Dresden, 1719: Planetenfeste, kulturelles Gedchtnis und die
ffnung der Stadt Author(s): Cornelia Jchner Reviewed work(s):
Source: Marburger Jahrbuch fr Kunstwissenschaft, 24. Bd., Kunst als
sthetisches Ereignis (1997), pp. 249-270 Published by: Verlag des
Kunstgeschichtlichen Seminars der Philipps-Universitt Marburg
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DRESDEN,17 9: PLANETENFESTE,KULTURELLES GEDACHTNIS UND DIE
OFFNUNG DER STADT
Cornelia Jochner
Die Fortifikation als ,,Behiilter" der Stadt Unter den Gemalden,
die Bernardo Bellotto um die Mitte des 18. Jahrhundertsin Dresden
anfertigte, zeigen die Aufienansichten der Stadt eine auffallige
Gestaltung der Peripherie. Ein Vergleich mit Stadtedarstellungen
des 17. Jahrhunderts ergibt zunachst, dafi Bellotto den frontalen
Standpunkt der Stadt gegeniiber aufgibt. Damit erhalt er
grundsatzlich andere M6glichkeiten: Wahrend etwa Merian den
Stadtkorperals Ganzes darstellte, prasentiert Bellotto zwar auch
Panoramen, haufiger aber Details. Bei diesen partiellen Ansichten
der Stadt ist die Peripherie dann oft eine dynamische Diagonale,
die andere Elemente im Bild stiitzt. Nicht nur, dafi der Ubergang
zwischen Stadt und Land bei Merian knapp angedeutet im Vordergrund
oder an den Seiten des Bildes blieb und er bei Bellotto mehr Raum
und damit bereits kompositorisch einen anderen Stellenwert gewinnt
- die neue Bedeutung der Peripherie zeigt sich auch in den
Aktivitaten, die hier stattfinden und Veranderung signalisieren.
Dafi in der Zone unmittelbar vor und hinter der Fortifikation
gebaut wird, machen Bellottos AufBenansichtenvon Dresden alle auf
irgendeine Weise deutlich: Da wird am Neustadter Ufer eine Mauer
errichtet, da ist der Turm der Hofkirche eingeriistet, auf einem
anderen Bild auch ihre Fassade. In der unruhigen Wilsdruffer
Vorstadt sieht man Wohnhauser im Umbau; neben dem Zwingergraben
erblickt man die vor wenigen Jahren errichtete Ostra-Allee, die nun
als neue Promenade aus der Stadt hinausfiihrt.l Die Stadt wendet
sich nach aufien - wenn dieser Schliissel auf viele Veduten
Bellottos pafit, so gehort er doch zu Dresden in besonderer Weise.
Was hier in der Mitte des 18. Jahrhunderts am Elbufer
entstand, kehrte das jahrhundertelang geltende und nach innen
orienPrinzipder geschlossenen tierten Stadt um:2 eine Kulisse aus
Hofkirche (1738) und Briihlschem Gebaudekomplex (1739ff.), welche
die Befestigung,entscheidendes und fruhneuzeitlicher
Merkmalmittelalterlicher augerKraftsetzteund die
StadtiffneUrbanistik, zu te, um sie von aufienbetrachtbar machen.So
und aufderElbbastion ruhtedie Briihlsche Anlage Arhin
wareineaufBlickbeziehungen konzipierte der chitektur, die
Befestigungnurmehrals UnterDie der baudiente.3 Errichtung
Hofkirchegarhatder Durchbruch Fortifikatite einen regelrechten on
zur Folge. Nur durch eine Plazierung am unmittelbar Ufer war die
gewiinschteAnsichtigkeitderKirchevon derNeustadthergewahrleistet:
Um Platz zu gewinnen,mufte ein Teil des und Wallesabgetragen von
der Flufiseiteher Erde aufgeschiittet werden.4 Bellotto, der auf
den Mauernund AufDresdnerBildernabgetragene von Erdewie
offeneWundenzeigt,lat haufungen keinen Zweifel daran,dafi die
Offnung der Stadt der die zunachsteinesbedeutet: Zerst6rung
Fortifikation,ihresbisherigen,,Randes". in WennVeranderungen
Stadtensich nur langso samdurchsetzen, gilt dies fur das Ende der
Behalterstadtin besonderem Mafe.5 Dresden ist hierfiirein
pragnantes Beispiel,weil die Fortifikation sehr friih als
Begrenzungder Stadtund bald worden wohl auchals Einschrankung
empfunden sein mug, es aber dennoch lange dauerte,bis sie aufgelist
wurde.Bereits1591,kurzeZeit nachder ChristianI. der Bastionierung
Stadt,lief Kurfiirst Dieses Gedas Lusthausauf der Basteierrichten.
baude ermiglichte erstmals den Blick iiber die Stadthinausund war
sowohl von seinerLokation her wie auchals Belvedereein direkter
Vorganger Eine ganzeSerievon Beder Briihlschen Anlage.6
249
bauungen setzte dann im Westen des Schlosses ein, wo durch die
Erweiterung des Walles freier Raum entstanden war. Im Laufe des 17.
