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1
Merseburger Zaubersprche
1.
Eiris sazun idisi sazun hera duoder suma hapt heptidun suma heri
lezidun suma clu bodun umbi cuonio uindi insprinc hapt bandun inuar
uigandun .H.
Einst saen Idisen saen hier dorthin. einige die Haft hefteten,
einige das Heer lhmten, einige klaubten umher die Fesseln:
entspring den Haftbanden, entfahr den Weiganden
Einst saen Frauen, setzten sich hierher [und] dorthin. Einige
banden Fesseln, einige hielten das Heer auf, einige lsten
ringsumher die (Todes)Fesseln: Entspringe [dem] Fesselband,
entflieh den Feinden.
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2
2.
Phol ende uuodan uuorun zi holza du uuart demo balderes uolon
sin uuoz birenkict thu biguol en sinhtgunt sunna era suister thu
biguol en friia uolla era suister thu biguol en uuodan so he uuola
conda sose benrenki sose bluotrenki sose lidi renki ben zi bena
bluot zi bluoda lid zi geliden sose gelimida sin
Phol und Wodan fuhren zu Holze. da ward dem Balders Fohlen sein
Fu verrenkt. da besang ihn Sinthgunt, (der) Sun(na) (vgl. Sonne,
schn) ihre Schwester; da besang ihn Frija, (der) Volla ihre
Schwester; da besang ihn Wodan, so er wohl konnte: so die
Knochenrenkung, so die Blutrenkung, so die Gliederrenkung: Knochen
zu Knochen, Blut zu Blut, Glied zu Gliedern, so geleimt sie
seien.
ALTERNATIVE BERSETZUNG:
Phol und Wodan ritten ins Holz. Da wurde dem Fohlen Balders der
Fu verrenkt. Da besprach ihn Sinthgunt der Sunna, ihre Schwester
(oder: Sunnas Schwester); da besprach ihn Frija, der Volla, ihre
Schwester (oder: Vollas Schwester); da besprach ihn Wodan, wie nur
er es verstand: Sei es Knochenverrenkung, sei es Blutverrenkung,
sei es Gliedverrenkung: Knochen zu Knochen, Blut zu Blut, Glied zu
Gliedern, so seien sie fest gefgt.
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3
Hildebrandslied 8. Jahrhundert Fulda
Ik gihorta dat seggen, dat sih urhettun non muotin, Hiltibrant
enti Hadubrant untar heriun tuem. sunufatarungo iro saro
rihtun.
Ich hrte das sagen, dass sich Herausforderer einzeln abmhten:
Hildebrand und Hadubrand zwischen zwei Heeren. Sohn und Vater
bereiteten ihre Rstung,
garutun se iro gudhamun, gurtun sih iro suert ana, helidos, ubar
hringa, do sie to dero hiltiu ritun, Hiltibrant gimahalta: her uuas
heroro man, ferahes frotoro; her fragen gistuont fohem uuortum,
hwer sin fater wari
richteten ihre Kampfgewnder, grteten sich ihre Schwerter um, die
Helden, ber die Rstung, als sie zu dem Kampf ritten. Hildebrand
sagte, Heribrands Sohn, er war der ltere Mann, des Lebens
erfahrener, er begann zu fragen, mit wenigen Worten, wer sein Vater
gewesen sei
fireo in folche, ................... .................. 'eddo
hwelihhes cnuosles du sis. ibu du mi enan sages, ik mi de odre
uuet, chind, in chunincriche: chud ist mir al irmindeot'. Hadubrant
gimahalta, Hiltibrantes sunu:
unter den Menschen im Volke... "...oder aus welchem Volke du
bist wenn Du mir einen nennst, kenne ich die anderen Menschen im
Reich, bekannt ist mir die ganze Menschheit". Hadubrand sagte,
Hildebrands Sohn:
'dat sagetun mi usere liuti, alte anti frote, dea erhina warun,
dat Hiltibrant htti min fater: ih heittu Hadubrant. forn her ostar
giweit, floh her Otachres nid, hina miti Theotrihhe enti sinero
degano filu.
"Das sagten mir unsere Leute, alte und weise, die frher schon da
lebten, dass Hildebrand mein Vater heie, ich heie Hadubrand.
Vormals ist er nach Osten geritten, er floh den Zorn Odoakers,
dorthin mit Dietrich und vielen seiner Kmpfer.
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4
her furlaet in lante luttila sitten prut in bure, barn unwahsan,
arbeo laosa: her raet ostar hina. des sid Detrihhe darba gistuontun
fateres mines: dat uuas so friuntlaos man.
Er lie im Lande arm zurck die Frau in der Htte und den
unerwachsenen Sohn erblos: Er ritt nach Osten hin. Deswegen erlitt
seither Dietrich die Abwesenheit meines Vaters: Der war ein so
freundloser Mann.
her was Otachre ummet tirri, degano dechisto miti Deotrichhe.
her was eo folches at ente: imo was eo fehta ti leop: chud was
her... chonnem mannum. ni waniu ih iu lib habbe'...
Er zrnte Odoaker unmig, der liebste der Kmpfer Dietrichs. Er war
immer an der Spitze des Heeres, ihm war immer der
Kampf zu lieb, Bekannt war er...den Tapfersten. Ich glaube
nicht, da er noch lebt..."
'wettu irmingot obana ab hevane, dat du neo dana halt mit sus
sippan man dinc ni gileitos'... want her do ar arme wuntane bauga,
cheisuringu gitan, so imo se der chuning gap,
"Weit Du Gott", sprach Hildebrand, "oben vom Himmel, da du
niemals solchermaen verwandte Mnner in eine Angelegenheit hast
geraten lassen!" Er wand sich dann von den Armen gewundene Ringe
ab, aus kaiserlichem Gold gemacht, wie sie ihm der Knig gab,
Huneo truhtin: 'dat ih dir it nu bi huldi gibu'. Hadubrant
gimahalta, Hiltibrantes sunu: 'mit geru scal man geba infahan, ort
widar orte. ................ du bist dir alter Hun, ummet
spaher,
der Herrscher der Hunnen. "Das gebe ich dir nun aus
Freundschaft!"
Hadubrant, Hildebrands Sohn, sagte: "Mit dem Speer soll man
Geschenke annehmen, Spitze gegen Spitze! Du dnkst dich, alter
Hunne, unmig schlau.
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5
spenis mih mit dinem wortun, wili mih dinu speru werpan. pist
also gialtet man, so du ewin inwit fortos. dat sagetun mi
seolidante westar ubar wentilseo, dat inan wic furnam: tot ist
Hiltibrant, Heribrantes suno'.
Verlockst mich mit deinen Worten, willst deinen Speer nach mir
werfen. Du bist ein so alter Mann, wie du ewig Betrug im Sinn hast.
Das sagten mir Seeleute, westlich ber dem Ozean, dass ihn ein Kampf
hinnahm: Tot ist Hildebrand, Heribrands Sohn!"
Hiltibrant gimahalta, Heribrantes suno: 'wela gisihu ih in dinem
hrustim, dat du habes heme herron goten, dat du noh bi desemo riche
reccheo ni wurti'.- 'welaga nu, waltant got, wewurt skihit.
Hildebrand, Heribrands Sohn, sagte: "Wohl sehe ich an deiner
Rstung, da du daheim einen guten Herrn hast, da du in diesem Reich
noch nie vertrieben wurdest. Wohlan, nun walte Gott, sagte
Hildebrand, Unheil geschieht:
ih wallota sumaro enti wintro sehstic ur lante, dar man mih eo
scerita in folc sceotantero: so man mir at burc enigeru banun ni
gifasta, nu scal mih suasat chind suertu hauwan, breton mit sinu
billiu, eddo ih imo ti banin werdan.
Ich wanderte 60 Sommer und Winter auer Landes; wo man mich immer
in das Heer der Kmpfer einordnete. Wenn man mir an jedweder Burg
den Tod nicht beibringen
konnte: Nun soll mich das eigene Kind mit dem Schwerte schlagen,
niederschmettern mit der Klinge, oder aber ich werde ihm zum
Tter.
doh maht du nu aodlihho, ibu dir din ellen taoc, in sus heremo
man hrusti giwinnan, rauba birahanen, ibu du dar enic reht habes'.
'der si doh nu argosto ostarliuto, der dir nu wiges warne, nu dih
es so wel lustit,
Du kannst wohl leicht -wenn deine Kraft (dir) ausreicht- von
einem so alten Mann eine Rstung gewinnen, Beute rauben, wenn Du da
irgendein Recht hast.
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6
Der sei doch nun der feigste, sagte Hildebrand, von den
Ostleuten, der dir nun den Kampf verweigerte, wo es dich doch so
sehr gelstet,
gudea gimeinun: niuse de motti, hwerdar sih hiutu dero hregilo
rumen muotti, erdo desero brunnono bedero uualtan'. do lettun se
rist asckim scritan, scarpen scurim: dat in dem sciltim stont.
nach gemeinsamem Kampf; (nun) versuche wer mag, wer von beiden
heute das Gewand lassen mu und dieser Brnnen beider walten (wird)."
Dann lieen sie zuerst die Eschenlanzen bersten in scharfem Kampf,
da sie in den Schilden steckten.
do stoptun to samane staim bort chludun, heuwun harmlicco huitte
scilti, unti im iro lintun luttilo wurtun, giwigan miti wabnum
................
Da ritten sie gegeneinander, spalteten farbige Schilde, schlugen
gefhrlich auf weie Schilde, bis ihnen ihre Lindenschilde zu Bruch
gingen, zerstrt von den Waffen...
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7
Der von Krenberg
Ich zch mir einen valken mre danne ein jr. d ich in gezamete,
als ich in wolte hn, und ich im sn gevidere mit golde wol bewant,
er huop sich f vil hhe und floug in anderiu lant.
St sach ich den valken schne fliegen: er fuorte an snem fuoze
sdne riemen, und was im sn gevidere alrt guldn. got sende si
zesamene, die geliep wellen gerne sn!
Ich zog mir einen Falken heran, lnger als ein Jahr. Als ich ihn
gezhmt hatte, so wie ich ihn haben wollte, und ich ihm sein
Gefieder mit Gold schn geschmckt hatte, hob er sich empor und flog
in ein anderes Land.
Seither sah ich den Falken herrlich dahinfliegen: Er trug an
seinem Fang seidene Bnder, und sein Gefieder war ganz rotgolden.
Gott sende die zusammen, die gerne geliebt sein wollen!
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8
Walther von der Vogelweide
Under der linden an der heide, d unser zweier bette was, d muget
ir vinden schne beide gebrochen bluomen unde gras. Vor dem walde in
einem tal, tandaradei, schne sanc diu nahtegal.
Unter der Linden an der Waldung, wo unser beider Bette war, dort
mgt ihr finden lieblich beides gebrochen Blumen und auch Gras. Vor
dem Wald in einem Tal, tandaradei, lieblich sang die
Nachtigall.
Ich kam gegangen zuo der ouwe, d was mn friedel komen . D wart
ich enpfangen, hre frouwe, daz ich bin slic iemer m. Kuster mich?
Wol tsentstunt: tandaradei, seht, wie rt mir ist der munt.
Ich kam gegangen zu der Aue, da war mein Liebster gekommen schon
Dort ward ich empfangen, bei Maria! so dass ich fr immer seelig
bin. Ksst' er mich? Wohl tausendmal! Tandaradei, seht, wie rot mir
ist der Mund.
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9
D het er gemachet als rche von bluomen eine bettestat. Des wirt
noch gelachet inneclche, kumt iemen an daz selbe pfat. B den rsen
er wol mac, tandaradei, merken, w mirz houbet lac.
Da hatte er gemachet derart reich aus Blumen eine Bettstatt.
Darber wird jetzt noch gelachet inniglich, kommt jemand lang
denselben Pfad. An den Rosen er wohl mag, tandaradei, merken, wo
das Haupt mir lag.
Daz er b mir lge, wessez iemen (n enwelle got!), s schamt ich
mich. Wes er mit mir pflge, niemer niemen bevinde daz, wan er und
ich, und ein kleinez vogelln - tandaradei, daz mac wol getriuwe
sn.
Dass er bei mir lag, wsste das jemand (das wolle Gott nicht!),
dann wrde ich mich schmen. Was er mit mir tat, das soll nie jemand
erfahren, auer er und ich und ein kleines Vgelein, tandaradei, das
mag wohl verschwiegen sein.
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10
Martin Luther
Ein feste Burg
Der 46. Psalm: Deus noster refugium et virtus
Ein feste Burg ist unser Gott, Ein gute Wehr und Waffen. Er
hilft uns frei aus aller Not, Die uns jetzt hat betroffen. Der alt
bse Feind Mit Ernst ers jetzt meint, Gro Macht und viel List Sein
grausam Rstung ist, Auf Erd ist nicht seinesgleichen.
Mit unsrer Macht ist nichts getan, Wir sind gar bald verloren,
Es streit fr uns der Rechte Mann, Den Gott hat selbst erkoren.
Fragst du, wer der ist? Es heit Jesu Christ, Der Herr Zebaoth, Und
ist kein ander Gott, Das Feld mu er behalten.
Und wenn die Welt voll Teufel wr Und wollt uns gar verschlingen,
So frchten wir uns nicht so sehr, Es soll uns doch gelingen. Der
Frst dieser Welt, Wie saur er sich stellt, Tut er uns doch nicht,
Das macht, er ist gericht, Ein Wrtlein kann ihn fllen.
