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Lehrstuhl II f¨ ur Mathematik Prof. Dr. Eberhard Triesch Diskrete Mathematik I Die Mathematik von Paul Erd˝os Skript zur Vorlesung Diskrete Mathematik
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Prof. Dr. Eberhard Triesch - math2.rwth-aachen.de · Einleitung Die Diskrete Mathematik ist die Mathematik der endlichen (evtl. noch abz ahlbar unend-lichen) Mengen. " Diskret\ bezeichnet

Aug 23, 2019

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Lehrstuhl II fur Mathematik

Prof. Dr. Eberhard Triesch

Diskrete Mathematik IDie Mathematik von Paul Erdos

Skript zur Vorlesung Diskrete Mathematik

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Einleitung

Die Diskrete Mathematik ist die Mathematik der endlichen (evtl. noch abzahlbar unend-lichen) Mengen.

”Diskret“ bezeichnet dabei den Gegensatz zu

”kontinuierlich“.

Die Fragestellungen der Diskreten Mathematik haben in den letzten 60 Jahren stetig anBedeutung zugenommen, u.a. weil die Diskrete Mathematik eine Grundlagenwissenschaftfur die Informatik ist, aber auch weil viele Optimierungsprobleme von wirtschaftlicherRelevanz sogenannte kombinatorische Optimierungsprobleme sind, zu deren Losung einVerstandnis der zugrunde liegenden endlichen Strukturen benotigt wird. (Die Fakultatfur Wirtschaftswissenschaften der RWTH hat zwei Lehrstuhle mit Mathematikern be-setzt, die im Bereich kombinatorische Optimierung habilitiert haben.)Die Vorlesung hat diesmal einen Untertitel:

”Die Mathematik von Paul Erdos“ - anlasslich

des 100. Geburtstages eines der bedeutendsten Mathematikern des 20. Jahrhunderts. Erhat mit seinen uber 1500 Veroffentlichungen und vielleicht mehr noch mit seinen vielenFragen und ungelosten Problemen mehr als jeder andere zur Entwicklung der DiskretenMathematik beigetragen. Grund genug, in dieser Vorlesung immer wieder auf seine Bei-trage zu sprechen zu kommen.Die Voraussetzungen fur die Vorlesung sind eher gering: etwas Lineare Algebra und Ana-lysis, sowie elementare Wahrscheinlichkeitsrechnung sollten genugen.

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Inhaltsverzeichnis

1 Grundlagen der Kombinatorik 41.1 Elementare Zahlprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41.2 Fundamentale Zahlkoeffizienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

2 Existenzaussagen 15

3 Erzeugende Funktionen 333.1 Lineare Differenzengleichungen mit konstanten Koeffizienten . . . . . . . . . 333.2 Partitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

4 Die Inzidenzalgebra 554.1 Einfuhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 554.2 Das Prinzip von Inklusion und Exklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 604.3 Reduzierte Algebra und erzeugende Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . 63

5 Abzahlen von Isomorphieklassen 72

6 Hypergraphen 806.1 Sperner Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80

6.1.1 Der Satz von Erdos-Ko-Rado . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 846.1.2 Der Satz von Kruskal-Katona . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86

6.2 Uber eine Vermutung von Borsuk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92

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1 Grundlagen der Kombinatorik

1.1 Elementare Zahlprinzipien

Wir wollen die Kardinalitat gewisser Mengen bestimmen, z.B.:Es sei N := {1, . . . , n}. Wie viele Elemente enthalt die Potenzmenge

(2N)

von N?Die Antwort ist sicher noch aus dem ersten Semester bekannt und lautet

|2N | = 2|N | = 2n.

Wir beweisen dies durch vollstandige Induktion nach n, wobei der Fall n = 0 bzw. n = 1klar ist:

|2∅| = |{∅}| = 1 = 20 = 2|∅|,

bzw.|2{1}| = |{∅, {1}}| = 2 = 21 = 2|{1}|.

Beim Induktionsschluss von n− 1 auf n zerlegen wir 2N disjunkt in zwei Teilmengen

2N = {X ⊆ N : n /∈ X}︸ ︷︷ ︸=:M1

∪ {X ⊆ N : n ∈ X}︸ ︷︷ ︸=:M2

.

Offenbar ist M1 = 2{1,...,n−1}, also nach Induktionsvoraussetzung |M1| = 2n−1. Anderer-seits gilt

|M2| = | {X \ {n} : X ∈M2}︸ ︷︷ ︸=M1

| = |M1|,

also 2n = 2n−1 + 2n−1 = |M1|+ |M2|.In diesem Beweis haben wir zwei elementare Zahlprinzipien benutzt, die wir uns nocheinmal bewusst machen wollen.

Satz 1.1 (Zahlprinzipien)Seien M , Mi fur i = 1, . . . , k und S endliche Mengen.

1. Summenregel:Falls M = M1 ∪ . . . ∪Mk eine disjunkte Vereinigung ist, so gilt auch

|M | =k∑i=1

|Mi|.

2. Gleichheitsregel:Falls eine Bijektion f : M → S existiert, so ist |M | = |S|.

3. Produktregel:Falls M = M1 × . . .×Mk (kartesisches Produkt), so gilt

|M | =k∏i=1

|Mi|.

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1.1 Elementare Zahlprinzipien 5

Bemerkungen:

• Im obigen Beweis ist”X 7→ X \ {n}“ eine Bijektion von M2 auf M1.

• Auch die Produktregel hatten wir verwenden konnen, um die Potenzmenge ab-zuzahlen. Ist Mi := {0, 1} fur i = 1, . . . , n, so ist naturlich |M1 × . . . ×Mk| = 2n

und”(x1, . . . , xn) 7→ {i : xi = 1}“ eine Bijektion von M1 × . . .×Mk auf 2N .

Beispiel:Es sei d(n) die Anzahl der Teiler der naturlichen Zahl n. Offensichtlich schwankt d(n)stark, je nachdem wie die Primfaktorzerlegung von n aussieht. Ist n = pα1

1 pα22 . . . pαrr mit

p1, . . . , pr prim, αi ≥ 1 fur i = 1, . . . , r, so ist die Anzahl der Teiler

d(n) = (α1 + 1)(α2 + 1) . . . (αr + 1).

Dies folgt aus dem Satz uber die eindeutige Primfaktorzerlegung:Jeder Teiler d von n hat eine eindeutige Zerlegung

d = pβ11 . . . pβrr , 0 ≤ βi ≤ αi, 1 ≤ i ≤ r.

Somit ist”pβ11 . . . pβrr 7→ (β1, . . . , βr)“ eine Bijektion von {d : d teilt n} auf {0, 1, . . . , α1}×

{0, 1, . . . , α2} × . . .× {0, 1, . . . , αr}.Frage: Welche Zahlen haben eine ungerade Anzahl von Teilern?

Satz 1.2 (Zahlprinzipien (Fortsetzung))This script is awesome!4. Regel vom doppelten Abzahlen:

Ist A = (ai j)1≤i≤m, 1≤j≤n eine Matrix, so gilt

m∑i=1

(n∑j=1

ai j

)=

n∑j=1

(m∑i=1

ai j

),

d.h. die Summe der Zeilensummen ist gleich der Summe der Spaltensummen.

Beispiel:Wir interessieren uns fur die durchschnittliche Anzahl von Teilern einer naturlichen Zahln, also fur

d(n) :=1

n

n∑k=1

d(k).

Wir definieren eine n× n-Matrix A vermoge

ai j =

{1 , falls i | j0 , sonst.

Dann giltn∑i=1

ai j = d(j), also

n∑j=1

n∑i=1

ai j =n∑j=1

d(j) = n d(n).

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6 1 Grundlagen der Kombinatorik

Andererseits giltn∑j=1

ai j = |{j : 1 ≤ j ≤ n, i | j}| =⌊ni

⌋,

mit bac := max{n |n ∈ Z, n ≤ a} und dae := min{n |n ∈ Z, n ≥ a} fur a ∈ R.Es folgt mit αi := n

i−⌊ni

⌋∈ [0, 1)

d(n) =1

n

n∑i=1

⌊ni

⌋=

1

n

n∑i=1

(ni− αi

)=

n∑i=1

1

i− 1

n

n∑i=1

αi,

also (n∑i=1

1

i

)− 1 < d(n) ≤

n∑i=1

1

i,

ein relativ prazises Resultat.

Die Große Hn :=n∑i=1

1i

heißt n-te Harmonische Zahl. Es gilt

limn→∞

(Hn − log(n)) = γ,

dabei ist γ := 0, 5772 . . . die Euler-Mascheroni-Konstante.

Beispiel: (Aufgabe aus der Internationalen Mathematik Olympiade (IMO) von 1987)Es sei Sn := {π : {1, . . . , n} → {1, . . . , n}, π bijektiv} die (Gruppe der) Permutationender Zahlen 1, 2, . . . , n.Ein Element j ∈ {1, . . . , n} heißt Fixpunkt von π ∈ Sn g.d.w. π(j) = j.Sei pn(k) die Anzahl der Permutationen in Sn mit genau k Fixpunkten. Zeige

n∑k=0

k pn(k) = n! .

Die rechte Seite der Gleichung sollte uns bekannt vorkommen, denn

n! = |Sn|,

wie man leicht durch Induktion nach n beweist. Wir definieren eine Matrix A wie folgt.Fur jedes Element der Menge {1 . . . , n} nehmen wir eine Spalte und fur jede Permutationπ ∈ Sn eine Zeile, dann seien

aπ, j =

{1 , falls π(j) = j0 , sonst

}= [π(j) = j].

Dabei bezeichnet fur eine Aussage A das Iverson-Symbol

[A] :=

{1 , falls A wahr0 , sonst.

Also gilt ∑π∈Sn

n∑j=1

[π(j) = j] =∑π∈Sn|{j : π(j) = j}| =

n∑k=1

k pn(k).

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1.2 Fundamentale Zahlkoeffizienten 7

Es bleibt zu klaren: Was ist∑π∈Sn

[π(j) = j] fur festes j ?

Die Antwort lautet: Die Anzahl der Permutationen mit j als Fixpunkt, also die Anzahlder Permutationen von {1, . . . , n} \ {j}, also (n− 1)! . Somit ist

n∑j=1

∑π∈Sn

[π(j) = j] =n∑j=1

(n− 1)! = n! .

1.2 Fundamentale Zahlkoeffizienten

Aus dem ersten Semester sind die Binomialkoeffizienten

(nk

)bekannt. Es gilt(

nk

)= | {A ⊆ {1, . . . , n} =: N : |A| = k}︸ ︷︷ ︸

=:

Nk

|.

Dabei ist

(nk

)=n(n− 1) · · · (n− k + 1)

k!=

n!

k! (n− k)!.

Fur N := {1, . . . , n} und K := {1, . . . , k} sei Inj(K,N) := {f : K → N : f injektiv}. Je-des f ∈ Inj(K,N) kann auf genau (n−k)! Weisen zu einer Permutation von N fortgesetztwerden, also

|Inj(K,N)| · (n− k)! = n!

und somit|Inj(K,N)| = n(n− 1) · · · (n− k + 1) =: nk.

Die Zahlen nk heißen die fallenden Faktoriellen (von n der Lange k).Die moglichen Wertebereiche fur ein f ∈ Inj(K,N) sind genau die Mengen aus

(Nk

).

