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Konzeption

Wohngruppen sir JF

Ein Angebot im Rahmen einer Vollzeitbetreuung

für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gem. SGB VIII §§ 34, 41 und 42

_______________________________________________________________ dialogisch, beziehungsorientiert

In einem Dialog begegnen sich Menschen

Beziehungen entstehen indem Menschen miteinander sprechen

und trotzdem ist der Dialog etwas,

was wie eine Sprache erlernt werden muss.

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Konzeption sir JF - Januar 2016

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Vorwort

Unsere Wohngruppe sir JF (junge Flüchtlinge) ist ein spezifisches Angebot für

unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (umF)

Wir haben uns jedoch für den Terminus sir JF (junge Flüchtlinge) in Anlehnung an den

juristisch gebräuchlichen Begriff junge Menschen entschieden.

Hierüber wollen wir sichtbar machen, dass sich das Angebot auch an junge Flüchtlinge

richtet, die während der Jugendhilfemaßnahme volljährig werden.

Durch ihre individuelle Sozialisationsgeschichte, insbesondere im Rahmen der verstörenden

Erfahrungen, wie das Verlassen der Heimat und ihrer Familie, der Fluchtnotwendigkeit, des

Fluchtweges, der Gewalterfahrungen, sind diese jungen Menschen massiv belastet.

Die Vielzahl von ihnen ist sogar schwer traumatisiert.

Trotz der außergewöhnlich herausfordernden Arbeit ist das folgende Konzept auf der Basis

der pädagogischen Regelgruppenarbeit konzipiert und bietet über die spezialisierte

Ausrichtung der Einrichtung sir auch weiterhin die kontinuierliche psychosoziale Betreuung

und Förderung. Wir sind seit über dreißig Jahren in der täglichen Praxis erprobt und unsere

modifizierten Angebote haben sich erfolgreich bewährt.

Die aktuelle Konzeption und die Leistungsbeschreibung der seit 30 Jahren im Bereich des

SGB VIII und des SGB XII praxiserprobten Einrichtung sir sind das umfängliche theoretische

Instrumentarium, das auch die Grundlage für die Betreuungsarbeit mit jungen Flüchtlingen

bildet.

Ergänzend haben wir für die jungen Flüchtlinge eine dezidierte Herangehensweise in der

Betreuung entwickelt, die sich auf entsprechendem Erfahrungshintergrund abgebildet hat.

Sie wird erst in der praktischen Anwendung ausgefeilt werden können.

Wir streben eine multikulturelle Mitarbeiterstruktur an, um den jungen Flüchtlingen den

Alltag zu erleichtern und ihnen über eine kulturelle und bunte Vielfalt, ein Minimum an

Vertrautheit anbieten zu können. Unser Bemühen gilt von Anbeginn, die sprachlichen

Barrieren mit dolmetschenden Vertrauenspersonen zu überbrücken und einen Zugang zu

dem Einzelnen möglichst kurzfristig zu entwickeln.

Die Wohngruppe sir JF versteht sich als eine lernende Gemeinschaft und wir nehmen das Wissen, die

Fähigkeiten, die Kompetenzen und das Kennenlernen anderer Kulturen als Bereicherung auf.

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Die Wohngruppen sir JF

Die Wohngruppen sir JF sind stationäre Hilfeangebote für männliche unbegleitete

minderjährige Flüchtlinge ab 12 Jahren. Weibliche minderjährige Flüchtlinge können nur in

einer eigenständigen (noch zu gründenden) Wohngruppe auf einer homogenen

eigenständigen Basis untergebracht werden. In Ausnahmefällen kann eine Aufnahme auch

unter 12 Jahren erfolgen, wenn der Reifestand es anrät.

Unsere Angebote sollen Raum für mittelfristige psychosoziale Entwicklungsmöglichkeiten

und Integrationshilfen bieten, die anschließend in eine angemessene Verselbständigungs-

form übergeleitet werden.

Unsere Angebote sind seit über dreißig Jahren alltagserprobt und in logischer (notwendiger)

Konsequenz so konzipiert, dass den Hilfesuchenden aufgrund der Schwere der psychischen

Störungsbilder, auch längerfristige Hilfen geboten werden können.

Hier gilt es, insbesondere junge traumatisierte Menschen individuell zu behandeln, zu

entlasten, therapeutisch zu begleiten und zielorientiert zu fördern.