Jahrhunderts wurden hier verschiedene Reprasentationsbauten (Oper,
Schiefihaus, Reithaus) errichtet, welche die Fortifikation noch
nicht beeintrachtigten. Erst das Zwingergebaude (1711-32) stief
unmittelbar in die Befestigung hinein und mugte gegen die Militars
durchgesetzt werden, da sein Bau eine Offnung des Walles
bedeutete.7 Im Zusammenhang mit den Zwinger-Planungen entstand
schlie3lich zu Beginn des 18. Jahrhunderts der Gedanke, die bislang
solitaren hofischen Funktionsbauten in einem einzigen grogen
Residenzkomplex zusammenzufassen. Der Wunsch nach einem derart
vergr6oierten SchloS und einer Aufhebung seiner randstandigen
Situation in der Stadt bedeutete entweder eine Ausdehnung der
Fortifikation oder deren villige Auflisung: So sollte nach einem
der Pline die Befestigung nach aufien geschoben werden; Baumalleen
hinter der Fortifikation hatten hier eine Sichtverbindung mit der
Umgebung erzeugt.8 Ein friiheres Projekt hatte ein Residenzschlog
vorgesehen, das sich vollig unbefestigt, dafiir aber mit einem
Garten ausgestattet, in die Elblandschaft erstreckte.9 Wahrend die
Entfestigung in Dresden wie bei den meisten deutschen Stidten erst
zu Beginn des 19. Jahrhundertserfolgte,10 hatte es also schon
lanvorher und auch vor der ersten faktischen Offge nung der
Fortifikation durch den Bau der Hofkirche erhebliche Ubertritts-,
Dehnungs- und Perforationsversuche gegeben.11Dresden ist damit ein
Fall, bei dem die Bauwiinsche und urbanistischen Vorstellungen der
Landesherrn mit der Befestigung als raumlicher Limitation der Stadt
kollidierten. Die Forschung kann der Entfestigungsphase schon seit
einiger Zeit neue Aspekte abgewinnen.12 Beziiglich Dresden - einer
Stadt, die sich im 18. und 19. Jahrhundertiiberaus wirkungsvoll mit
ihrem Umland verbindet - m6chte ich im folgenden Impulse
untersuchen, welche die gewohnte Vorstellung von der geschlossenen
Stadt zu torpedieren vermochten: die Planetenfeste von 1719. Dafi
dieser Fall nicht umstandslos auf andere Stadte iibertragbarist,
versteht sich. Jedoch vermochten es die Planetenfeste, eine Idee
von Stadt hervorzurufen, die auf den spateren
landschaftsbezogenen
Ausbau Dresdens hinwirken konnte - ein Resultat, das fur die
Stadt des spateren 18. Jahrhunderts durchaus Relevanz beanspruchen
darf. Feste als Inspiratoren fur die Entfestigung waren bislang
kein Thema der Forschung. Wahrend die Architekturhistorie ihre
Aufmerksamkeit entweder auf Festdekorationen richtete13oder
untersuchte, inwieweit ephemere Festbauten die reale Architektur
beeinflufiten,14 erfafit die Festforschung mittlerweile zwar auch
Rituale im stadtischen Bereich,15interessiert sich aber weniger fur
deren langerfristigen, ihren urbanistischen Effekt.16Den Studien,
die in diese Richtung zielen, mochte ich mich insofern
anschliefien,17 ich zeials ge, wie die Planetenfeste aufgrund ihrer
Lokationen und mit den Medien des Festes die Vorstellung von einer
sich iffnenden, einer nach augien ausstrahlenden Stadt wecken
konnten. Dafi diese Idee gegen die bestehende, die geschlossene
Stadt wirksam werden konnte, dafiir sorgten zwei unterschiedliche
Aufbewahrungssysteme: zum einen das Fest mit seiner spezifischen
Zeitstruktur, zum andern die Kupferstiche, die von den Ereignissen
hergestellt wurden. Ein solches Gedachtnis der Ereignisse von 1719
war dazu geeignet, langfristig jenen Prozef urbanistischer
Umorientierung einzuleiten, den Bellotto in seinen Bildern zeigt,
und der zu Beginn des 19. Jahrhunderts im landschaftsbezogenen
Ausbau Dresdens endet."8
Kursachsenund die Hochzeit von 1719 Die Vermihlung des
Thronfolgers Friedrich August mit der habsburgischen Kaisertochter
Maria Josepha im September 1719 beinhaltete fur Kursachsen die
Perspektive, eine politisch bedeutsame Macht zu werden.19Zwar
riickte Kurfiirst Friedrich August I. (der ,,Starke") mit dem
Erhalt der polnischen Kinigskrone in die Reihen der europaisch
agierenden Fiirsten auf, doch zeigte sich im Nordischen Krieg, wie
labil diese Position war. Infolge seiner dortigen militirischen
Niederlage hatte August zwar noch den Titel des polnischen Konigs
inne, verlor aber das Land und konnte es erst 1709 wiedergewinnen.
Wenn er sich nun durch die Verbindung des Kurprinzen mit der
Kaisertochter eine Stabilisierung seiner augenpolitischen
Situati-
250
on erhoffte, so geschah dies auf der Basis einer traditionell
kaisertreuen Politik des Hauses Wettin. Zu dieser Rolle gehorte
auch das Amt des Reichsvikars, das die sachischen Kurfiirsten seit
Erlafider Goldenen Bulle (1356) mit der Rechtssprechung in den
Gebieten des sachsischen Rechts und der Vertretung des Kaisers bei
dessen Abwesenheit oder Tod betraute. Erst 1711 hatte der
sachsische Kurfiirst diese Funktion wahrgenommen, nachdem
KaiserJoseph I. iiberraschendverstorben war. Dai der Dresdner Hof
das Amt des Reichsvikars als eine Funktion begriff, mit der
reichsweiter Einflufi zu erlangen war, zeigt der Begleittext zum
Zwinger-Druckwerk. Dort heifit es, eine solch ,,ansehnliche
Vicariats=Wurde"habe ,,bey einem so grossen Konige und Chur=Fursten
zugleich, so lange das Romische Reich steht, in einer Persohn, sich
noch niemahlen beysammen befunden."20 Die Spekulation Kursachsens
bei der Vermahlung des Thronfolgers ging dahin, die vor der
Hochzeit ausdriicklich abgetretenen Erbanspriche der Kaisertochter
wieder geltend zu machen. Dies vorausgesetzt, konnten sich fur
Kursachsen zwei h6chst interessante Optionen ergeben: Erstens
wiirde das 6sterreichische Schlesien als Erbland Maria Josephas an
Kursachsen fallen, einen Korridor zu Polen bilden und so ein
riesiges Territorium mit Zugang zur Ostsee ermoglichen. Zweitens
ware unter diesen Voraussetzungen auch nicht auszuschliefien, dafi
der jetzige Kurprinz und zukiinftige Regent Sachsens, Kurfurst
Friedrich August II., einmal zum Kaiser gewahlt werden k6nnte.
