstellt und ihren einzigen Zugang zum Sein offenhält.

Frägt sich nur, wie sie ihn aufhalten, ihn dazu bringen sollen, in derWeltucht innezuhalten. Nach dem alten Muster einfachen Insistierensauf ihrer personalen Daseinsverfallenheit, ihrer habituellen Fixierung andie Welt der Erscheinungen jedenfalls nicht! Dagegen, sich durch den sim-plen Vorweis ihrer triebnatürlichen Abhängigkeit und leiblich-seelischenBindung ins Bockshorn einer umständlich-asketischen Auseinanderset-zung mit dieser ugs als das eigene Problem erkannten Abhängigkeitlocken zu lassen – gegen diese Versuchung ist der als Buddha, als Er-leuchteter zu sich gekommene Weltüchtige nunmehr gefeit. Er hat einfür allemal erfaßt und weiß, daß diese zur triebnatürlichen Identität aus-

gebildete Abhängigkeit vom Dasein – Schein vom Schein, die sie ist –nicht mittels einer direkten – sie fälschlich als wie immer auch negativenBestandteil des Selbstes realisierenden – Auseinandersetzung zu bewäl-tigen ist, sondern sich nur kraft einer im Zusichkommen bestehendenkonsequenten Verneinung des Daseins gewissermaßen als automatischer

90

Page 91: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 91/189

Zusatzeffekt bewerkstelligen läßt. Er weiß es nicht nur, er tut es auch,

setzt seine Einsicht unverweilt in die Tat der meditativen Versenkung unddes kraft Versenkung bewirkten Versinkens der Erscheinungswelt um.Er macht es also den Artgenossen wenn auch nicht anschaulich, so dochaber wahrnehmbar vor, wie man durch die einfache Selbstzurücknahmemeditativen Insichgehens der Fesseln des Daseins und automatisch damitauch der falschen Identität, die solcher Fesseln bedarf, los und ledigwird – und eigentlich brauchen sie, um an seiner praktischen Einsichtund seiner hierin beschloßnen Einkehr ins Nirwana teilzunehmen, ihm,was er ihnen vormacht, bloß, wenn schon nicht abzuschauen – da ja dasSinnesorgan Auge ebensosehr Teil der falschen Identität wie alles mit

ihm Geschaute Moment der abzustreifenden Fesseln ist –, so jedenfallsdoch – im Sinne seiner auch und nicht zuletzt das Sinnesorgan Augeevakuierenden meditativen Praxis – nachzumachen.

Sie brauchen es ihm nur nachzumachen – vorausgesetzt, sie ndendie Kraft und Sammlung zu jener nicht etwa aus einer abstraktiven Di-stanzierung von der triebhaft persönlichen Identität hervorgehenden,sondern ausschließlich in der meditativen Orientierung auf das wesenhaftsichselbstgleiche Selbst bestehenden daseinsnegativen Bewegung, undvorausgesetzt erst einmal, es bleibt ihnen überhaupt die Zeit dazu, diesefür die Nachfolge des Buddha erforderliche Kraft und Sammlung zu

nden. In der Tat erkennen die Artgenossen darin nun das im Wort-sinn entscheidende und nämlich in der weltentscheidenden Stellung desBuddha ante portas des Nirwana ihnen sich stellende Problem: ob sieüberhaupt noch genug Zeit haben für die erforderliche Anspannung derKräfte und innere Sammlung, ob ihnen überhaupt noch die Frist bleibt,sich auf die imitatio des Buddha ausreichend einzustellen und zu konzen-trieren, ehe dieser, was er im Begriff zu tun ist, tatsächlich tut und, Einzugins Nirwana haltend, jenen ontologischen Sprung macht, der in ihrer, derArtgenossen, Sphäre und Erreichbarkeit ein für allemal entrückt. Magals schon die Drohung völliger Entwertung und Entwirklichung, die das

Scheiden des Buddha für sie und ihr irdisches Dasein bedeutet, die Artge-nossen noch so entschieden zur Einsicht bringen und ihnen noch so sehrvor Augen führen, daß das Gebot der Stunde nicht mehr ein Insistierenauf der eigenen persönlichen Bindung ans Dasein sein kann, unter demVorwand der ebenso heuchlerischen wie widersprüchlichen Hoffnung,

91

Page 92: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 92/189

der Weltüchtige werde sich dadurch bewegen lassen, ihnen die Befrei-

ung von solcher Bindung persönlich vorzumachen, sondern nurmehrdas Imitieren der meditativen Daseinsverneinung des Weltüchtigen ist,auf Grund der zuversichtlichen Erwartung, daß die eigene Bindung ansDasein sich dadurch von selbst erledigt – mögen mithin die Artgenossen,vom Abseits absoluter Scheinweltlichkeit, in das ihre Sabotagestrategiesie hineinzumanövrieren im Begriff steht, zur Vernunft gebracht, nochso guten Willens sein, ihren hinhaltenden Widerstand aufzugeben, allerRücksicht auf die eigene daseinsverfallene Identität sich zu entschlagenund das meditativ-daseinsverneinende Selbst des Weltüchtigen sichzum ebenso verpichtenden Vorbild wie verbindlichen Bezugspunkt zunehmen – mögen sie, kurz, von der Resolution des Buddha, das Lebenmit sich zu nehmen und sie als Gespenst ihrer selbst zurückzulassen,zu Tode erschreckt, noch so bereit sein, in die Fußstapfen des Scheiden-den zu treten oder, besser gesagt, ihm in seine meditative Versenkungnachzufolgen – die vordringliche und stante pede oder vielmehr me-ditationis sede der Weltucht des Buddha entscheidende Frage ist, obden Artgenossen die Stunde, deren Gebot sie nunmehr nach Kräften zuerfüllen willens sind, nicht bereits unwiderruich geschlagen hat, ob esalso nicht schon zu spät ist für allen Versuch, dem just Scheidenden undins Nirwana seinen Abgang Nehmenden noch das Geheimnis seiner kraftafrmativer Selbstreduktion und meditativen Zusichkommens statt mit-tels disruptiver Abstraktion von sich und asketischen Sichunterscheidenserfolgreich bewerkstelligten Daseinsverneinung abzumerken. Mögen alsodie Artgenossen noch so disponiert sein, dem Buddha auf seinem überdie Daseinsverneinung kraft meditativer Selbstversenkung statt über dieasketische Selbstreinigung zwecks Daseinsverneinung führenden Weg insgroßgeschriebene Nichts mit allen Kräften und gesammelt nachzufolgen– was nutzt ihnen das, wenn der Buddha, noch ehe sie die initiale Kraftund erforderliche Sammlung zur Nachfolge gefunden haben, bereits amEnde seiner Bahn angelangt ist und sich, nichts weiter zurücklassend alsdas Gestrüpp aufgelassener Erscheinungen, die verwischten Spuren ab-

gelegten Daseins, mitsamt den von ihm gewiesenen, mit seinem Beispielgegebenen Weg abgesetzt und ins Nichts verloren hat?So gesehen, ist nun aber auch klar, was allein den Artgenossen zu tun

bleibt, um den Buddha vorläug aufzuhalten, ihn von seiner weltent-scheidenden, das ganze Dasein mit Entwertung bedrohenden Einkehr

92

Page 93: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 93/189

ins Nichts erst einmal abzuhalten: es bleibt ihnen nichts anderes übrig,

als an sein Mitgefühl, seine Solidarität mit ihnen, den Artgenossen, zuappellieren – nicht in der alten, passiv-auftrumpfenden Weise eines ein-fachen Insistierens auf der eigenen Ohnmacht und Verfallenheit und derdarin enthaltenen Forderung, der Weltüchtige möge ihnen den Auswegaus ihrer Not- und Zwangslage gefälligst weisen und vorführen, sondernvielmehr in der aktiv-kooperativen Form eines einfältigen Bauens auf die bahnbrechende Kraft des meditativen Beispiels, das der Buddha ihnengibt, und des daraus konsequierenden hochundheiligen Versprechens,dem Weltüchtigen auf dem selbstreduktiv-daseinsverneinenden Weg,den er bloß dadurch, daß er ihn geht, ihnen beispielhaft vormacht, so bald wie möglich nachzufolgen. Um sich den ausschließlichen Zugangzum Wesen, den absoluten Seinsbezug, als der der Buddha sich kraftseiner in meditativer Selbstzurücknahme erwirkten Emanzipation vomDasein herausgestellt hat, vorläug zu erhalten und die mit dem Abgangdes Erleuchteten ins Nirwana dem Dasein und ihnen drohende Disqua-lizierung zum wesenlosen Schein fürs erste abzuwenden, müssen dieArtgenossen den Flüchtigen bitten, seinen Abschied um ihretwillen nochein weniges aufzuschieben und ante portas des Nichts, in das er eingehenwill, noch ein bißchen zu verweilen, in der Schwebe zwischen Scheinund Sein, die er im ontologischen Sprung zu überwinden im Begriff steht, noch ein Weilchen auszuharren. Um ihretwillen – das heißt, daß sieihre Bitte mit der hoch und heilig erklärten Absicht verknüpfen müssen,den Aufschub, den er gewährt, imitativ zu nutzen und also in der Zeit,um die der Enteilende sein endgültiges Verschwinden hinauszögert,auf dem Weg, den sein Beispiel ihnen weist, mit gesammelter Tatkraftund ohne Zögern seine Nachfolge anzutreten. Nur wenn sie glaubhaftmachen oder jedenfalls glaubhaft versichern können, daß sie, bar jedervon Daseinsverfallenheit diktierten heimlichen Absicht, dem Schein bloßein Sein zu erhalten, willens sind, den verweilenden Flüchtling als ver- bindlichen Anhaltspunkt und verpichtenden Wegweiser für den eigenenAuszug aus der Erscheinungswelt wahrzunehmen und zu nutzen, und

nur also, wenn der Buddha überzeugt sein kann, durch den Aufschubseiner endgültigen Vernichtung nicht etwa den Wahnvorstellungen einerillusionären Identität einen Schein von Sein zu erhalten, sondern vielmehrseinesgleichen beim meditativen Insichgehen und weltverneinendenAustritt ins Nirwana Hilfestellung und Vorschub zu leisten – nur dann

93

Page 94: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 94/189

können sie erwarten, daß der Buddha Mitgefühl für sie aufbringt und

sich bewogen sieht, den wahren Weg, den er ihnen weist, vorerst zu ihrerVerfügung zu halten, das gute Beispiel, mit dem er ihnen vorangeht,vorläug für sie dastehen zu lassen.

Genau diese Glaubhaftigkeit der Artgenossen allerdings ist für denBuddha das Problem. Glaubt er dem Bekunden der Artgenossen, so soller seinen Abgang ins Nirwana aufschieben, soll er in seiner meditativenGrenzstellung zwischen dem Dasein, das Schein, und dem Nichts, dasSein ist, innehalten und verweilen, damit sie unterdes die nötige Kraftnden und sich hinlänglich sammeln können, um ihm auf dem einzigrichtigen Weg, den er weist, nachzufolgen. Aber gibt er ihnen nicht bereitsdurch sein Beispiel die Kraft, die sie zur Nachfolge brauchen, vermittelter ihnen nicht schon mit seiner meditativen Versenkung die Sammlung,deren sie zum Insichgehen bedürfen? Warum nutzen sie nicht einfachdie Gunst der üchtigen Stunde, den Kairos seiner vergänglichen Ge-genwart, und folgen ihm nach? Auf welche – zur reduktiven Kraft, dieer beispielhaft verkörpert, stark machende – prologische Kraft warten siedenn noch, auf welche – zur meditativen Sammlung, die er wegweisendpraktiziert, bereit machende – propädeutische Sammlung spekulierensie überhaupt? Und ist nicht, daß sie, statt der Kraft seines Beispielesnachzugeben und an seiner wegweisenden Sammlung kurzerhand teil-zunehmen, ihn unter Berufung auf eine allererst zu ndende Kraft zurKraft, eine erst einmal zu gewinnende Sammlung zur Sammlung umeinen Aufschub, eine Galgenfrist bitten, untrügliches Zeichen dafür, daßihr Wunsch nach Vertagung jenes weltentscheidenden Ereignisses derEinkehr des Erleuchteten ins Nirwana nicht sowohl einer ernsthaftenNachfolgeabsicht als vielmehr einer veritablen Verzögerungstaktik ent-springt und daß also die eigentliche Absicht, die sie mit ihrem Moratori-umsantrag verbinden, nicht dahin geht, sich dem Erleuchteten in seinerentscheidenden Daseinsverneinung möglichst rasch anzuschließen, son-dern darin besteht, unter dem Vorwand der Anschlußbereitschaft denErleuchteten möglichst lange von diesem allentscheidenden Verneinungs-

akt abzuhalten? Ist jene ominöse Kraft zur Kraft, die sie zu brauchenvorgeben, denn mehr als Chiffre ihrer Schwäche, im vollen Bewußtseinder Unwirklichkeit des Daseins dennoch an ihm zu hängen, und ihresaus solcher Schwäche geborenen Verlangens, den Offenbarungseid dieserUnwirklichkeit, den der Auszug des Erleuchteten bedeutete, möglichst

94

Page 95: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 95/189

lange hinauszuzögern? Ist jene mirakulöse Sammlung zur Sammlung,

deren sie angeblich bedürfen, mehr als die Deckadresse dafür, daß sie vonder Erscheinungswelt, wiewohl über ihre Scheinhaftigkeit völlig im Bilde,dennoch nicht lassen können und deshalb so lange wie möglich diesemSchein, dem Anschein von Sein, den die Gegenwart des Erleuchteten ihmverleiht, erhalten wollen? Und geht mithin der Buddha den Artgenos-sen nicht abermals auf den Leim, wenn er, ihre Verzögerungstaktik fürechte Nachfolgeabsicht nehmend, innehält und ante portas des Nirwanaihnen zum Exempel verweilt? Fällt er nicht, wenn er ihnen die Zeit zumKräftesammeln für einen Kraftakt einräumt, dessen gesammelte Kraft er ja bereits verkörpert und ihnen durch sein Beispiel zu geben bereitsteht,erneut auf sie herein – nicht zwar mehr im früheren aktiv-asketischenSinne einer Ablenkung vom Geschäft der Daseinsverneinung und dar-in beschlossenen Verstrickung in die Daseinsverfallenheit der eigenenleiblich-seelischen Identität oder triebnatürlichen Person, wohl aber in derBedeutung einer passiv-moratorischen Stillstellung des Daseinsvernei-nungsgeschäfts und damit bekundeten Bereitschaft, durch sein Verweilender Daseinsverfallenheit der Artgenossen unter dem Vorwand, ihr alsWegweiser für ihre in Bälde zu erwartende Überwindung zu dienen,vielmehr ad innitum einen Schein von Wirklichkeit zu erhalten?

95

Page 96: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 96/189

Was den Buddha bewegt, sich im Dilemma zwischen Gehen und Bleiben für letz-

teres zu entscheiden, ist nicht ganz klar. Jedenfalls knüpft er sein Bleiben an dieim Achtteiligen Pfad kodizierte Bemühung, die Artgenossen die Kraft und dieSammlung für das zum Auszug aus der Welt geschickt machende meditative In-sichgehen, nämlich Haltung im Doppelsinn von Zurückhaltung und Verhalten-heit, zu lehren. Obwohl der Buddha Proselyten macht, bleibt das Gros der Art- genossen noch an die Welt gebunden. Selbst wenn er der dezisionistischen Ver-suchung widersteht, sich irgendwann aus dem Staub zu machen, droht doch derDezisionismus seines natürlichen Todes: Deshalb muß er seinen Jüngern abver-langen, das fortzusetzen, was er begonnen hat, und diese müssen es wiederum ih-ren Schülern abverlangen; mit jedem Mal wird das Gigantische, das heilsperspek-tivisch Ungeheure der Aufgabe deutlicher.

Dies also ist das politisch-strategische Dilemma, vor das sich der seinHeil in der Flucht ins Nirwana suchende Buddha durch die Bitte derArtgenossen, seine Flucht zu vertagen und sich als allgemeiner Fluchthel-fer, als universaler Wegweiser für die artgenosssenschaftliche Heilssuchenoch ein Weilchen zur Verfügung zu halten, gestellt sieht: ob er ihrerhochundheiligen Absichtserklärung trauen und ihnen glauben soll, daßsie den gewährten Aufschub nutzen wollen, um sich an ihm, dem Verwei-lenden, so rasch wie möglich das Beispiel für die eigene, qua meditativeDaseinsverneinung ins Werk gesetzte Flucht ins Nirwana zu nehmen,oder ob er annehmen muß, daß sie unter dem Vorwand der Nachfolge-absicht nur wieder seine Arretierung im Dasein betreiben, um dessen mitseinem Auszug besiegelte Disqualizierung zu verhindern, und ob erdeshalb, statt Mitgefühl zu beweisen und ihnen die gewünschte Hilfestel-lung zu leisten, vielmehr der Versuchung zu einer neuerlichen Einlassungin den Schein und illusorischen Anteilnahme zu trotzen und seine Welt-ucht unbeirrt fortzusetzen Grund hat. Und in diesem Dilemma entschei-det sich nun der Buddha nach langen inneren Kämpfen für die erstereVersion und beschließt, der artgenossenschaftlichen Bitte um Aufschubseines Fortgangs ins Nirwana zu willfahren. Was genau den Buddha

dazu bringt, die Artgenossen beim Wort ihrer zweifelhaften Nachfol-gebereitschaft zu nehmen, was eigentlich den Ausschlag für ihn gibt,sich im Sinne der wohlmeinenden Lesart vom artgenossenschaftlichenSinnen und Trachten zu entscheiden, ist schwer und vielmehr unmöglichzu sagen. Mag sein, daß er sich für diese dem Prinzip des in dubio pro

96

Page 97: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 97/189

Page 98: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 98/189

Page 99: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 99/189

Gegenwart einleuchtendes Exempel passiv zu dienen und abwartend

zur Verfügung zu stehen, verwandelt sich also der Buddha, um ihremverschleppungsverdächtigen Zögern eine weltuchtkonforme Auslegungoder vielmehr Ausrichtung zu geben, in ein im Wortsinn redendes Bei-spiel und lehrt die Artgenossen, dies Zögern als in Wahrheit ein Streben,als Streben nämlich nach einem für die nale Abwendung von den Er-scheinungen die Voraussetzung schaffenden epochalen Rücktritt vonihnen, nach einer für die meditative Verneinung das Daseins den Grundlegenden denitiven Distanzierung von ihm recht begreifen. Weil dieArtgenossen in ihrer triebnatürlichen Unmittelbarkeit so völlig ins Daseinversunken, so ganz und gar an die Erscheinungswelt verloren sind, müs-sen sie nach dieser vom Buddha lancierten Interpretation ihres Verhaltenserst einmal hinlänglich Abstand vom Dasein gewinnen und genügendReserve gegenüber der Erscheinungswelt entwickeln, um überhaupt dieals Reexionsort unabdingbare Voraussetzung für die kraft meditativenInsichgehens zu vollbringende Daseinsverneinung schaffen und mithineine qua Selbstverhältnis zureichende Basis für die geforderte imitatio derim Modus der Selbstreduktion sich vollziehenden Weltucht des Buddhazu bieten.

Und der Schaffung dieser im relativen Abstand vom Dasein beste-henden Voraussetzung für die meditative Abkehr vom Dasein, der Bil-dung dieser aus dem reexiven Rückzug von den Erscheinungen sichergebenden Basis für die reduktive Verüchtigung der Erscheinungen –ihr dienen nun also die dogmatisch-propädeutischen Bemühungen, mitdenen der Buddha die Zeit seines eigentlich bloß um des demonstrativ-überzeugenden Beispiels willen prolongierten Aufenthalts diskursiv-überredend ausfüllt. Um sie aus ihrer Verzettelung in die Verrichtungendes Daseins, ihrer Verlorenheit an die Bewandtnisse der Erscheinungs-welt so weit immerhin herauszuführen, daß sie ein als initiale Vorausset-zung für den meditativen Kraftakt der Daseinsverneinung vorgestelltesselbstbezügliches Kraftfeld zu bilden, eine als intentionale Basis für diereduktive Sammlung ins Nichts annehmbare sichselbstgleiche Konzen-

tration zu beweisen vermögen – um ihnen also überhaupt zur Statureines das Zusichkommen und Insichgehen als solches bestimmendenintegralen Bezugsrahmens zu verhelfen, kurz, die Fasson eines für dasUnternehmen Weltucht ein- und geradestehenden formalen Reexivszu verleihen, lehrt der Buddha die Artgenossen, sich gegen das Dasein

99

Page 100: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 100/189

zu verwahren, sich gegenüber der Erscheinungswelt zu verhalten, lehrt

er sie Haltung im epochalen Doppelsinn einer qua Zurückhaltung undVerhaltenheit zum Dasein gewonnenen Distanz und eines qua Innehaltenund Ansichhalten zu sich unterhaltenen Verhältnisses. In der erklärtenAbsicht, die Artgenossen auf die Negation des Daseins, die Absage an dieWelt vorzubereiten, lehrt der Buddha sie, ihre daseinsunmittelbare Posi-tion so weit zu räumen, ihr Engagement und Verlöbnis mit der Welt soweit zu lösen, daß ihr dadurch erreichtes Detachement und ihre dadurchgewonnene Reserve ausreichen, sie eines Selbstbezugs zu überführen, derihnen im qualitativen Unterschied zur vorherigen Daseinsbeziehung eineim Sinne der Daseinsverneinung wirksame Entscheidungskraft ermög-licht, sie einer Selbstbeherrschung zu versichern, die ihnen in spezischerDifferenz zur bis dahin gewohnten Welthörigkeit eine in Richtung Welt-ucht weisende Handlungsfähigkeit eröffnet.

Dadurch also, daß er in eigener dogmatischer Regie und Verantwort-lichkeit die Position oder vielmehr Sukzession einer zur Daseinsvernei-nung präliminarischen reexiven Distanzierung vom Dasein, eines fürdie Weltucht propädeutischen selbstzentrierten Rückzugs von der Weltins Spiel bringt, vindiziert der Buddha dem artgenossenschaftlichen Zö-gern und Abwarten vor der Nachfolge einen nachfolgeverträglichen, wonicht gar nachfolgedienlichen Sinn und eröffnet dem kompromittierendsabotageverdächtigen Verhalten der Artgenossen die Chance, sich alsvielmehr grundlegend konstruktive oder bahnbrechende initiative Hal-tung herauszustellen. Und die solchermaßen das heilspraktische Beispielmit der heilstechnischen Lehre verknüpfende Rechnung des Buddhascheint in der Tat aufzugehen, der Erfolg scheint ihm recht zu geben.Durch seine selbstbestimmende Lehre ebenso spezisch zurechtgewiesen,wie durch sein weltentscheidendes Beispiel generisch herausgefordert,lassen sich etliche der Artgenossen tatsächlich bewegen, aus ihrer gegebe-nen Daseinsgebundenheit, ihrer gewohnten Welthörigkeit zu desertierenund mit dem qua reexive Sammlung artikulierten Vorsatz einer Teilhabean seinem in der meditativen Versenkung alles verschwinden lassenden

Verneinungsgeschäft zu ihm überzulaufen. Vom Buddha in der Technikeines relativen Heraustretens aus dem Dasein oder reexiven Abstand-gewinnens von den Erscheinungen unterwiesen und in die Kunst derdurch die relative Ungebundenheit oder reexive Entlassung ermög-lichten Haltung einer als Selbstbezug sich behauptenden Reserve, als

100

Page 101: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 101/189

Selbstverhältnis sich gerierenden Verhaltenheit eingeführt, nutzen sie die

in solchem Selbstbezug oder Selbstverhältnis beschlossene Neuorien-tierungschance oder Entscheidungsfreiheit, um sich ihrem Lehrmeisteranzuschließen und sich, in seinen Fußstapfen wandelnd oder an seinerSeite die meditative Versenkung übend, für die Mitwirkung am auf-geschobenen Schlußakt der daseinsverneinenden Einkehr ins Nirwana bereit zu machen und bereit zu halten.

Mögen es aber auch etliche sein, die sich dem Buddha, durch seineLehre angeleitet, beigesellen und ihm, durch sein Beispiel erleuchtet,nachfolgen – keineswegs sind es schon alle, ja, nicht einmal eigentlich vie-le, die sich also entscheiden. Das Gros oder, genauer gesagt, die überwäl-

tigende Mehrzahl der Artgenossen zögert vielmehr noch immer, verharrt,von der wahnhaften Bindung ans Dasein ebenso materialiter okkupiert,wie von der wesenhaften Weltucht des Buddha formaliter fasziniert,nach wie vor in ihrer des Spiels auf Zeit oder der Sabotage verdächtigenabwartenden Stellung und erklärt in derselben Weise, wie sie zuvor dieNachfolge selbst als vorerst über ihre Kräfte gehend und ihre Konzentrati-onsfähigkeit überfordernd deklariert hat, nun auch die als der achtteiligePfad bestimmte dogmatische Leiter, die der Buddha ihr zwecks Vorbe-reitung auf die Aufgabe der Nachfolge reicht, für vorläug zu hoch oderzu schwer zu erklimmen. Wie soll der Buddha es mit diesem Gros der

Zögerlichen halten? Soll er sich weiter um sie bemühen, ihnen weiterhinden Lehrpfad weisen, oder soll er sie aufgeben, sie ihrer als Daseins-verfallenheit ausgemachten Scheinexistenz überlassen und sich mit denglücklich Bekehrten, mit dem Kreis seiner Schüler, ein für allemal aus demStaub und auf den Weg der Weltucht, die Reise ins Nirwana machen?Sind aber eben die Konvertierten, die neugewonnenen Schüler, mit denender Buddha sich aus dem Staub zu machen erwägt, nicht vielmehr einmoralischer Ansporn und Appell, die Stellung zu halten und die Bekeh-rungsarbeit fortzusetzen? Ist nicht die Existenz der Schüler selbst, dies,daß immer wieder einer die Leiter erklimmt, die der Buddha reicht, und

sich dem Kreis um ihn beigesellt, Beweis dafür, daß sich das Ausharren,das vom dogmatischen Wirken begleitete exemplarische Dableiben lohnt?Plötzlich zu erklären, daß des Wartens genug, das Maß voll, der Kreisgeschlossen sei, und mit der Schar der Geretteten das Weite zu suchen,wäre das nicht blanker, durch nichts in der Sache begründeter und mit

101

Page 102: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 102/189

Rücksicht auf einen Mangel an Mitgefühl schlechterdings amoralischer

Dezisionismus?Mag sich indes auch der Buddha durch solche Überlegungen zumVerweilen bewegen, zur fortgesetzten Präsenz bestimmen lassen – ewigist seines Bleibens auf keinen Fall mehr. Begrenzt ist sein Aufenthalt, dieZeit seiner dogmatischen Wirksamkeit und exemplarischen Wirklichkeit,durch sein früher oder später zu erwartendes Ableben, seinen absehbarennatürlichen Tod. Und selbst wenn er die Fortsetzung seiner Weltucht biszu diesem letztmöglichen Zeitpunkt aufschiebt, den Einzug ins Nirwanaregelrecht mit dem natürlichen Tod koinzidieren läßt – daß bis dahin dieganze Konversionsarbeit vollbracht und abgeschlossen ist, daß sämtlicheArtgenossen die Lehre angenommen und das Propädeutikum für einein meditativer Versenkung nale Daseinsverneinung absolviert haben,kann der Buddha schlechterdings nicht erwarten. Will er verhindern,daß seine eigene Sterblichkeit zum objektiv dezisionistischen Grund fürden Abbruch der Bekehrungsarbeit und für die weltentscheidend end-gültige Preisgabe der zufällig noch nicht bekehrten Artgenossen wird,muß er deshalb dafür Sorge tragen, daß die Lehre auch nach seinemmit der Einkehr ins Nirwana zusammenfallenden Tod weiterverkündet,die Missionsarbeit mit dem Ziel einer Errettung sämtlicher Artgenossen,einer Salvierung aller vorläug noch dem Dasein Verfallenen fortgesetztwird. Wer aber soll das missionarische Werk fortsetzen, wenn nicht dieKonvertierten, die als seine zur Nachfolge bereiten Schüler der Buddhaum sich versammelt hat? Statt sich dem Meister bei seinem Einzug insNichts anschließen zu dürfen, erhalten die Schüler von ihm den Auf-trag, zurückzubleiben und zum Frommen der anderen jenes Lehramtweiter auszuüben, das bis dahin er zu ihrem eigenen Nutzen wahrge-nommen hat. Statt nach ihrer Umkehr zusammen mit dem Buddha dasFeld zu räumen und sich aus dem Schein des Daseins ins Sein des Nichtsebenso dezisionistisch wie endgültig abzusetzen, bleiben die Konvertier-ten zurück, um ihrerseits andere zur Umkehr zu bewegen und mit dervom Buddha begonnenen Evakuierung des Daseins, der von Mitgefühl

oder welcher Regung auch immer diktierten rettungsdienstlichen Räu-mung des eigentlich bloß uchtartig zu verlassenden brennenden Hausesfortzufahren. Auch aber diese erste Schülergeneration, die nach demWeggang des Meisters die Verkündigung der Lehre fortführt, vermag daskraft Lehre betriebenen Bekehrungswerk beileibe nicht abzuschließen.