Zielgruppe

Im sir JF werden unbegleitete minderjährige männliche Flüchtlinge in der Regel ab dem 12.

Lebensjahr aufgenommen. Wir sehen die Minderjährigkeit, wenn sie über die behördliche

Inaugenscheinnahme festgestellt ist, für uns als gegeben an. Unsere Angebote richten sich an

Mädchen und Jungen in getrennten Wohngruppen und an die jungen Menschen, die sich

bereits in einem ambulanten, oder stationären Jugendhilfeprozess (Clearingverfahren)

befinden. Vorrangig werden Flüchtlinge aufgenommen, die aufgrund ihres jungen Alters und Erlebens

einen Bedarf über eine intensive 24-stündige Betreuung mitbringen. Unser Ziel ist es, den

Jugendlichen einen Schutzraum und Betreuungsrahmen anzubieten, der ihnen ein positiv

gestaltetes Ankommen und Einleben in ihrer neuen Heimat gewährleistet.

Im Rahmen des zuvor in der Regel abgeschlossenen Clearingverfahrens, hat sich

herausgestellt, dass aufgrund ihres Alters und ihrer psychosozialen Entwicklung unser

angebotenes Betreuungssetting den jungen Flüchtlingen hilfreich sein wird.

Im Vergleich zu Gleichaltrigen nehmen wir bei jugendlichen Flüchtlingen häufig ein hoher

Grad an Selbstständigkeit an, da die jungen Menschen eine beeindruckende Eigeninitiative

bezüglich ihres Fluchtweges gezeigt haben.

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Diese erste Wahrnehmung täuscht jedoch darüber hinweg, dass eine erfolgreich erbrachte

Leistung in dieser Bedeutungsschwere, nicht gleichfalls dem Entwicklungsstand des jungen

Menschen entsprechen muss. Das Überleben, das nur über eine Entwurzelung erreicht

werden konnte und die große Hoffnung auf einen sicheren Lebensort, haben nur einen

scheinbaren Reifestand entwickelt. Dieses gilt es unbedingt zu berücksichtigen, um einer

Überforderung durch Überschätzung der jungen Flüchtlinge entgegen zu wirken.

Insofern liegt ein Hauptaugenmerk von uns auf den jungen Menschen, die schon bisher mit

den gezeigten Anpassungsleistungen überfordert waren. Möglicherweise wird die

vermeintliche Selbstständigkeit schon einem Schulbesuch nicht standhalten können. Dieses

Unvermögen wiederum kann zu einer sequentiellen Traumatisierung führen. Das Gros der

jungen Menschen zeigt Auffälligkeiten in der physischen- und/oder der psychischen

Gesundheit, Störungsbilder in den unterschiedlichsten Ausprägungen.

Der oft unsichere Aufenthaltsstatus trägt außerdem dazu bei, hier adäquat mit einer externen

psychotherapeutischen Behandlung beginnen zu können.

Aufnahmeverfahren

Die Unterbringung in der Wohngruppe sir JF wird in der Regel über das zuständige

Jugendamt vorgenommen. Die Teilnahme an dem Aufnahmegespräch sollte durch den

Vormund und den Mitarbeiter/in des Jugendamtes begleitet werden. Hierzu sollten die

bereits vorhandenen Daten, Erkenntnisse und Ergebnisse aus dem vorangegangenen

Clearingprozess möglichst schon vorliegen.

Das übliche Prozedere um die Entwicklung und Abstimmung eines Hilfeplanes kann hierauf

aufbauen. Idealerweise ist auch ein Pädagoge aus der übergebenden Einrichtung bei der

Fallbesprechung/Aufnahme anwesend.

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Zielsetzungen

Allgemein

Grundsätzlich sehen wir neben allen jugendhilfepädagogischen und psychotherapeutischen

Maßnahmen bei jungen Flüchtlingen zunächst die Gewährung, die Sicherstellung und die

Erhaltung eines individuellen Schutzraumes. Verfolgung und Übergriffe aufgrund einer

bestimmten Ethnien- und Religionszugehörigkeit müssen ausgeschlossen sein. Die Fürsorge

um die seelische Gesundheit und die regelmäßige und ausgewogene Versorgung des

leiblichen Wohles in einer anheimelnden Geborgenheit, sind uns Grundverpflichtung.