Insofern stellte die Konzeption der Hochzeitsfeierlichkeiten hohe
Anspriiche an die sachsische Seite, die hiermit ein
,,unvergleichliches u. Konigliches Denckmahl" beabsichtigte.21
, Zeitinsel" und kulturelles Gedichtnis: Die Planetenfeste Was
als die Dresdner Hochzeit von 1719 bezeichnet wird, war nicht die
Vermahlung selbst; diese hatte bereits am 20. August in Wien
stattgefunden. Die Feste des Dresdner Hofes, wie sie sich iiber den
Monat September hinzogen, galten dem Empfang der fiirstlichen
Braut: Erzherzogin Maria Josepha, Kaisertochter und jetzige
sachsische Kur-
prinzessin, wurde damit in ihrem zukiinftigen Territorium
begriifit. Das Gerist der Dresdner Feste im Jahr 1719 waren sieben
Planeten: Sol (Apoll), Mars, Jupiter, Luna (Diana), Merkur, Venus
und Saturn. Der Vorzug der Planeten als Festfigur bestand in den
verschiedenen Bedeutungen, die ihnen zugeordnet waren und die fur
die Festgestaltung genutzt werden konnten. Als Gottheiten stellten
sie allegorische Personen dar, korrespondierten aber auch mit
bestimmten Metallen und Wochentagen. Wahrend friihere Feste bei der
Verbilwendung einzelner Figuren geblieben waren,22 deten die
Planeten in Dresden 1719 erstmals einen zusammenhangenden Zyklus:
Ein ganzer Festmonat stand hier unter diesem Thema, wobei
bestimmte, nach den Attributen der Planeteng6tter gestaltete Tage,
die Hohepunkte waren. So soll wie es in der Serenade zu Beginn der
Feste heii3tApoll/Sol die Nacht zum Tage machen, Mars die alten
Ritterspiele aufleben lassen, Jupiter wird die Elemente befehligen,
Diana das Wild aus den Waldern treiben, Merkur durch Waren aus
aller Welt fur Abwechslung sorgen, Venus mit Hilfe der Elbnymphen
und des Theaters das Herz der Erhabenen betoren, Saturn die Schatze
des Berges prasentieren.23 Der Zyklus in Dresden war grundsatzlich
so konzipiert, daf das Fest eines Planeten jeweils an dem ihm
zugeordneten Wochentag stattfand. Diese Korrelation konnte aber nur
in drei Fallen eingehalten werden (Apoll/Sol, Mars, Merkur). Die
Schwierigkeit war, die Planetenfeste nach diesem System auf einen
Monat zu verteilen, denn die Feiern sollten ja den ganzen September
uber dauern. Da etwa alle drei Tage ein grofes Fest stattfinden
sollte, standen die iibrigen vier Planeten (upiter, Luna/Diana,
Venus, Saturn) somit Wochentagen vor, die eigentlich nicht zu ihnen
paften. Abgesehen von diesen Unstimmigkeiten dem Konzept gegeniiber
aber bildeten die Planetenfeste die eigentlichen Hohepunkte der
Dresdner Feierlichkeiten des Jahres 1719. Die Zeit dazwischen
fiillten kleinere Veranstaltungen, so dafi ein insgesamt
kontinuierlicher Festverlauf entstand. Monika Schlechte schreibt in
ihrer Arbeit iiber hofisches Zeremoniell und die Planetenfeste in
Dresden, das Ziel dieser Konzeption von durchgehenden Festen sei es
gewesen, ,,den Monat Sep-
251
temberals vier WochenfestlichenDaseinsim BeEin wufitsein der
Gaste festzuschreiben."24 Gedachtnis dieser Feierlichkeitenware
demnach durchihre
besonderezeitlicheExtensionentstanmufijedochaufdasHofzereden.
Demgegeniiber moniell verwiesenwerden, das bereitsmit seiner auf
Zentrierung den Herrschereine iiberzeitliche hat fur Struktur
setzt.Beispielhaft KarlM6seneder die ,,Entree"gezeigt, wie die
Ankunft eines Regentendurchden Ruckgriffauf antikeund christeine
FixielicheTraditionen solch aktualitatsferne Das h6fische Fest,
indem es den rung erhalt.25 Herrscher ideellesZentrum
kannalsMateals hat, des Zeremoniells rialisierung gelten.Diese
Bestimdes friihneuzeitlichen Hoffestes ist deshalb mung
wichtig,weil hierinseine Besonderheit gegeniiber anderen
Festenliegt.Dem Zeremoniell und nicht dem Fest,wie Schlechtemeint-
kommtdamitdie eigentlich aufbewahrende, gedachtnisbildende
Funktionzu. Erst iiber das Zeremoniell wird das hofischeFest zu
einer ,,Zeitinsel" (JanAssmann), die sich im Ritualdem
FlufiderAlltagskommunikationentziehtund so die Entstehung
eineskulturellenGedachtnisses erm6glicht.26 auf von Obertragen
dasDresdner Ereignis 1719, heiit dies:Nicht alleinseineDauervon
einemMonat, sondernvor allemein der Vermahlungssituation
angemessenes und Festsujet dessenzeremonielle Ausgestaltung es, die
fur die Einpragsamsind keit dieses Ereignissessorgen. Wenn die
Heirat zwischenKurprinz Friedrich Augustund ErzherMaria den
kosmischenRahmender zogin Josepha Planetenerhalt,so bedeutetdies,
dafi die Verbindungdes HausesWettinmit dem Haus Habsburg als so
zukunftsstrachtig betrachtet wird, dafi- so die Aussage des Festes
- die Gotter selbst vom Himmelherabsteigen, das Paarin Dresdenzu um
Unter solchen Vorzeichengilt dann begriifien.27 auch nicht mehr der
normaleAblaufvon Woche undMonat,derdurchdie Feststruktur Kraft
aufier ist. So entstand eine aufiergew6hnliche gesetzt
Festkonzeption,die mit dazu beitrug,dafIDresden den Ruf eines
,,prachtigen" Hofes erlangte.28 Dariiberhinausblieb die
zeremonielle Gestaltung derPlanetenfeste in das 19.Jahrhundert bis
hinein vorbildhaft andereH6fe.29 fir Den Ruf der Ereignissevon
1719aberverbreitete allemein visuvor elles Medium- das
Kupferstichwerk, August das
der Starke in Auftrag gegeben hatte. Wie bereits von anderen
Festen sollte auch 1719 in Dresden ein Konvolut aus Abbildungen und
Texten publiziert werden, damit, so der Kurfiirst-K6nig, ,,der
spaten Nachwelt ein unausloschliches Andencken erwiichfle".30Das
Konvolut erschien nie als Ganzes, doch gehoren die einzelnen
Blatter zu den bekanntesten Festdarstellungen des Barock uberhaupt.
Unter den visuellen Objektivationen war die Druckgraphik durch ihre
Reproduzierbarkeit besonders geeignet, die Ephemeritat eines Festes
zu iberwinden - hier sammelte sich seine ,,mnemische
Energie".31Wenn die Dresdner Ereignisse von 1719 eine sich 6ffnende
Stadt zeigten, so stellten die Struktur des hofischen Festes und
die in Auftrag gegebenen Kupferstiche zwei Aufbewahrungssysteme
dar, die die im Fest blitzartig aufscheinende Vorstellung gegen die
gewohnte, geschlossene Stadt langfristig zu mobilisieren
vermochten.
