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Kapitel 2 Vektorrechnung 2.1 Vektoren geometrisch Sowohl in der Mathematik als auch in der Physik, den Ingenieurwissenschaften und vielen anderen Anwendungsbereichen spielen Vektoren eine zentrale Rolle. Die anschaulichste von vielen möglichen Interpretationen des Vektorbegriffs ist es, sich unter einem Vektor eine gerichtete Strecke, also einen Pfeil in der Ebene oder im Raum vorzustellen. Dabei ist es wichtig, dass man Vektoren als gleich ansieht, die auseinander durch Verschiebung (ohne Drehung) hervorgehen. Unter all diesen “gleichen” Vektoren gibt es jedoch nach Wahl eines Koordinatensystems stets einen ausgezeichneten, der im Ursprung (Schnittpunkt der Koordinatenachsen) startet. Man spricht dann von einem Ortsvektor, weil er die Position eines bestimmten Punktes (nämlich des Zielpunktes) festlegt. In diesem Sinne entspricht also jedem Punkt der Ebene bzw. des Raumes genau ein (Orts-)Vektor. In allgemeineren (höher dimensionalen) Vektorräumen funktioniert diese anschauliche Interpretation von Vektoren als Pfeilen allerdings nicht mehr. Vektoren werden unterschiedlich bezeichnet, z.B.mit Kleinbuchstaben, Großbuchstaben, Fett- buchstaben oder durch darüber gesetzte Pfeile (also z.B. a, A, a oder a). Wir werden die einfachste Notation mittels Kleinbuchstaben wie a, b, c verwenden. Parallelogrammregel Zwei Vektoren addiert man, indem man den Startpunkt des einen in den Zielpunkt des anderen verschiebt. a b b a a +b b +a 11
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Apr 20, 2019

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Kapitel 2

Vektorrechnung

2.1 Vektoren geometrisch

Sowohl in der Mathematik als auch in der Physik, den Ingenieurwissenschaften und vielenanderen Anwendungsbereichen spielen Vektoren eine zentrale Rolle.Die anschaulichste von vielen möglichen Interpretationen des Vektorbegriffs ist es, sich untereinem Vektor eine gerichtete Strecke, also einen Pfeil in der Ebene oder im Raum vorzustellen.Dabei ist es wichtig, dass man Vektoren als gleich ansieht, die auseinander durch Verschiebung(ohne Drehung) hervorgehen.

SSo S

So SSo S

So SSo S

So

SSo S

So SSo S

So SSo SSo

SSo S

So SSo SSo SSo S

So

SSo SSo SSo S

So SSo SSo

SSo S

So SSo SSo SSo S

So

SSoSSo c

Unter all diesen “gleichen” Vektoren gibt es jedoch nach Wahl eines Koordinatensystems stetseinen ausgezeichneten, der im Ursprung (Schnittpunkt der Koordinatenachsen) startet. Manspricht dann von einem Ortsvektor, weil er die Position eines bestimmten Punktes (nämlich desZielpunktes) festlegt. In diesem Sinne entspricht also jedem Punkt der Ebene bzw. des Raumesgenau ein (Orts-)Vektor. In allgemeineren (höher dimensionalen) Vektorräumen funktioniertdiese anschauliche Interpretation von Vektoren als Pfeilen allerdings nicht mehr.Vektoren werden unterschiedlich bezeichnet, z. B.mit Kleinbuchstaben, Großbuchstaben, Fett-buchstaben oder durch darüber gesetzte Pfeile (also z.B. a, A, a oder ~a). Wir werden dieeinfachste Notation mittels Kleinbuchstaben wie a, b, c verwenden.

ParallelogrammregelZwei Vektoren addiert man, indem man den Startpunkt des einen in den Zielpunkt des anderenverschiebt.

����7

a

�����

�����:

b

������

����:

b

����7

aa+bb+a

����

���

���

���*

11

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KAPITEL 2. VEKTORRECHNUNG 12

In der so definierten Summe sind die Summanden vertauschbar:

a+ b = b+ a.

Allgemein erhält man die Summe von mehreren Vektoren durch Aneinanderhängen:

-����7

a

������

����:

b

a+b��

����

���

����*BBBBBBBN

cPPPPPPPPPPPPq

b+c

a+b+c

Wie man sieht, kommt es auf die Reihenfolge des Aneinanderhängens nicht an:

a+ (b+ c) = (a+ b) + c.

Der Nullvektor 0 spielt eine besondere Rolle, da er weder eine positive Länge noch eine Richtungbesitzt. Offenbar gilt

a+ 0 = 0 + a = a.

Bezeichnet −a denjenigen Vektor, der die gleiche Länge wie a, aber die umgekehrte Richtunghat, so gilt

a+ (−a) = (−a) + a = 0 .

Wir setzen a− b := a+ (−b).Einen Vektor a kann man mit einer reellen Zahl r multiplizieren. Dabei entsteht geometrischder um den Faktor r gestreckte Vektor ra; für negatives r zeigt er in die entgegengesetzteRichtung wie der Vektor a:

(−r)a = −ra.

SSo a

SSSSo

2a SSw−a

SSSSw

−2a

Außerdem gelten für reelle Zahlen r, s und Vektoren a, b die Regeln

(rs)a = r(sa)

(r + s)a = ra+ sa

r(a+ b) = ra+ rb .

Die letzte Gleichung ist geometrisch nichts Anderes als der Strahlensatz :

AAAAAAAAU

2a+2ba

a

XXXXXXXXz

XXXXz

AAAAU

a+b

bb

Die beiden Dreiecke sind ähnlich, da der untere und der obere Strahl von den parallelen Strahlenberührt wird. Die Summen werden um den gleichen Faktor gestreckt wie die einzelnen Vektoren.

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KAPITEL 2. VEKTORRECHNUNG 13

2.2 Vektoren algebraisch

Seit René Descartes (1596-1650) beschreibt man Punkte einer Geraden, einer Ebene oder desRaumes mit Hilfe von Koordinaten, also durch gewisse Paare oder Tripel reeller Zahlen. Hiergreifen Algebra und Geometrie eng ineinander, man spricht von analytischer Geometrie.

Eine vereinheitlichende und allgemeinere Sicht gewinnt man durch simultane Betrachtung allern-dimensionalen Räume, wobei n eine beliebige natürliche Zahl (sogar 0) sein darf.Die Elemente des kartesischen Produktes Rn, d. h. die n–Tupel oder Zeilenvektoren (a1, . . . , an)mit ak ∈ R für k ∈ n, interpretiert man als Punkte eines n–dimensionalen Raumes. Dabei hatRn für n ≤ 3 folgende anschauliche Bedeutungen:

n = 0 : Einpunktige Menge {0}n = 1 : Zahlengerade Rn = 2 : Euklidische Ebene R2

n = 3 : Euklidischer (3–dimensionaler) Raum R3

s0 -a1

a s0 ������3

a1

a2

a

s0 #########�>

a1

a2a3

���

���

���

���a

2.2.1 Schreibweise. (Koordinatenbeschreibung von Vektoren)

Der Spaltenvektor

a1...an

beschreibt den Vektor vom Nullpunkt zum Punkt (a1, . . . , an).

Die Gesamtheit aller solchen Spaltenvektoren bezeichnen wir mit Rn.Vielfach wird zwischen dem Zeilenraum Rn und dem Spaltenraum Rn nicht unterschieden.