Das Wort sie sollen lassen stahn Und keinen Dank dazu haben, Er
ist bei uns wohl auf dem Plan Mit seinem Geist und Gaben. Nehmen
sie den Leib, Gut, Ehr, Kind und Weib, La fahren dahin, Sie habens
kein Gewinn, Das Reich mu uns doch bleiben.
Klugsches Gesangbuch, 1529
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11
Christian Hofmann von Hofmannswaldau
Sonnet. Vergnglichkeit der schnheit.
ES wird der bleiche tod mit seiner kalten hand Dir endlich mit
der zeit umb deine brste streichen / Der liebliche corall der
lippen wird verbleichen; Der schultern warmer schnee wird werden
kalter sand / Der augen ssser blitz / die krffte deiner hand / Fr
welchen solches fllt / die werden zeitlich weichen / Das haar / das
itzund kan des goldes glantz erreichen / Tilgt endlich tag und jahr
als ein gemeines band. Der wohlgesetzte fu / die lieblichen gebrden
/ Die werden theils zu staub / theils nichts und nichtig werden /
Denn opfert keiner mehr der gottheit deiner pracht. Di und noch
mehr als di mu endlich untergehen / Dein hertze kan allein zu aller
zeit bestehen / Dieweil es die natur aus diamant gemacht.
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12
Andreas Gryphius
Trnen des Vaterlandes
Wir sind doch nunmehr ganz, ja mehr denn ganz verheeret! Der
frechen Vlker Schar, die rasende Posaun Das vom Blut fette Schwert,
die donnernde Karthaun Hat aller Schwei, und Flei, und Vorrat
aufgezehret.
Die Trme stehn in Glut, die Kirch' ist umgekehret. Das Rathaus
liegt im Graus, die Starken sind zerhaun, Die Jungfern sind
geschnd't, und wo wir hin nur schaun Ist Feuer, Pest, und Tod, der
Herz und Geist durchfhret.
Hier durch die Schanz und Stadt rinnt allzeit frisches Blut.
Dreimal sind schon sechs Jahr, als unser Strme Flut Von Leichen
fast verstopft, sich langsam fort gedrungen.
Doch schweig ich noch von dem, was rger als der Tod, Was grimmer
denn die Pest, und Glut und Hungersnot, Da auch der Seelen Schatz
so vielen abgezwungen.
Es ist alles Eitel
DV sihst / wohin du sihst nur Eitelkeit auff Erden. Was diser
heute baut / reist jener morgen ein: Wo itzund Stdte stehn / wird
eine Wisen seyn / Auff der ein Schfers-Kind wird spilen mit den
Herden: Was itzund prchtig blht / sol bald zutretten werden Was
itzt so pocht und trotzt ist Morgen Asch und Bein / Nichts ist /
das ewig sey / kein Ertz / kein Marmorstein. Itzt lacht das Glck
uns an / bald donnern die Beschwerden. Der hohen Thaten Ruhm mu wie
ein Traum vergehn. Soll denn das Spil der Zeit / der leichte Mensch
bestehn? Ach! was ist alles di / was wir vor kstlich achten / Als
schlechte Nichtikeit / als Schatten/ Staub und Wind; Als eine
Wisen-Blum / die man nicht wider find't. Noch will was Ewig ist
kein einig Mensch betrachten!
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13
Einsamkeit
IN diser Einsamkeit / der mehr denn den Wsten Gestreckt auff
wildes Kraut / an die bemote See: Beschau ich jenes Thal und diser
Felsen Hh' Auff welchem Eulen nur und stille Vgel nisten. Hir /
fern von dem Pallast; weit von des Pvels Lsten Betracht ich: wie
der Mensch in Eitelkeit vergeh' Wie auff nicht festem Grund' all
unser Hoffen steh' Wie die vor Abend schmhn die vor dein Tag uns
grten'. Die Hl' / der rauhe Wald der Todtenkopff / der Stein Den
auch die Zeit aufffrist / die abgezehrten Bein Entwerffen in dem
Mutt unzehliche Gedancken. Der Mauren alter Grau / di ungebau'te
Land Ist schn und fruchtbar nur / der eigentlich erkant Da alles /
ohn ein Geist / den Gott selbst hlt / mu wancken.
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14
Christian Frchtegott Gellert
Der gtige Besuch
Ein offner Kopf, ein muntrer Geist, Kurz, einer von den feinen
Leuten, Die ihr Beruf zu Neuigkeiten Nie denken, ewig reden heit;
Die mit Gewalt es haben wollen, Da Kluge nrrisch werden sollen; Ein
solcher Schwtzer trat herein, Dem Dichter den Besuch zu geben. "O!"
rief er, "welch ein traurig Leben! Wie? schlafen Sie denn nicht bei
ihren Bchern ein? So sind Sie denn so ganz allein, Und mssen gar
vor Langerweile lesen? Ich dacht es wohl, drum kam ich so
geschwind."
"Ich bin", sprach der Poet, "noch nie allein gewesen Als seit
der Zeit, da sie zugegen sind."
Der Arme und das Glck
Ein armer Mann, verseh'n zum Graben, Wollt' jetzt ein besser
Schicksal haben, Und rief das Glck um Beistand an. Das Glck erhrte
sein Verlangen: Er fand, indem er grub, zwei starke gold'ne
Stangen; Allein der ungeschickte Mann Sah sie fr altes Messing an,
Und gab fr wenig Geld den Reichtum aus den Hnden, Fuhr fort und bat
das Glck, doch mehr ihm zuzuwenden. "O Tor!" rief ihm die Gottheit
zu, "Was qulst du mich, dich zu beglcken? Wer wre reicher jetzt als
du, Wenn du gewut, dich in dein Glck zu schicken?"
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15
Der Blinde und der Lahme
Von ungefhr mu einen Blinden Ein Lahmer auf der Strae finden,
Und jener hofft schon freudenvoll, Da ihn der andre leiten
soll.
"Dir", spricht der Lahme, "beizustehen? Ich armer Mann kann
selbst nicht gehen; Doch scheint's, da du zu einer Last Noch sehr
gesunde Schultern hast.
Entschliee dich, mich fortzutragen, So will ich dir die Stege
sagen: So wird dein starker Fu mein Bein, Mein helles Auge deines
sein."
Der Lahme hngt mit seinen Krcken Sich auf des Blinden breiten
Rcken. Vereint wirkt also dieses Paar, Was einzeln keinem mglich
war.
Du hast das nicht, was andre haben, Und andern mangeln deine
Gaben; Aus dieser Unvollkommenheit Entspringet die
Geselligkeit.
Wenn jenem nicht die Gabe fehlte, Die die Natur fr mich erwhlte,
So wrd er nur fr sich allein Und nicht fr mich bekmmert sein.
Beschwer die Gtter nicht mit Klagen! Der Vorteil, den sie dir
versagen Und jenem schenken, wird gemein, Wir drfen nur gesellig
sein.
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16
Matthias Claudius
Abendlied
Der Mond ist aufgegangen, Die goldnen Sternlein prangen Am
Himmel hell und klar; Der Wald steht schwarz und schweiget, Und aus
den Wiesen steiget Der weie Nebel wunderbar.
Wie ist die Welt so stille, Und in der Dmmrung Hlle So traulich
und so hold! Als eine stille Kammer, Wo ihr des Tages Jammer
Verschlafen und vergessen sollt.
Seht ihr den Mond dort stehen? Er ist nur halb zu sehen, Und ist
doch rund und schn! So sind wohl manche Sachen, Die wir getrost
belachen, Weil unsre Augen sie nicht sehn.
Wir stolze Menschenkinder Sind eitel arme Snder Und wissen gar
nicht viel;
Wir spinnen Luftgespinste Und suchen viele Knste Und kommen
weiter von dem Ziel.
Gott,la uns dein Heil schauen, Auf nichts Vergnglichs trauen,
Nicht Eitelkeit uns freun! La uns einfltig werden Und vor dir hier
auf Erden Wie Kinder fromm und frhlich sein!
Wollst endlich sonder Grmen Aus dieser Welt uns nehmen Durch
einen sanften Tod! Und, wenn du uns genommen, La uns in Himmel
kommen, Du unser Herr und unser Gott!
So legt euch denn, ihr Brder, In Gottes Namen nieder; Kalt ist
der Abendhauch. Verschon uns, Gott! mit Strafen, Und la uns ruhig
schlafen! Und unsern kranken Nachbar auch!
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17
Johann Wolfgang von Goethe
Wanderers Sturmlied
Wen du nicht verlssest, Genius, Nicht der Regen, nicht der Sturm
Haucht ihm Schauer bers Herz. Wen du nicht verlssest, Genius, Wird
dem Regengewlk, Wird dem Schloensturm Entgegensingen, Wie die
Lerche, Du da droben.
Den du nicht verlssest, Genius, Wirst ihn heben bern Schlammpfad
Mit den Feuerflgeln. Wandeln wird er Wie mit Blumenfen ber
Deukalions Flutschlamm, Python ttend, leicht, gro, Pythius
Apollo.
Den du nicht verlssest, Genius, Wirst die wollnen Flgel
unterspreiten, Wenn er auf dem Felsen schlft, Wirst mit
Hterfittichen ihn decken In des Haines Mitternacht.
Wen du nicht verlssest, Genius, Wirst im Schneegestber
Wrmumhllen; Nach der Wrme ziehn sich Musen, Nach der Wrme
Charitinnen.
Umschwebt mich, ihr Musen, ihr Charitinnen! Das ist Wasser, das
ist Erde, Und der Sohn des Wassers und der Erde, ber den ich wandle
Gttergleich.
Ihr seid rein, wie das Herz der Wasser, Ihr seid rein, wie das
Mark der Erde, Ihr umschwebt mich, und ich schwebe ber Wasser, ber
Erde, Gttergleich.
Soll der zurckkehren, Der kleine, schwarze, feurige Bauer? Soll
der zurckkehren, erwartend Nur deine Gaben, Vater Bromius, Und
helleuchtend umwrmend Feuer? Der kehren mutig?
Und ich, den ihr begleitet, Musen und Charitinnen alle, Den
alles erwartet, was ihr, Musen und Charitinnen, Umkrnzende
Seligkeit, Rings ums Leben verherrlicht habt, Soll mutlos
kehren?
Vater Bromius! Du bist Genius, Jahrhunderts Genius, Bist, was
innre Glut Pindarn war, Was der Welt Phbus Apoll ist.
Weh! Weh! Innre Wrme, Seelenwrme, Mittelpunkt! Glh entgegen Phb
Apollen; Kalt wird sonst Sein Frstenblick ber dich vorbergleiten,
Neidgetroffen Auf der Zeder Kraft verweilen, Die zu grnen Sein
nicht harrt.
Warum nennt mein Lied dich zuletzt? Dich, von dem es begann,
Dich, in dem es endet, Dich, aus dem es quillt, Jupiter Pluvius!
Dich, dich strmt mein Lied, Und kastalischer Quell Rinnt ein
Nebenbach,
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18
Rinnet Migen, Sterblich Glcklichen Abseits von dir, Der du mich
fassend deckst, Jupiter Pluvius!
Nicht am Ulmenbaum Hast du ihn besucht, Mit dem Taubenpaar In
dem zrtlichen Arm, Mit der freundlichen Ros umkrnzt, Tndelnden ihn,
blumenglcklichen Anakreon, Sturmatmende Gottheit!
Nicht im Pappelwald An des Sybaris Strand, An des Gebirgs
Sonnebeglnzter Stirn nicht Fatest du ihn,
Den Blumen-singenden, Honig-lallenden, Freundlich winkenden
Theokrit.
Wenn die Rder rasselten, Rad an Rad rasch ums Ziel weg, Hoch
flog Siegdurchglhter Jnglinge Peitschenknall, Und sich Staub wlzt',
Wir vom Gebirg herab Kieselwetter ins Tal, Glhte deine Seel
Gefahren, Pindar, Mut. - Glhte? - Armes Herz! Dort auf dem Hgel,
Himmlische Macht! Nur so viel Glut, Dort meine Htte, Dorthin zu
waten!
An Schwager Kronos
Spute dich, Kronos! Fort den rasselnden Trott! Bergab gleitet
der Weg; Ekles Schwindeln zgert Mir vor die Stirne dein Zaudern.
Frisch, holpert es gleich, ber Stock und Steine den Trott Rasch ins
Leben hinein!
Nun schon wieder Den eratmenden Schritt Mhsam Berg hinauf. Auf
denn, nicht trge denn, Strebend und hoffend hinan!
Weit, hoch, herrlich der Blick Rings ins Leben hinein, Vom Gebrg
zum Gebrg, Schwebet der ewige Geist, Ewigen Lebens ahndevoll.
Seitwrts des berdachs Schatten Zieht dich an Und ein Frischung
verheiender Blick
Auf der Schwelle des Mdchens da. Labe dich! - Mir auch, Mdchen,
Diesen schumenden Trank Diesen frischen Gesundheitsblick!
Ab dann, frischer hinab! Sieh, die Sonne sinkt. Eh sie sinkt, eh
mich fat Greisen im Moore Nebelduft, Entzahnte Kiefer schnattern
Und das schlotternde Gebein
Trunknen vom letzten Strahl Rei mich, ein Feuermeer Mir
schumenden Aug, Mich Geblendeten, Taumelnden In der Hlle nchtliches
Tor!
Tne, Schwager, ins Horn, Rale den schallenden Trab, Da der Orkus
vernehme: ein Frst kommt, Drunten von ihren Sitzen Sich die
Gewaltigen lften.
