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Uli Reiter Form und Funktion des Krankhaen
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Uli Reiter Form und Funktion des Krankha en€¦ · Pathologie – ein Modalmedium 138 a) Zusätzliche Formgebung 139 b) Formen/Elemente 142 c) Zwischencodierung 143 d) Erleben/Handeln

Dec 14, 2020

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Uli ReiterForm und Funktion des Krankhaften

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»Psyche und Gesellschaft«Herausgegeben von Johann August Schülein

und Hans-Jürgen Wirth

Folgende Titel sind u.a. in der Reihe »Psyche und Gesellschaft« erschienen:

Lu Seegers, Jürgen Reulecke (Hg.): Die »Generation der Kriegskinder«. Historische Hinter-gründe und Deutungen. 2009.

Christoph Seidler, Michael J. Froese (Hg.): Traumatisierungen in (Ost-)Deutschland. 2009.Hans-Jürgen Wirth: Narcissism and Power. Psychoanalysis of Mental Disorders in Politics.

2009.Hans Bosse: Der fremde Mann. Angst und Verlangen – Gruppenanalytische Untersuchun-

gen in Papua-Neuguinea. 2010.Benjamin Faust: School-Shooting. Jugendliche Amokläufer zwischen Anpassung und

Exklusion. 2010.Jan Lohl: Gefühlserbschaft und Rechtsextremismus. Eine sozialpsychologische Studie zu

Generationengeschichte des Nationalsozialismus. 2010.Markus Brunner, Jan Lohl, Rolf Pohl, Sebastian Winter (Hg.): Volksgemeinschaft, Täter-

schaft und Antisemitismus. 2011.Hans-Jürgen Wirth: Narzissmus und Macht. Zur Psychoanalyse seelischer Störungen in

der Politik. 4., korrigierte Auflage 2011.Oliver Decker, Christoph Türcke, Tobias Grave (Hg.): Geld. Kritische Theorie und Psycho-

analytische Praxis. 2011.Johann August Schülein, Hans-Jürgen Wirth (Hg.): Analytische Sozialpsychologie. Klassi-

sche und neuere Perspektiven. 2011.Antje Haag: Versuch über die moderne Seele Chinas. Eindrücke einer Psychoanalytikerin.

2011.Tomas Böhm, Suzanne Kaplan: Rache. Zur Psychodynamik einer unheimlichen Lust und

ihrer Zähmung. 2., ergänzte Auflage 2012.Markus Brunner, Jan Lohl, Rolf Pohl, Marc Schwietring, Sebastian Winter (Hg.): Politi-

sche Psychologie heute? Themen, Theorien und Perspektiven der psychoanalyti-schen Sozialforschung. 2012.

Thomas Auchter: Brennende Zeiten. Zur Psychoanalyse sozialer und politischer Konflikte. 2012.

Hartmut Radebold (Hg.): Kindheiten im Zweiten Weltkrieg und ihre Folgen. 3. Aufl. 2012.Helmut Dahmer (Hg.): Analytische Sozialpsychologie. Texte aus den Jahren 1910–1980, 2

Bände. 2013.David Tuckett: Die verborgenen psychologischen Dimensionen der Finanzmärkte. Eine

Einführung in die Theorie der emotionalen Finanzwirtschaft. 2013.Lea Schumacher, Oliver Decker (Hg.): Körperökonomien. Der Körper im Zeitalter seiner

Handelbarkeit. 2014.Jan Lohl, Angela Moré (Hg.): Unbewusste Erbschaften des Nationalsozialismus. Psycho-

analytische, sozialpsychologische und historische Studien. 2014.Burkard Sievers (Hg.): Sozioanalyse und psychosoziale Dynamik von Organisationen. 2015.

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Psychosozial-Verlag

Uli Reiter

Form und Funktion des Krankhaften

Pathologie als Modalmedium

Mit einem Vorwort von Peter Fuchs

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Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Originalausgabe© 2016 Psychosozial-Verlag

Walltorstr. 10, D-35390 GießenFon: 06 41 - 96 99 78 - 18; Fax: 06 41 - 96 99 78 - 19

E-Mail: [email protected]

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet,

vervielfältigt oder verbreitet werden.Umschlagabbildung © Uli Reiter: »Blatt 22«aus der Reihe »Organic 2«, 2015.