Orte am Rande der Stadt: Die Topologie des Festes Die einzelnen
Ereignisse 1719 fanden an jeweils verschiedenen Orten in und um
Dresden statt: Platze, Garten oder Gebaude, die fir den Anlafi der
Feierlichkeiten eigens fertiggestellt (Zwinger) oder besonders
ausgestattet worden waren (Hollandisches Palais, Altmarkt, Elbe,
Grofier Garten, Plauenscher Grund). Bis auf eine einzige Ausnahme
(Altmarkt) lagen alle Orte der Planetenfeste nicht an zentraler
Stelle in der Stadt, sondern an ihren Randbereichen oder sogar
aufierhalb. Diese Plazierung war die spate Folge eines
komplizierten historischen Prozesses. Wie andere Landesherren auch
hatten sich die albertinischen Wettiner im Spatmittelalter in einer
bestehenden Stadt niedergelassen.32Deren raumliche Disposition aber
war bereits festgelegt, so dafi die meisten Residenzschlosser und
h6fischen Einrichtungen am Rande der Stadt entstanden. Jean Louis
Sponsel wies in seiner Geschichte der Dresdner Festorte auf die
Zwange hin, denen die sachsischen Kurfursten in einer befestigten
und daher limitierten Stadt unterworfen waren.33Neue Bauvorhaben
der Landesherrn begniigten sich zunachst mit den knappen Raumresten
vor und hinter der Fortifikation;
252
wurdenauch andereals die bishergeschliei3lich wohnten
Schlofikonzepte aufierhalb Stadtgeder sucht.DieserProzeti,in
demfiirstliche Bautenallmahlichvon einerrandstandigen im
StadtinLage neren in den Aufienraum des Territoriums dringen, war
zum Zeitpunkt der Planetenfeste zwar schon voll im Gange-
allerdings bis zu nur einer gewissen Schwelle, die nicht weit von
der Stadt entfernt lag. Erst nach den Planetenfesten lost sich
diese Beschrankung den unmittelbaauf ren Aufienraumder Stadt, und
es entsteht eine weiganzeAnzahlvon Schlofi-Garten-Ensembles ter
draufien Land. im Eine Abbildungaus dem Kupferstichwerk, das
KurfiirstFriedrichAugust I. in Auftraggegeben hatte, zeigt die
Situierungder meisten Festorte (Abb. 1). Da die Publikationals
ganzenie vollendet wurde, versaumte man wahrscheinlich,die der
Buchstabenbezeichnungen Legende(links im
Bild) auf die einzelnen Festorte in der Karte zu ubertragen.
Dies wurde auf unserer Reproduktion mit Ziffern nachgeholt. Die
kartographische Darstellung macht somit auch die Bewegungen
vorstellbar, die die Dresdner Festgesellschaft vollziehen mufgte,um
die Orte zu erreichen, an denen die verschiedenen Ereignisse
stattfanden. (Der Plauische Grund, in dem das Saturnfest stattfand,
fehlt, weil die Karte hierfiir einen zu kleinen Ausschnitt zeigt.)
Verschiedene Orte - wie der Vorgingerbau des Zwingers oder der
Grogie Garten - waren zwar auch schon vorher fur Feste genutzt
worden. Das Neue an den Festen 1719 aber war, dafi der Hof, der in
der Stadt sefihaft geworden war, fur einen ganzen Monat immer
wieder in deren Randbereiche gefuhrt wurde: Die Festorte waren
entweder in die Befestigung selbst hineingedrangt oder lagen
unmittelbar vor der Stadt. Gleichzeitig griffen die Festmedien
iiber die Grenzen dieser Orte hinaus:
1 Johann August Corvinus, Plan von Dresden mit Einzeichnung des
Einzugs von 1719 und nachtraglicher Kennzeichnung der verschiedenen
Festorte (1= Hollandisches Palais, 2= Altmarkt, 3= Zwinger, 4=
Elbe, 5= Zwinger, 6= Grof3erGarten. Der siebente Festort, der
Plauensche Grund liegt auferhalb der Reichweite dieses Planes).
Kupferstich. Dresden, Kupferstichkabinett
253
Die Stadt, durch die bastionare Befestigung immer starker gegen
das Land abgeschlossen, geriet nun in eine gestalterische
Verbindung mit ihm.
Flufl, Residenzstadt, Territorium: Die zeremonielle Heimfiihrung
der Braut Mit grofiem Gefolge war das Brautpaarvon Wien nach
Sachsen gereist, um am 31. August in Pirna einzutreffen. Die
nachste Reiseetappe sollte sich auf der Elbe vollziehen. In Pirna
wartete bereits die sichsische Festflotille auf das Kurprinzenpaar,
das im ,,Bucentauro" reisen sollte, einem Schiff nach dem Vorbild
der venezianischen Staatsbarke, das der italienische Baumeister
Mauro angefertigt hatte (Abb. 2). Der Bericht iiber den Einzug
vermerkt, die Erzherzogin habe sich nach der morgendlichen Messe
auf das Schiff begeben.34 Die Schiffsknechte seien ,,auf Holland.
Weise in gelben Atlas und weifi seidene Strumpfe gekleidet"
gewesen. Gegen zehn Uhr sei man ,bey der Heyde/ ohnweit Blasewitz"
angekommen, einer Wiese vor der Stadt, in der ,9. Tiircksche
Gezelter" aufgeschlagen gewesen seien. Dort empfing der
Kurfiirst-Konig die Schwiegertochter, begab sich da-
nach in das Residenzschlofg zuriick,um dort den Anschliegend
Maria zu erwarten. Einzug Josephas die Paradeam Zelt der
Erzherzogin vorbei,in zog die diese sich einfiigte.Damit begannder
eigentliche Einzugin die Stadt.Abbildung1 und 2 zeigen der den Zug
aus verschiedenen Perspektiven, sich Er von den Zeltenausin
RichtungStadtformierte. des bestandaus den Post- und
Jagdbediensteten Landes, den Landstanden,Vertreterndes Hofadels,
die alle ihre eigenen Pferde hatten. Hinzu und kamenPferdeaus den
sachsischen polnischen Pauker, Provinzen,Stallmeister, Trompeter,
k6nigund die k6niglich-polliche Pagen,die sachsische nische
Sanfte,die Generalitat, neunzig Cavaliere vom Hof, die
k6niglichenLaufersowie die Soldateska,in ihrerMitte der Kurprinzauf
dem Pferd. Hohepunkt des Zuges aber war der Wagen der
Kurprinzessin,die dort ,gantz allein in einem kostbaren samtenen
Pfirsisch=blutenenKleide"sai.
