Der Einfluss kognitiver Täuschungen auf richterliche Urteilsfindung: Behavioral Law and Economics oder empirischer Rechtsrealismus? Mark Schweizer.

Post on 06-Apr-2015

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Der Einfluss kognitiver Täuschungen auf richterliche Urteilsfindung:

Behavioral Law and Economics oder

empirischer Rechtsrealismus?

Mark Schweizer

Übersicht

1. Teil: Ideengeschichte American Legal Realism Law and Economics Behavioral Law and Economics Empirical Legal Realism?

2. Teil: Anwendung Framing Kompromisseffekt Ankereffekt

American Legal Realism: Vater

Oliver Wendel Holmes (1897):

„The prophecies of what the courts will do in fact, and nothing more pretentious, are what I mean by the law.“

American Legal Realism: Kern

Recht ist unbestimmt Normativ: Rechtsregeln allein

können Urteile nicht rechtfertigen

Deskriptiv: Rechtsregeln allein können Urteile nicht voraussagen

American Legal Realism: Kern

Recht ist unbestimmt Normativ: Zweckmässigkeits-

überlegungen müssen Resultat rechtfertigen

Deskriptiv: Soziologie und Psychologie helfen, Resultat vorauszusagen

American Legal Realism: Blüte

Soziologischer Flügel

Karl N. Llewellyn (1931)

Herman Oliphant (1928)

Jerome Frank (1931)

„Idiosynkratischer“ Flügel

American Legal Realism: Abstieg

Gilt nach dem 2. Weltkrieg als „tot“ erschöpfte sich in Kritik fehlende methodisch fundierte

empirische Forschung HLA Hart, The Concept of Law,

1961

American Legal Realism: Erbe

Instrumentales Rechtsverständnis kein Verstecken mehr hinter

„dogmatischen Klimmzügen“ eröffnet Möglichkeit ausserrechtlicher

Rechtfertigung rechtlicher Urteile

Law and Economics: Anfänge

Ronald Coase, The Problem of Social Cost, 1961

Guido Calabresi, Some Thoughts on Risk Distribution and the Law of Torts, 1961

Richard Posner, Economic Analysis of Law, 1973

Law and Economics: Grundlagen

Deskriptiv: „common law“ lässt sich als

Sammlung effizienter Allokationsregeln verstehen

Normativ: „Effizienz“ als Rechtsziel

Law and Economics: Grundlagen

Deskriptiv: Mensch als „homo oeconomicus“,

rational und nutzenmaximierend Rechtsregeln als „Preise“

Normativ: eine Rechtsregel ist gut, wenn sie zu

einer potentiellen Pareto-Verbesserung führt

Law and Economics: Vorteile

Kohärenz, Eleganz Falsifizierbarkeit Effizienz statt „Gerechtigkeit“ Distribution wird nicht

hinterfragt

Law and Economics: Erfolg

Artikel Anteil ÖAR

1960-61 51 6 %

1965-66 70 7 %

1970-71 53 28 %

1975-76 56 14 %

1980-81 54 33 %

1985-86 59 24 %

aus Ellickson, 1989

Law and Economics: Erfolg?

kein instrumentales Rechtsverständnis

Ökonomische Analyse auf der Ebene Gesetzgebung, nicht Rechtsanwendung

Kritik an „Effizienz als Rechtsprinzip“

Law and Economics: Kritik

Deskriptiv: Menschen sind nicht (immer) rational

und nutzenmaximierend Normativ:

war da nicht mal was mit „Gerechtigkeit“?

Behavioral Law and Economics

Menschen verletzen die Axiome der Erwartungsnutzentheorie Präferenzen sind kontextabhängig Wahrscheinlichkeiten werden

gewichtet, falsch berechnet

Behavioral Law and Economics

Amos Tversky

Daniel Kahneman

Richard Thaler

Robert Ellickson

Cass Sunstein

Behavioral Law and Economics: Erfolg

Behavioral Law and Economics

Behavioral Law and Economics

Behavioral Law and Economics: Kritik

„rhetorisches Duett“ (Kelman) erschöpft sich in Kritik an Ökonomik formalistisch confirmation bias, hindsight bias,

Erkenntnisse der Sozialpsychologie – ist das noch „Behavioral Law and Economics“?