2.2.2 Definition. (Addition, Subtraktion und skalare Multiplikation von Vektoren)

Für a1, . . . , an, b1, . . . , bn ∈ R und r ∈ R setzen wira1...an

±b1...bn

:=

a1 ± b1

...an ± bn

, r

a1...an

:=

ra1...ran

, 0 :=

0...0

(Nullvektor)

sowie −a := (−1)a für a ∈ Rn. Analog für Zeilenvektoren, d. h. Elemente von Rn.

Im Folgenden arbeiten wir wahlweise mit Zeilen– oder Spaltenvektoren und schreiben

Rn∗ für Rn \ {0}, R∗n für Rn \ {0}.

Für reelle Zahlen verwendet man oft zur Unterscheidung von Vektoren griechische Buchstaben.

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KAPITEL 2. VEKTORRECHNUNG 14

Aus den bekannten Regeln für das Rechnen mit reellen Zahlen folgen entsprechende Gesetzefür Vektoren, welche algebraisch die im ersten Abschnitt geometrisch plausibel gemachtenBeziehungen widerspiegeln.

2.2.3 Lemma. (Rechenregeln für Vektoren)Für Vektoren a, b, c ∈ Rn und r, s ∈ R gelten folgende Gleichungen:(1+) a+ b = b+ a (Kommutativgesetz für Vektoren)(2+) (a+ b) + c = a+ (b+ c) (Assoziativgesetz für Vektoren)(3+) 0 + a = a+ 0 = a (additives neutrales Element)(4+) a+ (−a) = 0 (negatives Element)

(1·) r(sa) = (rs)a (Assoziativgesetz für Skalare)(2·) r(a+ b) = ra+ rb (Distributivgesetz für Vektoren)(3·) (r + s)a = ra+ sa (Distributivgesetz für Skalare)(4·) 1a = a (multiplikatives neutrales Element)

Um (verschobene) Pfeile in der Ebene festzulegen, braucht man vier Koordinaten: die erstenbeiden für den Startpunkt und die letzten beiden für den Zielpunkt. Bei genauer symbolischerZeichnung wird man einen Pfeil durch einen Polygonzug darstellen (siehe unten).

Für das Arbeiten mit Vektoren in der Ebene ist häufig die sogenannte Polardarstellung nützlich:

2.2.4 Lemma. (Polardarstellung)Zu jedem (Orts-)Vektor a = (a1, a2) 6= 0 in der Ebene gibt es genau eine Zahl r > 0 und eineZahl t im halboffenen Intervall [0, 1[ mit

a1 = r cos 2πt , a2 = r sin 2πt .

2.2.5 Beispiel. Uhrzeiger

Legt man den Koordinatenursprung in die Mitte einer Uhr, so hat der „große” Minutenzeigerder Länge m zum Zeitpunkt t (in Stunden!) den Koordinatenvektor

(m cos(π2 − 2πt),m sin(π2 − 2πt)) .

Der „kleine” Stundenzeiger der Länge h hat hingegen zum Zeitpunkt t (ebenfalls in Stunden!)den Koordinatenvektor

(h cos(π2 −2πt12 ), h sin(π2 −

2πt12 )) .

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KAPITEL 2. VEKTORRECHNUNG 15

2.3 Das Skalarprodukt

Um mit Winkeln und Abständen in der Ebene, im Raum oder allgemein im Rn bequem rechnenzu können, benutzt man das Skalarprodukt; es ordnet je zwei Vektoren a, b eine gewisse reelleZahl a · b („Skalar“) zu.Geometrisch beschreibt der Betrag des Skalarprodukts a · b den Flächeninhalt des durch dieProjektion von b auf a und einem zu a senkrechten und gleich langen Vektor aufgespanntenRechtecks. Wir definieren hier allerdings das Skalarprodukt erst algebraisch und leiten späterseine geometrischen Eigenschaften ab.

2.3.1 Definition. (Skalarprodukt)Für Vektoren a = (a1, . . . , an), b = (b1, . . . , bn) ∈ Rn ist das Skalarprodukt a · b definiert als

a · b := a1b1 + · · ·+ anbn =n∑

k=1akbk.

Speziell im R2 und R3:

(a1, a2) · (b1, b2) = a1 b1 + a2 b2, (a1, a2, a3) · (b1, b2, b3) = a1 b1 + a2 b2 + a3 b3.

2.3.2 Lemma. (Rechenregeln für das Skalarprodukt)Für Vektoren a, b, c ∈ Rn und r ∈ R gelten folgende Regeln:(S1) a · a ≥ 0; a · a = 0 ⇐⇒ a = 0 (positive Definitheit)

(S2) r(a · b) = ra · b = a · rb (Assoziativgesetz)

(S3) a · b = b · a (Kommutativgesetz)

(S4) (a+ b) · c = a · c+ b · c (Distributivgesetz)

Das Kommutativgesetz führt auf den „schiefwinkligen Kathetensatz”:In der nachfolgenden Figur haben die gleichgefärbten Rechtecke jeweils gleichen Flächeninhalt.

b · c−a · c

a · bb · a

c · b −c · a

-���������

c

b a

SSSSSSJJ]

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KAPITEL 2. VEKTORRECHNUNG 16

2.3.3 Definition. (Orthogonalität, Länge und Abstand)

(1) Zwei Vektoren a und b aus Rn heißen zueinander orthogonal (oder stehen aufeinandersenkrecht), in Zeichen a ⊥ b , falls ihr Skalarprodukt verschwindet: a · b = 0.

(2) Es seien a, b ∈ Rn. Die Zahl ‖a‖ :=√a · a heißt Länge, Norm oder Betrag des Vektors a,

und d(a, b) := ‖a− b‖ heißt Abstand zwischen a und b.(3) Für nichtleere Mengen A, B ⊆ Rn versteht man unter dem (Minimal-)Abstand zwischen

A und B das Infimum

d(A,B) := inf{ d(a, b) | a ∈ A, b ∈ B}.

Im Falle A = {a} schreibt man d(a,B) für d(A,B), entsprechend d(A, b) statt d(A, {b}).

Es ergeben sich folgende Spezialfälle:

Im R1 : ‖a‖ =√a2 = max{a,−a} = |a|, d(a, b) = |a− b|.

Im R2 : ‖a‖ =√a12 + a22, d(a, b) =

√(a1 − b1)2 + (a2 − b2)2.

Im R3 : ‖a‖ =√a12 + a22 + a32, d(a, b) =

√(a1 − b1)2 + (a2 − b2)2 + (a3 − b3)2.

Viele algebraische und geometrische Anwendungen hat die folgende Regel:

2.3.4 Satz. (Rechteckregel)Für je zwei Vektoren a, b ∈ Rn sind die folgenden drei Aussagen äquivalent:

(a) a ⊥ b.(b) ‖a+ b‖2 = ‖a‖2 + ‖b‖2.(c) ‖a− b‖ = ‖a+ b‖.

Beweis. (a)⇒(c): a·b = 0⇒ ‖a−b‖2 = (a−b)·(a−b) = a·a±2 a·b+b·b = (a+b)·(a+b) = ‖a+b‖2.(c)⇒(b): 2‖a+ b‖2 = ‖a− b‖2 + ‖a+ b‖2 = 2 a · a+ 2 a · b− 2 a · b+ 2 b · b = 2(‖a‖2 + ‖b‖2).(b)⇒(a): 0 = ‖a+ b‖2 − ‖a‖2 − ‖b‖2 = (a · a+ 2 a · b+ b · b)− (a · a+ b · b) = 2 a · b. 2

2.3.5 Folgerungen. (Geometrische Interpretationen der Rechteckregel)

(1) Satz des Pythagoras:Ein Dreieck ist genau dann rechtwinklig, wenn das Quadrat über einer Seite (Hypotenuse)gleich der Summe der Quadrate über den beiden anderen Seiten (Katheten) ist.