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19
Prometheus
Bedecke deinen Himmel, Zeus, Mit Wolkendunst Und be, dem Knaben
gleich, Der Disteln kpft, An Eichen dich und Bergeshhn; Musst mir
meine Erde Doch lassen stehn Und meine Htte, die du nicht gebaut,
Und meinen Herd, Um dessen Glut Du mich beneidest.
Ich kenne nichts rmeres Unter der Sonn als euch, Gtter! Ihr
nhret kmmerlich Von Opfersteuern Und Gebetshauch Eure Majestt Und
darbtet, wren Nicht Kinder und Bettler Hoffnungsvolle Toren.
Da ich ein Kind war, Nicht wusste, wo aus noch ein, Kehrt ich
mein verirrtes Auge Zur Sonne, als wenn drber wr Ein Ohr, zu hren
meine Klage, Ein Herz wie meins, Sich des Bedrngten zu
erbarmen.
Wer half mir Wider der Titanen bermut? Wer rettete vom Tode
mich, Von Sklaverei? Hast du nicht alles selbst vollendet, Heilig
glhend Herz? Und glhtest jung und gut, Betrogen, Rettungsdank Dem
Schlafenden da droben?
Ich dich ehren? Wofr? Hast du die Schmerzen gelindert Je des
Beladenen? Hast du die Trnen gestillet Je des Gengsteten? Hat nicht
mich zum Manne geschmiedet Die allmchtige Zeit Und das ewige
Schicksal, Meine Herrn und deine?
Whntest du etwa, Ich sollte das Leben hassen, In Wsten fliehen,
Weil nicht alle Bltentrume reiften?
Hier sitz ich, forme Menschen Nach meinem Bilde, Ein Geschlecht,
das mir gleich sei, Zu leiden, zu weinen, Zu genieen und zu freuen
sich, Und dein nicht zu achten, Wie ich!
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20
Seefahrt
Lange Tag' und Nchte stand mein Schiff befrachtet; Gnst'ger
Winde harrend, sa mit treuen Freunden, Mir Geduld und guten Mut
erzechend, Ich im Hafen.
Und sie waren doppelt ungeduldig: "Gerne gnnen wir die
schnellste Reise, Gern die hohe Fahrt dir; Gterflle Wartet drben in
den Welten deiner, Wird Rckkehrendem in unsern Armen Lieb und Preis
dir."
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21
Und am frhen Morgen ward's Getmmel, Und dem Schlaf entjauchzt
uns der Matrose, Alles wimmelt, alles lebet, webet, Mit dem ersten
Segenshauch zu schiffen.
Und die Segel blhen in dem Hauche, Und die Sonne lockt mit
Feuerliebe; Ziehn die Segel, ziehn die hohen Wolken, Jauchzen an
dem Ufer alle Freunde Hoffnungslieder nach, im Freudetaumel
Reisefreuden whnend wie des Einschiffmorgens, Wie der ersten hohen
Sternennchte.
Aber gottgesandte Wechselwinde treiben Seitwrts ihn der
vorgesteckten Fahrt ab, Und er scheint sich ihnen hinzugeben,
Strebet leise sie zu berlisten, Treu dem Zweck auch auf dem
schiefen Wege.
Aber aus der dumpfen, grauen Ferne Kndet leisewandelnd sich der
Sturm an, Drckt die Vgel nieder aufs Gewsser, Druckt der Menschen
schwellend Herz darnieder, Und er kommt. Vor seinem starren Wten
Streckt der Schiffer klug die Segel nieder, Mit dem angsterfllten
Balle spielen Wind und Wellen.
Und an jenem Ufer drben stehen Freund' und Lieben, beben auf dem
Festen: "Ach, warum ist er nicht hier geblieben! Ach, der Sturm!
Verschlagen weg vom Glcke! Soll der Gute so zugrunde gehen? Ach, er
sollte, ach, er knnte! Gtter!"
Doch er stehet mnnlich an dem Steuer; Mit dem Schiffe spielen
Wind und Wellen; Wind und Wellen nicht mit seinem Herzen:
Herrschend blickt er auf die grimme Tiefe Und vertrauet, scheiternd
oder landend, Seinen Gttern.
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22
Johann Wolfgang Goethe
Das Gttliche
Edel sei der Mensch Hilfreich und gut! Denn das allein
Unterscheidet ihn Von allen Wesen, Die wir kennen.
Heil den unbekannten Hhern Wesen Die wir ahnen! Ihnen gleiche
der Mensch! Sein Beispiel lehr uns Jene glauben.
Denn unfhlend Ist die Natur: Es leuchtet die Sonne ber Bs und
Gute Und dem Verbrecher Glnzen wie dem Besten der Mond und die
Sterne.
Wind und Strme, Donner und Hagel Rauschen ihren Weg Und
ergreifen Vorber eilend Einen um den andern.
Auch so das Glck Tappt unter die Menge, Fat bald des Knaben
Lockige Unschuld, Bald auch den kahlen Schuldigen Scheitel.
Nach ewigen, ehrnen, Groen Gesetzen Mssen wir alle Unseres
Daseins Kreise vollenden.
Nur allein der Mensch Vermag das Unmgliche: Er unterscheidet,
Whlet und richtet; Er kann dem Augenblick Dauer verleihen.
Er allein darf Den Guten lohnen, Den Bsen strafen, Heilen und
retten, Alles Irrende, Schweifende Ntzlich verbinden.
Und wir verehren Die Unsterblichen, Als wren sie Menschen, Tten
im groen, Was der Beste im kleinen tut oder mchte.
Der edle Mensch Sei hilfreich und gut! Unermdet schaff er Das
Ntzliche, Rechte, Sei uns ein Vorbild Jener geahneten Wesen
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23
Friedrich Schiller
Die Brgschaft
Zu Dionys, dem Tyrannen, schlich Damon, den Dolch im Gewande:
Ihn schlugen die Hscher in Bande, "Was wolltest du mit dem Dolche?
sprich!" Entgegnet ihm finster der Wterich. "Die Stadt vom Tyrannen
befreien!" "Das sollst du am Kreuze bereuen."
"Ich bin", spricht jener, "zu sterben bereit Und bitte nicht um
mein Leben: Doch willst du Gnade mir geben, Ich flehe dich um drei
Tage Zeit, Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit; Ich lasse den
Freund dir als Brgen, Ihn magst du, entrinn' ich, erwrgen."
Da lchelt der Knig mit arger List Und spricht nach kurzem
Bedenken: "Drei Tage will ich dir schenken; Doch wisse, wenn sie
verstrichen, die Frist, Eh' du zurck mir gegeben bist, So mu er
statt deiner erblassen, Doch dir ist die Strafe erlassen."
Und er kommt zum Freunde: "Der Knig gebeut, Da ich am Kreuz mit
dem Leben Bezahle das frevelnde Streben. Doch will er mir gnnen
drei Tage Zeit, Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit; So bleib
du dem Knig zum Pfande, Bis ich komme zu lsen die Bande."
Und schweigend umarmt ihn der treue Freund Und liefert sich aus
dem Tyrannen; Der andere ziehet von dannen. Und ehe das dritte
Morgenrot scheint, Hat er schnell mit dem Gatten die Schwester
vereint, Eilt heim mit sorgender Seele, Damit er die Frist nicht
verfehle.
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24
Da giet unendlicher Regen herab, Von den Bergen strzen die
Quellen, Und die Bche, die Strme schwellen. Und er kommt ans Ufer
mit wanderndem Stab, Da reiet die Brcke der Strudel herab, Und
donnernd sprengen die Wogen Des Gewlbes krachenden Bogen.
Und trostlos irrt er an Ufers Rand: Wie weit er auch sphet und
blicket Und die Stimme, die rufende, schicket. Da stet kein Nachen
vom sichern Strand, Der ihn setze an das gewnschte Land, Kein
Schiffer lenket die Fhre, Und der wilde Strom wird zum Meere.
Da sinkt er ans Ufer und weint und fleht, Die Hnde zum Zeus
erhoben: "O hemme des Stromes Toben! Es eilen die Stunden, im
Mittag steht Die Sonne, und wenn sie niedergeht Und ich kann die
Stadt nicht erreichen, So mu der Freund mir erbleichen."
Doch wachsend erneut sich des Stromes Wut, Und Welle auf Welle
zerrinnet, Und Stunde an Stunde entrinnet. Da treibt ihn die Angst,
da fat er sich Mut Und wirft sich hinein in die brausende Flut Und
teilt mit gewaltigen Armen Den Strom, und ein Gott hat
Erbarmen.
Und gewinnt das Ufer und eilet fort Und danket dem rettenden
Gotte; Da strzet die raubende Rotte Hervor aus des Waldes
nchtlichem Ort, Den Pfad ihm sperrend, und schnaubet Mord Und
hemmet des Wanderers Eile Mit drohend geschwungener Keule.
"Was wollt ihr?" ruft er vor Schrecken bleich, "Ich habe nichts
als mein Leben, Das mu ich dem Knige geben!" Und entreit die Keule
dem nchsten gleich: "Um des Freundes willen erbarmet euch!" Und
drei mit gewaltigen Streichen Erlegt er, die andern entweichen.
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25
Und die Sonne versendet glhenden Brand, Und von der unendlichen
Mhe Ermattet sinken die Kniee. "O hast du mich gndig aus
Rubershand, Aus dem Strom mich gerettet ans heilige Land, Und soll
hier verschmachtend verderben, Und der Freund mir, der liebende,
sterben!"
Und horch! da sprudelt es silberhell, Ganz nahe, wie rieselndes
Rauschen, Und stille hlt er, zu lauschen; Und sieh, aus dem Felsen,
geschwtzig, schnell, Springt murmelnd hervor ein lebendiger Quell,
Und freudig bckt er sich nieder Und erfrischet die brennenden
Glieder.
Und die Sonne blickt durch der Zweige Grn Und malt auf den
glnzenden Matten Der Bume gigantische Schatten; Und zwei Wanderer
sieht er die Strae ziehn, Will eilenden Laufes vorber fliehn, Da
hrt er die Worte sie sagen: "Jetzt wird er ans Kreuz
geschlagen."
Und die Angst beflgelt den eilenden Fu, Ihn jagen der Sorge
Qualen; Da schimmern in Abendrots Strahlen Von ferne die Zinnen von
Syrakus, Und entgegen kommt ihm Philostratus, Des Hauses redlicher
Hter, Der erkennet entsetzt den Gebieter:
"Zurck! du rettest den Freund nicht mehr, So rette das eigene
Leben! Den Tod erleidet er eben. Von Stunde zu Stunde gewartet' er
Mit hoffender Seele der Wiederkehr, Ihm konnte den mutigen Glauben
Der Hohn des Tyrannen nicht rauben."
"Und ist es zu spt, und kann ich ihm nicht, Ein Retter,
willkommen erscheinen, So soll mich der Tod ihm vereinen. Des rhme
der blut'ge Tyrann sich nicht, Da der Freund dem Freunde gebrochen
die Pflicht, Er schlachte der Opfer zweie Und glaube an Liebe und
Treue!"
Und die Sonne geht unter, da steht er am Tor,
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26
Und sieht das Kreuz schon erhhet, Das die Menge gaffend
umstehet; An dem Seile schon zieht man den Freund empor, Da
zertrennt er gewaltig den dichten Chor: "Mich, Henker", ruft er,
"erwrget! Da bin ich, fr den er gebrget!"
Und Erstaunen ergreifet das Volk umher, In den Armen liegen sich
beide Und weinen vor Schmerzen und Freude. Da sieht man kein Auge
trnenleer, Und zum Knige bringt man die Wundermr'; Der fhlt ein
menschliches Rhren, Lt schnell vor den Thron sie fhren,
Und blicket sie lange verwundert an. Drauf spricht er: "Es ist
euch gelungen, Ihr habt das Herz mir bezwungen; Und die Treue, sie
ist doch kein leerer Wahn - So nehmet auch mich zum Genossen an:
Ich sei, gewhrt mir die Bitte, In eurem Bunde der Dritte!"
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27
Die Gtter Griechenlands
Da ihr noch die schne Welt regieret, An der Freude leichtem
Gngelband Selige Geschlechter noch gefhret, Schne Wesen aus dem
Fabelland! Ach, da euer Wonnedienst noch glnzte, Wie ganz anders,
anders war es da! Da man deine Tempel noch bekrnzte, Venus
Amathusia!
Da der Dichtung zauberische Hlle Sich noch lieblich um die
Wahrheit wand, -
Durch die Schpfung flo da Lebensflle, Und was nie empfinden
wird, empfand. An der Liebe Busen sie zu drcken, Gab man hhern Adel
der Natur, Alles wies den eingeweihten Blicken, Alles eines Gottes
Spur.
Wo jetzt nur, wie unsre Weisen sagen, Seelenlos ein Feuerball
sich dreht, Lenkte damals seinen goldnen Wagen Helios in stiller
Majestt. Diese Hhen fllten Oreaden, Eine Dryas lebt' in jenem Baum,
Aus den Urnen lieblicher Najaden Sprang der Strme Silberschaum.
Jener Lorbeer wand sich einst um Hilfe, Tantals Tochter schweigt
in diesem Stein, Syrinx' Klage tnt' aus jenem Schilfe, Philomelas
Schmerz aus diesem Hain. Jener Bach empfing Demeters Zhre, Die sie
um Persephone geweint, Und von diesem Hgel rief Cythere, Ach,
umsonst! dem schnen Freund.