Daraus ergibt sich

|Inj(K,N)| =(n

k

)· k!,

also ein Beweis fur die Formel(nk

)=nk

k!. Die bekannte Rekursion, die dem Pascalschen

Dreieck zugrunde liegt, also (n

k

)=

(n− 1

k − 1

)+

(n− 1

k

),

zeigen wir wie folgt: (N

k

)=

(N \ {n}

k

)∪{A ∈

(N

k

): n ∈ A

}und

”A 7→ A\{n}“ ist eine Bijektion zwischen

{A ∈

(Nk

): n ∈ A

}und

(N\{n}k−1

). Naturlich

gilt der

Satz 1.3 (binomischer Lehrsatz)

Seien x, y ∈ R und n ∈ N0, so gilt (x+ y)n =n∑k=0

(n

k

)xk yn−k.

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8 1 Grundlagen der Kombinatorik

Ergibt sich beim Ausmultiplizieren von (x+y)(x+y) · · · (x+y) der Faktor xk yn−k, so kannman auf genau

(nk

)Weisen die Klammern auswahlen, aus denen der Faktor x genommen

wird.Der Ausdruck (

x

k

)=x(x− 1) · · · (x− k + 1)

k!

kann naturlich auch fur x ∈ R ausgewertet werden. x konnte auch eine Variable sein, alsoist(xk

)ein Polynom in x.

Interessant ist auch die sogenannte

Satz 1.4 (Vandermonde-Identitat)Seien x, y ∈ R und n ∈ N0, so gilt(

x+ y

n

)=

n∑k=0

(x

k

)(y

n− k

). (1.1)

Beweis: Es seien zunachst x, y ∈ N0. Wir wahlen disjunkte Mengen X, Y mit |X| = xund |Y | = y. Dann gilt ∣∣∣∣(X ∪Yn

)∣∣∣∣ =

(x+ y

n

).

Jedes A ∈(X ∪Yn

)entsteht durch Vereinigung von zwei Mengen B und C mit B ⊆ X,

C ⊆ Y und |B|+ |C| = n, also∣∣∣∣(X ∪Yn)∣∣∣∣ =

n∑k=0

∣∣∣∣(Xk)∣∣∣∣ · ∣∣∣∣( Y

n− k

)∣∣∣∣,woraus die Behauptung folgt.Die Vandermonde-Identitat gilt auch, falls die auftretenden Binomialkoeffizienten als Po-lynome aufgefasst werden. Zwei Polynome vom Grad n in einer Variablen, die an n + 1Stellen ubereinstimmen, sind identisch. Ist x eine Variable und y ∈ N beliebig aber fest,so stimmen die beiden Polynome auf der linken und rechten Seite von (1.1) an unendlichvielen Stellen uberein, sind also identisch. Nun fasst man die beiden Seiten von (1.1) alsPolynome in (Q[x])[y] auf, die dann auch wieder an unendlich vielen Stellen der Variabley ubereinstimmen. �

Die Vandermonde-Identitat liefert ein Analogon zum binomischen Lehrsatz fur die fallen-den Faktoriellen, wenn wir mit n! multiplizieren.

Satz 1.5

Seien x, y ∈ R und n ∈ N0, so gilt (x+ y)n =n∑k=0

(n

k

)xkyn−k.

Beweis:

(x+ y)n = n!

(x+ y

n

)=

n∑k=0

n!xk

k!

yn−k

(n− k)!=

n∑k=0

(n

k

)xkyn−k.

Mit xk := x(x + 1) · · · (x + k − 1) bezeichnet wir die steigenden Faktoriellen (von x der

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1.2 Fundamentale Zahlkoeffizienten 9

Lange k). Es gilt

(−x)k = (−x)(−x− 1) · · · (−x− k + 1)

= (−1)k(x)(x+ 1) · · · (x+ k − 1)

= (−1)kxk,

also auch (−x)k = (−1)kxk. Nun folgt

(x+ y)n = (−1)n · (−(x+ y))n

= (−1)n · ((−x) + (−y))n

= (−1)n ·n∑k=0

(n

k

)(−x)k(−y)n−k

= (−1)n ·n∑k=0

(n

k

)(−1)kxk(−1)n−kyn−k

=n∑k=0

(n

k

)xkyn−k.

Steigende Faktorielle treten auf bei der Abzahlung von Multimengen. Formal ist eineMultimenge (uber einer Menge N) ein Paar A := (N,µ), wobei µ : N → N0 angibt, wieoft die Elemente von N in der Multimenge vorkommen.Beispiel: Sei N = {1, 2, 3, 4}, so ist A := {1, 1, 3, 3, 3, 4} die Multimenge, die durch

µ(1) := 2, µ(2) := 0, µ(3) := 3, µ(4) := 1 gegeben ist. Die Kardinalitat von A ist∑x∈N

µ(x).

Satz 1.6Die Anzahl der Multimengen der Kardinalitat k uber N := {1, . . . , n} sei f(n, k).Dann gilt

f(n, k) =nk

k!=n(n+ 1) · · · (n+ k − 1)

k!=

(n+ k − 1

k

).

Beweis: Die Menge N = {1, . . . , n} hat eine naturliche Ordnung. Ist A eine Multimengeder Kardinalitat k uber N , so konnen wir A eindeutig in der Form A = {1 ≤ a1 ≤ a2 ≤. . . ≤ ak ≤ n} schreiben. Genauer

f(n, k) = | {(a1, a2, . . . , ak) : 1 ≤ a1 ≤ a2 ≤ . . . ≤ ak ≤ n}︸ ︷︷ ︸=:F (n,k)

|.

Die Abbildung”(a1, a2, . . . , ak) 7→ {a1, a2 + 1, . . . , ak + k− 1}“ ist eine Bijektion zwischen

F (n, k) und({1,...,n+k−1}

k

), denn

”{b1 < b2 < . . . < bk} 7→ (b1, b2 − 1, . . . , bk − (k − 1))“ ist

die inverse Abbildung. Also folgt

f(n, k) = |F (n, k)| =(n+ k − 1

k

).

Es sei nun Sn,k die Anzahl der Mengenpartitionen einer n-elementigen Menge in k nicht-leere Teilmengen (Blocke). Die Sn,k heißen die Stirling-Zahlen 2. Art. Es ist S0,0 = 1,

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10 1 Grundlagen der Kombinatorik

S0,k = 0 fur k > 0 und Sn,k = 0 fur k > n.Die Bell-Zahlen Bell(n) sind definiert als

Bell(n) :=n∑k=0

Sn,k.

Sie zahlen die Aquivalenzrelationen auf einer endlichen Menge.

Satz 1.7Fur k, n > 0 gilt:

Sn,k = Sn−1,k−1 + k · Sn−1,k.

Beweis: Es sei P (n, k) die Menge der Partitionen von {1, . . . , n} in k nichtleere Klassen,also |P (n, k)| = Sn,k. Wir zerlegen P (n, k) in die Mengen M1 und M2, wobei M1 := {A ∈P (n, k) : {n} ∈ A}, d.h. das Element n bildet eine Klasse fur sich.Offenbar ist

|M1| = |P (n− 1, k − 1)| = Sn−1,k−1.

Die Partitionen aus M2 konnen wie folgt erzeugt werden:Wahle eine Partition aus P (n−1, k) und fuge das Element n zu einer der k Klassen hinzu.Auf diese Weise entstehen aus jeder Partition aus P (n − 1, k) genau k Partitionen ausM2, also |M2| = k · Sn−1,k. �

Beispiel: Es ist Sn,1 = 1 (n ≥ 1), Sn,2 = 2n−1 − 1 sowie Sn,n−1 =(n2

).

Satz 1.8Fur K := {1, . . . , k}, N := {1, . . . , n} sei Surj(N,K) := {f : N → K : f surjektiv}.Dann gilt:

|Surj(N,K)| = Sn,k · k! .

Beweis: Sn,k ·k! zahlt offenbar die geordneten Mengenpartitionen von N in k Klassen ab,also

Sn,k · k! = | {(A1, . . . , Ak) : {A1, . . . , Ak} ∈ P (n, k)}︸ ︷︷ ︸=:M

|.

Die Abbildung”f 7→ (f−1(1), . . . , f−1(k))“ ist offenbar eine Bijektion von Surj(N,K) auf

M . �

Ubung: Fur die Bell-Zahlen gilt

Bell(n+ 1) =n∑k=0

(n

k

)Bell(k).

Die Stirling-Zahlen 1. Art sn,k sind definiert als die Anzahl der Permutationen von{1, . . . , n} mit k Zyklen.Jeder Permutation π ∈ Sn entspricht ein gerichteter Graph auf N = {1, . . . , n} mit denBogen (i, π(i)), 1 ≤ i ≤ n.Beispiel: Gegeben sei die Permutation π ∈ S9 durch

i 1 2 3 4 5 6 7 8 9π(i) 2 5 3 7 1 4 6 9 8

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1.2 Fundamentale Zahlkoeffizienten 11

und somit ist der dazugehorige gerichtete Graph G(π)

1

2

5 3

8 9

4

7

6

Weil jedes i ∈ N Start- und Zielpunkt genau einer gerichteten Kante ist, zerfallt derGraph in disjunkte Kreis (Zyklen). Diese sind die Zyklen der Permutation.

i

π(i) π2(i)

π3(i)

πl−1(i)

Zyklus der Lange l

Auch hier ist s0,0 = 1, s0,k = 0 (k > 0), sn,0 = 0 fur n > 0 und sn,k = 0 fur k > n. Wirerhalten die folgende Rekursion.

Satz 1.9Fur ganze Zahlen n > 0 und k > 0 gilt

sn,k = sn−1,k−1 + (n− 1) · sn−1,k.

Beweis: Analog zur Rekursion fur Sn,k teilen wir die Menge der Permutationen von{1, . . . , n} mit k Zyklen in zwei disjunkte Teilmengen auf. Zum einen betrachten wir diePermutationen, fur die n ein Fixpunkt ist und zum anderen die ubrigen Permutationen.Die Anzahl der Permutationen von {1, . . . , n} mit k Zyklen und Fixpunkt n entsprichtgenau sn−1,k−1. Die Anzahl der ubrigen Permutationen ist (n−1)·sn−1,k, da wir, ausgehendvon einem π ∈ Sn−1 mit k Zyklen, n vor jedes der n− 1 Elemente setzen konnen.

/

/

/ n

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12 1 Grundlagen der Kombinatorik

Beispiele:Es gilt sn,1 = (n− 1)!, sn,n−1 =

(n2

)und sn,n = 1. Somit folgt

sn,2 = sn−1,1 + (n− 1) · sn−1,2 = (n− 2)! + (n− 1) · sn−1,2,

also

sn,2(n− 1)!

=1

n− 1+

sn−1,2

(n− 2)!

=1

n− 1+

1

n− 2+

sn−2,2

(n− 3)!

= . . .

=1

n− 1+

1

n− 2+ . . .+ 1 = Hn−1,

also sn,2 = (n− 1)! ·Hn−1.Als nachstes Stellen wir uns die Frage: Wie ist der Zusammenhang zwischen den Stirling-Zahlen 1. und 2. Art?Es sei zunachst x ∈ N, X := {1, . . . , x} und

{f : f : N → X} = XN =⋃B⊆X

Surj(N,B),

also

xn =∑B⊆X|Surj(N,B)| =

x∑k=0

∑B⊆X|B|=k

Sn,k k!

=x∑k=0

(x

k

)Sn,k k! =

n∑k=0

(x

k

)Sn,k k! =

n∑k=0

Sn,k xk.

Dies ist auch als Polynomidentitat gultig

xn =∑k=0

Sn,k xk.

Betrachten wir den Vektorraum V = Q[x] uber Q. Die Polynomfolgen

(1, x, x2, x3, . . . , xn, . . .) und (1, x1, x2, x3, . . . , xn, . . .)

sind Basen von V und die Matrix (Sn,k) stellt die Vektoren der ersten Basis als Linear-kombination der 2. Basis dar.Welche Matrix stellt nun die 2. Basis als Linearkombination der ersten dar?