(2) Satz des Thales:Der Durchmesser eines Kreises wird von jedem Peripheriepunkt aus unter einem rechtenWinkel gesehen.

(3) Satz vom Rechteck:Ein Parallelogramm hat genau dann gleichlange Diagonalen, wenn benachbarte Seitenaufeinander senkrecht stehen.

(4) Satz vom Rhombus:Ein Parallelogramm hat genau dann gleichlange Seiten (d. h. es ist ein Rhombus bzw. eineRaute), wenn seine Diagonalen aufeinander senkrecht stehen.

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KAPITEL 2. VEKTORRECHNUNG 17

a −a������7b±a

SSSSSSw

-� SSSSSSo b−a

SSSSSSo

������/

6

b

?

−b

a−b −a−b

Rechtecke und Raute

2.3.6 Satz und Definition. (Orthogonalprojektion)Für a ∈ Rn∗ kann jeder Vektor b ∈ Rn auf eindeutige Weise als Differenz zweier Vektorendargestellt werden, die aufeinander senkrecht stehen und von denen der eine die Form ra, alsodieselbe oder entgegengesetzte Richtung wie a hat. Dieser Vektor liefert den Lotfußpunkt dersenkrechten Projektion von b auf a und wird mit La(b) bezeichnet; der zweite heißt Lot oderProjektionsvektor von b auf a und wird mit Pa(b) oder kurz p bezeichnet. Also:

b = La(b)− Pa(b), La(b) = ra ⊥ Pa(b).

Hierbei ist r = a · ba · a

= a · b‖a‖2

und ‖La(b)‖ = |a · b|‖a‖

.

- a�������*b

?-La(b)

Pa(b)

Beweis. Gilt b = ra−p und a ⊥ p, so folgt a · b = a · (ra−p) = r a ·a−a ·p = r a ·a und daraus

r = a · ba · a

= a · b‖a‖2

und ‖ra‖ = |r| ‖a‖ = |a · b|‖a‖

.

Setzt man umgekehrt r = a · ba · a

und p = ra− b, so ergibt sich tatsächlich b = ra− p unda · p = a · (ra− b) = r a · a− a · b = 0, d.h. a ⊥ p. 2

2.3.7 Satz. (Ungleichung von Cauchy–Schwarz)Für a, b ∈ Rn gilt:

|a · b| ≤ ‖a‖ ‖b‖.

Gleichheit besteht genau dann, wenn a = 0 oder b = ra, d h. Pa(b) = 0 gilt.

Beweis. Da die Ungleichung für a = 0 klar ist, können wir a 6= 0 und damit ‖a‖ 6= 0 annehmen.Aus der Orthogonalzerlegung und dem Satz von Pythagoras folgt sofort

r2‖a‖2 ≤ r2‖a‖2 + ‖p‖2 = ‖ra− p‖2 = ‖b‖2, also |a · b|‖a‖

≤ ‖b‖,

und Gleichheit tritt genau dann ein, wenn Pa(b) = p = 0 ist. 2

Nach Division durch ‖a‖ ‖b‖ im Falle a 6= 0 6= b besagt die Cauchy-Schwarzsche Ungleichung:

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KAPITEL 2. VEKTORRECHNUNG 18

2.3.8 Folgerung. (Winkel zwischen Vektoren)Für a, b ∈ Rn∗ gilt:

−1 ≤ a · b‖a‖ ‖b‖

≤ 1.

Also existiert genau ein Winkel γ ∈ [0, π] (bzw. zwischen 0◦ und 180◦) mit cos γ = a · b‖a‖ ‖b‖

.

Im R2 und R3 ist γ der mit ∠(a, b) bezeichnete Winkel zwischen a und b. Insbesondere:

a ⊥ b ⇐⇒ a · b = cos γ = 0 ⇐⇒ γ ist ein rechter Winkel.

2.3.9 Folgerung. (Cosinussatz)Für a, b ∈ Rn∗ und den Winkel γ = ∠(a, b) gilt:

‖a± b‖2 = ‖a‖2 ± 2(a · b) + ‖b‖2 = ‖a‖2 ± 2‖a‖ ‖b‖ cos γ + ‖b‖2.

Spezialfall (Pythagoras): a ⊥ b ⇐⇒ cos γ = 0 ⇐⇒ ‖a± b‖2 = ‖a‖2 + ‖b‖2.

2.3.10 Satz. (Norm)Für Vektoren a, b ∈ Rn und r ∈ R gilt:(N1) ‖a‖ ≥ 0, ‖a‖ = 0 ⇐⇒ a = 0 (Positivität)

(N2) ‖ra‖ = |r|‖a‖ (Homogenität)

(N3) ‖a± b‖ ≤ ‖a‖+ ‖b‖ (Dreiecks–Ungleichung).

Zu (N3): ‖a± b‖2 = ‖a‖2 ± 2 a · b+ ‖b‖2 ≤ ‖a‖2 + 2 ‖a‖ ‖b‖+ ‖b‖2 = (‖a‖+ ‖b‖)2.

2.3.11 Definition. Ein Vektor v ∈ Rn heißt Einheitsvektor oder normiert, falls ‖v‖ = 1.

Jeder Vektor u ∈ Rn∗ kann „normiert werden“: Der Vektor

u◦ := u

‖u‖hat die Norm 1 und es gilt u = ‖u‖u◦ („Länge mal Richtungsvektor“).

2.3.12 Definition. (Orthonormalbasen)Eine Orthogonalbasis des Rn besteht aus n paarweise orthogonalen Vektoren b1, ..., bn 6= 0 .Haben sie alle die Länge 1, spricht man von einer Orthonormalbasis (kurz ONB). Mit demKronecker–Symbol

δjk ={

1 , falls j = k

0 , falls j 6= kgilt dann: bj · bk = δjk.

Die Vektoren ek = (δjk | j ∈ n) = (0, ..., 0, 1, 0, ..., 0) ∈ Rn heißen kanonische Einheitsvektorendes Rn; sie bilden die kanonische Orthonormalbasis.

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KAPITEL 2. VEKTORRECHNUNG 19

2.4 Das Vektorprodukt

Von großem Nutzen für viele Berechnungen im dreidimensionalen Raum (auch in Anwen-dungsbereichen wie Physik und Technik) ist das Vektorprodukt, welches je zwei Vektoren desR3 einen dritten zuordnet, der auf diesen beiden senkrecht steht.

2.4.1 Definition. Das Vektorprodukt oder Kreuzprodukt von u und v aus R3 ist der Vektor

u× v =

u2v3 − u3v2

u3v1 − u1v3

u1v2 − u2v1

∈ R3, wobei u =

u1

u2

u3

, v =

v1

v2

v3

.Während das Skalarprodukt zweier Vektoren ein Skalar, d. h. eine reelle Zahl ist, ergibt dasVektorprodukt einen Vektor (aus R3)!

Mit einigen zum Teil etwas aufwändigen Rechnungen ergibt sich:

2.4.2 Satz. (Rechenregeln für das Vektorprodukt)Für u, v, w ∈ R3 und r ∈ R gilt:(1) u× v = −v × u, insbesondere u× u = 0 (Anti–Kommutativgesetz)

(2) (u+ v)× w = u× w + v × w (Distributivgesetz)

(3) r(u× v) = ru× v = u× rv (Assoziativgesetz)

(4) (u× v) · u = (u× v) · v = 0 (Orthogonalität)

(5) u× (v × w) = (u · w)v − (u · v)w (Grassmann–Identität)

(6) u× (v × w) + v × (w × u) + w × (u× v) = 0 (Jacobi–Identität)

(7) ‖u× v‖2 + (u · v)2 = ‖u‖2‖v‖2 (Cauchy–Schwarz–Identität)

Zum Beispiel erhält man (4) folgendermaßen:

(u× v) · u =

u2v3 − u3v2

u3v1 − u1v3

u1v2 − u2v1

·u1

u2

u3

= u2v3u1 − u3v2u1 + u3v1u2 − u1v3u2 + u1v2u3 − u2v1u3 = 0.

