Feuilleton 3. JUNI 2015 19 Mordfälle für die schönsten Wochen Neue Krimis Sie spielen dort, wo die Deutschen gerne ihren Urlaub verbringen Schöne Orte scheinen Verbrecher geradezu magisch anzuziehen: Commissario Brunetti geht seit mehr als zwei Jahrzehnten in Vene- dig die Arbeit nicht aus; Kluftinger hat seit mehr als einem Jahrzehnt alle Hände voll im Allgäu zu tun. Beide haben mittlerweile immer mehr Kollegen erhalten, die vor Bil- derbuchkulissen ermitteln und Lust auf Urlaub machen. Regionalkrimis stehen für Spannung in unmittelba- rer Nähe des eigenen Ferienhauses oder Hotels. Hier eine kleine Aus- wahl neuer Kriminalfälle, die in der Provence, in Andalusien, auf der In- sel Rügen, in den bayerischen Alpen und – mal wieder – in der Lagune spielen. Ein kleines Mädchen stirbt nach dem anderen Wo Tödlicher Lavendel blüht, also im südfranzösischen Le Lavandou, sucht der deut- sche Rechtsmedi- ziner Leon Ritter einen Neuanfang. Im packenden Debütroman von Remy Eyssen er- scheinen ihm bei der Obduktion ei- nes kleinen Mäd- chens die Todes- umstände ver- dächtig. Und der Polizeichef sowie der Bürgermeister möchten das Ganze am liebsten als Unfall unter den Teppich kehren. Leon Ritter je- doch sieht Parallelen zum angebli- chen Unfalltod eines anderen Kin- des, der einige Jahre zurückliegt. Als noch ein Mädchen stirbt, müs- sen die lokalen Honoratioren erken- nen, dass ein Serienmörder sein Un- wesen treibt. Eyssen bietet einen spannenden Kriminalfall bei flirren- der Hitze und spezifischen mediter- ranen Gerüchen im hochsommerli- chen Südfrankreich (464 Seiten, 9,99 Euro). Ein Dokument könnte die Geschichte auf den Kopf stellen Andalusien ist der Schauplatz eines Regionalkrimis von Eduard Freund- linger, der gleichzeitig tief in die spanische Geschichte zurückgreift. Die Hauptfigur Im Schatten der Al- hambra heißt Kommissar Rubén de Freitas, der beim Tauchen Über- reste einer spani- schen Armada entdeckt, die 1562 vor der Küs- te Andalusiens versank. Für Auf- regung sorgt da- bei ein gefunde- nes Dokument in altspanischer Sprache, das Frei- tas an eine Exper- tin zur Überset- zung weitergibt. Doch die Wissen- schaftlerin wird kurz darauf ermor- det. Also fragt sich der Kommissar, wer bereit ist, für seinen Fund über Leichen zu gehen. Das Schriftstück enthält solch politischen Spreng- stoff, dass es die spanische Ge- schichte auf den Kopf stellen könn- te. Freundlinger gelingt ein spekta- kulärer Andalusien-Roman mit aus- gesprochen unorthodoxen Figuren. Die Romanhandlung ist ein ge- schickter Mix aus Action-Krimi und Mystery-Thriller (416 Seiten, 9,99 Euro). Der Tod zweier Lesben Im Krimi Bernsteinmord von Katha- rina Peters ist die Ostseeinsel Rügen alles andere als eine Wohlfühloase. Vielmehr wird sie zum Brennpunkt aktueller gesellschaftlicher Proble- me: Die Physiotherapeutin und be- kennende Homosexuelle Mona Glu- ek wird grausam ermordet. Dahin- ter scheint Hass auf Schwule und Lesben zu stehen – zumindest ver- weist darauf ein Bekennervideo im Internet. Tra- gischerweise ist einen Monat zu- vor bereits Glueks Lebensgefährtin spurlos ver- schwunden. Viel Arbeit also für Kommissarin Romy Beccare, zumal sich das Mordopfer durch sein rücksichtsloses Auftreten viele Feinde gemacht hatte. Der Autorin gelingt es, das The- ma Homosexualität in eine fesselnde Geschichte einzubauen (319 Seiten, 9,99 Euro). Tödliche Schüsse auf einen Bestatter im Leichenwagen Wer es bayerisch deftig mag, der ist bei Andreas Föhr an der richtigen Adresse. In Wolfsschlucht lässt er sein Ermittlerteam Wallner/ Kreuthner erneut zur Hochform auflaufen. Die Kommissare aus Oberbayern müssen diesmal einem ebenso bizarren wie rätselhaften Kriminalfall nachgehen: Im Flüss- chen Mangfall wird ein Leichenwa- gen geborgen. Darin sitzt der mit mehreren Schüssen ermordete Be- statter Florian Scheffler. Wie sich zeigt, hängt sein Tod mit dem mys- teriösen Ver- schwinden einer jungen Frau zu- sammen. Die Spur führt die Kommissare in die unheimliche und schwer zu- gängliche Wolfs- schlucht in den Tegernseer Ber- gen. Humorvolle Dialoge wechseln sich mit düsteren und bedrohlichen Szenarien ab. Selbst an surrealen Elementen fehlt es nicht: Ein Wolf und eine neuzeit- liche Hexe treiben ihr Unwesen (400 Seiten, 14,99 Euro). Kostbare alte Bücher verschwinden Donna Leon schließlich greift in Tod zwischen den Zeilen wieder einmal ein gesellschaftliches Problem auf: Diebstahl in alten Bibliotheken, speziell in der ehrwürdigen venezia- nischen Biblioteca Merula. So bringt die mittlerweile 72-Jährige erneut ihre Vorliebe für wertvolle Folian- ten, unbezahlbare Klassiker und historische Niederschriften ein. Commissario Brunetti weiß, dass Delikte dieser Art auf dem Vor- marsch sind, aber selten die notwen- dige Aufmerksamkeit der Ermitt- lungsbehörden erhalten. Dennoch macht er sich in seinem 23. Fall ans Werk, nicht zu- letzt, da eine Mä- zenin der Biblio- thek eine bekann- te Contessa und die Freundin sei- ner Schwieger- mutter ist. Bru- netti ahnt schon bald, dass der Hauptverdächti- ge – angeblich ein US-Wissen- schaftler – nicht allein für die Ver- luste kostbarer alter Bücher verant- wortlich gemacht werden kann. Und dann wird auch noch ein seit Jahren bekannter Bibliotheks-Gast, der Ex-Priester Franchini, ermor- det . . . Diesmal aber gilt: ein nur mäßig spannender Donna Leon. Es ist ein bisschen wie nach Hause, in ein vertrautes Umfeld kommen (288 Seiten, 23,90 Euro). (sp, fk, dpa) Tod zwischen den Zeilen (Diogenes) Bernsteinmord (Aufbau) Wolfsschlucht (Knaur Verlag) Tödlicher Lavendel (Ullstein) Im Schatten der Alhambra (Piper)