102

Page 103: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 103/189

Vielmehr wird sie in dem Maß, wie sie voll Eifer die Lehre verbreitet und

in aller Welt Proselyten macht, überhaupt erst gewahr, welch gewaltigeDimension das begonnene Unternehmen hat, wie unabsehbar, um nichtzu sagen unabschließbar, die übernommene rettungsdienstliche Aufga- be angesichts der Vielzahl und Vielfalt von Artgenossen eigentlich ist.Um also nicht ihre vom Buddha übernommene Wirksamkeit abermalsder Gefahr eines objektiv dezisionistischen Abbruchs durch das factum brutum des natürlichen Todes auszusetzen, müssen sie die gleichen Vor-kehrungen wie der Buddha treffen und ihrerseits dafür Sorge tragen, daßdie von ihnen Bekehrten, die Schüler zweiter Generation, das begonneneMissionswerk fortführen.

Das Schwergewicht der Lehrtätigkeit verschiebt sich von der den Weggang deseinzelnen befördernden transportativen zu einer die Tradition der Lehrtätig-keit selbst sicherstellenden reproduktiven Funktion. Hauptzweck der gelehrten Haltung reexiver Selbstbezüglichkeit wird die Aufrechterhaltung der univer-salen Heilsperspektive, während das damit zu gewinnende Heil des einzelnensich auf ein Abfallprodukt reduziert. Aus der doktrinellen Funktion wird einereguläre Institution. Mit dieser Verwandlung der als Heilsmittel fungierendenselbstbezüglichen Haltung aus einer individuell brauchbaren Vorrichtung in eine generell verfügbare Einrichtung und der damit einhergehenden Unterscheidung

zwischen Mönchen und Laien kommt es zu einer Veränderung der Stellung allerBeteiligten. Die für die Erhaltung des Heilsmittels rekrutierten Mönche sind vonseinem Gebrauch ein Leben lang abgehalten, die für die Erhaltung der Mönchezuständigen Laien sind davon für immer ausgeschlossen. Die Mönche könnenimmerhin noch am Ende ihres Lebens das Heilsmittel nutzen; die Laien hingegensind Opfer des Widerspruchs einer Heilsperspektive, die, um für die Zukunftverfügbar zu bleiben, von ihnen verlangt, daß sie hier und jetzt auf sie verzichten.

Damit aber gewinnt nun in der Tat die in der Nachfolge des Meistersgeübte Lehrtätigkeit ein anderes Ansehen und kehrt zunehmend eine

von ihrer unmittelbar produktiven Funktion oder transportativen Be-deutung abgelenkte und in die Sorge um die eigene Reproduktion oderSelbsterhaltung reektierte Zielrichtung heraus. Indem mit jeder weiterenGeneration von Verkündigern der Lehre die auf die Fortsetzung undErhaltung des eigenen Tuns gemünzte Rücksicht der auf die Überführung

103

Page 104: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 104/189

und Erlösung des artgenossenschaftlichen Seins gerichteten Absicht sich

erneut beigesellt oder vielmehr in die Quere kommt, gewinnt allmählich jene Rücksicht Vordringlichkeit und verwandelt sich als conditio sine quanon einer, aufs Ganze gesehen, unabsehbar fortzuführenden Bekehrungs-arbeit, als schlechthinnige Existenzbedingung der als solche kontinuiertenErlösungsabsicht, in den wenn schon nicht revisorisch dirigierenden, so jedenfalls doch organisatorisch dominierenden Gesichtspunkt. Weil je-desmal, wenn Artgenossen kraft verkündigter Lehre sich bewegen lassen,zum Dasein auf Distanz zu gehen und eine zur Voraussetzung allenmeditativen Insichgehens erklärte innere Reserve oder Haltung reexivenSelbstbezugs auszubilden, sie erst einmal gehalten sind, diese kraft Lehregewonnene Haltung mittels Lehre anderen nahezulegen, die ihrerseitsihre neue, lehrvermittelte Einstellung erst einmal zur Weitergabe der sievermittelnden Lehre und also zur Rekrutierung kontinuitätssichernd wei-terer Vermittler nutzen müssen – weil mithin die Bekehrten in erster Linieaufgerufen sind, ihren Beitrag zur Aufrechterhaltung der den Pfad zumWeg ins Nichts weisenden, zur Weltucht bereit machenden Lehrinstitutsals solchen zu leisten, und erst in zweiter Linie daran denken dürfen, ihrekraft Lehre angenommene Haltung tatsächlich nun auch als Ausgangs- basis für jenen Weg ins Nichts zu nutzen, für den sie sie eigentlich jagewonnen haben – weil das sich so verhält, bildet diese Haltung reexiverSelbstbezüglichkeit allmählich einen ganz neuen Sinn aus und erringtals gleichermaßen Repräsentant und Garant einer potentiell allgemeinenRettungsaktion eine innere Statur und eigene Zweckhaftigkeit, die überden jeweils besonderen, aktuellen Erlösungsanspruch, der sich mit ihrverknüpft, weit hinausgeht und in der Tat geeignet ist, die Einlösungdieses besonderen Anspruchs zu einem Abfallprodukt, um nicht zu sageneiner Nebenerscheinung, der Aufrechterhaltung der in der reexivenHaltung implizierten allgemeinen Zielsetzung zu degradieren.

So wahr sich das von Mitgefühl bestimmte Verlangen des Buddha,die Artgenossen zu einer als Voraussetzung für ihre Teilnahme am Welt-uchtunternehmen dogmatisch supponierten selbstbezüglichen Haltung

zu bekehren, unter der Hand der zu dieser Haltung bekehrten und insie eingeführten Schüler mehr und mehr in das von Verantwortungsge-fühl gegenüber dem Meister und seinem Auftrag getragene Bestrebenverkehrt, im Interesse einer ad innitum der ganzen Artgenossenschaftfortzuführenden Lehrtätigkeit und Missionsarbeit für die Weitergabe

104

Page 105: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 105/189

und Aufrechterhaltung der Haltung als solcher zu sorgen und sie erst

dann, wenn diese generelle Kontinuität gesichert ist, als das individuelleSprungbrett ins Nichts zu nutzen, das nach getanem Dienst mitsamtdem Dasein, über das es erhebt, zurückbleibt und verschwindet – sowahr also dieser Perspektivenwechsel zwischen Meister und Schülernstatthat, demzufolge die Leiter, die er ihnen reicht, das Sprungbrett, daser ihnen bietet, von ihnen nicht einfach nur als zum individuellen Zweck brauchbares Mittel genommen werden darf, sondern ebensowohl als fürdie generelle Zielsetzung unentbehrliches Medium behandelt werdenmuß, so wahr verwandelt sich die lehrweise mitgeteilte selbstbezüglicheHaltung aus einer organologischen Vorrichtung zur Umorientierung derArtgenossen zwecks Teilnahme an der Weltucht in eine organisatorischeEinrichtung zur mittels Umorientierung von Artgenossen bezwecktenBeibehaltung der organologischen Vorrichtung selbst – kurz, aus derdoktrinellen Funktion wird eine reguläre Institution.

Als eine Funktion, die aufgrund des vom Buddha seinen Schülernerteilten weltweiten Missionsauftrags aufhört, bloße Jakobsleiter für denAusstieg einzelner zu sein, um sich zur Scala sancta einer universalenErlösungsprozession zu mausern, und in deren Erhaltung und Ausbil-dung zwecks Erfüllung jenes Missionsauftrags fortan nicht weniger, wonicht sogar mehr Energie ießt als in ihre Verwendung und Ausübung,wird die selbstbezügliche Haltung zur Institution, die Vorrichtung zurEinrichtung – in dem prägnanten Sinn eines zweckdienlichen Mittels, das,über alles partielle Funktionieren hinaus, in Abwesenheit der Totalitätdes Zwecks, dem es dient, zugleich als dessen Repräsentant sich vorstellt,kurz, selber Zweckcharakter annimmt. Indem so aber der dogmatischweitergegebene Selbstbezug fundamental den Charakter ändert und sichaus einem den einzelnen zum Heil zu verhelfen gedachten, vom Buddhaimprovisierten Instrument in eine im Auftrag des Buddha von den ein-zelnen, den Schülern, organisierte und die Erlösung aller sicherzustellen bestimmte Institution verwandelt, verändert sich auch und in geradezuparadoxer Weise die faktische Stellung aller gegenüber diesem, ihnen

den Heilsweg offenhaltenden, organisierten Selbstbezug, ihre praktischeRolle in bezug auf diese, universale Erlösung verheißende, institutiona-lisiert reexive Haltung. So gewiß nämlich sie alle, die Artgenossen inihrer Gesamtheit, es sind, denen die Überführung des Selbstbezugs auseiner individuell brauchbaren Vorrichtung in eine generell verfügbare

105

Page 106: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 106/189

Einrichtung inskünftig dienen und zugute kommen soll und die also

letztlich als Adressat und Nutznießer jener Institutionalisierung der vomBuddha gelehrten reexiven Haltung gelten müssen, so gewiß sind sie esnun aber auch, die Gesamtheit der Artgenossen, die sich unmittelbar ineine dienstbare oder trägerschaftliche Stellung zu jener selbsterhaltendenEinrichtung versetzt nden und die im Blick auf deren Selbsterhaltunghier und jetzt die Rolle einer bloßen Subsistenzgrundlage, um nicht zusagen eines schieren Ausbeutungsobjekts, zugewiesen bekommen.

Wenn die Bekehrten, statt ihre kraft Lehre angenommene reexiveHaltung als Sprungbrett für die meditative Einkehr ins Nichts zu nutzen,sie vielmehr erst einmal durch eigene Lehrtätigkeit zu tradieren und anihresgleichen weiterzugeben bemüht sind, und wenn sie das in erster Li-nie nicht etwa tun, um Anwärter für den anzutretenden Weg ins Nichts zugewinnen, sondern um Lehrer für die Einführung in die Anwartschaft zurekrutieren, die ihrerseits ihre primäre Aufgabe in der Rekrutierung wei-terer Lehrer zu dem gleichen Behufe sehen, dann mag das zwar in letzterInstanz auf die Erlösung der Artgenossen in ihrer Gesamtheit abzielen,aber erst einmal und bis auf unabsehbar weiteres verschlägt es der Ge-samtheit der Artgenossen im Gegenteil allen Erlösungsprospekt, indemes sie als Rüstkammer für die Instandhaltung des Erlösungswerkzeugs alssolchen zwangsverpichtet, als technisch-praktisches Unterpfand für dieAufrechterhaltung des Heilsmittels selbst mit Beschlag belegt. Sie, denenpotentia oder in der Totalperspektive ihrer generischen Missionierung dieEinrichtung und Befestigung, die Instauration und Tradition jenes in derreexiven Haltung bestehenden Heilsmittels zugute kommen und denWeg ins Nirwana offenhalten soll, sehen sich in paradoxer Gegensinnig-keit actu oder in die Länge und Breite ihrer empirischen Rekrutierungin den Dienst solcher Ein- und Fortsetzung des Heilsmittels gestellt unddamit in der Tat von der zweckmäßigen Verwendung des letzteren undalso von der Wahrnehmung des Heils, zu dem es an sich bloß Mittel seinsoll, nicht allein – was die einzelnen Rekruten angeht – ein Leben langabgehalten, sondern mehr noch – was die Gesamtheit betrifft, aus der die

einzelnen rekrutiert werden – für immer ausgeschlossen.Nicht nämlich nur, daß die für die reexive Haltung, die das Heilsmittelist, lehrweise rekrutierten einzelnen von dem Heilsmittel als solchemnicht einfach Gebrauch machen dürfen, es vielmehr als den Zweck wei-terer lehrweise vorzunehmender Rekrutierungen gelten lassen müssen,

106

Page 107: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 107/189

daß sie es also, statt mit seiner Hilfe gegenwärtiges Heil wahrzuneh-

men, vielmehr als das Unterpfand künftigen Heils hegen und pegenmüssen, daß sie, kurz, durch die ihnen aufgetragene Sorge ums Mittel bis an ihr Lebensende von eben dem Zweck abgehalten werden, den eseigentlich erfüllen soll; darüber hinaus und schlimmer noch nden sichdie vielen, die Artgenossen im allgemeinen, zur personellen Operations-und materiellen Subsistenzbasis für jenes auf das Mittel als Zweck ge-richtete Rekrutierungs- und Konservierungsgeschäft degradiert und ebendeshalb von dem Zweck, dem das Heilsmittel eigentlich dienen, demHeil, das es an sich vermitteln soll, systematisch ausgeschlossen. Indemdie einzelnen in erster Linie nicht mehr für das Heilsmittel gewonnenwerden, um sich als ein erlöster Teil der Gesamtheit der Artgenossenmit dem Heil versorgen zu lassen, sondern um vielmehr als erwähltesKontingent der Artgenossenschaft für die Aufrechterhaltung des Heils-mittels selbst zwecks späterer Erlösung der Gesamtheit der Artgenossenzu sorgen, reduziert diese Inanspruchnahme der einzelnen in der Rollevon Konservatoren des Heilsmittels und Kuratoren seiner Bekräftigungund Tradierung die übrigen Artgenossen, die vielen, auf eine Dienstge-nossenschaft und Zuliefererfunktion, bei der sie ihre Bestimmung darinerschöpfen, ebensowohl als personelles Reservoir für die Rekrutierungder mit der Erhaltung des Heilsmittels betrauten einzelnen zur Verfügungzu stehen, wie dann auch als materielle Basis für den Unterhalt der mitder Erhaltung des Heilsmittels betrauten Rekruten da zu sein. So wahrdie einzelnen für jene dogmatisch tradierte selbstbezügliche Haltung, diedas Heilsmittel ist, nicht primär rekrutiert werden, um sich durch sie dermeditativ erlösenden Fluchtlinie in das Nichts, das Sein ist, überführenzu lassen, sondern um im Interesse ihrer Erhaltung zwecks künftigerVerwendung weitere einzelne als Rekruten für sie zu werben, so wahrnden sich die vielen auf die passive Funktion beschränkt, den perso-nellen Nachschub für die Tradierung jenes kraft des replikativen Tunsder einzelnen als ein Zweck sui generis institutionalisierten Heilsmittelszu stellen. Und so gewiß das in praxi bedeutet, daß die aus der Schar

der vielen jeweils geworbenen einzelnen, statt sich stante pede aus demStaub zu machen, vielmehr als reguläres Rekrutierungsbüro inmittender letzteren Stellung beziehen, um aus ihr lehrweise neue Rekruten,neue Verkünder des Heilsmittels, auszulesen, so gewiß sehen sich dievielen über ihre personelle Nachschubfunktion hinaus nun auch noch

107

Page 108: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 108/189

mit der dienenden Aufgabe betraut, die materielle Versorgung der um

der Tradierung des Heilsmittels willen in ständiger, generationsweiserReplikation begriffenen einzelnen zu gewährleisten.Wie sollten wohl die vielen, die sich dergestalt durch die praktischen

Erfordernisse einer institutionellen Reproduktion der selbstbezüglichenHaltung auf das Heilsmittel als Zweck bezogen und vereidigt nden,das letztere noch als Mittel, als ihnen zugängliche Vermittlungsinstanzirgend festhalten können? Wie sollten sie, die für solch institutionelleReproduktion gleichermaßen die personelle Nachschublinie abgeben undals materielle Versorgungsbasis herhalten müssen, wohl umhin können,die selbstbezügliche Haltung in der Bedeutung eines aller reziprokenVerpichtung ihnen gegenüber entrückten, aller Dienstbarkeit mit Rück-sicht auf sie überhobenen unerreichbaren höchsten Wertes, eben in derUnvermitteltheit eines absoluten Zweckes wahrzunehmen? In diesemPunkt unterscheiden sich die vielen von den einzelnen, die sich zwar alsBetreiber und Sachwalter des die selbstbezügliche Haltung tradierendenLehrinstituts ebenfalls an einer unmittelbaren Nutzung des in jener Hal-tung bestehenden Heilsmittels gehindert und vielmehr umgekehrt auf eine Vermittlertätigkeit zum Nutzen des letzteren vereidigt sehen, denenes aber doch immerhin freisteht, zum Abschluß ihres aktiven Dienstesdas ein Leben lang zum Zweck gemachte Mittel zu refunktionalisierenund nämlich die selbstbezügliche Haltung, die sie bis dahin als ein allge-meines Anliegen gepegt und weitergegeben haben, endlich doch nochin den Dienst des eigenen Heils und Fortkommens zu stellen. Währendalso jene, die das Lehrinstitut betreibenden Schüler des Meisters, die sichzur Ordensgemeinschaft rekrutierenden einzelnen, die selbstbezüglicheHaltung zu guter Letzt doch noch als das Mittel, das sie eigentlich ist,nutzbar zu machen vermögen, verlieren die vielen sie als dies Mittel ganzund gar aus dem Auge und sehen sich von ihr als einem vielmehr sub-stantiellen Zweck des Lebens gleichermaßen funktionell abgeschnittenund existentiell auf den Fleck eines dienstbaren Daseins gebannt. Sie,die vielen, müssen in ihrem Laienstand ausharren und dürfen nicht im

Traum daran denken, in einer levée en masse ihren Standort zuguns-ten der selbstbezüglichen Haltung zu räumen, da ja die Institution dereinzelnen, die Ordensgemeinschaft, zur Rekrutierung ihres personellenNachschubs oder Auffüllung ihrer Reihen darauf angewiesen ist, daßes diesen Laienstand gibt. Und sie, die vielen, müssen unverdrossen

108

Page 109: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 109/189

ihren weltlichen Berufen und irdischen Obliegenheiten nachgehen und

dürfen partout nicht generell danach streben, ihren weltlichen Beruf umeiner Berufung zur Weltucht willen an den Nagel zu hängen, da ja dieOrdensgemeinschaft, die Verwalterin des Heilsmittels, für ihren Fortbe-stand davon abhängig ist, daß der Laienstand ihre materielle Versorgungsichert und ihr mit seiner Hände Arbeit das tägliche Brot sichert oder dieReisschale füllt.

Mit der dergestalt entwickelten Differenz zwischen Mönchswesen undLaienstand, zwischen den zwecks Erhaltung des Heilsmittels sich zurOrdensgemeinschaft organisierenden einzelnen und den zwecks Erhal-tung der einzelnen im weltlichen Dasein arretierten vielen, liegt in derTat nun der fundamentale Widerspruch zwischen dem theoretischenSinn der dogmatisch-traditiven Institutionalisierung des Heilsmittelsund ihrem praktischen Effekt klar zutage. Theoretisch bestimmt, denvielen den Zugang zum Heil offenzuhalten, wird die Institutionalisierungdes Heilsmittels vielmehr zum praktischen Ausschließungsgrund fürdie vielen. Mit dem Versprechen, ihnen für alle Zukunft jene achtteiligreexive Einstellung zur Verfügung zu halten, die nach Buddhas Lehreals Mittel zum in der Weltucht zu suchenden Heil rmiert, versetzt dieseInstitutionalisierung die vielen in eine sie als Laienstand denierendedienstbare Stellung gegenüber den mönchischen einzelnen, die ihnen hierund jetzt die Verfügung über das Heilsmittel ebenso unwiderruich wiesystematisch entrückt. Von der in der Gemeinschaft der einzelnen verkör-perten Hoffnung auf ein in Zukunft mögliches Heil verführt, läßt sich dieGesellschaft der vielen als Erzeugerin des Nachwuchses und Beschafferinder Subsistenzmittel für den Mönchsorden in die Picht nehmen und gehtnach Maßgabe ihrer hiernach laizistischen Präokkupation mit weltlichenGeschäften jeder Aussicht auf ein in der Gegenwart realisierbares Heilverlustig. Im paradoxen, um nicht zu sagen absurden Handel bringen,kurz, die vielen ihrer in der instutitionellen Erhaltung des Heilsmittelsgewahrten Hoffnung auf mögliches Heil alle in der funktionellen Ver-wendung des Heilsmittels bestehende wirkliche Aussicht darauf zumOpfer.

109

Page 110: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 110/189

Während die Laien mit dem Widerspruch eines Wirkens fürs Heilsmittel, das

vom Heil ausschließt, ganz gut leben könnten, nimmt ein Teil der Mönche An-stoß an dem Widerspruch und gibt die universale Heilsperspektive auf, konzen-triert sich aufs individuelle, eigene Heil. Aber insofern diese Vertreter des kleinenGefährts gleichzeitig am Lehrinstitut festhalten, machen sie sich eines neuenWiderspruchs schuldig, der sie entweder des kompromißlerischen Elitedenkensoder des institutionellen Zynismus’ überführt. Die Laien lassen folgerichtig daskleine Gefährt im Stich, das sich in Rückzugsgebiete abgedrängt und auf dieFunktion eines kulturellen oder ethnischen Identikationsmittels reduziert ndet.

Diese subjektlogisch-biographisch gesehen, absurde Konsequenz derordensmäßigen Institutionalisierung des Heilsmittels, daß die Laien zu-künftiges Heil mit einer heillosen Gegenwart bezahlen müssen, so, alsgebe es für sie eine von ihrer Gegenwart ablösbare Zukunft, als sei imOpfer der Gegenwart nicht das der Zukunft für sie miteingeschlossen –diese offensichtlich widersinnige Konsequenz kann den die Institutiontragenden einzelnen, den Mönchen, nicht gleichgültig sein. Zwar, die Lai-en selbst läßt der Widersinn eher kalt oder kommt ihnen sogar zupaß, daer ihnen eben das zu tun erlaubt, was sie möchten: ihnen nämlich gestat-tet, an ihren irdischen Gewohnheiten festzuhalten und in ihren weltlichenGeschäften fortzufahren. Sie, die bei aller systematisch-grundsätzlichenAnerkennung ihrer Heilsbedürftigkeit sich empirisch-persönlich zumEmpfang des Heils noch nicht recht bereit fühlen und die, ehe sie der Not-wendigkeit ihrer daseinsverneinenden Erlösung von der Welt des Scheinsstattgeben, lieber noch ein bißchen in der Erscheinungswelt verweilenund mit ihr Umgang pegen möchten – sie also nden jene Umorien-tierung der Heilsperspektive, die ihnen im Namen künftigen Heils dasFortfahren in den heillos gewohnten Gegenwartsbahnen und Festhaltenan den perspektivlos vertrauten Weltläuften nicht nur einräumt, sondernmehr noch zur heiligen Picht der Wahrung eben des künftigen Heilsmacht, ohne weiteres annehmbar. Was kann ihnen Besseres widerfahrenals diese neue, kraft Institutionalisierung des Heilsmittels durchgesetz-

te, universale Sicht aufs Heil, die ihre von Daseinshörigkeit geprägteZögerlichkeit, sich bekehren zu lassen, und Unbereitschaft, der LehreBuddhas augenblicklich Folge zu leisten, nicht etwa bloß entschuldigtoder exkulpiert, sondern mehr noch rechtfertigt und sanktioniert, indemsie die Zögernden als im Dienste der Institution des Heilsmittels stehend

110

Page 111: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 111/189

erweist und ihrem ebenso widersetzlichen wie eitlen Festhalten an der

Welt den guten Sinn eines ebenso unentbehrlichen wie indirekten Beitragszur Wahrung jener universalen Heilsperspektive verleiht?Daß solche Rechtfertigung und Bekräftigung des weltlichen Tuns der

Laien als wesentlichen Beitrags zum personellen Bestand und zur subsis-tentiellen Erhaltung der Heilsmittelinstitution und der in ihr gewahrtenPerspektive eine eklatante contradictio in adjectum des Heils insoferndarstellt, als damit den Laien praesenti casu oder in ihrer empirischenWirklichkeit eben der Zugang zum Heil denitiv versperrt wird, derihnen futuri causa oder der systematischen Möglichkeit nach geradeoffengehalten werden soll – dieser innere Widerspruch braucht sie, dieLaien, so lange nicht zu kümmern, wie die Experten des Heils, die inder Ordensgemeinschaft assoziierten einzelnen, keinen Anstoß an ihmnehmen und vielmehr das eine, den weltlichen Dienst am Heilsmittel,mit dem anderen, der im Heilsmittel gewahrten weltüchtigen Perspek-tive, als ebenso sinnvoll wie notwendig verknüpft behaupten. Genaudiese den fundamentalen Widerspruch in der Institutionalisierung desHeilsmittels dementierende Unbedenklichkeitsbescheinigung und Ga-rantieerklärung fällt indes den als Orden organisierten einzelnen, denmönchischen Heilsmittelverwaltern, zunehmend schwerer: In dem Maß,wie um der Tradierung des Heilsmittels und der Erhaltung der daringewahrten universalen Perspektive willen eine Mönchsgeneration nachder anderen eine Laiengeneration nach der anderen als personellen Stein- bruch in Anspruch und als subsistentielle Milchkuh in Dienst nimmt,stößt den Mönchen der Widerspruch zwischen theoretischem Vorhabenund praktischem Verhalten, zwischen dem generellen Missionsauftragund dessen spezischen Konsequenzen, der besagte Widerspruch näm-lich zwischen einerseits der Erhebung der vielen zum potentiellen Objekteiner universalen Heilsperspektive und andererseits ihrer heillosen De-gradierung zum Laienstand, das heißt, ihrer aktuellen Aufopferung imDienste der Erhaltung eben jener universalen Perspektive – stößt ihnenalso diese contradictio in adjectum ihres Tuns als eine immer anstößigere

Ungereimtheit, ein immer unverdaulicheres Skandalon auf und macht esihnen immer unmöglicher, mit dem erforderlichen Brustton der Überzeu-gung den Laien die Institutionalisierung des Heilsmittels als eine wie hierund jetzt auf ihre Kosten, so zu guter Letzt aber doch zu ihren Gunstenverfolgte Heilsstrategie zu verkaufen.

111

Page 112: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 112/189

Was Wunder, daß sich unter diesen Umständen Teile der Ordensge-

meinschaft entschließen, die universale Heilsperspektive überhaupt auf-zugeben und ihre um die selbstbezügliche Haltung kreisenden Bemü-hungen fern jeder weiterreichenden Absicht auf den Zweck eines ganzund gar partikularen Heils, einer Rettung strikt nur des eigenen Selbstzu beschränken? Was Wunder, daß, um der falschen Indienstnahme dervielen durch die Institution des im reexiven Selbstbezug bestehendenHeilsmittels, ihrer sie von aller wirklichen Verwendung des Heilsmit-tels ausschließenden Rekrutierung für dessen förmliche Erhaltung einenRiegel vorzuschieben, Teile der Ordensgemeinschaft beschließen, den re-exiven Selbstbezug partout nicht mehr als einen Zweck sui generis, willheißen, um der in ihm gewahrten allgemeinen Heilsperspektive willen,zu tradieren, sondern einzig und allein noch als ein Mittel zu lehren, dases dem jeweils Belehrten ermöglichen soll, ohne Rücksicht auf Verluste,ganz zu schweigen von der Rücksicht auf den Gewinn des universalenHeils, die Beine in die Hand zu nehmen und das Weite zu suchen oder,dem wesentlich kontemplativen Charakter der Aktion entsprechenderausgedrückt, die große Leere zu schauen und in sie einzugehen? WasWunder, daß diese Mönchsgruppen den Entschluß fassen, das großeGefährt der als ordensgemeinschaftliches Lehrinstitut perennierendenallgemeinen Erlösungsaussicht stehen und im Stich zu lassen und nachdem Motto des Rette-sich-wer-kann auf den kleinen Karren der eige-nen Belehrtheit umzusteigen, um sich mit seiner Hilfe davonzustehlenund aus dem Staub zu machen? Was Wunder, daß sie – um ein späterenTraditionen gemäßeres Bild zu wählen und den Feuersbrand, dem manüchtend entrinnt, durch die Wasserut, die man schwimmend übersteht,zu ersetzen – ihren Nachwuchs, ihre Schüler lehren, die um den Preisganzer Völker den Weg ans sichere Ufer steuernde Arche zu verlassenund gegen ein nur den einen Mann fassendes und ausschließlich vondessen eigener Kraft bewegtes Rettungsboot zu vertauschen?