2.4.3 Tabelle. (Festlegung des Vektorprodukts durch die Einheitsvektoren)

e1 =

100

, e2 =

010

, e3 =

001

,× e1 e2 e3

e1 0 e3 −e2

e2 −e3 0 e1

e3 e2 −e1 0 e3 e2

e1

������

AAAAAU

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KAPITEL 2. VEKTORRECHNUNG 20

Durch die Multiplikationstabelle und 2.4.2 (2)–(3) ist das Vektorprodukt vollständig bestimmt:u× v = (u1e1 + u2e2 + u3e3)× (v1e1 + v2e2 + v3e3)

= (u2v3 − u3v2)e1 + (u3v1 − u1v3)e2 + (u1v2 − u2v1)e3.

2.4.4 Definition. Für u, v, w ∈ R3 heißt die Zahl

uvw = (u× v) ·w = (v×w) · u = (w× u) · v = −(v× u) ·w = −(w× v) · u = −(u×w) · v

das Spatprodukt von u, v und w.Man nennt (u, v, w) ein Rechtssystem (bzw. Linkssystem), falls uvw > 0 (bzw. uvw < 0) gilt.

Zum Beispiel bilden die kanonischen Einheitsvektoren in der Reihenfolge (e1, e2, e3) ein Rechts-system, in der Reihenfolge (e1, e3, e2) dagegen ein Linkssystem.

2.4.5 Lemma. (Berechnung des Spatprodukts)

uvw =

∣∣∣∣∣∣∣∣u1 v1 w1

u2 v2 w2

u3 v3 w3

∣∣∣∣∣∣∣∣ := u1v2w3 + u3v1w2 + u2v3w1 − u3v2w1 − u1v3w2 − u2v1w3

2.4.6 Satz. (Geometrische Beschreibung des Vektorprodukts)Das Vektorprodukt u×v liefert zu u, v ∈ R3 den einzigen Vektor mit folgenden Eigenschaften:(1) Er steht senkrecht auf u und v.(2) Seine Länge ist gleich dem Flächeninhalt des von u und v aufgespannten Parallelogramms:

‖u× v‖ = ‖u‖ ‖v‖ sin∠(u, v).

(3) (u, v, u× v) ist ein Rechtssystem.

Zu (2): ‖u× v‖2 = ‖u‖2‖v‖2 − (u · v)2 = (‖u‖ ‖v‖)2(1− cos2 ∠(u, v)) = (‖u‖ ‖v‖ sin∠(u, v))2.

2.4.7 Folgerung. (Orthonormalbasen des R3)Einheitsvektoren u, v, w ∈ R3 bilden genau dann eine ONB, wenn u · v = 0 und w = ±u× v gilt.

2.4.8 Satz und Definition. (Spatvolumen)Für u, v, w ∈ R3 ist |uvw| das Volumen des von u, v, w aufgespannten Spates

[u, v, w] = {ru+ sv + tw | r, s, t ∈ [0, 1]}.

Hierbei kann man das Volumen definieren als „Grundfläche mal Höhe“.

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KAPITEL 2. VEKTORRECHNUNG 21

2.5 Geraden, Ebenen und Hyperebenen

Die wichtigsten Objekte der Geometrie sind Punkte, Geraden und Ebenen. Das sind Spezialfällesogenannter affiner Teilräume. Sie entstehen durch Verschiebung von linearen Unterräumen;bei diesen handelt es sich um affine Teilräume, die den Nullvektor enthalten.

2.5.1 Definition. (Parameterdarstellung von Geraden)Für v ∈ Rn∗ heißt

Rv := {rv | r ∈ R}

die Gerade durch 0 und v. Allgemeiner heißt für a ∈ Rn

a+ Rv := {a+ rv | r ∈ R}

die Gerade durch a mit Richtung v (oder parallel zu v).

Wegen a+ Rv = a+ Rv◦ kann der „Richtungsvektor“ v immer normiert gewählt werden.

v = b− ab

a

vo

2.5.2 Satz. (Gerade durch zwei Punkte)Durch je zwei verschiedene Punkte a, b ∈ Rn geht genau eine Gerade, nämlich

a+ R(b−a) = b+ R(a−b).

Beweis. a = a + 0(b − a) und b = a + 1(b − a) liegen auf a + R(b − a). Ist c + Rv irgend eineGerade, die a und b enthält, so gibt es r, s ∈ R mit a = c + rv und b = c + sv; es folgt dannb− a = (s− r)v, also R(b− a) = Rv und wegen a− c ∈ Rv sogar a+ R(b− a) = c+ Rv. 2

2.5.3 Bemerkung. (Schnittpunkt zweier Geraden)Sind zwei Geraden

G = a+ Ru und H = b+ Rv

mit verschiedenen Ortsvektoren a und b gegeben, so muss man zur Bestimmung des Schnitt-punkts (sofern er existiert) das folgende lineare Gleichungssystem nach r und s auflösen:

a+ ru = b+ sv (+).

Multiplikation der vektoriellen Gleichung (+) mit u bzw. v ergibt das lineare Gleichungssystem

a · u+ r u · u = b · u+ s v · u

b · v + s v · v = a · v + r u · vworaus man leicht r und s bestimmen kann. Im Falle u · v = 0, d.h. bei aufeinander senkrechtstehenden Richtungsvektoren, ergibt sich die Lösung r = (b−a)·u

u·u , s = (a−b)·vv·v .

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KAPITEL 2. VEKTORRECHNUNG 22

Hat man r und s berechnet, muss man durch Einsetzen in die Ausgangsgleichung noch nach-prüfen, ob man wirklich einen Schnittpunkt gefunden hat! So ergibt sich zum Beispiel fürG = e1 + Re2 und H = e2 + Re3 sofort r = 1 und s = 0, aber e1 + re2 6= e2 = e2 + se3.Die beiden Geraden sind “windschief”, schneiden sich also nicht!

Spätestens beim Übergang von Geraden zu Ebenen brauchen wir die folgenden, in vielen Zu-sammenhängen wichtigen und nützlichen Begriffe:

2.5.4 Definition. (Linearkombinationen)(1) Für Vektoren v1, . . . , vk ∈ Rn und r1, . . . rk ∈ R heißt die Summendarstellung

r1v1 + · · ·+ rkvk =k∑

j=1rjvj

eine Linearkombination der Vektoren vj . Sie heißt trivial, falls r1 = · · · = rk = 0.(2) Eine Teilmenge X von Rn heißt linear unabhängig, falls sich der Nullvektor 0 = (0, ..., 0)

nur trivial als Linearkombination paarweise verschiedener Vektoren aus X darstellen lässtoder X leer ist. Andernfalls heißt X linear abhängig.

Lineare (Un-)Abhängigkeit ist eine Eigenschaft von Mengen von Vektoren, nicht von einzelnenVektoren! Trotzdem sagt man statt „{v1, . . . , vk} ist linear (un-)abhängig“ auch „die Vektorenv1, . . . , vk sind linear (un-)abhängig“.