Satz 1.10Sei n ≥ 0 eine ganze Zahl, so gilt

xn =n∑k=0

(−1)n−ksn,k xk.

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1.2 Fundamentale Zahlkoeffizienten 13

Beweis: Wir prufen das Ergebnis durch Induktion nach n.Fur n = 0 ist die Aussage wahr. Sei also n > 0, dann gilt

xn = xn−1 (x− n+ 1)

=n−1∑k=0

(−1)n−1−ksn−1,k xk (x− n+ 1)

=n−1∑k=0

(−1)n−1−k (sn−1,k xk+1 − (n− 1) sn−1,k x

k)

=n∑k=1

(−1)n−ksn−1,k−1 xk +

n−1∑k=0

(−1)n−k(n− 1) sn−1,k xk

= (−1)n−0 (n− 1) sn−1,0︸ ︷︷ ︸=0

x0 +n∑k=1

(−1)n−ksn,kxk + (−1)n−n sn−1,n−1︸ ︷︷ ︸

=1

xn

=n∑k=0

(−1)n−ksn,k xk.

Daraus ergibt sich, dass die unendlichen Dreiecksmatrizen (Sn,k) und(sn,k (−1)n−k

)invers

zueinander sind.Andere

”Basisfolgen“ fur den Vektorraum V liefern andere interessante Beispiele unend-

licher inverser Dreiecksmatrizen. Betrachtet man die V -Basen

(1, x, x2, x3, . . . , xn, . . .) und (1, x+ 1, (x+ 1)2, (x+ 1)3, . . . , (x+ 1)n, . . .),

so lasst sich leicht nachrechnen, dass

(x+ 1)n =n∑k=0

(n

k

)xk und xn = ((x+ 1)− 1)n =

n∑k=0

(n

k

)(−1)n−k(x+ 1)k

gilt.

Definition 1.11 (Basisfolge)Eine Basisfolge fur V = Q[x] ist eine Folge (p0(x), p1(x), . . . , pn(x), . . .) = P von Poly-nomen aus Q[x] mit grad(pn) = n fur alle n (insbesondere: p0(x) 6= 0).

Ist Q = (q0(x), q1(x), . . . , qn(x), . . .) eine zweite Basisfolge, so existieren (eindeutig be-stimmte) Matrizen A = (an,k) und B = (bn,k) mit

pn =∞∑k=0

an,kqk, qn =∞∑k=0

bn,kpk,

A und B sind untere Dreiecksmatrizen, d.h.

an,k = bn,k = 0, fur k > n

und es gilt A ·B = I = B · A, d.h.

∞∑k=0

an,kbk,j =∞∑k=0

bn,kak,j = [n = j].

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14 1 Grundlagen der Kombinatorik

Solche Paare von Matrizen kann man fur Abzahlprobleme wie folgt ausnutzen.Fur beliebige Folgen (sn) und (tn) gilt A(sn) = (tn) g.d.w. (sn) = B(tn), d.h.

n∑k=0

an,ksk = tk ∀n g.d.w.n∑k=0

bn,ktk = sk ∀n.

Beispiel (Binomialinversion):Es sein Dn die Anzahl der fixpunktfreien Permutationen in Sn und Dn,k die Anzahl derPermutationen mit genau k Fixpunkten. Naturlich gilt Dn,k =

(nk

)Dn−k. Somit erhalten

wir

n! =n∑k=0

Dn,k =n∑k=0

(n

k

)Dn−k =

n∑k=0

(n

n− k

)Dn−k =

n∑k=0

(n

k

)Dk,

d.h. sn = Dn, tn = n! und an,k =(nk

).

Daraus folgt

Dn =n∑k=0

(−1)n−k(n

k

)k! = n!

n∑k=0

(−1)n−k1

(n− k)!= n!

n∑k=0

(−1)k1

k!.

AlsoDn

n!=

n∑k=0

(−1)k · 1

k!≈ 1

e.

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2 Existenzaussagen

Bei vielen Problemen konnen wir die genaue Anzahl der gesuchten Objekte nicht bestim-men. Dann versuchen wir, die gesuchte Anzahl abzuschatzen bzw. die Großenordnung derAnzahlfunktion zu bestimmen (vgl. das Beispiel d(n)).Beispiel:Es sei π(n) die Anzahl der Primzahlen kleiner gleich n. Eine

”geschlossene Formel“ fur

π(n) gibt es nicht. Einer der beruhmtesten Satze der Mathematik ist aber der sogenanntePrimzahlsatz:

π(n) ∼ n

log(n), d.h.

π(n) log(n)

n−→ 1 (n −→∞).

Der Primzahlsatz wurde 1896 von Hadamard und de La Vallee Poussin bewiesen. Erst1949 fanden Selberg und Erdos elementare Beweise fur diesen Satz. Wir werden spaterdarauf zuruckkommen.Manchmal ist aber nicht nur die Großenordnung einer Funktion schwer zu berechnen, son-dern sogar, ob sie großer als 0 ist oder nicht. Ein beruhmtes Beispiel aus der Geschichteder Mathematik ist hier die Eulersche Vermutung uber orthogonale lateinische Quadrateder Ordnung n ≡ 2 mod 4.Ein lateinisches Quadrat der Ordnung n ist eine n × n-Matrix A, sodass in jeder Zeileund jeder Spalte die Zahlen 1, 2, . . . , n genau einmal vorkommen.Zwei lateinische Quadrate A und B der Ordnung n heißen orthogonal, falls die Paare(ai j, bi j), 1 ≤ i, j ≤ n genau alle Paare aus {1, . . . , n} × {1, . . . , n} sind. Euler vermutete1782, dass fur n ≡ 2 mod 4 keine solchen Quadratpaare existieren. Dies ist richtig furn = 6, aber falsch fur n = 10, 14, . . . (Bose, Shrikhande, Parker 1959). Diese Autorenkonstruierten Paare orthogonaler lateinischer Quadrate fur alle n ≡ 2 (4), n ≥ 10 underhielten den Spitznamen

”die Euler-Spoiler“.

Es gibt jedoch auch”nicht-konstruktive“ Existenzbeweise in der Diskreten Mathematik.

Haufig handelt es sich um Anwendungen von Varianten des sog. Schubfachprinzips.Verteilt man n Gegenstande in k Facher (n > k), so existiert ein Fach, in dem sich mehrals ein Gegenstand befindet. Mathematiker sind etwas praziser:

Satz 2.1 (Schubfachprinzip)Sei f : N → K und |N | = n > k = |K|, so existiert ein i ∈ K mit |f−1(i)| ≥

⌈nk

⌉.

Beweis: Es ist offensichtlich, dass n =∑i∈K

∣∣f−1(i)∣∣, also gilt

n

k=

1

|K|∑i∈K

∣∣f−1(i)∣∣.

Dann existiert ein i mit |f−1(i)| ≥ nk, also |f−1(i)| ≥

⌈nk

⌉. �

Das Prinzip lebt von Anwendungsbeispielen.Beispiel A:Erdos nahm sich manchmal Zeit, um hochbegabte Kinder zu fordern. Einer seiner Schuler

15

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16 2 Existenzaussagen

war Louis Posa. Erdos erzahlte folgende Geschichte:

”Ich traf Posa bevor er 12 Jahre alt war. Als ich im Sommer 1959 aus den USA zuruck

kam, erzahlte man mir von einem kleinen Jungen, dessen Mutter Mathematikerin warund der schon etwas uber Hochschulmathematik wusste. Ich war sehr interessiert und trafihn am nachsten Tag zum Mittagessen. Wahrend Posa seine Suppe aß, stellte ich ihmfolgende Aufgabe:’Beweise, dass es unter n + 1 Zahlen aus der Menge {1, 2, . . . , 2n} immer zwei gibt, diezueinander teilerfremd sind.’Ich entdeckte dieses einfache Resultat vor einigen Jahren, aber ich brauchte etwa 10Minuten, um den wirklich einfachen Beweis zu finden. Posa saß da, aß seine Suppe undantwortete nach etwa einer halben Minute:’Unter n+ 1 Zahlen zwischen 1 und 2n gibt es immer zwei benachbarte und die sind dannteilerfremd.’ “ (nach R. Honsberger, Mathematical Gems I )

Dies ist eine Anwendung der Schubfachprinzips:Die Schubfacher sind die Mengen Ai = {2i− 1, 2i} fur 1 ≤ i ≤ n.Ahnlich sind die folgenden Probleme:

• Unter n + 1 Zahlen aus {1, . . . , 2n} gibt es immer zwei, sodass die eine Zahl dieandere teilt.

• Wenn wir n Zahlen aus {1, . . . , 2n} gegeben haben, sodass der ggT von je zweiengroßer als 2n ist, so sind alle diese Zahlen großer als 2n

3.

Beispiel B:Manchmal wird das Schubfachprinzip nach dem Analytiker und Zahlentheoretiker PeterGustav Lejeune Dirichlet benannt, der ubrigens aus Duren stammt.Er interessierte sich dafur, wie gut man reelle Zahlen durch Bruche mit relativ kleinenNennern approximieren kann. Er zeigte:

Satz 2.2 (Dirichletscher Approximationssatz)Zu jedem α ∈ R und N ∈ N existieren q ∈ N, 1 ≤ q < N und ein p ∈ Z, mit

|qα− p| ≤ 1

N.

Beweis: O.b.d.A. sei α > 0.Wir teilen das Intervall [0, 1) in die N Intervalle

[0,1

N), [

1

N,

2

N), . . . , [

N − 1

N,N

N)

ein. Nun betrachten wir die Zahlen

aq := qα− bqαc ∈ [0, 1), 1 ≤ q ≤ N − 1.

• Ist ein aq in dem Intervall [0, 1N

), so ist 0 ≤ qα−bqαc < 1N

und die Behauptung giltmit p := bqαc.

• Ist aq ∈ [N−1N, 1), so folgt N−1

N≤ qα − bqαc < 1, also − 1

N≤ qα − (bqαc + 1) < 0,

also gilt die Behauptung mit p := bqαc+ 1.

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• Liegt keiner dieser beiden Falle vor, so muss eines der N − 2 Intervalle [ kN, k+1N

),1 ≤ k ≤ N − 2 zwei Punkte ar und as, 1 ≤ r < s ≤ N − 1, enthalten.Dann gilt: 1

N> |as − ar| = |(s− r)α− (bsαc − brαc)| und die Behauptung gilt mit

q := s− r, p := bsαc − brαc. �

Es existieren also p, q, 1 ≤ q < N mit

|α− p

q| ≤ 1

qN.

Fur irrationale α existieren unendlich viele q mit

|α− p

q| ≤ 1

q2.

Beispiel C:Im Jahr 1935 veroffentlichte P. Erdos eine Arbeit gemeinsam mit G. Szekeres mit demTitel

”A Combinatorial Problem in Geometry“ (Compositio Math. 2(1935), 463-470). Sie

zeigten dort u.a. das folgende Resultat.

Satz 2.3In jeder Folge a1, a2, . . . , an2+1 von n2 +1 (reellen) Zahlen gibt es eine monoton steigendeoder eine monoton fallende Teilfolge der Lange n+ 1, d.h. es gibt Indizes 1 ≤ i1 < i2 <. . . < in+1 ≤ n2 + 1 mit

ai1 ≤ ai2 ≤ . . . ≤ ain+1 oder ai1 ≥ ai2 ≥ . . . ≥ ain+1 .