Damit allerdings, daß sie ihren Verzicht auf die universale Heilsper-spektive und ihre Option fürs Rette-sich-wer-kann nicht schlicht und

einfach in die Tat umsetzen, sondern zuvor wiederum zum Gegenstandeiner Lehrtätigkeit machen, begehen diese Gruppen eine manifeste Unge-reimtheit, um nicht zu sagen einen heillosen Widerspruch. Indem sie ausihrer Einsicht in die kontradiktorischen praktischen Konsequenzen deram Heilsmittel als selbstreproduktiver Dauereinrichtung festgemachten

112

Page 113: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 113/189

universalen Heilsperspektive die Konsequenz bloß einer veränderten

Lehre, nicht dagegen einer anderen Praxis ziehen, geben sie sich zwarals gute Schüler des Meisters, als getreue Verweser des von ihm erteiltenMissionsauftrags zu erkennen, aber sie setzen die Mission tatsächlichnur noch um den Preis sei’s eines faul elitären Kompromisses, sei’s einesoffen institutionellen Zynismus fort. Sie lehren das kleine Gefährt, dasRettungsboot, lehren mit anderen Worten die Sinnlosigkeit aller Sorgeums Heil anderer, geschweige denn der Welt, und die Vordringlichkeitoder vielmehr absolute Verbindlichkeit des Strebens nach dem privatenHeil, mithin der Verwendung des im reexiven Selbstbezug bestehendenHeilsmittels pro domo der anzutretenden eigenen Weltucht. Sie lehrenSelbstbeschränkung und mitleidslose Gleichgültigkeit gegen die anderen– aber sie lehren dies beides und beweisen damit ein Interesse an denanderen, das sich mit dem, was sie lehren, partout nicht verträgt. Sielehren einen Inhalt, den die Tatsache, daß sie ihn lehren, Lügen straft.

Für diesen Widerspruch gibt es zwei mögliche praktische Erklärun-gen. Entweder es ist ihnen mit dem, was sie lehren, nicht so ganz ernst:Sie wollen zwar nicht mehr das große Gefährt, das kraft institutionellerLehrtradition in die Zukunft projizierte universale Heil; aber diejeni-gen, die sich durch die Lehreinrichtung hier und jetzt bekehren und zurselbstbezüglichen Haltung bewegen lassen, die möchten sie gerne nochmitnehmen, und weil die, kaum belehrt, ihrerseits das gleiche Bedürfnisverspüren, dauert die Lehre, obwohl sie ihren Inhalt eigentlich Lügenstraft, fort. Oder es ist ihnen wirklich ernst mit dem, was sie lehren: Dannist die Tatsache der Lehre, die Lehre selbst als ein Tun, Ausdruck derInsistenz der bestehenden Einrichtung, die sich ohne Rücksicht auf denanderen, sie als Institution ad absurdum führenden Lehrinhalt konti-nuiert. Das heißt, sie ist das Wirken einer Ordensgemeinschaft, die nurdeshalb, weil es sie gibt und weil ihre Funktion die Tradierung des alsreexiver Selbstbezug bestimmten Heilsmittels ist, die Weitergabe desHeilsmittels unverdrossen fortsetzt, obwohl letzteres jede, seine Tradie-rung rechtfertigende, öffentliche Bedeutung und universale Relevanz

eingebüßt hat und sich eben in seiner Weitergabe als ein dieser spotten-des, gemeinschaftsfeindliches mönchisches Privatissimum und anacho-retisches Selbsthilfemittel behauptet. Kurz, sie ist dann Ausdruck desnackten Überlebenswillens der einmal ins Werk gesetzten Institution alssolcher und insofern blanker institutioneller Zynismus.

113

Page 114: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 114/189

Aber gleichgültig, welche der beiden Erklärungen für das inkonsequen-

te Verhalten der ihren geistlichen Dienst am weltlich dienstbaren Laien alsein ebenso trügerisches wie widersprüchliches Beginnen aufkündigen-den Heilsmittelverwalter zutreffen mag, ob es also kompromißlerischesElitedenken oder institutioneller Zynismus ist, was sie trotz aller imLehrinhalt vollzogenen Abkehr von der universalen Heilsperspektivedas große Rad der Lehre weiter in Gang halten läßt – im einen wie imanderen Fall sind die vielen, die Laien, die eigentlich Dummen und Leid-tragenden solcher Inkonsequenz. Weit entfernt davon, sich durch denanderen Lehrinhalt aus ihrer personellen und subsistentiellen Dienstbar-keit gegenüber dem institutionalisierten Heilsmittel befreit und in dieHeilsunmittelbarkeit von unterschiedslos zur Entscheidung aufgerufenenArtgenossen entlassen zu nden, sehen sie sich durch die trotz anderenLehrinhalts unverändert fortbestehende Lehrpraxis in ihrer Dienstbarkeitfestgehalten. Und während aber das unverändert kontinuierte Lehrinsti-tut sie in ihrer alten Dienststellung festhält, raubt es ihnen gleichzeitigden Trost der bis dahin gewahrten universalen Heilsperspektive, nimmtes ihnen jegliche, wie immer trügerische Hoffnung auf ein in unbestimmtferner Zukunft ihnen selber winkendes Heil. Während die Abstand vonder universalen Heilsperspektive nehmenden Teile der Ordensgemein-schaft nunmehr statt des großen das kleine Gefährt verkünden, statt derArche das Rettungsboot lehren, sind sie im Blick auf diese Lehrtätigkeitnach wie vor darauf angewiesen, daß die Laien ihren personellen Nach-schub und ihre materielle Versorgung sichern, ihre Reihen auffüllen undihre Mägen füllen, und haben den letzteren als Gegenleistung dafür dochnichts weiter zu bieten als die zweifelhafte Genugtuung, einer religiösenElite, die sich auf ihre Kosten rücksichtslos absetzt, den Steigbügel odereiner religiösen Einrichtung, die sich zu ihren Lasten sinnlos fortsetzt, dieStange gehalten zu haben.

Im praktisch-weltlichen Dienstverhältnis gegenüber der heilsmittelver-waltenden Ordensgemeinschaft verharren zu können und sich nicht indie Heilsunmittelbarkeit des zur Entscheidung aufgerufenen Artgenossen

entlassen zu nden liegt durchaus im Interesse der bei aller grundsätzli-chen Anerkennung der daseinsverneinenden Heilsperspektive allzu tief in dies Dasein verstrickten und deshalb zur sofortigen Umkehr wenig bereiten Laien. Aber sich dabei aller wie immer unmittelbaren und fak-tisch trügerischen Aussicht aufs Heil beraubt und zum Steigbügelhalter

114

Page 115: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 115/189

einer religiösen Elite beziehungsweise zum Arbeitsvieh oder zur Milch-

kuh einer religiösen Institution degradiert zu sehen, kann unmöglich ihrInteresse sein. Und weil eben das der Fall ist, weil die Laien sich durch dieAbdanker der universalen Heilsperspektive zur heillos säkularen Basiseines ohne heilsgeschichtliche Rechtfertigung perennierenden religiösenÜberbaus herabgesetzt sehen, versagen sie dem zur elitären Karosseaufgedonnerten Karren die Gefolgschaft, lassen sie das zur Privatjachtaufgeblasene Rettungsboot im Stich und sorgen so dafür, daß das kleineGefährt sei’s überhaupt zu Bruch und zugrunde geht, sei’s scheiterndsich in Rückzugsgebiete oder an ferne Gestade verschlagen und dortzu einer den Zwecken kultureller Identität oder ethnischer Abgrenzungdienstbar gemachten kümmerlichen Restexistenz verurteilt ndet. Inder Tat empfangen auf diese Weise jene die universale Heilsperspektiveabdankenden und aufs kleine Gefährt setzenden Teile der Ordensgemein-schaft ihren gerechten Lohn dafür, daß sie den Widerspruch, an dem siedoch eigentlich Anstoß nehmen, den im Laienstand Gestalt gewordenenWiderspruch zwischen theoretisch-genereller Hoffnung aufs Heil undpraktisch-spezieller Ausschließung vom Heil, nur elitär und zynischaufzulösen und nämlich dadurch aus der Welt zu schaffen vermögen, daßsie das den Widerspruch provozierende Sollen fallen und ansonsten alles beim alten, will heißen, die vom verschwundenen Sollen unverändertgeprägte Realität als ein nach Maßgabe seiner brutalen Faktizität odergrundlosen Gegebenheit frei von Widerspruch sich behauptendes Seinweiterbestehen lassen

115

Page 116: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 116/189

. Der sekundäre Heilsweg

Die Mönche, die an der universalen Heilsperspektive festhalten, die Vertreter

des großen Gefährts, suchen den Widerspruch, der die Laienposition stigma-tisiert, dadurch aufzulösen, daß sie dem Werkewirken der Laien eine originäreigene Heilsbedeutung zusprechen: Indem die Laien ihre sie vom Heil abhaltendeweltliche Geschäftigkeit in den Dienst des Heilsmittels, der institutionalisiertselbstbezüglichen Haltung der Mönche, stellen, tun sie bereits einen erstenSchritt zum Heil. Dieser erste Schritt scheint aber zugleich Vereitelung jedes wei-teren, und so stecken die Laien allem Anschein nach in einem Dilemma, aus demsie nur der natürliche Tod erlösen kann. Weil indes die Wendung vom befreiendenTod nicht metaphorisch-ironisch, sondern spekulativ-buchstäblich genommenwird, bedeutet sie nichts geringeres, als daß in seiner der selbstbezüglichen Hal-tung geweihten Geschäftigkeit das Laiensubjekt sich als selbstbezügliches Subjekt projiziert oder setzt und daß der Tod in Ansehung dieses gesetzten Subjekts eineerlösende, nämlich vom alten, vorausgesetzten Laiensubjekt befreiende, Funktionerhält.

Den Widerspruch einfach ignorieren und als solchen fortbestehen lassendürfen aber auch die übrigen Teile der Ordensgemeinschaft nicht, dieje-nigen, die am großen Gefährt unbeirrt festhalten und die das große Radder Lehre bis zur Erreichung universalen Heils fortzutreiben entschlossensind. Auch sie müssen bei Strafe ihrer inneren Glaubwürdigkeit undintentionalen Sichselbstgleichheit darum bemüht sein, das mit der Institu-

tionalisierung des Heilsmittels aufgerissene kontradiktorische Verhältniszwischen den Laien in ihrer Bestimmung als Adressaten und künftigeNutznießer der Heilsmitteleinrichtung, das heißt als mögliche Empfängerdes Heils, und ihnen in der Funktion von Ausgebeuteten und gegen-wärtigen Opfern der Einrichtung, das heißt von Leuten, die wegen ihres

116

Page 117: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 117/189

Page 118: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 118/189

auf den Heilsweg den hohen Wert und guten Sinn einer wenn schon

nicht beispielgebenden, so jedenfalls musterbildenden Vorgehensweise,einer wenn schon nicht zur Nachahmung bewegenden, so jedenfallsals vorbildlich sich empfehlenden Praxis beimessen. Und ihre Hoch-schätzung der qua reexiver Selbstbezug von den einzelnen an den Taggelegten Haltung konsequenter Heilsorientierung wiederum impliziert,daß sie den letzteren bereitwillig Sukkurs bei deren Bemühen leisten, jener als das Heilsmittel funktionierenden selbstbezüglichen Haltung inForm ihrer ordensgemeinschaftlichen Institutionalisierung ebensovieluniverselle Verfügbarkeit zu verleihen wie traditionelle Haltbarkeit zusichern, und daß sie dieses Bemühen in der Doppelrolle eines personellenNachschubdepots und einer materiellen Versorgungsbasis mit allen ihnenin ihrer weltlichen Geschäftigkeit zu Gebote stehenden Kräften unterstüt-zen. Der Glaube der Laien an die Wahrheit des von Buddha gewiesenenHeilsweges zieht insofern die Werke einer weltlichen Geschäftigkeit, diesich in den Dienst der Unterstützung und Stärkung einer als Heilsmittel,als Zubringer zum Heilsweg, begriffenen Haltung mönchischer Ablösungvon der Welt stellt, zwangsläug nach sich und ndet in ihnen seinenwesentlichen Ausdruck.

So aber als Glaubensbeweis, als direkte Folge oder authentischer Aus-druck einer laienhaft theoretischen Anerkennung der Wahrheit des Heils-weges genommen, ist das irdische Treiben und weltliche Verrichten derLaien in der Tat nun nicht mehr einfach es selbst in seiner von Haus ausheillosen Daseinsverfallenheit, sondern vielmehr ein der selbstbezügli-chen Haltung der Mönche wenn nicht in der Konsequenz, so doch imPrinzip vergleichbares Verhalten. Als eine Unmittelbarkeit, die sich durchdie Heilsperspektive zum Mittel machen und nämlich dazu bestimmenläßt, die vom Buddha als Mönchstum gelehrte selbstbezügliche Distan-zierung von der Welt nicht nur als mustergültige innerweltliche Haltunganzuerkennen, sondern sich mehr noch tatkräftig dafür einzusetzen, daßdiese Haltung nicht aus der Welt verschwindet, daß sie im Gegenteil alsverheißungsvoll ständige Einrichtung in ihr sich kontinuiert, wird die

weltliche Geschäftigkeit zu einer im rechten Glauben geübten Praxis, diesich nach Maßgabe der praktischen Umorientierung und Umstellung, diesie in Diensten ihrer eigenen Negation vollbringt, als originär heilsträch-tiges Unterfangen erweist, das nämlich selber bereits einen ersten Schrittzum Heil darstellt. Zwar nur einen ersten Schritt, der mit dem großen

118

Page 119: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 119/189

entscheidenden Sprung, den der als Distanzierung vom Dasein begreif-

liche mönchische Selbstbezug bildet, kaum den Vergleich aushält, aber jedenfalls doch einen ersten, kleinen Schritt! Wie wäre wohl die Mitwir-kung der Laien am Heilsmittelkonservierungsgeschäft, ihr Wechsel vonder weltlichen Geschäftigkeit als einem ebenso heil- wie verantwortungs-los betriebenen Unternehmen, einem besinnungslosen Verfallensein ansDasein, zu ihr in ihrer auf die Erhaltung des ordensgemeinschaftlichenHeilsmittels gerichteten dienstbaren Stellung, ihr als einer im rechtenGlauben geübten Praxis – wie wäre das wohl möglich, wenn nicht auf derBasis eben dieses bei den Laien bereits vorauszusetzenden Glaubens ansHeil, dieses als ein erster Schritt zum Heil den Laien eigenen Heilsbezu-ges? Wie wäre der Übergang vom irdischen Tun der Laien in seiner vonkeiner Heilsrücksicht angekränkelten Unmittelbarkeit zu ihm in seiner eszum Mittel des Heilsmittels machenden neuen Bestimmtheit überhaupterklärlich ohne diese Heilswahrnehmung, die die Laien an ihnen selber beweisen, diese Heilsbereitschaft, die sie von sich aus an den Tag legen?Damit den vielen überhaupt in den Sinn kommen kann, den ihnen vonder Ordensgemeinschaft zugedachten Laienstatus zu übernehmen unddas heißt, zur weltlichen Geschäftigkeit in ihrer aufs Dasein bezüglichenafrmativen Unmittelbarkeit hinlänglich auf Distanz zu gehen, um siestatt dessen in den Dienst einer zutiefst negativen Haltung zu stellen,die alle weltliche Geschäftigkeit zugunsten eines Nichts an Dasein abzu-danken verspricht – damit ihnen überhaupt in den Sinn kommen kann,so etwas mitzumachen, muß also in diesen ihren Sinn der Gedanke ansHeil und das Verlangen nach ihm in irgendeiner Form – und vielmehrnicht in irgendeiner, sondern eben in der des Glaubens – Einzug gehaltenhaben und muß mit anderen Worten das Heil eine nicht erst durch dieselbstbezügliche Haltung der Mönche ihnen vermittelte, sondern je schonaus eigenem sich ihnen erschließende Perspektive für sie sein.

So gesehen, gibt es von Anfang an zwei originäre Bezüge zum Heil: deneinen, den die einzelnen, die Mönche, kraft ihrer als Heilsmittel rmieren-den selbstbezüglichen Haltung wahren, und den anderen, den die vielen,

die Laien, eben durch ihre Bereitschaft beweisen, die selbstbezüglicheHaltung der Mönche als Mittel zum Heil anzuerkennen und dieser Aner-kennung mehr noch die praktische Verbindlichkeit eines Wirkens für dieAufrechterhaltung des Heilsmittels als einer in die Zukunft hinein verfüg- baren Option zu verleihen. Und wenn demnach auch der Widerspruch

119

Page 120: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 120/189

auftritt, daß die Laien durch ihr weltliches Wirken fürs Heilsmittel vom

Heilsbezug in der ersten Bedeutung eines kraft Heilsmittels gewahrtenZugangs zum Heil ausgeschlossen sind, bleibt es doch eine Tatsache,daß dies Wirken fürs Heilsmittel als Bedingung seiner Möglichkeit einenHeilsbezug in der zweiten Bedeutung, in der Bedeutung nämlich einervon den Laien selbst bewiesenen originären Heilsbereitschaft, je schoneinschließt. Bei all seiner originären Gegebenheit ist dieser letztere Heils- bezug zwar nicht stark genug, die Laien vom Dasein abzubringen, dieLust am Dasein verlieren zu lassen und kurzerhand der durch BuddhasLehre als Heilsmittel ausgewiesenen Haltung, des in der Distanzierungvom Dasein bestehenden mönchischen Selbstbezugs zu überführen. Aberseine Kraft reicht immerhin aus, die Laien mit dem mönchischen Selbst- bezug als mit einer irgendwann auch von ihnen anzunehmenden Haltungsich identizieren und deshalb ihr qua weltliche Geschäftigkeit kontinu-iertes Verhältnis zum Dasein in den Dienst einer Erhaltung und Stärkungdieser als Wechsel auf die Zukunft wahrgenommenen Option stellenzu lassen. Und damit haben sie in der Tat ja schon den ersten Schrittzum Heil getan. Sie haben insofern bereits eine erste Ablösung vomDasein vollzogen, als sie ihre Beziehung zu letzterem der Rücksicht auf jenen partout nur in der Lösung von ihm bestehenden Selbstbezug unter-werfen, haben sich insofern im Ansatz bereits von der Welt distanziert,als sie ihr weltliches Geschäft pro domo einer Haltung betreiben, derenwesentlicher Inhalt die Distanzierung von aller weltlichen Geschäftigkeitist.

Wie es allerdings über diesen ersten heilsträchtigen Schritt hinaus zuweiteren kommen soll, ist denkbar unklar. Mögen nämlich die Verfechterdes großen Gefährts die Verdienste der Laien um die Tradierung dermönchischen Haltung noch so sehr in den Himmel heben oder in dengrünen Klee loben und mögen sie diesem Glaubenswerk der Laien nochso entschieden den originären Heilswert einer ersten Ablösung vomDasein und ansatzweisen Hinwendung zu sich selbst bescheinigen –Tatsache bleibt, daß die Laien solch ansatzweise Ablösung vom Dasein

mittels der einsatzfreudigen Bindung an eben das Dasein betreiben, vondem sie sich ablösen, und daß sie sich also der offenbaren contradictio inadjectum schuldig machen, ihre dem Glaubensakt einer Identizierungmit dem nönchischen Selbstbezug entspringende prinzipielle Negationder weltlichen Geschäftigkeit ausgerechnet die Gestalt einer im Tun von

120

Page 121: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 121/189

Werken bestehenden funktionellen Reafrmation eben dieser Geschäf-

tigkeit annehmen zu lassen. Indem die Laien ihr Verhältnis zum Dasein benützen, um sich für eine Haltung einzusetzen, die in der Freiheit vonallem Verhältnis zum Dasein besteht, erreichen sie zwar tatsächlich anihnen selber ein Stück Emanzipation vom Dasein; aber weil sie dies StückEmanzipation eben durch ihr Verhältnis zum Dasein und also mittelseiner einsatzfreudigen Afrmation des letzteren erreichen, scheint derPreis, den sie dafür zahlen müssen, ihr ebenso denitiver wie zwangs-läuger Ausschluß von aller dem Maßstab der mönchischen Haltung, fürdie sie sich einsetzen, genügenden weiteren und wirklichen Befreiung. Es bleibt also bei jenem abgrundtiefen Dilemma, das den Verkündigern deskleinen Gefährts der Stein des Anstoßes ist und ihnen zum Anlaß wird,die universale Heilsperspektive überhaupt abzudanken: Der erste, selbst-tätige Schritt zum Heil, den die Laien dadurch tun, daß sie sich mittelsweltlicher Werke mit der in Weltentsagung bestehenden Heilsbereitschaftdes mönchischen Selbstbezugs identizieren, ist zugleich ihr letzter, weilsie ihn kraft eben der weltlichen Geschäftigkeit tun, der sie selber viel-mehr entsagen müßten, um diesen ersten Schritt zum Heil tatsächlich alseinen ersten und nämlich von weiteren Schritten gefolgten tun zu können,und weil also, kurz gesagt, dasjenige, wodurch sie Verbindung zu derals Heilsmittel ausgemachten mönchischen Haltung halten, gleichzeitigdasjenige ist, was sie unüberbrückbar von der mönchischen Haltungtrennt. Aus diesem Dilemma scheint es wegen seiner prinzipiellen Naturund verhängnisvollen Logik unmöglich einen Ausweg geben zu können;es scheint klar, daß die Laien nach diesem ersten, uneigentlich so zu nen-nenden Schritt zum Heil ihr Leben lang auf der Stelle ihrer um den Preisdes eigenen Ausschlusses vom Heil erkauften praktischen Identizierungmit der mönchischen Heilsbereitschaft treten müssen, bis endlich der Todsie aus ihrer Zwangslage befreit, sie von ihrer unlösbaren Verstrickung indie ebenso festgehaltene wie auf Distanz gebrachte, ebenso reafrmiertewie negierte Welt erlöst.

Die Wendung, daß der Tod die Laien aus ihrer Not befreie, macht dabei

auf den ersten Blick den Eindruck eines bloßen Euphemismus, eines beschönigenden Ausdruckes dafür, daß mit dem Tod die ganze Sachesich erledigt, das Problem als solches hinfällig wird, weil die Betroffenenselbst mitsamt ihrem Heilsanspruch von der Bildäche verschwinden,aus der Liste der handelnden oder auch leidenden Personen gestrichen

121

Page 122: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 122/189

werden. Indes, die Befreiungsaktion, die die um eine Vermittlung von

Heilsperspektive und Laiendienst bemühten Verkünder des großen Ge-fährts dem Tod nun tatsächlich zusprechen, ist bar solch euphemistischenCharakters. Weit entfernt davon, im Tod bloß den großen Liquidierer ei-ner im Leben nicht lösbaren Situation, den pauschalen Revozierer eines inalle Ewigkeit verfahrenen Beginnens zu erkennen, erklären die Verkünderdes großen Gefährts ihn vielmehr für das, was aus der im Leben nichtlösbaren Situation einen posthum gangbaren einfachen Ausweg eröffnet,was dem ewig widersprüchlichen Beginnen eine post festum wirksameeindeutige Konsequenz nachweist. Die Kraft, das heilsperspektivischeDilemma der Laien zu lösen, schöpft dieser verzweifelt spekulativen Sichtzufolge der Tod daraus, daß er die Laien aus ihrer zwar im Dienste dermönchischen Haltung, aber eben auch im unüberbrückbaren Gegensatzund Ausschließungsverhältnis zu ihr geübten weltlichen Geschäftigkeitkurzerhand herausreißt und ihnen damit ermöglicht, die Identikationmit der mönchischen Haltung als mit dem, worum es ihnen im wider-sprüchlichen Mittel weltlicher Geschäftigkeit eigentlich zu tun ist, neuzu vollziehen und am Ende weniger widersprüchlich ins Werk zu set-zen. Dem naheliegenden und auf den ersten Blick alles entscheidendenEinwand, daß der Tod ja mit der weltlichen Geschäftigkeit auch demGeschäftigen selbst ein Ende setze, daß er im Wortsinne das Kind mitdem Bade ausschütte, daß er also gar kein Subjekt übriglasse, das aus derentbindenden, freisetzenden Kraft des Todes den Nutzen einer neuen,adäquateren, weniger durch ihr eigenes Mittel, eben die weltliche Ge-schäftigkeit, sich durchkreuzenden Identizierung mit der mönchischenHaltung ziehen könne – diesem naheliegenden Einwand begegnen dieVerkünder des großen Gefährts mit einer im Wortsinn dialektischen – undnämlich einer einfachen Neubesinnung auf den Status quo, einer zweitenLesart von dem, was der Fall ist, gedankten – Überlegung, nach der jenesin adäquaterer Identizierung mit der mönchischen Haltung begriffeneSubjekt im Grunde schon Resultat der weltlichen Geschäftigkeit als ei-ner im rechten Glauben geübten Praxis ist und von daher dem Tod gar

keine mit seiner pauschalen Negativität zweifellos unvereinbare positivsubjektsetzende Funktion zufällt, sich vielmehr seine Aufgabe darauf beschränkt, ein im Grunde schon gesetztes, an sich schon vorhandenesadäquationsbestimmtes Subjekt fürsichseiende Wirklichkeit gewinnen zulassen.

122

Page 123: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 123/189

Schließlich macht ja eben dies aus der weltlichen Geschäftigkeit ein

nicht in weltlicher Geschäftigkeit aufgehendes Werkewirken, eine imrechten Glauben geübte Praxis, daß sie nicht einfach das Laiensubjekt inseiner geschäftigen Unmittelbarkeit wiederholt und bestätigt, sonderndaß sie in Diensten einer vom Laiensubjekt als Option für es selbst, alsseine eigene Bestimmung anerkannten weltabgewandt mönchischen Hal-tung steht und geschieht, daß sie mithin dem Aufbau und der Förderung,der Erhaltung und Stärkung eines als Heilsmittel geltenden Selbstbe-zuges dient, mit dem sich – und das ist der Dreh- und Angelpunkt derÜberlegung! – nun das Laiensubjekt seinerseits als mit dem, was es seinsoll, identiziert, dem es als der Wahrheit seiner selbst sich zudenkt,verschreibt, gleichsetzt. So wahr das Laiensubjekt mit seiner weltlichenGeschäftigkeit auf eine Kräftigung und Kontinuierung nicht seiner eige-nen Unmittelbarkeit, sondern jener selbstbezüglichen Haltung zielt, in deres das Heilsmittel für seinesgleichen, den weltenthebenden Fluchtpunktfür die weltbefangenen vielen erkennt, so wahr stellt hierbei das Laien-subjekt sich selber als ein von diesem Heilsmittel Gebrauch machendesSubjekts jenseits seiner laizistischen Geschäftigkeit vor, entwirft und setztes sich selber als den mit der mönchischen Haltung sich identizierendeneinzelnen, das dem reexiven Selbstbezug sich adäquierende Selbst. NachMaßgabe der mönchischen Haltung, der es ins einer weltlichen Geschäf-tigkeit die Stange hält und Vorschub leistet, präsentiert sich mit anderenWorten das Laiensubjekt je schon als eine in jener Haltung sich auf sichselbst beziehende, ihr Reexiv, ihre Sichselbstgleichheit ndende, kurz,adäquate Alternative zu sich in seiner geschäftigen Unmittelbarkeit. Al-lerdings eine Alternative, die sich durch diese geschäftige Unmittelbarkeitvon ihrer tatsächlichen Präsentation, ihrem wirklichen Gegenwartseinebensowohl abgehalten und im Zustand einer gedankendinglichen Pro- jektion, einer bloß möglichen Zukunftsbestimmung arretiert zeigt. Weildas Laiensubjekt in actu seines geschäftigen Wirkens für die Stärkungund Sicherung der mönchischen Haltung, mit der es sich identiziert,der es sich adäquiert, gleichsetzt, jener Haltung ebensowohl wesentlich

ungleich bleibt und ihr gegenüber in einer sie ausschließenden Daseins-gebundenheit, einer mit ihr unvereinbaren Weltzugewandtheit verharrt,steht es quasi sich selbst im Weg, drängt das adäquate Subjekt, das esnach Maßgabe der von ihm afrmierten mönchischen Haltung an sichist, eben ins bloße Ansichsein, in den Desideratszustand eines Potentialis,

123

Page 124: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 124/189

einer Zukunftsbestimmung ab und sorgt durch diese seine unmittelbare

Ungleichheit mit der mönchischen Haltung also dafür, daß es selbst inseiner gleichzeitigen Identiziertheit, seiner Gleichsetzung mit ihr eineuneingelöste Setzung oder unverwirklichte Vorstellung, kurz, eine alskünftige Möglichkeit ungleichzeitige Alternative bleibt.