2.5.5 Beispiel. (Dreieck, Schwerlinien und Schwerpunkt)Drei Punkte a, b, c im Rn bilden die Ecken eines Dreiecks, wenn die Differenzvektoren b−aund c−a linear unabhängig sind (siehe 2.5.7 (2)). Die Schwerlinien (Seitenhalbierenden) desDreiecks verbinden je eine Ecke mit dem Mittelpunkt der Gegenseite. Die Gerade durch dieSchwerlinie, die eine Ecke a mit dem gegenüberliegenden Seitenmittelpunkt 1

2(b+ c) verbindet,hat die Parameterdarstellung Sa = a+ R(b+c−2a) = {a+ r(b+c−2a) | r ∈ R}. (Warum?)Der Schwerpunkt des Dreiecks mit den Ecken a, b, c ist der Schnittpunkt der drei Schwerlinien.Er entsteht durch die Linearkombination

13(a+ b+ c) = 1

3a+ 13b+ 1

3c,

ist also das arithmetische Mittel der Eckvektoren, wie man sofort durch Einsetzen von r = 13

in die Gleichungen der drei Schwerlinien sieht.c

12(a+b)

12(a+c) 1

2(b+c)

a b

� 13(a+b+c)

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KAPITEL 2. VEKTORRECHNUNG 23

Jetzt können wir Ebenen ganz analog wie Geraden beschreiben:

2.5.6 Definition. (Parameterdarstellung von Ebenen)Für zwei linear unabhängige Vektoren u, v ∈ Rn ist

Ru+ Rv = {ru+ sv | r, s ∈ R}

die Ebene durch 0 , u und v. Allgemeiner ist für a ∈ Rn

a+ Ru+ Rv := {a+ ru+ sv | r, s ∈ R}

die zu u und v parallele Ebene durch a.

v

u

0

u

v

a

2.5.7 Satz. (Lineare Abhängigkeit von Vektoren)(1) Ein Vektor v bzw. die Menge {v} ist nur dann linear abhängig, wenn v der Nullvektor ist.(2) Zwei Vektoren u, v sind genau dann linear abhängig, wenn sie auf einer gemeinsamen

Geraden durch 0 liegen, d.h., wenn u = 0 gilt oder ein r ∈ R mit v = ru existiert.Zwei Vektoren im R3 sind genau dann linear abhängig, wenn ihr Vektorprodukt Null ist.

(3) Drei Vektoren sind genau dann linear abhängig, wenn sie in einer Ebene durch 0 liegen.Drei Vektoren aus R3 sind genau dann linear abhängig, wenn ihr Spatprodukt Null ist.

Beweis. (1) gilt wegen rv = 0 ⇔ r = 0 oder v = 0 .(2) Gilt u = 0 oder v = ru, so haben wir eine nicht triviale Linearkombination 1u + 0v = 0oder ru − 1v = 0 . Ist umgekehrt {u, v} linear abhängig, etwa r1u + r2v = 0 mit r1 6= 0 oderr2 6= 0, so ist für u 6= 0 auch r2 6= 0 und v = − r1

r2u. Nach Satz 2.4.6 (2) liegen u und v in R3

genau dann auf einer Geraden durch 0 , wenn u× v der Nullvektor ist.(3) Gegeben seien linear abhängige Vektoren v1, v2, v3 aus R3 und Zahlen r1, r2, r3 ∈ R mitr1v1 + r2v2 + r3v3 = 0 und z. B. r1 6=0. Dann liegen v1, v2, v3 in der Ebene Rv2 + Rv3. Liegenumgekehrt v1, v2, v3 alle in einer Ebene Ru+ Rv, so gibt es ri, si ∈ R mit vi = riu+ siv, unddann folgt (r2s3 − r3s2)v1 + (r3s1 − r1s3)v2 + (r1s2 − r2s1)v3 = 0 . Sind alle drei KoeffizientenNull, so bedeutet das für die Koeffizientenvektoren r, s ∈ R3 gerade r × s = 0 , also nach (2)entweder s = 0 und somit v1, v2, v3 ∈ Ru, oder r = ts für ein t ∈ R, und somit gilt dannvi = si(tu+ v) ∈ R(tu+ v). In diesen Fällen liegen alle drei Vektoren sogar auf einer Geradendurch 0 und sind daher ebenfalls linear abhängig. Hieraus folgt mit Satz 2.4.8 die Aussageüber das Spatprodukt (denn das Volumen eines Spats, der ganz in einer Ebene liegt, ist Null).

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KAPITEL 2. VEKTORRECHNUNG 24

2

2.5.8 Definition. (kollinear und komplanar)Mehrere Punkte des Rn heißen kollinear, wenn sie auf einer Gerade liegen, und komplanar,wenn sie in einer Ebene liegen.

2.5.9 Folgerungen. (Geraden und Ebenen durch drei oder vier Punkte)(1) a, b, c ∈ Rn sind genau dann kollinear, wenn b−a und c−a linear abhängig sind.(2) Durch je drei nicht kollineare Punkte a, b, c geht genau eine Ebene, nämlich

a+ R(b−a) + R(c−a).

(3) Vier Punkte a, b, c, d sind genau dann komplanar, wenn b−a, c−a, d−a linear abhängig sind.

2.5.10 Bemerkung. (Gleichungsdarstellung von Geraden)Eine Gerade a+ Rv in der Ebene lässt sich nach Wahl eines zu v senkrechten Vektors w 6= 0(z. B. w = (−v2, v1) für v = (v1, v2)) durch die Gleichung (x− a) · w = 0 beschreiben.In 3- und höherdimensionalen Räumen lassen sich Geraden nicht mehr durch eine einzigeKoordinaten-Gleichung festlegen. Im R3 braucht man entweder eine vektorielle Gleichung

(x−a)× v = 0 ,

die besagt, dass die Vektoren zwischen zwei Punkten der Geraden stets Vielfache des Rich-tungsvektors sind. Oder man beschreibt die Gerade durch zwei Koordinatengleichungen, wasgeometrisch der Tatsache entspricht, dass eine Gerade (auf vielfache Weise!) als Schnittmengezweier Ebenen darstellbar ist: Für linear unabhängige Vektoren u, v, w ist die Gerade

G = a+ Ru

der Durchschnitt der Ebenen

E = a+ Ru+ Rv und F = a+ Ru+ Rw.

2.5.11 Definition. (Hyperebenen)Für w ∈ Rn∗ und a ∈ Rn heißt

Ha,w := {x ∈ Rn | w ⊥ (x− a)} = {x ∈ Rn|w · x = w · a}

zu w senkrechte Hyperebene durch a.

w

0

x

a

���������7

���

2.5.12 Bemerkung. (Hyperebenen–Gleichung)In Koordinatenschreibweise ergibt sich für w = (w1, ...wn) und t = w · a ∈ R:

Ha,w = {(x1, . . . , xn) ∈ Rn | w1x1 + · · ·+ wnxn = t}.

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KAPITEL 2. VEKTORRECHNUNG 25

Umgekehrt beschreibt jede Gleichung

w1x1 + · · ·+ wnxn = t

mit (w1, . . . , wn) ∈ Rn∗ und t ∈ R eine Hyperebene.In der Ebene R2 sind die Hyperebenen genau die Geraden, im dreidimensionalen Raum R3

sind Hyperebenen nichts anderes als Ebenen. Insbesondere liefert

w1x1 + w2x2 = t

eine Gerade in der Ebene R2 und

w1x1 + w2x2 + w3x3 = t

eine Ebene im Raum R3.

Wie bekommt man eine Parameterdarstellung einer Ebene aus einer Ebenen–Gleichung undumgekehrt? Die Antwort gibt der folgende Satz, dessen Beweis eine leichte Aufgabe ist.