Umschlaggestaltung und Innenlayout nach Entwürfen von Hanspeter Ludwig, Wetzlarwww.imaginary-world.de

ISBN 978-3-8379-2545-6

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Inhalt

Dank 7

Vorwort 9

I. Einleitung 13

II. Pathologie: eine kurze Wortgeschichte 21

III. Irritation und Information, Normalität und Abweichung 27

IV. Historische Bedeutungen von Krankheit und Vorformen der Pathologisierung sozialer Systeme 37

Stammes- und Stadtgesellschaften 38Schichtgesellschaften 46Funktionale Gesellschaft 52Zusammenfassung 62

V. Metaphorik 67Metaphorisierung 68Sinnwidrigkeit und Negation 74Mechanismus, Organismus, Organisation – und Krankheit 81

VI. Pathologisierung sozialer Systeme 87Im Übermaß: abschätziges Messen 89Projektion: Verkörperlichung und Psychisierung 96Projektion: Zeit und Tod 100Gestörtheit: Störung der Entstörung der Störung 106Die Paradoxie der Pathologie 113Wertung, Moralisierung und Diskriminierung 119

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Inhalt

VII. Pathologie als Modalmedium 123Kommunikationsmedien 124Modalmedien 129a) Zusätzliche Formgebung 130b) Form/Element 132c) Erschließung von Modalmedien 137

Pathologie – ein Modalmedium 138a) Zusätzliche Formgebung 139b) Formen/Elemente 142c) Zwischencodierung 143d) Erleben/Handeln 145

VIII. Funktion und Formen der Pathologie 153Funktionsbestimmung Teil I 154Funktionsbestimmung Teil II 161Äquivalente und ähnliche Problemlösungen 164Formen der Pathologie 168

IX. Pathologisierungen der Massenmedien 175Massenmedien als Funktionssystem 176Voraussetzbarkeit und Erneuerbarkeit 183»Die öffentliche Meinung ist krank geworden« 187Inflation und Deflation 190Wie die Pest: Literatur warnt vor sich selbst 191Statistische Depression 193Viralität 202a) Einleitung 202b) Information und Kommunikation 205c) Memetik 208d) Bezugsprobleme der Viralität 210e) Viralität als Modalmedium 212f ) Virales Marketing: die Brauchbarkeit der Viralität 215

X. Zu guter Letzt: Dezisitis 223

XI. Literatur 225

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Dank

Das vorliegende Buch wurde durch eine Diskussion im Online-Institut ›Allgemeine Theorie des Sinnsystems‹ angeregt.1 Ich bedanke mich bei allen, die durch ihre Postings dazu beitrugen, dass ich mich intensiver mit der Frage nach dem Warum und Wie der Pathologisierung des Sozialen zu beschäftigen begann.

Ein besonderer Dank geht an den Verfasser des Vorwortes P. Fuchs, der außerdem das Projekt mit kritischer Lektüre begleitete.

1 Das Institut verfolgt das Ziel, die Systemtheorie, »die wesentlich mit dem Namen Ni-klas Luhmann verknüpft ist, abzuklopfen auf die Möglichkeiten ihres Ausbaus, ihrer Weiterentwicklung, aber auch: auf die Chancen ihrer pragmatischen Nutzung« (iATS, 2016).

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Vorwort

Mit diesem Buch hat Uli Reiter ein Buch vorgelegt, das einerseits besticht durch seinen kundigen Umgang mit Systemtheorie, andererseits durch einen für ihn typischen Detail- und Verweisungsreichtum, mit dem es ge-lingt, die ungemein abstrakte Theorie, deren Abstraktionen oft als ›luftig‹, als Resultate eines Glasperlenspiels, einer Grund- und Bodenlosigkeit ge-scholten werden, im genauesten Sinne: auszunutzen und aufzufüttern mit Möglichkeiten für ›sachhaltige‹ Analysen.