Daß dem Gedankending, dem vom Laiensubjekt gesetzten Projekt eines heils-mitteladäquaten Subjekts, mehr Realität eignen soll als dem es setzenden Lai-ensubjekt, wirkt paradox, gewinnt aber eine Art Plausibilität angesichts desWesensverhältnisses, das heißt, vor dem Hintergrund einer ontologischen Kon-struktion, bei der das Resultat seine Voraussetzung revoziert und sich als ab-

soluter Anfang erweist, der sich im Sinne eines zeitlos vergangenen Seins ausdem zurücknimmt, was bloße, nicht etwa ihn vergehen lassende, sondern sich gegen ihn vergehende und als wesenloser Schein am Ende sich selber zugrunde-richtende Abfallbewegung ist. Vor diesem Hintergrund übernimmt der Tod die Aufgabe, das Laiensubjekt, das wesenloser Schein ist, aus dem Weg zu räumenund Platz für das selbstbezügliche Subjekt zu schaffen, das wesenhaft ist, sosehres sub specie des Laiensubjekts nur erst Projekt scheint; mit anderen Worten,er übernimmt die Erlösung des seinerfüllten Selbst von der scheinverfallenenPerson, die Freisetzung der Seele vom Körper.

Auf den ersten Blick scheint das alte Dilemma eines Laiensubjekts, dassich durch genau die weltliche Praxis, durch die es sich den Maßstab fürseine heilsperspektivische Identizierung und Adäquation schafft underhält, von der Adäquation denitiv fernhält und ausschließt, einfachnur unverändert reproduziert und scheint mit der neuen, dialektischenSichtweise, die den Akzent darauf legt, daß an sich ja die Adäquati-on das in actu der Sorge für die mönchische Haltung bereits Gegebeneist oder daß sie, besser gesagt, das Gegebene wäre, stünde nicht daslaizistisch-inadäquate Subjekt dem nach Maßgabe der Sorge für die mön-chische Haltung präsenten mönchisch-adäquaten Subjekt im Wege undverdrängte letzteres als bloße Setzung, bloße Zukunftsbestimmung aus

der Gegenwartsstellung, die es andernfalls hätte – scheint also mit dieserneuen Sichtweise wenig oder nichts gewonnen. Es scheint damit nichtsgewonnen außer eben diese Akzentverschiebung, die dadurch, daß siedas im heilsmitteldienlichen Tun des Laiensubjekts ins Werk sich setzen-de adäquate Subjekt als an sich gegebenes Resultat des Werkewirkens

124

Page 125: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 125/189

Page 126: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 126/189

Page 127: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 127/189

Haltung dilemmatisch bemühten Laiensubjekts das Sollen gegen das vor

ihm zugrunde gehende Sein in Szene, und zwar so, daß es ex nihilo deszugrunde gegangenen Seins sein im sprunghaften Neubeginn eigenesSein hervorkehrt, verwirklicht also in diesem Fall der Begriff sich ganzabstrakt von der Sache, und zwar so, daß er sich anstelle der abgetanenSache als deren aus eigenem konkretisierte Neuausgabe herausstellt.

Nicht also wie ein prozessuales Produkt und kontinuierliches Ergebnisentwickelt und realisiert sich das neue, adäquate Subjekt aus dem Schoß,der Matrix, des in weltlicher Geschäftigkeit vorausgesetzten ungleichenLaiensubjekts, sondern wie Phönix entsteigt es der Asche dieser aus allem biographisch beschreibbaren Zusammenhang herausgerissenen und vomTode verzehrten Voraussetzung, wie eine feuerentsprungene Neugeburterhebt es sich über dem Scheiterhaufen des dem Laiensubjekt bereitetenUnterganges. Oder besser gesagt – da es hier ja nicht wie beim Phönix umeine bloße Verjüngungs- und Erneuerungskur, nicht bloß darum geht, sichmittels der Zäsur des Todes unverändert und in alter Frische wiederher-zustellen, sondern vielmehr um die Rettung aus einem dilemmatischenZustand, mit anderen Worten darum zu tun ist, mittels des Todes denKopf aus der Schlinge einer leibhaftig eigenen Inadäquatheit und heillo-sen Scheinverfallenheit zu ziehen –, besser gesagt also: Wie Münchhausenzieht sich das neue, durch das Wirken des Laiensubjekts fürs Heilsmittelprojektierte oder an sich gesetzte, heilsmitteladäquate Subjekt am eigenenSchopf aus dem Sumpf der seiner Präsenz und Realisierung entgegenste-henden dilemmatischen Hindernisse oder eigentlich unüberwindlichenWiderstände. Allerdings – und insofern bedarf auch dieses Bild nochder Modizierung! – zieht es sich demnach aus einem Sumpf, der nichteinfach wie bei Münchhausen ein vom Subjekt als solchem Verschiedenes,ein fremdes Milieu und abzustreifendes Äußeres, sondern der es selbst inseiner Verschiedenheit, der nichts anderes als das Laiensubjekt in personaist, das eben in seinem als weltliche Geschäftigkeit bestimmten Wirkendas ihm, dem adäquaten Subjekt, entgegenstehende und den Weg in diePräsenz verlegende Hindernis darstellt.

Genau dieser Umstand macht ja den Tod als alle Biographie und perso-nale Kontinuität zerreißendes Scheidemittel nötig, daß es das leibhaftigealte Subjekt in all seiner mit der mönchischen Haltung unvereinbarenweltlichen Geschäftigkeit ist, aus dem sich das im Wirken für die mönchi-sche Haltung nur erst projektierte haltungsadäquate Subjekt erst einmal

127

Page 128: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 128/189

Page 129: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 129/189

Page 130: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 130/189

Blick bloßes Gedankending, bloße Vorstellung, Setzung des Laiensubjekts

scheint, beim spekulativ zweiten Hinsehen in der Tat die res cogitansselbst, das sich selber vorstellende, in der Selbstsetzung begriffene ad-äquate Subjekt. So wahr das vom Laiensubjekt in seinem Wirken für diemönchische Haltung nolens volens vorgestellte adäquate Subjekt ein auf das Sein, auf sein Wesen gerichtetes Projekt ist, das dadurch ins Seintritt, dadurch mit seinem Wesen ins reine kommt, daß es sich selbständigmacht, auf eigene Füße stellt und die täuschende Welt der Erscheinun-gen mitsamt der in sie verstrickten Scheinexistenz, die das Laiensubjektverkörpert, zum Rejekt erklärt und zurückläßt, so wahr verschiebt sichdamit die ganze Perspektive und erweist sich das vermeintliche Geschöpf des Laiensubjekts als Subjekt sui generis, als in Wahrheit sich selber kre-ierendes adäquates Subjekt, erweist sich das Gedankending als die imEingedenken begriffene Sache selbst, hört mit anderen Worten der imadäquaten Subjekt bestehende Schopf, den das Laiensubjekt aus demSumpf seiner Scheinexistenz streckt, auf, bloßes Vorhaben oder Projektdes ersteren zu sein, und offenbart sich vielmehr als das im Laiensubjektden scheinexistenten Sumpf als solchen erkennende und von sich wei-sende selbständig wahre Corpus oder vollständig neue Selbstsein. EinSelbstsein allerdings, dem der scheinexistente Sumpf, das Laiensubjekt,vorerst noch anhängt und den Platz streitig macht und das, solange diesder Fall ist, auch nur erst aus dem Sumpf herausragender Schopf, von derGegenwart abgehaltenes und in die Zukunft verbanntes, ansichseiendesSubjekt ist, mithin bloße Vorstellung, bloßes Projekt bleibt. Damit es Raumgreifen und Präsenz gewinnen, sich als das wahre Corpus in der besagtenWeise am eigenen Schopf aus dem Sumpf herausziehen kann, muß esdeshalb des an ihm haftenden und es als bloße Vorstellung arretierenden,zum bloßen Projekt verhaltenden Sumpfes ebensowohl schon entledigt,muß es von dem als klebrig-sperriges Anhängsel ihm den Weg in die Ge-genwart verlegenden und seine Realisierung blockierenden Laiensubjektvorweg bereits befreit sein.

Im Selbstschöpfungsakt zum neuen, adäquaten Subjekt entfalten kann

sich folglich der aus dem Sumpf, aus der Scheinexistenz des Laiensubjektsheraus projektierte Schopf nur, wenn ihm durch die vorherige Beseiti-gung dieser Scheinexistenz das entscheidende Hindernis aus dem Weggeräumt, und der nötige Entfaltungsraum eröffnet wird. Der Überwin-dung dieses einem regelrecht inneren Widerspruch nahekommenden

130

Page 131: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 131/189

Schwachpunktes in der Konstruktion des spekulativen Subjektwechsels

dient der natürliche Tod. Er löst das Dilemma eines Projekts, das ansich oder in Wahrheit ein aus dem Sumpf der Scheinexistenz, von deres ausgeht, sich am eigenen Schopf extrahierendes Subjekt ist und dasaber für sich oder in Wirklichkeit dies Subjekt nur sein kann, wenn dieihm anhaftende Scheinexistenz es nicht mehr im Zustand eines bloßenProjektes festhält, sondern durch ihren vorherigen Abzug, ihre vorgezo-gene Abstraktion ihm den für seine Extraktion erforderlichen Freiraumläßt. Der Tod löst das Dilemma, indem er aus eigener Kraft oder Majestätdiese vorgezogene Abstraktion vollzieht, der als Laiensubjekt präsentenScheinexistenz ein Ende und den Garaus macht und damit jenem von der

Scheinexistenz ebensosehr ausgehenden und promovierten wie festge-haltenen und blockierten Projekt die Gelegenheit verschafft, sich als das,was es an sich ist, als Subjekt sui generis oder für sich seiendes Selbstseinzur Geltung zu bringen. Durch den natürlichen Tod vom Sumpf derScheinexistenz, von dem der selbstbezüglichen Haltung inadäquatenLaiensubjekt, befreit, enthüllt sich der bis dahin scheinbefangene Poten-tialis als vielmehr seinsbestimmter Aktualis und erweist sich nämlich diezuvor als Setzung, als Geschöpf des Laiensubjekts erscheinende Vorstel-lung vom adäquaten Subjekt als in Wahrheit ein Selbstschöpfungsakt, alsdas in eigener Regie sich zur Vorstellung bringende, in Szene setzende

adäquate Subjekt selbst. In Begriffen der von den Vertretern des großenGefährts gegebenen Darstellung ist dies nach seiner Freisetzung durchden natürlichen Tod sich selber freisetzende und als das neue, adäquateSubjekt hervorbringende Projekt die Seele, die, von ihrer leiblichen Hülle,dem in Gestalt des Laiensubjekts existenten Schein des Daseins oderWiderschein des Scheinhaften, erlöst, sich zum rein reexiven Selbstbe-zug der mönchischen Haltung erhebt und als das in Anwendung vonder Welt ganz nur dem Wesen zugewandte, auf Nichts als aufs Seinsich richtende Selbstsein manifestiert. Ihrer im Laiensubjekt bestehen-den erscheinungsverfallenen Leiblichkeit, die sie in Bande schlägt und

zum Ansichsein degradiert, durch den Tod entbunden, ist die Seele dasals selbstbezügliches Fürsichsein realisierte feinstofich wahre Corpus,das nach Beseitigung allen Scheines übrig bleibt, um in das Nichts desScheins, das Sein und als Sein das der Seele eigene Wesen ist, Einkehr zuhalten.

131

Page 132: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 132/189

Der befremdliche Umstand, daß die Seele sich jeweils wieder vereischlicht, rein-

karniert, erklärt sich daraus, daß sie zwar dem ontologischen Status, nicht aberder essentiallogischen Verfassung nach unabhängig von ihrer Voraussetzung,dem Laiensubjekt, ist. Weil die phänomenologische Disposition der Seele ihreontologische Resolution immer wieder beeinträchtigt, fällt sie immer wieder inden Körper zurück, allerdings in einem Prozeß der allmählichen Rafnierung,der sie eine vom Karma, vom selbstgewirkten Schicksal, bestimmte Stufenleitererklimmen läßt, an deren Ende die qua Seelenwanderung geläuterte Seele alsvollkommen heilsmitteladäquates Subjekt in das Nichts, das Sein ist, eingeht. DieLösung des Dilemmas besteht also in einem dem Laiensubjekt eigentümlichen Heilsweg, der das Heilsmittel, die mönchische Haltung, nicht als Transportmittelund Zauberstab, sondern nur als Orientierungshilfe und Vergleichsmaßstabbenutzt. Damit bestätigt sich aber, daß die im mönchischen Heilsmittel gewahrteuniversale Heilsperspektive im Laiensubjekt nicht ihren eigentlichen Adressatenhat.

Höchst befremdlich allerdings mutet wie gesagt an, daß die Seele ebendies – nämlich als das von aller Scheinexistenz befreite wahre Corpusin das Nichts des Scheins Einkehr zu halten und es als das fürs eigeneWesen zu erkennende Sein anzunehmen – keineswegs tut, sondern daßsie offenbar mit diesem Corpus, das sie nach Entfernung der leiblichenHülle für sich ist, nichts Besseres anzufangen weiß, als es aufs neue ineine leibliche Hülle zu kleiden, es abermals in den Sumpf der Erschei-nungsverfallenheit, in eine Scheinexistenz nach Art des vom Tode geradeerst dahingerafften Laiensubjekts hineingeraten und sich verstrickenzu lassen. Schwer genug ist es ja den Verkündern des großen Gefährtsgeworden und nur mit Hilfe einer dialektischen Revision der ontologi-schen Perspektive und spekulativen Bemühung der Kraft des natürlichenTodes überhaupt gelungen, dem vom Laiensubjekt in seinem Wirken fürsHeilsmittel als Zukunftsbestimmung oder Projekt gesetzten adäquatenSubjekt diese lebendige Gegenwart und autogene Wirklichkeit der nachihrer Erlösung vom materiellen Körper die fröhlichen Urständ eines spi-

rituellen Corpus feiernden fürsichseienden Seele zu vindizieren. Warumaber, statt nun dies spirituelle Selbstsein, dies nach seiner Befreiung ausdem Kerker der ungleichen Scheinexistenz vom lebendigen Geist deradäquaten Haltung erfüllte wahre Corpus ugs für das, wozu es dochda ist: für den resignativen Austritt aus der Welt und den meditativen

132

Page 133: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 133/189

Eingang ins Nichts, das Sein ist, zu nutzen, wendet die Seele sich viel-

mehr um und springt zurück in den Sumpf der Scheinexistenz, um sicherneut eine dem Laiensubjekt, das ihr der Tod doch gerade erst vomHalse geschafft hat, vergleichbare leiblich-organische Bleibe zu suchen,abermals eine materielle Körperlichkeit und eischliche Hülle nach Artder gerade erst abgelegten und losgewordenen anzunehmen, kurz also,sich zu reinkarnieren?

Den Grund für dies auf den ersten Blick inkonsequente, von welthö-riger Rückfälligkeit und regressiver Erscheinungslust geprägte Betragender Seele gewahren die Verkünder des großen Gefährts in der mangelhaf-ten essentiallogischen Verfassung der letzteren, genauer gesagt, in demMangel an Entschlossenheit zum Nichts oder Seinsentschiedenheit, densie bei aller prinzipiellen Identizierung mit dem Heilsmittel, bei allerrelativen Adäquation an die mönchische Haltung immer noch aufweist.Und diese, das Selbstsein in die Verleiblichung zurücktreibende, die Seelezur Inkarnation verhaltende Unentschiedenheit wiederum sehen dieVerkünder des großen Gefährts begründet in der früheren praxologi-schen Verfassung des mittlerweile mit Tode abgegangenen Laiensubjekts,aus dem heraus die Seele sich zur Vorstellung brachte, nämlich in jenerWerktätigkeit des Laiensubjekts, als deren Implikation oder Setzung dasinzwischen als Seele freigesetzte adäquate Subjekt zuerst erschien. So-wenig zwar der ontologische Status der Seele, ihr lebendig-spirituellesSelbstsein sich aus dem Laiensubjekt und dessen organisch-materiellemSein in der Welt herleiten läßt und so gewiß dieser ontologische Statusvielmehr ausschließlich Resultat einer Seinsreduktion ist, in deren Ver-lauf die Seele sich im förmlichen Selbstschöpfungsakt aus dem Sumpf der Erscheinungsverfallenheit, der Scheinexistenz des Laiensubjekts, ameigenen Schopf und als Subjekt sui generis, wenngleich mit Hilfestellungdes Todes, herauszieht, so sehr soll aber in ihrer essentiallogischen Ver-fassung die Seele zugleich noch geprägt sein von dem Sumpf, dem sieentsteigt, und nämlich wesentlich dadurch bestimmt sein, mit wievielEinsatz das Laiensubjekt sie in actu seines Wirkens für die mönchische

Haltung impliziert und setzt und wie rückhaltlos also die Scheinexistenz,aus der sie herausstrebt, sie aus den eigenen Stücken einer im rechtenGlauben geübten Praxis vorstellt oder projektiert.

Sowenig mit anderen Worten das adäquate Sein der Seele als solchesoder das Quod est ihres spirituellen Selbstseins ein aus der materiellen

133

Page 134: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 134/189

Scheinexistenz des Laiensubjekts hervorgehender Tatbestand ist und

so gewiß im Gegenteil die Seele, um das als adäquates Sein präsenteSubjekt zu sein, den Untergang jener, sie qua Laiensubjekt von der Ge-genwart abhaltenden und im Zustand eines bloßen Projekts arretierendenScheinexistenz voraussetzt, so sehr soll gleichzeitig aber der Grad derAdäquation oder das Quid est des Selbstseins der Seele eine abhängigeFunktion eben jener bis zu ihrem Untergang im Tode sich qua Laiensub- jekt umtreibenden Scheinexistenz sein. Je mehr demnach das Laiensubjektsich für die Erhaltung und Stärkung des Heilsmittels einsetzt, je rückhalt-loser es seine weltliche Geschäftigkeit werkewirkend in den Dienst derzum Orden institutionalisierten mönchischen Haltung stellt, je radikaleres, kurz, sein erscheinungsverhaftetes Sein jenem heilsperspektivischenSollen aufopfert, desto reiner, desto perfekter, desto absoluter ist dieVorstellung von sich als heilsmitteladäquatem Subjekt, die Projektionseiner selbst als zur mönchischen Haltung konvertierten Selbstseins,die das Laiensubjekt in solchem Wirken fürs Heilsmittel nolens volensimpliziert und geltend macht. Und je reiner dieses in actu des Werkewir-kens entworfene Projekt ist, um so geringer ist, wenn es sich dank desTodes des Laiensubjekts als das neue Subjekt etabliert und das heißt, alsspirituelles Corpus, als Seele freigesetzt hat, deren Neigung, sich abermalseine der laizistischen Leiblichkeit vergleichbare Scheinexistenz zuzuzie-hen, und um so weniger tief fällt deshalb – das Ganze als Skala von

Reinheitsgraden oder Versumpfungsstufen zur Anschauung gebracht! –die Seele in jener als Reinkarnation verzeichneten Regressionsbewegungin die materielle Körperlichkeit einer von Trieben und Gewohnheiten beherrschten Erscheinungssucht und Welthörigkeit zurück.

Ganz ohne Rückfälligkeit oder Reinkarnation allerdings geht es nichtab! Zu sehr ist das Laiensubjekt in den primär als Mittel seiner Selbst-erhaltung erfahrenen Erscheinungszusammenhang verstrickt, zu sehr inseiner auf die empirische Identität der eigenen Scheinexistenz gemünztenweltlichen Geschäftigkeit umgetrieben und an sie gewöhnt, als daß ihmgelingen könnte, sich auf Anhieb vollständig in den Dienst am Heilsmitteleinzubringen, seine weltliche Geschäftigkeit in einem lebenstechnischenKonversionsakt, einem alltagspraktischen Autodafé rückhaltlos in dieForm eines der mönchischen Haltung geweihten Wirkens von Werken zuüberführen und damit denn also zum strikt selbstverleugnenden Aus-gangspunkt einer uneingeschränkten reinen Vorstellung von sich als ad-äquatem Subjekt, zur verlorenen Form eines projektierten Selbstseins zu

134

Page 135: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 135/189

werden, das an sich durch nichts mehr als durch die Seinsbereitschaft der

mönchischen Haltung bestimmt ist. Was dem Laiensubjekt vielmehr bloßvorzustellen gelingt, ist ein Subjekt, das bei aller prinzipiellen Identizie-rung mit der mönchischen Haltung und darin beschlossenen ontologi-schen Prädikation zum Nichts, das Sein ist, doch aber seinem unmittelbargesetzten Vorstellungsinhalt, seiner essentiallogischen Verfassung nachnoch wesentlich die Halbherzigkeit atmet, die in seinem Wirken für diemönchische Haltung das Laiensubjekt an den Tag legt, ein Subjekt, dasmit anderen Worten im einzelnen seiner konzeptionellen Beschaffenheitnoch wesentlich durch die Bindung an die Welt und Erscheinungshö-rigkeit, kurz, durch die weltliche Geschäftigkeit geprägt ist, mit derenMitteln das Laiensubjekt seine heilsmitteldienliche Praxis ins Werk setzt.In dem Augenblick, da der Tod des Laiensubjekts dies vorgestellte Subjektvom Charakter einer bloßen Setzung, eines bloßen Projektseins erlöst undals den selbstschöpferisch tätigen Schopf, als Subjekt sui generis, kurz,als die Seele freisetzt und zum Zuge kommen läßt, bringen sich nun auch jene der letzteren durch die Halbherzigkeit des laizistischen Wirkensmitgegebenen und als essentiallogische Beschaffenheit beigebogenenweltlichen Dispositionen und Bindungen an die Erscheinungswelt zurGeltung und werden zu Triebkräften, die der de jure Freigesetzten defacto unwiderstehlich den Weg zurück in eine von Welthörigkeit undScheinverfallenheit geprägte leiblich-organische Existenz weisen, kurz,das spirituelle Corpus zu einem als Reinkarnation bestimmten Rückfall inmaterielle Körperlichkeit verhalten. So wahr die Seele bei aller prinzipiell-ontologischen Emanzipation von der Scheinexistenz des Laiensubjektsdispositionell-essentiallogisch durch diese Scheinexistenz determiniert bleibt, so wahr bleibt der Schopf ein Geschöpf des Scheins, dem Subjekt-sein synonym mit Erscheinen ist, bleibt das aus dem Sumpf projektierteGewächs eine Sumpfblüte, die ihr Fruchtsein nur als Heimfall an denSumpf zu realisieren vermag.

Allerdings ist die der Halbherzigkeit des laizistischen Engagementsfürs mönchische Heilsmittel entspringende essentiallogische Dispositi-

on der Seele zur Rückkehr in die Scheinexistenz ebensowohl durch dieontologische Neuorientierung, die das heilsmitteldienliche Engagementals solches darstellt, modiziert und abgeschwächt, so daß die leiblicheErscheinung, die sich die Seele erneut zuzieht, die weltliche Existenz,in die sie qua Wiedergeburt zurückkehrt, tendenziell weniger tief in die

135

Page 136: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 136/189

Welt verstrickt oder graduell weniger scheinverfallen ist, als es die mit

Tode abgegangene frühere war. Und diese weniger welthörige, weni-ger scheinsüchtige Existenz, in der sich die dispositionell zum Rückfallgetriebene Seele reinkarniert, wird nun als an die Stelle des alten Laien-subjekts getretenes neues laizistisches Subjekt ihrerseits zur Trägerin einesheilsmitteldienlichen Wirkens, das nach Maßgabe seines rückhaltloserenEngagements, seines opferbereiteren Einsatzes für die Erhaltung undStärkung der mönchischen Haltung eine reinere, adäquatere Vorstellungvom Subjekt ermöglicht, die nach ihrer todesvermittelten Erhebung zurfürsichseienden Wirklichkeit, ihrer dispositionell bedingten Reinkarna-tion als neue Existenz wiederum zur Trägerin einer im rechten Glaubengeübten Lebenspraxis werden und auf diese Weise eine noch reinere,noch perfektere Vorstellung von sich selbst erwirken kann. Die dergestaltquasi einem Prozeß der Selbstmeliorisation oder Eigenrafnierung un-terliegende Disposition und essentiallogische Verfassung der Seele, die,wie sie einerseits durch Umfang und Intensität des heilsmitteldienlichenWirkens der früheren Existenz determiniert ist, so andererseits Charakterund Stärke des heilsmitteldienlichen Engagements in der neuen Existenz bestimmt – sie ist das Karma, das selbstgewirkte Schicksal, sich selberins Werk setzende Los der Seele. Wie das Karma als das dem Quod estder ontologischen Resolution durch Halbherzigkeit beigegebene Quid estphänomenologischer Disposition die Seele zur Reinkarnation verhält undalso dazu bringt, sich im Augenblick ihrer todesbedingten Freisetzunggleich wieder eine leibliche Hülle oder weltliche Existenz zuzuziehen, so bewirkt es aber auch dank jener ontologischen Resolution, die es trotz al-lem beweist und die der phänomenologischen Disposition das Maß setzt,eine im Punkte des heilsmitteldienlichen Engagements von der früherenExistenz vorteilhaft unterschiedene Neuauage und sorgt mit anderenWorten dafür, daß am Ende des engagierten Wirkens dieser neuaufgeleg-ten Existenz die Seele mit einem noch besseren, reineren Karma und dasheißt, mit einer noch weniger zum Rückfall in die weltliche Geschäftigkeitmaterieller Körperlichkeit treibenden phänomenologischen Disposition

das Feld behauptet.So gesehen, ist das Karma der rote Faden, an dem sich, wenn allesgut geht und nicht die Disposition doch wieder schicksalhaft über dieResolution triumphiert, die Seele aus dem Labyrinth weltlicher Bestimmt-heiten, in das sie sich immer neu verstrickt, selbsttätig heraushangelt, ist

136

Page 137: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 137/189

es das spiralige Gewinde, in dessen Spur sich die Seele aus dem Sumpf

leiblicher Bindungen, in den sie immer neu zurücksinkt, aus eigener Kraftemporschraubt. Statt sich in einem einzigen, spekulativ todesgestütztenAkt der Scheinexistenz materieller Körperlichkeit entledigen und alsSubjekt sui generis oder spirituelles Corpus von aller laizistischen Welt-lichkeit und Verfallenheit an die Erscheinungen freisetzen zu können,muß also die Seele in andauernder Zweckgemeinschaft mit dem natür-lichen Tod eine ganze Reihe von Reinkarnationen durchlaufen und jeneals Seelenwanderung bestimmte Bahn beschreiben, an deren Ende die imQuod est oder Selbstsein der heilsmitteladäquaten Vorstellung bestehen-de ontologische Resolution über die als das Quid est oder Gewirktsein

der Vorstellung mitspielende phänomenologische Disposition so völligden Sieg davongetragen und die letztere sich unter der Einwirkung derersteren so ganz und gar verüchtigt und vertan hat, daß tatsächlichdas von aller dispositionellen Reinkarnationsneigung geheilte, von allermateriellen Regressivität gereinigte spirituelle Corpus selbst, das heils-mitteladäquate Subjekt als solches das Feld behauptet. Im Ergebnis einesals Läuterungsprozeß wohlverstandenen Existenzenreigens, einer mittelsständigem Wechsel zwischen Subjekt und Projekt, Vorstellung und Ver-körperung bewirkten Selbsterbauung erreicht die Seele schließlich jenenim Bilde der über dem Sumpfe schwebenden Sumpfblüte, des Lotus,

gefaßten Verklärungszustand, in dem sie dem Heilsmittel vollständigadäquat, im sichselbstgleichen Einklang mit der mönchischen Haltung istund mithin die vom Buddha gelehrte Grundstellung und Ausgangsposi-tion für den Heimfall ans scheinfreie Wesen, für die Einkehr ins Nichts,das Sein ist, innehat.

So also lösen die Verkündiger des großen Gefährts das Dilemma desim Dienste der Heilsperspektive tätigen Laiensubjekts, durch eben die-se Dienstbarkeit von der Heilsperspektive ausgeschlossen zu bleiben.Indem sie dem Werkewirken des Laiensubjekts, seinem in weltlicherGeschäftigkeit personellen und materiellen Einsatz für das im Mönchs-

orden institutionalisierte Heilsmittel, das die Heilsperspektive trägt underhält, einen eigenen, sich aus dem Laiensubjekt heraus kraft spekula-tiven Selbstentwurfs herstellenden Heilsbezug zusprechen und diesenoriginären Heilsbezug in einem ebensosehr vom Karma getragenen wievom Tode getriebenen kosmographischen Existenzenreigen, einer als

137

Page 138: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 138/189

selbsttätige Entweltlichung und Spiritualisierung fortlaufenden Seelen-

wanderung Konkretion und Realität gewinnen lassen, kehrt das Lai-ensubjekt am glücklichen Ende solcher Metempsychose von sich aus jene mönchisch selbstbezügliche Haltung hervor, die das in der Ordens-gemeinschaft verkörperte Heilsmittel ist, und zeigt sich mithin als diezum haltungsadäquaten Subjekt geläuterte Seele mit eben der Heilsper-spektive vermittelt, von der es durch sein laizistisches Wirken für dieOrdensgemeinschaft ausgeschlossen, durch seine weltliche Sorge fürsHeilsmittel abgeschnitten war. Ihre Vermittlung mit der Heilsperspektivevollbringt demnach aber die Seele nicht in der Weise, daß sie ihren Wegzum Heil über die institutionalisiert mönchische Haltung nimmt, für diesie in ihren laizistischen Existenzen tätig ist, nicht auf die Art, daß siedirekten Gebrauch von dem in der Ordensgemeinschaft verkörpertenHeilsmittel macht, sondern vielmehr dergestalt, daß sie durch ihre laizis-tischen Existenzen hindurch und aus ihnen heraus eine der mönchischenHaltung entsprechende Verfassung ausbildet, daß sie im metempsycho-tischen Zuge ihres weltlichen Wirkens fürs Heilsmittel sich selbsttätigin eine dem Heilsmittel adäquate Selbstbezüglichkeit und Medialitätversetzt. Nicht also die reale Vermittlung durch das Heilsmittel oder diefaktische Verwendung der mönchischen Haltung, um das Laiensubjektins Heil zu expedieren, sondern die ideale Gleichsetzung mit dem Heils-mittel oder die Selbstheilung des Laiensubjekts durch seine spekulativeVersetzung in einen haltungsadäquaten Zustand ist das Erfolgsrezept derihr Karma wirkenden laizistischen Seele.