2.5.13 Satz. (Ebenen im dreidimensionalen Raum)Für eine Ebene E = a+ Ru+ Rv im R3 und w = u× v gilt

E = Ha,w = {(x1, x2, x3) | w1x1 + w2x2 + w3x3 = t} mit t = w · a.

Umgekehrt findet man für eine Ebene in Gleichungsform E = Ha,w Parameterdarstellungen,indem man eine Lösung a des Gleichungssystems w1x1 + w2x2 + w3x3 = t und zwei linearunabhängige Lösungsvektoren u und v des Gleichungssystems w1x1 + w2x2 + w3x3 = 0 findet.Dann ist E = a+ Ru+ Rv.

2.5.14 Bemerkung. (Schnitt zweier Ebenen)Will man die Schnittmenge zweier Ebenen durch Lösen von Gleichungen bestimmen, so emp-fiehlt es sich, eine der beiden Ebenen in Parameterform und die andere durch eine Gleichungdarzustellen:

E = {a+ ru+ sv | r, s ∈ R}, F = {x | x · w = t}.

Dann kann man die Parameterdarstellung in die Gleichung einsetzen. Die Schnittmenge bestehtaus den Lösungen

x = a+ ru+ sv

der Gleichung

(a+ ru+ sv) · w = t ,

d. h. falls u · w nicht 0 ist,

r = (t− a · w − s v · w)u · w

,

x = a+ (t− a · w)u · w

u+ s(v − v · wu · w

u),

und analog verfährt man, falls v · w nicht 0 ist. Die Lösungsmenge ist dann eine Gerade.(Diese Formeln braucht man sich nicht zu merken, nur den Lösungsweg dorthin.)Gilt sowohl u · w = 0 als auch v · w = 0, so sind die Ebenen parallel. (Warum?) Ist dann auchnoch a · w = t, so sind die Ebenen sogar gleich, andernfalls ist ihr Schnitt leer.

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KAPITEL 2. VEKTORRECHNUNG 26

2.5.15 Satz. (Lot auf Gerade oder Hyperebene)Gegeben seien a, b, w ∈ Rn mit w 6= 0 . Dann stehen die Hyperebenen E = Ha,w und F = Hb,w

senkrecht auf der Geraden G = b+ Rw, d.h. für x ∈ E und y ∈ G gilt (x−a) · (y−b) = 0.

Für r = (a−b)·ww·w ist p = b+ rw

der Schnittpunkt von E und Gder Lotfußpunkt der senkrechten Projektion von b auf Eder Lotfußpunkt der senkrechten Projektion von a auf G.

Weiter ist‖p−a‖ der Abstand zwischen dem Punkt a und der Geraden G‖p−b‖ der Abstand zwischen dem Punkt b bzw. der Hyperebene F und der Hyperebene E.

Im R3 gilt‖p−a‖ = ‖(a− b)× w‖

‖w‖.

Der Spiegelpunkt b′ = 2p− b von b an E hat den gleichen Abstand von E wie b, und derVerbindungsvektor 2(p−b) steht senkrecht auf E.

Beweis. Für p = b + rw ist die Zerlegung p = a + c mit c ⊥ w äquivalent zu c = p−a und(p−a) · w = 0, und dies ist wegen p = b+ rw gleichbedeutend mit r w · w = (a−b) · w.Die Bedingung p−a ⊥ w besagt, dass der Projektionsvektor p− a senkrecht auf G steht, undwegen p = b+ rw auch, dass p der Fußpunkt des Lotes von b auf Ha,w = E ist.Für x ∈ G gilt wegen x−p = sw ⊥ p−a nach Pythagoras ‖x−a‖2 = ‖x−p‖2 +‖p−a‖2 ≥ ‖p−a‖2;also ist ‖p−a‖ der Minimalabstand von a zu Punkten aus G. Ebenso sieht man, dass ‖p− b‖der Minimalabstand von b zu Punkten aus E ist: Für y ∈ E gilt y−p ⊥ rw = p−b, also‖y−b‖2 = ‖y−p‖2 + ‖p−b‖2 ≥ ‖p−b‖2.Der Flächeninhalt des von a−b und w aufgespannten Parallelogramms ist ‖(a−b)×w‖, zugleichaber auch ‖p−a‖ ‖w‖ (Breite mal Höhe). Daraus folgt ‖p−a‖ = ‖(a−b)×w‖

‖w‖ . Die Aussagen überden Spiegelpunkt sind geometrisch klar und rechnerisch leicht nachzuprüfen. 2

u

v

w

0

u

v

a

b

F

E

�����

������

��:

����

��p���,,

G -

((((((((

(((((((

((b′

Sind Ebenen in Parameterform gegeben, so erhält man ähnlich wie zuvor:

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KAPITEL 2. VEKTORRECHNUNG 27

2.5.16 Satz. (Abstand zwischen Geraden und Ebenen)Gegeben seien a, b ∈ Rn und linear unabhängige Vektoren u, v aus Rn. Für w ∈ Rn∗ mitu ⊥ w ⊥ v ist dann G = b+ Rw eine auf den Ebenen E = a+ Ru+ Rv und F = b+ Ru+ Rvsenkrechte Gerade durch b. Sofern G und E sich schneiden (was für n = 3 immer der Fall ist),ist ihr Schnittpunkt gegeben durch p = b+ rw mit r = (a−b)·w

w·w . Die Länge ‖p−b‖ = |(a−b)·w|‖w‖ des

senkrechten Verbindungsvektors ist dann der Abstand zwischen

den Ebenen E und Fder Geraden a+ Ru und der Ebene Fder Geraden b+ Rv und der Ebene Eden Geraden a+ Ru und b+ Rv.

Aus Satz 2.5.15 ergibt sich unmittelbar:

2.5.17 Folgerung. (Normalform von Hyperebenen)Der Abstand eines Punktes b ∈ Rn von einer Hyperebene Ha,w ist

|(b− a) · w◦|.

Im R3 läßt sich für linear unabhängige Vektoren u, v die Ebene E = a+Ru+Rv durch folgendeNormalform beschreiben:

E = Ha,(u×v)◦ .

Schließlich erhält man durch Betrachtung des von a, b und u× v aufgespannten Spates:

2.5.18 Satz. (Abstand zwischen zwei Geraden im Raum)Zwei Geraden G = a+ Ru und H = b+ Rv im R3 sind genau dann windschief (d. h. disjunktund nicht parallel), wenn (a−b) · (u × v) 6= 0 gilt. In diesem Fall ist |(a−b) · (u × v)◦| derAbstand zwischen

den Geraden G und Hdem Punkt b und der Ebene E = a+ Ru+ Rvdem Punkt a und der Ebene F = b+ Ru+ Rvden parallelen Ebenen E und F .

2.5.19 Tabelle. (Abstände zwischen Punkten, Geraden und Ebenen im R3)

Punkt b Gerade b+ Ru Gerade b+ Rv

Punkt a ‖a−b‖ ‖(a−b)× u◦‖ ‖(a−b)× v◦‖

Gerade a+ Ru ‖(a−b)× u◦‖ ‖(a−b)× u◦‖ |(a−b) · (u× v)◦|

Ebene a+ Ru+ Rv |(a−b) · (u× v)◦| |(a−b) · (u× v)◦| |(a−b) · (u× v)◦|

Hierbei sind u und v als linear unabhängig vorausgesetzt.