Ein zentraler Bestandteil unserer psychosozialen Betreuungsarbeit, ist die Integration des

jungen Menschen in die deutsche Gesellschaft. Integrationsargumentationen aus Sicht

ausländerrechtlicher Regelungen können für einen weiteren Verbleib des Flüchtlings

markant sein, werden hier jedoch nicht ausgeführt.

Die Auseinandersetzung mit dem Erlebten und dem Durchlittenen, die Aufbereitung der

belastenden Erfahrungen und die fachgerechte Bearbeitung von Traumata, wie

Fluchttrauma, Gewalterfahrung gegen sich und gegen Andere, bestimmen unseren

therapeutischen Alltag.

Der Verlust der Eltern, der gesamten Herkunftsfamilie, der Abbruch des schulischen

und/oder beruflichen Alltages, sind dramatische Meilensteine besonders in einem jungen

Leben. Die Unkenntnis der fremden Kultur und Lebensweise und mangelnde

Sprachkenntnisse potenzieren das seelische Elend – hier gilt es, sich intensiv einzusetzen und

abzumildern, indem schnellstens Grundvoraussetzungen für die Entwicklung eines

Gemeinsinnes geschaffen werden.

Die große Bandbreite des lebensnotwendigen Entwicklungspotentials macht deutlich, wie

weitreichend schon ein Grundstock zum Erwerb „neuer“ Handlungskompetenzen

aufgestellt sein muss.

Kennenlernen–verstehen, entwickeln–erarbeiten, trainieren-festigen

und dennoch kann das Herz in einer kulturellen und emotionalen Erinnerung verankert bleiben!

Gerade in dieser Bedeutungsschwere müssen wir dem häufigen Fehlen einer realistischen

Lebensplanung die richtige Einordnung zukommen lassen, damit sie folgerichtig dem noch

nicht abgeschlossenen und altersüblichen Reifeprozess zugebilligt wird.

Über einen Trauer- und Verarbeitungsprozess bemühen wir uns, mit den jungen

Flüchtlingen die Entwurzelung aus dem Herkunftsland aufzuarbeiten, um gemeinsam den

Beginn eines neuen Verwurzelungsprozesses einleiten zu können.

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Individuell

Die individuelle Zielsetzung wird bereits im Aufnahme- und Hilfeplangespräch festgelegt

und in den halbjährlich stattfindenden Hilfeplangesprächen angepasst, korrigiert, verfeinert

und aus dem bisher Festgestellten, bedarfsorientiert weitergeschrieben.

Auch wenn allgemein hier über junge Flüchtlinge gesprochen wird, ist doch jeder Hilfefall

für uns einmalig. Es bedarf selbstverständlich bei jedem Menschen immer der besonderen

Berücksichtigung der individuellen Sozialisation, auch des Blickes auf die bisherigen

Resilienzfaktoren und ebenso der Einbeziehung und Würdigung der spezifischen

kulturellen, religiösen und ethnischen Ressourcen.

Weitere Bearbeitungsfelder ergeben sich aus:

Den Ergebnissen der Klärung der familiären Verhältnisse im Herkunftsland, einer

umfassenden Anamnese, der Aufarbeitung der Fluchtgründe, der Förderung der

Talente/Begabungen/handwerklichem Geschick und der Förderung von weiteren

individuellen Ressourcen.

Weitere Schwerpunkte liegen in der Unterstützung bei der Identitätsfindung, gerade im

neuen gesellschaftlichen und kulturellen Kontext. Die Begleitung des Reifungsprozesses

vom Kind/Jugendlichem zum Erwachsenen fordert in der Auseinandersetzung mit dem

kulturellen Rollenbild in unserem Land eine sensible Herangehensweise, Aufklärung und

ein dezidiertes, hartnäckiges Aufbereiten im aktuellen Kulturkontext.

Gerade für dieses Klientel präferieren wir eine personenfokussierte Betreuernähe. Wir halten

an dem bei uns üblichen kleinen Gruppengefüge fest, weil es bewährt Ergebnisse aus

beobachtbarem Verhalten maximiert – zeitnahe Abklärung und sofortige Richtigstellung ist

unser Alltag und auch psychosoziale Störungen werden unmittelbarer wahrgenommen.

