Maren Lehmann
Die Diagrammatik der FormAbstract Der Beitrag versteht
Management als auch Design als Formen der Beobachtung von sozialen
Grenzen auf ihre Variations-Chancen hin. Wie wird diese Beobachtung
beobachtbar gemacht, wie wird sie notiert, geschrieben, skizziert?
Was ist ihr Medium? Und was ihre Form? Die These lautet: Das Medium
der Beobachtung sind die Grenzen des Sozialen und damit die Grenzen
der Kommunikation selbst. Das Management hat, wenn es nichts als
diese Beobachtung hat, weit weniger mit einem straffen
organisatorischen Programm oder souvern eingreifendem Handeln zu
tun, als es dies seinem Selbstverstndnis nach meint. Management
beobachtet Grenzen, und trifft Unterscheidungen - sonst nichts.
Genau darin aber sind Management und Design auf das Engste
verwandt. Vermutlich kann in Hinblick auf diese Differenz von
Management und Design in der Form der Kommunikation von einer
Diagrammatik des Sozialen gesprochen werden. Angenommen, Management
und Design sind zwei Varianten des drawing distinctions im Raum der
Kommunikation, dann msste sich zeigen lassen, welche drawings diese
beiden Beobachter verwenden. Dafr kommen Schematismen der Sprache,
der Schrift, des zwei- und dreidimensionalen Bildes und nicht
zuletzt zahllose formale Notationen in Frage, kryptische oder
idiosykratische Notizen ebenso wie anschauliche und
handlungsleitende Plne: Formen des Notierens von Beobachtungen,
flchtige Entwrfe von Grenzsituationen, die ihre Flchtigkeit nicht
nur kompensieren, sondern geradezu auch forcieren darin, dass sie
Entscheidungen ermglichen, die die jeweilige Grenzsituation
zugleich festlegen und als genderte Situation erneut entwerfen. In
dieser Gleichzeitigkeit von Beobachtung (Beschreibung einer
Grenzsituation) und Entscheidung (Zuspitzung und Variation dieser
Grenzsituation) liegt jene Diagrammatik der Form der Kommunikation,
die der Gegenstand des Beitrags ist.Seite 127
I Drei Hinweise gengen, um deutlich zu machen, dass schon in der
Mitte des 19. Jahrhunderts ein Begriff ein Konzept der Form
entwickelt wurde, der um 1900 ausgearbeitet vorlag und als Expos
der Diskussionen um diesen Begriff im 20. Jahrhundert und ber das
20. Jahrhundert hinweg gelten kann. Dieser Begriff verwebt einen
spezifisch sthetischen Sinn des Begriffs mit einem spezifisch
zeitlichen Sinn und stellt dieses Gewebe als soziales Problem vor
Augen. Form ist seither ein spezifisch sozialer Problemtitel. Der
erste Hinweis (II) betrifft Charles Darwin und dessen Definition
der Evolution der Arten (species) als kologische Variation
(selection); wir nehmen ihn hier auf, weil er deutlich macht, dass
der Begriff der Form immer einen Prozess beschreibt forming , und
zwar einen nichtlinearen Prozess, weil dieser Prozess die Umwelt
einer Art als deren Distinktionsressource ernst nimmt und damit die
Beobachtung der Grenze von Art und Umwelt durch die Art als deren
Form zu verstehen erlaubt. 1 Der Begriff der Form ist seit Darwin
ein operatives Konzept zur Erklrung von Varianz; ein Konzept, das
Darwin luzide diagrammatisch beschreibt. 2 Der zweite Hinweis (III)
betrifft Louis H. Sullivan und dessen Definition der Grundregel
(the law) von Architekturen als kontextuelle und referentielle
Rekursion (form ever follows function) 3; die Diagrammatik einer
solchen Architekturform liegt in ihrer Oszillation zwischen
Ornament und Abstraktion. Der dritte Hinweis (IV) betrifft Georg
Simmel und dessen Definition sozialer Ordnung als Wechselwirkung
von Ruhe (Symmetrie) und Unruhe (Asymmetrie), d.h. als
referentielle Kontextualitt 4, die Simmel explizit und in luzider
Kenntnis der zeitgenssischen sthetischen Diskussionen als Form
bezeichnet. 5 Simmel fertigt zwar keine diagrammatische Skizze
dieser Form an, schreibt aber auf eine sudelnde, einen digressiven
und geselligen Gang inszenierende Weise, die im Schreiben einen
Plan fr das noch kaum konturierte Fach der Soziologie entwirft 6
(Niklas Luhmann wird ein knappes, aber langes und an Brchen reiches
Jahrhundert spter dasselbe erneut versuchen und explizit von einem
Grundriss sprechen 7). Simmel ist dabei wie kein anderer Soziologe
sicher, dass das Problem des Sozialen mit dem Problem der
Wahrnehmung verknpft ist und dass jede soziale Form Sichtbares und
Unsichtbares verknpft; in diesem Sinne ist seine Soziologie eine
Diagrammatik. Wir werden diesen drei Hinweisen nachgehen, um zeigen
zu knnen, dass die Beschreibung von Formen in jeder dieser Entwrfe
diagrammatisch ist (nmlich Beobachtungen bzw. Einschrnkungen immer
als Anschlussmglichkeiten bzw. Erweiterungen1 2 3 4 5 6 7 Darwin
1859. Vgl. sehr klar Voss 2007. Sullivan 1896. Simmel 1896. Simmel
1908). Vgl. an zwei anderen Belegen Kammer 2010 und Campe (2010).
Luhmann 1984.
Seite 128
ausarbeitet), und wir werden die These aufstellen, dass das fr
die Beschreibung von Formen generell gilt. Jede Theorie der Form,
hiee das, ist eine Diagrammatik. Um diese These weiter diskutieren
zu knnen, sind einige berlegungen zum Begriff des Diagramms und der
Diagrammatik selbst erforderlich (V). Daran schlieen sich zwei
Erprobungen der genannten These an. Die erste Probe (VI) gilt
Niklas Luhmann und dessen Konzept funktionaler Differenzierung, das
als soziologische Wiederaufnahme der Evolutionstheorie Darwins
verstanden werden kann 8; der Begriff der kologischen Varianz (d.h.
der Form) findet sich hier wieder im Begriff des Systems. Die
zweite Probe (VII) gilt George Spencer-Brown und dessen Laws of
Form, einem mathematischen Kalkl rekursiver Distinktionen wobei die
Vermutung im Hintergrund steht, dass wir es hier mit einer
konzentrierten Ausarbeitung des von Sullivan gesuchten
Architekturgesetzes zu tun haben knnten (was weniger Spencer-Brown
selbst als vielmehr seinen Entdeckern Heinz von Foerster und Dirk
Baecker vor Augen gestanden hat 9). Alle diese berlegungen weisen
auf weitergehende Fragen, fr die hier nicht gengend Raum ist. So
ist offen, inwieweit diese Diagrammatik tatschlich an das Schreiben
auf Papier bzw. das Lesen von Schrift gebunden ist (eingeschlossen
Zeichnungen, Skizzen, Notationen usw.) oder weitergehend als Frage
nach der sensitiven Medialitt der Kommunikation verstanden werden
kann. Diese Verknpfung von Wahrnehmung und Kommunikation msste
sorgfltiger beschrieben werden, als das in diesem Rahmen mglich
ist, um anhand eines Begriffsvorschlags Niklas Luhmanns nher
diskutiert werden zu knnen: des Begriffs der symbiotischen
Mechanismen, die einerseits die Diagrammatik um akustische und
haptische Wahrnehmungsvarianten zu ergnzen erlauben knnten und die
andererseits insbesondere den Begriff der Technik (insbesondere die
Computertechnik der digitalen Medien) als diagrammatische Form der
Kommunikation zu verstehen erlauben werden. Das sei angedeutet,
ohne hier ausgefhrt werden zu knnen. II Bei Diagrammen handelt es
sich um Formen der praktischen Kommunikation ber Denkttigkeiten 10,
die ber Wahrnehmungen laufen, weil das Denken ber Wahrnehmungen
luft (oder weil, anders und spezifischer formuliert, psychische und
soziale Systeme ber Wahrnehmungen verknpft sind). Es handelt sich
also, wenn der Singular hier fr die Operativitt des Problems stehen
kann, nicht nur um Denkpraktiken 11, sondern um Praktiken der
Kommunikation ber Wahrnehmung. Werden diese Praktiken als solche
reflektiert, entstehen Diagrammatiken; und fr diese gilt, dass sie
ihrerseits8 9 11 Vgl. Luhmann selbst in ders. 1984, S. 19. Vgl.
Lehmann 2011a und 2011d. Rustemeyer 2009, S. 8.Seite 129
10 Rustemeyer 2009, S. 7 (in einer Valry-Paraphrase).
Diagramme im Sinne praktischer Kommunikation ber Wahrnehmung
sind, dass sie also Flle ihrer selbst bzw. ihres Gegenstandes
bilden. Dass Theorien Formen dieser Praxis sind, wird selten so
deutlich wie bei der Lektre von Darwins Abhandlung On the Origin of
Species by Means of Natural Selection. Es geht nicht nur darum,
dass Gedanken aufs Papier gebracht werden mssen, um weiterem
eigenem und fremdem Nachdenken und dem Gesprch ber dieses
Nachdenken zugnglich zu werden (obwohl natrlich Darwins mit I think
betitelte frhe Skizze des Artenstammbaums aus seinen Notebooks ein
schnes Beispiel fr diesen Umstand ist [links], aus der zwanzig
Jahre spter ein przises Diagramm wird die einzige Abbildung in The
Origin of Species [rechts]) 12:
1837
1859
Es geht also nicht nur um das Arbeiten im Medium der Schrift,
obwohl dies unverzichtbar ist. Es geht auch nicht nur darum, dass
Impressionen des Gegenstandes als Beobachtungen reflektiert und auf
das Gegenstandsfeld bezogen werden es geht also nicht nur um
methodisch-kritisches Arbeiten, obwohl auch dies unverzichtbar ist.
Sondern es geht vor allem um den sowohl programmatischen als auch
(und vor allem) praktischen, immer erneut zu reflektierenden
Verzicht auf den Primat von Rangordnungen, oder genauer: um den
Verzicht auf jede stabile, fraglose Rangordnung und damit
schlielich um den Verzicht auf den Primat von Sequentialitt und
Linearitt. Dieser Verzicht ist das Bezugsproblem des Diagramms; mit
Darwins Worten (notiert wenige Bltter vor der 1837er Skizze):
Organized beings represent a tree irregularly branched some
branches far more branched. 13 Mit anderen Worten: Diagramme
stellen Rangfragen (Luhmann 14)12 Rechts Darwin 1859, Abb. zwischen
S. 116 und 117. Links siehe Darwin 1837/38, S. 36: I think // case
must be that one generation then should be as many living as now.
To do this & to have many species in same genus (as is)
requires extinction. // Thus between A & B immense gap of
relation. C & B the finest gradation, B & D rather greater
distinction. Thus genera would be formed. bearing relation [to
ancient types]...; Abbildungen nach Voss 2007, S. 97 und 153. 13 14
Darwin 1837/38, S. 21 (Hhg. i.O.); vgl. Voss 2007, S. 124f. Luhmann
1964b, S. 156-172.