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KAPITEL 2. VEKTORRECHNUNG 28

2.6 Unterräume, Erzeugendensysteme und Basen

Jetzt wollen wir zwei gemeinsame Sammelbegriffe für Geraden, Ebenen und Hyperebenenstudieren:

2.6.1 Definition. (Linearer Unterraum)Eine nichtleere Teilmenge U von Rn heißt (linearer) Unterraum des Rn, falls gilt:

(U1) u, v ∈ U =⇒ u+ v ∈ U .(U2) r ∈ R, u ∈ U =⇒ ru ∈ U .

Definitionsgemäß enthält jeder Unterraum U den Nullvektor 0 , und aus u ∈ U folgt −u ∈ U .

Wie schon erwähnt, kann man Unterräume vom Nullpunkt wegschieben und bekommt so affineTeilräume:

2.6.2 Definition. (Affiner Teilraum)Eine Teilmenge T des Rn heißt affiner Teilraum des Rn, falls für je zwei verschiedene Elementea, b ∈ T auch die Gerade durch a und b ganz in T liegt, d. h. falls für alle r, s ∈ R mit r+s = 1auch ra+ sb ∈ T gilt.

Dimension Unterräume affine Teilräume Darstellung0 Nullraum {0} Punkte {a}1 Geraden durch 0 Geraden a+ Rv2 Ebenen durch 0 Ebenen a+ Ru+ Rv

n−1 Hyperebenen durch 0 Hyperebenen Ha,w = {x | (x−a) ⊥ w}n Gesamtraum Rn Gesamtraum {(x1, ..., xn) | xi ∈ R}

Geometrisch einleuchtend ist folgende Beschreibung affiner Teilräume:

2.6.3 Satz. (Differenzraum eines affinen Teilraumes)Eine nichtleere Teilmenge T des Rn ist genau dann affiner Teilraum, wenn es einen UnterraumU gibt mit

T = a+ U = {a+ u | u ∈ U}.

Hierbei ist a ein beliebiger Vektor aus T , und U ist der durch T eindeutig bestimmte „Differenz-raum“

∆T = {b− c | b, c ∈ T}.

Speziell sind die Unterräume des Rn genau diejenigen affinen Teilräume, die 0 enthalten.

2.6.4 Bemerkung. Zwei affine Teilräume S und T sind genau dann im geometrisch anschau-lichen Sinne parallel, wenn ∆S ⊆ ∆T oder ∆T ⊆ ∆S gilt.

Einen Unterraum des Rn nennen wir ab jetzt einfach Vektorraum (über R), erwähnen aber, dasses auch viel allgemeinere Vektorraumbegriffe gibt. Zum Beispiel kann man als Skalarbereichstatt R die Menge Q der rationalen Zahlen, die Menge C der komplexen Zahlen oder sogar

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KAPITEL 2. VEKTORRECHNUNG 29

die Menge {0, 1} mit der Additionsregel 1 + 1 = 0 nehmen. Außerdem kann man unendlich-dimensionale Vektorräume wie z.B. den der reellen Funktionen betrachten. Auf diese Variantenkönne wir an dieser Stelle aus Zeitgründen nicht genauer eingehen.

Wir suchen nun nach sparsamen Methoden, einen Vektorraum mittels Linearkombinationenaus wenigen Vektoren aufzubauen.

2.6.5 Definition. (Lineare Hülle, erzeugter Unterraum)Die Menge aller Linearkombinationen von Vektoren aus einer nichtleeren Menge A ⊆ Rn wirdmit L(A) oder 〈A〉 bezeichnet und heißt lineare Hülle von A oder von A erzeugter Unterraum.Für A = Ø setzt man L(A) = {0}.

2.6.6 Satz. (Minimalität der linearen Hülle)Für A ⊆ Rn ist L(A) der kleinste Unterraum von Rn, der A umfasst. Speziell ist eine TeilmengeV von Rn genau dann ein Vektorraum, wenn V = L(V ) gilt.

Beweis. Wegen a = 1a für a ∈ A ist A natürlich eine Teilmenge von L(A). Sind u =∑k

i=1 si ai

und v =∑`

j=1 tjbj Linearkombinationen von Vektoren aus A, so auch u + v und r v (r ∈ R).Also ist L(A) ein Vektorraum, der in jedem A umfassenden Vektorraum enthalten ist. 2

2.6.7 Definition. (Erzeugendensystem und Basis)Eine Teilmenge B eines Vektorraums V heißt Erzeugendensystem, falls V = L(B) gilt. Mansagt auch, B erzeugt V . Ist B außerdem linear unabhängig, so heißt B Basis von V .

2.6.8 Beispiele. (Basen)

(0) Ø ist Basis von {0}, aber {0} ist keine Basis von {0}, da linear abhängig!(1) Für v ∈ Rn∗ ist {v} eine Basis der Geraden Rv = L({v}).(2) Sind u, v linear unabhängig, so ist {u, v} eine Basis der Ebene Ru+ Rv = L({u, v}).(3) {e1, . . . , en} ist eine Basis des Vektorraums Rn, die kanonische Basis.

Linear unabhängige Mengen kann man schrittweise zu neuen erweitern, indem man Vektorenhinzunimmt, die noch nicht in der linearen Hülle der gegebenen Menge liegen:

2.6.9 Lemma. (Unabhängigkeitslemma)Eine nichtleere Teilmenge B eines Vektorraums V ist genau dann linear unabhängig, wenn fürein bzw. jedes b ∈ B die Menge B \ {b} linear unabhängig ist und b nicht in L(B \ {b}) liegt.

Denn ist dies für ein b ∈ B erfüllt, so folgt für paarweise verschiedene v1, ..., vk ∈ B mit v1 = baus

∑kj=1 rj vj = 0 erst r1 = 0 (sonst läge b = v1 =

∑kj=2

−rj

r1vj in L(B \ {b}) und dann

r2 = ... = rk = 0 aufgrund der linearen Unabhängigkeit von v2, ..., vk. Umgekehrt ist natürlichjede Teilmenge einer linear unabhängigen Menge wieder linear unabhängig, und keiner ihrerVektoren kann eine Linearkombination der anderen sein. 2

2.6.10 Definition. (Dimension)Für einen Vektorraum V heißt die kleinste natürliche Zahl m mit der Eigenschaft, daß je m+1Vektoren aus V linear abhängig sind, Dimension von V ; sie wird mit dimV bezeichnet.

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KAPITEL 2. VEKTORRECHNUNG 30

Jeder m–dimensionale Vektorraum enthält definitionsgemäß eine m–elementige, aber keine(m+1)–elementige linear unabhängige Teilmenge.

2.6.11 Beispiele. Da der Rn die n-elementige kanonische Basis hat, ist seine Dimension, wieerwartet, gleich n. Die Dimensionsangaben für den Nullraum, Geraden, Ebenen und Hyper-ebenen aus Abschnitt 2.5 sind im Einklang mit dem neuen, allgemeineren Dimensionsbegriff.

Aus dem Unabhängigkeitslemma folgt induktiv:

2.6.12 Satz. (Basis–Ergänzungssatz)Jede linear unabhängige Teilmenge eines Erzeugendensystems Z des Vektorraums V lässt sichzu einer in Z enthaltenen Basis von V erweitern. Somit hat jeder Vektorraum eine Basis.

Aber solche Basen sind keineswegs eindeutig bestimmt! Mit Hilfe des Unabhängigkeitslemmasund des Basis-Ergänzungssatzes zeigt man:

2.6.13 Satz. (Basis–Charakterisierungssatz)Für eine beliebige Teilmenge B eines m-dimensionalen Vektorraums V sind äquivalent:

(a) B ist eine Basis.(b) B ist ein minimales Erzeugendensystem von V .(c) B ist ein m–elementiges Erzeugendensystem von V .(d) B ist eine maximal linear unabhängige Teilmenge von V .(e) B ist eine m–elementige linear unabhängige Teilmenge von V .(f) Jedes v ∈ V hat eine eindeutige Darstellung als Linearkombination von Vektoren aus B.