Uli Reiters Denktechnik ist dennoch nicht auf Applikation, auf Praxis, auf Anwendbarkeit bezogen; sie ist vielmehr durch eine Beobachtungsform gekennzeichnet, die in der Systemtheorie Beobachtung zweiter Ordnung genannt wird. Diese Form des Weltkontaktes nimmt die Bereichs-Ontolo-gie sich selbst beobachtender Systeme gleichsam wörtlich, aber beobachtet sie mit dem Einsatz von Unterscheidungen, die die Gründe der historischen und semantischen Selbstfestlegungen in ihrer Funktionalität mitbeobach-ten. Erneut in der Sprache der Theorie: Reiter setzt an die Stelle des einfa-chen Hinnehmens von faktisch Gegebenen – Kontingenz. Wie in seinem Buch Lärmende Geschenke zeigt er, dass er über die Gabe einer fremden Sicht verfügt, über – mit Paul Valéry – »le don de vision étrange«.

Dabei schafft er es auf eine für mich imposante Weise, die Verletzungs-gefahr, die nicht selten mit der Beobachtung zweiter Ordnung zusammen-hängt, zu vermeiden. Er weidet sich nicht an einem Opfer, als das die Pa-thologie, das Pathologische, das Pathologisierende leicht hätten erscheinen können. Im Spiel ist nicht: Besser Wissen, Zynismus, Sarkasmus. Was sich allenfalls findet, ist eine gelinde Ironie, die die Vulnerabilität der beobach-

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Vorwort

teten Phänomene anspielt, aber nicht so, dass das Ironische ins Polemische oder Polemogene, also in die Freude am ›Kriegserzeugenden‹ umkippen würde. Schließlich hat man es mit ›Erscheinungen‹ und ihren je eigenen Strukturen und Prozessen zu tun, und nicht mit Nichts, und es geziemt sich, sie ernst zu nehmen.

Im Zentrum der Studie steht das Projekt einer Transkription (in meiner Sprache: einer Umschrift), in der Pathologie – summa summarum – aus ihrer zunächst direkten Referenz auf defekte Körper, auf defekte Psychen herausgenommen und auf soziale Attributionsprozesse bezogen wird. Sehr früh schon kommt es in der uns zugänglichen Geschichte dazu, dass nicht-körperliche Störungen als Krankheiten aufgefasst werden, dies dann in der Form einer Analogie. Aber mehr und mehr wird auch die Chance verfüg-bar, mit dem Index ›pathologisch‹ soziale Systeme zu pathologisieren – auf den Systemebenen der Interaktion, der Organisation, der Gesellschaft. Aus ›krank‹ wird dann ›krankhaft‹ im Sinne einer pejorativen Strategie.

Die Konditionierungen dieser Strategien werden analysiert mit den Mitteln der Systemtheorie, was immer auch heißt, ein geläufiges Thema gegen den Strich zu bürsten. Schließlich ist es keineswegs unbekannt, dass die Zurechnung auf Krankheit in fungierenden Metonymien auf soziale Einheiten verschoben werden kann. Ausdrücke für das Soziale waren aber instruiert durch die Idee, dass es wesenhaft an Individuen geknüpft sei, die aggregiert würden etwa im Verständnis einer Kollektivität.

Diese Aggregation erschien superplausibel und war eingebettet in das Paradigma von Ganzem und Teil: Ein Dorf, ein Stamm, eine Provinz, ein Reich, ein Imperium … entsprachen der Addition von Teilen, eben der Menschen, und selbst die Himmel setzten sich aus Göttern zusammen, und wenn nur ein Gott bezeichnet werden konnte, so hatte er eine dienende Hierarchie eingerichtet, in der die (Erz)Engel, die Heiligen, die Erlösten etc. Partikel waren. Die von ihm Verworfenen hausten als ewig quälbare Teile in der Hölle.

Pathologisierungen waren demnach ausgerichtet an anthropomorphen Projektionen. Soziales war krank bzw. krankhaft, wenn die Menschen, aus denen es gebildet war, in Massen vom ordentlichen Weg der Dinge, also de via gingen und damit deviant wurden. Diese Imaginationen finden sich nach wie vor, alltäglich ohnehin, aber auch in der Soziologie, jedenfalls dann, wenn die soziale Welt dividiert wird durch ›Subjekte‹, die sie irgendwie herstellen.