Zukunft: Empirical Legal Realism

Towards a New Legal Realism (Farber, 2001)

Empirical Legal Realism (Symposium, Northwestern University, 2003)

Zukunft: Empirical Legal Realism

Empirische sozialwissen- schaftliche Forschung zum Verständnis wie Rechtsfindung stattfindet wie Menschen auf Rechtsregeln

reagieren

Drei Beispiele

Framing Kompromisseffekt Ankereffekt (anchoring)

Spiel um Gewinne

Würden Sie lieber € 20 sicher erhalten oder einen Würfel werfen, wobei Sie

€ 120 erhalten, wenn Sie eine 6 würfeln, bei allen anderen Zahlen aber nichts?

Spiel um Verluste

Würden Sie lieber € 20 bezahlen oder einen Würfel werfen, wobei Sie

€ 120 bezahlen müssen, wenn Sie eine 6 würfeln, bei allen anderen Zahlen aber nichts bezahlen?

Erwarteter Wert

1. € 20 = 1/6 x € 120

2. – € 20 = 1/6 x – € 120

Risikoscheu bei möglichen Gewinnen

Risikogeneigt bei möglichen Verlusten

Kläger wählt zwischen möglichen Gewinnen

Beklagter wählt zwischen möglichen Verlusten

Folge: Beklagte gehen zu hohe Risiken ein und schlagen selbst günstige Vergleichsangebote aus

50% 50%

Kläger Beklagte

70%

30%

KlägerBeklagte

Sicht Kläger

Klage auf € 100‘000, 50% Chance zu gewinnenErwarteter Wert:100‘000 x 0,5 = 50‘000

Sicht Kläger

Klage auf € 100‘000, 50% Chance zu gewinnenUngedeckte Anwaltskosten: € 10‘000Erwarteter Wert:100‘000 x 0,5 – 10‘000= 40‘000

Erwarteter Wert

Erwarteter Wert (Kläger):

100‘000 x 0,5 – 10‘000= 40‘000

Erwarteter Wert (Beklagter):-100‘000 x 0,5 – 10‘000= -60‘000

VergleichsangebotBeklagter zahlt € 50‘000 an Kläger

Kläger: € 50‘000 sicherer Gewinn oder 50% Chance, € 90‘000 zu gewinnen 50% Chance, € 10‘000 zu verlieren

Beklagter: € 50‘000 sicherer Verlust oder 50% Risiko € 110‘000 zu verlieren 50% Risiko € 10‘000 zu verlieren

Vergleichsempfehlung durch Richter

Sicht Kläger

Sicht Beklagter

CH 57% 43%

USA 40% 25%___

Kompromisseffekt

€ 169.-

€ 239.-

€ 469.-

50%

50%

22%

57%

21%

50%

29%

21%

Obere Gruppe

Qual. Mord 13%

Mord 57%

Vors. Tötung 30%

Fahrl. Tötung -

Untere Gruppe-

38%

55%

7%

Ohne

Gefängnis 65%

Ordentl. Verwahrung

35%

Mit

45%

53%

2%Lebensl. Verwahrung

________________________________________________________________________

Ankereffekt (anchoring)

65 10

65 10

45% 25%

(35%)

Strafantrag: 12 MonateStrafmass: 28 Monate

34 Monate36 Monate

Eigene Studie

1. Keine Anträge2. Kläger fordert € 3‘000‘000,

kein Antrag Beklagter3. Kläger fordert € 3‘000‘000,

Beklagter bietet € 10‘000

Wer den ersten Anker setzt, ist im Vorteil

Bescheidenheit ist eine Zier

doch weiter kommt man ohne ihr

Setzen Sie sich hohe Ziele

Sie werden enttäuscht sein

Aber trotzdem mehr erreicht haben

www.decisions.ch/dissertation.html

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