Zu Deukalions Geschlechte stiegen Damals noch die Himmlischen
herab; Pyrrhas schne Tchter zu besiegen, Nahm der Leto Sohn den
Hirtenstab. Zwischen Menschen, Gttern und Heroen Knpfte Amor einen
schnen Bund, Sterbliche mit Gttern und Heroen Huldigten in
Amathunt.
Finstrer Ernst und trauriges Entsagen War aus eurem heitern
Dienst verbannt; Glcklich sollten alle Herzen schlagen, Denn euch
war der Glckliche verwandt. Damals war nichts heilig, als das
Schne, Keiner Freude schmte sich der Gott, Wo die keusch errthende
Kamne, Wo die Grazie gebot.
Eure Tempel lachten gleich Palsten, Euch verherrlichte das
Heldenspiel An des Isthmus kronenreichen Festen, Und die Wagen
donnerten zum Ziel. Schn geschlungne, seelenvolle Tnze Kreisten um
den prangenden Altar, Eure Schlfe schmckten Siegeskrnze, Kronen
euer duftend Haar.
Das Evoe muntrer Thyrsusschwinger Und der Panther prchtiges
Gespann Meldeten den groen Freudebringer, Faun und Satyr taumeln
ihm voran; Um ihn springen rasende Mnaden, Ihre Tnze loben seinen
Wein, Und des Wirthes braune Wangen laden Lustig zu dem Becher
ein.
Damals trat kein grliches Gerippe Vor das Bett des Sterbenden.
Ein Ku Nahm das letzte Leben von der Lippe, Seine Fackel senkt' ein
Genius. Selbst des Orkus strenge Richterwage Hielt der Enkel einer
Sterblichen, Und des Thrakers seelenvolle Klage Rhrte die
Erinyen.
Seine Freuden traf der frohe Schatten In Elysiens Hainen wieder
an, Treue Liebe fand den treuen Gatten Und der Wagenlenker seine
Bahn; Linus' Spiel tnt' die gewohnten Lieder, In Alcestens Arme
sinkt Admet, Seinen Freund erkennt Orestes wieder, Seine Pfeile
Philoktet.
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28
Hhre Preise strken da den Ringer Auf der Tugend arbeitvoller
Bahn; Groer Thaten herrliche Vollbringer Klimmten zu den Seligen
hinan. Vor dem Wiederforderer der Todten Neigte sich der Gtter
stille Schaar; Durch die Fluten leuchtet dem Piloten Vom Olymp das
Zwillingspaar.
Schne Welt, wo bist du? - Kehre wieder, Holdes Blthenalter der
Natur! Ach, nur in dem Feenland der Lieder Lebt noch deine
fabelhafte Spur. Ausgestorben trauert das Gefilde, Keine Gottheit
zeigt sich meinem Blick, Ach, von jenem lebenwarmen Bilde Blieb der
Schatten nur zurck.
Alle jene Blthen sind gefallen Von des Nordes schauerlichem
Wehn; Einen zu bereichern unter Allen, Mute diese Gtterwelt
vergehn. Traurig such' ich an dem Sternenbogen, Dich, Selene, find'
ich dort nicht mehr; Durch die Wlder ruf' ich, durch die Wogen,
Ach! sie wiederhallen leer!
Unbewut der Freuden, die sie schenket, Nie entzckt von ihrer
Herrlichkeit, Nie gewahr des Geistes, der sie lenket, Sel'ger nie
durch meine Seligkeit, Fhllos selbst fr ihres Knstlers Ehre, Gleich
dem todten Schlag der Pendeluhr, Dient sie knechtisch dem Gesetz
der Schwere, Die entgtterte Natur.
Morgen wieder neu sich zu entbinden, Whlt sie heute sich ihr
eignes Grab, Und an ewig gleicher Spindel winden Sich von selbst
die Monde auf und ab. Mig kehrten zu dem Dichterlande Heim die
Gtter, unntz einer Welt, Die, entwachsen ihrem Gngelbande, Sich
durch eignes Schweben hlt.
Ja, sie kehrten heim, und alles Schne, Alles Hohe nahmen sie mit
fort, Alle Farben, alle Lebenstne, Und uns blieb nur das entseelte
Wort. Aus der Zeitfluth weggerissen, schweben Sie gerettet auf des
Pindus Hhn; Was unsterblich im Gesang soll leben, Mu im Leben
untergehn.
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29
Friedrich Hlderlin
Andenken
Der Nordost wehet, Der liebste unter den Winden Mir, weil er
feurigen Geist Und gute Fahrt verheiet den Schiffern. Geh aber nun
und gre Die schne Garonne, Und die Grten von Bourdeaux Dort, wo am
scharfen Ufer Hingehet der Steg und in den Strom Tief fllt der
Bach, darber aber Hinschauet ein edel Paar Von Eichen und
Silberpappeln;
Noch denket das mir wohl und wie Die breiten Gipfel neiget Der
Ulmwald, ber die Mhl', Im Hofe aber wchset ein Feigenbaum. An
Feiertagen gehn Die braunen Frauen daselbst Auf seidnen Boden, Zur
Mrzenzeit, Wenn gleich ist Nacht und Tag, Und ber langsamen Stegen,
Von goldenen Trumen schwer, Einwiegende Lfte ziehen.
Es reiche aber, Des dunkeln Lichtes voll, Mir einer den
duftenden Becher, Damit ich ruhen mge; denn s Wr' unter Schatten
der Schlummer. Nicht ist es gut, Seellos von sterblichen Gedanken
zu sein. Doch gut Ist ein Gesprch und zu sagen Des Herzens Meinung,
zu hren viel Von Tagen der Lieb', Und Taten, welche geschehen.
Wo aber sind die Freunde? Bellarmin Mit dem Gefhrten?
Mancher
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30
Trgt Scheue, an die Quelle zu gehn; Es beginnst nmlich der
Reichtum Im Meere. Sie, Wie Maler, bringen zusammen Das Schne der
Erd' und verschmhn Den geflgelten Krieg nicht, und Zu wohnen
einsam, jahrelang, unter Dem entlaubten Mast, wo nicht die Nacht
durchglnzen Die Feiertage der Stadt, Und Saitenspiel und
eingeborener Tanz nicht.
Nun aber sind zu Indiern Die Mnner gegangen, Dort an der
luftigen Spitz' An Traubenbergen, wo herab Die Dordogne kommt, Und
zusammen mit der prchtigen Garonne meerbreit Ausgehet der Strom. Es
nehmet aber Und gibt Gedchtnis die See, Und die Lieb' auch heftet
fleiig die Augen, Was bleibet aber, stiften die Dichter.
Hlfte des Lebens
Mit gelben Birnen hnget Und voll mit wilden Rosen Das Land in
den See, Ihr holden Schwne, Und trunken von Kssen Tunkt ihr das
Haupt Ins heilignchterne Wasser.
Weh mir, wo nehm ich, wenn Es Winter ist, die Blumen, und wo Den
Sonnenschein, Und Schatten der Erde ? Die Mauern stehn Sprachlos
und kalt, im Winde Klirren die Fahnen.
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31
Novalis
Novalis
Novalis
Hymnen an die Nacht
1 Welcher Lebendige, Sinnbegabte, liebt nicht vor allen
Wundererscheinungen des verbreiteten Raums um ihn das
allerfreuliche Licht - mit seinen Farben, seinen Strahlen und
Wogen; seiner milden Allgegenwart, als weckender Tag. Wie des
Lebens innerste Seele atmet es der rastlosen Gestirne Riesenwelt,
und schwimmt tanzend in seiner blauen Flut - atmet es der
funkelnde, ewigruhende Stein, die sinnige, saugende Pflanze, und
das wilde, brennende, vielgestaltete Tier - vor allen aber der
herrliche Fremdling mit den sinnvollen Augen, dem schwebenden
Gange, und den zartgeschlossenen, tonreichen Lippen. Wie ein Knig
der irdischen Natur ruft es jede Kraft zu zahllosen Verwandlungen,
knpft und lst unendliche Bndnisse, hngt sein himmlisches Bild jedem
irdischen Wesen um. - Seine Gegenwart allein offenbart die
Wunderherrlichkeit der Reiche der Welt. Abwrts wend ich mich zu der
heiligen, unaussprechlichen, geheimnisvollen Nacht. Fernab liegt
die Welt - in eine tiefe Gruft versenkt - wst und einsam ist ihre
Stelle. In den Saiten der Brust weht tiefe Wehmut. In Tautropfen
will ich hinuntersinken und mit der Asche mich vermischen. - Fernen
der Erinnerung, Wnsche der Jugend, der Kindheit Trume, des ganzen
langen Lebens kurze Freuden und vergebliche Hoffnungen kommen in
grauen Kleidern, wie Abendnebel nach der Sonne Untergang. In andern
Rumen schlug die lustigen Gezelte das Licht auf. Sollte es nie zu
seinen Kindern wiederkommen, die mit der Unschuld Glauben seiner
harren? Was quillt auf einmal so ahndungsvoll unterm Herzen, und
verschluckt der Wehmut weiche Luft? Hast auch du ein Gefallen an
uns, dunkle Nacht? Was hltst du unter deinem Mantel, das mir
unsichtbar krftig an die Seele geht? Kstlicher Balsam truft aus
deiner Hand, aus dem Bndel Mohn. Die schweren Flgel des Gemts hebst
du empor. Dunkel und unaussprechlich fhlen wir uns bewegt - ein
ernstes Antlitz seh ich froh erschrocken, das sanft und
andachtsvoll sich zu mir neigt, und unter unendlich verschlungenen
Locken der Mutter liebe Jugend zeigt. Wie arm und
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32
kindisch dnkt mir das Licht nun - wie erfreulich und gesegnet
des Tages Abschied. - Also nur darum, weil die Nacht dir abwendig
macht die Dienenden, setest du in des Raumes Weiten die leuchtenden
Kugeln, zu verknden deine Allmacht - deine Wiederkehr - in den
Zeiten deiner Entfernung. Himmlischer, als jene blitzenden Sterne,
dnken uns die unendlichen Augen, die die Nacht in uns geffnet.
Weiter sehn sie als die blssesten jener zahllosen Heere -
unbedrftig des Lichts durchschaun sie die Tiefen eines liebenden
Gemts - was einen hhern Raum mit unsglicher Wollust fllt. Preis der
Weltknigin, der hohen Verkndigerin heiliger Welten, der Pflegerin
seliger Liebe - sie sendet mir dich - zarte Geliebte - liebliche
Sonne der Nacht - nun wach ich - denn ich bin dein und mein - du
hast die Nacht mir zum Leben verkndet - mich zum Menschen gemacht -
zehre mit Geisterglut meinen Leib, da ich luftig mit dir inniger
mich mische und dann ewig die Brautnacht whrt.
2
Mu immer der Morgen wiederkommen? Endet nie des Irdischen
Gewalt? Unselige Geschftigkeit verzehrt den himmlischen Anflug der
Nacht. Wird nie der Liebe geheimes Opfer ewig brennen? Zugemessen
ward dem Lichte seine Zeit; aber zeitlos und raumlos ist der Nacht
Herrschaft. - Ewig ist die Dauer des Schlafs. Heiliger Schlaf -
beglcke zu selten nicht der Nacht Geweihte in diesem irdischen
Tagewerk. Nur die Toren verkennen dich und wissen von keinem
Schlafe, als dem Schatten, den du in jener Dmmerung der wahrhaften
Nacht mitleidig auf uns wirfst. Sie fhlen dich nicht in der goldnen
Flut der Trauben - in des Mandelbaums Wunderl und dem braunen Safte
des Mohns. Sie wissen nicht, da du es bist, der des zarten Mdchens
Busen umschwebt und zum Himmel den Scho macht - ahnden nicht, da
aus alten Geschichten du himmelffnend entgegentrittst und den
Schlssel trgst zu den Wohnungen der Seligen, unendlicher
Geheimnisse schweigender Bote.
3
Einst da ich bittre Trnen vergo, da in Schmerz aufgelst meine
Hoffnung zerrann, und ich einsam stand am drren Hgel, der in engen,
dunkeln Raum die Gestalt meines Lebens barg - einsam, wie noch kein
Einsamer war, von unsglicher Angst getrieben - kraftlos, nur ein
Gedanken des Elends noch. - Wie ich da nach Hlfe umherschaute,
vorwrts nicht konnte und rckwrts nicht, und am fliehenden,
verlschten Leben mit unendlicher Sehnsucht hing: - da kam aus
blauen Fernen - von den Hhen meiner alten Seligkeit ein
Dmmerungsschauer - und mit einem Male ri das Band der Geburt - des
Lichtes Fessel. Hin floh die irdische Herrlichkeit und meine Trauer
mit ihr - zusammen flo die Wehmut in eine neue, unergrndliche Welt
- du Nachtbegeisterung, Schlummer des Himmels kamst ber mich - die
Gegend hob sich sacht empor; ber der Gegend schwebte mein
entbundner, neugeborner Geist. Zur Staubwolke wurde der Hgel -
durch die Wolke sah ich die verklrten Zge der Geliebten. In ihren
Augen ruhte die Ewigkeit - ich fate ihre Hnde, und die Trnen wurden
ein funkelndes, unzerreiliches Band. Jahrtausende zogen abwrts in
die Ferne, wie Ungewitter. An ihrem Halse weint ich dem neuen Leben
entzckende Trnen. - Es war der erste, einzige Traum - und erst
seitdem fhl ich ewigen, unwandelbaren Glauben an den Himmel der
Nacht und sein Licht, die Geliebte.