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als Nachbarschaftsprobleme und Ereignisfolgen als
Gleichzeitigkeiten vor Augen; sie ordnen das Irregulre, indem sie
es und zwar, darin liegt die eigentliche subversive Idee: auf dem
Papier, dem Medium des brokratisch-Ordentlichen schlechthin als
Ordnungsvariante und damit als Form der Ordnung respektieren. Exakt
dies nennt Darwin, mit Blick auf das aus der Skizze entwickelte
Diagramm (beide markieren das Ausfingern der Linien in den
Kreuzungspunkten als das Variieren der Arten 15), das forming einer
Form, die ihrerseits nichts anderes bezeichnet als die varieties im
Kontext einer variety 16 (einem Kreuz), die also immer eine so
Darwin medium form ist. 17 Denn weder kann die grafische Skizze
immer und unter allen Umstnden dem sprachlichen Ausdruck
nachgeordnet werden; eine solche Rangordnung ist im Hinblick auf
anspruchsvolle Kommunikation unpraktisch (sie wrde beispielsweise
auf eine Auszeichnung der Wissenschaft gegenber der Kunst und in
deren Raum um nur einen Pfad anzudeuten auf eine Auszeichnung der
Literatur gegenber der Malerei und auf eine Auszeichnung des Dramas
gegenber dem Konzert und auf eine Auszeichnung der Oper gegenber
der Sinfonie und auf eine Auszeichnung der Notenvorschrift gegenber
der Interpretation bzw. dem Spiel verpflichten, usw.). Jeder
Mathematiker wei das, nicht erst seit Leibniz. Noch kann berhaupt
das optische Medium (das seine Triumphe erst bei der handwerklichen
oder technisch-wissenschaftlichen Umsetzung der Praxis des
Beobachtens in eine Praxis des Beschreibens und also: auf Papier
oder in der Flche feiert) immer und unter allen Umstnden fr
kultivierter oder leistungsfhiger gehalten werden als das
akustische oder das haptische; auch diese Rangordnung der
visuellen, auditiven, taktilen, olfaktorischen und gustatorischen
Wahrnehmungen ist unpraktisch (sie wrde beispielsweise den Designer
darauf verpflichten, die Schnheit eines Sessels gegenber den
Kreuzschmerzen des Sitzenden zu privilegieren). 18 Wer sonst sollte
das in Erfahrung bringen als ein Feldforscher im Dschungel? Und um
wie viel mehr gilt dies in Situationen hchster Riskanz und
Verantwortung, wie sie Karl E. Weick fr das Management von
Flugzeugtrgern, Kernkraftwerken und Unfallkrankenhusern beschrieben
hat (und dabei klar stellt, dass nicht zuletzt die Rangordnung von
Management und Profession unpraktisch ist)? 19 berdies ist es
unpraktisch, das Ergebnis einer Entwicklung gegenber dieser
Entwicklung selbst zu privilegieren; in diesem Sinne spricht Darwin
von Evolution.15 Voss 2007, S. 96.
16 Genauer: im Kontext einer well-marked variety, die im
Diagramm als Kreuzung der sich ausfchernden vertikalen Zweige mit
den horizontalen Linien markiert ist; eine solche Form umfasst also
auch die nicht anschlussfhigen, fortsetzungslosen Zweige ihrer
selbst. Siehe Darwin 1859, S. 117f. 17 18 19 Darwin 1859, S. 119.
Vgl. dazu das heitere Vorwort in Kittler 2002, zit. S. 7 und 8.
Weick/Sutcliffe 2001.Seite 131
Wer sonst sollte darber etwas wissen als ein Biologe, den die
Zeitspannen interessieren, die eine Population zum Umbau ihrer
Binnenstrukturen braucht, und der nicht blo plakative Vernderungen
beachten, sondern kleinste Verschiebungen und minimale Brche ernst
nehmen will? Oder wer sonst als ein Designer, fr den eine Form
nicht einfach eine gefundene oder gegebene Gestalt ist, sondern ein
Prozess des Suchens und Gebens dieser Gestalt, also Gestaltung (er
wrde sonst nur Gegebenes bewundern und feiern, nicht aber am
Gegebenen arbeiten knnen)? Schlielich ist es auch in genau diesem
Sinne unpraktisch, eine Rangordnung von Individuen danach zu
zementieren, ob diese menschlicher oder tierischer oder
pflanzlicher oder allgemeiner: ob sie animalischer (belebter) oder
technischer (unbelebter) Natur sind. Wer sonst sollte das in
Erfahrung bringen als ein Beobachter auf einer von allem mglichen
Unbekannten bevlkerten Inselgruppe? Oder ein Ansthesist vor seiner
Vielzahl an Monitoren, fr den das sichtbare Gesicht des Patienten
und seine fhlbare Haut nur zwei von vielen relevanten
Informationsressourcen sind, vielleicht aber nicht die aufflligsten
und sicher nicht die verstndlichsten? Oder ein Brsenanalyst, fr den
zu derselben Vielzahl an Monitoren vor allem das Klingeln der
Telefone und die variable Nervositt der Stimmen kommen, aber der
auch die Nervositt des Geldes mit der Nervositt der Beobachter des
Geldes verrechnen muss? Charles Darwin diskutiert dieses Problem
der Praxis, das heit: das Problem der zwar przise bestimmbaren,
aber doch stets komplex unbestimmten Ordnung luzide. Es ist
bekannt, wie scharf die Angriffe waren, die er auf sich gezogen hat
fr den Verzicht auf eine Privilegierung erstens der Schpfung
gegenber der Evolution, zweitens (damit direkt einher gehend) der
Sequenz gegenber der Gleichzeitigkeit (das zeigt zuerst Darwins
berhmteste Zeichnung, die tabellarische Anordnung der
Galapagos-Finken 20) und schlielich drittens der menschlichen
Species gegenber allen brigen natrlichen Arten (Bruno Latour hat
gezeigt, dass es um nicht weniger ging als den Verzicht darauf,
modern gewesen zu sein). 21 Darwins Diagramme stellen Zeit (und
Geschichte) als Gleichzeitigkeit, als Varianz von Anschlusschancen
(und Abbruchmglichkeiten) vor Augen: als Komplexitt, und fr Darwin:
als Evolution. Das geht auf Papier, das geht in der Flche, in Form
eines Kognition organisierenden (und im genauestmglichen Sinne auch
nichts anderes als eben: Kognition darstellenden) Bildes, in Form
also (mit Sybille Krmer) operativer Bildlichkeit. 22 (Man bedenke,
wie przise gewhlt das FrancisBacon-Zitat ist, das er dem Werk
voranstellt und in dem es heit, es ginge weder um eine Suche allein
in the book of Gods words noch allein in the book of Gods works,
sondern immer um an endless progress or proficience in both.)
23
20 Vgl. Voss 2007, S. 27ff. 21 23 Latour 2008. Darwin 1859
(Motto), zit. Bacon, Advancement of Learning, 1605. 22 Krmer
2009.
Seite 132
Es ist auch bekannt, wie sehr Darwin sich (noch heute und
vielleicht erst recht heute) fr diesen diagrammatischen Versuch
belcheln lassen muss, wie lange er sich fr sein spteres Hauptwerk
mit Notizbchern, Zeichnungen, Zetteln und Textfragmenten
herumgeschlagen hat, bevor er sich entschlieen konnte, sie in eine
Ordnung zu bringen und zu publizieren. Er sucht nach einer
Mglichkeit, das Unsichere, Unbestimmte und Komplexe in eine Form zu
bringen, die sich durch Przision auszeichnet, nicht durch
Eindeutigkeit. 24 Er sucht, knnte man sagen, nach einer
Beschreibung, die sich bewegen kann; nach einem (wie er selber fr
seinen Beobachtungsgegenstand sagt) Hybrid von Bestimmung und
ffnung; nach einer positiven Bestimmung, die ihre eigene Negation
impliziert und damit als Variable festgestellt ist; nach einer
Beschreibung, die Synchronizitt und Diachronizitt verknpft und
dabei rekursive Prozesse (er nennt sie Kreuzungen) bercksichtigen
kann. 25 In allen diesen Hinsichten kann man sagen: Er sucht nach
einem Diagramm der Natur 26; Julia Voss zeigt, dass er dabei ein
Diagramm der Suche selbst entwirft und dazu Skizzen nutzt, die wie
Seismographen die Stationen seines Denkens [aufzeichnen]: Linien,
die Zeit bedeuten. 27 Er sucht nach der Form der Evolution 28 und
nennt diese Suche: Theorie. Dabei geht er ber die zeitgenssische
Idee einer evolutionren Form als eines sich im Zeitverlauf
differenzierenden, ursprnglich jedoch einheitlichen Archetyps
hinaus, den die Theorie der Evolution nur quasi-archologisch
auffinden msste (ursprnglich experimentierte Darwin noch mit
gepunkteten Linien im Sinne versunkener, unsichtbarer Mglichkeiten
und Entwicklungspfade 29). Wenn von einer Theorie der origin of
species die Rede ist, dann geht es jetzt um die Beobachtung und die
Beschreibung einer formation, die die Herkunftsbedingungen jeder
Art (species, form of life) als deren Anfangsdifferenz versteht und
zu deren Kontextbedingungen macht 30: Dot means new form 31:
24 Vgl. so auch Rustemeyer 2009, S. 8. 25 Vgl. Darwin 1859,
insbes. S. 171f. und S. 245-278. 26 So wie Rustemeyer 2009 nach dem
Diagramm der Kultur sucht bzw. Kulturen wie Diagramme betrachtet
(S. 12) oder als Diagramme beschreibt (S. 15ff.). 27 Voss 2007, S.
98. 28 Oder mit Rustemeyer 2009: nach der Mglichkeit
kommunikative[r] Verdichtung von Sinnbildungen in evolutionren
Feldern (S. 10). 29 Darwin 1837/38, S. 26. 30 Vgl. Darwin 1859, S.
171-206 (ch. 6: difficulties on theory), expl. S. 206. 31 Darwin in
den 1850ern. Archivbild nach Voss 2007, S. 146.Seite 133
III Die Anfangsdifferenz, in deren Kontext (und insofern: aus
der) fr Darwin die Varianz einer lebenden Art entsteht, ist bei
Louis H. Sullivan eine decisive position, die the hand of the
architect at once zugleich trifft und einnimmt und in der diese
Hand wenn nicht zu sehen, so doch zu fhlen ist; er nennt diese
Anfangsunterscheidung also eine Anfangsentscheidung, die sich ihren
eigenen Kontext entwirft und deshalb als elementary architecture
verstanden werden kann. 32 Architektur unterliege daher immer und
unausweichlich einer komplexen social condition (Sullivan spricht
malerisch von einem so rtselhaften wie erschreckenden something new
under the sun) und stehe vor zwei Herausforderungen: evolution and
integration of social conditions, sie msse also ein special
grouping of them ermglichen und eben dies fordere zur Errichtung
von turmhohen Gebuden auf. Jede Zelle dieser Gebude wiederhole die
Anfangsentscheidung, die der Architektur des Gebudes selbst
zugrunde liege; anderenfalls handele es sich um nichts als einen zu
trockenen, zu sauren und zu teuren salad 33, angerichtet als joint
product of the speculator, the engineer, the builder. 34
Hochgewachsen und schlank (tall, outgrown), sind diese Gebude eher
Lebewesen als Dinge; aber gerade weil sie32 33 Sullivan 1896, S.
205; zu feeling und sentiment vgl. ebd. Sullivan 1901/02, hier Nr.
I (A Building With a Tower), S. 17-21, zit. S. 21.