Durch ihre, so gesehen, uneigentliche Vermittlung mit der vom mön-chischen Heilsmittel eröffneten und gewahrten Heilsperspektive bestätigtnun aber die laizistische Seele am Ende, was am Anfang bereits der Fallist und zum Vermittlungsversuch den Anstoß gibt: daß nämlich das inder Ordensgemeinschaft institutionalisierte mönchische Heilsmittel dieHeilsperspektive nicht für die laizistische Seele eröffnet und wahrt. Ebendies ist ja das Skandalöse, das, wie es die Verfechter des Kleinen Gefährtsdazu treibt, die universale Heilsperspektive überhaupt preiszugeben, so

die Verkündiger des Großen Gefährts zum geschilderten Vermittlungs-versuch nötigt: daß in der Konsequenz seines Wirkens für die Erhaltungund Stärkung des die Heilsperspektive wahrenden Heilsmittels das Lai-ensubjekt sich vom Empfang des Heilsmittels und von der Realisierungder durch es gewahrten Heilsperspektive denitiv ausgeschlossen ndet

138

Page 139: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 139/189

und daß insofern das Heilsmittel, wenn es denn überhaupt für jemanden

Heilsmittel ist, dies jedenfalls nicht für das Laiensubjekt, sondern nurfür ein unbestimmt anderes Subjekt, einen noch gänzlich unbekanntenAdressaten sein kann. Und gegen solchen Skandal bieten nun also dieVerkündiger des Großen Gefährts das Münchhausensche Konstrukt ei-ner im Wirken des Laiensubjekts für das Heilsmittel insgeheim vor sichgehenden und in den kosmographischen Dimensionen einer Seelenwan-derung sich vollziehenden Selbstvermittlung der laizistischen Seele mitder universalen Heilsperspektive auf.

Wohlgemerkt, eine Selbstvermittlung propagieren sie, will heißen, eineVermittlungsgur, die nicht etwa vorsieht, daß sich das Laiensubjekt desHeilsmittels, für das es weltlich-geschäftig wirkt, am Ende zu seinemeigenen Heile bedient, sondern die vielmehr darauf hinausläuft, daß sichdie laizistische Seele in petto jenes weltlichen Wirkens fürs Heilsmittelstill und heimlich in eine dem Heilsmittel adäquate Verfassung bringt,sich mithin selbsttätig die Heilsperspektive erschließt und darum desHeilsmittels als in der Haltung und Disziplin der Mönchsgemeinschaftinstitutionalisierter Vermittlungsinstanz überhaupt nicht bedarf – eineSelbstvermittlung also, die eben deshalb, weil sie ist, was sie ist, auchnur bestätigen kann, daß jenes institutionalisierte Heilsmittel die Heils-perspektive denitiv nicht für die laizistische Seele wahrt und offenhält.Indem die laizistische Seele auf ihrem kraft Karma selbstgewirkten Wegzum Heil das institutionalisierte Heilsmittel, für das sie in ihren Existen-zenreigen sich fortlaufend einsetzt, nicht etwa als reales Transportmittel,als ihr direkt zum Heil verhelfenden verwandlungsmächtigen Zauber-stab, sondern höchstens und nur als ideale Orientierungshilfe, als siezur Adäquation mit sich selbst verhaltenden läuterungskräftigen Ver-gleichsmaßstab braucht und nutzt, hält sie nicht auf der via regia derin der institutionalisiert mönchischen Haltung gewahrten universalenHeilsperspektive, sondern auf der via dolorosa einer Heilsperspektive,die sie durch einen eigenen kosmographischen Läuterungsprozeß, einemetempsychotisch schrittweise Abklärung ihres laizistischen Wirkens

zur mönchischen Haltung sich selber erschließt, Einzug ins Heil und bekräftigt damit uno actu des Verfahrens, mit dem sie ihren im weltli-chen Dienstverhältnis zum Heilsmittel begründeten Ausschluß vom Heilüberwindet, die Ausschlußbedeutung und Fremdbestimmung, die dasHeilsmittel ihr gegenüber hat. Ihr Weg zum Heil unterstreicht, daß das

139

Page 140: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 140/189

die universale Heilsperspektive wahrende institutionalisierte Heilsmit-

tel nicht für sie, die auf der Stufenleiter ihrer laizistischen Existenzensich selber aus dem Sumpf ziehende und mit dem Heil vermittelndeSeele, da ist, sondern für einen des Heils bedürftigen anderen, offenbarnicht als Laiensubjekt rmierenden, nicht als welthöriger Artgenosse desweltüchtigen einzelnen ausgewiesenen Adressaten.

Und zugleich macht aber auch der Münchhausensche Charakter desals spekulative Selbstvermittlung bestimmten Weges zum Heil, den dielaizistische Seele einschlägt, deutlich, wie sehr jener andere Adressat desHeils bedarf und wie groß die Bereitschaft der Beteiligten ist, diesem Be-dürfnis durch die in der Heilsmittelinstitution gewahrte universale Heils-

perspektive Rechnung zu tragen. Schließlich dient ja unmittelbar, dem so-eben reafrmierten Stand der Ermittlungen zufolge, das Laiensubjekt mitseinem weltlichen Wirken für die Erhaltung der Heilsmittelinstitution,wenn überhaupt jemandem, so nur jenem in der universalen Heilsper-spektive intendierten unbekannten Adressaten und schließt, weit entferntdavon, sich dabei eine künftig eigene Option auf den Gebrauch des Heils-mittels zu erhalten, sich selbst ad innitum seines Wirkens von solchemGebrauche aus. Wenn nun die Verkündiger des großen Gefährts, statt ausdiesem inneren Widerspruch im laizistischen Tun die resignative Lehreeiner systematischen Unhaltbarkeit der auf weltliches Wirken gegrün-

deten Heilsmittelinstitution zu ziehen, den inneren Widerspruch viel-mehr durch die geschilderte spekulative Lehre von einer dem weltlichenWirken eingeschriebenen selbstprojektiven Heilsmittelträchtigkeit undinsofern eigenen änigmatischen Heilsbedeutung zu entkräften und zueskamotieren suchen, dann müssen sie dafür zwingende Gründe haben,Gründe, die sie zwingen, an der ordensgemeinschaftlichen Heilsmittelin-stitution und der durch sie gewahrten und offengehaltenen universalenHeilsperspektive um jeden Preis festzuhalten. Gar zu münchhausenschist dieser dem Laiensubjekt aus dem heillosen Dilemma seines weltlichenWirkens fürs Heilsmittel gewiesene Seelenwanderungsausweg, gar zu

buchstäblich an den Haaren herbeigezogen diese Selbstvermittlungs-gur einer mittels eines Reigens von karmabestimmten Reinkarnationensich am eigenen Schopfe aus dem Sumpf ihrer erscheinungsverfallenenLeiblichkeit ziehenden Seele, als daß sich denken ließe, die Verkündi-ger des Großen Gefährts könnten ohne zwingenden Grund, ohne die

140

Page 141: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 141/189

Page 142: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 142/189

universale Heilsperspektive, wenn überhaupt auf jemanden oder etwas,

gemünzt ist? Daß es jenen anderen Adressaten gibt und wie er beschaf-fen ist, bewahrt die ordensgemeinschaftliche Heilsinstitution mit ihreruniversalen Heilsperspektive davor, sich als ein rein zynisches Unterneh-men zu decouvrieren, dessen einziger Zweck es ist, unter Vorspiegelungfalscher Heilstatsachen den Laienstand personell und materiell auszu-nehmen. Und jener andere Adressat ist es zugleich auch, der durch seineExistenz und Verfassung die Laien dazu bewegt, ihre widersprüchlicheRolle im Heilsvermittlungsgeschäft zu übernehmen und sich mit dervon der Ordensgemeinschaft ihnen gebotenen Lösung des Widerspruchs,der im Wortsinn an den Haaren herbeigezogenen Figur nämlich einerim Wirken fürs Heilsmittel karmaträchtig vor sich gehenden heilsamenSelbstvermittlung der Laienseele, zufriedenzugeben

142

Page 143: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 143/189

. Die Parias

Der eigentliche Adressat der universalen Heilsperspektive ist die Schicht von

Parias, von Elenden und Notleidenden, die paradoxes Resultat der zunehmen-den Produktivität und des wachsenden Reichtums ist und die sich von dertraditionellen Unterschicht dadurch unterscheidet, daß sie nicht von einer Herr-schaft unterdrückt und ausgebeutet, sondern von der Gesellschaft verdrängtund ausgestoßen wird. Dieser Schicht, der die Welt als geschlossen abweisendesSystem begegnet, kommt die weltverneinende Wesenslehre zupaß, auch wenndiese eigentlich einer anderen Frontstellung entspringt und als gegen die sozi-alkritischen Naturkulte gerichtete Strategie ursprünglich eine herrschaftlicheKonsolidierungsfunktion erfüllt.

Wer also ist jener andere Adressat, und wie ist er beschaffen, in welcherVerfassung bendet er sich? Jener andere Adressat, auf den die universaleHeilsperspektive gemünzt ist, sind die Armen, Entwurzelten, die ihreArmut und Entwurzelung außerhalb jeden gesellschaftlichen Zusammen-hanges stellt und eben dadurch mit einer neuen, beispiellosen sozialenDynamik versieht. Sie sind Unterschicht, aber nicht mehr die Unterschichttraditionellen Zuschnitts: nicht mehr die agrarische Fronschicht diony-sischer Inklination, die bei aller Unterdrückung und Ausbeutung dochaber eine unbestreitbare, weil in ihrem ökonomischen Tun, ihrer Arbeit, begründete soziale Funktion behauptet und eine unverbrüchliche, weilmit dem Oikos, in dem sie front, gegebene materiale Subsistenz behält.

Anders als die traditionellen Gemeinen sind diese neuen Armen arm,weil sie entwurzelt, aus der agrarisch-handwerklichen Sphäre ausgefälltund damit ebensosehr um die soziale Funktion, die regelmäßige gesell-schaftliche Tätigkeit, wie um die materiale Subsistenz, den zuverlässigennatürlichen Unterhalt gebracht sind.

143

Page 144: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 144/189

Ihre Entstehung verdankt diese als Absonderungs- und Ausscheidungs-

produkt der alten begreiiche neue Unterschicht paradoxerweise einerdeutlichen Zunahme des gesellschaftlichen Reichtums, bedingt durchdie Nutzbarmachung des Eisens und durch die erhöhte Produktivität,die eiserne Werkzeuge im handwerklichen und vor allem im agrarischenBereich bedeuten. Die Erndung des von Ochsengespannen gezogeneneisernen Puges revolutioniert die Landbestellung. Sie revolutioniert sieaber nicht nur in dem einfachen Sinn, daß sie die Ernteerträge steigert unddie herrschaftlichen Kornkammern füllt, sondern auch und ebensosehr indem reziproken Verstand, daß sie durch die Erhöhung der Arbeitsleistungder einzelnen das für die Landbestellung erforderliche Gesamtpotentialan Arbeitskräften drastisch reduziert und so einen Teil der im agrarischenBereich Beschäftigten funktionslos und überüssig werden läßt. Undwährend also die wachsende Produktivkraft ineins für eine Vermehrungdes gesellschaftlichen Reichtums und für eine Verminderung derer sorgt,die für die erhöhte Reichtumproduktion nötig sind, tut sie zur Verschär-fung der in diesem reziproken Verhältnis angelegten sozialen Krise einübriges, indem sie ausgerechnet bei denen, die von ökonomischer Funk-tionslosigkeit und sozialer Entwurzelung bedroht sind, einen Prozeßmassiven Bevölkerungswachstums auslöst. Aus welchem Grund auchimmer: sei’s weil sie ebenso generell einsichtig wie individuell törichtunter Abstraktion von den gesellschaftlichen Besitzverhältnissen auf denkraft höherer Produktivität vermehrten Reichtum und den verbesser-ten Lebensprospekt, den er verheißt, reagieren, sei’s weil sie individuellebenso sinnvoll wie generell widersinnig versuchen, sich gegen die dankhöherer Produktivität verminderten Arbeits- und Subsistenzchancendurch eine zahlreiche Nachkommenschaft und die künftige Unterstüt-zung, die sie sich von ihr erhoffen, abzusichern – die Angehörigen derUnterschicht panzen sich eifriger fort als je zuvor, füllen in verblendeterZielstrebigkeit ihre vom Produktivkraftzuwachs subsistentiell bedrohtenReihen und verschärfen damit nur noch das Problem des produktivi-tätsbedingten Arbeitskräfteüberschusses und des die überschüssigen

Arbeitskräfte heimsuchenden gesellschaftlichen Funktionsverlusts. Unddas Ergebnis dieser unseligen Kombination aus sinkendem Bedarf anArbeitskräften und steigenden Bevölkerungszahlen ist eine neue sozialeSchicht, eine Schicht von Entwurzelten, Enteigneten, Entrechteten, eineSchicht von Menschen, die sich aus dem Wirkzusammenhang und der

144

Page 145: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 145/189

Solidargemeinschaft der Gesellschaft ausgefällt und ins Niemandsland

des Sozialtopos, ins gesellschaftliche Abseits, niedergeschlagen nden,die Schicht der Parias, um sie bei dem ebenso systematisch prägnantenwie historisch unpräzisen Namen zu nennen, mit dem sie belegt wordensind.

Weil ihre schichtenspezischen Merkmale realer Subsistenzverlust undsoziale Funktionslosigkeit sind, unterscheiden sich die Parias in ihrerErfahrung des gesellschaftlich organisierten Stoffwechsels mit der Naturentschieden von der übrigen, traditionell verfaßten, agrarisch-handwerk-lich tätigen Unterschicht. Weil sie nicht wie letztere im gesellschaftlichenLebenszusammenhang unterdrückt und ausgebeutet werden, sondernaus dem Zusammenhang kurzerhand verdrängt und ausgestoßen, in sei-ne peripheren Grauzonen verbannt und dort auf eine schemenhaft über-üssige Randexistenz reduziert sind, können die Parias die im Frondiensteiner primären Erzeugung von Herrengut stehende agrargesellschaftlicheSubsistenzwirtschaft, den auf Reichtumbildung abgestellten bäuerlich-handwerklichen Reproduktionsprozeß der theokratischen Gesellschaftnicht mehr in der Weise in einen natürlichen Erfüllungszustand und eingesellschaftliches Entfremdungsverhältnis, in eine Sphäre rauschhafterAutonomie und einen Bereich heteronomer Ernüchterung, in eine Lustam bäuerlichen Leben und ein Leiden unter herrschaftlicher Fron sortie-ren, wie das die traditionelle Unterschicht mit ihrer Figur des libertärenHeilsbringers und des um ihn sich rankenden Brot-und-Wein-Kultes tut.Sie können sich nicht mehr sozialkritisch-polemisch auf ihre im Schattenfrondienstlicher Reichtumerzeugung gedeihlich subsistierende Subsis-tenz berufen, können nicht mehr gegen das harte Sein ihrer Arbeit fürden herrschaftlichen Reichtum den schönen Schein eines naturgegebenenÜberusses beschwören, der doch in Wahrheit nur üchtiger Wider-schein und periodische Begleiterscheinung eben jenes harten Seins ist.Sie können nicht mehr in einem von der theoretischen Sache her ebensoimaginären und illusorischen wie den praktischen Folgen nach revolu-tionären und inventorischen Befreiungsakt den Freigelassenen der Natur

gegen den Leibeigenen der Herrschaft, den Diener des rasenden Gottesgegen den Knecht des priesterlichen Königs ausspielen.Aus dem Zusammenhang der herrschaftlichen Reichtumproduktion

ausgestoßen und damit zugleich von aller an ihn gebundenen, in ihn ein-gebetteten bäuerlich-handwerklichen Subsistenz abgeschnitten, leben die

145

Page 146: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 146/189

Parias von Abfällen und Ausschuß, fristen ihr Leben als Tagelöhner, Bett-

ler, Diebe, Gaukler, Überlebenskünstler und sind im Wortsinn Entwurzel-te, erfahren die von der Reichtumproduktion beherrschte und bestimmteWelt insgesamt nicht als verläßliche Substanz, auf die man bauen, an dieman sich halten, von der man zehren kann, sondern als feindliche Instanz,von der man sich abgewiesen ndet und an die man sich verzweifeltklammern muß, um ihr ein kümmerliches Vegetieren abzutrotzen undsich so gegen sie zu behaupten. Für die Parias ist die Welt des durchFronarbeit erzeugten herrschaftlichen Reichtums einschließlich des dieFron begleitenden und illusionistisch Lügen strafenden schönen Scheinsvon bäuerlich unmittelbarer Subsistenz ein Strukturganzes, das sie mar-ginalisiert, ein geschlossenes System, das sie abstößt, ein widerständigesObjekt, gegen das sie ein Leben lang im Versuch, in es einzudringen undan ihm teilzuhaben, ankämpfen müssen, ein Schreckensgebilde, dem sieLeben und Erhaltung ablisten müssen, während es sie mit Tod und Zer-störung bedroht. In der Tat bleibt für die Parias die durch gesellschaftlicheArbeit vermittelte Welt, die Welt des Reichtums mitsamt der sie begleiten-den sphärischen Aura subsistentieller Unmittelbarkeit, der allerhärtesteWiderpart und verfänglichste Fremdkörper, ein perverser Nährer undSteine reichender Brotgeber, dem sie sich ebensowenig zu entziehen wiezu assimilieren imstande sind und an dessen verweisend ausgestrecktemArm sie schließlich verhungern, vor dessen unbarmherziger Kälte undunbezwinglicher Härte sie schließlich ihr von ihm geborgtes, aus ihmgefristetes Leben aushauchen.

Genau diese Erfahrung aber von einer im reichtumproduktiven Stoff-wechsel der theokratischen Gesellschaft mit der Natur entstehendeneinzigen großen Welt der Ablehnung, Ausschließung, Diskriminierung,einer Welt, die im quasi automatischen Scheide- und AusfällverfahrenTeile der Gesellschaft entwurzelt, enteignet und entrechtet – genau dieseErfahrung macht nun die Parias, die vom Ausgrenzungsprozeß Betrof-fenen, offen für die Heilslehre des Buddha und die darin propagiertePreisgabe des Daseins, das zeitlich veriegender Schein ist, zugunsten

eines Nichts an Dasein, das zeitlos vergangenes Sein, Wesen, ist. Daßihnen die Dinge dieser Welt als ein steinernes Mauerwerk begegnen, dassie von aller akzeptablen sozialen Funktion und passablen materialenSubsistenz fernhält und sie zugleich zwingt, in der Hoffnung nicht etwaauf den lebenspendenden Einlaß und die existenzsichernde Aufnahme,

146

Page 147: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 147/189

sondern bloß auf überlebenmachenden Ausschuß und daseinsfristenden

Abfall vor ihm auszuharren, daß sie also die Welt als ein in hinterhäl-tiger Umkehrung des Kerkermechanismus durch ihre Ausschließungsie ihrer Freiheit und am Ende auch ihres Lebens beraubendes einzigesgroßes Verlies erfahren – genau das macht die Parias empfänglich füreine Lehre, die jenes Mauerwerk, jenes umgestülpte Verlies in toto zurwesenlosen Erscheinung und die Befreiung aus ihm, die Erlösung vonihm, wie objektiv zur Sache einer auf nichts an der Erscheinung sichrichtenden, für ihr Nichts sich entscheidenden selbstbezüglichen Reso-lution, so subjektiv zur Frage einer Preisgabe des an die Erscheinungleidvoll fesselnden Überlebenswillens, des ans Mauerwerk schmerzhaft

schmiedenden Existenzanspruchs erklärt.Nicht, daß die auf Weltverneinung setzenden Wesenslehren des Buddhaund seiner asketischen Vorgänger von vornherein und aus innerem An-trieb auf Resonanz bei den Parias und auf deren Beifall gerichtet wären.Ihre geschichtliche Entstehung verdanken diese die ganze Welt zur blo-ßen Erscheinung degradierenden Wesenslehren ja der Tatsache eines imFelde bäuerlich-handwerklicher Fron sich formierenden gesellschaftsin-ternen Widerstandspotentials, das unter Berufung auf den als spontanerReex der Reichtumproduktion erzeugten schönen Schein naturhaft-unmittelbarer Subsistenz nicht etwa die ganze Welt, wohl aber die Welt

des durch Fron erzeugten Reichtums, die Welt der um den Priesterköniggescharten, im Überuß lebenden Oberschicht für an ihr selber über-üssig, für unsinnig und entbehrlich erkennt. Indem die fronende Un-terschicht das im Opfer erscheinende, von unbedingter Indifferenz, vonabsoluter Negativität gegen den Reichtumbildungsprozeß und sein Re-sultat erfüllte andere Subjekt als den Herrn eines dionysisch-rauschhaftenBrot-und-Wein-Kults mit Beschlag belegt und das heißt, als den Begrün-der und Garanten einer vom Zwang zur Reichtumbildung dispensiertenSphäre natürlicher Subsistenz, eines von der Rücksicht aufs herrschaft-liche Privileg erlösten einfachen Lebens gegen die Notwendigkeit des

Reichtums, mithin gegen die Verbindlichkeit aller auf Reichtumprodukti-on gegründeten gesellschaftlichen Ordnung ins Feld führt, zwingt diesesozialkritische Bedeutung, die die fronende Unterschicht dem anderenSubjekt verleiht, die im Überuß schwelgende Oberschicht zu einemBekenntnis oder Offenbarungseid, dessen Inhalt die unbedingte, jede

147

Page 148: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 148/189

Page 149: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 149/189

am wirklichen Anfang stehenden Subjekt oder essentiellen Identität des

scheinverfallenen mit dem seinsverbundenen Selbst, behaupten einzelne,von der Begeisterung der neuen Aussicht hingerissene Angehörige derOberschicht jenen gegen alle illusorische Kontinuität und historischeScheinwelt sich zur Geltung bringenden und im anderen Subjekt Ereigniswerdenden uranfänglichen Anfang als ihr eigenes zeitlos vergangenesSein, ihr als das Nichts der Erscheinungssphäre, in der sie sich umtreiben,perennierendes Wesen, erklären sich somit der in absoluter Negativi-tät gegen die Erscheinungswelt offenbaren ontologischen Position desanderen Subjekts, seiner gegen ihren derzeitigen Zustand wie schieresSein gegen bloßen Schein sich verwahrenden apriorischen Urstands,für im Prinzip ebensosehr teilhaftig wie im wesentlichen mächtig undkonzipieren auf Weltverneinung oder Weltucht bauende Programmezur Wiedergewinnung dieser mit dem anderen Subjekt gemeinsamenurständlichen Position, zur Restitution in integrum dieses, wie als dasSein des anderen Subjekts erfahrenen, so als das eigene Wesen erkanntenursprünglichen Bestehens.

Sei’s in der Destruktionsform eines asketisch-aggressiven Sichlosreißensvom Dasein, sei’s in der Abstraktionsform eines mönchisch-meditativenSichabwendens von der Welt setzen diese Oberschichtangehörigen demheißen Taumel der gegen die Reichtumsphäre sich richtenden einfachenSubsistenz des als dionysischer Heilsbringer requirierten anderen Sub- jekts die kalte Verzückung der gegen Reichtum und Subsistenz gleicher-maßen, gegen die Welt in toto, sich verwahrenden reinen Negativitätdes als ontologischer Seinshüter reklamierten anderen Subjekts und in-itiieren in der einen oder anderen Form eine Sammlungsbewegung mitdem Ziel, das vom Sein des anderen Subjekts, seinem eigenen Wesenabgefallene und in die Scheinwelt einer halluzinatorischen Geschichteverstrickte Selbst aus diesen Verstrickungen auszulösen und in das Nichtsder Welt, als das sich das Wesen präsentiert, zurückzuführen. Sosehr esden Propagatoren jener als Einkehr ins Nichts, das Sein ist, konzipiertenWiedergewinnung eines weltenthobenen Wesens mit ihrem Befreiungs-

programm subjektiv ernst ist, sosehr sie getragen sind von der kaltenVerzückung und aus schierer Negativität ihnen zuteil gewordenen Er-leuchtung, in die sie die nicht von dieser Welt seiende Wirklichkeit des an-deren Subjekts, die sie als ihre eigene Wahrheit erkennen, versetzt, sosehrerfüllen sie damit objektiv eine der Schicht, der sie entstammen, genehme

149

Page 150: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 150/189

sozialstrategisch-praktische Krisenmanagements- und realgeschichtlich-

nüchterne Koniktbewältigungsaufgabe. Indem sie sich entschließen,den Werten, die im irdischen Dasein und zumal in ihrer eigenen Schicht,Geltung beanspruchen, den gesellschaftlichen Reichtümern, die das kri-sengeschüttelte Gefüge der theokratischen Ordnung bestimmen, mit derIndifferenz und Negativität des anderen Subjekts zu begegnen und diesenWerten als einem falschen Sein oder vergänglich-historischen Schein dasin jener Negativität implizierte wahre Sein oder zeitlos vergangene Wesenals normativen Fluchtpunkt oder zur Transzendenz verhaltendes Sollentgegenzusetzen, gewinnen die neuen Propheten die Möglichkeit, diegleiche Indifferenz und Negativität auch den subsistentiellen Gegenwer-

ten, den dionysischen Naturreichtümern des Brot-und-Wein-Kults zu beweisen, kraft deren eine geknechtete bäuerlich-handwerkliche Unter-schicht die theokratische Ordnung in die Schranken fordert, und damitdie von der Unterschicht sozialkritischen aufgerissene Kluft zwischenherrschaftlichem Reichtum und natürlicher Subsistenz, zwischen ein-fachem Leben und Luxusexistenz, zwischen positiv besetzten und alsnegativ verworfenen Phänomenen durch das Konzept einer unterschieds-los als negativ begriffenen und nämlich durchgängig von der Negativitätdes Wesens erfaßten Welt der Erscheinungen zu verdrängen und aus ebendieser zu einer Totalität des Scheins homogenisierten, weil in toto für

wesenlos erklärten Erscheinungswelt zu eskamotieren. So gewiß sie mitdem anderen Subjekt in seiner epiphanisch-ursprünglichen, absolutenNegativität die Reichtumsphäre für vor dem Wesen offenbar nichts unddas Nichts zum hinter der Reichtumsphäre offenbaren Wesen erklären,so gewiß tun sie das gleiche auch im Blick auf die als Gegensatz zurReichtumsphäre geltend gemachte Sphäre agrarisch einfacher Subsistenzund schaffen also dadurch, daß sie sub specie des Nichts, in dem sichdas wahre Sein, das ihr eigenes Wesen ist, offenbart, beide Sphären zueinem als halluzinatorisches Gespinst einheitlich phänomenalen Gebilde,einer durchgängigen Welt des Scheins verschmelzen und einebnen, den

sozialen Sprengstoff, der sich in jenem sphärischen Gegensatz artikuliertund virulent behauptet, aus dieser zum Schein erklärten Welt oder ver-schlagen ihm jedenfalls das Artikulationsmedium, das er in dieser Weltreklamiert. Vor dem im ontologischen Sprung absoluten Sein des anderenSubjekts sind alle Erscheinungen gleich und nämlich gleich nichts, und

150

Page 151: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 151/189

Page 152: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 152/189

Page 153: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 153/189

des Wesens der letzteren mit der ganzen Negativität ihrer daseinsvernei-

nenden, weltüchtigen Resolution und üben auf diese Weise Solidaritätmit den Parias, zeigen sich mit ihnen im daseinkritisch-moralischen Ein-vernehmen.