Die Heimfiihrungder furstlichenBraut ,,mit und Einziigen"35
grossenSolennitaeten prachtigen einem war ein Sonderfalldes
Herrschereinzugs, Element der aufieren Erscheiunverzichtbaren
wahrenddes ganzenMittelnung von Herrschaft alters. Die Huldigung an
den Firsten und die
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2 A. Richter, Ansicht der Elbe mit der Flotte, welche das
Brautpaar 1719 von Pirna nach Dresden brachte. Kupferstich.
Dresden, Kupferstichkabinett
254
Schliisselubergabe fur die Tore der Stadt hatten dort
Rechtscharakter,36 wahrend sich im Zeitalter der festen
Residenzorte die Bedingungen fiir dieses Zeremoniell anderten: Als
fiirstliche Residenz biifite die Stadt ihre vorherige Souveranitat
ein, die urspriingliche rechtliche Bedeutung des
Einzugszeremoniells war damit hinfallig geworden.37 Doch zeigt die
Postierung der verschiedenen sozialen Gruppen beim Einzug 1719 in
Dresden, dafi es auch noch zu diesem Zeitpunkt die Burger waren,
die zumindest innerhalb der Stadt die Erzherzogin als erste
begriiften.38 Wie Karl M6seneder deutlich machte, fehlte bereits
den ,Entrees" des 17. Jahrhunderts eine rechtliche Bedeutung.39
Stattdessen wurde das Sich-zeigen der Herrscher nun Bestandteil
einer allgemeinen hofischen Sinnlichkeitsstrategie, die auf
,Uberredung der Augen' durch einen hohen materiellen Aufwand
abzielte.40 Magnifizenz, Pracht oder Pomp waren als aristotelische
,,Tugend der Grofiartigkeit" ein
althergebrachtesUnterscheidungsmerkmal des Fiirsten von den
Mitgliedern anderer Stande. Diesen erhohten Lebensaufwand, zu dem
in der Auffassung der Friihen Neuzeit auch die Kunst geh6rte,
rechtfertigten die Fiirstenlehren folgendermafien: Gott zeige sich
in seinen aufieren Werken, daher sei auch dem Fursten als dessen
Statthalterauf Erden ein derart aufieres Wesen gewahrt.41Im 18.
Jahrhundert kam hier ein neues Argument hinzu. Dem sinnlich
Erfahrbaren, vor allem dem Visuellen wurde eine Uberzeugungskraft
beigemessen, derer der Fiirst im Verhaltnis zu seinem Volk
bediirfe.42Eine solche Sinnlichkeitsstrategie zeigte die
Heimfiihrung MariaJosephas in ihr neues Territorium durch einen
ungewohnlich hohen materiellen Aufwand. So hatte es die
Schiffsreise als zeremoniellen Einzug auch schon bei
mittelalterlichen wie auch bei neuzeitlichen Hochzeiten
gegeben,43in Dresden aber wurde hierfiir 1719 eigens der Bucentauro
nachgebaut. Doch bedeutete dies keine Ubernahme jener rituellen
Handlung, die in der venezianischen ,Sposalizio del Mare" eine
Befriedung des Meeres herbeifiihren sollte.44Lediglich das Schiff
war es, das als Ausstattungselement in Dresden an diese Tradition
erinnerte. Wenn der Festbericht daher insgesamt die Pracht der
Ausstattung und besonders die Herkunft einzelner Elemente aus
anderen
Landern hervorhebt, so ist dies ein Bestandteil der
Sinnlichkeitsstrategie dieses Festes. Durch die Wahl der Elbe als
Einzugsstrecke aber kam eine neue Dimension in die Dresdner
Hoffeste. Zwar war der Flufi schon vorher als Schauplatz benutzt
worden,45 nie zuvor aber fuir eine ,,Entree". Noch bei der
Durchlauchtigsten Zusammenkunft im Jahr 1678 fiihrte der Einzug
lediglich durch die Stadt, 1719 dagegen begann er bereits an der
Landesgrenze in Pirna. Dieser Konzeption von Einzug, die vom
Territorium und nicht mehr allein von der Residenzstadt ausging,
entsprach es, dafi auch die Reprasentanten des Landes die
Erzherzogin vom Ufer aus in die Stadt geleiteten.46Die Elbe -
,,geopolitische Kraftlinie", entlang derer das Haus Wettin im 15.
Jahrhundert sein Territorium aufgebaut und die Kurwurde erdie langt
hatte,47 aber bislang durch die Fortifikation von der Stadt
abgeschottet war - kam durch die ,,Entree" in einen engeren, einen
rituellen Bezug zu Stadt und Herrschaftsraum. Der Stellenwert der
Elbe in der Konzeption der Planetenfeste ist auch daran erkennbar,
dafi ihr Name in den Festberichten und Cartellen - wie der eines
Protagonisten - immer in Versalien erscheint. Folgerichtig
begrfilen die Gotter in der Serenade des ApolloFestes nicht nur den
Einzug des hohen Paares auf der Elbe, sie bewundern auch den Flufi
und seine ,,lachenden Ufer".48 Wenige Jahrzehnte spater wird die
Fortifikation aufgebrochen werden, um eine Stadt am Flufi zu
zeigen: Der asthetischen Wertschatzung der Elbe ging ihre
zeremonielle Nutzung voraus.