4
Nun wei ich, wenn der letzte Morgen sein wird - wenn das Licht
nicht mehr die Nacht und die Liebe scheucht - wenn der Schlummer
ewig und nur ein unerschpflicher Traum sein wird. Himmlische
Mdigkeit fhl ich in mir. - Weit und ermdend ward mir die Wallfahrt
zum heiligen Grabe, drckend das Kreuz. Die kristallene Woge, die,
gemeinen Sinnen unvernehmlich, in des Hgels dunklen Scho quillt, an
dessen Fu die irdische Flut bricht, wer sie gekostet, wer oben
stand auf dem Grenzgebrge der Welt, und hinbersah in das neue Land,
in der Nacht Wohnsitz - wahrlich, der kehrt nicht in das Treiben
der Welt zurck, in das Land, wo das Licht in ewiger Unruh hauset.
Oben baut er sich Htten, Htten des Friedens, sehnt sich und liebt,
schaut hinber, bis die willkommenste aller Stunden hinunter ihn in
den Brunnen der Quelle zieht - das Irdische schwimmt obenauf, wird
von Strmen zurckgefhrt, aber was heilig durch der Liebe Berhrung
ward, rinnt
-
33
aufgelst in verborgenen Gngen auf das jenseitige Gebiet, wo es,
wie Dfte, sich mit entschlummerten Lieben mischt. Noch weckst du,
muntres Licht, den Mden zur Arbeit - flest frhliches Leben mir ein
- aber du lockst mich von der Erinnerung moosigem Denkmal nicht.
Gern will ich die fleiigen Hnde rhren, berall umschaun, wo du mich
brauchst - rhmen deines Glanzes volle Pracht - unverdrossen
verfolgen deines knstlichen Werks schnen Zusammenhang - gern
betrachten deiner gewaltigen, leuchtenden Uhr sinnvollen Gang -
ergrnden der Krfte Ebenma und die Regeln des Wunderspiels unzhliger
Rume und ihrer Zeiten. Aber getreu der Nacht bleibt mein geheimes
Herz und der schaffenden Liebe, ihrer Tochter. Kannst du mir zeigen
ein ewig treues Herz? Hat deine Sonne freundliche Augen, die mich
erkennen? Fassen deine Sterne meine verlangende Hand? Geben mir
wieder den zrtlichen Druck und das kosende Wort? Hast du mit Farben
und leichtem Umri sie geziert - oder war sie es, die deinem Schmuck
hhere, liebere Bedeutung gab? Welche Wollust, welchen Genu bietet
dein Leben, die aufwgen des Todes Entzckungen? Trgt nicht alles,
was uns begeistert, die Farbe der Nacht? Sie trgt dich mtterlich,
und ihr verdankst du all deine Herrlichkeit. Du verflgst in dir
selbst - in endlosen Raum zergingst du, wenn sie dich nicht hielte,
dich nicht bnde, da du warm wrdest und flammend die Welt zeugtest.
Wahrlich, ich war, eh du warst - die Mutter schickte mit meinen
Geschwistern mich, zu bewohnen deine Welt, sie zu heiligen mit
Liebe, da sie ein ewig angeschautes Denkmal werde - zu bepflanzen
sie mit unverwelklichen Blumen. Noch reiften sie nicht diese
gttlichen Gedanken. - Noch sind der Spuren unserer Offenbarung
wenig. - Einst zeigt deine Uhr das Ende der Zeit, wenn du wirst wie
unser einer, und voll Sehnsucht und Inbrunst auslschest und
stirbst. In mir fhl ich deiner Geschftigkeit Ende - himmlische
Freiheit, selige Rckkehr. In wilden Schmerzen erkenn ich deine
Entfernung von unsrer Heimat, deinen Widerstand gegen den alten,
herrlichen Himmel. Deine Wut und dein Toben ist vergebens.
Unverbrennlich steht das Kreuz - eine Siegesfahne unsers
Geschlechts.
Hinber wall ich, Und jede Pein Wird einst ein Stachel Der
Wollust sein. Noch wenig Zeiten, So bin ich los, Und liege trunken
Der Liebe im Scho. Unendliches Leben Wogt mchtig in mir, Ich schaue
von oben Herunter nach dir. An jenem Hgel Verlischt dein Glanz
Ein Schatten bringet Den khlenden Kranz. Oh! sauge, Geliebter,
Gewaltig mich an, Da ich entschlummern Und lieben kann. Ich fhle
des Todes Verjngende Flut, Zu Balsam und ther Verwandelt mein Blut
Ich lebe bei Tage Voll Glauben und Mut Und sterbe die Nchte In
heiliger Glut.
5
ber der Menschen weitverbreitete Stmme herrschte vor Zeiten ein
eisernes Schicksal mit stummer Gewalt. Eine dunkle, schwere Binde
lag um ihre bange Seele. - Unendlich war die Erde - der Gtter
Aufenthalt, und ihre Heimat. Seit Ewigkeiten stand ihr
geheimnisvoller Bau. ber des Morgens roten Bergen, in des Meeres
heiligem Scho wohnte die Sonne, das allzndende, lebendige Licht.
Ein alter Riese trug die selige Welt. Fest unter Bergen lagen die
Urshne der Mutter Erde. Ohnmchtig in ihrer zerstrenden Wut gegen
das neue herrliche Gttergeschlecht und dessen Verwandten, die
frhlichen Menschen. Des Meers dunkle, grne Tiefe war einer Gttin
Scho. In den kristallenen Grotten schwelgte ein ppiges Volk. Flsse,
Bume, Blumen und Tiere hatten menschlichen Sinn. Ser schmeckte der
Wein von sichtbarer Jugendflle geschenkt - ein Gott in den Trauben
- eine liebende, mtterliche Gttin, emporwachsend in vollen goldenen
Garben - der Liebe heil'ger Rausch ein ser Dienst der schnsten
Gtterfrau - ein ewig buntes Fest der Himmelskinder und der
Erdbewohner, rauschte das Leben, wie ein Frhling, durch die
Jahrhunderte hin. - Alle Geschlechter
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34
verehrten kindlich die zarte, tausendfltige Flamme als das
Hchste der Welt. Ein Gedanke nur war es, ein entsetzliches
Traumbild.
Das furchtbar zu den frohen Tischen trat Und das Gemt in wilde
Schrecken hllte. Hier wuten selbst die Gtter keinen Rat, Der die
beklommne Brust mit Trost erfllte. Geheimnisvoll war dieses Unholds
Pfad, Des Wut kein Flehn und keine Gabe stillte; Es war der Tod,
der dieses Lustgelag Mit Angst und Schmerz und Trnen
unterbrach.
Auf ewig nun von allem abgeschieden, Was hier das Herz in ser
Wollust regt, Getrennt von den Geliebten, die hienieden Vergebne
Sehnsucht, langes Weh bewegt, Schien matter Traum dem Toten nur
beschieden, Ohnmchtiges Ringen nur ihm auferlegt. Zerbrochen war
die Woge des Genusses Am Felsen des unendlichen Verdrusses.
Mit khnem Geist und hoher Sinnenglut Verschnte sich der Mensch
die grause Larve, Ein sanfter Jngling lscht das Licht und ruht
Sanft wird das Ende, wie ein Wehn der Harfe. Erinnerung schmilzt in
khler Schattenflut, So sang das Lied dem traurigen Bedarfe. Doch
unentrtselt blieb die ew'ge Nacht, Das ernste Zeichen einer fernen
Macht.
Zu Ende neigte die alte Welt sich. Des jungen Geschlechts
Lustgarten verwelkte - hinauf in den freieren, wsten Raum strebten
die unkindlichen, wachsenden Menschen. Die Gtter verschwanden mit
ihrem Gefolge. - Einsam und leblos stand die Natur. Mit eiserner
Kette band sie die drre Zahl und das strenge Ma. Wie in Staub und
Lfte zerfiel in dunkle Worte die unermeliche Blte des Lebens.
Entflohn war der beschwrende Glauben und die allverwandelnde,
allverschwisternde Himmelsgenossin, die Phantasie. Unfreundlich
blies ein kalter Nordwind ber die erstarrte Flur, und die erstarrte
Wunderheimat verflog in den ther. Des Himmels Fernen fllten mit
leuchtenden Welten sich. Ins tiefre Heiligtum, in des Gemts hhern
Raum zog mit ihren Mchten die Seele der Welt - zu walten dort bis
zum Anbruch der tagenden Weltherrlichkeit. Nicht mehr war das Licht
der Gtter Aufenthalt und himmlisches Zeichen - den Schleier der
Nacht warfen sie ber sich. Die Nacht ward der Offenbarungen
mchtiger Scho - in ihn kehrten die Gtter zurck - schlummerten ein,
um in neuen herrlichern Gestalten auszugehn ber die vernderte Welt.
Im Volk, das vor allen verachtet zu frh reif und der seligen
Unschuld der Jugend trotzig fremd geworden war, erschien mit
niegesehenem Angesicht die neue Welt - in der Armut dichterischer
Htte - ein Sohn der ersten Jungfrau und Mutter - geheimnisvoller
Umarmung unendliche Frucht. Des Morgenlands ahndende, bltenreiche
Weisheit erkannte zuerst der neuen Zeit Beginn. - Zu des Knigs
demtiger Wiege wies ihr ein Stern den Weg. In der weiten Zukunft
Namen huldigten sie ihm mit Glanz und Duft, den hchsten Wundern der
Natur. Einsam entfaltete das himmlische Herz sich zu einem
Bltenkelch allmcht'ger Liebe - des Vaters hohem Antlitz zugewandt
und ruhend an dem ahndungssel'gen Busen der lieblich ernsten
Mutter. Mit vergtternder Inbrunst schaute das weissagende Auge des
blhenden Kindes auf die Tage der Zukunft, nach seinen Geliebten,
den Sprossen seines Gtterstamms, unbekmmert ber seiner Tage
irdisches Schicksal. Bald sammelten die kindlichsten Gemter, von
inniger Liebe wundersam ergriffen, sich um ihn her. Wie Blumen
keimte ein neues fremdes Leben in seiner Nhe. Unerschpfliche Worte
und der Botschaften frhlichste fielen wie Funken eines gttlichen
Geistes von seinen freundlichen Lippen. Von ferner Kste, unter
Hellas' heiterm Himmel geboren, kam ein Snger nach Palstina und
ergab sein ganzes Herz dem Wunderkinde:
-
35
Der Jngling bist du, der seit langer Zeit Auf unsern Grbern
steht in tiefen Sinnen; Ein trstlich Zeichen in der Dunkelheit Der
hhern Menschheit freudiges Beginnen. Was uns gesenkt in tiefe
Traurigkeit, Zieht uns mit ser Sehnsucht nun von hinnen. Im Tode
ward das ew'ge Leben kund, Du bist der Tod und machst uns erst
gesund.
Der Snger zog voll Freudigkeit nach Indostan - das Herz von ser
Liebe trunken, und schttete in feurigen Gesngen es unter jenem
milden Himmel aus, da tausend Herzen sich zu ihm neigten und die
frhliche Botschaft tausendzweigig emporwuchs. Bald nach des Sngers
Abschied ward das kstliche Leben ein Opfer des menschlichen tiefen
Verfalls. - Er starb in jungen Jahren, weggerissen von der
geliebten Welt, von der weinenden Mutter und seinen zagenden
Freunden. Der unsglichen Leiden dunkeln Kelch leerte der liebliche
Mund. - In entsetzlicher Angst nahte die Stunde der Geburt der
neuen Welt. Hart rang er mit des alten Todes Schrecken. - Schwer
lag der Druck der alten Welt auf ihm. Noch einmal sah er freundlich
nach der Mutter - da kam der ewigen Liebe lsende Hand - und er
entschlief. Nur wenig Tage hing ein tiefer Schleier ber das
brausende Meer, ber das bebende Land - unzhlige Trnen weinten die
Geliebten. - Entsiegelt ward das Geheimnis - himmlische Geister
hoben den uralten Stein vom dunkeln Grabe. Engel saen bei dem
Schlummernden - aus seinen Trumen zart gebildet. - Erwacht in neuer
Gtterherrlichkeit erstieg er die Hhe der neugebornen Welt - begrub
mit eigner Hand der Alten Leichnam in die verlane Hhle und legte
mit allmchtiger Hand den Stein, den keine Macht erhebt, darauf.
Noch weinen deine Lieben Trnen der Freude, Trnen der Rhrung und des
unendlichen Danks an deinem Grabe - sehn dich noch immer, freudig
erschreckt, auferstehn - und sich mit dir; sehn dich weinen mit ser
Inbrunst an der Mutter seligem Busen, ernst mit den Freunden
wandeln, Worte sagen, wie vom Baum des Lebens gebrochen; sehen dich
eilen mit voller Sehnsucht in des Vaters Arm, bringend die junge
Menschheit und der goldnen Zukunft unversieglichen Becher. Die
Mutter eilte bald dir nach - in himmlischem Triumph. - Sie war die
erste in der neuen Heimat bei dir. Lange Zeiten entflossen seitdem,
und in immer hherm Glanze regte deine neue Schpfung sich - und
Tausende zogen aus Schmerzen und Qualen, voll Glauben und Sehnsucht
und Treue dir nach - wallen mit dir und der himmlischen Jungfrau im
Reiche der Liebe - dienen im Tempel des himmlischen Todes und sind
in Ewigkeit dein.
Gehoben ist der Stein - Die Menschheit ist erstanden - Wir alle
bleiben dein Und fhlen keine Banden. Der herbste Kummer fleucht Vor
deiner goldnen Schale, Wenn Erd und Leben weicht Im letzten
Abendmahle.