Interkulturelle Arbeit

Die Arbeit mit jungen Flüchtlingen setzt ein interkulturelles und kultursensibles Verständnis

voraus. Es ist die Basis, um den jungen Menschen „verstehen zu lernen“ und sich in seine

Bedürfnislage einfühlen zu können. Interkulturelle Arbeit setzt voraus, dass pädagogische Mitarbeiter/innen in diesem Bereich

geschult und bereit sind, ihre persönliche Sichtweise zeitweise zu verlassen, um neue

Zugänge zum sozialtherapeutischen Handeln zu erlangen.

Unser Bestreben ist es, mit einem Anteil an Pädagogen und Fachkräften zu arbeiten, die

einen Migrationshintergrund mit einbringen. Wir halten es für unerlässlich, über einen

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multikulturellen Mitarbeiterpool, Aspekte der kulturellen Integration durch Lernen am

Modell im Alltagsleben zu verdeutlichen und den jungen Flüchtlingen Normalität im

Integrationsbild zu vermitteln.

Alltagsgestaltung und lebensweltorientierte Arbeit

Die Alltagsgestaltung hat neben klassischen Aspekten der Verselbständigung über

Haushaltsführung, Umgang mit Geld und der Eigenversorgung, auch eine integrative

Funktion. Die Jugendlichen lernen von- und miteinander - insbesondere lernen sie westliche

Gesellschaftsstrukturen kennen, können diese erproben und sich ohne Druck hineinfinden.

Die Betreuer definieren den Alltag in der hiesigen Kultur und die Förderung der deutschen

Sprache wird spielerischer erlernt. In einem gezielten, individuell angepassten

Förderrahmen wird unsere Sprache schulisch ergänzend gelehrt. Eine stringente

Sprachbildung ist natürlich die Grundvoraussetzung für eine erfolgversprechende

Integration. Erst diese Kenntnis ermöglicht den Jugendlichen, sich adäquat zu artikulieren

und Gefühle auszudrücken. Vorstellungen, Bedürfnisse, Wünsche können endlich geäußert,

werden, Rechte eingefordert und Kontakte können angemessen gepflegt werden.

Darüber hinaus ist das Beherrschen der Landessprache natürlich auch erst der Zugang zu

unserem Bildungssystem und verspricht bei guten Kenntnissen eine selbstversorgende

berufliche Perspektive.

Der Lebensalltag in der Wohngruppe bietet den jungen Menschen ein sicheres Umfeld,

verlässliche Bezugspersonen und ein Höchstmaß an konstanter Struktur. Es sind

Grundvoraussetzungen, um eine bestmögliche psychosoziale Entwicklung im Hilfeprozess

gewährleisten zu können.

Wir präferieren für unseren jungen Flüchtling den fallführenden betreuenden Mitarbeiter.

Dieser stellt dabei für den Einzelnen den Hauptansprechpartner dar.

Er vermittelt durch die Koordination der Maßnahmen, Abläufe, Verpflichtungen, nicht nur

sichere Rahmenbedingungen, sondern kann als Identifikationsmodell und verlässlicher

Wegbegleiter dienen.

In Ergänzung zu dem betreuten Alltag in der Wohngruppe, bieten wir auch eine

psychosoziale Stabilisierung über eine strukturierte und gemeinschaftsorientierte

Freizeitgestaltung im internen Rahmen. Zusätzlich fördern und festigen wir dieses Erleben

über die externe Einbindung in Gemeinschaften und Vereine.

Zwingend gehören die Koordination und die Begleitung der jungen Flüchtlinge bei

notwendigen Behördengängen zum pädagogischen Aufgabenfeld.

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Die grundsätzliche Entscheidung aber über behördliche Notwendigkeiten und Wege, liegt

altersentsprechend bei dem jeweiligen Vormund.

Die prägende Vorgeschichte eines jungen Flüchtlings kann im behördlichen Kontext

aufgrund der schlechten Erfahrungen sehr angstbesetzt sein.

Wir halten Offenheit, Ehrlichkeit und Transparenz gerade bezüglich der Zuständigkeiten

und Aufgabenverteilung in Entscheidungsprozessen der Behörden für unsere Pflicht.

Hiermit möchten wir auch der Gefahr einer erneuten Traumatisierung, oder einer Re-

Traumatisierung (Flashbacks) bei den jungen Menschen vorbeugen.