Apollo- und Diana-Fest: Die Stadt verbindet sich mit der Elbe
Auftakt des Festmonats war das Sol- oder ApolloFest im
Hollandischen Palais, einem Gebaude am Ufer des rechtselbischen
Stadtteiles, das der K6nig zwei Jahre vorher erworben
hatte.49Ahnlich wie der Zwinger befand sich dieser Komplex am Rande
der Befestigung, ohne allerdings die Fortifikation im selben Mafie
zu beeintrachtigen (Abb. 1): ein axiales Garten- und
Gebaudeensemble, im Westen durch die Festung, nach Siiden hin durch
den Flui begrenzt. Die symmetrische Gartengestal-
255
tung verliehdem Anweseneine homogeneStruktur, deren Merkmaleeine
breite Mittelachseund zwei seitlicheExedren waren.ZurStadthin
wirkte dasPalaiswie ein Riegel,dessenWirkung durcheinen
vorgelagertenPlatz noch verstarktwurde; nach hinten,der Elbe zu,
erstreckte sich der Gardes Apollo-Festes.50 ten,
wichtigsterSchauplatz Dieses begann mit einem Singspielam
Nachmittag.Ahnlichwie beim Zwingerwurdehier die
Anh6hedesWallesgenutzt,um eineExedra bilzu den: ein Amphitheater,
dessen obersterPlattauf form die siebenPlaneteng6tter In
erschienen. eine WolkegehiillttrugenKastraten Wettstreit den der
G6tter (,La Garadegli Dei") als Serenade aus, in der alle
Festeprisentiertwurden.Sol/Apoll, Gott des Lichtsund derSonne,lud
furdenAbendzu einem Feuerwerkein: Tausendevon Fackeln,der Name des
fiirstlichenPaares und ihre Wappen wiirdenemporsteigen, die
Sternezu iiberstrahum len und sich als grofies Licht in den
,,Schofides Flusses"(,,al flume in grembo")zu ergiefen, wo aus
seinerMitte ein Feuerentstehe,nur iibertroffen von jenemder Liebeim
Herzen des Prinzen.51 Themades Feuerwerkswar der KampfJasons um das
Goldene Vlies, den die Festgesellschaft
vom Palais aus betrachtete. Als illuminierte Architektur war am
jenseitigen Ufer der Palast des K6nigs Aetes aufgebaut, das Vlies
im Diana-Tempel auf der Saule des Phryxus bergend.52 Auf dem Wasser
fochten die Schiffe des Jason und des Aetes miteinander: In dem
Moment, in dem Jason das Vlies an sich nehmen konnte, erschien der
Name der Braut sowohl als Illumination am Palast wie auch als
Feuerwerk am Himmel. Im Unterschied zu friiheren Feuerwerken auf
der Elbe bezogen sich 1719 die Elemente des Feuerwerks erstmals auf
die Architektur am Ufer: Der Stich von Johann August Corvinus
zeigt, dafi die Flotten auf dem Wasser die seitlichen Achsen des
Gartens aufnahmen (Abb. 3); der ephemere Palast des Konigs Aetes am
anderen Ufer setzte die Mittelachse fort, die durch das reale
Palais und den Garten vorgegeben war. Damit dehnte das Feuerwerk
die Strukturender Architektur auf das gegeniiberliegende Elbufer
aus und schuf eine Verbindung zwischen Stadt- und Naturraum.
Umgekehrt aber wurde dieselbe Mittelachse nach 1719 auch in die
andere Richtung wirksam: Vom Palais aus entstand eine
sechsundzwanzig Meter breite Achse, die, beidseitig mit Linden
bepflanzt, als Konigs-
3 Johann August Corvinus, Hollandisches Palais, Feuerwerk auf
der Elbe wahrend des Apollo-Festes, 1719. Kupferstich. Dresden,
Kupferstichkabinett
256
4 Zacharias Longuelune, Wasserjagdauf der Elbe wahrend des
Diana-Festes, 1719. Ankunft der Diana. Federzeichnung. Dresden,
Kupferstichkabinett
straf3eauf das Schwarze Tor zufuhrte. Wie Heinrich Gerhard Franz
feststellte, besafi das Hollandische Palais damit eine gro6ere
urbanistische Wirkung als alle Projekte fur das Residenzschlofi auf
als der anderen Elbseite:53 ,point de vue" erhielt es eine
kompaktere Gestaltung seiner Fassade und wurde so letztlich eine
Dominante im rechtselbischen Stadtteil. Wenn Bellotto in der Mitte
des 18. Jahrhunderts zur Hofkirche hinuberblickt, so ist sein
Standort- ohne dati dieser im Bild zu sehen ist - das Hollandische
bzw. Japanische Palais.54 Ausvon dessen architektonischen
Strukturen gehend wurde eine solche Blickbeziehung zwischen den
beiden Ufern erstmals im Apollo-Fest wirksam. Neben dem Einzug und
dem Feuerwerk fand 1719 noch ein drittes Ereignis auf dem Wasser
statt - das Diana-Fest. Wasserjagdenhatten in Dresden Im eine
gewisse Tradition.55 Unterschied zu vorherigen Jagden wurde der
Flufi 1719 regelrecht umgestaltet: Am Ufer stand das konigliche
Zelt, in dem das Mittagsmahl stattfand. Danach fuhr das Prunkschiff
der Diana in das Gewasser ein, gezogen von vier holzernen Hirschen
(Abb. 4). Diana und ihre Gefahrtinnen entstiegen dem Schiff,
brachten dem Konig ihre Kantate dar, in dem das klare Wasser des
Flusses besungen wird;56danach rittenJagerin den nahegelegenen
Wald, um Wild in das Wasser zu treiben, das vorher durch Netze
abgeteilt worden war. Die Tiere, dazu gezwungen, am k6niglichen
Zelt vorbeizuschwimmen, konnten von dort aus muhelos erlegt werden.
Insgesamt wurde die Elbe wahrend der Feierlichkeiten von 1719 an
drei verschiedenen Stellen genutzt. Wahrend sich der Einzug der
Braut auf
dem Flui3 ostlich der Stadt ereignete, waren das Feuerwerk
wahrend des Apollo-Festes im Westen plaziert, die Wasserjagdzu
Ehren der Diana hingegen genau im Elbknick, iiber den eine Briicke
in die beiden Stadtteile fiihrte (Abb. 1). Indem die Feste den Flug
veranderten, integrierten sie die bislang von der Stadt
abgeschnittene Elbe in verschiedener Hinsicht: 1.) Die einzelnen
Veranstaltungen waren immer an Betrachter vom Ufer her gerichtet;
2.) die Feste sektionierten den Flu1i und machten ihn im Laufe der
Feste zur Strecke einer ,,possessio",57 entlang derer die
Erzherzogin den Weg in die Stadt nahm; 3.) erreichte die Achse mit
dem Feuerwerk auch erstmals eine gestalterische Verbindung von
Architektur und Elbe.