1. Beweis (nach L. Lovasz)Angenommen, es gibt keine monoton steigende Folge. Fur 1 ≤ k ≤ n sei

Ak := {i : die langste mon. steigende Teilfolge, die mit ai startet, hat Lange k}.

Nach Annahme ist A1 ∪ . . . ∪An = {1, . . . , n2 + 1}, also existiert nach dem Schubfach-prinzip ein k mit l := |Ak| ≥ n+ 1. Ist Ak = {i1 < i2 < . . . < il}, so muss offenbar geltenai1 > ai2 > . . . > ail und wir sind fertig. �

2. Beweis (nach Erdos, Szekeres)Es sei f(n) die minimale Zahl N , so dass jede Folge a1, . . . , aN reeller Zahlen eine mono-tone Teilfolge der Lange n enthalt. Dann ist f(1) = 1, f(2) = 2 f(3) = 5. Fur allgemeinen sieht man anhand der Folge

(n− 1), (n− 1)− 1, . . . , (n− 1)− (n− 2),2(n− 1), 2(n− 1)− 1, . . . , 2(n− 1)− (n− 2),

......

...(n− 1)2, (n− 1)2 − 1, . . . , (n− 1)2 − (n− 2),

dass f(n) > (n− 1)2 ist. Wir wollen zeigen:

f(n) = (n− 1)2 + 1.

Dies zeigen wir durch Induktion nach n, wobei die Aussage im Fall n = 1 erfullt ist.Fur den Induktionsschluss machen wir die Annahme f(n) = (n− 1)2 + 1 und wir mussen

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18 2 Existenzaussagen

noch zeigen, dass f(n+ 1) ≤ n2 + 1 gilt. Es ist n2 + 1− ((n− 1)2 + 1) = 2n− 1.Angenommen, eine Folge

a1, a2, . . . , af(n), . . . , af(n)+2n−1

ist gegeben.Die Folge a1, . . . , af(n) enthalt eine monotone Teilfolge der Lange n. Ihr letztes Elementsei aj1 . Nun entfernen wir aj1 und erganzen die Folge durch af(n)+1. Wir erhalten wiedereine monotone Folge mit Endpunkt aj2 (j1 6= j2). Indem wir dieses Verfahren iterieren,erhalten wir 2n verschiedene Indizes j1, . . . , j2n, so dass jedes aji Endpunkt einer mono-tonen Folge der Lange n ist.Es sei nun {j1, . . . , j2n} = S ∪T , wobei S genau aus den Indizes ji besteht, die Endpunkteiner steigenden Folge der Lange n sind und T die entsprechenden Indizes der Endpunktefallender Folgen enthalt. Ist S = {s1 < s2 < . . . < sl}, so konnen wir ohne o.B.d.A. anneh-men, dass {as1 > as2 > . . . > asl} ist (andernfalls haben wir sofort eine monotone Folgeder Lange n+1). Analog sei o.B.d.A. {at1 < at2 < . . . < atk} fur T = {t1 < t2 < . . . < tk}.Dies bedeutet, dass wir wieder fertig sind, falls l > n oder k > n. Es bleibt also nur derFall l = k = n. Entweder ist sn < tn oder tn < sn.Falls sn < tn ist, so vergleichen wir asn und atn . Im Fall asn ≤ atn konnen wir eine mo-noton steigende Folge, die mit asn endet, durch Hinzufugen von atn verlangern, im Fallasn > atn haben wir die Folge {as1 > . . . > asn > atn}. Der Fall tn < sn ist analog. �

Interessant an diesem Beweis ist das folgende Phanomen, das in vielen analogen Situa-tionen auftritt:

”Wenn eine Struktur einer bestimmten Große eine spezielle Teilstruktur

haben muss, dann muss eine etwas großere Struktur viele solcher speziellen Teilstrukturenhaben.“ Man konnte es das

”Reichhaltigkeitsprinzip“ nennen und wir werden ihm noch

oft begegnen.In der Arbeit

”On a Combinatorial Problem in Geometry“ geht es eigentlich um ein an-

deres Problem:Konnen wir zu einer naturlichen Zahl n eine Zahl N(n) finden, sodass aus jeder Menge mitmindestens N(n) Punkten der Ebene in allgemeiner Lage n Punkte ausgewahlt werdenkonnen, die ein konvexes n-Eck bilden? Das Problem stammt von der MathematikerinEsther Klein, der spateren Frau Szekeres.Die Punkte sind in allgemeiner Lage, wenn keine drei auf einer Geraden liegen. Betrachtenwir zunachst funf Punkte in allgemeiner Lage. Dann ist es immer moglich, vier Punkteauszuwahlen, die ein konvexes Viereck bilden, denn:Falls die konvexe Hulle der funf Punkte ein Vier- oder Funfeck ist, so ist nichts zu zei-gen. Andernfalls ist die konvexe Hulle ein Dreieck und zwei Punkte liegen im Inneren desDreiecks. Die Gerade durch diese beiden Punkte teilt die Ebene in zwei Halbebenen auf,von denen eine zwei Punkte enthalt. Diese beiden Punkte bilden mit den beiden Punktenim Inneren des Dreiecks ein konvexes Viereck.

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Erdos und Szekeres gaben zwei Beweise dafur an, dass zu jedem n ein N(n), wie obenbeschrieben, existiert. Wir bezeichnen mit N0(n) die kleinste Zahl, fur die ein konvexesn-Eck garantiert werden kann. Wir wissen also bisher nur N0(3) = 3 und N0(4) = 5.

Satz 2.4Sei n ≥ 3 eine ganze Zahl, so gilt

N0(n) ≤(

2n− 4

n− 2

)+ 1.

Beweis: Wir untersuchen ein (zuganglicheres) Hilfsproblem: Es seienN Punkte P1, . . . , PNin allgemeiner Lage gegeben. Wir fuhren kartesische Koordinaten ein, sodass Pi = (xi, yi)mit x1 < x2 < . . . < xN ist. Eine Teilkonfiguration Pi1 , Pi2 , . . . , Pik fur 1 ≤ i1 <. . . < ik ≤ N , heißt konvex (konkav), falls der Graph des Polygonzugs Pi1 . . . Pik einekonvexe (konkave) Funktion darstellt. Anders formuliert: Die Steigungen der GeradenPi1Pi2 , Pi2Pi3 , . . . , Pik−1

Pik sind monoton wachsend (fallend). Es sei nun f(i, k) die mini-male Anzahl von Punkten wie oben beschrieben, so dass eine konvexe Teilkonfigurationder Große i oder eine konkave der Große k existiert. Aus der Definition ergibt sich sofortf(3, n) = f(n, 3) = n. Wir behaupten außerdem, dass die Rekursion

f(i, k) ≤ f(i− 1, k) + f(i, k − 1)− 1 (2.1)

erfullt ist. Dies zeigen wir mit Induktion nach i+ k.Sind P1, . . . , PN mit N ≤ f(i− 1, k) + f(i, k− 1)− 1 wie oben gegeben, so betrachten wirdie ersten m = f(i−1, k) Punkte P1, . . . , Pm. Diese enthalten eine konvexe Konfigurationder Große i− 1 oder eine konkave der Große k. Im letzteren Fall sind wir fertig.Ist Pj1 . . . , Pji−1

die konvexe Konfiguration, so entfernen wir Pji−1und fugen Pm+1 zu

den Punkten hinzu. Wieder erhalten wir eine konvexe Konfiguration der Große i− 1 miteinem anderen Endpunkt, den wir dann entfernen und durch Pm+2 ersetzen. So fortfahrenderhalten wir l := f(i, k − 1) verschiedene Punkte Ps1 , Ps2 , . . . , Psl die alle Endpunkte vonkonvexen Konfigurationen der Lange i−1 sind. Wenn es unter diesen Punkten eine konvexeKonfiguration der Große i gibt, so sind wir fertig. Also gibt es eine konkave Konfigurationder Große k − 1, die wir mit Q1Q2 . . . Qk−1 bezeichnen. Q1 ist Endpunkt einer konvexenKonfiguration R1R2 . . . Ri−1 = Q1 der Lange i−1. Wir betrachten die Steigung der StreckeQ1Q2. Ist die Steigung großer als die von Ri−2Q1, so ist R1 . . . Ri−2Q1Q2 eine konvexeKonfiguration der Große i, andernfalls ist Ri−2Q1Q2 . . . Qk−1 eine konkave Konfigurationder Große k. Damit ist (2.1) bewiesen. Nun folgern wir fur i, k ≥ 3:

f(i, k) =

(i+ k − 4

i− 2

)+ 1 =

(i+ k − 4

k − 2

)+ 1.

Auch dies lasst sich mit Induktion nach i+ k zeigen. Zunachst gilt

f(n, 3) = n =

(n+ 3− 4

3− 2

)+ 1.

Dann ist nach der Pascal-Rekursion(i+ k − 4

k − 2

)+ 1 =

(i+ k − 5

k − 2

)+

(i+ k − 5

k − 3

)+ 1

=

((i− 1) + k − 4

k − 2

)+

(i+ (k − 1)− 4

(k − 1)− 2

)+ 1

= f(i− 1, k) + f(i, k − 1)− 1.

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20 2 Existenzaussagen

Fur Esther Kleins Problem folgt dann

N0(n) ≤ f(n, n) =

(2n− 4

n− 2

)+ 1.

Bemerkung: Wir haben nur f(i, k) ≤ f(i − 1, k) + f(i, k − 1) − 1 gezeigt. Warum giltsogar Gleichheit?

Die Abschatzung von 1935 ist nur geringfugig verbessert worden. Aus dem Jahr 2005stammt die Abschatzung

N0(n) ≤(

2n− 5

n− 2

)+ 1

von Toth und Valtr.Die beste untere Schranke stammt wiederum von Erdos und Szekeres aus dem Jahre 1961:

N0(n) ≥ 1 + 2n−2.

Bereits 1935 vermuteten sie, dass 1+2n−2 = N0(n) fur alle n gilt. Die Vermutung ist abernur fur n ≤ 6 verifiziert.

Die Arbeit enthalt noch einen zweiten Beweis fur die Existenz der Zahl N0(n) fur allen ∈ N. Der Beweis liefert keine gute Abschatzung fur N0(n), ist aber eine Anwendungeines fundamentalen Satzes der Diskreten Mathematik, des Satzes vom Ramsey. DieserSatz erschien 1930 in den Proc. der London Math. Soc. unter dem Titel

”On a problem

of formal logic“ und stellt eine tief liegende Verallgemeinerung des Schubfachprinzips dar.Er ist der Startpunkt fur die sog. Ramsey-Theorie, die Satze ahnlichen Charakters ausvielen Gebieten vereint (vgl. das Buch

”Ramsey-Theory“ von Graham, Rothschild und

Spencer).Der Satz lautet wie folgt

Satz 2.5 (F.P. Ramsey, 1930)Es seinen r, k, q1, . . . , qk naturliche Zahlen. Dann existiert eine (kleinste) naturliche ZahlR = Rr

k(q1, . . . , qk), so dass gilt:Fur jede Zerlegung (

V

r

)= C1 ∪ . . . ∪Ck,

mit |V | ≥ R existiert ein i ∈ {1, . . . , k} und ein W ⊆ V , |W | ≥ qi, sodass(W

r

)⊆ Ci.