Aber nicht nur solidarisieren sie sich moralisch mit den Parias, siekommen ihnen mehr noch seelisch zu Hilfe, spenden ihnen Trost, leistenihnen lebenspraktisch-dogmatischen Sukkurs. Jenen die Parias mit Notund Tod bedrohenden umgestülpten Kerker einer ebenso sozial exklusi-ven wie funktionell geschlossenen Gesellschaft, jenen zu knochenharterObjektivität ihnen entfremdete Lebenszusammenhang, der sie vor seinenunüberwindlichen Mauern verderben, am ausgestreckten Arm verhun-gern läßt und der sie um so fester an sich kettet, sie um so stärker auf sichverpichtet, je schroffer er sie von sich stößt, je freier er sie setzt, diesetödlich falsche Totalität wird von den Wesensverkündern ja nicht einfachnur in ihrer Substanz abgelehnt und als moralisch verwerich zurück-gewiesen, sondern mehr noch und vielmehr in ihrer Substanzlosigkeitdurchschaut und als dogmatisch unhaltbar eingesehen. Was den Pariasals das härteste Widerfahrnis vorkommt, als objektivstes Verhängnis er-scheint, das erklären die von der kalten Begeisterung der Negativität desanderen Subjekts erfüllten Wesensverkünder vielmehr zur wesenlosenErscheinung, zu einem Ganzen des Scheins, das es als solches zu durch-dringen und zurückzulassen, in seiner Scheinhaftigkeit zu erkennen undabzuschütteln, kurz, als das Nichts, das es ist, zu realisieren gilt, um des ineben diesem Nichts an Schein bestehenden Seins, des in eben dieser Frei-heit von der Erscheinung seine Wirklichkeit wiedergewinnenden Wesensteilhaftig zu werden. Wie könnte die darin beschlossene Entwirklichungihres unüberwindlichsten Widersachers und beständigsten Peinigers zum bloßen Phantom, die Entwertung dessen, was ihnen das Leben schwermacht und sie aufs ärgste bedrängt, zum ephemeren Gaukelspiel dieParias wohl gleichgültig lassen? Wie könnte die Aussicht, ihren Widersa-cher als bloßes Phantom zu verscheuchen, sich ihrer ganzen Bedrängnisals eines ephemeren Gaukelspiels zu entledigen, wohl verfehlen, sie als

frohe Botschaft und heilsperspektivische Verheißung anzusprechen? Waseben noch schreckliche, leidvolle, die Parias von sich ausschließende undin eine Schattenexistenz verstoßende Wirklichkeit war, das erweist nundie Einsicht der Wesensverkünder plötzlich als einen aller Wirklichkeit baren Schemen, als ein ausschließlich illusionäres Gebilde, das es nur

153

Page 154: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 154/189

als das Selbsttäuschungsmanöver, das es ist, zu erkennen, als die Hal-

luzination, die es darstellt, zu durchschauen gilt, um es mitsamt seinenSchrecken loszuwerden und sich in das reine Nichts, das von ihm bleibt,als in die von aller Täuschung befreite und damit allem Leid, das aus derTäuschung erwächst, enthobenen Sichselbstgleichheit, die das Wesen ist,abzusetzen.

Von Anbeginn ihres Auftretens erkennen deshalb die sozial Deklassier-ten, aus der Klassengesellschaft ausgestoßenen, die Parias, in der negati-vitätserfüllten, gegen die falsche Totalität der Erscheinungswelt als gegenein Ganzes des Scheins sich verwahrenden Perspektive der weltüchtigenWesensverkünder ihr eigenstes Anliegen, ein Heilsversprechen, das siezentral betrifft, wesentlich an sie sich richtet. In dem Maß, wie für dieParias das falsche Ganze der Erscheinungswelt, das die Wesensverkünderan die Wand eines als einzige Alternative anzustrebenden Nichts ma-len, mit dem bösen Ganzen des sozialen Kosmos zusammenfällt, der sievon sich ausschließt und in Not und Elend hinausstößt, nimmt in ihrenAugen die mittels asketischer oder meditativer Negativität angestrebteAufhebung phänomenaler Unwirklichkeit ebensowohl und primär dieZüge einer Überwindung sozialer Ungerechtigkeit an, präsentiert sichihnen die in Aussicht gestellte Befreiung vom Schein, den diese Weltdarstellt, auch und wesentlich als Erlösung vom Leid, das diese Welt bereitet. Und spätestens mit Dschina und Buddha geben die Prophetenaus der Oberschicht dem sozialen Druck von unten nach, tragen sie derErwartungshaltung der Parias Rechnung und geben von sich aus ihrer befreiungstheoretischen Botschaft eine erlösungspraktische Wendung, begreifen selber den propagierten Auszug aus der Welt des Scheins alsAusbruch aus einem Qualen bereitenden Kerker, einem Leiden verur-sachenden Jammertal. Das heißt, sie bilden jene Blickrichtung aus, dieden Zweifel und Überdruß an den weltlichen Erscheinungen, soferndiese zur Verfügung stehen, mit der Unlust und Verzweiung vor ih-rer tödlichen Objektivität, sofern sie sich verweigern, amalgamiert unddementsprechend die Befreiung von Täuschung und Verblendung mit

der Erlösung von Vereitelung und Entbehrung zusammenfallen läßt unddie als universale Heilsperspektive ihre paradigmatische Ausprägung imBuddhismus ndet. Diese universale Heilsperspektive, die nach Maßgabeder in ihr wirksamen Durchdringung der Wahrnehmung von Schein mitder Leidenserfahrung und Unterwanderung des Befreiungsgedankens

154

Page 155: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 155/189

durch das Erlösungsmotiv ihre Adressaten also nicht mehr in den sozial

Etablierten und funktional Integrierten, sondern in den Ausgestoßenenund Entrechteten der Gesellschaft hat, diese Perspektive dient nun diezur Pege des Heilsmittels, der mönchischen Haltung, ins Leben geru-fene ordensgemeinschaftliche Institution aufrecht und für zukünftigenGebrauch in Kraft zu erhalten.

Daß es beim bloß zukünftigen Gebrauch bleibt, daß auch in ihrer auf dieParias gemünzten, die Befreiung wesentlich als Erlösung interpretieren-den Version die in der institutionalisiert mönchischen Haltung gewahrteHeilsperspektive nur Perspektive, das heißt keine unmittelbar zu ver-wirklichende Möglichkeit, kein hier und jetzt in die Tat umzusetzenderPlan, sondern ein auf lange Sicht angelegter Prospekt, eine irgendwannspäter geltend zu machende Option ist, mag dabei auf den ersten Blicküberraschen. Schließlich ist, was die Unbereitschaft der säumigen eigenenArtgenossen, der Laien, bedingt, dem Aufruf der Wesensverkünder zurWeltucht stante pede zu folgen, und was deshalb die Wesensverkün-der, soweit ihr Aufruf an die eigenen Artgenossen sich richtet, zwingt,ihre Heilsperspektive durch die Lehre von der mönchischen Haltung alsHeilsmittel und durch die Institutionalisierung dieses Heilsmittels alsGaranten und Trägers einer langfristig offenstehenden universalen Heils-perspektive zu ergänzen – schließlich ist dies Bedingende und Zwingendedie positive Bindung der Artgenossen ans Dasein, ihre gleichermaßenreale und emotionale Verfallenheit an die Welt der Erscheinungen, ihretrieb- und gewohnheitsmäßige Verstrickung in deren Bedürfnis- undBefriedigungszusammenhänge. Und schließlich zeichnen sich die Parias,die sich nach Maßgabe der buddhistischen Identizierung des Erlebensvon Schein mit der Erfahrung von Leid nunmehr als die wahren Adres-saten des Weltucht-Aufrufs der Wesensverkünder oder jedenfalls derInstitutionalisierung des Aufrufs zur heilsperspektivisch perennierendenBotschaft herausgestellt haben, gerade durch das Fehlen solch positiverBindung ans Dasein aus, sind also im Unterschied zu den Artgenossender Wesensverkünder, den Laien, gerade dadurch charakterisiert, daß ih-

nen jene triebstrukturelle Einbindung in und befriedigungshabituelle Ver-fallenheit an die Erscheinungswelt abgeht, die sie zur Weltucht unbereitmachen und auf eine heilsperspektivische Vertagung der Entscheidungerpicht sein lassen könnte. Warum lassen bei all ihrer Bindungs- undWurzellosigkeit nicht einmal sie sich zum sofortigen Aufbruch bewegen,

155

Page 156: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 156/189

warum bleiben auch und gerade sie auf jene die Entscheidung fürs Heil

als unbestimmt zukünftige Option wahrende institutionell dauerhafteBereitstellung des Heilsmittels angewiesen?Die Antwort liegt darin, daß fehlende Einbindung ins Dasein eine Fi-

xierung an es nicht nur nicht ausschließt, sondern geradezu zwangsläu-g herausfordert, daß mithin die Parias in ihrer sozialen Preisgegeben-heit, ihrer ebenso überüssigen wie funktionslosen Randexistenz einendem laizistisch positiven Lebensverlangen und Verhaftetsein in der Weltdurchaus vergleichbaren negativen Überlebenswillen und Klammerreexausbilden. In den Überlebenskampf mit einer Welt verstrickt, die sie amausgestreckten Arm verhungern zu lassen Miene macht und die sich ih-nen ständig zu entziehen, sie ständig ins existentielle Nichts zu verstoßendroht, haben die Parias ebensowenig Kraft und Gelegenheit, zu dieserWelt auf Distanz zu gehen und sie in ihrer von den Wesensverkündernangeprangerten Scheinhaftigkeit und Nichtigkeit ins erleuchtete Auge zufassen, wie die Laien, die sich in ihr eingenistet, in sie eingelebt, es sich inihr bequem gemacht haben und die mit ihren sämtlichen Triebbedürfnis-sen von ihr abhängen, mit allen ihren leiblich-seelischen Gewohnheitenauf sie angewiesen sind. Damit befaßt, die lebenspendenden Erscheinun-gen, die sich ihnen partout verweigern wollen, dennoch an irgendeinemZipfel zu packen und festzuhalten und mithin der abweisenden Objekti-vität des gesellschaftlichen Reproduktionszusammenhanges einen ebensounplanmäßigen wie unzuverlässigen, ebenso kärglichen wie zufälligenUnterhalt abzutrotzen, sind die Parias auf ihre eigene Weise geradesosehrvon weltlichen Geschäften okkupiert wie die Laien, die mit den Erschei-nungen auf vertrautem Fuße stehen, wo nicht Intimverkehr pegen, und bringen ebensowenig wie die letzteren die nötige Reexionsbereitschaftund innere Sammlung auf, um jene selbstbezüglich mönchische Haltungeinzunehmen, die Buddha als das Mittel zum Heil, nämlich als via regiader meditativen Weltverneinung und Einkehr ins Nirwana, lehrt. Sogarnoch weniger als die Laien sind sie zu solch reexivem Selbstbezug dis-poniert, da ja der besondere Charakter ihrer weltlichen Geschäfte, die

ständige Entbehrung und bittere Not, von der diese gezeichnet sind,ihnen nicht einmal jene dem Überuß entspringende Muße und aus Über-druß geborene Besinnung läßt, die für die geforderte innere Sammlungwenn schon nicht als eine ontologisch wirkliche Bedingung, so immerhindoch als eine psychologisch nützliche Konditionierung gelten kann.

156

Page 157: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 157/189

Und weil also die Parias, die Ausgestoßenen der Gesellschaft, ex ne-

gativo ihres Kampfes ums Überleben nicht weniger und vielleicht sogarmehr noch als die laizistischen Artgenossen der Wesensverkünder ansDasein gefesselt erscheinen, muß auch und gerade die als Verheißungeiner Erlösung von Leid primär auf sie gemünzte Heilsbotschaft jenenuniversalperspektivischen, langfristig zukunftsorientierten Charakterannehmen, der eine ebenso anhaltende wie fortlaufende Verfügbarkeitder Lehre vom Weg zum Heil, kurz, die Institutionalisierung des quamönchische Haltung gelehrten Heilsmittels notwendig impliziert. Bisdie Parias bereit sind, die auf die Entlarvung des leidvollen Daseins alsSchein und auf die Vernichtung des Scheins gerichtete Heilsbotschaft alsAnweisung zum seligen Leben oder praktisches Erlösungsrezept im Emp-fang zu nehmen, will heißen, jene von Buddha gelehrte selbstbezüglicheAbstraktion von der Welt zu vollziehen, die kriterieller Ausgangspunktfür die meditative Versenkung, die erlösende Einkehr ins Nichts, ist – bises soweit ist, gilt es die Lehre von jener grundlegend selbstbezüglichenAbstraktion für solch unbestimmt künftigen Gebrauch der Parias zurVerfügung und in Kraft zu halten. Dies leistet die als Einrichtung zursystematischen Tradierung des Heilsmittels konzipierte Ordensgemein-schaft, für deren materiellen Bestand und personellen Nachschub die alsWerkheiligkeit, als Wirken fürs Heilsmittel gepriesene weltlich-praktischeOpferbereitschaft der Laien sorgt. Eine laizistische Opferbereitschaft, ander das Moment des weltlich-praktischen Darbringens und Preisgebensallerdings den geringfügigsten Aspekt darstellt, bei der vielmehr daseigentlich Ungeheure und Staunenswerte darin besteht, daß sie Bereit-schaft ist, sich eben durchs Wirken fürs Heilsmittel den Zugang zu ihmde facto zu verstellen und zu verbauen und also der weltlichen Sorge umsHeilsmittel das durch letzteres vermittelte geistliche Heil selbst effektivaufzuopfern.

157

Page 158: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 158/189

Der Widerspruch zwischen Heilsversprechen und Wirken fürs Heil löst sich im

Sinne zweier verschiedener gesellschaftlicher Subjekte, der mit dem Heilsver-sprechen angesprochenen Parias und der fürs Werkewirken rekrutierten Laien,auf. Daß die Laien ihre undankbare Aufgabe geduldig erfüllen und sich mitdem sekundären Heilsweg abspeisen lassen, hat seinen Grund in der sozialenNützlichkeit des qua universale Heilsperspektive praktizierten Wesenskultes. DieParias setzen zwar durch, daß die von diesem Wesenskult verheißene Befreiungvom Schein den Charakter einer Erlösung von Leid annimmt, aber gleichzeitigsorgt die Identizierung der Leid erzeugenden Erfahrungswelt der Parias mit derIllusionen machenden Erscheinungswelt der Oberschicht für eine Entschärfungdes sozialen Koniktpotentials, das die Parias darstellen. In einer Mischung aus faktischem Trost und praktischer Vertröstung taugt die das Leid für Schein undden Schein für im Grunde nichts erklärende Heilsbotschaft dazu, die Parias inquietistischer Passivität zu verhalten. Daran ändert auch das Barmherzigkeits- gebot nichts, weil es eher auf eine weltuchtdienliche Bendlichkeit des Subjektsals auf ein objektives Engagement in der Welt abzielt.

Und damit sind wir denn wieder bei dem alten eklatanten Widerspruchzwischen erklärter Absicht und tatsächlichem Tun, zwischen heilsori-entiertem Wollen und heilswidrigem Tun, der das laizistische Wirkenstigmatisiert und der nun allerdings, da sich uns als maßgebender Adres-sat der Heilsmittelinstitution und der durch sie gewahrten universalenHeilsperspektive statt der als Volk, als Laien, rmierenden Artgenossender Wesensverkünder vielmehr die Ausgestoßenen und Elenden der Ge-sellschaft, die Parias, herausgestellt haben, seinen Widerspruchscharakterzugunsten einer offen zynischen Beschaffenheit ablegt. Wenn wirklich,wie das die Befreiung von Schein wesentlich als Erlösung von Leid begrei-fende buddhistische Heilsversprechen deutlich macht, die eigentlichenAdressaten der von der mönchischen Gemeinschaft gewahrten univer-salen Heilsperspektive nicht die zur Gesellschaft gehörenden und ihreStände, ihre funktionellen Strata bildenden Laien, sondern die von derGesellschaft ausgeschlossenen und ihre funktionslose Unterschicht, ihren

Bodensatz ausmachenden Parias sind, so ist dank der Unterscheidungzwischen fürs Heilsmittel wirkendem und das Heilsmittel empfangen-dem Subjekt in der Tat der Widerspruch eines Subjekts, das sich durchseinen Einsatz von eben der Bestimmung ausschließt, für die es sichvermeintlich mit dem Ziel, sie zu erlangen, einsetzt, verschwunden –

158

Page 159: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 159/189

aber nur, um dem nach der Devise, daß der Zweck die Mittel heilige,

funktionierenden offenen Zynismus eines Verhältnisses Platz zu machen, bei dem das eine Subjekt seine Bestimmung darin ndet, sich für dasandere aufzuopfern und bei dem nämlich die Laien im Bemühen, denParias das Heil zu sichern, ihr eigenes drangeben. Dieser Zynismus istnun zwar für die Beteiligten unerträglich genug, um die Wesensver-künder zur Konstruktion eines den Laien eigenen, in ihrem Wirken fürsHeilsmittel heimlich angelegten alternativen Weges zum Heil zu nötigen,sie also zu dem oben geschilderten Versuch zu zwingen, die durch ihrweltliches Wirken vom Heilsmittel Ausgeschlossenen kraft einer in pettodes Wirkens angenommenen schrittweisen Adäquation ans Heilsmittel

oder stufenweisen Überführung der Seele in die mönchische Haltung,die das Heilsmittel ist, mittelbar doch noch in die Heilsperspektive zuintegrieren, deren sie durch ihren Ausschluß verlustig zu gehen dro-hen. Aber so wahr dieser Integrations- und Rettungsversuch gezwungenist, mit der aberwitzig-spekulativen, kopfgeburtlich-münchhausenschenAuskunft einer den Bios sprengenden Seelenwanderung und vom Todeskandierten Existenzenfolge zu operieren, so wahr bleibt der im Blickauf die laizistische Einzelbiographie offenbare Zynismus, den er heilenoder jedenfalls halbwegs reparieren soll, ein hinter der kosmologisch-phantastischen Fassadenbauerei, die er betreibt, unschwer erkennbares

und kaum kaschiertes brutales Fakt.Daß Buddha und seine Nachfolger selbst, nachdem sie sich, ihren Aus-zug aus der Welt vertagend, zur Lehre vom Heilsmittel und zu derensystematischer Verbreitung, kurz, zur Entfaltung einer universalen Heils-perspektive entschlossen haben, daß sie da im Überschwang ihres Bemü-hens, die Universalität des Heilsversprechens sicherzustellen, jenem Zy-nismus huldigen, daß sie also, um auch noch dem verlorensten, von derBotschaft am schwersten erreichbaren, weil aus allem gesellschaftlichenFunktions- und Kommunikationszusammenhang ausgestoßenen und imperipher-prekären Überlebenskampf blind und taub für alle Verheißung

dahinvegetierenden Paria das Heil zu sichern, bereits sind, tendenziell dieganze übrige Gesellschaft einem Dienst an der Heilsmittelinstitution zuunterwerfen, der deren eigene Heilsaussichten offenkundig durchkreuztund im Zweifelsfall zunichte macht – dieses an Widersinn grenzendeVerhalten mag aus dem Enthusiasmus und zugleich Dogmatismus, kurz,

159

Page 160: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 160/189

dem Fanatismus, einer in die letzte Konsequenz getriebenen Erlösungs-

mission noch verständlich erscheinen. Schwerer verständlich hingegenmutet auf den ersten Blick an, daß auch die von ihm primär Betroffenen,die in den Dienst der Heilsmittelinstitution genommenen Laien, jenenhinter der Fassade der Werkheiligkeit als alternativen Heilsweges kaumverhohlenen Zynismus bereitwillig mittragen. So objektiv ironisch es ist,daß die Laien ihr geistlich-ewiges Heil ausgerechnet den Heilsaussichtenund Erlösungshoffnungen derer zum Opfer bringen, die, weltlich-irdischgesehen, Opfer des laizistischen Tuns und Vollbringens sind und nämlichvon ihnen, den Laien, aus dem gesellschaftlichen Funktionszusammen-hang verdrängt, von den Fleischtöpfen der Gesellschaft getrennt und indie Not und das Elend ihrer peripheren Existenz hinausgestoßen werden– so objektiv ironisch das ist, so unglaublich wirkt es auch. Nicht, daßdie Laien, da sie ja bei aller prinzipiellen Anerkennung der Wahrheit desWesens und des damit verbundenen Aufrufs zur Weltucht gern nochein Weilchen im Dasein verweilen und ihre Positionen auf Erden erhal-ten möchten, nicht bereitwillig die ihnen von den Wesensverkündernübertragene weltliche Aufgabe eines Wirkens für die Heilsmittelinstitu-tion übernähmen und nicht auch besten Willens wären, sich das dieserAufgabe innewohnende Moment von Unvereinbarkeit mit dem eigenenHeilsanspruch durch das Irrsinnskonzept eines todesvermittelten, kar-mageleiteten, metempsychotischen Weges zum Heil ausreden und ausdem Bewußtsein schaffen zu lassen. Aber daß die Aufgabe, für die siesich von der Ordensgemeinschaft der Wesensverkünder rekrutiert nden,nun ausgerechnet darin besteht, für das künftige Seelenheil derjenigenvorzusorgen und indirekt die Gewähr zu bieten, deren trauriges Los auf Erden in der Hauptsache ihr, der Laien, eigenes Werk und deren leiblichesErgehen oder vielmehr Dahinvegetieren ihnen im übrigen absolut gleich-gültig ist – diese paradoxe Bestimmung oder Ungereimtheit in ihremVerhalten müßte ihnen doch eigentlich unangenehm aufstoßen und ihrenProtest herausfordern beziehungsweise sie zur entrüsteten Ablehnungder ihnen zugemuteten Dienstbarkeit motivieren.

Und daß in der Tat den Laien der ihnen zugemutete Einsatz für dieaußerweltlich-ontologische Erlösung von einem Leid, das sie innerwelt-lich-empiriologisch den zu Erlösenden eigenhändig bereiten, daß ihnenalso dieser Widersinn eines weltlichen Wirkens für ein Heilsmittel, dasvon Leiden heilen soll, die Folge des gleichen weltlichen Wirkens sind,

160

Page 161: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 161/189

zu schaffen macht, dafür spricht ihre Bereitschaft und Neigung – eine

Neigung, der die Lehre eines Dschina stärker noch als die des BuddhaRechnung trägt –, die Leidenskategorie über den bloß human-sozialenKontext hinaus ins Reich des umfänglich Animalischen, wo nicht gar inallumfassend kosmische Dimensionen expandieren und damit ihren spe-zischen sozialkritischen Charakter zugunsten einer daseinsanalytischenUniversalbedeutung verlieren zu lassen. Nicht bloß und nicht einmalprimär die leidende Menschheit in specie, sondern die leidende Kreaturin genere, nicht bloß der verhungernde Arme, der notleidende Paria,sondern ebensowohl der geschundene Ochse, die in Staub getreteneAmeise ist es, wofür die Lehrinstitution der Ordensgemeinschaft das vonihr tradierte Heilsmittel der weltuchtorientiert mönchischen Haltungals universales Mittel zur Erlösung von Leid bereithält. Mögen indes dieWesensverkünder den Adressatenkreis ihrer Heilsbotschaft noch so sehruniversalisieren und in der Tat kosmologisieren, um hinter solch kosmo-logischer Totalität den spezisch gesellschaftlichen Resonanzboden zumVerschwinden zu bringen, auf den ihre Heilsbotschaft trifft und der indem Maß, wie er sie in eine Erlösungsverheißung umfunktioniert, sich ihrals eigentlicher Adressat aufdrängt – angesichts der durch Ausgrenzungganzer Bevölkerungsgruppen erzeugten sozialen Spannung, angesichtsdes Antagonismus zwischen Begüterten und Besitzlosen, Mitgliedern derGesellschaft und Ausgestoßenen, angesichts der Not und des Elends, dieeine ihre höhere Produktivkraft ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Ver-luste entfaltende herrschaftliche Reichtumerzeugung heraufbeschwört, bleibt das spezische Leiden hinter aller Universalisierung erkennbar undtendiert mindestens ebensosehr, wie es vom universalen Leid verdecktund verschluckt wird, umgekehrt dazu, letzteres in einen Ausdruck, einSymbol seiner selbst zurückzuverwandeln.

Und eben deshalb bleibt aber auch die Frage, was die Laien dazu bringt,sich im unaufgelöst intentionalen Widerspruch zu ihrer spezisches Lei-den, menschliches Elend erzeugenden gesellschaftlichen Praxis in denDienst der universale Erlösung vom Leid schlechthin, von der Lebensnot

überhaupt verkündenden ordensgemeinschaftlichen Lehre nehmen zulassen und also unter Gefahr des Verlusts des eigenen Heilsanspruchssich um das Seelenheil derer verdient zu machen, deren leibliches Wohlsie bereitwillig dem eigenen opfern. Welchen Vorteil bringt es den Laien,durch weltliche Werke die primär den Opfern ihrer weltlichen Tätigkeit,

161

Page 162: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 162/189

Page 163: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 163/189

Page 164: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 164/189

sie nicht unbemerkt zertritt, als daß sie dem leidenden Mitmenschen gäl-

te. Mehr noch und vor allem erweist sich die Mitleidsforderung dadurchsystematisch entschärft, daß sich das Interesse, das sie motiviert, garnicht auf die Beschaffenheit des Objekts, sondern auf die Bendlichkeitdes Subjekts selbst richtet, daß mithin ihr funktioneller Sinn nicht etwadarin liegt, den Zustand der leidenden Kreatur zu verbessern, sondernvielmehr darin besteht, die Ablösung des Mitleid Übenden von der Weltzu beschleunigen. Als Strategie, die darauf zielt, an die Stelle jedes trieb-haft emotionalen Interesses an den anderen Wesen und aller begehrlichengagierten Hinwendung auf sie eine motivlos universale Anteilnahmeund ein uneigennützig degagiertes Mitgefühl treten zu lassen und die

also letztlich auf die Lösung und Vermeidung von Kontakten, auf einekraft der Verdrängung sämtlicher anderer Regungen und Bezüge durchdas eine empndsam beziehungslose Verhalten herbeigeführte generellinteresselose Distanz zur Welt abgestellt ist, dient die Barmherzigkeitwesentlich nur dazu, beim Barmherzigen selbst die mönchisch selbst- bezügliche Haltung zu befördern und durchzusetzen, beziehungsweisehat als Teil des laizistischen Werkewirkens den Erwerb von Karma zumZiel, das den Grund für eine Annäherung des barmherzigen Laien an dieselbstbezügliche Haltung im metempsychotisch nächsten Leben legt, und beansprucht daneben keine eigenständige, als aktives Engagement in der

Welt oder objektiv eingreifendes Beginnen beschreibbare Funktion.In jeder Hinsicht also ist die Heilsbotschaft einer Erlösung vom Leiddieser Welt, das, wie die ganze Welt selbst, Schein ist, eine quietistischeVerheißung, die, sosehr sie die Überwindung der leidvollen Welt alsganzer in Aussicht stellt, sowenig aber auch diese in Aussicht gestellteÜberwindung mit dem mindesten Gedanken, an der Welt im einzelnenKritik zu üben, und mit der geringsten Absicht, ihr den auf aktives Ein-greifen und auf praktische Veränderung abgestellten Prozeß zu machen,verknüpft. In jeder Hinsicht ist mithin die auf die Flucht nach innen, auf Selbstversenkung gerichtete Negativität gegenüber der leidvollen Welt,

mit der die Heilsbotschaft ihre Empfänger impft, von der Art, daß siefolgenreich höchstens und nur für deren eigenes Sein in der Welt, ihresubjektive Bendlichkeit ist und im übrigen also in die Länge und Breiteder objektiven Beschaffenheit alles so beläßt, wie es ist, daß sie sogareinen konstruktiven Beitrag zur Aufrechterhaltung der Welt insofern

164

Page 165: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 165/189

leistet, als sie durch die Identizierung der Leidenserfahrung als Schei-

nerleben allem Affekt, der zum aktiven Widerstand und zum praktischenAufbegehren gegen die Welt motivieren könnte, in aller Form den Ge-genstand verschlägt und statt dessen den Weg zu einer als Rückwendungins Wesen propagierten Abwendung von der Welt weist, den Auswegin ein zur Motion des scheinzerstreuenden Zusichkommens deklariertesWeltuchtpathos eröffnet.