2.6.14 Folgerungen. (Dimension und Basen)(1) Ein Vektorraum ist genau dann m–dimensional, wenn er eine Basis mit m Elementenbesitzt, und dann hat jede seiner Basen genau m Elemente.(2) Für beliebige Unterräume U,W eines Vektorraumes V folgt aus U⊆W und dimU = dimWbereits U = W .

Zu jeder Menge von Unterräumen eines festen Vektorraumes gibt es einen größten Unterraum,der in all diesen Unterräumen enthalten ist, nämlich deren Durchschnitt, aber auch einenkleinsten Unterraum, der all diese Unterräume umfasst, den sogenannten Summenraum.

2.6.15 Definition. (Summen von Unterräumen)Für Unterräume U1, ..., Uk eines Vektorraums V heißt

U1 + ...+ Uk := {u1 + ...+ uk | uj ∈ Uj für i ∈ k}

die Summe der Unterräume U1, ..., Uk.

Ähnlich wie Satz 2.6.6 beweist man:

2.6.16 Folgerung. (Summenraum als lineare Hülle)Für Unterräume U1, ..., Uk eines Vektorraums V ist U1 + ...+ Uk = L(U1 ∪ ... ∪ Uk).

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KAPITEL 2. VEKTORRECHNUNG 31

2.6.17 Definition. (Direkte Summen)Ein Vektorraum V heißt direkte Summe der Unterräume U1, ..., Uk,

V = U1 ⊕ ...⊕ Uk,

falls V = U1 + ...+Uk gilt und aus u1 + ...+ uk =0 mit uj ∈ Uj (j ∈ m) u1 = ... =uk =0 folgt.

2.6.18 Satz. (Charakterisierung direkter Summen)Für Unterräume U1, ..., Uk eines Vektorraums V sind äquivalent:

(a) V ist direkte Summe der Uj.(b) Jedes v ∈ V ist eindeutig darstellbar als v = u1 + ...+ uk mit uj ∈ Uj.(c) Ist Bj eine Basis von Uj (j ∈ k), so ist B1 ∪ ... ∪Bk eine Basis von V .(d) V = U1 + ...+ Uk und dimV = dimU1 + ...+ dimUk.

Die Implikationskette (a)⇒(b)⇒(c)⇒(d)⇒(a) ist leicht nachzuprüfen.

2.6.19 Beispiel. Für jede Basis B = {b1, ..., bm} eines Vektorraums V ist dieser die direkteSumme der Geraden R bj (j ∈ m): V = R b1 ⊕ ...⊕ R bm.

2.6.20 Definition. (Komplemente)Ist ein Vektorraum V direkte Summe zweier Unterräume U und W , d. h. V = U + W und{0} = U ∩W , so heißt W Komplement von U in V .

Aus dem Basis–Ergänzungssatz folgt:

2.6.21 Folgerung. (Existenz von Komplementen)Zu jedem Unterraum U eines Vektorraums V gibt es mindestens ein Komplement.

2.6.22 Beispiele. Komplemente sind fast nie eindeutig; z. B. ist im R2 jede Gerade durch 0Komplement jeder anderen. Allgemein ist jede Hyperebene durch 0 , die eine gegebene GeradeRv nicht enthält, ein Komplement derselben, und umgekehrt.

Sehr wichtig und nützlich ist die folgende Gleichung für Dimensionen:

2.6.23 Satz. (Dimensionsformel)Für je zwei Unterräume U und W eines Vektorraumes V gilt die Dimensionsformel:

dimU + dimW = dim(U +W ) + dim(U ∩W ).

Beweis. Wir wählen je ein Komplement U1 von U ∩W in U und ein Komplement W1 von Uin U +W . Dann ist

U +W = (U ∩W )⊕ U1 ⊕W1, also dim(U +W ) = dim(U ∩W ) + dimU1 + dimW1.

Für die Dimensionen folgt

dimU = dim(U ∩W ) + dimU1, dimW = dim(U ∩W ) + dimW1,

dimU+dimW = dim(U∩W )+dim(U∩W )+dimU1+dimW1 = dim(U∩W )+dim(U+W ).

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KAPITEL 2. VEKTORRECHNUNG 32

2.6.24 Beispiele. (Schnitte von Ebenen)(1) Schneiden sich die Ebenen E und F des Raumes R3 in der Geraden G, so gilt

dimE + dimF = 2 + 2 = 4 = 3 + 1 = dimR3 + dimG = dim(E + F ) + dim(E ∩ F ).

(2) Im R4 kann es vorkommen, dass sich zwei Ebenen im Nullpunkt schneiden! Das passiertgenau dann, wenn sie Komplemente voneinander sind, etwa E = R e1+R e2 und F = Re3+R e4.

2.6.25 Definition. (Orthogonalräume)Für A ⊆ Rn definiert man den Orthogonalraum durch

A⊥ := {b ∈ Rn | a · b = 0 für jedes a ∈ A}.

Zwei Teilmengen A, B von Rn heißen zueinander orthogonal, in Zeichen A ⊥ B, falls A ⊆ B⊥bzw. B ⊆ A⊥ gilt, d. h., falls jeder Vektor aus A orthogonal zu jedem Vektor aus B ist.

2.6.26 Beispiel. Die Hyperebene H0 ,w steht senkrecht auf der Geraden Rw:

H0 ,w = {w}⊥ = (Rw)⊥.

2.6.27 Lemma. A⊥ ist für jede Teilmenge A von Rn ein Vektorraum: A⊥ = L(A)⊥ = L(A⊥).

2.6.28 Satz. (Orthokomplementierung)Ist U ein Unterraum von V , so ist U⊥ das einzige Komplement von U , das senkrecht auf Usteht. Die Zuordnung U 7−→ U⊥ ist eine Bijektion zwischen der Menge der m–dimensionalenUnterräume des Rn und der Menge der (n−m)–dimensionalen Unterräume des Rn. Für beliebigeUnterräume U , W von Rn gilt:

dimU + dimU⊥ = n,

U = U⊥⊥,

(U +W )⊥ = U⊥ ∩W⊥,

(U ∩W )⊥ = U⊥ +W⊥.

Besonders bequem ist die Konstruktion von Basen mit Hilfe des Skalarprodukts. Wir verallge-meinern dazu den Begriff der Orthogonal- und Orthonormalbasen auf Unterräume:

2.6.29 Definition. Sei B eine Menge paarweise orthogonaler, von 0 verschiedener Vektorendes Rn und U = L(B). Dann heißt B Orthogonalbasis von U . Gilt außerdem ‖b‖ = 1 für alleb ∈ B, so ist B eine Orthonormalbasis (ONB) von U (vgl. 2.3.12).

2.6.30 Satz. (Orthogonalbasen)Jede Orthogonalbasis ist eine Basis. Ist B = {b1, . . . , bm} eine Orthogonalbasis von U , so läßtsich jeder Vektor u ∈ U eindeutig als Linearkombination u = r1b1 + · · ·+rmbm schreiben, wobeirk = u·bk

bk·bk. Speziell gilt im Falle einer ONB: rk = u · bk.

2.6.31 Beispiel. Einige Orthonormalbasen lassen sich mit der „1–2–3–Regel” konstruieren:Man verteilt je eine Eins, zwei Zweien und drei Dreien auf drei Brüche und setzt z. B.

b1 = (13 ,

23 ,

23), b2 = (2

3 ,13 ,−

23), b3 = (2

3 ,−23 ,

13).