der Blickiiberden Wall: ZwingerDie Topologie des Festes von 1719
ist in diesem Beitrag ein wichtiger analytischer Schliissel, weil
durch die randstindige Lage der Festorte in den Medien des Festes
eine Verbindung zwischen Stadt und Land zustandekam.58Der Zwinger
kann als das extremste Beispiel dieser Situationen gelten: Zunachst
als Orangerie geplant, wurde er in das ,,scharfe Eck" hineingebaut
- eine Festungsspitze westlich der spater als Luna bezeichneten
Bastion.59In diesem Bereich war unter Kurfiirst Moritz etwas freier
Raum entstanden, als der Wall zum zusatzlichen Schutz des
Residenzschlosses erweitert worden war. Ein Plan von Constantinus
Erich
257
zeigt,60warum die Militars im friihen 18. Jahrhundert gegen das
Vorhaben votierten, hier eine Architektur zu errichten. Es ging um
die Bebauung eines Zwischenraumes, der bereits als Teil der
Fortifikation gait: der ,Zwinger' - Bereich zwischen zwei
Mauerringen, der bei der Burg das Einsperren (,Zwingen") von
Raubtieren erm6glicht hatte und in der Stadt als Raum zwischen
auferer und innerer Stadtmauer von jeglicher Bebauung freizuhalten
gewesen ware.61 Wie anfangs ausgefiihrt, waren schon im 17.
Jahrhundert nordwestlich des Residenzschlosses verschiedene
h6fische Bauten errichtet worden. Diese jedoch hatten die
Fortifikation nicht beeintrachtigt. Das Zwingergebaude aber stief
nicht nur in die Festungsrayons hinein.62Es wurde auch immer wieder
zum Element von Projekten, die ein vielgliedriges,
multifunktionales Residenzschlofg durch Sichtachsen mit der
Umgebung verbinden oder das Schlog ganz ohne Befestigung in die
Landschaft einfiigen wollten.63Letztlich aber sollte es der Zwinger
sein, der fiber die Festung hinauswies. Der Wunsch nach einer
Orangerie war nur einer der Ausgangspunkte fir diesen Bau. Wenn
P6ppelmann als Architekt in dem 1729 erschienenen Stichwerk von
einem ,Staats= Pracht= und Lust=Gebaude" sprach, einer
,Schau=Burg",
,,darinnen man zu offentlichen Siegs=Lust= und Pracht=Aufzugen,
auch zu Vollziehung aller Ritterlichen Leibes=Ubungen zu Fusse, zu
Pferde oder zu Wagen die vollkommenste Bequemlichkeit hatte",64
driickte dies eine Nutzung aus, die so vorher schon ephemere Arenen
erfiillt hatten: 1697 und 1709 waren fur Hoffeste - ebenfalls
westlich des Schlosses - Zuschauertribunen aus Holz errichtet
worden, um hier Rennen und Turniere durchzufiihren. Jean Louis
Sponsel hat als erster auf die Vorbildlichkeit dieser
Festarchitekturen fur den Zwinger hingewiesen.65In einer
Kombination aus Turnierhof und Orangeriegebaude entstand so eine
grofe, langgestreckte Freiflache, seitlich von Galerien gesaumt,
die Stirnseiten halbkreisf6rmig erweitert und symmetrisch mit
Pavillonbauten besetzt. Die Errichtung des Zwingers erm6glichte es
dem Hof, Festkonzeptionen mit grofen Menschenbewegungen,
beispielsweise Reit- und Rennspiele zwar innerhalb der Stadt, doch
in seiner eigenen Sphare durchzufiihren. Wahrend der Altmarkt
traditionell fur Fugturniere gedient hatte und auch 1719 wahrend
des Marsfestes fur ein solches genutzt wurde, fanden hier im
Zwinger gleich zwei H6hepunkte statt: das Jupiterfest mit einem
Rennen, ,,Carousel des Elemens" genannt, sowie das Merkurfest, eine
nichtliche Wirtschaft.
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5 Karussel der vier Elemente (,Carousel des Elemens") im Zwinger
wahrend des Jupiter-Festes, 1719. Feder, Tusche, Pinsel. Dresden,
Kupferstichkabinett
258
6 Vorlaufer des Zwingers 1709. Holzkonstruktion. Farbiges Blatt.
Dresden, Graphische Sammlungen
Eine Darstellung aus dem geplanten Kupferstichwerk zeigt das
,,Carousel" von der Stadt aus (Abb. 5). Wir iiberblicken den
ringsum abgeschlossenen Zwingerplatz, seine Gebaude. Doch ist die
Perspektive so gewahlt, daf nicht nur das Gesamt der soeben
errichteten und auf der Elbseite noch gar nicht beendeten
Architektur sichtbar wird, sondern auch der Wall im Riicken des
Zwingers: eine mit Baumen bepflanzte, nach aufien hin leicht
abfallende Flache. Dahinter verlauft die Festungsmauer, die das
gesamte Gebilde gegen das Elbufer hin verschlieft. Im Vergleich
dazu zeigt das Gemalde des Turniersvon 1709 mit der holzernen
Zuschauertribiine (Abb. 6) einen viel engeren Ausschnitt und eine
steilere Perspektive. Hier begrenzten die Befestigungsmauern das
Turniergeschehen, von der stadtischen Umgebung ist nichts zu sehen.
Dafi die Transformation der friiheren, ephemeren Festarchitektur in
einen festen Bau mehr bedeutete als einen Wechsel des Materials,
macht auch der Begleittext Poppelmanns zum ZwingerStichwerk
deutlich. Poppelmann schreibt hier, dafi sowohl der Hof wie auch
die stadtische Bevolkerung die riickwartige Bogengalerie des
Zwingers als Aussichtsplattform benutzten, um sich an den
,,lustigen Aussichten nach allen vier Himmels=Ge-
genden" zu erg6tzen.66Diesen Blick der Spazierganger nimmt der
Stich von 1719 aus einer nach hinten verschobenen und erhohten
Perspektive ein (Abb. 5). Was sowohl auf dem Stich wie auch in
Poppelmanns Text als eine am Umland interessierte Haltung deutlich
wird, war ein neues Wahrnehmen des Raumes vor der Stadt. Wenn Anton
Weck in seiner Chronik von 1680 die Umgebung Dresdens noch nach dem
Muster des Stadtelobs erfaf3t hatte, indem er deren Fruchtbarkeit
hervorhob,67 so kennt Poppelmanns Text ein solches
Abhangigkeitsverhaltnis Stadt/Land nicht.68Hier heifit es, das Auge
erblicke vom Zwinger aus ,,eine vortreffliche Gegend in dem
schonsten und angenehmsten Prospecte". Wie bei Weck geht die
Blickrichtung von der Stadt auf das Land, aber nun bietet sie den
,sch6nsten und angenehmsten Prospecte". Nicht die Versorgung der
Stadt durch das Umland ist wichtig, sondern dafi dieses ,sch6n"
ist- selbst das weidende Vieh wird dann zur asthetischen
Ausstattung von Landschaft. Wahrend der Zwinger in die
iaugersteSpitze der Fortifikation eingefiigt worden war, um in
Schloignahe einen grofien Freiraum fiir Feste zu erhalten, stellte
er gleichermai3en als Aussichtsarchitektur den Blick in die
Umgebung her. Spazierginger von der Bogengalerie oder der
ansteigenden Riickseite
259
des Zwingers erfaften aus der Stadt die Gegend in Richtung
Ostra, das Elbufer, die Elbe und die gegeniiberliegenden Elbhange.