34 Sullivan 1896, S. 202 (vgl. S. 205: the
speculator-engineer-builder combination; ebd. auch zum Begriff der
cell).Seite 134
praktisch naturwchsig sind, folgen sie einem sozialen Plan, den
Sullivan in luzider Wiederaufnahme der brokratisch-administrativen
Diagrammatik von Individuenam-Platz darstellt und in drei Merkmalen
des Gebudes materialisiert sieht 35:
Gezeigt wird die 6. Etage (oben) und das Erdgeschoss (unten) des
Wainwright Building (1891) in St. Louis 36
Es ist erstens offen zugnglich (dem dienen ebenerdig ein im
Wortsinne attraktives Vestibul und eine Reihe von Ladengeschften),
bietet auf unverklemmte Weise Platz und ist in diesem Sinne
zweckmig; es setzt sich zweitens aus einzelnen Zellbausteinen
(individual cells, office-cells) zusammen, deren jeder die
Beziehung zur Umgebung aufnimmt und deshalb ein Fenster erfordert
und die sich ansonsten nach Mglichkeit35 ber die Mystifikation
dieser Dreiheit spottet Sullivan selbst, vgl. ders. 1896, S. 206f.
36 Abb. nach Sullivan 1896, S. 204. Vgl. zu den zeitgenssischen
Diskussionen um Standardisierung und Individualisierung als
(vermeintlich, wie Sullivan deutlich macht) entgegen gesetzte
Designprinzipien Pevsner 1936, hier S. 36ff.; vgl. zum Individuum
am Platz Foucault 1994, S. 181ff., und S. 256ff. zu Benthams
Panopticon als der zugrunde liegenden Idee; sowie zum brokratischen
Diagramm als Form sozialer Ordnung Lehmann 2011c.Seite 135
vllig gleichen (we, without more ado, make them look all alike
because they are all alike); und es lsst drittens zwar das Ranking
der Zellen in Form von Etagen zu, verknpft aber diese Etagen durch
Fahrsthle und setzt diesem Ranking immer ein unaufgeregtes
(definite) Ende, denn es hat immer ein Dach. 37 Mit diesem Dach
schliet sich die Architektur als soziale Form (es ist damit sowohl
ihr Ende als auch ihr Anfang 38; Sullivan vermutet wiederholt, es
handele sich um Zirkularitt, und die sei das genannte basale
soziale Problem der Architektur: alles jede Binnen- und jede Umwelt
dreht sich in sich selbst um sich selbst). Wichtiger noch:
Fahrstuhl und Dach stehen an der Stelle der polizeilichen Observanz
der Zellendisziplin, die solche Strukturen zunchst ermglichen
sollten es gibt im tall office building kein Zentrum (sondern nur
einen Fahrstuhl) und keine Spitze (sondern nur ein Dach).
Zugnglichkeit, Redundanz (Praktikabilitt), Rekursivitt (Vernetzung,
ffnung und Schlieung) damit ist die Architektur als Form bestimmt,
die aus der Operation der Entscheidung (der elementary
architecture) entsteht. Dann aber kann man sagen: Die rekursive
Zellenstruktur selbst (Sullivan selbst sagt lakonisch, das mute
vielleicht heartless an) ist das Ornament dieser Architektur. 39
Kein Zweifel, dass sich dieses Ornament in der abstrakten, allem
Dekor enthobenen Gestalt der Bros, ihrer Fenster, ihrer Insassen
ebenso wieder finden lsst 40 wie in allen nur denkbaren Varianten
pflanzlicher Gebilde an Sulen, Friesen und Portalen. Die
Architektur des tall office building ist so naturwchsig wie die
lebendige Welt ohne Vorteil und ohne Nachteil fr die eine oder die
andere Seite, aber dies nur solange, wie die elementare
Entscheidung in grter Nchternheit (it must be tall, every inch of
it tall, [allowing] the nerves to calm, the brain to cool) und
zugleich grter Aufmerksamkeit fr die Umwelt fllt ([living] in the
fullest, most consummate sense). 41 Die elementare Entscheidung und
die Architektur, die aus der Differenz dieser Entscheidung
entsteht, sind in der Form dieser Architektur eins; sie implizieren
einander und dies gerade so, wie auch die Architektur und die
Umwelt dieser Architektur (the building und the nature) einander
jointed and interdependent, blended into one like a bubble
implizieren. 42 In diesem Sinne spricht Sullivan schlielich jenen
klassischen Merksatz aus, fr den der hier zitierte Aufsatz berhmt
geworden ist und der ausfhrlicher zitiert werden soll, als dies
blich ist; nur so wird verstndlich, dass der Begriff der Form eine
kognitive Operation bezeichnet, die die Unterscheidung von Lebendem
und GegenstndlichDinglichem ebenso bergreift (in diesem abstrakten,
heute durch die Netzwerktheorie und auch die Schwarmtheorie
diskutierten Sinne ist sie sozial) wie die Unterscheidung von
Innenraum und Auenwelt oder die Unterscheidung von Ordnung und
Unordnung.37 Vgl. Sullivan 1896, S. 205.
38 Vgl. Baecker 2007. 39 Sullivan 1896, S. 205. 40 Vgl. Loos
1908. 41 Sullivan 1896, S. 206 und S. 207. 42 Sullivan 1896, S.
208; vgl. Sloterdijk 2004.Seite 136
Er bergreift diese Unterscheidung, impliziert also beide ihrer
Seiten und kann gerade deshalb als entwerfende Entscheidung
getroffen werden. Diese Entscheidung, heit das, entwirft die
Unterscheidung als kontextuelle Architektur; und das heit auch,
dass die Entscheidung immer erneut getroffen werden muss (und kann)
und sich in jedem Element der Architektur repliziert. Draw a
distinction, fordert in dieser Lage George Spencer-Brown, auf den
wir zurckkommen werden (vgl. unten VII); Sullivan ist weniger
lakonisch und schwrmt regelrecht von the exquisite spontaneity,
with which life seeks and takes on its forms in an accord perfectly
responsive to its needs. It seems ever as though the life and the
form were absolutely one and inseparable, so adequate is the sense
of fulfillment. Whether it be the sweeping eagle in his flight or
the open apple-blossom, the toiling work-horse, the blithe swan,
the branching oak, the winding stream at its base, the drifting
clouds, over all the coursing sun, form ever follows function, and
this is the law. Where function does not change form does not
change... It is the pervading law of all things organic and
inorganic, of all things physical and metaphysical, of all things
human and things superhuman, of all true manifestations of the
head, of the heart, of the soul, that the life is recognizable in
its expression, that form ever follows function. This is the law.
43 Bei allem Pathos: damit ist deutlich, dass es hier weder um eine
Nachfolgebeziehung geht noch um eine Nutzenkalkulation; weder von
sequential processes noch von utility ist die Rede. Gemeint ist
vielmehr Rekursivitt 44: Form und Funktion implizieren einander in
genau dem Sinne wie Kultur und Natur, Architektur und Welt, Gebude
und Stadt, Bro und Verwaltung, Individuum und Gesellschaft, Ding
und Medium, System und Umwelt, Entscheidung und Unterscheidung.
Wieviel knstlerischen Stolz eine Entwurfsentscheidung erlaubt, die
mit diesen Implikationen umzugehen vermag, zeigt eine Feuerstelle
von Philip Webb fr William Morris [1859], die Pevsner fr ihre
diagrammatische Ordnung von Holzsto und Luftstrom feiert 45:
43 Sullivan 1896, S. 208. 44 Nahe an Sullivan ist daher
zeitgleich [1890], und obwohl der Titel dies womglich nicht
vermuten lsst Tarde 2009. 45 Pevsner 1968, S. 58; diagram ist ein
rekurrenter Begriff Pevsners. Vgl. am Rande Bill 1963.Seite 137
In seiner Wiederaufnahme des Gedankens in den Kindergarten Chats
beschreibt Sullivan die Form in expliziten Rekursivittsbegriffen
und postuliert: The interrelation of form and function. It has no
beginning, no ending. It is immeasurably small, immeasurably vast;
inscrutably mobile, infinitely serene; intimately complex but
simple. 46 Funktion heit einfach: forms emerge from forms,
unfolding and infolding. 47 Jedes Gebude und jeder Gegenstand, noch
die glattesten und kltesten Gebilde stellen in diesem Sinne diese
Form/Funktion-Implikation diagrammatisch vor Augen, weil sie sobald
die elementary decision getroffen ist ihrer Umwelt nicht entgehen.
Gerade darin liegt der Reiz der Architektur. Die Entscheidungen
werden schlielich genau deswegen getroffen, damit man dieser Umwelt
nicht entgeht. Dass eine Architektur lebt, bemerkt Sullivan am
Ende, heit einfach, dass sie unter Leuten ist: of the people, for
the people, and by the people. 48 IV Der erste, der eine ganze
wissenschaftliche Disziplin auf den Begriff der Form gegrndet und
die Form zu einem explizit sozialen Begriff gemacht hat, war Georg
Simmel (ein Zeitgenosse Sullivans). Simmels Theorie der Form die er
Soziologie nennt und die hier als Diagrammatik oder doch zumindest
als Protodiagrammatik vorgestellt werden soll kann als
Parallelkonzept von Ernst Cassirers Relationentheorie 49 und, wie
diese, als Vorform 50 der Rahmenanalyse Erving Goffmans und der
Netzwerktheorie Harrison C.46 Sullivan 1901/02, hier Nr. XII und
XIII (Function and Form (1) und (2), S. 42-48), zit. S. 43. 47
Sullivan 1901/02, S. 45 (mit einer Vielzahl weiterer luzider
Aufzhlungen von rekursiven Implikationen). 48 Sullivan 1896, S.
213. 49 Cassirer 1910. 50 Das ist seinerseits ein Begriff Simmels,
vgl. Simmel 1916/17.Seite 138
Whites, aber auch als Prludium der Metaphorologie Hans
Blumenbergs verstanden werden. 51 Sie ist berdies, als Theorie der
Form, vielleicht auch die erste Theorie der Kommunikationsmedien,
wie sie dann Talcott Parsons und Niklas Luhmann entwickeln werden.
52 Simmel unterscheidet Form zwar von Inhalt, meint aber mit
ersterem keine Containermetapher und mit letzterem keine
Fllmetapher. Vier Hinweise knnen das zeigen. Erstens vermutet
Simmel in der 1896 erstmals erschienen Soziologischen sthetik die
wichtigste, jedenfalls beeindruckendste Eigenschaft allen Handelns
in einer unerschpflich mannichfaltigen Mischung von gleichartiger,
steter Wiederkehr weniger Grundtne und wechselnder Flle ihrer
individuellen Variierungen, deren keine ganz der anderen gleicht,
die sich aber eben auf eine erstaunlich geringe Zahl ursprnglicher
Motive ... [zurckfhren] lieen und schlielich fast berall nur in
eine Zweiheit zu mnden scheinen. 53 Die Unterscheidung sei
Grundtypus und Urform alles Sozialen, ganz gleich, wie die
unterschiedenen Seiten bezeichnet wrden; es kann die Unterscheidung
sein von Fluss und Ruhe bzw. Zeit und Sein, von Gott und Welt, von
Natur und Geist oder von Sozialismus und Individualismus. 54
Wichtig sei nicht der Name dieser Unterscheidungen, sondern allein
die Form der Unterscheidung selbst; ihre Rigiditt und ihr
evolutionrer Erfolg lge demnach in der vollkommenen Abstraktion auf
eine Binaritt, die sich jedem kontextuellen Spezifikum, also jeder
kulturellen und jeder historischen Lage anpassen kann. Wie auch
immer die abstrakte Unterscheidung konkret entworfen wird: sie
zieht sich als Linie durch alle Gebiete des Sozialen. 55 Ihre
Ordnungsleistung ist absolut, weil sie jede sozial mgliche
Variabilitt impliziert, weil sie also einschliet, was sie sonst wre
sie nicht abstrakt zugleich stets ausschliet. Gerade darin, in der
vollkommenen Vereinnahmung des Mglichen durch die Unterscheidung
des Mglichen (Spencer-Brown, auf den wir zurckkommen werden, hat
von perfect continence gesprochen 56), liegt fr Simmel zweitens nun
auch die sthetik der Form aber unter einer Bedingung: dass die
Asymmetrisierung der unterschiedenen Seiten bzw. Werthe nicht
vermieden werde. 57 Symmetrie verdanke sich immer einem
Ordnungsversuch, einer mechanischen Systemform, die zum Zwecke
leichtere[r] bersichtlichkeit, Bezeichenbarkeit, Lenksamkeit
entworfen werde und die Simmel als despotische Gesellschaftsform
bzw. als Kontrollphantasie derer beschreibt, die das
Ordentlich-Regulre sthetisch reizvoll fnden (eben: schn, aber im
bloen51 Vgl. hier nur Blumenberg 1976 (zugleich einer der wenigen,
die Simmels Vorformen-Studie zur Kenntnis genommen haben, vgl. hier
S. 131). Vgl. Goffman 1974 und White 2008. 52 53 55 57 Vgl. bndig
Parsons 1977 und (noch vorsichtig) Luhmann 1974. Simmel 1896, S.