Diskussion: Betrachten wir zunachst den Fall r = 1:Die Zahl R1

k(q1, . . . , qk) ist offenbar q1 + . . . + qk − k + 1, was im wesentlichen aus demSchubfachprinzip folgt.Was bedeutet die Aussage fur den Fall r = 2 ?(V2

)konnen wir interpretieren als die Kantenmenge eines vollstandigen Graphen mit

Punktmenge V , eine Zerlegung kann man sich dann anschaulich als eine Farbung der

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Kanten vorstellen. Die Existenz von R22(q, q) konnen wir nun wie folgt formulieren:

Farbt man die Kanten eines vollstandigen Graphen mit R22(q, q) Punkten rot und blau,

so gibt es einen vollstandigen Graphen mit q Punkten, dessen Kanten alle rot sind odereinen, dessen Kanten alle blau sind.Als ein Beispiel uberlegen wir uns, dass R2

2(3, 3) = 6 ist:Um einzusehen, dass R2

2(3, 3) ≥ 6 ist, konnen wir das in Abbildung (2.1) dargestellteBeispiel einer Farbung des K5 betrachten, welche keine einfarbigen Dreiecke enthalt.

Abbildung 2.1: Farbung des K5 ohne monochromatische Dreiecke

Nun wollen wir zeigen, dass R22(3, 3) ≤ 6 gilt. Sind die Kanten eines K6 mit zwei Farben

(rot und blau) gefarbt, so hat ein Punkt x mindestens drei Nachbarn, die mit x durchKanten der gleichen Farbe verbunden sind, sagen wir durch rote Kanten. Ist ein Paar{y, z} dieser Nachbarn ebenfalls durch eine rote Kante verbunden, so ist {x, y, z} dergesuchte monochromatische K3. Andernfalls sind alle Verbindungen unter den Nachbarnblau und wir haben einen blauen K3.Das Argument lasst sich verallgemeinern. Wir zeigen zunachst:

Lemma 2.6Fur p, q ≥ 3 gilt

R22(p, q) ≤ R2

2(p− 1, q) +R22(p, q − 1). (2.2)

Beweis von (2.2): Wir machen eine Induktion nach p+q, wobei wir den Induktionsanfangdurch

R22(3, 3) ≤ 6 = 3 + 3 = R2

2(2, 3) +R22(3, 2)

leicht verifiziert.Fur den Induktionsschritt seien p, q ≥ 3, p + q > 6 und die Kanten eines KR mit R =R2

2(p−1, q)+R22(p, q−1) seien rot und blau gefarbt. Weiter sei x ein beliebiger Punkt. Dann

existieren entweder R22(p− 1, q) Punkte, die mit x uber rote Kanten verbunden sind oder

R22(p, q−1) Punkte, die mit x uber blaue Kanten verbunden sind. Wir betrachten o.B.d.A.

den ersten Fall, die entsprechende Punktmenge sei A. Nach Definition von R22(p − 1, q)

enthalt A einen roten Kp−1 oder einen blauen Kq. Im letzteren Fall sind wir fertig. Imersten Fall mussen wir zu dem roten Kp−1 noch den Punkt x hinzufugen und erhalteneinen roten Kp. �

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22 2 Existenzaussagen

Folgerung 2.7Seien p, q ≥ 1 ganze Zahlen, dann gilt

R22(p, q) ≤

(p+ q − 2

p− 1

)=

(p+ q − 2

q − 1

).

Beweis: (Ubung)

Als nachstes uberlegen wir uns, dass die Farbenzahl k = 2 fur die Existenz der Ramsey-zahlen entscheidend ist:

Lemma 2.8Ist k ≥ 2, so gilt

Rrk+1(q1, . . . , qk+1) ≤ Rr

k (q1, . . . , qk−1, Rr2(qk, qk+1)) .

Beweis: Ist(Vr

)= C1 ∪ . . . ∪Ck+1 eine Zerlegung und |V | ≥ Rr

k (q1, . . . , qk−1, Rr2(qk, qk+1)),

so erhalten wir entweder ein i ≤ k − 1 und W ⊆ V , |W | ≥ qi mit(Wr

)⊆ Ci (und sind

fertig) oder ein W ⊆ V , |W | ≥ Rr2(qk, qk+1) mit

(Wr

)⊆ Ck∪Ck+1. Dann existiert entweder

W ′ ⊆ W , |W ′| ≥ qk mit(W ′

r

)⊆ Ck oder W ′ ⊆ W , |W ′| ≥ qk+1 mit

(W ′

r

)⊆ Ck+1. �

Beweis (Satz von Ramsey (2.5)):Wir beweisen das Ergebnis durch Induktion nach r, wobei wir die Falle r = 1 und r = 2 be-reits behandelt haben. Im Induktionsschritt benutzen wird eine Induktion nach q1+. . .+qk.Ist ein qi = 1 fur i = 1, . . . , k, so ist die Behauptung trivial. Es sei also qi ≥ 2 fur alle i.Wir wahlen eine Menge V , |V | = N , wobei N erst spater festgelegt wird, und betrachteneine Zerlegung

(Vr

)= C1 ∪ . . . ∪Ck.

Fur ein festes x ∈ V erzeugen wir eine Zerlegung von(V \{x}r−1

)wie folgt:(

V \ {x}r − 1

)= C ′1 ∪ . . . ∪C ′k mit C ′i :=

{A ∈

(V \ {x}r − 1

): A ∪ {x} ∈ Ci

}.

Im Falle N − 1 ≥ Rr−1k (p1, . . . , pk) erhalten wir fur ein i, 1 ≤ i ≤ k, ein Wi ⊆ V \ {x} mit(

Wi

r−1

)⊆ C ′i, |Wi| ≥ pi. Wir wahlen nun spezielle pi:

pi := Rrk(q1, . . . , qi−1, qi − 1, qi+1, . . . , qk).

Was konnen wir uber Wi sagen?Zunachst induziert die Zerlegung

(Vr

)= C1 ∪ . . . ∪Ck eine Zerlegung von

(Wi

r

)und nach

Definition von pi erhalten wir entweder ein j 6= i, 1 ≤ j ≤ k mit

U ⊆ Wi, |U | ≥ qj und

(U

r

)⊆ Cj

(und sind damit fertig) oder ein

U ⊆ Wi, |U | ≥ qi − 1 und

(U

r

)⊆ Ci.

Im letzteren Fall betrachten wir(U∪{x}r

). Dann gilt tatsachlich sogar

(U∪{x}r

)⊆ Ci, denn

U ⊆ Wi. �

Beispiel:

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Erdos und Szekeres bewiesen die Existenz der Zahl N0(n) aus dem Problem von EstherKlein auch auf folgende Weise mit dem Satz von Ramsey:Zunachst bemerkten sie, dass eine Menge von n Punkten ein konvexes n-Eck bildet genaudann, wenn keiner der Punkte in der konvexen Hulle von drei anderen Punkten liegt, d.h.wenn je vier Punkte ein konvexes Viereck bilden.Es seien nun N ≥ R4

2(5, n) Punkte in allgemeiner Lage gegeben. Wir farben eine vier-elementige Teilmenge rot, falls die vier Punkte kein konvexes Viereck bilden, andernfallsblau. Wir haben bereits gesehen, dass man unter 5 Punkten stets 4 auswahlen kann, dieein konvexes Viereck bilden, also die Farbe blau bekommen. Dann muss es n Punktegeben, sodass alle vierelementigen Teilmengen blau sind. Diese Punkte bilden nach Defi-nition der Farbung ein konvexes n-Eck. �

Auch den ersten Beweis fur die Existenz von N0(n) kann man mit dem Satz von Ramseymodifizieren:Dazu nehmen wir wieder an, dass P1, . . . , PN in allgemeiner Lage sind, sodass in einemkartesischen Koordinatensystem die x-Koordinaten alle verschieden sind. Wir betrach-ten drei der Punkte Pi, Pj, Pk und nehmen an, dass sie nach aufsteigender x-Koordinategeordnet sind. Nun farben wir das Tripel rot, falls die Steigung von PiPj kleiner ist alsdie von PjPk und blau andernfalls. Falls N ≥ R3

2(n, n) ist, so erhalten wir n Punkte mitmonochromatischen Tripeln. Diese bilden eine konvexe oder konkave Konfiguration. �

Bereits 1927 bewies B. L. van der Waerden einen Satz, der dem Satz von Ramsey aufgewisse Weise ahnelt.

Satz 2.9 (van der Waerden, 1927)Zu zwei naturlichen Zahlen k, l ≥ 2 existiert eine kleinste naturliche Zahl W (k, l) mitfolgender Eigenschaft:Zerlegt man die naturlichen Zahlen von 1 bis W (k, l) in k Klassen, so enthalt eine Klasseeine arithmetische Progression der Lange l, d.h. falls {1, . . . ,W (k, l)} = C1 ∪ . . . ∪Ck,so existiert ein i, 1 ≤ i ≤ k, und a, d ∈ N, sodass

{a, a+ d, . . . , a+ (l − 1)d} ⊆ Ci.

Bevor wir den Satz beweisen, diskutieren wir ihn etwas genauer.Aquivalent ist die folgende Variante:Zerlegt man N in k Klassen, so enthalt eine Klasse arithmetische Progressionen beliebigerendlicher Lange.Dass diese Aussage aus dem vorstehenden Satz folgt, ist dabei klar. Die Umkehrung isteine Art

”Kompaktheitsprinzip“, fur das wir noch weitere Beispiele kennenlernen werden.

Angenommen, zu jedem W gabe es (fur ein festes Paar k, l mit k, l ≥ 2) eine Zerlegung

{1, . . . ,W} = C(W )1 ∪ . . . ∪C(W )

k ,

so dass kein C(W )i eine arithmetische Progression der Lange l enthalt. Dann konnen wir

eine Folge W1 < W2 < . . . < Wn < . . . naturlicher Zahlen konstruieren, sodass gilt:

Aus Wn < Wm folgt C(Wn)i = C

(Wm)i ∩ {1, . . . ,Wn} fur alle n < m.

(Warum?)Dann definieren wir C1, . . . , Ck vermoge

a ∈ Ci g.d.w. a ∈ C(Wn)i fur (alle) n mit Wn ≥ a.

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24 2 Existenzaussagen

Offenbar ist dann N = C1 ∪ . . . ∪Ck und kein Ci enthalt arithmetische Progressionen derLange l.Beweis (Satz(2.9)):Wir benutzen Induktion nach l. Im Fall l = 2 folgt W (k, 2) = k+ 1 nach dem Schubfach-prinzip.Im Induktionsschritt werden wir fur naturliche Zahlen r, sN = 4rs Zerlegungen von{1, . . . , N} in Blocke Bi der Lange 2s betrachten:

{1, . . . , N} = B0 ∪B1 ∪ . . . ∪B2r−1,

mit Bi := i · 2s+B0 = i · 2s+ {1, . . . , 2s} = {i · 2s+ 1, . . . , (i+ 1) · 2s}.Fur eine arithmetische Progression a, a + d, . . . , a + (l − 1)d der Lange l bezeichnen wirdas Element a+ ld als die Fortsetzung der arithmetischen Progression.Eine Zerlegung {1, . . . , N} = C1 ∪ . . . ∪Ck induziert eine Aquivalenzrelation auf der Men-ge der moglichen Farbungen der Blocke Bi, 0 ≤ i ≤ 2r − 1. Dabei gehoren Bi und Bj

(i < j) zur gleichen Aquivalenzklasse, falls Ct∩Bj = (j−i)2s+(Ct∩Bi) fur alle 1 ≤ t ≤ k.(Wir sagen dann auch, die Blocke Bi und Bj haben das gleiche Muster.) Somit ist k2s diemaximale Anzahl der Aquivalenzklassen bzw. verschiedener Muster.Nach Induktionsvoraussetzung existiert W (k2s, l), d.h. falls r ≥ W (k2s, l), so existiert einearithmetische Progression der Lange l

{a, a+ d, . . . , a+ (l − 1)d} ⊆ {0, . . . , r − 1},

sodass alle Blocke Ba, Ba+d, . . . , Ba+(l−1)d das gleiche Muster haben. Der Block Ba+ld istdann immer noch in {1, . . . , N} enthalten. Der Induktionsschluss folgt nun mit folgenderHilfsaussage:

Zu jedem t, 1 ≤ t ≤ k, existiert ein N(t) ∈ N, sodass gilt:Zerlegt man {1, . . . , N(t)} in k Klassen, so existiert in einer Klasse eine arithmetischeProgression der Lange l + 1 oder es existieren t arithmetische Progressionen A1, . . . , Atder Lange l mit folgenden Eigenschaften:

i) Die Ai sind monochromatisch, aber von unterschiedlicher Farbe, d.h

Ai ⊆ Cji , 1 ≤ i ≤ t, ji 6= jh fur i 6= h.

ii) Alle Ai haben die gleiche Fortsetzung, die noch in {1, . . . , N(t)} liegt.