Der Stich des ,,Carousel" von 1719 (Abb. 5) nimmt diesselbe
Blickrichtung ein. Dafg der Zwinger in seiner extremen Randposition
wirklich eine transitorische Architektur wurde,69zeigen die nur
wenige Jahre spiter entstandenen Gemalde von Johann Alexander
Thiele, 1722 anlaiilich eines ,,Caroussel Comique" Der Zwinger, der
sich nun fiktiverangefertigt:70 weise in nordlicher Richtung als
ausgedehnte, schloi3ahnliche Galeriearchitektur fortsetzt, wird
hier aus noch weiter zuruckgesetzter Perspektive gezeigt. Derart im
hinteren Drittel des Bildes plaziert, formieren der Zwinger und
seine angrenzenden Bauten einen Rahmen, der die weitlaufige
Platzanlage nur noch nach aufgenabschirmt - aber keine breite
Grenze ist, wie sie die Befestigung darstellt. Dahinter erstreckt
sich die Elblandschaft. Der Zwinger, an einer Stelle in der
Fortifikation entstanden, an der die Stadt am starksten von ihrem
Umland getrennt war, nahm nun Verbindung mit ihr auf. Diesen neuen
Bezug zwischen Stadt und Peripherie verwirklichte erstmals der
Kupferstich ,,Carousel des Elemens" von 1719.
,Dritte Natur" und die Landschaft um die Stadt: Das Venus-Festim
Grof3enGarten Unsere bisherige Analyse ergab, daf die Planetenfeste
1719 in Dresden die Abriegelung der Stadt durch die Fortifikation
auf verschiedene Weise iiberwanden - durch das mehrmalige
Einbeziehen der Elbe in das Festgeschehen; durch eine Achse, wie
sie das Feuerwerk zwischen Stadt- und Naturraum schuf und, indem
ein Bau wie der Zwinger den Blick iiber den Wall herstellte. Wenn
wir uns nun dem Venus-Fest im Grofen Garten als dem vorletzten der
grofen Ereignisse zuwenden, so mufi an dieser Stelle benannt
werden, was 1719 bereits weitgehend abgeschlossen, aber von
entscheidender Bedeutung fur den urbanistischen Effekt der
Planetenfeste war: die Axialisierung des geometrischen Gartens und
die daraus folgende Durchflechtung der Peripherie mit Garten. Die
Achse,71in der Neuzeit erstmals im Stadtebau des ausgehenden 16.
Jahrhunderts ange-
wandt,72zeigte ihre raumorganisierende Kraft vor allem in den
geometrischen Garten des 16. und friihen 17. Jahrhunderts. Auf die
bis dahin additiven Gebilde wirkte sie nicht nur als strukturelle
Verbindung zwischen dreidimensionalem Bauwerk und zweidimensionaler
Gartenflache, sondern auch, indem sie bislang getrennt voneinander
existierende Einzelgarten in eine homogene, auferst komplexe und
ausgedehnte Struktur brachte.73 Blieben die ersten hofischen
Garten- oft noch innerhalb der Stadt - kleine, in sich geschlossene
Einheiten, so vergrioferte die Achse bei entsprechenden
Miglichkeiten die Garten erheblich und verband sie iiber weite
Strecken hinweg auch mit anderen Raumen, wie z. B. der Stadt.74
Indem der Garten als ,,dritte Natur" den weitestgehenden Eingriff
des Menschen in seine Lebensumgebung darstellt,75bedeutete der
Wechsel von der additiven zur axialen Gartendisposition nicht nur
eine explosionsartige Verwandlung von Kulturland in ,,dritte
Natur", sondern auch die Entstehung ausgedehnter, rigider
Raumstrukturen auferhalb der fiirstlichen Stadt. In Dresden war
dies ein Prozefi, der sich auf mehrere Girten verteilte:76 Wahrend
die Fiirstinnengarten im Westen der Stadt vor dem Wilsdruffer Tor
additive Anlagen blieben, entstand die erste axiale Disposition mit
dem Italienischen Garten im Siiden der Stadt. Nur wenige Jahre
spater aber zeigte der Grogfe Garten - im Osten der Stadt bereits
auferhalb des Weichbildes gelegen - welche Moglichkeiten die Achse
bot. Die Karte von Hans August Nienborg aus der Zeit um 1700 (Abb.
7) verzeichnet nicht nur die vielen Garten, die mittlerweile im
Siiden und Osten der Stadt entstanden sind, sie zeigt auch, daf der
Grofe Garten, obwohl hier schon gegeniiber der urspriinglich
erworbenen Flache von 3,35 Quadratkilometern reduziert, noch immer
grofier war als die durch die Festung eingeschlossene Binnenstadt:
eine ausgedehnte, durchstrukturierteund unbefestigte Raumeinheit,
mit welcher, wie der Historiker Karlheinz Blaschke bemerkte, der
Hof rund zweihundert Jahre nach seinem Sefhaftwerden in Dresden den
ersten frontalen Ausbruch hinaus in das Umland vornahm.77 Der Plan
des Grofen Gartens, der dem Kupferstichwerk von 1719 beigefiigt
werden sollte
260
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7 Hans August Nienborg, Plan der ,Residentz Stadt= und Vestung
Drefden" (um 1700); am linken Bildrand der Grofe Garten. Dresden,
Sichsisches Hauptstaatsarchiv
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