303. Simmel 1896, S. 304. Simmel 1896, S. 305.Seite 139
54 Simmel 1896, S. 303, vgl. fr die Aufzhlung S. 303f. 56
Spencer-Brown 1994, S. 1.
Sinne von: nicht beunruhigend): Die symmetrische Anordnung macht
die Beherrschung der Vielen von einem Punkt aus leichter. Die Anste
setzen sich lnger, widerstandsloser, berechenbarer durch ein
symmetrisch angeordnetes Medium fort (Simmel spielt hier mehr als
deutlich auf die Ordnungsdiagramme der tabellarisch registrierenden
und auf Papier rechnenden Brokratie an 58) als wenn die innere
Struktur und die Grenzen der Theile unregelmig und fluktuierend
sind. 59 Dieser eine Punkt aber ist immer Sinnbild einer
Unterscheidung, der von Ruhe und Unruhe oder auch der von Oben und
Unten, und diese Unterscheidung lsst sich nicht symmetrisieren. Der
eine Punkt muss auerhalb der Ordnung bleiben, die er reguliert. Es
mag so sein, dass dieser eine Punkt die Ordnung zu einem Kunstwerk
macht, in dem jeder Baustein seinen geordneten Platz hat und das
solange dies gut geht architektonischen Neigungen Genge tun mag.
Aber sobald ein solcher Baustein sich als ein Stein auf den einen
Punkt bezieht eine Unterscheidung trifft , wird eine nicht
vorgesehene, irregulre Symmetrie behauptet, die den einen Punkt zum
Baustein macht. Die Ordnung und ihre ganze nivellierte Architektur
wird im Moment dieser Unterscheidung verworfen 60; sie strzt ein
und sie strzt vielfach gleichzeitig ein, an jeder Stelle ihrer
selbst nmlich, wo eine Baustein-Punkt-Relation hergestellt wird. Fr
die Architekten der mechanischen Form ist damit alle Ruhe und mit
dieser alle Schnheit verloren. Selten wird so deutlich wie hier,
dass Simmel drittens den Ursprung der soziologischen Frage des
Problems sozialer Ordnung im Bruch zwischen mechanical und
electronic age gesehen hat, um mit Marshall McLuhan zu sprechen 61:
im Bruch zwischen dem Reiz [der Maschine] und dem Reiz der
rhapsodischen Zuflligkeit 62 der unzhlige Male begonnenen und ...
eben so oft unterbrochenen Entwickelungsreihen 63, dem Reiz des
Plans und dem Reiz des sozusagen unebenen Bild[es]. 64 Durch nichts
als die Beobachtung der Beziehung von Stein und Punkt wird die
Symmetrie der Ordnung in jedem Moment Simmel: in jedem Augenblick
65 riskiert. Dieser Augenblick ist nichts anderes als die gesuchte
Form. Simmel ist bekannt geworden dafr, dass er Stein (Einzelnes)
und Punkt sowie Augenblick und Ereignis im Begriff des Individuums
zusammengefasst und dieses als Resonanzkrper der sozialen Varianz
verstndlich gemacht hat, deren Element dieses Individuum zugleich
ist. Individuum ist daher sein Formbegriff schlechthin. Die
Identitt dieses Individuums kann fr ihn daher immer nur die des
Scheiterns, des Zusammenbruchs sein: Nicht nur ist seine Lage
unvermeidlich unruhig (das kennzeichnet er durch den zeitgenssisch
modischen Ausdruck der schwankenden58 Vgl. jetzt Meynen 2012. 59
Simmel 1896, S. 308. 60 Simmel 1896, S. 309. 61 McLuhan 1994. 62
Simmel 1896, S. 309. 63 Simmel 1896, S. 310. 64 Simmel 1896, S.
311. 65 Simmel 1896, S. 313.Seite 140
Nerven 66); es gewinnt auch nichts, wenn es seine Identitt
gegenber seiner Nichtidentitt privilegiert, weil es dann bei aller
Nervositt ruhig in einem brokratisch zugewiesenen Platz (dessen
Koordinaten seine Identitt bestimmen) ausharren msste. Verzichtet
es auf dieses Privileg, kann es den Zusammenbruch und den Verfall
der Ordnungsarchitektur berleben. Soziale Ordnung, so Simmel, ist
auch als Verfallsgestalt mglich. 67 Der Begriff der Form bedeutet
nur, dass sich sinnloser Zufall und neuer Sinn, Formlosigkeit und
Form in jedem Augenblick und unruhige[r] Rhythmik verknpfen. 68 Im
Begriff der Form wird, so verstanden, die scharfe Scheidung
zwischen Anschauung und Gedanke vllig unzureichend 69; er ist wie
die farblose Farbe, die es gar nicht gibt 70 ein Diagramm. In jeder
sozialen Ordnung bleibt deshalb viertens die Frage notorisch
unentscheidbar, ob ihre Elemente Verfallsgestalten oder Bausteine
sind. Es gibt nichts, das unanfechtbar und sicher wre; jeder
externe Kontrollpunkt hat Doppelgnger in jedem Element der Ordnung,
so dass schlielich die Beziehung zwischen Punkt und Element selbst
das Element der Ordnung genannt zu werden verdient. Die Ordnung
besteht gar nicht aus immunen Stabilitten, die durch eine ordnende
Macht arrangiert und gefgt werden, sondern aus infektiblen,
irrierbaren, einander beobachtenden und aufeinander referierenden
Ereignissen, die sich in ihrem eigenen Kontext zu szenischen
Arrangements verknpfen. 71 Sie erzeugt die Elemente, durch die der
Fluss des Lebens [hindurchgeht], aus den Elementen dieses Flusses
selbst 72, so dass sie, wie Simmel einmal bemerkt, eigentlich
nichts anderes ist als eine vorlufige Aufstauung dieses Flusses mit
den Mitteln dieses Flusses eine Kreuzung von Flssen also, ein
hochgradig unruhiges Milieu. 73 Jedes Element aber ist im Moment
seines Auftretens ein mglicher Punkt des Umschlags, einer
Axendrehung 74, die aus einem eigentlich zuflligen Element (Inhalt)
75 eine funktionale Differenz macht, die sich zu eigenwertigen
Formationen entwerfen kann. 76 Diese groe Wendung 77 vom bloen
Zweck oder vom zuflligen
66 Simmel 1896, S. 318. 67 Simmel 1907, hier S. 127. 68 Simmel
1907, S. 127 und S. 131. Vgl. auch ders. 1903. 69 Simmel 1907, S.
133. 70 Simmel 1904, hier S. 239. Hinweise zu dieser Farblosigkeit
als Form der Potentialitt finden sich zahlreich in Simmels Werk.
Vgl. Lehmann 2011b. 71 73 75 Vgl. Simmel 1916/17, S. 113. Simmel
1916/17, S. 106. Simmel 1916/17, S. 114. 72 Simmel 1916/17, S. 113.
74 Simmel 1916/17, S. 104 und 117, vgl. S. 121.. 76 Simmel 1916/17,
S. 111. 77 Simmel 1916/17, S. 104.Seite 141
Motiv zum funktionalen Eigenwert (ein eigentlich zwecklos[er
Wert]) ist die Form: eine Rechnung mit dem Zuflligen. 78 Wir mssen
uns hier einen weiteren Durchgang durch Simmels Vorformen-Aufsatz
ersparen und knnen nicht weiter eingehen auf die luzide Art, in der
er diese Rechnung zunchst als Operationalisierung von Selektivitt
beschreibt und dann am Beispiel der Kunst und ihrer Verknpfung von
Wahrnehmung und Beobachtung (letztere ist, wie wir gesehen haben,
fr Simmel nichts anderes als relationales, referentielles Handeln),
die er als Formwahrnehmung bezeichnet. 79 Simmel beschrnkt diesen
Begriff auf die Kunst, aber wir knnen ihn wenn die gegebene
Herleitung triftig ist auf die Verknpfung von Wahrnehmung und
Beobachtung selbst beziehen und davon ausgehen, dass soziale
Ordnung verstanden werden kann als mit allem (Zuflligen) rechnende
Form, das heit: als Kommunikation ber Formwahrnehmungen. Simmel
selbst ist dieser Vorschlag zu danken; hat er ihn doch zur
Grundlage seiner Soziologie gemacht. Die Ersetzung der sonst stets
tastend entwickelten Begrifflichkeit der Form als einer
Zufallsfunktion von Motiven und Zwecken, als eines kontextuellen
Arrangements von Relationen, als eines immer instabilen Punktes im
Strudel sich kreuzender Flsse durch den Begriff der Wechselwirkung
ist zwar so plausibel wie unglcklich, weil dieser die funktionale
Referentialitt, die gemeint ist, nur unentschlossen von kausalen
Beziehungen, die nicht gemeint sind, unterscheidet. 80 (Es handelt
sich um den verstndlichen Versuch, die Flut von Formmetaphern durch
einen przisen Begriff zu ersetzen und auf diesen Begriff das Fach
Soziologie so zu grnden, dass es nicht blo das Dorado von
heimatlosen und entwurzelten Existenzen, sondern auch deren eigenes
Fachgebiet werden kann 81; auerdem wre in Rechnung zu stellen, dass
der Vorformen-Aufsatz zehn Jahre nach der Soziologie erschienen
ist.) Aber das gelufige soziologische Missverstndnis, Simmel habe
hier die Wechselwirkung von Menschen gemeint, die sich im sozialen
Verkehr aus einer Vielzahl von Beziehungen eine facettenreiche
Fassade erwirtschaften (sich vergesellschaften), kann Simmel nicht
zugerechnet werden. Die groe einleitende Abhandlung ber Das Problem
der Soziologie hypostasiert den Begriff der Wechselwirkung an
keiner Stelle; sie betont vielmehr die Begriffe Individuum und
Element als Bezeichnung proto- oder auch noch nicht sozialer 82
Momente, die ebenso sehr den Inhalt, gleichsam die Materie der
sozialen Energien bilden 83, wie sie der namenlose Angelpunkt sind,
an dem diese Energien Form gewinnen78 Simmel 1916/17, S. 107 mit
der auf die Relationalitt allen Handelns bezogenen Formulierung: Es
ist sein [des Menschen] eigentlicher Wert, dass er zwecklos handeln
kann, weil er die Stufe der Zweckmigkeit durchgemacht hat und frei
ist, und S. 106 (hier beilufig; in Simmel 1908 dann passim) fr das
Rechnen. Vgl. S. 105 (u..) fr die Identifikation der Begriffe Form
und Funktion. 79 Simmel 1916/17, S. 123. 80 Simmel 1908, S. 13 (und
passim); definitorisch zuerst S. 17. 81 Simmel 1908, S. 14. 82
Simmel 1908, S. 18. 83 Simmel 1908, S. 18 und 15.Seite 142
knnen. Es sind nicht soziale Kreise im Sinne von Schichten oder
peergroups oder Salons, die sich in Individuen und Elementen
kreuzen 84, sondern unabschliebar in sich zurcklaufende Linien
(s.o.). Individuen und Elemente sind tatschlich Vorformen jener
papiernen Schreibflchen, in deren Medium (s.o.) die soziale Ordnung
mit ihren eigenen Mglichkeiten kalkuliert. Simmel macht deutlich,
dass diese Ordnung ins Rutschen und dieses Papier ins Flieen
gekommen sein knnte; deshalb verwendet er so unzhlige Fluss-,
Strom-, Wellen- und Meeresmetaphern, deshalb interessieren ihn
Ruinen und verfallende Architekturen, und deshalb spricht er so oft
vom ortlosen, nichtidentischen, im Wortsinne fremden Individuum.