Angenommen, die Hilfsaussage ist bewiesen. Dann wahlen wir N ≥ N(k). Wurde keinearithmetische Progression der Lange l+ 1 existieren, so hatten wir arithmetische Progres-sionen A1, . . . , Ak aller Farben, die in {1, . . . , N} die gleiche Fortsetzung besitzen. DiesesElement muss aber auch mit einer der k Farben gefarbt sein.

Wir zeigen nun die Hilfsaussage durch Induktion nach t. Im Fall t = 1 ist N(1) ≤ 2W (k, l).Fur den Induktionsschritt zerlegen wir wie oben {1, . . . , N} in Blocke B0, B1, . . . , B2r−1

mit s := N(t − 1) und r := W (k2s, l). Falls keine monochromatische arithmetischenProgression der Lange l + 1 existiert, erhalten wir aus den beiden Induktionsannahmenzweierlei:

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1.) Es gibt eine arithmetische Progression von Blocken Ba, Ba+d, . . . , Ba+(l−1)d gleichenMusters wie oben beschrieben.

2.) Im Block Ba gibt es arithmetische Progressionen A′1, . . . , A′t−1, o.B.d.A. A′i ⊆ Ci (1 ≤

i ≤ t− 1), die alle die gleiche Fortsetzung c ∈ Ba haben. O.B.d.A. sei c ∈ Ct.

Wir setzen At := {c, c+2sd, . . . , c+(l−1)2sd}. Wegen 1.) ist dann At ⊆ Ct und c+ l ·2sdist die Fortsetzung von At. Ist A′i = {α, α+ δ, . . . , α+ (l − 1)δ} ⊆ Ci, so ist c = α+ l · δund Ai = {α, α+δ+2sd, . . . , α+(l−1)(δ+2sd)} ⊆ Ci ist eine arithmetische Progressionmit Fortsetzung α + l(δ + 2sd) = (α + l · δ) + l · 2sd = c+ l · 2sd. �

Paul Erdos hatte die Angewohnheit, fur Probleme, die er selbst nicht losen konnte, Geld-preise auszusetzen, deren Hohe sich nach der vermuteten Schwierigkeit des Problems rich-tete. Der hochste Betrag, den er jemals bezahlen musste, waren 1000$, und zwar an E.Szemeredi. Das Resultat, um das es dabei geht, hat etwas mit dem Satz von van derWaerden zu tun. Erdos fragte nach einer

”Dichteversion“ dieses Satzes. Bei einer Zerle-

gung von N in k Klassen liefert der Satz von van der Waerden nur die Existenz einerKlasse mit beliebig langen arithmetische Progressionen, nicht aber ein Verfahren, einesolche Klasse zu identifizieren. Zusammen mit P. Turan vermutete Erdos, dass eine Fol-ge a1 < a2 < . . . < an < . . . naturlicher Zahlen arithmetische Progressionen beliebigerLange enthalt, falls 1

n|{k : ak ≤ n}| ≥ ε ist fur ein festes ε > 0 und alle hinreichend

großen n. (Man sagt, sie Folge (ak) hat positive Dichte). Der Beweis dieser Vermutungwar Erdos’ 1000$- Problem (Vermutung 1936). Er gelang dem ungarischen MathematikerEndre Szemeredi im Jahr 1975 (Abel-Preis 2012) auf rein kombinatorischem Weg. AndereBeweise wurden spater von Hillel Furstenberg (1977, mit ergodentheoretischen Methoden)und Timothy Gowers (2001, mit Fourier-Analysis) gefunden. Gowers entwickelte damitIdeen von F. K. Roth weiter, der den Spezialfall arithmetischer Progressionen der Lange3 bereits 1953 bewiesen hatte. Gowers und Roth bekamen beide die Fields-Medaille (1998bzw. 1958).Eine Variante der Vermutung von Erdos-Turan ist nach wie vor offen und mit 3000$ do-tiert:

Besitzt eine Folge (ak) mit∞∑k=1

1

ak=∞ arithmetische Progressionen beliebiger Lange?

Die harmonische Reihe∞∑k=1

1

kist bekanntlich divergent und das gleiche gilt fur Folgen (ak)

mit positiver Dichte (warum?).

Es gibt aber auch Folgen (ak) mit∑k

1

ak=∞, die keine positive Dichte haben, z.B. die

Folge der Primzahlen∑p prim

1

p=∞, aber

|{p : p prim, p ≤ n}|n

∼ 1

log(n)−→ 0 (n→∞).

Fur Primzahlen wurde die Existenz beliebig langer arithmetische Progressionen 2004 vonT. Tao und B. Green bewiesen. T. Tao wurde 2006 ebenfalls mit der Fields-Medaille aus-gezeichnet.

Wie sieht es aus mit einer”Dichteversion” des Satzes von Ramsey? Wir beschranken uns

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26 2 Existenzaussagen

dabei auf den Fall r = 2, also auf den Fall der Graphen.Frage: Wie viele Kanten muss ein Graph auf n Punkten haben, damit man einen vollstandi-gen Teilgraphen auf p Punkten garantieren kann?Die Antwort stammt von P. Turan.

Beispiel:Es seien n, q feste naturliche Zahlen, q ≥ 2. Der Turan-Graph Tq−1(n) ist wie folgt defi-niert:Eine n-elementige Punktmenge V wird in q − 1 moglichst gleichgroße Klassen partitio-niert, d.h. V = V1 ∪ . . . ∪Vq−1, ||Vi| − |Vj|| ≤ 1 fur alle i, j. Zwei Punkte x, y ∈ V sindadjazent g.d.w. sie zu verschiedenen Klassen gehoren, also

x ∈ Vi, y ∈ Vj mit i 6= j.

(Der Turan-Graph ist ein vollstandig (q−1)-partiter Graph mit Farbklassen V1, . . . , Vq−1).Ist W ⊆ V, |W | ≥ q, so mussen zwei Punkte aus W zur gleichen Farbklasse gehoren, sindalso nicht adjazent. Der Turan-Graph enthalt also keinen Kq. Unter allen vollstandig(q − 1)-partiten Graphen hat der Turan-Graph die maximale Kantenzahl. (Ubung!)Es gilt nun:

Satz 2.10 (P. Turan, 1941)Ein Graph G = (V,E) mit |V | = n, der keinen vollstandigen Teilgraphen auf q Punktenbesitzt, hat hochstens so viele Kanten wie der Turan-Graph, also tq−1(n). Ist |E| =tq−1(n), so gilt G ' Tq−1(n).

Beweis:(Erdos, 1970)Wir machen eine Induktion nach q. Fur q = 2 ist der Satz trivial.Die Aussage sei nun fur ein q ≥ 2 bewiesen und wir betrachten einen Graphen G = (V,E)mit n Punkten, der keinen vollstandigen Teilgraphen auf q + 1 Punkten besitzt. Fernersei x ∈ V ein Punkt maximalen Grades, also dG(x) = Delta und N := N(x) := {y ∈ V :xy ∈ E} die Menge der Nachbarn von x.G′ entstehe aus G, indem fur jedes w ∈ W := V \ ({x} ∪N) zunachst alle inzidentenKanten geloscht und dann die Kanten wy, y ∈ N , hinzugefugt werden. G′ hat folgendeEigenschaften:

(i) W ∪ {x} ist eine unabhangige Menge, d.h. zwischen den Punkten dieser Mengeexistieren keine Kanten (in G′).

(ii) Alle Punkte in W ∪ {x} haben Grad Delta und die gleichen Nachbarn, namlich N .

(iii) Fur alle y ∈ N gilt dG′(y) ≥ dG(y).

(iv) Es gilt |E(G′)| = |E| g.d.w. G = G′.

(v) G′ enthalt keinen Kq+1.

Ist also G als extremaler Graph gewahlt, also als Graph mit maximaler Kantenzahl ohneKq+1, so folgt G = G′. Ferner kann man den von G auf N induzierten Teilgraphen Hdurch den Turan-Graphen Tq−1(Delta) ersetzen ohne die Kq+1-Freiheit zu zerstoren, alsofolgt H ' Tq−1(Delta).Nun folgt, dass G ein vollstandig q-partiter Graph ist. Unter den vollstandig q-partiten

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Graphen hat aber nur der Turan-Graph die maximale Kantenzahl. �

Der Satz von Turan ist der Startpunkt fur die extremale Graphentheorie. Seine Frage-stellung kann auf viele Weisen variiert werden. Ist z.B. F irgendein Graph, so bezeichneex(n;F ) die maximale Anzahl von Kanten in einem Graphen mit n Punkten, der keinenzu F isomorphen Teilgraphen enthalt.Wir wollen ex(n;F ) analysieren, wenn F ein fester Graph ist und n gegen unendlichstrebt.

Lemma 2.11Zu t, q ∈ N und ε > 0 reell existiert ein N ∈ N mit:

Falls G = (V,E) mit |V | = n > N und δ(G) ≥(

1− 1q

+ ε)n, so enthalt G den Turan-

Graphen Tq+1(t) als Teilgraphen. Dabei bezeichnet δ(G) den Minimalgrad von G.

Beweis:Wir verwenden Induktion nach q und erganzen die zu beweisende Aussage fur q = 0.Fur n > N enthalt G einen T1(t) als

”Teilgraphen“, was fur N ≥ t− 1 richtig ist. Um von

der Aussage fur q − 1 auf q zu schließen, sei G ein Graph mit Minimalgrad mindestens(1− 1

q+ ε)n und n eine große Zahl, deren Große wir erst spater festlegen.

Nach Induktionsvoraussetzung enthalt G einen Tq(s), falls n > N(s, q − 1, ε) ist. Dieser

habe die Punktmenge T ⊆ V (G). Von jedem Punkt x ∈ T gehen mehr als(

1− 1q

+ ε)n−

|T | Kanten nach V \ T , also gilt fur die Anzahl e(T, V \ T ) der Kanten zwischen T undV \ T

e(T, V \ T ) > |T |((

1− 1

q+ ε

)n− |T |

).

Es sei nun

U :=

{u ∈ V \ T : e(u, T ) ≥

(1− 1

q+ε

2

)|T |}.

Dann gilt

e(T, V \ T ) < |U | · |T |+ (n− |U | − |T |) ·(

1− 1

q+ε

2

)· |T |

< |T | ·(|U |+ n

(1− 1

q+ε

2

)),

also ε2n − |T | < |U |. Fur hinreichend große n folgt also etwa |U | > ε

3n. Wegen |T | = s

folgt: (1− 1

q+ε

2

)· |T | = (q − 1)

s

q+ε

2|T |.