Zur Hochzeit ruft der Tod - Die Lampen brennen helle - Die
Jungfraun sind zur Stelle - Um l ist keine Not - Erklnge doch die
Ferne Von deinem Zuge schon, Und ruften uns die Sterne Mit
Menschenzung' und Ton.
Nach dir, Maria, heben Schon tausend Herzen sich. In diesem
Schattenleben Verlangten sie nur dich. Sie hoffen zu genesen Mit
ahndungsvoller Lust - Drckst du sie, heil'ges Wesen, An deine treue
Brust.
So manche, die sich glhend In bittrer Qual verzehrt Und dieser
Welt entfliehend Nach dir sich hingekehrt; Die hlfreich uns
erschienen In mancher Not und Pein - Wir kommen nun zu ihnen, Um
ewig da zu sein.
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36
Nun weint an keinem Grabe Fr Schmerz, wer liebend glaubt, Der
Liebe se Habe Wird keinem nicht geraubt - Die Sehnsucht ihm zu
lindern, Begeistert ihn die Nacht - Von treuen Himmelskindern Wird
ihm sein Herz bewacht.
Getrost, das Leben schreitet Zum ew'gen Leben hin; Von innrer
Glut geweitet Verklrt sich unser Sinn. Die Sternwelt wird zerflieen
Zum goldnen Lebenswein, Wir werden sie genieen Und lichte Sterne
sein.
Die Lieb ist frei gegeben, Und keine Trennung mehr. Es wogt das
volle Leben Wie ein unendlich Meer. Nur eine Nacht der Wonne Ein
ewiges Gedicht Und unser aller Sonne Ist Gottes Angesicht.
6
Sehnsucht nach dem Tode
Hinunter in der Erde Scho, Weg aus des Lichtes Reichen, Der
Schmerzen Wut und wilder Sto Ist froher Abfahrt Zeichen. Wir kommen
in dem engen Kahn Geschwind am Himmelsufer an.
Gelobt sei uns die ew'ge Nacht, Gelobt der ew'ge Schlummer. Wohl
hat der Tag uns warm gemacht Und welk der lange Kummer. Die Lust
der Fremde ging uns aus, Zum Vater wollen wir nach Haus.
Was sollen wir auf dieser Welt Mit unsrer Lieb und Treue. Das
Alte wird hintangestellt, Was soll uns dann das Neue. Oh! einsam
steht und tiefbetrbt, Wer hei und fromm die Vorzeit liebt.
Die Vorzeit, wo die Sinne licht In hohen Flammen brannten, Des
Vaters Hand und Angesicht Die Menschen noch erkannten, Und hohen
Sinns, einfltiglich Noch mancher seinem Urbild glich.
Die Vorzeit, wo noch bltenreich Uralte Stmme prangten Und Kinder
fr das Himmelreich
Nach Qual und Tod verlangten. Und wenn auch Lust und Leben
sprach, Doch manches Herz fr Liebe brach.
Die Vorzeit, wo in Jugendglut Gott selbst sich kundgegeben Und
frhem Tod in Liebesmut Geweiht sein ses Leben. Und Angst und
Schmerz nicht von sich trieb, Damit er uns nur teuer blieb.
Mit banger Sehnsucht sehn wir sie In dunkle Nacht gehllet, In
dieser Zeitlichkeit wird nie Der heie Durst gestillet. Wir mssen
nach der Heimat gehn, Um diese heil'ge Zeit zu sehn.
Was hlt noch unsre Rckkehr auf, Die Liebsten ruhn schon lange.
Ihr Grab schliet unsern Lebenslauf, Nun wird uns weh und bange. Zu
suchen haben wir nichts mehr - Das Herz ist satt - die Welt ist
leer.
Unendlich und geheimnisvoll Durchstrmt uns ser Schauer - Mir
deucht, aus tiefen Fernen scholl Ein Echo unsrer Trauer. Die Lieben
sehnen sich wohl auch Und sandten uns der Sehnsucht Hauch.
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37
Hinunter zu der sen Braut, Zu Jesus, dem Geliebten - Getrost,
die Abenddmmrung graut Den Liebenden, Betrbten. Ein Traum bricht
unsre Banden los Und senkt uns in des Vaters Scho.
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38
Joseph von Eichendorff
Mondnacht
Es war, als htt der Himmel Die Erde still gekt, Da sie im
Bltenschimmer Von ihm nun trumen mt.
Die Luft ging durch die Felder, Die hren wogten sacht, Es
rauschten leis die Wlder, So sternklar war die Nacht.
Und meine Seele spannte Weit ihre Flgel aus, Flog durch die
stillen Lande, Als flge sie nach Haus.
Heimweh
An meinen Bruder
Du weits, dort in den Bumen Schlummert ein Zauberbann, Und
nachts oft, wie in Trumen, Fngt der Garten zu singen an.
Nachts durch die stille Runde Wehts manchmal bis zu mir, Da ruf
ich aus Herzensgrunde, O Bruderherz, nach dir.
So fremde sind die andern, Mir graut im fremden Land, Wir wollen
zusammen wandern, Reich treulich mir die Hand!
Wir wollen zusammen ziehen, Bis da wir wandermd Auf des Vaters
Grabe knien Bei dem alten Zauberlied.
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39
Eduard Mrike
Auf eine Lampe
Noch unverrckt, o schne Lampe, schmckest du, An leichten Ketten
zierlich aufgehangen hier,
Die Decke des nun fast vergessnen Lustgemachs. Auf deiner
weissen Marmorschale, deren Rand Der Efeukranz von goldengrnem Erz
umflicht, Schlingt frhlich eine Kinderschar den Ringelreihn. Wie
reizend alles! lachend, und ein sanfter Geist Des Ernstes doch
ergossen um die ganze Form - Ein Kunstgebild der echten Art. Wer
achtet sein? Was aber schn ist, selig scheint es in ihm selbst.
Gebet
Herr! schicke, was du willt, Ein Liebes oder Leides; Ich bin
vergnuegt, dass beides Aus Deinen Haenden quillt.
Wollest mit Freuden Und wollest mit Leiden Mich nicht
ueberschuetten! Doch in der Mitten Liegt holdes Bescheiden.
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40
August von Platen
Tristan
Wer die Schnheit angeschaut mit Augen, Ist dem Tode schon
anheimgegeben, Wird fr keinen Dienst auf Erden taugen, Und doch
wird er vor dem Tode beben, Wer die Schnheit angeschaut mit
Augen!
Ewig whrt fr ihn der Schmerz der Liebe, Denn ein Tor nur kann
auf Erden hoffen, Zu gengen einem solchen Triebe: Wen der Pfeil des
Schnen je getroffen, Ewig whrt fr ihn der Schmerz der Liebe!
Ach, er mchte wie ein Quell versiechen, Jedem Hauch der Luft ein
Gift entsaugen, Und den Tod aus jeder Blume riechen: Wer die
Schnheit angeschaut mit Augen, Ach, er mchte wie ein Quell
versiechen!
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41
Das Grab im Busento
Nchtlich am Busento lispeln Bei Cosenza dumpfe Lieder,
Aus dem Wasser schallt es Antwort, Und in Wirbeln hallt es
wieder.
Und den Flu hinauf, hinunter Ziehn die Schatten tapfrer
Gothen,
Die den Alarich beweinen, Ihres Volkes Besten Toten.
Allzufrh und fern der Heimat Muten hier sie ihn begraben,
Whrend noch die Jugendlocken Seine Stirne blond umgaben.
Und am Ufer des Busento Reihten sie sich um die Wette, Um die
Strmung abzuleiten, Gruben sie ein frisches Bette.
In der wogenleeren Hhlung Whlten sie empor die Erde,
Senkten tief hinein den Leichnam Mit der Rstung auf dem
Pferde.
Deckten dann mit Erde wieder Ihn und seine stolze Habe,
Da die hohen Stromgewchse Wchsen aus dem Heldengrabe.
Abgelenkt zum zweiten Male Ward der Flu herbeigezogen;
Mchtig in ihr altes Bette Schumten die Busentowogen.
Und es sang ein Chor von Mnnern: "Schlaf in deinen
Heldenehren!
Keines Rmers schnde Habsucht Soll dir je dein Grab
versehren!"
Sangen's und die Lobgesnge Tnten fort im Gothenheere.
Wlze sie, Busentowelle, Wlze sie von Meer zu Meere!
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42
Friedrich Rckert
Ich bin der Welt abhanden gekommen
Ich bin der Welt abhanden gekommen, Mit der ich sonst viele Zeit
verdorben, Sie hat so lange nichts von mir vernommen, Sie mag wohl
glauben, ich sei gestorben!
Es ist mir auch gar nichts daran gelegen, Ob sie mich fr
gestorben hlt, Ich kann auch gar nichts sagen dagegen, Denn
wirklich bin ich gestorben der Welt.
Ich bin gestorben dem Weltgetmmel, Und ruh in einem stillen
Gebiet! Ich leb allein in meinem Himmel, In meinem Lieben, in
meinem Lied!
Das Ghasel
Es wandte meine Kunst sich zum Ghasele, Damit sie allen Formen
sich vermhle. Ergtzlich ist solch bunte Reimerei, Ob auch des
Lebens markiger Kern ihr fehle; Die Wandrung selbst bereichert
schon den Geist, Ob er auch nirgends plndre oder stehle. Hier
lernt, wie tnender Musik zulieb Die Sprache sich in mancher Krmmung
qule Und, von des Gleichklangs strenger Schrift beherrscht,
Seltsame Bilder halb gezwungen whle. Des Knstlers Kunst und Fassung
leihet oft Den Wert dem minder kostbaren Juwele. Euch fleh ich an,
o Richter, richtet mild, Weil ich ja selbst die Schwchen nicht
verhehle, Und unter dieses bunten Turbans Schmuck Verkennet nicht
die echte Christenseele.
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43
Du bist ein Schatten am Tage
Du bist ein Schatten am Tage, Und in der Nacht ein Licht; Du
lebst in meiner Klage, Und stirbst im Herzen nicht.
Wo ich mein Zelt aufschlage, Da wohnst du bei mir dicht; Du bist
mein Schatten am Tage, Und in der Nacht mein Licht.
Wo ich auch nach dir frage, Find ich von dir Bericht, Du lebst
in meiner Klage, Und stirbst im Herzen nicht.
Du bist ein Schatten am Tage, Doch in der Nacht ein Licht; Du
lebst in meiner Klage, Und stirbst im Herzen nicht.
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44
Franz Grillparzer
(geschrieben im Mrz 1826)
Der Tod am Krankenbett des Kaisers
Ballade zum Dank fr die Genesung des Kaisers Franz II
Um Mitternacht, in Habsburgs alten Mauern geht ein Verhllter,
rtselhaft zu sehn! Man sieht ihn schreiten, weilen nun, und lauern
- dann heben seinen Fu und weiter gehn. Vom Haupte zu den trgen
Fersen nieder umhllend rings fliet nchtiges Gewand, die Falten
scharf; so zeichnen sich nicht Glieder, wo Leben noch die straffen
Sehnen spannt.
Was hlt er? ist's ein Stab? es blinkt wie Waffen - des
Schnitters Waffe haltend zieht er ein! Und wo des Mantels Sum' im
Gehen klaffen, blickt kahl entgegen fleischentblt Gebein. Ich kenne
dich! du Wrger der Lebend'gen! Was suchst im Heiligtume, Scheusal,
du? Hier darf das Alter nur die Tage end'gen, die Pflicht zu leben,
gibt ein Recht dazu.
Jetzt steht er still, dort wo das Pfrtchen schlieet; o schliee
gut, o Pfrtchen, schlie ihn aus! Doch aus dem Kleide, das ihn rings
umflieet, streckt er die drre Knochenhand heraus. Wie an die Flgel
er die Finger stellet, da springen sie, weitghnend, aus dem Schlo
und ein Gemach, vom Lampenschein erhellet, liegt seinem Aug, liegt
seinem Arme blo.
Und drin ein Mann auf seinem Schmerzensbette, wie ist die edle
Stirn von Tropfen feucht! Zwei Frauen neben ihm: wer sh's und htte
die Gattin nicht erkannt, die Mutter leicht? Und eine Krone liegt
zu Bettes Fen: "Das ist ein Knig!" spricht der bleiche Gast, "und
zwar ein guter, soll ich glauben mssen, das frh ergraute Haar zeugt
nicht von Rast.
Wohl auch als Gatte mocht er sich bewhren, darum bewacht die
Gattin jeden Hauch.
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45
Durchs Schlo erschallen Seufzer, flieen Zhren, ein guter Herr
und Vater also auch. Und dennoch kann das alles mich nicht hindert,
der Gattin Trnen halten mich nicht auf; den Vater raub ich tglich
seinen Kindern, was vorbestimmt ist, habe seinen Lauf!"
Und er tritt ein. Da summen leise Klnge vom Schlohof her in sein
gespanntes Ohr. Dort woget Volk, kaum fat der Raum die Menge, und
jeder forscht, und jeder blickt empor. Ein Weinender fragt einen,
der da weinet, und Trnen machen ihm die Antwort kund, "ob Hoffnung
sei?" Was trb der Blick verneinet, pflanzt durch die Menge sich von
Mund zu Mund.
Und alle Hnde sind zum Flehen gefaltet, auf jeder Lippe zittert
ein Gebet; der Todespfeil, der einen Busen spaltet, den blut'gen
Weg zu aller Herzen geht. - Da hlt der Wrger an, sieht nach dem
Kranken, dann nach der Menge, wogend ohne Ruh, - es stockt der Fu,
der Arm beginnt zu wanken, und endlich - schreitet er der Tre
zu.