Und er mahnt an, dass dieses ins Flieen gekommene Papier Fragen
provoziert, die ber jede im Raum der Brokratie noch mgliche
Verwandtschaft von Geometrie und Soziologie hinausgehen 85 und eine
neue Art des Rechnens erfordern; Fragen, die jenen heimatlosen und
entwurzelten Existenzen verwandt sind. Das sind Fragen, die
immerhin erst ein halbes Jahrhundert (und zwei vernichtende Kriege
des Alten Europas um seine Kontroll- und Ordnungsphantasien) spter
wieder hnlich anspruchvoll gestellt worden sind (forciert durch
einen hnlich begnadeten Metaphoriker, nmlich McLuhan). Diese Fragen
aber konnten bereits sicher in einem sozialen Kontext platziert
werden, der fr digitale Algorithmen zumindest ber ein technisches,
wenn auch nicht ber ein soziales Verstndnis verfgte. Niklas Luhmann
hat den Selbstausschluss der Soziologie aus diesem Kontext nicht
verhindern knnen. 86 V Ohne auch nur den Versuch unternehmen zu
wollen, die Begriffe des Diagramms und der Diagrammatik hier
erschpfend zu behandeln, sind doch einige Bemerkungen dazu
erforderlich, in welchen Hinsichten von beidem die Rede sein kann.
Lehrbcher und berblicksdarstellungen dazu liegen inzwischen in Flle
vor, forciert vor allem durch die Entwicklung der
Wissenschaftsgeschichte im Anschluss an Michel Foucault einerseits
und Bruno Latour andererseits zu so etwas wie einer
wissenschaftlichen Leitdisziplin der letzten beiden Jahrzehnte des
zwanzigsten Jahrhunderts. 87 Dabei braucht nicht entschieden zu
werden, ob es um ein sammelndes und erklrendes Programm geht, das
die Variett vorhandener Diagramme und deren Nutzungszusammenhang
(etwa das Herauslesen von parlamentarischen Sitzverteilungen aus
Tortendiagrammen oder das Auffinden von Buchexemplaren durch
signierte Stellordnungen oder die Navigation mithilfe
geographischer Kartographierungen) zu einer Kulturdiagnose
verarbeitet, oder84 Simmel 1908, S. 456-511 (Kap. VI). 85 Simmel
1908, S. 25; vgl. S. 687-790 (Kap. IX). 86 Vgl. die
programmatischen Abhandlungen in Luhmann 1970 und die unter einem
perfiden Titel erschienene Auseinandersetzung Habermas/Luhmann
1971, und vgl. als Wiederanfnge zuerst Baecker 2004, dann ders.
2005 sowie zuletzt Lehmann 2011c. 87 Vgl. stil- und schulbildend
Kittler 1985; zur semiotischen Diagrammatik als Beobachtung und
Beschreibung einer Kontinuitt von Philosophie und Mathematik
Diagrammatologie im Anschluss an Husserl und Peirce zuletzt
Stjernfelt 2007.Seite 143
um eine Epistemologie diagrammatischer Vernunft, die die
Produktion von Wissen im Medium des Diagramms zum Gegenstand hat.
88 Wir haben das hier in den berlegungen zu Darwin, Sullivan und
Simmel bereits unentschieden gelassen und werden auch fr Luhmann
und Spencer-Brown so verfahren, weil wir davon ausgehen, dass jede
epistemologische Diagrammatik ihrerseits mit Diagrammen arbeitet,
also Fall ihrer selbst ist dass sich also in der Diagrammatik
Beobachtungsgegenstand und Beobachtungsmethode, Vorstellung und
Darstellung, empirischer Versuch und epistemische Technik 89, Ding
und Medium 90 immer verflechten. Die Diagrammatik ist (mit einer
Formulierung von Carl Friedrich Gauss) der Inbegriff der
Verwicklungen, die sich dabei ergeben knnen. 91 ber eine operative
Bildlichkeit allerdings 92 geht die Diagrammatik insofern hinaus,
als das Diagramm kein Privileg der optischen Wahrnehmung im Medium
des Bildes zu behaupten braucht. Das macht es fr unseren
Zusammenhang interessant, und deswegen haben wir bereits von der
Kommunikation ber Wahrnehmung gesprochen. Wir greifen auf ein
Beispiel zurck. Gauss denkt um 1820 ber die Mglichkeit einer
Gewebemathematik nach, im Grunde also einer Mathematik verwickelter
Strukturen, einer (da Mathematik ihrerseits die Beobachtung von
Strukturen zum Gegenstand hat) Mathematik der Mathematik. Er
notiert folgendes: 93
Die Zeichnung eines Zopfmusters erinnert in der Entscheidung,
jeden Strang zu bezeichnen und jede Ebene zu beziffern, auf der
sich eine Kreuzung von Strngen findet, an88 Vgl. fr diese bottom
up- bzw. top down-Alternative Bauer/Ernst 2010, zit. S. 17, die
sich fr Letzteres entscheiden. 89 Moritz Epple im Anschluss an
Hans-Jrg Rheinbergers Begriff des epistemischen Dings: [Epple
2010], hier S. 126. 90 Heider 1927. 91 Vgl. Epple 1998, und ders.
2010. 92 Krmer 2009. 93 Abb. nach Gauss [1815-30?] Notebooks in
Epple 2010, S. 121 (auch in Epple 1998).Seite 144
Darwins Evolutionsdiagramm. (Man knnte den Zopf kmmen, also alle
Kreuze nach oben oder nach unten verschieben, und bekme die
empirisch evidente, epistemisch aber unfruchtbare Verdichtung an
einem Ende; Gauss lst also die Verdichtung durch Verzicht auf
dieses Kmmen auf, ohne die Struktur selbst aufzulsen.) Zunchst
versucht Gauss die Vernderung der Coordinierung der Strnge (a-d)
und Ebenen (1-6) in einer Kreuztabelle nachvollziehbar zu machen
(+i markiert das Hinweggehen eines Strangs ber einen anderen). Er
sieht aber dann, dass dieser tabellarische Nachvollzug unfruchtbar
ist, weil es fr den Inbegriff der Verwicklung nicht darauf ankommt
zu wissen, ob Knoten vorliegen, sondern darauf zu wissen, ob der
Zopf aufgeht, wenn man an seinen Enden zieht und die Knoten
einander destruiren. Das sieht man in der Tabelle nicht mehr. Es
msste daher wahrscheinlich zureichen, die halben Umdrehungen einer
Linie in die andere nach einem bestimmten Drehsinn darzustellen.
Dazu zeichnet Gauss den Zopf nochmals von oben, um diesen Drehsinn
sichtbar zu machen. Das leuchtet als Darstellungsform allerdings
kaum ein; der Zopf ist erheblich anschaulicher. Schlielich notiert
er ergnzend zu der (a-d)- und (1-6)-Bezeichnung im Zopfdiagramm:
Man braucht nur in jeder Linie zu zhlen wie oft + mit wechselt
(also wie oft ber- und Unterkreuzungen wechseln). Mit beidem: dem
Wechsel der Perspektive vom Auf- in den Grundriss (bzw. von der An-
in die Draufsicht), der als Grafik gezeigt wird, und der Verknpfung
einer Zhlung erster Ordnung (a-d, 1-6) mit einer Zhlung zweiter
Ordnung (+/ -Hufigkeit), die im Satz geschrieben wird, gibt er den
entscheidenden Hinweis. Denn sein Notizblatt selbst weist zwar die
klassischen Merkmale eines Diagramms schon darin auf, dass es
sprachliche und grafische Darstellung nicht nur nebeneinander
stellt, sondern auch (explizit in der Zopfskizze und in der
Kreuztabelle) verknpft. Darin gleicht es Darwins erster Skizze der
Evolution der Arten (s.o.). Es verknpft auerdem, auch dies
kennzeichnet Diagramme im klassischen Verstndnis, Schrift und Zahl
bzw. Individualitt dem Namen nach und der Zhlung nach (darin
gleicht es Sullivans Wainwright Building) sowie Statik und Dynamik
(darin gleicht es Webbs Kaminentwurf). Sondern es macht auerdem und
darin geht es ber das klassische Verstndnis hinaus explizit
deutlich, dass erstens ein Diagramm stets etwas Unbestimmtes als
bestimmbar darstellt 94: nmlich jenen Inbegriff der Verwicklung.
Und dass zweitens ein Diagramm stets eine abstrakte Zhlung im Sinne
einer formalen Individualisierung durch symbolische (a-d) oder
numerische (1-6) oder grafische () Bezeichnung mit einem
Arrangement dieser Bezeichnungen verknpft, das ebenfalls variiert
werden kann. 95 Der Inbegriff der Verwicklung findet sich nicht in
einer der gegebenen Bezeichnungen und auch nicht in einer der
skizzierten Arrangements von Bezeichnungen, sondern sowohl in der
einen als auch in der anderen Hinsicht in deren Variett.
Bezeichnung und Arrangement kontrollieren einander gerade so, wie
ber- und Unterkreuzungen sich so ineinander verrechnen, dass, Gauss
zufolge, der Zopf unter Umstnden sowohl coordiniert als auch
destruiert wird. Das erinnert in der zugleich geschlossenen und
unabschliebaren Variett94 Dies ist die Pointe der Darstellungen in
Baecker 2005. 95 Vgl. sehr klar Epple 1998, auch 2010.Seite 145
der mglichen Strukturformen deutlich an Simmels Diagrammatik der
Wechselwirkung als Verknpfung von Vorform (formale a-d- oder 1-6-
oder -Individualitt) und Form (a-d-,1-6- und -Arrangement). Es
findet sich auerdem wieder sowohl in Luhmanns Neufassung der
Systemform (s.o.) als System/Umwelt-Differenz, die im System sowohl
das formale In-dividuum der Soziologie 96 als auch den Inbegriff
aller im Kontext der System/Umwelt-Differenz mglichen
Strukturbildungen erkennt (die Gesellschaft der Gesellschaft 97),
als auch in Whites Neufassung der sozialen Formationen (s.o.) als
Netzwerke einander coordinierender und destruierender
Kontrollversuche. Der Inbegriff des Diagramms liegt somit sowohl in
der Bestimmbarkeit des Unbestimmten als auch in der Variett des
Unentscheidbaren. Jede Diagrammatik beobachtet die Operationen, die
diese Bestimmungen vollziehen, und die evolutionren Varianten, die
dieser Vollzug ermglicht, und sie beschreibt diese Beobachtungen in
Formen, die sowohl der Wahrnehmung als auch der Kommunikation
zugnglich sind. Sie ist dabei weder an Visualitt bzw. an optische
Medien gebunden noch an Schrift. Die formal bezeichneten, gezhlten
und arrangierten Individuen sind nichts (das heit: nicht mehr, aber
auch nicht weniger) als Elemente einer zwar definitiven, im Kontext
dieser Definition aber notorisch instabilen Ordnung. Anlass und
Hintergrund (mit Heider: Substrat) der Diagrammatik knnen
beispielsweise, worauf schon Charles S. Peirce hinweist, sowohl
akustische als auch visuelle Ereignisse sein; entscheidend ist
erstens, dass sie wahrnehmbar sind sei es in time (akustisch) oder
in space (visuell) 98, und zweitens, dass sie beobachtet werden.