So gesehen, leistet die Heilsbotschaft der Wesensverkünder mit ihrerLehre von der Erscheinungswelt als einem Ganzen des Scheins zur Ent-schärfung und Neutralisierung des Sprengstoffs, den die gesellschaftlicheErzeugung einer Schicht funktional Ausgestoßener und Entrechteterschafft, einen nicht weniger bedeutenden Beitrag als sie zur Bewältigungund Auösung des Konikts liefert, den zuvor die Dichotomisierung dertheokratischen Gesellschaft in eine Reichtums- und Subsistenzsphäre,eine Sphäre der luxurierenden Herren und der fronenden Knechte, einerim Überuß schwelgenden Oberschicht und einer von der Hand in denMund lebenden Schicht der Bauern und Handwerker heraufbeschwört.Wie dort die Botschaft von der Erscheinungswelt als durchgängig wesen-losem Schein dazu dient, die von der fronenden Unterschicht im Protestgegen das Unterdrückungssystem herrschaftlicher Reichtumerzeugungerhobene Prätention einer den einfachen agrarischen Subsistenzmittelneigenen natürlichen Substantialität und emanzipatorischen Qualität mit-samt dem auf diese Prätention sich gründenden Kult einer der Reich-tumsrücksicht enthobenen rauschhaft-libertären Selbstgenügsamkeit zuentkräften und um den Preis einer zur Rücksicht aufs transzendente We-sen verpichtenden durchgängigen ontologischen Entwertung der Weltfür die neuerliche Nivellierung zwischen Subsistenzmittel und Reichtum,zwischen Bauernschmaus und Herrengut, will heißen, für wiederherge-stellte Kontinuität im gesellschaftlichen Erfahrungsspektrum zu sorgen,geradeso gut taugt jene Botschaft von der leidvollen Erscheinungsweltals einem einzigen großen Schein hier dazu, alles eventuelle Aufbegehrender ausgestoßenen Pariaschicht gegen ihr gesellschaftliches Schicksal,

jeden Impetus der nicht sowohl Geknechteten als vielmehr Entrechteten,sich mit der Objektivität, die ihnen ihr Recht auf Leben streitig macht,tatkräftig auseinanderzusetzen, kurz, jedes Scharfwerden des in denParias angehäuften sozialen Sprengstoffs im Keim zu ersticken und dieletzteren in einer merkwürdigen Mischung aus faktischem Trost und

165

Page 166: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 166/189

praktischer Vertröstung mit eben dem Leidenszusammenhang quietis-

tisch zu versöhnen, dessen Überwindung sie ihnen als das Ergebnis einer jederzeit möglichen Absentierung aus ihm und qua ontologischer Sprungoder Wesentlichwerden wohlverstandenen Selbstaufhebung in Aussichtstellt. Mag demnach auch die soziale Leidenserfahrung der Elenden undEntwurzelten die von den Wesensverkündern aus der Oberschicht zurVerfügung gestellte Kategorie vom universalen Schein noch so sehr un-terwandern, mit ihrer phänomenalen Not und existentiellen Dringlichkeiterfüllen und in ein Darstellungsmittel für sich selbst umfunktionieren– letztlich tut die Scheinkategorie doch ihre Wirkung und verschlägt,indem sie der Quelle des Leidens, der Erscheinungswelt alle Realitätoder Seinshaltigkeit bestreitet, auch der Leidenserfahrung selbst jede zurWiderstandshaltung motivierende und mit dem Willen zur objektivenVeränderung inspirierende Faktizität und Sachhaltigkeit

166

Page 167: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 167/189

Page 168: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 168/189

grundsätzlichen Anerkennung der durch ihre antidionysische Wirksam-

keit doppelt überzeugenden Wendung zum Wesen und der mit dieserWendung einhergehenden Entlarvung der Welt als Schein in der Schein-welt vorerst auszuharren gedenken und so gewiß sie ihre festgehalteneScheinwelt aber durch die unter Bedingungen herrschaftlicher Reichtum-produktion vor sich gehende Produktivkraftentwicklung einen neuensozialen Sprengstoff hervortreiben und die Gefahr einer in Gestalt derParias sich formierenden fundamentalen Negation der gerade erst gegendie agrarisch-handwerklich Libertären reafrmierten Ordnung der theo-kratischen Gesellschaft heraufbeschwören sehen, so gewiß goutieren siedie soziale Entschärfungsrolle und Befriedungsfunktion, die jene auf die

Parias umfunktionierte und nämlich aus einem Instrument zur Zerstreu-ung von Schein in ein Vehikel zur Abschaffung von Leid umfunktionierteHeilsperspektive übernimmt, und sind willens, die Institution, die für de-ren Aufrechterhaltung sorgt, nach Kräften zu unterstützen und mit demdafür erforderlichen personellen Nachwuchs und materiellen Nachschubzu versehen.

Sie, denen das Verweilen in der Erscheinungswelt unter Bedingungeneiner ihr anerkanntermaßen den Prozeß ihrer Scheinhaftigkeit machen-den weltüchtigen Wesenslehre derart am Herzen liegt und die deshalbnatürlich auch daran interessiert sind, diese Erscheinungswelt vor der so-

zialen Zerreißprobe zu bewahren und ihr den inneren Frieden zu erhalten– sie messen der sedierenden, Sozialkonikte eskamotierenden Wirkung jener Leid als Schein erkennenden und für im Grunde nichts erklären-den Heilslehre eine so große Bedeutung bei, daß sie im Interesse derBeibehaltung solcher Heilslehre keine Bedenken tragen, sich in offenenWiderspruch zu dem von ihr als Weg zum Heil, als Heilsmittel, propagier-ten rechten Verhalten zu setzen und nämlich durch das Wirken weltlicherWerke im Dienste der das Heilsmittel pegenden und tradierenden In-stitution sich das Heilsmittel selber ad calendas graecas – oder besser adcalendas indas – zu verscherzen. Oder genauer gesagt, tragen sie – da ja

der offene Widerspruch zum heilskonformen Verhalten einem erklärtenSelbstwiderspruch gleichkäme und nämlich eine Absage an eben das Heil bedeutete, dem sie durch ihr laizistisches Wirken doch ebensowohl alsuniversalem, will heißen, zuletzt auch für sie verbindlichem Zweck dieStange halten – keine Bedenken, sich auf den geschilderten alternativen

168

Page 169: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 169/189

Heilsweg eines karmabestimmten Sublimierungsprozesses der Seele schi-

cken zu lassen, den die Wesensverkünder in der Absicht, sie vor solcheklatantem Selbstwiderspruch zu bewahren, ihnen als Ausweg anbieten.Vollauf zufrieden damit, durch weltliche Werke eine weltverneinend

transzendente Lehre zu unterstützen, die sie gegen die Gefahr der weltim-manenten Negation, sprich, der gesellschaftskritischen Anfeindungschützt und einer Garantie für die unangefochtene Fortsetzung ihresweltlichen Wirkens gleichkommt, haben die Laien partout nichts dage-gen, sich den eklatanten Widerspruch, in den ihre praktische Unterstüt-zungsaktion sie zum erklärten Zweck der Lehre, dem Praxisverzicht dermönchischen Haltung, bringt, durch jene abenteuerliche Münchhausiade, jene aberwitzige Hilfskonstruktion einer Praxis, die aus eigener, vom Tod bekräftigter, spekulativer Kraft im Praxisverzicht resultiert, eines Wir-kens, das in einem vom Tod skandierten Existenzenreigen die Erlösungvon sich selber erwirkt, überbrücken oder vielmehr ausreden zu lassen.Weil für die Laien die ganze Zentrierung der Heilsperspektive auf dieParias und deren Leidenserfahrung wesentlich sozialstrategische Bedeu-tung hat, weil die geistliche Sorge der Laien für die in der weltlichenWirklichkeit von ihnen verstoßenen und ins Elend gestürzten Parias, weitentfernt davon, eine undurchsichtige Inkonsequenz zu sein, vielmehrdank der quietistischen Wirkung der Heilsbotschaft bloß eine Fortsetzungder die Parias ins Unglück stürzenden sozialen Ausgrenzungspraxis mitanderen Mitteln oder, besser gesagt, ein Mittel zur Verhütung der sozialsprengkräftigen Folgen ist, die diese Ausgrenzungspraxis zu zeitigendroht – weil dies so ist, kann nicht überraschen, daß die Laien, um mitdem guten Gewissen oder, besser, der ungestörten Zielstrebigkeit einerzuletzt auch ihnen in ihrem heillos weltlichen Einsatz fürs Heilsmitteldennoch sich eröffnenden Heilsaussicht in ihrem wesentlich und primärsozialstrategisch begründeten Werkewirken fortfahren zu können, bereitsind, sich im Blick auf solch eigene Heilsaussicht selbst mit der aben-teuerlichsten Kreation eines Heilsweges, mit der phantastischsten undim Wortsinn an den Haaren herbeigezogenen dogmatischen Schöpfung

abzunden.Indes, unter dem Gesichtspunkt eben dieser hauptsächlich sozialstrate-gischen Bedeutung des laizistischen Wirkens für eine Heilsmittelinstitu-tion, deren heilsperspektivischer Adressat die Parias sind, mutet nun diesolchem Wirken nachgesagte eigene Heilsaussicht gar nicht mehr so an

169

Page 170: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 170/189

den Haaren herbeigezogen, so phantastisch an und kehrt vielmehr eine

im sozialstrategischen Rahmen selbst sich haltende und entfaltende spezi-sche Zweckmäßigkeit hervor. Was nämlich diese im laizistischen Wirkengelegene eigene Heilsaussicht, dieser in einem metempsychotischen Exis-tenzenreigen, einer Folge von todgeweihten, diskreten Verkörperungen bestehende Heilsweg sui generis den Laien bietet, ist ein Darstellungs-und Interpretationsmodell für ihren innerweltlich organisatorischen Zu-sammenhang, ihre innergesellschaftliche Ordnung. Oder genauer wärewohl von einer innergesellschaftlichen Neuordnung zu reden! Tatsächlichsind ja die Laien, die sich im Werkewirken, in der sozialstrategisch auf die Stillstellung der Parias, ihren Quietismus, gemünzten Stützungsakti-on für die Heilsmitteleinrichtung zusammennden, nicht mehr einfachdie alten, zur Oberschicht gehörigen und im dichotomischen Gegensatzzur bäuerlich-handwerklichen Unterschicht verhaltenen Artgenossender Wesensverkünder, die sie bei deren erstem Auftreten am Ende dertheokratischen Gesellschaft noch waren. Als Laienstand rmiert jetzt viel-mehr diese Oberschicht im Verein mit arrivierten Angehörigen aus jener bäuerlich-handwerklichen Unterschicht, der sie zu Zeiten der theokra-tischen Gesellschaft noch im dichotomischen Ausschließungsverhältnisgegenüberstand.

Die Aufweichung des für die theokratische Gesellschaft maßgebendenexklusiven Gegensatzes zwischen der dem Priesterkönig anhängenden,mit der Konsumtion des gesellschaftlichen Reichtums befaßten aristo-kratischen Oberschicht und einer dem Priesterkönig dienstbaren, mitder Produktion des Reichtums beschäftigten fronenden Unterschichtund mithin die Bedingung der Möglichkeit dafür, daß aus den beidenantagonistischen Gruppen überhaupt diese neue Assoziation, die alsLaienstand denierte Solidargemeinschaft, hervorgehen kann, ist dabeiim wesentlichen der erwähnten, um die Einführung eiserner Werkzeugeim allgemeinen und die Erndung des Zugtier-Puges im besonderenzentrierten Produktivkraftentwicklung geschuldet. Teils dadurch, daßder diesen Produktivitätsfortschritten entspringende vermehrte Reich-

tum, sosehr er primär der Oberschicht zufällt, doch aber auch in beschei-denerem Umfang Teilen der durch spezielle Fertigkeiten qualizierten bäuerlichen und zumal handwerklichen Unterschicht zugute kommt undderen ökonomisches Los und soziale Lage verbessert beziehungsweiseihnen sogar zu einem gewissen Wohlstand und Ansehen verhilft, teils

170

Page 171: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 171/189

und vor allem dadurch, daß neue, mit der zirkulativen Verwendung

überschüssigen Reichtums betraute und nämlich Produktionsüberschüs-se vor Ort gegen Luxusgüter und seltene Subsistenzmittel von außer-halb tauschende, kurz, Handel treibende Schichten entstehen, denendas Vermögen, zu dem sie es selber dabei bringen, und die politischeebensosehr wie fachliche Kompetenz, die ihnen aus ihrer Mobilität undWeltkenntnis erwächst, erlauben, sich zwischen den Hauptblöcken derGesellschaft zu etablieren und als relativ eigenständige Formation zu behaupten – durch diese beiden, mit der Distribution des Mehr an ge-sellschaftlichem Reichtum verknüpften Entwicklungen also kommt es zueiner Differenzierung der theokratischen Gesellschaft beziehungsweiseBinnendifferenzierung ihrer konstitutiven Bestandteile, die in der Tat derfrüheren dichotomischen Struktur ein Ende setzt, indem sie an die Stelleder alten homogenen Oberschicht, deren über den Status entscheidendePrivilegierung zum Reichtum sich ausschließlich aus der Zugehörigkeitzu der gleichermaßen durch ihre kriegerisch-nomadische Herkunft unddurch ihre opferkultlich-rituelle Funktion denierten Gruppe des Pries-terkönigs erklärt, ein mehrschichtiges Gebilde, ein Konglomerat, tretenläßt, das ebensowohl Gruppen umfaßt, deren Anspruch auf Reichtumnicht mehr historisch-struktural begründet ist, das heißt durch den kon-stitutiven Rahmen, den sie der gesellschaftlichen Reproduktionstätigkeitabstecken, sondern sich systematisch-funktional rechtfertigt, das heißtaus den spezischen Leistungen, die sie in diesem Rahmen zum Zweckseiner Aufrechterhaltung erbringen.

Nicht, daß diese neuen, aus der Unterschicht sich lösenden und amReichtumprivileg der Oberschicht partizipierenden Gruppen von derletzteren als ihresgleichen erkannt und anerkannt würden! Aber so gewißihre Teilhabe am Reichtumprivileg sie der Oberschicht als von der Un-terschicht unterschiedene Gruppen vor Augen führt und so gewiß jeneTeilhabe ihren guten oder jedenfalls zwingenden Grund in den teils inproduktionserheblich-technischen Fertigkeiten, teils in distributionsspezi-sch-praktischen Tätigkeiten bestehenden unentbehrlichen Beiträgen

hat, die sie zur Aufrechterhaltung des herrschaftlichen Reichtumerzeu-gungssystems unter Bedingungen eines wesentlichen Sprungs in derEntwicklung der Arbeitsproduktivität leisten, so gewiß sieht sich dieOberschicht genötigt, ein differenziertes Bild von der Gesellschaft zuakzeptieren, das jene Gruppen sei’s als eine die dichotomische Struktur

171

Page 172: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 172/189

der Gesellschaft vermittelnde, wo nicht gar aufhebende eigenständige

Schicht zwischen den Sozialblöcken, sei’s bei gewahrter dichotomischerStruktur als ein am unteren Rand der Oberschicht anzusiedelndes und,wenn schon nicht direkt an ihrer gesellschaftlichen Stellung, so jedenfallsindirekt an ihrer herrschaftlichen Funktion partizipierendes Substratumzeigt. Und während so der Produktivitätsfortschritt einerseits Gruppenaus der Unterschicht heraustreten und sich als konstitutives Element derHerrschaft im Vorhof oder Dunstkreis der Oberschicht etablieren läßt, hatdieser Produktivitätsfortschritt andererseits die oben geschilderte Folge,daß dysfunktionalisierte, für die herrschaftliche Reichtumproduktionüberüssig gewordene Gruppen aus der Unterschicht ausgefällt werden

und sich an ihrem unteren Rand oder vielmehr in den Grauzonen unterihr als Ausgestoßene, als Pariaschicht absetzen. Von jeder funktionalenBedeutung abgeschnitten und aus aller sozialen Zusammengehörigkeitausgeschlossen, bildet diese Schicht unter der Unterschicht, diese deklas-sierte Klasse, einen gesellschaftlichen Sprengstoff, den die um wichtigeFunktionsträger aus der Unterschicht erweiterte Oberschicht allen Grundvon der Welt, will heißen, alles nur denkbare gesellschaftliche Interesseund komplizenschaftliche Anliegen hat zu entschärfen.

Und zu eben dieser Entschärfung des Sprengstoffs leistet nun die ineine universale Heilsperspektive umgerüstete weltüchtige Wesenssuche

durch die Art, wie sie einerseits die Aussicht auf Befreiung von Scheinin die Verheißung einer Erlösung von Leid ummünzt und andererseitsdank dieser Verquickung der Leidenserfahrung mit der Scheinkategoriedie Leidenden dazu anhält, sich in quietistische Geduld zu fassen, einenentscheidenden Beitrag. Was Wunder, daß die erweiterte OberschichtGefallen an jener universalen Heilsperspektive ndet und auf Kostensogar ihrer eigenen Heilsaussichten bereit ist, im Sinne einer Stützungund Stärkung der zur Aufrechterhaltung der Perspektive ins Leben ge-rufenen Lehreinrichtung zu wirken, anders gesagt, sich als Laienstandin den Dienst der das Heilsmittel der mönchischen Haltung tradieren-

den ordensgemeinschaftlichen Institution nehmen zu lassen? So aberdurch die gemeinsame Aufgabe einer heilsperspektivisch kaschiertengesellschaftlichen Krisenabwehr und politischen Koniktverhinderungals werkewirkender Laienstand in Anspruch genommen, gerät die er-weiterte Oberschicht in ein eigentümliches Spannungsverhältnis zu sich

172

Page 173: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 173/189

selbst in ihrer systemlos empirischen Zusammensetzung, ihrer agglome-

rativ zusammenhanglosen Verfassung. Bloß durch die historische Kon-tingenz und vielmehr Sprunghaftigkeit der Produktivkraftentwicklungund durch den äußeren Zwang zur Bewältigung des den Fortschritten inder Produktivität entspringenden vermehrten Reichtums zu einem ge-sellschaftlichen Aggregat zusammengeschlossen, stehen sich die konsti-tutiven Bestandteile der erweiterten Oberschicht ebensowohl fremd undabweisend gegenüber. Als Formationen, die entweder ihren Anspruchauf Reichtum historisch-struktural aus ihrer Teilhabe an der priesterkö-niglichen, opferkultlich-stellvertretenden Reichtumsverwaltung herleitenoder ihren Zugriff auf Reichtum systematisch-funktional darauf gründen,daß, um auf solche Weise verwaltbar zu bleiben, der Reichtum sowohlin der Gestalt einer innergesellschaftlichen Umverteilung als auch in derForm zwischengesellschaftlichen Austausches breiter gestreut werdenmuß, haben sich die beteiligten Gruppen wenig oder nichts zu sagenund begegnen einander mit der an Feindseligkeit grenzenden Reservederer, die den Reichtumsbezug der jeweils anderen Gruppe entwederaufgrund der sakralen Natur der eigenen Verfügung über den Reichtumals illegitime Prätention, als räuberische Aneignung, verwerfen oderkraft der realen Bedeutung des eigenen Umgangs mit dem Reichtum alsirrationales Privileg, als schmarotzerische Beschlagnahmung denunzierenund die eigentlich nur durch das negative Faktum zusammengehaltenwerden, daß die einen, die im Kult verwurzelten Aristokraten, ohnedie Hilfe der anderen, der funktionsentsprungenen Neureichen, ebenso-wenig ihr gewohntes Leben im Reichtum fortsetzen, geschweige dennweiter ausbauen könnten, wie umgekehrt die neureichen Funktionsträgerohne die Sanktion der aristokratischen Kultrepräsentanten überhauptreichtumbildungsrelevante Verwaltungs- und Verteilungsaufgaben zuübernehmen und in deren Konsequenz am Reichtum selbst zu partizipie-ren vermöchten.

Darüber hinaus aber eint diese zur neuen Oberschicht agglomeriertenGruppen nun noch ein durchaus solidarisches Interesse an der Abwehr

der potentiellen Bedrohung der Gesellschaft durch die aus dem gesell-schaftlichen Corpus ausgeschiedenen und in eine subliminale Randexis-tenz verstoßenen Pariaschichten. So wahr die im Zuge einer Erhöhungder technischen Funktionstüchtigkeit und ökonomischen Leistungsfähig-keit der Gesellschaft hervorgetriebenen Parias das ganze herrschaftliche

173

Page 174: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 174/189

Reichtumbildungssystem fundamental in Frage stellen und nämlich ad

absurdum einer in besonderer Mittellosigkeit resultierenden allgemeinenArbeit, sprich, einer Reichtumproduktion führen, die sich so weit vonihrer subsistentiellen Grundlage abgelöst und gegen sie eigendynamischverselbständigt hat, daß sie in parte den Verlust eben der Subsistenz nachsich zieht, auf der sie selber in toto aufbaut, daß also ihre eigene Expansi-on mit einer Kontraktion ihrer Basis einhergeht, daß sie, kurz, die prekäreGestalt einer auf dem Kopf balancierenden Pyramide anzunehmen ten-diert – so wahr also die Parias diese absurde Konsequenz einer unterReichtumbildungsrücksichten sich vollziehenden Produktivkraftentwick-lung verkörpern, so wahr ist es das vorbehaltlos gemeinsame Interesse

derer, die sich demgegenüber in der Gesellschaft gut aufgehoben ndenund von ihrem Funktionszusammenhang protieren, der Aktualisierungder Gefahren, die dem kontinuierlichen Bestand und gedeihlichen Zu-sammenhalt der Gesellschaft von jenem verkörperten Schibboleth desWidersinns einer reichtumbezogenen Produktivitätsentfaltung drohen,nach Kräften zu wehren und vorzubeugen.

Und seinen wesentlichen Ausdruck ndet dieses, die Gruppen überalle bloß funktionale Verbindung hinaus intentional einende Vorbeu-gungsinteresse nun darin, daß sich die Oberschicht unterschiedslos vonder Heilsmittelinstitution der mönchischen Ordensgemeinschaft in den

als laizistisches Werkewirken beschriebenen Dienst nehmen läßt, daßsie, mit anderen Worten, ohne Ansehung der Person oder vielmehr desStandes bereit ist, die als Leidenssedativ auf den Quietismus der Ärms-ten der Armen gemünzte universale Heilsperspektive einer Erlösungvom Schein, die das Heilsmittelinstitut wahrt und propagiert, durchdie Versorgung des Instituts mit personellem Nachwuchs und materiel-lem Nachschub zu unterstützen. Während also die in der Oberschichtagglomerierten Gruppen funktional – das heißt, in Ansehung der Ver-waltung des gesellschaftlichen Ganzen – voneinander getrennt und mitder an Feindseligkeit grenzenden Reserve ihres heteronomen Existenz-

rechts gegeneinander abgedichtet bleiben, ziehen sie zugleich intentional– das heißt, im Blick auf die Erhaltung der Gesellschaft als ganzer – amselben Strang und vereinigen sich so zu der als Laienstand deniertenhomogenen Masse Volks, die sich in unbewußter Konspiration oder ob- jektiver Komplizenschaft durch ihr Wirken für die Heilsmittelinstitution

174

Page 175: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 175/189

der Aufrechterhaltung der als politisches Krisenabwehrmittel oder Strate-

gem zur Bewältigung potentieller Sozialkonikte tauglichen universalenHeilsperspektive verschreibt.

Für die zwiespältige Natur der erweiterten Oberschicht, ihre gleichzeitige Dis-kretheit und Kontinuität, bietet der sekundäre Heilsweg ein Interpretations-und Organisationsmodell. Der vom Tod getaktete Existenzenreigen repräsen-tiert beides: funktionelles Nebeneinander und intentionales Miteinander. DurchEinbeziehung der mittlerweile besser gestellten agrarischen Unterschicht indieses Organisationsmodell wird aus dem Auösungsprodukt der theokratischenGesellschaft, dem ständehierarchischen Corpus, eine Gesellschaft in Schüben,eine Kastengesellschaft. Die exoterische Veranstaltung der Kastengesellschaftbleibt ihrem esoterischen Gehalt, der sie durchwandernden Seele, einerseits äu- ßerlich. Andererseits aber verwandelt sich dieser esoterische Gehalt in ein bloßesRechtfertigungsmittel der exoterischen Veranstaltung: Die weltüchtige Erlö-sungsfunktion wird zum innerweltlichen Bindemittel.

Und genau für diese, zwischen Abstoßung und Solidarität, funktiona-lem Nebeneinander und intentionaler Gemeinsamkeit changierende, wi-dersprüchliche Verfassung der zum Laienstand erweiterten Oberschicht bietet nun aber der abenteuerlich zweite, mittelbare Weg zum Heil, den

die Wesensverkünder den Laien weisen, um sie mit ihrem im Wirken fürsHeilsmittel unmittelbar beschlossenen Ausschluß vom Heilsmittel zu ver-söhnen, ein höchst passendes Interpretations- und Organisationsmodell.Was der durch den Taktschlag des Todes skandierte Existenzenreigen,als der jener zweite Welt zum Heil sich ja darstellt, den Laien nämlicheröffnet, ist die Möglichkeit, ihren aus Gruppenexistenzen agglomeriertenZusammenhang so zu ordnen, daß die Gruppen zwar einerseits in ihrerfunktional unaufhebbaren ständischen Besonderung bestehen bleiben,ihre unüberwindlich hierarchische Diskretheit bewahren, andererseitsund zugleich aber in die prozessuale Konsequenz eines verbindlich uni-

versellen Strebens nach einer heilskonformen Verfassung überführt, in dieintentionale Kontinuität einer einheitlich spirituellen Selbstreinigungsan-strengung aufgehoben erscheinen. Jene Serie von Verkörperungen, jeneSequenz von existentiell diskreten Zuständen, die von der heilsuchendenSeele kraft eines im Karmabegriff spezizierten essentiellen Projekts,

175

Page 176: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 176/189

das sich in den entscheidenden Augenblicken als das Subjekt selbst, als

ihre eigene spekulative Substanz herausstellt, durchlaufen wird – jenerkarmabestimmte Heilsweg also trägt beidem Rechnung: der funktionalenGetrenntheit der Gruppen, in der sie als Strukturelemente unterschiedli-cher Provenienz sich ständehierarchisch gegeneinander verwahren, undihrer intentionalen Einheit, in der sie als Erscheinungsformen ein undderselben Substanz sich kommunsolidarisch zueinander verhalten.

Das einzige, was es braucht, um diese Mischung aus Diskretheit undKontinuum, aus Disparität und Solidarität, die der den Laien gewieseneheilspraktische Ersatzweg bereithält, für die Interpretation und Organi-sation der zwischen struktural-körperschaftlichem Partikularismus und

intentional-komplizenschaftlichem Gemeinschaftssinn changierendenerweiterten Oberschicht nutzbar zu machen, ist die Bereitschaft, den eherin kosmische Sphären, ins Feld phänomenal vorstellbarer Kategorienausschweifenden heilsträchtigen Existenzenreigen in den empirischenBereich, in die Ebene sozial wahrnehmbarer Klassen zurückzunehmenund eben auf die in der unerklärten Gleichzeitigkeit ihres funktionalenNebeneinander und intentionalen Miteinander perennierenden ständi-schen Gruppenexistenzen zu beziehen und abzubilden. Als sukzessiverNiederschlag und konkrete Erscheinungen jener vom Tode getaktetenSeelenfuge, jener Sequenz aus weltüchtigen Sublimierungsstufen, die

im esoterisch spekulativen Sinn seines exoterisch weltlichen Wirkensder Laie durchläuft, stehen die ständehierarchischen Formationen dererweiterten Oberschicht in einem inneren Zusammenhang miteinanderund bilden ein essentielles Kontinuum, ohne deshalb über den Schattenihrer gegeneinander eingelegten Verwahrung springen und gegenein-ander durchlässig werden, ineinander übergehen zu müssen. Und nichtnur im Blick auf die erweiterte Oberschicht selbst erzielt diese Abbil-dung der hierarchischen Stufen der Gesellschaft auf die scala sancta dessekundären Heilsweges die gewünschte Wirkung einer intentionalenVerbindung des funktional Getrennten oder substantiellen Vermittlung

des strukturell Diskreten – den gleichen Effekt übt diese interpretati-ve Identizierung der sozialen Stufenleiter mit dem Karriereweg dersich läuternden Seele auch und mehr noch in bezug auf das Verhält-nis zwischen den Gruppen der neuen Oberschicht und denen der alten bäuerlich-handwerklichen Unterschicht.