Schon hrt er nicht mehr das Gebet der Menge, die Bess'rungskunde
jubelnd zu sich ruft; und an dem Ende der verschlungnen Gnge
schwingt er, ein Nachtgewlk, sich in die Luft. Im Gehen aber
scheint er noch zu sprechen: "Nicht ber meinen Auftrag geht die
Pflicht; ich ward gesandt, ein einzig Herz zu brechen, so viele
tausend Herzen brech ich nicht!"
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46
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Heinrich Heine
Lorelei (Ich wei nicht, was soll es bedeuten)
Ich wei nicht, was soll es bedeuten Da ich so traurig bin; Ein
Mrchen aus alten Zeiten Das kommt mir nicht aus dem Sinn. Die Luft
ist khl und es dunkelt, Und ruhig fliet der Rhein; Der Gipfel des
Berges funkelt Im Abendsonnenschein. Die schnste Jungfrau sitzet
Dort oben wunderbar, Ihr goldnes Geschmeide blitzet Sie kmmt ihr
goldenes Haar. Sie kmmt es mit goldenem Kamme Und singt ein Lied
dabei; Das hat eine wundersame Gewaltige Melodei. Den Schiffer im
kleinen Schiffe ergreift es mit wildem Weh, Er schaut nicht die
Felsenriffe, Er schaut nur hinauf in die Hh. Ich glaube, die Wellen
verschlingen Am Ende Schiffer und Kahn; Und das hat mit ihrem
Singen Die Lorelei getan.
Die Schlesischen Weber
Im dstern Auge keine Trne, Sie sitzen am Webstuhl und fletschen
die Zhne: Deutschland, wir weben dein Leichentuch, Wir weben hinein
den dreifachen Fluch -
Wir weben, wir weben!
Ein Fluch dem Gotte, zu dem wir gebeten In Wintersklte und
Hungersnten; Wir haben vergebens gehofft und geharrt, Er hat uns
gefft und gefoppt und genarrt -
Wir weben, wir weben!
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48
Ein Fluch dem Knig, dem Knig der Reichen, Den unser Elend nicht
konnte erweichen, Der den letzten Groschen von uns erpret Und uns
wie die Hunde erschieen lt -
Wir weben, wir weben!
Ein Fluch dem falschen Vaterlande, Wo nur gedeihen Schmach und
Schande, Wo jede Blume frh geknickt, Wo Fulnis und Moder den Wurm
erquickt -
Wir weben, wir weben!
Das Schiffchen fliegt, der Webstuhl kracht, Wir weben emsig Tag
und Nacht - Altdeutschland, wir weben dein Leichentuch, Wir weben
hinein den dreifachen Fluch,
Wir weben, wir weben!
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49
aus: Deutschland. Ein Wintermrchen
Caput I
Im traurigen Monat November war's, Die Tage wurden trber, Der
Wind ri von den Bumen das Laub, Da reist ich nach Deutschland
hinber.
Und als ich an die Grenze kam, Da fhlt ich ein strkeres Klopfen
In meiner Brust, ich glaube sogar Die Augen begunnen zu
tropfen.
Und als ich die deutsche Sprache vernahm, Da ward mir seltsam
zumute; Ich meinte nicht anders, als ob das Herz Recht angenehm
verblute.
Ein kleines Harfenmdchen sang. Sie sang mit wahrem Gefhle Und
falscher Stimme, doch ward ich sehr Gerhret von ihrem Spiele.
Sie sang von Liebe und Liebesgram, Aufopfrung und Wiederfinden
Dort oben, in jener besseren Welt, Wo alle Leiden schwinden.
Sie sang vom irdischen Jammertal, Von Freuden, die bald
zerronnen, Vom Jenseits, wo die Seele schwelgt Verklrt in ew'gen
Wonnen.
Sie sang das alte Entsagungslied, Das Eiapopeia vom Himmel,
Womit man einlullt, wenn es greint, Das Volk, den groen Lmmel.
Ich kenne die Weise, ich kenne den Text, Ich kenn auch die
Herren Verfasser; Ich wei, sie tranken heimlich Wein Und predigten
ffentlich Wasser.
Ein neues Lied, ein besseres Lied, O Freunde, will ich euch
dichten! Wir wollen hier auf Erden schon Das Himmelreich
errichten.
Wir wollen auf Erden glcklich sein, Und wollen nicht mehr
darben; Verschlemmen soll nicht der faule Bauch, Was fleiige Hnde
erwarben.
Es wchst hienieden Brot genug Fr alle Menschenkinder, Auch Rosen
und Myrten, Schnheit und Lust, Und Zuckererbsen nicht minder.
Ja, Zuckererbsen fr jedermann, Sobald die Schoten platzen! Den
Himmel berlassen wir Den Engeln und den Spatzen.
Und wachsen uns Flgel nach dem Tod, So wollen wir euch besuchen
Dort oben, und wir, wir essen mit euch Die seligsten Torten und
Kuchen.
Ein neues Lied, ein besseres Lied! Es klingt wie Flten und
Geigen! Das Miserere ist vorbei, Die Sterbeglocken schweigen.
[]
-
50
Caput III
Zu Aachen, im alten Dome, liegt Carolus Magnus begraben. (Man mu
ihn nicht verwechseln mit Karl Mayer, der lebt in Schwaben.)
Ich mchte nicht tot und begraben sein Als Kaiser zu Aachen im
Dome; Weit lieber lebt' ich als kleinster Poet Zu Stukkert am
Neckarstrome.
Zu Aachen langweilen sich auf der Stra' Die Hunde, sie flehn
untertnig: Gib uns einen Futritt, o Fremdling, das wird Vielleicht
uns zerstreuen ein wenig.
Ich bin in diesem langweil'gen Nest Ein Stndchen
herumgeschlendert. Sah wieder preuisches Militr, Hat sich nicht
sehr verndert.
Es sind die grauen Mntel noch Mit dem hohen, roten Kragen - (Das
Rot bedeutet Franzosenblut, Sang Krner in frheren Tagen.)
Noch immer das hlzern pedantische Volk, Noch immer ein rechter
Winkel In jeder Bewegung, und im Gesicht Der eingefrorene
Dnkel.
Sie stelzen noch immer so steif herum, So kerzengrade
geschniegelt, Als htten sie verschluckt den Stock, Womit man sie
einst geprgelt.
Ja, ganz verschwand die Fuchtel nie, Sie tragen sie jetzt im
Innern; Das trauliche Du wird immer noch An das alte Er
erinnern.
Der lange Schnurrbart ist eigentlich nur Des Zopftums neuere
Phase: Der Zopf, der eh'mals hinten hing, Der hngt jetzt unter der
Nase.
Nicht bel gefiel mir das neue Kostm Der Reuter, das mu ich
loben, Besonders die Pickelhaube, den Helm Mit der sthlernen Spitze
nach oben.
Das ist so rittertmlich und mahnt An der Vorzeit holde Romantik,
An die Burgfrau Johanna von Montfaucon, An den Freiherrn Fouqu,
Uhland, Tieck.
Das mahnt an das Mittelalter so schn, An Edelknechte und
Knappen, Die in dem Herzen getragen die Treu' Und auf dem Hintern
ein Wappen.
Das mahnt an Kreuzzug und Turnei, An Minne und frommes Dienen,
An die ungedruckte Glaubenszeit, Wo noch keine Zeitung
erschienen.
Ja, ja, der Helm gefllt mir, er zeugt Vom allerhchsten Witze!
Ein kniglicher Einfall war's! Es fehlt nicht die Pointe, die
Spitze!
Nur frcht ich, wenn ein Gewitter entsteht, Zieht leicht so eine
Spitze Herab auf euer romantisches Haupt Des Himmels modernste
Blitze! --
Auch wenn es Krieg gibt, msst ihr euch Viel leichteres Kopfzeug
kaufen; Des Mittelalters schwerer Helm Knnt' euch genieren im
Laufen.
Zu Aachen, auf dem Posthausschild, Sah ich den Vogel wieder, Der
mir so tief verhat! Voll Gift Schaute er auf mich nieder.
Du hlicher Vogel, wirst du einst Mir in die Hnde fallen, So
rupfe ich dir die Federn aus Und hacke dir ab die Krallen.
Du sollst mir dann, in luft'ger Hh', Auf einer Stange sitzen,
Und ich rufe zum lustigen Schieen herbei Die rheinischen
Vogelschtzen.
Wer mir den Vogel herunterschiet, Mit Zepter und Krone belehn
ich Den wackern Mann! Wir blasen Tusch Und rufen: Es lebe der
Knig!
-
51
Ferdinand Freiligrath
Die Auswanderer. Sommer 1832.
Ich kann, den Blick nicht von euch wenden; Ich mu euch anschaun
immerdar: Wie reicht ihr mit geschft'gen Hnden Dem Schiffer eure
Habe dar!
Ihr Mnner, die ihr von dem Nacken Die Krbe langt, mit Brot
beschwert, Das ihr aus deutschem Korn gebacken. Gerstet habt auf
deutschem Herd;
Und ihr, im Schmuck der langen Zpfe, Ihr Schwarzwaldmdchen,
braun und schlank, Wie sorgsam stellt ihr Krg' und Tpfe Auf der
Schaluppe grne Bank!
Das sind dieselben Tpf' und Krge, Oft an der Heimat Born gefllt!
Wenn am Missouri alles schwiege, Sie malten euch der Heimat
Bild:
Des Dorfes steingefate Quelle, Zu der ihr schpfend euch gebckt,
Des Herdes traute Feuerstelle, Das Wandgesims, das sie
geschmckt.
Bald zieren sie im fernen Westen Des leichten Bretterhauses
Wand;
Bald reicht sie mden, braunen Gsten, Voll frischen Trunkes, eure
Hand.
Es trinkt daraus der Tscherokese, Ermattet, von der Jagd
bestaubt; Nicht mehr von deutscher Rebenlese Tragt ihr sie heim,
mit Grn belaubt.
O sprecht! warum zogt ihr von dannen? Das Neckartal hat Wein und
Korn; Der Schwarzwald steht voll finstrer Tannen, Im Spessart
klingt des lplers Horn.
Wie wird es in den fremden Wldern Euch nach der Heimatberge Grn,
Nach Deutschlands gelben Weizenfeldern, Nach seinen Rebenhgeln
ziehn!
Wie wird das Bild der alten Tage Durch eure Trume glnzend wehn!
Gleich einer stillen, frommen Sage Wird es euch vor der Seele
stehn.
Der Bootsmann winkt! Zieht hin in Frieden: Gott schtz' euch,
Mann und Weib und Greis! Sei Freude eurer Brust beschieden, Und
euren Feldern Reis und Mais!
Von unten auf
Ein Dmpfer kam von Bieberich: stolz war die Furche, die er zog!
Er qualmt' und rderte zu Tal, da rechts und links die Brandung
flog! Von Wimpeln und von Flaggen voll, scho er hinab keck und
erfreut: Den Knig, der in Preuen herrscht, nach seiner Rheinburg
trug er heut!
Die Sonne schien wie lauter Gold! Auftauchte schimmernd Stadt um
Stadt! Der Rhein war wie ein Spiegel schier, und das Verdeck war
blank und glatt! Die Dielen blitzten frisch gebohnt, und auf den
schmalen her und hin, Vergngten Auges wandelten der Knig und die
Knigin!
Nach allen Seiten schaut' umher und winkte das erhabne Paar; Des
Rheingaus Reben grten sie und auch dein Nulaub, Sankt Goar! Sie
sahn zu Rhein, sie sahn zu Berg: wie war das Schifflein doch so
nett! Es ging sich auf den Dielen fast als wie auf Sanssoucis
Parkett!
-
52
Doch unter all der Nettigkeit und unter all der schwimenden
Pracht, Da frit und flammt das Element, das sie von dannen schieen
macht; Da schafft in Ru und Feuersglut, der dieses Glanzes Seele
ist; Da steht und schrt und ordnet er der
Proletariermaschinist!
Da drauen lacht und grnt die Welt, da drauen blitzt und rauscht
der Rhein Er stiert den lieben langen Tag in seine Flammen nur
hinein! Im wollnen Hemde, halbernackt, vor seiner Esse mu er stehn!
Derweil ein Knig ber ihm einschlrft der Berge freies Wehn!
Jetzt ist der ofen zugekeilt, und alles pat; So gnnt er auf
Minuten denn sich eine kurze Sklavenkrast. Mit halbem Leibe taucht
er auf aus seinem lodernden Versteck; In seiner Falltr steht er da,
und berschaut sich das Verdeck.
Das glhnde Eisen in der Hand, Antlitz und Arme rot erhitzt, Mit
der gewlbten, haar'gen Brust auf das Gelnder breit gesttzt So lt er
schweifen seinen Blick, so murrt er leis dem Frsten zu: Wie mahnt
dies Boot mich an den Staat! Licht auf den Hhen wandelst du!
Tief unten aber, in der Nacht und in der Arbeit dunkelm Scho,
Tief unten, von der Not gespornt, da schr' und schmied' ich mir
mein Los! Nicht meines nur, auch deines, Herr! Wer hlt die Rder dir
im Takt, Wenn nicht mit schwielenharter Faust der Heizer seine
Eisen packt?
Du bist viel weniger ein Zeus, als ich, o Knig, ein Titan!
Beherrsch' ich nicht, auf dem du gehst, den allzeit kochenden
Vulkan? Es liegt an mir: ein Ruck von mir, ein Schlag von mir zu
dieser Frist, Und siehe, das gebude strzt, von welchem du die
Spitze bist!