Damit hat jeder Punkt u ∈ U mindestens ε2|T | = ε

2s Nachbarn in jeder Farbklasse unseres

Tq(s). Wir wahlen also s so groß, dass ε2s > t ist und anschließend n so groß, dass

mindestens t Punkte aus U die gleichen Nachbarn in T besitzen. �

Lemma 2.12Es seien c, ε > 0. Dann existiert eine Zahl M = M(c, ε), sodass gilt:Ist G ein Graph mit n > M Punkten und e(G) ≥ (c + ε)

(n2

)Kanten, so existiert ein

Teilgraph H von G mit |V (H)| ≥ √ε · n und δ(H) > c · |V (H)|.

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28 2 Existenzaussagen

Beweis:Angenommen ein solcher Teilgraph existiert nicht, dann existiert eine Folge von Punktenx1, . . . , xs, sodass die Graphen G0, G1, . . . , Gs mit

G0 := G, Gj := Gj−1 − xj, 1 ≤ j ≤ s,

durch Zerstorung eines Punktes xj mit dGj−1(xj) ≤ c(n− j+ 1) entstehen. Dann folgt fur√

ε · n− 1 ≤ n− s < √ε · n bzw. s > (1−√ε)n und n hinreichend groß

e(Gs) ≥ (c+ ε)

(n

2

)−

s∑j=1

c(n− j + 1)

= (c+ ε)

(n

2

)− c

((n+ 1

2

)−(n− s+ 1

2

))= ε

n(n− 1)

2− c n+ c

(n− s+ 1

2

)≥ (√ε · n)

√ε(n− 1)

2− c n+ c

(n− s)2

2

>(√ε · n)(

√ε · n− 1)

2+ c

((n− s)2

2− n

)︸ ︷︷ ︸

>0 fur große n

>

(n− s

2

).

ein Widerspruch. �

Durch Kombination der beiden vorstehenden Lemmata erhalten wir:

Satz 2.13 (Erdos-Stone, 1946)Es seien q, t ∈ N, ε > 0.

Dann existiert ein n0 = n0(q, t, ε), sodass alle Graphen mit e(G) >(

1− 1q

+ ε) (

n2

)und

n > n0 einen Turan-Graphen Tq+1(t) enthalten.

Beweis: (Ubung)

Nun folgt ein uberraschendes Ergebnis uber die Zahlen ex(n;F ). Dabei bezeichnet χ(F )die chromatische Zahl des Graphen F , also die minimale Anzahl von Farben, die manbenotigt, um die Punkte von F so zu farben, dass adjazente Punkte verschieden gefarbtsind.

Satz 2.14Ist F fest gewahlter Graph, so gilt

limn→∞

ex(n;F )(n2

) = 1− 1

χ(F )− 1.

Beweis:Es sei χ(F ) = q. Dann kann F nicht in einem Turan-Graphen Tq−1(t) enthalten sein.Dieser hat die Kantenzahl

tq−1(n) ∼(

1− 1

1− q

) (n

2

),

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also

lim infn→∞

ex(n;F )(n2

) ≥ 1− 1

1− q .

Andererseits enthalt fur t ∈ N, ε > 0 und große n jedes G mit e(G) >(

1− 11−q + ε

) (n2

)einen Tq(t). Ist t mindestens so groß wie die großte Farbklasse von F bei einer Farbungmit q Farben, so ist F in diesem Tq(t) enthalten. Also

lim supn→∞

ex(n;F )(n2

) < 1− 1

1− q + ε.

Mit ε→ 0 folgt die Behauptung. �

Wir betrachten die Dichte eines unendlichen Graphen G = (V,E)

d(G) = lim supn→∞

{e(H)(n2

) : H Teilgraph von G mit n Punkten

}.

Folgerung 2.15Sei G = (V,E) ein unendlicher Graph, dann kann die Dichte d(G) nur die Werte

0, 1,1

2,2

3, . . . , 1− 1

q, . . .

annehmen.

Beweis: (Ubung)

Bevor wir das Thema”Existenzbeweise“ wieder verlassen, wollen wir noch auf eine außerst

einflussreiche Methode von Erdos zu sprechen kommen, die sog.”probabilistische Metho-

de“. (vgl. Alon, Spencer)Wir illustrieren sie am Beispiel der Ramsey-Zahlen R2

2(q, q), fur die wir einfach R(q)schreiben und erinnern uns daran, dass wir die Ungleichung

R(q) ≤(

2q − 2

q − 1

)< 22q−2

bereits gezeigt haben.Wie kann man R(q) nach unten abschatzen?Man muss die Kanten eines Kn geschickt rot und blau farben, sodass kein monochroma-tischer Kq entsteht. Gelingt dies, so ist n < R(q).Erdos hatte die Idee, eine zufallige Farbung konne gut sein. (vgl. Erdos, 1947)Fur einen gegebenen vollstandigen Graphen Kn farbt er die Kanten unabhangig vonein-ander mit den Farben rot und blau jeweils mit Wahrscheinlichkeit 1

2.

Es sei A eine Menge von Punkten, |A| = q. Mit welcher Wahrscheinlichkeit ist dervollstandige Graph KA auf A monochromatisch?

Er ist rot mit Wahrscheinlichkeit 2−(q2) und blau mit der gleichen Wahrscheinlichkeit, also

hat das gesuchte Ereignis die Wahrscheinlichkeit 21−(q2). Daraus folgt

P (∃A ⊆ V (Kn), |A| = q, KA monochromatisch) ≤∑

A⊆V (Kn)|A|=q

21−(q2) =

(n

q

)21−(q2).

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30 2 Existenzaussagen

Ist n ≤ 2q2 , so folgt (

n

q

)21−(q2) =

n(n− 1) · · · (n− q + 1)

q!· 21− q2

2+ q

2

<

(2q2

)qq!· 21+ q

2

2q2

2

=21+ q

2

q!< 1, fur q ≥ 3.

Anders gesagt: Die Wahrscheinlichkeit, dass kein monochromatischer Kq existiert, istpositiv, falls n ≤ 2

q2 , also R(q) ≥ 2

q2 .

Insgesamt haben wir also fur q ≥ 3(√2)q≤ R(q) ≤ 4q.

Uber dieses Resultat schreibt T. Gowers:

”This result is famous not because it has a large number of applications, nor because it

is difficult, nor because it solved a long-standing open problem. Its fame rests on the factthat it opened the floodgates to probabilistic arguments in combinatorics.“

Das zugrunde liegenden heuristische Prinzip beschreibt er so:

”If one is trying to maximize the size of some structure under certain constraints, and if

the constraints seem to force the extremal examples to be spread out in a uniform sort ofway, then choosing an example randomly is likely to give a good answer.“

Und er fugt hinzu:

”Once you become aware of this principle, your mathematical power immediately increa-

ses“ (aus W.T. Gowers, The Two Cultures of Mathematics).

Weder die obere noch die untere Schranke fur R(q) konnte bisher”wesentlich“ verbessert

werden.

Problem:

(i) Existiert a >√

2 mit R(q) ≥ aq fur große q?

(ii) Existiert b < 4 mit R(q) < bq fur große q?

Mit der gleichen Idee konnen wir Zufallsgraphen definieren.

Definition 2.16 (Zufallsgraphen)Ist V eine n-elementige Menge, so ist ein Zufallsgraph uber V eine Familie von Zufalls-variablen

(Xe, e ∈

(V2

))mit folgenden Eigenschaften:

(i) Die Familie ist stochastisch unabhangig.

(ii) Es existiert ein p = p(n), 0 < p < 1, sodass gilt:

∀e ∈(V

2

): P (Xe = 1) = p = 1− P (Xe = 0).

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Zufallsgraphen haben verbluffende Eigenschaften. Wir prasentieren hier noch ein Resultatvon Erdos von 1959, das die Kraft der probabilistischen Methode deutlich macht.

Ist G = (V,E) ein Graph, so bezeichnen wir mit χ(G) seine chromatische Zahl , d.h. diekleinste naturliche Zahl k, sodass eine Abbildung f : V → {1, . . . , k} existiert mit derEigenschaft, dass fur alle Kanten uv ∈ E gilt: f(u) 6= f(v).Die Unabhangigkeitszahl α(G) ist die maximale Kardinalitat einer unabhangigen MengeU ⊆ V , d.h. einer Menge U mit u, v ∈ U ⇒ uv /∈ E.Da die Urbilder f−1(i) einer Farbung unabhangige Mengen sind, gilt die Ungleichung

χ(G) ≥ |V |α(G)

.

Die Taillenweite girth(G) eines Graphen G, ist die Lange eines kurzesten Kreises in G,falls ein solcher existiert. Andernfalls setzen wir girth(G) =∞.Die Frage, die Erdos beantwortet hat, lautet: Gibt es Graphen, die zugleich eine hohechromatische Zahl und eine hohe Taillenweite haben? Er zeigte:

Satz 2.17 (Erdos, 1957)Fur alle k, l ∈ N existiert ein Graph G mit

χ(G) ≥ k und girth(G) ≥ l.

Die Bedeutung des Satzes kann man sich wie folgt klar machen:Wahlt man 1000 Punkte in einem Graphen mit Taillenweite großer als 1000, so induzie-ren diese Punkte einen kreisfreien Graphen, also einen Wald. Solche Walder haben stetschromatische Zahl ≤ 2, d.h. jede Teilmenge von 1000 Punkten kann man mit 2 Farbenfarben. Trotzdem kann man nach Erdos also erreichen, dass der ganze Graph mehr als1000 Farben benotigt. Man versuche einmal, ohne die probabilistische Methode solcheGraphen zu konstruieren!

Beweis:Es sei l ∈ N beliebig aber fest. Fur n ∈ N betrachten wir Zufallsgraphen mit

p = p(n) = nδ−1, 0 < δ <1

l, n = |V |.

Uns interessiert die Zufallsvariable Z, die angibt, wie viele Kreise einer Lange < l derZufallsgraph besitzt.Ein Kreis der Lange i ist durch die Folge x1x2 . . . xi seiner Punkte festgelegt. Alle Kantenx1x2, x2x3, . . . , xi−1xi, xix1 mussen vorhanden sein. Die Wahrscheinlichkeit dafur ist pi.Fur den Erwartungswert von Z gilt also die Abschatzung

E(Z) ≤l−1∑i=3

nipi =l−1∑i=3

(np)i <(np)l − 1

np− 1< nδl fur große n,

wobei der Exponent δl echt zwischen 0 und 1 liegt.Wir erinnern an die Markoff-Ungleichung aus der Wahrscheinlichkeitstheorie

P (Z ≥ a) ≤ 1

a

∫Z≥a

Z dP ≤ 1

aE(Z),

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32 2 Existenzaussagen

fur Zufallsvariablen Z ≥ 0 und a > 0 reell. Damit folgt

P (Z ≥ n

2) ≤ 2

n· nδl = 2 · nδl−1 → 0 (n→∞),

d.h. fur große n ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Zufallsgraph weniger als n2

Kreiseeiner Lange kleiner als l hat, nahe bei 1. Durch Zerstorung von weniger als n

2Punkten

erhalten wir aus einem solchen Graphen einen Graphen mit Taillenweite mindestens l.Fur die Abschatzung der chromatischen Zahl wollen wir die Ungleichung χ(G) ≥ n

α(G)

benutzen. Um zu garantieren, dass χ(G)→∞ (n→∞) gilt, brauchen wir, dass α(G)n→

0 (n→∞). Es gilt:

P (α(G) ≥ m) ≤∑U⊆V|U |=m

P (U unabhangig) =

(n

m

)(1− p)(m2 ) ≤

(n(1− p)m−1

2

)m.