176

Page 177: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 177/189

Page 178: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 178/189

ihrer Machtausübung entlastet, teils psychologisch-relativ durch die Ent-

stehung der Pariaschicht gehoben und aufgerichtet, weil mit der Existenz jenes Stratums unter ihr als integrierender Bestandteil eben des funktio-nalen Wirk- und sozialen Lebenszusammenhanges afrmiert, der sichüber der Pariaschicht erhebt und auf ihr als ausgeschlossener aufbaut – indieser dreifachen Hinsicht also von der Entwicklung der theokratischenOrdnung zur ständehierarchischen Konstellation protierend, söhnt sichdie bäuerlich-handwerkliche Schicht mit dem auf ihren Schultern ruhen-den System herrschaftlicher Reichtumproduktion so ziemlich aus und istan seiner Erhaltung am Ende kaum weniger interessiert als die erweiterteOberschicht. Das heißt, sie teilt mit der Oberschicht bei aller funktio-

nalen Unvereinbarkeit oder strukturellen Diskretheit den intentionalenAnspruch oder das substantielle Bedürfnis, den Status quo der stände-hierarchischen Gesellschaft gegen die Sprengkräfte, die diese Gesellschaftselber freisetzt, sicherzustellen, und ist, wie einerseits subjektiv bereit,sich zusammen mit der Oberschicht in den laizistischen Dienst an der auf die Ruhigstellung der Parias gerichteten universalen Heilsperspektivenehmen zu lassen, so andererseits objektiv disponiert, sich in die Abbil-dung des ständehierarchischen Nebeneinander von Gruppenexistenzenauf das Nacheinander des den Laien als sekundärer Heilsweg gewiesenenmetempsychotischen Gestaltenreigens integrieren und damit ihre inten-

tionale Gemeinsamkeit oder substantielle Kontinuität mit der Oberschichteine auch für sie verbindliche und, wenn schon nicht in säkular-sozialerPräsenz sichtbare, so jedenfalls doch als religiös-emotionale Repräsentanzglaubhafte Darstellung nden zu lassen.

Was demnach die alle konstitutiven Bestandteile der Gesellschaft um-fassende Spiegelung und Vermittlung, Artikulation und Interpretationder ständehierarchischen Ordnung durch den Heilsweg der sich läutern-den Seele schließlich hervortreibt, ist die hinduistische Kastengesellschaft,eine Gesellschaft, deren Gliederung in diskrete Gruppenexistenzen durchdie Abbildung auf den Gestaltenreigen der strebenden Laienseele in

paradoxer Gleichzeitigkeit ebensosehr vertieft und befestigt, sanktioniertund verewigt, wie entschärft und entkräftet, zur Darstellungs- und viel-mehr Verlaufsform einer intentionalen Kontinuität und substantiellenSichselbstgleichheit herabgesetzt oder, wenn man will, aufgehoben er-scheint. In den sozialen Raum projiziert und als Organisationsmodell für

178

Page 179: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 179/189

die Gruppenexistenzen dingfest gemacht, läßt die durch den Tod skan-

dierte heilspraktische Existenzenfolge der laizistischen Seele aus demständehierarchischen Corpus eine Gesellschaft in Schüben, eine Schubla-dengesellschaft werden, eine Gesellschaft, die das funktional Trennendeoder die strukturelle Verschiedenheit der Schichten, aus denen sie sichzusammensetzt, in eben dem Maß auf die Spitze treibt und exzessiv aus- bildet, wie sie dem die innere Einheit des Ganzen verbürgenden Momentvon gleichsinniger Intentionalität oder substantieller Übereinstimmung inder Figur der wandernden Seele eine von den sozialen Schichten ebensototo coelo abgehobenen wie ihnen grosso modo inkarnierte spirituelleRealität oder gespenstische Eigenständigkeit verleiht und das heißt, denStatus eines die Schichten ebenso omnipräsent durchgeisternden wieindifferent wechselnden Subjekts sui generis zuschreibt.

Weil die als heimliche Klammer zwischen den Gruppenexistenzenwirksame intentional-negative, auf die Abwehr sozialer Anarchie zwecksErhaltung des innerweltlichen Status quo gemünzte Solidarität durch dieAbbildung des ständehierarchischen Corpus auf den Heilsweg der laizis-tischen Seele die Form eines spirituell-afrmativen, auf die Herstellungidealer Sichselbstgleichheit zwecks Erreichung eines außerweltlichenStatus quo ante gerichteten autonomen Subjekts erhält, das sich ebenso-sehr im Sinne eines roten Fadens oder verknüpfenden Bandes durch dieGruppenexistenzen als durch soundsoviele Inkarnationen seiner Karrierehindurchzieht, wie als ihre reexive Essenz oder fürsichseiende Substanzgleichgültig gegen sie bleibt und nur in sie eingeht, um sie baldestmöglichwieder abzulegen und als Trittstufen oder Steigbügel seines selbstgewirk-ten Aufstiegs hinter sich zu lassen, bleiben die Gruppenexistenzen als sol-che frei von aller spezischen Darstellungsaufgabe oder repräsentativenAusdrucksverpichtung im Blick auf dies einigende Band intentionalerSolidarität und können, ihrer unmittelbar eigenen funktionalen Apartheitfolgend oder strukturellen Diskretheit frönend, ungehemmt die elemen-tare Unverbindlichkeit und atomare Ausschließlichkeit herauskehren,die das religiöse Modell in dem als exoterisch-materielle Kehrseite des

esoterisch-spirituellen Sublimierungsprozesses der weltüchtig abstrak-ten Seele gefaßten Bilde eines durch die Zäsur der absoluten Todesmachtin irreduzibel monadische Stationen oder unaufhebbar einzelne Zuständezerlegten Gestaltenreigens vorgibt. Zusammengehalten durch ein ge-meinsames Interesse, dessen negativer, mit der kollektiven Abwendung

179

Page 180: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 180/189

Page 181: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 181/189

gesellschaftlichen Ordnung. Schon in seiner unmittelbaren, unbestimmt-

phantastischen, kosmisch-ausschweifenden Form hat ja der den Laiengewiesene Weg zum Heil als nämlich der ihnen vorgeschriebene Erwerbder als das Heilsmittel gelehrten mönchischen Haltung via obliqua ausge-rechnet des weltlichen Wirkens, das doch die mönchische Haltung geradeausschließt und ihr eigentlich diametral zuwiderläuft – schon also in die-ser ebenso unverbindlich-individuellen wie allumfassend-universellenForm hat der paradox indirekte Heilsweg der Laien diese Merkwürdig-keit, um nicht zu sagen, Absurdität, daß er als das spekulative, ebensotodgeweiht-sprunghafte wie karmabestimmt-kontinuierliche Procedere,das er ist, nur das heimliche Innere eines gewöhnlichen Äußeren, dieesoterische Wahrheit eines exoterischen Wirklichen darstellt, das er eben-sosehr, um sich überhaupt darstellen zu können, braucht und annimmt,wie er es, um seinen Zweck zu erfüllen, verwerfen und ablegen muß,das er mithin ebensosehr seiner Durchführung wegen voraussetzt undreafrmiert, wie er es um des Heiles willen zu negieren und abzustreifen beansprucht. Schon dort, wo der materielle Gestaltenreigen, in dessenHülle oder hinter dessen Maske das spirituelle Heilsstreben vor sichgeht, noch eher der Phantasie überlassen bleibt und eher ins Kosmischeausschweift – schon dort ndet sich mit anderen Worten dieser eklatanteWiderspruch, daß der Heilsweg pro materia seines faktisch-empirischenVerlaufs haargenau das festhält und substantiiert, was er pro forma seinerpraktisch-systematischen Bestimmung fahrenlassen und als wesenlosenSchein abtun will. Nur macht dort der phantastische Charakter des Ge-staltenreigens es noch möglich, die einzelnen Stationen des Heilsweges,die aufeinanderfolgenden Inkarnationen als Scala sancta, das heißt, alseine Stufenfolge progressiver Entmaterialisierungen oder Sublimierun-gen zu entfalten, die in dem Maß, wie sie den materiellen Verlauf alsParallelaktion zum spirituellen erscheinen, den Zug durch die leiblichenHüllen als symbolische Reproduktion des Verklärungsprozesses der Seeleselbst Raum greifen läßt, den unauösbaren Widerspruch zwischen demexoterisch Stationären und der esoterischen Dynamik, das unheilbare

Paradox eines Inneren, das in nichts als in der Abstraktion vom Äußeren besteht und das doch nur per medium des Äußeren diese Abstraktion,sich selbst, in die Tat umzusetzen vermag, zu verwischen dient.

Jetzt hingegen, da die kosmische Phantasie der ständischen Empiriedas Feld räumt und da durch Abbildung der Stufenfolge der sozialen

181

Page 182: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 182/189

Hierarchie auf den Gestaltenreigen des laizistischen Heilsweges die stän-

dehierarchische Ordnung der Gesellschaft als solche zur äußeren Erschei-nungsweise oder zum exoterischen Darstellungsmedium des innerenLäuterungsprozesses oder esoterischen Ablösungsverfahrens der Seeleavanciert – jetzt kann von einer Verwischung des Widerspruchs keine Re-de mehr sein und tritt in der Tat die unversöhnbare Diskrepanz zwischendem qua Streben nach einem individuellen außerweltlichen Wesen er-klärten nominellen Zweck der Veranstaltung und ihrem qua Nachvollzugder kollektiven innerweltlichen Ordnung erzielten reellen Effekt scho-nungslos zutage. Weil die ständehierarchischen Gruppenexistenzen sichim afrmativen Habitus oder Materialismus ihrer erscheinungsweltlichenBindungen in nichts voneinander unterscheiden beziehungsweise ihreEinbindung in die Erscheinungswelt mit aufsteigender Hierarchie undkomplementär dazu wachsendem Reichtum höchstens und nur massiverund unübersehbarer wird, ist die äußere Erscheinungsform des laizisti-schen Heilsprozesses, ist der exoterische Weg durch die kraft religiösenModells zu Kasten auseinandergelegten sozialen Stände, den die Seeledes Laien nimmt, in der Tat ein einziges großes Kontrastprogramm, einin seiner durchgängigen Welthörigkeit und krassen Erscheinungsvielfalteinziger großer Widerspruch zu dem heilsprozessual inneren Gesche-hen, dem esoterischen Ablösungs- und Läuterungsverfahren, das sichangeblich dahinter verbirgt und darin vollzieht. Eben das, wovon daskarmabestimmt laizistische Heilsstreben befreien soll, die Bindung an dieErscheinungswelt und Verstrickung ins weltliche Dasein in allen ihrenfunktionalen Formen und sozialen Stellungen, muß in die Länge undBreite des Heilsweges als ein für die Befreiung unentbehrliches Stadiumund unabdingbarer Schauplatz durchlaufen und durchlebt, mithin als fürseine eigene Aufhebung bleibende Grundlage immer wieder zur Geltunggebracht, für die Negation seiner selbst einstehende Position stets neureafrmiert werden. Sosehr ideologisch-spirituell an der Figur einer imDurchmarsch durch die gesellschaftliche Struktur mit ihren jeweiligenErscheinungen unbeirrt verfolgten esoterischen Befreiung der laizisti-

schen Seele vom Weltlauf festgehalten werden mag, sosehr erweist sichsoziologisch-reell der Durchmarsch als ein Prozessionszug, der in nichtsanderem als in der Bekräftigung des Weltlaufs, in der exoterischen Bestä-tigung der gesellschaftlichen Struktur mitsamt ihren sämtlichen Erschei-nungen besteht und der damit in der Tat den unauösbaren, weil vom

182

Page 183: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 183/189

Pathos einer spekulativen Münchhausiade getragenen Selbstwiderspruch

begeht, eben das, wovon befreit werden soll, zugleich als Schauplatz undVollzugsorgan der Befreiung ins Spiel zu bringen und zu sanktionieren,will heißen, den Befreiungsprozeß in ein Verfahren zur Wiederholungund Rechtfertigung dessen, wovon befreit werden soll, zu verkehren,kurz, die weltüchtige Erlösungsfunktion zum innerweltlichen Bindemit-tel zweckzuentfremden.

Der Selbstwiderspruch einer Negation, die durch ihren Duktus Afrmation wird,ist am deutlichsten auf der Scheitelhöhe des Prozesses, beim Brahmanen. BeimBrahmanen rmiert die weltliche Stellung als das leere Versprechen einer in ihr

zu sich kommenden Negativität und wird dafür in ihrem Bestand garantiert. Sotritt das selbstbezügliche Heil als Garantiemacht an die Stelle des opferkultlichenSegens: Wie der Priesterkönig die Welt des Reichtums gegen die Negativitätder Götter behauptet und als deren Eigentum reafrmiert, so behauptet derBrahmane die Erscheinungswelt gegen die wesensorientierte Weltucht, in-dem er sie als unabdingbares Anwesen der weltüchtigen Seele bekräftigt. DieGarantieleistung der Opferfunktion wird damit obsolet, nicht allerdings dieOpferfunktion selbst, die mit allem anderen in die paradoxe Bestandsgarantiedes Brahmanen, die Garantie der Erscheinungswelt als für den Fluchtweg derSeele unabdingbaren Requisits, einbezogen bleibt. Das einzige, was nicht unterdie Garantie fällt und verschwindet, ist der primäre Heilsweg des mönchischenDaseins, der eben das ja ausschließt, was jetzt der sekundäre Heilsweg zu reafr-mieren dient. Zugleich mit dem mönchischen Dasein verschwindet die universale Heilsperspektive, so daß sich in sinnverwirrender Paradoxie die Parias an denkastengesellschaftlich organisierten sekundären Heilsweg, die Erlösung vonder Gesellschaft Suchenden an die Gesellschaft als erlösende Veranstaltungverwiesen nden.

Nirgends wird diese als perfekter Selbstwiderspruch durchgesetzteVerwandlung der religiösen Essenz einer Negation der Erscheinungs-welt durch Inszenierung einer individuell-anarchischen Befreiung in die

soziale Substanz einer Reafrmation der Erscheinungswelt durch Sank-tionierung der kollektiv-hierarchischen Ordnung deutlicher als auf demGipfelpunkt des als Prozession durch die Kastengesellschaft angelegtenHeilsprozesses der Seele, dort also, wo dem esoterischen Zweck der Ver-anstaltung nach die aus karmabestimmt-spekulativer Kraft aufgestiegene

183

Page 184: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 184/189

laizistische Seele die den meditativen Auszug aus der Welt eröffnende

Scheitelhöhe der werkentsprungen mönchischen Haltung, der als ree-xiver Selbstbezug heilsmitteladäquaten Sichselbstgleichheit, erreicht undwo dem exoterischen Handlungsablauf zufolge diese Sichselbstgleichheitdoch in nichts anderem ihren empirischen Ausdruck und ihre hierarchi-sche Darstellung ndet als in der ständischen Selbstherrlichkeit, in demsozialen Machtanspruch der obersten Schicht der Laien, der Nachfahrender alten, um den theokratischen Priesterkönig gescharten und an seinerReichtumsverwaltung mittels Opferkult partizipierenden opferpriester-lichen Gemeinde, kurz, der durch ihre kontinuierliche Verfügung überReichtum und durch ihre traditionelle Opferpraxis geadelten Brahmanen.Im Brahmanen, der den von den Wesensverkündern als Heilsmittel ge-lehrten reexiven Selbstbezug in Vollendung des den Laien gewiesenenund quer durch die ständehierarchische Gesellschaft hindurchgeführtensekundären Heilsweges zu verkörpern beansprucht, ndet sich beidesin irrationaler, unauöslich widersprüchlicher Personalunion vereint:die als innere Bestimmung erreichte und zum Nichts, das Wesen ist,disponierende mönchische Haltung der weltüberhobenen Seele und derqua Opferpraxis routinierte und zur Erscheinungsfülle, die Reichtum ist,legitimierende Umgang mit der Welt, der als Ausweis und Maßstab dererreichten inneren Bestimmung gilt.

Aber vielmehr ist, da das eine das esoterisch Verschwindende und dasandere das exoterisch Bleibende ist, das eine, die vollendet mönchischeHaltung, bei aller formell gewahrten eigenen Zielstrebigkeit reell bloß dasMittel zur Sanktionierung des anderen, des in der brahmanischen Gestaltfortgesetzt opferpriesterlichen Verhaltens zur Erscheinungswelt! Dafür,daß sich das opferkultliche Verhalten dazu bequemt, als das leere Ver-sprechen oder die blinde Versicherung einer in ihm metempsychotisch zusich kommenden mönchischen Haltung zu gurieren, läßt es diese mön-chische Haltung in sich auf- und vielmehr untergehen und verwandeltsie aus dem Inbegriff weltüchtiger Negation in ein reines Reafrmati-onsinstrument seines eigenen fortdauernden Bestehens ebenso wie des

Bestandes der ganzen in ihm gipfelnden, hierarchischen Ordnung.Dergestalt in ingeniöser Umfunktionierung ihres absolut erscheinungs-feindlichen Fluchtimpetus als ein relatives Beglaubigungs- und Garan-tiemittel der ständehierarchischen Gesellschaft in Haft und in die Pichtgenommen, tritt nun aber die religiöse Essenz des vom buddhistischen

184

Page 185: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 185/189

Wesensverkünder kraft Beschwörung des Nichts gewahrten selbstbezüg-

lichen Heils wenn schon nicht in aller Form, so jedenfalls doch in vollerFunktion an die Stelle der religiösen Substanz des vom theokratischenPriesterkönig kraft Beschwichtigung der Götter gewährten opferkult-lichen Segens. Was vorher der Priesterkönig vollbrachte, indem er dieErscheinungswelt in specie des gesellschaftlichen Reichtums mittels epi-phanischen Opferkults als wahres Eigentum und wirkliches Anliegender in die Transzendenz entwichenen göttlichen Macht zur Schau stellteund gegen alle aufscheinende Negativität der Gottheit behauptete, dasleistet nun der Brahmane dadurch, daß er als Protagonist des hierarchi-schen Heilsprozesses den gesellschaftlichen Reichtumbezug in genereder Einbettung der Gesellschaft in die Erscheinungswelt als unabding- bare Verkörperung und feststehendes Anwesen der zur Transzendenzentschlossenen selbstmächtigen Seele vorführt und gegen alle esoteri-sche Fluchtbereitschaft der Seele in ritualpriesterlich eigener Person undGesetztheit herauskehrt.

Indem so aber der Brahmane kraft der paradox gewendeten Weltucht-perspektive der Seele, die er am Scheitelpunkt, am Punkte des Ausstiegsaus der Welt, verkörpert und das heißt, ebensosehr arretiert und wider-ruft wie transzendiert und darstellt – indem der Brahmane also die ganzeweltliche Ordnung der Gesellschaft mit allen, teils sie begründenden,teils an ihr hängenden erscheinungsweltlichen Gegebenheiten als denebensosehr zur Via regia ausgebreiteten wie zur Scala sancta ausgebilde-ten Fluchtweg der Seele sanktioniert und mit Bestandsgarantie versieht,läßt er in der Tat die Garantieleistung des Herrn der theokratischen Ge-sellschaft obsolet, die priesterkönigliche Funktion einer opferkultlichenVerwandlung der negativitätserfüllt jenseitigen Macht in olympische Göt-ter, afrmative Reichtumseigner, jasagende Patrone der Erscheinungsweltüberüssig werden. Wohlgemerkt, die Garantieleistung der Opferfunkti-on läßt er überüssig werden, nicht hingegen die Opferfunktion selbst mitallem, was an ihr hängt, die Götter eingeschlossen. Dies alles gehört viel-mehr zur Ausstattung der als Heilsweg ausgelegten ständehierarchischen

Gesellschaft, stellt Requisit des mittels der Schichten oder Schübe der Ge-sellschaft inszenierten Fluchtwegs der Seele dar und ist als solches in dievom Brahmanen verkörperte paradoxe Bestandsgarantie einbezogen. AlsErb- oder Konkursmasse der um den Priesterkönig organisierten theo-kratischen Gesellschaft ist von der kleinsten und profansten bäuerlichen

185

Page 186: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 186/189

Verrichtung bis zur größten und heiligsten priesterlichen Opferhand-

lung alles in der auf den Brahmanen orientierten ständehierarchischenGesellschaft aufbewahrt und als exoterischer Bestandteil der in dieser Ge-sellschaft gestaltgewordenen esoterischen Seelenfuge gerechtfertigt – nureben, daß der Geist, von dem das im Prinzip unveränderte Ganze jetzterfüllt ist, nicht mehr die vom Priesterkönig als dem Repräsentanten derGötter kraft Opferkult ins Positive gewendete Negativität der transzen-denten Macht, sondern die im Brahmanen als der letzten Inkarnation desFluchtwegs kraft opferpriesterlichem Bestehen ins Stationäre verkehrteDynamik der transzendierenden Seele ist.

Und nicht einmal der Priesterkönig selbst ist von der brahmanischen

Bestandsgarantie ausgenommen. Als Teil der traditionellen hierarchi-schen Ordnung ist er Teil des zum kastengesellschaftlichen Szenariumartikulierten Fluchtwegs der Seele, den der interessierte Laienblick inder hierarchischen Ordnung dingfest gemacht und zum esoterischenKern des exoterischen Bestands dieser Ordnung erhoben hat. Und alsBestandteil des auf den laizistischen Heilsweg abgebildeten und als seineAußenseite reafrmierten gesellschaftlichen Ganzen bleibt der Priester-könig selbstverständlich in den ständehierarchischen Solidarpakt einbe-zogen. Nur daß er in ihm jetzt keine religiöse Funktion mehr hat, keinekultische Rolle mehr spielt, seine Bedeutung als opferkultlicher Garant

der Sanktionierung der gesellschaftlichen Ordnung durch die in Göt-ter verwandelte negativitätserfüllt transzendente Macht ein für allemaleingebüßt hat. Diese religiöse Funktion übernimmt jetzt der Laienstandselbst in der Person seines obersten Repräsentanten, des Brahmanen, derals das äußerste erscheinungsweltliche Gefäß der nach ihrer karmagetra-genen Flucht durch die gesellschaftliche Hierarchie vor der Einkehr insNichts der Erscheinungswelt, ins Wesen, stehenden Seele die letztere auf dem Scheitelpunkt ihrer Fluchtroute arretiert und als Mittel zur Sank-tionierung der ganzen von ihm angeführten Hierarchie nebst aller ihrererscheinungsweltlichen Voraussetzungen, mithin als Garantiemacht für

sämtliche Stationen der als ritueller Prozessionsweg dingfest gemachtenspirituellen Fluchtbahn zur Geltung bringt. Was dem Priesterkönig alsreafrmiertem Bestandteil des ständehierarchischen Corpus hiernach anFunktion bleibt, ist die profane herrscherliche Aufgabe der praktischenAufrechterhaltung der politischen Ordnung, der Ausübung polizeilicher,

186

Page 187: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 187/189

richterlicher, kriegerischer Gewalt – eine Aufgabe, die in zirkulärer Selbst-

setzung immer dann besonders virulent wird, wenn es dem solcherartprofanisierten Herrscher gelingt, durch kriegerische Gewalt ein größeres,in geographischer, ethnischer und ökonomischer Hinsicht heterogeneresund in seinem Zusammenhalt entsprechend stärker gefährdetes Gemein-wesen aufzubauen und sich als dessen Herrscher zu etablieren – eineAufgabe, die beim Überhandnehmen der dissoziativen Kräfte und Zerfallseiner Herrschaft in kleinere, homogenere Gemeinschaften aber auch oh-ne ihn wahrgenommen werden und der brahmanischen Kastenordnungselbst überlassen bleiben kann und die insofern, was die Notwendigkeitseiner politischen Existenz angeht, keine vollgültige Kompensation fürdie verlorene priesterköniglich-religiöse Funktion darstellt.

Nur als Möglichkeit, nicht als etwas Notwendiges fällt demnach derzum profanen Herrscher säkularisierte sakrale Priesterkönig unter die brahmanische Bestandsgarantie. Überhaupt nicht garantiert und auchund gerade der Möglichkeit nach ausgeschlossen bleibt am Ende nureiner: der Wesensverkünder buddhistischer Provenienz, der Repräsentantder weltüchtig-mönchischen Haltung. Mit der im sekundären Heilsweggründenden und im Brahmanen gipfelnden laizistischen Strategie einerder heilsbedürftigen Seele zugemuteten Stufenfolge von Inkarnationen,die nichts anderes reproduziert und also reafrmiert als die durch das Ab- bildungsverhältnis kastenförmig festgeschriebene Rangordnung der stän-dehierarchischen Gesellschaft als solcher – mit dieser Strategie verträgtsich der primäre Heilsweg einer als universales Heilsmittel angenom-menen mönchischen Haltung partout nicht mehr. Wie sollte sich auchder qua mönchische Haltung vorgesetzte unvermittelte Aufschwungder heilsbedürftigen Seele, der in nichts anderem als in einer radika-len Ablösung von der Erscheinungswelt und damit auch und natürlicheiner pauschalen Abstraktion von aller in der Erscheinungswelt grün-denden spezischen Gesellschaftsordnung oder ständisch differenziertenStruktur besteht, mit einer Einstellung vertragen, die eben jene ständischdifferenzierte Struktur wieder ins heilsprozessuale Spiel bringt, um sie

der armen Seele als Freitreppe oder Himmelsleiter für ihren dadurch zursozialen Klettertour oder prozessionsförmigen Karriere geratenden Auf-schwung anzudienen? So wahr der primäre Heilsweg der mönchischenHaltung eben das von vornherein und kategorisch ausschließt, was dersekundäre Heilsweg der laizistischen Seele als ein in die Länge und Breite

187

Page 188: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 188/189

der ständehierarchischen Ordnung entfaltetes heilsträchtiges Medium

oder heilsmittelbares Szenarium zur Geltung bringt und rechtfertigt, sowahr muß die Kultivierung der brahmanischen Religion, muß der vomLaienstand getragene und verbreitete Kult der auf dem Weg zum Heilalle sozialen Zustände sukzessive durchlebenden und als ihr exoterischesCorpus im doppelten Sinne des Wortes absolvierenden esoterischen Seeleeinhergehen mit einer Verdrängung jener abstraktiv mönchischen Hal-tung und Abschaffung der sie als universales Heilsmittel propagierendenLehreinrichtung und Ordensgemeinschaft. Neben dem Brahmanen alsder in der Fülle ihrer weltlichen Bindungen und sozialen Verpichtungen,kurz, im vollen Ornat ihrer hierarchisch-opferpriesterlichen Stellungparadox verkörperten sichselbstgleich-heilsbereiten Seele hat der bud-dhistische Mönch, der die heilsbereite Sichselbstgleichheit vielmehr in dieAblösung von allen, als Schein durchschauten weltlichen Bindungen undin die Abwendung von jeglichen, als Scheinexistenz gewahrten sozialenVerpichtungen setzt, keinen Raum mehr.

Raum gewinnt neben der brahmanisch verkörperten reinen Seele, ne- ben der in paradoxer coincidentia oppositorum materialisierten Spiri-tualität, höchstens und nur wieder der regressiv erneuerte Protest desAsketen und Eremiten, Fakirs und Büßers, der zwar Anstoß an jenerparadoxen Verquickung von Materialität und Spiritualität. exoterischerEinbettung in die Welt und esoterischer Weltucht nimmt, der aber dochzugleich die als äußere Hülle des Lebens der Seele geheiligte, als Pro-zessionsweg und Folge von Anhaltspunkten für die Absetzbewegungoder Weltucht der Seele gerechtfertigte Welt so wenig noch für Scheinerkennen, als imaginären, rein durch die Fluchtbewegung als solche zuüberwindenden Widerstand wahrnehmen kann, daß er vielmehr meint,sie mit den alten Mitteln leiblicher Kasteiung und geistiger Disziplinie-rung bekämpfen, sie zurückdämmen, einsperren, unterdrücken, aus-hungern, abtöten zu müssen. Hinter dieser regressiven Weltverneinung,die in concreto ihres aggressiven Umgangs mit den Erscheinungen, inpraxi ihrer negativen Okkupation mit der Welt ein prolongiert latentes

Festhalten an den Erscheinungen, eine insgeheime Bejahung der Welt bedeutet, verschwindet die mönchische Haltung als das der Einsichtin die Wesenlosigkeit der Erscheinungen, die Nichtigkeit der Welt ent-springende abstraktive Zusichkommen und meditative Insichgehen desBuddha.

188

Page 189: 3.1 nichts

8/19/2019 3.1 nichts

http://slidepdf.com/reader/full/31-nichts 189/189

Und zugleich mit der wesensverkündend mönchischen Haltung ver-

schwindet die in ihr gewahrte universale Heilsperspektive, die an dieElenden und Parias, die Ausgestoßenen der Gesellschaft gerichtete Ver-heißung, mit ihr, der in der Ordensgemeinschaft institutionalisierten undtradierten mönchischen Haltung, ein bei Bedarf jederzeit zur Verfügungstehendes Mittel zur Flucht aus der Welt und Erlösung vom Leiden, alsdas die Welt erscheint, an der Hand zu haben. Sie verschwindet, undan ihrer Stelle bleibt nicht nichts zurück, sondern der mitten durch dieständische Gesellschaft, quer durch die ganze hierarchische Ordnunghindurchgeführte und im Opferpriester alter Provenienz, im Brahmanen,als hierarchischem Schlußstein gipfelnde sekundäre Heilsweg. An ihnnden sich die Parias in ihrer Hoffnung auf Heil, ihrem Verlangen nachErlösung verwiesen. Der Weg zum Heil liegt demnach im Durchgangdurch eben das gesellschaftliche Corpus beschlossen das dadurch daß