Der Boden birst, aufschlgt die Glut und sprengt dich krachend in
die Luft! Wir aber steigen feuerfest aufwrts ans Licht aus unsrer
Gruft! Wir sind die Kraft! Wir hmmern jung das alte morsche Ding,
den Staat, Die wir von Gottes Zorne sind bis jetzt das
Proletariat!
Dann schreit' ich jauchzend durch die Welt! Auf meinen
Schultern, stark und breit, Ein neuer Sankt Christophorus, trag'
ich den Christ der neuen Zeit! Ich bin der Riese, der nicht wankt!
Ich bin's, durch den zum Siegesfest ber den tosenden Strom der Zeit
der Heiland Geist sich tragen lt!
So hat in seinen krausen Bart der grollende Zyklop gemurrt; Dann
geht er wieder an sein Werk, nimmt sein Geschirr und stocht und
purrt. Die Hebel knirschen auf und ab, die Flamme strahlt ihm ins
Gesicht, Der Dampf rumort; er aber sagt: Heut, zornig Ele ment,
noch nicht!
Der bunte Dmpfer unterdes legt vor Kapellen zischend an;
Sechsspnnig fhrt die Majestt den jungen Stolzenfels hinan. Der
Heizer blickt auch auf zur Burg; von seinen Flammen nur behorcht,
Lacht er: Ei, wie man immer doch fr knftige Ruinen sorgt!
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53
Wr' ich im Bann von Mekkas Toren
1836.
Wr' ich im Bann von Mekkas Toren, Wr' ich auf Jemens glh'ndem
Sand, Wr' ich am Sinai geboren, Dann fhrt' ein Schwert wohl diese
Hand;
Dann zg' ich wohl mit flcht'gen Pferden Durch Jethros flammendes
Gebiet! Dann hielt ich wohl mit meinen Herden Rast bei dem Busche,
der geglht;
Dann abends wohl vor meinem Stamme, In eines Zeltes luft'gem
Haus, Strmt' ich der Dichtung inn're Flamme In lodernden Gesngen
aus;
-
54
Dann wohl an meinen Lippen hinge Ein ganzes Volk, ein ganzes
Land: Gleichwie mit Salomonis Ringe Herrscht' ich, ein Zauberer, im
Sand.
Nomaden sind ja meine Hrer, Zu deren Geist die Wildnis spricht;
Die vor dem Samum, dem Zerstrer, Sich werfen auf das Angesicht;
Die allzeit auf den Rossen hngen, Absitzend nur am Wstenbronn;
Die mit verhngten Zgeln sprengen Von Aden bis zum Libanon;
Die nachts, als nimmermde Spher, Bei ihrem Vieh ruhn auf der
Trift, Und, wie vor Zeiten die Chalder, Anschau'n des Himmels
goldne Schrift;
Die oft ein Murmeln noch vernehmen Von Sinas glutgeborstnen
Hh'n; Die oft des Wstengeistes Schemen In Sulen Rauches wandeln
sehn;
Die durch den Ri oft des Gesteines Erschau'n das Flammen seiner
Stirn - Ha, Mnner, denen glh'nd wie meines In heien Schdeln brennt
das Hirn.
O Land der Zelte, der Geschosse! O Volk der Wste, khn und
schlicht! Beduin, du selbst auf deinem Rosse Bist ein
phantastisches Gedicht! -
Ich irr' auf mitterncht'ger Kste; Der Norden, ach! ist kalt und
klug. Ich wollt', ich sng' im Sand der Wste, Gelehnt an eines
Hengstes Bug.
-
55
Hurra, Germania! 25. Juli 1870.
Hurra, du stolzes schnes Weib, Hurra, Germania! Wie khn mit
vorgebeugtem Leib Am Rheine stehst du da! Im vollen Brand der
Juliglut, Wie ziehst du risch dein Schwert! Wie trittst du zornig
frohgemut Zum Schutz vor deinen Herd! Hurra, hurra, hurra! Hurra,
Germania!
Du dachtest nicht an Kampf und Streit: In Fried' und Freud' und
Ruh' Auf deinen Feldern, weit und breit, Die Ernte schnittest du.
Bei Sichelklang im hrenkranz Die Garben fuhrst du ein: Da pltzlich,
horch, ein andrer Tanz! Das Kriegshorn berm Rhein! Hurra, hurra,
hurra! Hurra, Germania!
Da warfst die Sichel du ins Korn, Den hrenkranz dazu; Da fuhrst
du auf in hellem Zorn, Tief atmend auf im Nu; Schlugst jauchzend in
die Hnde dann: Willst du's, so mag es sein! Auf, meine Kinder, alle
Mann! Zum Rhein! zum Rhein! zum Rhein! Hurra, hurra, hurra! Hurra,
Germania!
Da rauscht das Haff, da rauscht der Belt, Da rauscht das
deutsche Meer; Da rckt die Oder dreist ins Feld, Die Elbe greift
zur Wehr. Neckar und Weser strmen an, Sogar die Flut des Mains!
Vergessen ist der alte Span: Das deutsche Volk ist eins! Hurra,
hurra, hurra! Hurra, Germania!
Schwaben und Preuen Hand in Hand; Der Nord, der Sd ein Heer! Was
ist des Deutschen Vaterland, Wir fragen's heut nicht mehr! Ein
Geist, ein Arm, ein einz'ger Leib, Ein Wille sind wir heut! Hurra,
Germania, stolzes Weib! Hurra, du groe Zeit! Hurra, hurra, hurra!
Hurra, Germania!
Mag kommen nun, was kommen mag: Fest steht Germania! Dies ist
All-Deutschlands Ehrentag: Nun weh' dir, Gallia! Weh', da ein Ruber
dir das Schwert Frech in die Hand gedrckt! Fluch ihm! Und nun fr
Heim und Herd Das deutsche Schwert gezckt! Hurra, hurra, hurra!
Hurra, Germania!
Fr Heim und Herd, fr Weib und Kind, Fr jedes teure Gut, Dem wir
bestellt zu Htern sind Vor fremdem Frevelmut! Fr deutsches Recht,
fr deutsches Wort, Fr deutsche Sitt' und Art, Fr jeden heil'gen
deutschen Hort, Hurra! zur Kriegesfahrt! Hurra, hurra, hurra!
Hurra, Germania!
Auf, Deutschland, auf, und Gott mit dir! Ins Feld! der Wrfel
klirrt! Wohl schnrt's die Brust uns, denken wir Des Bluts, das
flieen wird! Dennoch das Auge khn empor! Denn siegen wirst du ja:
Gro, herrlich, frei, wie nie zuvor! Hurra, Germania! Hurra,
Viktoria! Hurra, Germania!
-
56
Georg Herwegh
O wag es doch nur einen Tag!
Frisch auf, mein Volk, mit Trommelschlag Im Zorneswetterschein!
O wag es doch, nur einen Tag, Nur einen, frei zu sein! Und ob der
Sieg vor Sternenlicht Dem Feinde schon gehrt Nur einen Tag! es
rechnet nicht Ein Herz, das sich emprt.
O wart in deiner tiefen Not Auf keinen Ehebund; Wer liebt, der
gehet in den Tod Fr eine Schferstund: Und wer die Ketten knirschend
trug, Dem ist das Sterben Lust Fr einen freien Atemzug Aus
unterdrckter Brust.
La deine Weisen fort und fort Nur Tod und Schrecken sehn, Dem
Volk soll vor Prophetenwort Der Ruf der Ehre gehn. Horch auf, der
letzte Wrfel fllt, Dein Abend, er ist nah, Noch einmal stehe vor
der Welt In deiner Gre da!
O tilg nur einen Augenblick Aus deiner Sklaverei, Und zeig dem
grollenden Geschick, Da sie nicht ewig sei; Erwach aus deinem bsen
Traum: Reif ist, die du gesucht, Und schttle nicht zu spt vom Baum,
Wenn sie gefault, die Frucht.
Wach auf! wach auf! die Morgenluft Schlgt mahnend an dein Ohr
Aus deiner tausendjhr'gen Gruft Empor, mein Volk, empor! La kommen,
was da kommen mag: Blitz auf, ein Wetterschein! Und wag's, und wr's
nur einen Tag, Ein freies Volk zu sein!
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Bundeslied fr den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein
Bet' und arbeit'! ruft die Welt, bete kurz! denn Zeit ist Geld.
An die Tre pocht die Not - bete kurz! denn Zeit ist Brot.
Und du ackerst und du sst, und du nietest und du nhst, und du
hmmerst und du spinnst - sag' o Volk, was du gewinnst!
Wirkst am Webstuhl Tag und Nacht, schrfst im Erz- und
Kohlenschacht, fllst des berflusses Horn, fllst es hoch mit Wein
und Korn.
Doch wo ist dein Mahl bereit? Doch wo ist dein Feierkleid? Doch
wo ist dein warmer Herd? Doch wo ist dein scharfes Schwert?
Alles ist dein Werk! o sprich, alles, aber nichts fr dich! Und
von allem nur allein, die du schmied'st die Kette dein?
Kette, die den Leib umstrickt, die dem Geist die Flgel knickt,
die am Fu des Kindes schon klirrt - o Volk, das ist dein Lohn.
Was ihr hebt ans Sonnenlicht, Schtze sind es fr den Wicht; was
ihr webt, es ist der Fluch fr euch selbst - ins bunte Tuch.
Was ihr baut, kein schtzend Dach hat's fr euch und kein Gemach;
was ihr kleidet und beschuht, tritt auf euch voll bermut.
Menschenbienen, die Natur gab sie euch den Honig nur? Seht die
Drohnen um euch her! Habt ihr keinen Stachel mehr?
Mann der Arbeit, aufgewacht! Und erkenne deine Macht! Alle Rder
stehen still, wenn dein starker Arm es will.
Deiner Drnger Schar erblat, wenn du, mde deiner Last, in die
Ecke lehnst den Pflug, wenn du rufst: Es ist genug!
Brecht das Doppeljoch entzwei! Brecht die Not der Sklaverei!
Brecht die Sklaverei der Not! Brot ist Freiheit, Freiheit Brot!
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Georg Weerth
Das Hungerlied
Verehrter Herr und Knig, Weit du die schlimme Geschicht? Am
Montag aen wir wenig, Und am Dienstag aen wir nicht.
Und am Mittwoch muten wir darben, Und am Donnerstag litten wir
Not; Und ach, am Freitag starben Wir fast den Hungertod!
Drum la am Samstag backen Das Brot, fein suberlich Sonst werden
wir sonntags packen Und fressen, o Knig, dich!
Arbeite
Du Mann im schlechten blauen Kittel, Arbeite! Schaffe Salz und
Brot! Arbeite! Arbeit ist ein Mittel, Probat fr Pestilenz und
Not.
Arbeite! Rhre deine Arme! Arbeite sechzehn Stunden so! Arbeite!
Nachts ja lacht das warme, Das Lager dir von faulem Stroh.
Arbeite! Hast ja straffe Sehnen. Arbeite! Denk, mit schwangerem
Leib Harrt in der Htte dein mit Trnen Ein schnes leichenbleiches
Weib.
Arbeite! Gleich der Stirn der Rinder Ist ja die deine breit und
dick. Arbeite! Deine nackten Kinder, Die kssen dich, kehrst du
zurck.
Arbeite bis die Adern klopfen! Arbeite bis die Rippe kracht!
Arbeite bis die Schlfen tropfen - Du bist zur Arbeit ja
gemacht!
Arbeite bis die Sinne schwinden! Arbeite bis die Kraft versiegt!
Arbeite! - Wirst ja Ruhe finden, Wenn dein Gebein im Grabe
liegt.
Der alte Wirt in Lancashire
Der alte Wirt in Lancashire, Der zapft ein jmmerliches Bier. Er
zapft' es gestern, zapft es heute, Er zapft es immer fr arme
Leute.
Die armen Leut in Lancashire, Die gehen oft durch seine Tr; Sie
gehn in Schuhen, die verschlissen, Sie kommen in Rcken, die
zerrissen.
Der erste von dem armen Pack, Das ist der bleiche, stille Jack.
Der spricht: Und was ich auch begonnen
Hab nimmer Seide dabei gesponnen!
Und Tom begann: Schon manches Jahr Spann ich die Fden fein und
klar; Das wollene Kleid mocht manchem frommen Bin selbst aber nie
in die Wolle gekommen!
Und Bill darauf: Mit treuer Hand Fhrt ich den Pflug durch
britisch Land; Die Saaten sah ich lustig prangen Bin selbst aber
hungrig nach Bett gegangen!
Und weiter schallt's: Aus tiefem Schacht Hat Ben manch Fuder
Kohlen gebracht; Doch als sein Weib ein Kind geboren Goddam ist
Weib und Kind erfroren!
Und Jack und Tom und Bill und Ben Sie riefen allesamt: Goddam!
Und selbe Nacht auf weichem Flaume Ein Reicher lag in bsem
Traume.
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59
August Heinrich Hoffmann von Fallersleben
Das Lied der Deutschen Helgoland 26. August 1841
Deutschland, Deutschland ber alles, ber alles in der Welt, Wenn
es stets zum Schutz und Trutze Brderlich zusammenhlt, Von der Maas
bis an die Memel, Von der Etsch bis an den Belt - Deutschland,
Deutschland ber alles, ber alles in der Welt!
Deutsche Frauen, deutsche Treue, Deutscher Wein und deutscher
Sang Sollen in der Welt behalten Ihren alten schnen Klang