Denn die Beobachtung transformiert das Ereignis in eine
Unterscheidung zweier Seiten (z.B. laut/leise, hell/dunkel,
grn/grau, innen/auen, 1/0 oder eben +
[berkreuzung]/-[Unterkreuzung]), die durch die Unterscheidung
selbst konjunktiv verknpft sind. Fr die Operationalisierbarkeit der
Unterscheidung gengt die Unentscheidbarkeit ihrer beiden Seiten.
Jedes Diagramm stellt demnach elementare Sensationen und darin
liegt sein Gewinn gegenber der Wahrnehmung als
Unentscheidbarkeiten, Unsicherheiten, Ungewissheiten dar,
verzichtet dazu aber keineswegs auf diese elementaren Sensationen,
sondern fhrt sie in seinen eigenen Raum immer wieder ein. Es nimmt
ihnen die Evidenz der unmittelbar einleuchtenden Wahrnehmung und
transformiert diese durch die Verknpfung von formaler Bezeichnung
und variablem Arrangement in Kontingenz, wendet aber fortlaufend
weiter Evidenz gegen diese Kontingenz ein. Insoweit haben wir es
sowohl bei einem Diagramm als auch bei einer Diagrammatik als dem
Inbegriff der Verwicklung von Diagrammen (zum Beispiel nach Simmel
einer Gesellschaft, oder nach Sullivan einer Architektur, oder nach
Darwin einer lebenden Art) immer mit einer Variante der Rekursivitt
von Evidenz und Kontingenz zu tun: mit einer Form.
96 Luhmann 1995, S. 166. 97 Luhmann 1997). 98 Peirce 1933, zit.
CP 3.418.Seite 146
VI Luhmanns Diagrammatik ist die Theorie sozialer Differenzen;
sein wichtigstes Diagramm ist der Begriff des Systems, den er
konsequent als Beobachtung und Beschreibung von sozialer
Ordnungsbildung im Kontext der Selbstreferenz eines einzigen
basalen Diagramms versteht: der Differenz von System und Umwelt.
Der Begriff der Differenzierung, der als Diagrammatik der Differenz
verstanden werden kann, hat in seinem ersten opus magnum (Soziale
Systeme) 99 keine besondere Prominenz; er versteckt sich dort
folgerichtig in den beiden explizit dem Systembe-griff gewidmeten
Kapiteln ber System und Funktion einerseits und System und Umwelt
andererseits. Im vierten Kapitel seines zweiten opus magnum (Die
Gesellschaft der Gesellschaft 100) wird der Begriff dann zwar sogar
zum Titel. Aber wichtiger sind ihm auch in diesem Werk andere
Begriffe System, Medium und Evolution ; und er nutzt die
Unterscheidung von Form und Medium (Kap. 2.I), um den Systembegriff
komplexittstheoretisch, kommunikationstheoretisch und
evolutionstheoretisch zuerst am Testfall der Kommunikationsmedien
(Kap. 2) und erst danach unter dem Titel Formen der
Systemdifferenzierung (Kap, 4.II) am Ordnungsproblem der
Gesellschaft zu reformulieren. Tatschlich entsteht der Eindruck,
dass Luhmann in seinem Weg von der allgemeinen Theorie sozialer
Systeme zur Gesellschaftstheorie der Soziologie 101 die
Diagrammatik der Differenz zuerst unter dem Namen des Systems
entworfen hat, der empirisch-soziologischen Ausarbeitung dieses
Grundrisses (so der Untertitel von Soziale Systeme) konsequent
unter dem Namen der System-Umwelt-Theorie 102 auch nahezu sein
ganzes Lebenswerk gewidmet, ihn dann aber dennoch unter dem Namen
der Form zugleich (im oben fr Simmels Ruine als Implikat von
Verfall und Vorform beschriebenen Sinne) verworfen und die
Diagrammatik der Differenz als Diagrammatik der Form neu entworfen
hat. Ich habe diese Frage an anderer Stelle 103 ausfhrlich
ausgearbeitet und fasse daher hier nur kurz zusammen. Luhmann hat
das diagrammatische Problem seines Theoriekonzepts vielfach
reflektiert, dies aber in seinen Texten verstreut untergebracht.
Gelegentlich hat er es aber auch explizit angesprochen, vor allem
in dem kurzen Aufsatz ber die Probleme einer theorieeigenen
Sprache. Der dort ganz beilufig abgebildete Themenplan (in seiner
Verknpfung von Schema und Liste ein konventionelles Diagramm) 104
greift vor auf die Gliederung des Grundrisses und bietet sich als
Strukturierungshilfe fr die meisten von Luhmanns Texten an, gibt
aber sein entscheidendes Argument erst auf den zweiten Blick preis
105: dass nmlich alle Begriffe (auch die, die in der Liste allein99
Luhmann 1984. 100 Luhmann 1997. 101 Luhmann 1997, S. 16ff. 102
Luhmann 1964a, S. 22 und 46; vgl. ders 1984, S. 26
(System/Umwelt-Theorie). 103 Vgl. Lehmann 2011c, S. 205ff., und
2011d. 104 Luhmann 1979, Abb. S. 177. 105 Luhmann 1979, S.
170.Seite 147
stehen) als Unterscheidungen gefasst sind. Der Ermglichung
dieses zweiten Blickes dient das Diagramm. Den schon von Simmel im
Begriff der Systemform (s.o.) kritisierten externen Punkt gibt es
bei Luhmann nicht, vielmehr sind die zentrale Unterscheidung
System/Umwelt und deren Medium Sinn am tiefsten verstrickt; und
dieser vollkommene Verzicht auf ein lineares Kontinuum 106 ndert an
der Form des Systems wie auch an der Theorie dieser Form alles:
Wichtig scheint Luhmann aber weniger der Gedanke der
Verstrickung als der Gedanke der Ermglichung von Anfngen im Kontext
von Arrangier- und Vertextungsproblemen gewesen zu sein, die er
deutlich als produktive Chancen versteht und gerade deswegen
regelrecht sucht, weil sie sich nicht optimal lsen lassen: Die mir
vorschwebende Gesellschaftstheorie knnte ich von der Theorie des
Systems, von der Theorie der Evolution, von der Theorie der
Kommunikation oder von Theorien ber Sinn und Selbstreferenz aus
schreiben. Jeder Einstieg, jeder Anfang ist mit
nichtexemplifizierbaren Voraussetzungen belastet und daher fr den,
der blo am Text entlang liest, kaum verstndlich zu machen. Der
Leser kann dann prfen, ob die Stze grammatikalisch stimmen; aber er
kann die ihnen zu Grunde liegenden Optionen der Theorie nicht
verfolgen. Schn wre es, wenn man diese leicht labyrinthische
Theorieanlage in Bchern abbilden knnte, die sozusagen
zweidimensional angelegt sind, also mehrere Lesewege erffnen. Aber
das wrde gar nichts ntzen, da man die Texte unterschiedlich
schreiben msste je nachdem, auf welchem Weg der Leser zu ihnen
gelangt. Ich habe den Plan fr ein Buch ber Theorie sozialer Systeme
mitgebracht, aus dem zumindest optisch deutlich wird, weshalb
dieses Buch bisher nicht geschrieben worden ist... Das Problem ist:
Wie erzeuge ich mit sprachlichen Mitteln hinreichende
Simultanprsenz komplexer Sachverhalte und damit hinreichende
Kontrolle ber die Anschlussbewegung des Redens und Verstehens ...
Simultanprsenz. Das ist das Problem. 107106 Luhmann 1979, S. 170.
107 Luhmann 1979, S. 174, 175 (der Satz endet mit einem Punkt; es
handelt sich also nicht um eine Frage) und 176.Seite 148
Diesen Plan fr ein unmgliches Buch nimmt Luhmann in Soziale
Systeme als das Buch, das er dann tatschlich wenig spter als eine
Art Parallelpoesie der wissenschaftlich blichen Prosa 108 vorlegt,
nicht mehr auf. Sein konzeptionelles Diagramm macht deutlich, dass
es nicht um den Systembegriff geht, sondern nur um eine
Abstraktion, die Differenzerfahrung ermglicht und organisiert,
indem sie Reduktion von Komplexitt [praktiziert] 109, ohne die
Linearisierung von Komplexitt (im, wie gesehen, schon von Simmel
kritisierten Sinne) zu betreiben oder auch nur eine solche
Mglichkeit zu behaupten: Die Theorieanlage gleicht also eher einem
Labyrinth als einer Schnellstrae zum frohen Ende. 110 Diese
Praktikabilittsvermutung gilt dem Systembegriff; deshalb [gehen]
die folgenden berlegungen davon aus, dass es Systeme gibt. 111 Man
mag, wie das vielfach mit hohem argumentativen Aufwand geschehen
ist, die ontologischen Implikationen dieses Anfangs herausarbeiten
und gegen die Selbstreferenzannahme der Theorie einwenden; aber man
kann auch einfach hinnehmen, dass Luhmann nicht davon ausgehen
konnte, dass es auch eine Theorie der Selbstreferenz oder berhaupt
eine einzige Theorie der Nichtlinearitt gibt. Aber immerhin gibt
[es] selbstreferentielle Systeme... Systeme mit der Fhigkeit,
Beziehungen zu sich selbst herzustellen und diese Beziehungen zu
differenzieren gegen Beziehungen zu ihrer Umwelt. 112 Der
Systembegriff ist nichts als ein praktikabler Anfang ein Anfang,
aus dem Luhmann sein zweites, sicherlich erheblich bekannteres
Diagramm entwickelt, das in der Zhlung der Ebenen und Strnge und
der Markierung der Kreuzungen sowohl dem Evolutionsdiagramm Darwins
als auch dem Zopfdiagramm Gauss verwandt sein drfte:
Der Vergleich des Themenplans mit dieser Skizze 113 weist darauf
hin, dass auch hier jeder Begriff Element eines Begriffsgewebes ist
man mge versuchen, die Verstrickung der System/Umwelt-Differenz aus
dem Themenplan in die vorliegende Skizze einzutragen; dies msste an
jedem ihrer Schnittstellen bzw. Verzweigungen erfolgen und wrde
ohne weiteres die Brauchbarkeit des Entwurfs lschen. Luhmann listet
in seiner Einleitung denn auch eine groe Zahl von Begriffen auf,
die als Elemente der gesuchten108 Luhmann 1979, S. 177. 109 Luhmann
1984, S. 13 und 12. 110 Luhmann 1984, S. 14. 111 Luhmann 1984, S.