Schulische Maßnahmen/berufliche Perspektiventwicklung

Hinsichtlich einer schulischen/beruflichen Perspektivenentwicklung sind die ersten Abläufe

durch die bundesdeutschen ausländerrechtlichen bzw. schulrechtlichen Richtlinien

festgelegt. Sofern dieser Prozess nicht bereits vor der Aufnahme ins sir JF begonnen wurde,

regt unser fallführender Mitarbeiter eine Vorstellung im Integrationsamt an, damit der

Jugendliche einer adäquaten Schulmaßnahme zugeordnet werden kann.

Alltägliche Prozesse wie Terminierung/Anmeldung, Begleitung, regelmäßige Kontakte zu

Lehrern, Besuche von Elternsprechtagen, Unterstützung in allen schulischen Belangen, ist

ein weiterer Teil der fallführenden sozialen Arbeit.

Schulische Maßnahmen und erlebbare Erfolge, sind konstante Faktoren und eröffnen, neben

der Bildung, einen weiteren sicheren Raum, um seelisch zu gesunden und Stabilität zu

erfahren.

Darüber hinaus ist es notwendig, frühzeitig mit dem Jugendlichen eine berufliche Neigung

oder Eignung herauszufiltern, um Perspektiven entwickeln zu können. In Einzelfällen, in

denen der Jugendliche im Verlauf der Maßnahme bereits einen Schulabschluss erreicht hat,

liegt der Fokus auf der Suche nach einer Ausbildungsstelle. Es werden die notwendigen

formellen Voraussetzungen dafür in die Wege geleitet, wie die Beschaffung der

Arbeitserlaubnis. Auch diese Schritte finden in enger Absprache und im Auftrag des

zuständigen Vormunds statt.

Ausländerrechtliche Belange können den Berufswunsch des jungen Menschen beeinflussen,

von daher ist eine solide ausländerrechtliche Beratung unabdingbar.

Oftmals muss parallel zum Verlauf der Maßnahme durch die Verfahrensberatung die

Fluchtgeschichte mit dem Jugendlichen rekonstruiert werden. Hier ist ein hohes Maß an

Aufmerksamkeit durch den Mitarbeiter für den Betroffenen notwendig, weil als Folge

belastende Auswirkungen auf das tägliche Leben auftreten können. Den Schwankungen im

psychischen Befinden und den daraus resultierenden Einschränkungen in lebenspraktischen

Fähigkeiten ist vorausschauend zu begegnen. Hier muss man empathisch wahrnehmen und

angemessen (mit Augenmaß) reagieren.

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Unsere Aufgabe besteht auch darin, Kontakte zu Familienmitgliedern im Heimatland, in

anderen Städten, oder in anderen Staaten sensibel zu installieren, aufrecht zu erhalten, zu

fördern, oder Beziehungsmenschen zu finden, mit denen eine Zusammenführung geplant

und umgesetzt werden kann.

Im Verlauf des betreuten Wohnens zeigt sich der Grad der erfahrenen Traumatisierung.

Diesbezüglich herausgearbeitetes konkretes Wissen könnte möglicherweise eine längere

Auszeit und Schutz vor Belastungspotential für den Jugendlichen bedeuten.

Die Wahrnehmungsphase von entlastenden therapeutischen Angeboten muss dann für den

Betroffenen Vorrang haben. Hierzu zählen auch Hilfsangebote von niedergelassenen

Psychotherapeuten und Kriseninterventionen im Rahmen klinischer Notfallversorgung.

Soziale Gruppenarbeit und Elemente der Einzelhilfe

Durch das Zusammenwirken von gruppen- und einzelpädagogischen Maßnahmen wird ein

individueller Reifeprozess gefördert. Im Hauptfokus der Arbeit liegt für uns die individuelle

Förderung.

Die Gemeinschaft der Gruppe trägt zu einem sicheren Rahmen für unsere Jugendlichen bei

und sie wirkt nicht nur als Korrektiv, sondern sie hält dem Einzelnen im besten Sinne den

Spiegel vor. Unsere überschaubare Größenordnung der Bewohnergruppe fördert die

kontinuierliche planvolle Erziehung und Hilfestellung. Diese unmittelbare Wahrnehmung

der Mitarbeiter im Alltag schafft die eigentliche Basis für sichere Entwicklungsschritte.