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Vorwort

Hier setzt Uli Reiter an, indem er auf die allgemeine Systemtheorie Niklas Luhmanns zugreift: Soziale Systeme beinhalten nichts Menschli-ches, sie reproduzieren Kommunikationen und nothing else. Das schließt nicht aus, dass Konditionierungen im Spiel sind, Restriktionen, Zeitfixie-rungen, das Dauern von Strukturen und Systemen, die mögliche Kom-plexität reduzieren – in je historischer Formatierung verbunden mit ent-sprechenden Semantiken und Metaphern. Diese Formate werden in dieser Studie an archaischen, segmentären, geschichteten Sozialordnungen unter-sucht. Danach kommt funktionale Differenzierung ins Spiel, die epochale (in wenigen Jahrhunderten sich vollziehende) ›Entgültigung‹ bis dahin geltender Sozialontologien. Dazu liefert Uli Reiter eine originelle Geno-grammatik.

Begriffliche Feinarbeit wird geleistet vor allem in den Kapiteln VIff. Es ist im Rahmen eines Vorwortes ausgeschlossen, die Opulenz dieser Ana-lysen vorzuführen, die in ihrer Präzision und Kreativität, aber auch in der Beherrschung stilistischer Mittel nicht nur wissenschaftliches, sondern auch intellektuelles Vergnügen bereiten – natürlich auch dem Autor dieses Vorworts, dem viel daran liegt, dass die Leistungsfähigkeit des Webewerks von ›Begriffsbegriffen‹ der Systemtheorie erwiesen wird.

Das ist Uli Reiter gelungen: à la bonne heure!

Peter Fuchs

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I. Einleitung

»Nehmen wir die Haltung eines Arztes an, der versucht, eine wis-senschaftliche Diagnose der Krankheit zu geben, an der wir alle leiden. Daß die menschliche Gesellschaft krank ist, steht außer Zweifel.«

Mannheim (1951, S. 9)

Das Zitat des Soziologen und Philosophen Karl Mannheim weist drei ty-pische Aspekte des Phänomens auf, um das es in diesem Buch gehen wird. Soziale Systeme, in diesem Fall die Gesellschaft, werden zum einen so dar-gestellt, als ob sie Körper oder Psychen wären, die erkranken könnten. Im zweiten Schritt werden diese pathologisierenden Unterstellungen als unbe-zweifelbare, weil wissenschaftlich diagnostizierte Tatsachen mit universeller Gültigkeit behauptet. Im dritten Schritt, der dann nahezu zwingend aus den ersten beiden folgt, geht es um die Erzeugung von Sonderbedingungen für oft einschneidende Behandlungsmaßnahmen, die auf irgendeine Weise Hei-lung oder Besserung des auf diese Weise Pathologisierten in Aussicht stellen.

Der soziologische Laie denkt bei Pathologie, zumindest sofern er ein Krimiexperte ist, an unterkühlte Leichenhallen und an die Suche nach Spuren und Indizien an und in nicht mehr lebenden Körpern in Romanen und Filmen – meist durchgeführt von mehr oder weniger skurril angeleg-ten literarischen Figuren.

Der soziologische Experte denkt dagegen bei Pathologie, sobald sie in Kombination mit Kommunikation vorkommt und je nachdem, welcher The-orie er zuzuordnen ist, entweder an eine Art Defektologie des Sozialen, also an Fehlentwicklungen, Gestörtheiten oder Dysfunktionalitäten der Gesellschaft. Oder er macht den systemtheoretisch orientierten Versuch, Pathologie als Lösung eines gesellschaftlichen Problems zu erschließen. »Auch das noch«, ist man vielleicht versucht auszurufen, »dieser systemtheoretische Problemlö-sungs- und Abstraktionswahn, das ist ja krankhaft« – und wäre damit schon beim brisanten Spiel kommunikativer Pathologisierung angelangt.

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