30. 112 Luhmann 1984, S. 31; man beachte die Fn. 2 ebd. zur
Unterscheidung von differenzieren gegen und unterscheiden von. 113
Luhmann 1984, S. 15; Abb. S. 16.Seite 149
Theorie in Frage kommen knnen, wenn es gelingt, sie in
Differenzen zu arrangieren, die als Zusammenhangslinien von
Begriffspositionen zu verstehen und in der Darstellung der Theorie
[zu praktizieren] sind. 114 Eine Seite der so arrangierten
differentiellen Unterscheidungen ist interessanterweise immer das
Ereignis. 115 Auch dies htten wir also in das erste und mit diesem
nachher auch in das zweite gezeigte Diagramm einzutragen und wrden
dann nicht mehr sehen, im Vergleich aber erkennen, was Luhmann hier
gelingt: Er entwirft das Diagramm einer komplexen Form des Systems
und der Theorie des Systems 116 , aber er entwirft es nicht als
schreckliche Komplexitt 117, nicht als schrecklich kompliziertes
Flechtmuster, sondern als Zeichnung ... mittlere[r] Komplexitt: als
so etwas wie ein Proto-Modellsystem, an dem sich etwas entwickeln
lsst. 118 Wenn ich recht sehe, versucht Luhmann Die Gesellschaft
der Gesellschaft nichts anderes, als dieses mittlere
Komplexittslevel auf den drei Ebenen der Skizze zu diskutieren und
das Wiedervorkommen aller Ebenen und Zweige des Schemas an allen
Begriffspositionen des Schemas zu vermeiden. Die Anlage des Textes
ist dafr jetzt explizit und auf eine auerordentlich elegante Weise
diagrammatisch verfasst. Luhmann nimmt den Plan der Theorie von
zwlf auf genau besehen nur noch drei Komplexittsvarianten zurck:
System, Kommunikation und Evolution (Kap. 1-3) und reduziert dies
nochmals, indem er das Systemproblem auf die Frage nach der
Gesellschaft im Kontext der Differenz von System und Umwelt und das
Kommunikationsproblem auf die Frage nach den Medien im Kontext der
Differenz von Form und Medium einschrnkt. Das Evolutionsproblem
kann dann zwar, darin genau Darwin folgend, im Kontext der
Differenz von Variation, Selektion und Retention entworfen, aber
mithilfe der beiden vorangestellten Komplexittsreduktionen zugleich
eingeschrnkt werden auf die Frage nach dem System als immer
zugleich stabiler und instabiler kologie medialer Ereignisse. Das
Komplexittsproblem der Gesellschaft besteht dann in der
Gleichzeitigkeit (das heit: in der sich verzweigenden und
verflechtenden Kreuzung) genau zweier Differenzen: der
System/Umwelt-Differenz und der Medium/Form-Differenz (die ihn,
aber das muss hier offen bleiben, wieder in erstaunliche Nhe zu
Parsons Kreuzung der internal/ external-Differenz mit der
instrumental/consummatory-Differenz bringt). Nehmen wir Luhmanns
Selbstreferenzargument ernst (die ihn dazu bringt, den
Differenzbegriff gegenber dem Unterscheidungsbegriff zu
bevorzugen), knnen wir die erste Differenz unter dem Namen des
Systems fhren, das seine Umwelt bzw. das sich selbst kologisch
impliziert, und die zweite unter dem Namen der Form, die ihr Medium
bzw. die sich114 Luhmann 1984, S. 12. 115 Handlung/Ereignis,
Ereignis/Element, Ereignis/Prozess, Ereignis/Selbstreproduktion...,
Ereignis/ Zeit: Luhmann 1984, S. 12. 116 Vgl. dazu luzide Luhmann
1969, insbes. S. 257ff., und ders. in Habermas/Luhmann 1971, S.
292ff. 117 So Luhmann ber Parsons AGIL-Schema, das prominenteste
Diagramm der neueren Soziologie; vgl. dazu ausfhrlich Lehmann
2011d. 118 Epple 2010, S. 122f.; mittlere Komplexitt i.O.
kursiv.Seite 150
selbst medial impliziert. Das Diagramm, das diese spezifische
Simultanprsenz der System- und der Formdifferenz darstellt, ist die
Theorie selbst sie ist diagrammatisch, weil sie die Bestimmbarkeit
des Unbestimmten ermglicht (Komplexitt), weil sie die Variett des
Unentscheidbaren darstellt (kologie medialer
System/Form-Ereignisse) und weil sie zeigt, dass jedes soziale
Ereignis sowohl Evidenz als auch Kontingenz der Gesellschaft
reproduziert. Der zweite Band von Die Gesellschaft der Gesellschaft
gilt im beschriebenen Sinne der Praxis dieser Theorie. 119 Luhmann
braucht nur noch ein Kapitel, um die dritte Ebene seiner Skizze,
die Gleichzeitigkeit von Interaktion, Organisation und Gesellschaft
(ergnzt um Protestbewegungen), in das Schema zurckzufalten und im
Kontext der Unterscheidung von System und Sozialsystem zu
diskutieren (praktisch also den einzigen Strang en detail auf ber-
und Unterkreuzungen hin zu betrachten, den er in seinem Schema
verzweigt). Bei der im ersten Band entwickelten Strategie der
Kreuzung von System/Umwelt- und Form/Medium-Differenz bleibt er und
kann auf diese Weise zeigen, dass Differenzierung immer
Systemdifferenzierung heit 120 und immer zu Wiedereinfhrungen der
genannten Differenzen in ihren eigenen Kontext fhrt: die Komplexitt
der Gesellschaft wird immer grer, obwohl (weil) sich diese
Komplexitt aus immer schrferen Komplexittsreduktionen durch die die
Gesellschaft ordnenden Differenzen errechnet. Die Simultanprsenz
von Interaktion, Organisation und Gesellschaft bedeutet dann, dass
jede der drei Systemvarianten einen sehr viel spezifischeren,
abstrakteren Sinn bekommt als sie in einer bloen Dualitt oder
Singularitt haben wrde; dadurch werden diese Systemvarianten nicht
nur unverstndlicher, sondern auch unwahrscheinlicher und
instabiler. Wenn Luhmann dieses Problem an einer weiteren
Simultanprsenz erklrt, jener von segmentrer, stratifikatorischer
und funktionaler Differenzierung (ergnzt um
Zentrum/Peripherie-Diffferenzierungen), dann folgt er seiner Skizze
luzide: Er diskutiert einmal den Strang
System-Sozialsystem-Interaktion und nimmt an der Interaktion vor
allem deren episodische Form ernst; dabei fhrt er Wahrnehmung als
Implikat von Kommunikation ein. Er diskutiert sodann den Strang
System-Sozialsystem-Organisation und nimmt an der Organisation vor
allem deren hierarchische Form ernst; dabei fhrt er Entscheidung
als Implikat von Kommunikation ein. Und er diskutiert schlielich
den Strang System-Sozialsystem-Gesellschaft und nimmt an der
Gesellschaft vor allem deren rekursive, nichtlineare Form Funktion
ernst; dabei fhrt er Kommunikation als Implikat von Kommunikation
ein (das heit: Sinn als basale Negativitt aller sozialen
Positionen). Aber deutlich wird dadurch nur, auerordentlich nahe an
Darwin und sehr viel konziser geschrieben: Die Evolution der
Gesellschaft ist keine Strae zum frohen [oder tragischen] Ende,
sondern der Inbegriff der Verwicklungen aller sozial mglichen
Differenzen.
119 Vgl. neben Luhmann 1969 hier Fn. 309 in Luhmann 1997, S.
757. 120 Luhmann 1997, S. 597.Seite 151
VII Das deutlichste und inzwischen wohl auch prominenteste
Diagramm der Nichtlinearitt jeder Form, das heit: der impliziten
Negativitt jeder Unterscheidung verdanken wir George Spencer-Brown,
der 1969 mit den Laws of Form die Probleme der Verknpfung von
Zhlungen und Arrangements mittels einer einzigen Anweisung lst:
Draw a distinction. 121 Wer zeichnet, der trifft auch. Und wer
unterscheidet, der zeichnet immer. Oder genauer: Unterscheidungen
sind gezeichnete Differenzen 122, sie sind mit einem
Renaissance-Begriff disegni. Welcher Begriff des Zeichnens liegt
hier vor? Wie zeichnet man eine Unterscheidung, die um das so
unverblmt zu sagen, wie Spencer-Brown schreibt den zeichnet, der
sie zeichnet? 123 Das erfordert einige Bemerkungen zu Heinz von
Foerster. Denn niemand hat Systemtheorie so luzide in Zeichnungen
gefasst wie er. Talcott Parsons bleibt bei einer einmal entworfenen
Skizze und variiert sie bis zum berdruss; schrecklich findet Niklas
Luhmann das (s.o.). W. Ross Ashby, Norbert Wiener, Gregory Bateson,
Claude E. Shannon und auch Warren McCulloch waren eher
zurckhaltende Zeichner. Ranulph Glanville, obwohl (oder weil?)
Architekt, zgert, und auch Humberto R. Maturana hlt sich in
stndiger Koketterie mit der Philosophie und deren Konzentration auf
das geschriebene Sprechen zurck. Francisco J. Varela und Dirk
Baecker jedoch beginnen zu zeichnen, und zwar immer dann das ist
unser wichtigster Hinweis auf das Problem gezeichneter Differenzen
wenn sie zu rechnen beginnen. 124 Neben das geschriebene Sprechen
tritt bei beiden (bei Varela weniger, bei Baecker mehr) das
gezeichnete Beobachten, die Schrift der Unterscheidung. Diese
drawings of distinctions sind nichts anderes als Observing Systems
auf Papier 125 und damit genau jene Diagrammatiken der Form, um die
es uns geht. Dabei ist Heinz von Foerster kein sonderlich
einfallsreicher Zeichner im engeren, protoknstlerischen Sinne; er
zitiert die meisten seiner Darstellungen, verwendet einige wenige
davon in redundanter Hufigkeit und macht alles in allem den
Eindruck, eine Art Bau- oder Werkzeugkasten aus einer sehr
begrenzten Anzahl von Darstellungen mit sich zu fhren, um aus ihm
anlass-, kontext- und adressatenbezogen in immer neuen Anordnungen
immer neue Argumente hervorzuzaubern (tatschlich hat er sich in
seiner Jugend mit Zauberkunststcken und Jonglieren beschftigt).
Solche Bauksten sind nichts anderes als Kalkle: Zusammenstellungen
von Bausteinen (calculi), die im Kontext des Kastens, des Kalkls
variabel arrangierbar sind. Heinz von Foerster rechnet121
Spencer-Brown 1969, S. 3. 122 Erving Goffman, dessen Rahmen-Analyse
(1974) wir hier bereits erwhnt haben und auf den wir hier nicht
eingehen knnen, hat dieses Problem des qua Unterscheidung
Gezeichnetseins im Begriff des Stigmas diskutiert, vgl. ders. 1963.