In allen Belangen können sich Kompetenzen entwickeln, weil der einzelne Jugendliche sofort

„erfasst“ und unmittelbar angesprochen werden kann. Reflektierende Einzelgespräche

wirken als Ankerpunkt im Reifeprozess und empathische Verhaltenskorrekturen stärken das

Selbstbewusstsein.

Die Gruppenpädagogik wirkt insbesondere über die alltäglichen Prozesse, wie gemeinsame

Mahlzeiten, das Einkaufen und Zubereiten des Essens, den Austausch besonderer kultureller

Fertig- und Fähigkeiten, die Nutzung und Reinigung der Gemeinschaftsräume und vieles

mehr.

Gerade hier wird auch Verantwortung für die Mitbewohner übernommen und das Medium

Gruppe/Hausbewohner kann gezielt und vielschichtig als pädagogisches Mittel von den

Mitarbeitern eingesetzt werden.

Soziale Kompetenz wird vorgelebt, erprobt und trainiert.

Gerade zu Beginn der Aufnahme in unsere Wohngruppe wirken gruppenpädagogische

Elemente fast in der Ausschließlichkeit. Sie steuern den Prozess der gemeinsamen

Entwicklung vorrangig, weil allein die Sprachbarriere noch tiefergehende Hilfsangebote

ausbremst.

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Mitarbeiterprofil

Unsere jungen Bewohner werden durch pädagogische Fachkräfte betreut. Wir bemühen uns,

Mitarbeiter/innen mit eigenen Migrationserfahrungen im Team zu haben, die auch

sprachlich versiert jeweils einem Anteil der Bewohner gerecht werden.

Wir bieten eine geschlechtsgemischte und multikulturelle Teamzusammensetzung, damit die

Jugendlichen möglichst ein breites Spektrum an Identifikationsmöglichkeit erhalten können.

Wir legen Wert darauf, dass Frauen wie Männer Kompetenzen im Arbeitsalltag vertreten

und vermitteln, Hierarchien erlebbar werden und die sozial akzeptierte Geschlechter-

Rollenerfahrung (Gender) in ihrem Selbstverständnis vermittelt wird.

Ein grundsätzliches Dilemma in der zufriedenstellenden Umsetzung unseres

Arbeitsauftrages liegt in der Diskrepanz der bürokratischen Bewertung der Altersstufen.

Zwischen der Angemessenheit in der Förderung im Rahmen der Jugendhilfe und dem

magischen Cut bei Erreichen der Volljährigkeit, fällt der notwendige therapeutische Bedarf,

der noch lange nicht die Altersgrenze erreicht hat, ins Bodenlose – das Gros der Hilfen wird

eingestellt.

Das Wissen um kurzfristige Beendigung eines positiven Entwicklungsprozesses durch einen

altersabhängigen Verwaltungsakt, erzeugt ein ungesundes Spannungsfeld, auch unter den

Mitarbeitern.

Aus diesem Grund führen wir die über dreißig Jahre lang erfolgreich umgesetzte Praxis auch

und insbesondere für die jungen Flüchtlinge fort und bieten die Mischeinrichtung nach dem

SGB VIII und dem SGB XII.

Wir fokussieren allein den Hilfebedarf, auch im Rahmen der psychischen Störungsbilder

und die Mitarbeitsfähigkeit der Hilfesuchenden, aber dieses unabhängig von dem Alter.

Regelmäßige Teambesprechungen und Supervision sind selbstverständlich und wichtiger

Bestandteil der psychosozialen Arbeit. Die jeweilige Gruppenkonstellation erfordert die

flexible Anpassung durch spezialisierte Fachkräfte, wie zum Beispiel Dolmetscher,

Kulturmittler, Sprachlehrer und viele mehr ergänzt und aufgestockt werden.

Partizipation und Beschwerdemanagement

Unsere Bewohner in Mitbestimmung, Mitgestaltung und die Möglichkeit Einfluss auf

Entscheidungen ihrer persönlichen Entwicklung nehmen zu lassen, ist ein Grundverständnis

in unsere Arbeit.

Um Demokratie zu üben bieten wir vielfältige Möglichkeiten an.