123 Der folgende Abschnitt ist eine Vorform (sic!) von Lehmann
2011a. 124 Varela 1979, Baecker 2002, 2005. 125 Foerster 1981.Seite
152
also: wenn er zaubert, wenn er spricht, wenn er schreibt. Dank
der Herausgeber von Heinz von Foersters Stanford Lectures stehen
einige handschriftliche Zeugnisse seiner Arbeitsweise der
ffentlichkeit zur Verfgung. 126 Sie knnen deutlich machen, wie sehr
wir es bei dieser Arbeitsweise mit einer Verknpfung von Schreiben
und Zeichnen in Hinblick auf Sprechen und Lesen um der Mglichkeit
von Erkenntnis willen zu tun haben im konkreten Fall mit der
Verhackstckung von Notizzetteln, Typoskripten und Druckseiten, die
von Foerster so konomisch wie mglich zu so wenigen lecture notes
wie mglich und so wenigen handouts wie mglich zusammenkritzelt und
zusammenklebt. Es geht um Schriftformen, die auf Wahrnehmbarkeit
einerseits und auf Beweglichkeit andererseits angelegt sind, auf
Kommunikation, auf im schnsten und anspruchsvollsten Sinne des
Wortes Geselligkeit; es sind Tnze auf Papier (mit Bateson: steps to
an ecology of mind; mit Spencer-Brown: a properly designed
symphony) 127; es sind Transkriptionen von Wahrnehmungen in
Handlungen und von Handlungen in Wahrnehmungen. Er selbst sagt: In
school I always had difficulties remembering facts, data, lists of
events ... Relationships, on the other hand, I found easy to
visualize. 128 Seine Figuren sind solche Visualisierungen von
Beziehungen, die zugleich Bewegungen sind: If you desire to see,
learn how to act, erstens, und: Act always so as to increase the
number of choices. 129 Offensichtlich lsst sich dieser Imperativ
aus der Anfangsanweisung Spencer-Browns entwickeln; danach ergibt
sich praktisch alles andere wie von selbst. 130 Wer eine
Unterscheidung trifft, handelt, um zu sehen, und er sieht, um zu
handeln. Er tanzt. Er zeichnet. Er schreibt. Er rechnet; wobei
Rechnen nichts anderes ist als ein quasi praktisches Gehen und
damit Erschaffen eines theoretischen Weges, der eben dadurch
entsteht und gewusst werden kann. 131 Heinz von Foerster sind
Spencer-Browns Laws of Form bereits in der Erstfassung aus dem
Jahre 1969 vertraut; er rezensiert das Buch im Whole Earth Catalog
und arbeitet es umstandslos in den Korpus der second order
cybernetics ein. Seinem Bedrfnis nach argumentativer konomie muss
es in buchstblich beispielloser Weise entgegengekommen sein, so
sehr, dass er es in der einzigen kritischen Anmerkung verdichtet,
SpencerBrown verfge ber ein bemerkenswertes Talent zu sparsamer
Ausdrucksweise. 132 Er spottet sogar ber Spencer-Browns Auffassung
der Mathematik als einer Methode, weniger und weniger ber mehr und
mehr zu sagen, die natrlich der Zustand letzter Weisheit sei, in
dem alles eins ist und wir in der Lage sein [werden], nichts ber
alles zu126 Foerster 1983. 127 Bateson 2000; Spencer-Brown 1971, S.
37. 128 Foerster 2003, S. v. 129 Foerster 2003, S. 227. 130
Foerster 1993a, S. 9. 131 Schnwlder/Wille/Hlscher 2004, S. 32. 132
Foerster 1993a, S. 11.Seite 153
sagen. 133 Er wei aber sehr gut, dass er mit diesem Spott
zugleich den Punkt markiert, auf den es ankommt. Denn er weist
selbst auf Wittgensteins Tractatus hin, in dem sich der Reichtum
von ist-Aussagen dargestellt findet: Im Satze Grn ist grn stnde das
Wort ist als Kopula, als Gleichheitszeichen und als Ausdruck der
Existenz. 134 Alles ist eins kann demnach sehr vieles und immer
wieder anderes bedeuten, nur er ist, als Satz, gesetzt nicht alles,
und nicht nichts: Der Satz Alles ist eins bedeutet und das sind
eben zugleich die Pointen von Heinz von Foersters Argument : Alles
ist eine Variable; und wenn so, dann erkennt sich auch alles in
allem wieder. Die Welt, die wir kennen, [ist] auf eine Art und
Weise konstruiert [], die sie befhigt, sich selbst zu sehen (er
benutzt eine Metapher der Spiegelung und der Selbsthnlichkeit, der
Fraktalitt, wenn er von einem glnzenden Juwel spricht). 135 Um
diese Variabilitt zu ermglichen, muss eine Unterscheidung getroffen
werden, und diese Unterscheidung muss in einer Zeichensprache
geschrieben werden, die zum Gebrauch der Unterscheidung auffordert
und diesen Gebrauch ermglicht). 136 Jenseits des Gebrauchs ist die
Unterscheidung so sinnlos wie das Zeichen, das sie aufs Papier
bringt. Das Zeichen muss also einfach sein (die Aufforderung wrde
sonst berfordern), und es muss ein Operator sein (kein bloes Bild).
Gengt es diesen beiden Ansprchen, dann ist die aus ihm entwickelte
Zeichensprache (wir haben sie oben die Schrift der Unterscheidung
genannt) praktisch auch im Sinne von Luhmanns Arbeit am Problem der
Komplexitt. Die Unterscheidung, um die es hier geht, ist deshalb
kein Unterschied, den man machen knnte, und keine Qualitt, die man
haben knnte. Nicht Make a distinction! lautet Spencer-Browns
Aufforderung, sondern Draw a distinction! fang an, mit nichts als
einer minimalen Notiz, Zeichne!, und zwar: Zeichne etwas, das eine
Unterscheidung anschaulich macht, ohne Vorwissen vorauszusetzen
oder Nachfragen erforderlich zu machen. Rechne also damit, dass
dieses notierte Etwas praktikabel sein muss fr jeden, der es sieht
(das magst du selbst sein, es mag ein anderer sein), und von dem
Moment an, da er es sieht. Die Mglichkeit (idea; bei Gauss [s.o.]
war damit etwas Vorstellbares gemeint) der Unterscheidung nimmt
Spencer-Brown ebenso als gegeben an (we take as given) wie die
Unmglichkeit, sie zu treffen (we cannot make an indication), ohne
sie zu zeichnen (without drawing a distinction). 137 Ohne diesen
Hinweis auf das drawing (und nicht making) ist nicht zu verstehen,
weshalb er aus diesen beiden Gegebenheiten (data) folgern kann,
dass die Form der Unterscheidung fr die Form selbst stehen kann (we
take, therefore, the form of distinction for the form, ebd.): Die
Form ist eine Zeichnung, eine Skizze, eine Notiz der Welt, die wir
kennen. Um dieser Kenntnis gerecht werden zu knnen, muss das
verwendete skizzenhafte Zeichen so abstrakt wie mglich sein; es
muss alles als nichts und nichts als alles enthalten knnen.
Diese133 Foerster 1993a, S. 11. 134 Wittgenstein 1963, S. 27
(3.323). 135 Foerster 1993a, S. 9 und 11. 136 Wittgenstein 1963, S.
28 (3.325). 137 Spencer-Brown 1969, S. 1.Seite 154
Enthaltsamkeit 138 hlt Spencer-Brown in der Definition fest:
Distinction is perfect continence, und er ergnzt nochmals, dass es
sich dabei um eine Unterscheidung handelt, die gezeichnet ist (is
drawn) oder genauer: die eine Zeichnung ist (drawing), etwas
Zeichnendes ([it] draws). 139 Die einmal gesetzte Notiz fngt an zu
laufen, sie schreibt sich fort, sie errechnet sich und ihre
Variablen selbst und um dies zu ermglichen, muss eben nichts getan
werden als die anfngliche Notiz selbst. Heinz von Foerster sieht
das vollkommen klar. Draw a distinction! heit so schlicht wie
elegant: Fang an! Draw a distinction! Denn im selben Moment ergibt
sich alles andere - das drawing wie von selbst. Mit der Zeichnung
ermglicht sich der Zeichner selbst. Wer immer er ist: Mit der drawn
distinction wird er (wenn er nicht so unpraktisch ist, sich immer
nur zu fragen, wie ihm das gelingen konnte) zur drawing
distinction. Er konstruiert nicht eine, sondern seine Realitt. Man
kann vielleicht sagen (und mir scheint, dass dies dem speziellen
Humor von Heinz von Foerster entgegenkommt), dass Spencer-Brown mit
dem Zeichen (der Notiz), das er selbst schlielich vorschlgt 140,
sogar eine Schriftform vor Augen hat, die ohne Stift auskommt; denn
der mark ist eine gezinkte Karte, ein Riss also in das Papier, auf
dem einerseits gerechnet werden kann, als handele es sich bei dem
Riss um einen Strich, aber mit dem andererseits auch gerechnet
werden kann, weil in der Form des Risses das Papier auch selbst
gestaltbar wird. Der mark ist Schrift und Interface (Schnittstelle)
zugleich; auch dies ist eines der Juwelen dieses Textes. Dass damit
derjenige, der das Papier einreit, nicht nur derjenige ist, der es
bezeichnet (beschreibt), sondern auch derjenige, der aus diesem
Riss bzw. aus dessen Vernetzungen nicht mehr herauskommt, ist keine
geringe Pointe. Der mark ist auch ein Treffer ([a] hit). 141 Anders
als in Form der Notiz, des drawings, wre dieser Treffer bzw. das
Betroffensein nicht mglich; das bilden die deutschen bersetzungen
mit Triff eine Unterscheidung! eher mhsam ab. Der erste Riss
gelingt wie nichts, aber die Realitt, die er entwirft, ist nicht
nichts. Er ist eine Spur des Selbst (alles hngt daher davon ab, ob
man den Riss immer nur benennt und qua Fortschreibung beklagt, oder
ob man ihn als Chance nutzt und das Papier kreuzt; daraus ergeben
sich Spencer-Browns laws, die die Konsequenzen wiederholten Nennens
und wiederholten Kreuzens verdeutlichen).
138 Baecker 1993, S. 17ff. 139 Spencer-Brown 1969, S. 1. 140
Spencer-Brown 1969, S. 4. 141 Vgl. Spencer-Brown 1971, S. 37.Seite
155
Spencer-Brown fhrt in Only Two Can Play This Game abschlieend
einige Bcher auf, die den in ihren Welten Verlorenen (er spielt das
Spiel hier so, als ginge es um Liebeskummer) zu empfehlen seien;
darunter auch 17. G Spencer Brown, Laws of Form, nennt es a
rigorous essay in mathematics und also (das kennzeichnet Essays
schlechthin) um eine Digression, [a] trace, starting with nothing
and making one mark. 142 Wer sich auf die Ungewissheit dieses
Anfangs einzulassen vermag, fr den findet sich der Rest, denn we
draw the boundaries, we shuffle the cards, we make the
distinctions. 143 Es ist dieses so nchterne wie begeisterte Wir,
dass Heinz von Foerster in seinem metaphysical postulate aufnimmt:
Only those questions that are in principle undecidable, we can
decide. 144 Das sind, und alle Theoretiker der Diagrammatik, die
wir hier diskutiert haben, htten zustimmen knnen, Fragen der
Form.
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Individualismus der modernen Zeit und andere soziologische
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Simmel, Georg (1904): Das Mrchen von der Farbe, in: sthetik und
Soziologie um die Jahrhundertwende: Georg Simmel. Hg. von Hannes
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and Other Writings, nach dem Nachdruck der rev. Ausgabe (1918/1947)
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Abhandlung]. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Seite 159
Seite 160
T e x T n a C h w e I s PDF-KaPiTel aus Dem Buch:
Management als Design? Design als Management?Intra-, inter- und
trans-disziplinre Perspektiven auf die Gestaltung von konomischer,
sthetischer und moralischer Lebenswelt.
Herausgeber:
Klaus Bernsau, Thomas Friedrich & Klaus Schwarzfischer
1. auflage 2012 InCodes Verlag (regensburg) reihe Theorie &
Forschung IsbN 978-3-941522-03-9
InhaltsverzeichnisThomas Friedrich & Klaus Schwarzfischer .
. . . . . . . . . . . . 7
Zu Fragestellungen eines weitgefassten Designbegriffes
Was ist eigentlich semiotik? und was hat semiotik mit Wirtschaft
und unternehmen zu tun? Ist-soll Differenzen von Werbebotschaften
Design und Moral
Klaus Bernsau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . .13
Charlotte Hager . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . 19
Rainer Funke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . 37
Dimitrios Charitatos. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . 65
Design als Kategorie und Mehrwert
Hermann Rotermund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . 73
Industrial Design Designtheoretische Diskurse im 19. Jahrhundert
Von der Integrativen sthetik zu einer semioethik Die Diagrammatik
der Form ec(g)o-Design
Klaus Schwarzfischer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . 103
Maren Lehmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . 127
Birgit Leitner. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . 161
Der exot der Immanenzebene. eine Kritik der
akteur-Netzwerk-Theorie als Ideologie.
Wolfram Bergande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . 195