In der monatlich stattfindenden Gruppenkonferenz können demokratische Instrumente und

Verfahren erprobt werden. An dieser Gruppenkonferenz nehmen alle Jugendlichen und das

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Mitarbeiterteam teil. Im gemeinsamen Aushandlungsprozess können Vereinbarungen

getroffen und Zieldefinitionen festgelegt werden.

Grundsätzlich können alle Anregungen und Beschwerden an das Jugendlichenparlament

weitergeleitet werden. In diesem monatlich stattfindenden Parlament sind alle Gruppen mit

ihren Vertretern und Bezugsmitarbeiter/innen anwesend. Es werden u.a. Vorschläge

erarbeitet und Ideen niedergeschrieben, die an die Hausleitung weitergegeben werden. Das

Jugendlichenparlament erhält im Rahmen der Treffen Rückmeldungen zu Konflikten aus

dem Gruppenkontext. Individuelle Beschwerden, die hier nicht ausreichend gelöst werden,

können unmittelbar an die Hausleitung weitergeleitet werden.

Die bestehenden Verfahren der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an strukturellen

Entscheidungen im sir JF, sowie zu Beschwerdeverfahren in persönlichen Angelegenheiten

(siehe § 8 b SGB VIII) werden kontinuierlich erprobt und weiterentwickelt.

Kooperation mit anderen Einrichtungen

Bestimmte Inhalte der Betreuungsmaßnahmen orientieren sich an den ausländerrechtlichen

Vorgaben. Ein gleichberechtigter Austausch zwischen Jugendhilfe und Ausländeramt ist

daher notwendig, um kindeswohlorientiert im Sinne der Jugendlichen planen und agieren

zu können.

Durch den engen Rahmen juristischer Vorgaben/Notwendigkeiten ergibt sich über den

Arbeitskontext zum Jugendamt hinaus, eine zwingende Kooperation von Jugendamt,

Ausländeramt, Jugendhilfeanbieter und weiteren Einrichtungen und externen Stellen. Die

Koordination dieses Kooperationsprozesses liegt in der Verantwortung des jeweiligen

Bezugsbetreuers. Im Rahmen der Hilfeplanung findet hier eine Abstimmung auch in

Verbindung mit der engen Absprache mit dem Vormund statt.

Wichtige Kooperationspartner im Hilfeprozess können auch die Verfahrensberatung durch

Flüchtlingsberatungsstellen und freie Helfer-Initiativen sein.

Die allgemeine Aufklärung über das ausländerrechtliche Verfahren, die Aufnahme der

Fluchtgeschichte durch die Verfahrensberatungsstelle und ihrer letztendlich auf allen Fakten

beruhende, ausgesprochene Empfehlung, sollten Jugendhilfe und Vormund in der Regel

folgen.

Weitere Kooperationspartner sind:

- Allgemeinärzte, Fachärzte, Psychologen, Psychotherapeuten, auch im

Gutachterverfahren für die medizinische Betreuung

- Die Integrationsämter, zuständige Schulen, Nachhilfeorganisationen, Kursanbieter,

mögliche Ausbildungsbetriebe, Berufsschulen im Bereich der schulischen/beruflichen

Perspektiventwicklung/Förderung/Umschulung/Weiterbildung

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- Vereine, Verbunde, Jugendtreffs, Kulturzentren, Gemeindeangebote im Bereich der

Integration

- Behörden, ggf. Botschaften im Bereich der Ämterangelegenheiten

- Einrichtungen, Wohngruppen, Wohnheime, Übergangswohnheime, so dass

anstehende Umzüge/Verlegungen aus den unterschiedlichsten Gründen, adäquat

vorbereitet und begleitet werden können.

Kosten

Die Kosten für die Maßnahme belaufen sich zurzeit (Stand Oktober 2015) auf 119,71 €

täglich, zuzüglich altersentsprechendem Taschengeld und Bekleidungsgeld.

Kontaktdaten und Ansprechpartner

sir JF Cornelia Werchan

Haus Bismarck Andreas Eggert

Bismarckstr. 17 Tel.: 04523 / 988422

23714 Malente Fax: 04523 / 988424

Internetpräsenz: www.sir-malente.de / e-mail: [email protected]

Trägerin: Frau Cornelia Werchan

Verwaltung: Herr Andreas Eggert (Tel. + Fax: 0172 / 3149843)


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