Weiter ist

log(n(1− p)m−1

2

)= log(n)− m− 1

2log

(1

1− p

)= log(n)− m− 1

2

(p+

p2

2+p3

3+ . . .

)< log(n)− m− 1

2p

= log(n)− m− 1

2nδ−1.

Setzen wir m(n) =⌊3 log(n)n1−δ⌋, so strebt dieser Ausdruck gegen Null, also auch

P (α(G) ≥ m(n))→ 0 (n→∞).

Fur große n konnen wir also einen Graphen G finden, der weniger als n2

Kreise einer Lange< l hat und zugleich

α(G) < m(n) =⌊3 log(n)n1−δ⌋

erfullt. G′ entstehe aus G, indem zu jedem Kreis einer Lange < l ein Punkt des Kreiseszerstort wird. Dann hat G′ noch mehr als n

2Punkte und seine Unabhangigkeitszahl ist

nicht großer als die von G, also

χ(G′) ≥ n/2

α(G′)≥ n/2

3 log(n)n1−δ =nδ

6 log(n)→∞ (n→∞).

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3 Erzeugende Funktionen

Nach dieser Einfuhrung wenden wir uns zunachst wieder der exakten Losung von Abzahl-problemen zu. Ein unverzichtbares Hilfsmittel ist dabei die Methode der erzeugendenFunktionen.

3.1 Lineare Differenzengleichungen mit konstanten

Koeffizienten

Wir beginnen mit einem Klassiker. Die Folge (Fn)∞n=0, die definiert ist durch

F0 := 0, F1 := 1, Fn := Fn−1 + Fn−2 fur n ≥ 2,

heißt Fibonacci-Folge. Sie gehort zu den bekanntesten Zahlenfolgen uberhaupt und tauchtso oft auf, dass eine ganze Zeitschrift, das

”Fibonacci Quarterly“, sich mit ihr beschaftigt.

”Fibonacci“ war der Spitzname des Mathematikers Leonardo von Pisa (ca. 1180-1241).

Wir stellen uns die Aufgabe, eine explizite Formel fur die n-te Fibonaccizahl zu finden.Dazu ordnen wir der Folge (Fn) die Potenzreihe

F (z) :=∞∑n=0

Fnzn

zu. Dabei heißt F (z) die (gewohnliche) erzeugende Funktion der Folge (Fn). Die Rekursionfur (Fn) ist nun zu einer Funktionalgleichung fur F (z) aquivalent.

F (z) =∞∑n=0

Fnzn = F0 + F1z +

∞∑n=2

Fnzn

= 0 + z + z ·∞∑n=1

Fnzn + z2 ·

∞∑n=0

Fnzn

= z + z · F (z) + z2 · F (z)

alsoF (z) =

z

1− z − z2.

Nun benutzen wir unsere Kenntnisse aus der Analysis, um die erhaltene gebrochen ratio-nale Funktion in eine Potenzreihe zu entwickeln. Wir schreiben

1− z − z2 = z2

(1

z2− 1

z− 1

)= z2 · q

(1

z

)mit

q(z) = z2 − z − 1 = (z − α)(z − β),

wobei

α =1 +√

5

2, β =

1−√

5

2.

33

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34 3 Erzeugende Funktionen

Also

1− z − z2 = z2

(1

z− α

)(1

z− β

)= (1− αz)(1− βz).

Es folgt

z

1− z − z2=

z

(1− αz)(1− βz)=

A

1− αz +B

1− βz

und somit

A =1α

1− βα

=1

α− β =1√5, B =

1

β − α =−1√

5.

Entwickelt man nunA

1− αz undB

1− βz mit Hilfe der Formel fur die geometrische Reihe,

so folgt

F (z) =∞∑n=0

1√5

(αn − βn)zn,

und damit

Fn =1√5

((1 +√

5

2

)n

−(

1−√

5

2

)n)fur alle n ≥ 0.

Die Zahl1 +√

5

2= α ist der beruhmte goldene Schnitt.

Wir konnen dieses Beispiel auf alle linearen Differenzengleichungen mit konstanten Koef-fizienten verallgemeinern.

Satz 3.1Es seien a1, . . . , ad ∈ C, d ≥ 1, ad 6= 0 und das Polynom q(z) = zd + a1z

d−1 + . . . +ad−1z + ad habe die Linearfaktorzerlegung

q(z) =k∏i=1

(z − αi)di .

Dann sind die folgenden Aussagen fur eine Folge (fn)∞n=0 aquivalent:

(1) Rekursion der Lange d. Fur alle n ≥ 0 gilt

fn+d + a1fn+d−1 + . . .+ adfn = 0.

(2) Erzeugende Funktion.

F (z) :=∑n≥0

fnzn =

p(z)

1 + a1z + . . .+ adzd,

wobei p ein Polynom vom Grad kleiner als d ist.

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3.1 Lineare Differenzengleichungen mit konstanten Koeffizienten 35

(3) Partialbruchzerlegung.

F (z) =∑n≥0

fnzn =

k∑i=1

gi(z)

(1− αiz)di,

fur Polynome gi vom Grad kleiner als di, 1 ≤ i ≤ k.

(3) Explizite Darstellung.

fn =k∑i=1

pi(n)αni ,

fur Polynome pi(n) vom Grad kleiner als di, 1 ≤ i ≤ k.

Beweis:Es sei Vi die Menge aller komplexen Folgen, welche Bedingung (i) erfullen, fur i = 1, . . . , 4.Dann ist jedes Vi ein Vektorraum der Dimension d (Ubung!). Fur eine Gleichung Vi = Vjbraucht also nur eine der beiden Inklusionen Vi ⊆ Vj oder Vj ⊆ Vi gezeigt werden.V1 = V2 :Erfullt (fn) Bedingung (2), so multiplizieren wir die Gleichung fur F (z) mit dem Nenner-polynom der rechten Seite

F (z)(1 + a1z + · · ·+ adzd) = p(z).

Der Koeffizient von zn+d ist links fn+d+a1fn+d−1 + . . .+adfn und rechts 0 (wegen n ≥ 0),also erfullt die Folge Bedingung (1).V2 = V3 :Es ist

1 + a1z + · · ·+ adzd = zd · q

(1

z

)=

k∏i=1

(1− αiz)di .

Erfullt (fn) die Bedingung (3), so mussen wir nur die Summe

k∑i=1

gi(z)

(1− αiz)di

auf den Hauptnenner bringen und erhalten fur F (z) die Form aus (2).V3 = V4 :Die erzeugenden Funktionen der Form (3) sind alle Linearkombinationen der gebrochenrationalen Funktionen

gij(z)

(1− αiz)di, 0 ≤ j ≤ di, 1 ≤ i ≤ k,

wobei gij(z) := (1− αiz)j.Aus der Analysis ist bekannt

1

(1− αz)m=∞∑n=0

(−mn

)(−αz)n.

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36 3 Erzeugende Funktionen

Dabei ist(−mn

)=

(−m)(−m− 1) · · · (−m− n+ 1)

n!= (−1)n

(n+m− 1)(n+m− 2) · · · (m)

n!

= (−1)n(n+m− 1

m− 1

)= (−1)n

(n+m− 1)(n+m− 2) · · · (n+ 1)

(m− 1)!= (−1)npm(n),

wobei pm(n) ein Polynom vom Grad m− 1 in n ist.Jedes

gij(z)

(1− αiz)di= (1− αiz)j−di

hat also eine Potenzreihenentwicklung der Form

∞∑n=0

pdi−j(n)αni zn.

Daraus ergibt sich unmittelbar die Behauptung. �

Eine andere Rekursion, die erfolgreich mit erzeugenden Funktionen gelost werden kann,ist die Rekursion der Catalan-Zahlen.Nehmen wir an, wir haben ein (nicht assoziatives) Produkt mit n + 1 Faktoren (n ≥ 0).Auf wie viele Weisen kann man sinnvoll Klammern setzen? Diese Anzahl sei Cn.

Beispiel:Fur n = 2 sind folgende Klammerungen sinnvoll

(x0 x1)x2 und x0 (x1 x2),

also C2 = 2.Ebenso offensichtlich ist C0 = C1 = 1.Fur n > 2 betrachten wir das Produkt x0 x1 · · · xn. Die außeren Klammerpaare seien(x0 · · · xi) und (xi+1 · · · xn), 0 ≤ i ≤ n−1. Dann kann (x0 · · · xi) auf Ci Weisen beklam-mert werden und (xi+1 · · · xn) auf Cn−i−1 Weisen, also insgesamt

Cn = C0Cn−1 + C1Cn−2 + · · ·+ Cn−1C0.

Diese Rekursion erinnert an das Cauchy-Produkt fur Potenzreihen. Setzen wir also

C(z) :=∞∑n=0

Cnzk

und bilden

C(z)2 =∞∑n=0

(n∑i=0

CiCn−i

)zn

=∞∑n=0

Cn+1zn =

(C(z)− 1)

z,

so erhalten wir

C(z)2 − 1

zC(z) +

1

z= 0 bzw. C(z) =

1

2z

(1±√

1− 4z).

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3.2 Partitionen 37

Nun gilt

√1− 4z = (1− 4z)

12 =

∞∑n=0

(12

n

)(−4)nzn

= 1 +∞∑n=1

1 · 1 · 3 · 5 · · · (2n− 3)

n!· (−1) · 2n · zn

= 1 +∞∑n=1

(2n− 2)!

n!(n− 1)!· (−1) · 2zn

= 1− 2 ·∞∑n=1

1

n

(2n− 2

n− 1

)zn

= 1− 2 ·∞∑n=0

1

n+ 1

(2n

n

)zn+1.

Wegen C(0) = 1 folgt

C(z) =1−√

1− 4z

2z=∞∑n=0

1

n+ 1

(2n

n

)zn,

also

Cn =1

n+ 1

(2n

n

).

Bemerkung:Die Catalan-Zahlen sind nach dem belgischen Mathematiker E. C. Catalan (1814-1894)benannt. Wie die Fibonacci-Zahlen treten sie in vielen Abzahlproblemen auf. So ist Cnzum Beispiel auch gleich der Anzahl der Triangulierungen eines konvexen (n + 2)-Ecksdurch Diagonalen.Dazu seien die Punkte P0, P1, . . . Pn+1 bei Umrundung des (n+ 2)-Ecks im mathematischpositivem Sinn. Die gesuchte Anzahl von Triangulierungen sei Tn. Dann gibt es genauTk−2 · Tn−1−(k−2) Triangulierungen, bei denen P0P1Pk ein Dreieck bilden, also

Tn =n+1∑k=2

Tk−2Tn−1−(k−2) =n−1∑k=0

TkTn−1−k.

3.2 Partitionen

In diesem Abschnitt untersuchen wir Zahlpartitionen, also nicht Mengenpartitionen, wiesie durch die Stirling-Zahlen 2. Art oder die Bell-Zahlen abgezahlt werden. Diese (Zahl-)Partitionen sind ungeordnet, d.h. die Reihenfolge der Summanden spielt keine Rolle.

Beispiel:

2 = 1 + 1,

3 = 2 + 1 = 1 + 1 + 1,

4 = 3 + 1 = 2 + 2 = 2 + 1 + 1 = 1 + 1 + 1 + 1,

5 = 4 + 1 = 3 + 2 = 3 + 1 + 1 = 2 + 2 + 1 = 2 + 1 + 1 + 1 = 1 + 1 + 1 + 1 + 1.

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38 3 Erzeugende Funktionen

Bezeichnen wir mit p(n) die Anzahl der Partitionen von n in Summanden großer odergleich 1, so gilt:

n 1 2 3 4 5 . . .p(n) 1 2 3 5 7 . . .

Wir werden Partitionen haufig durch sog. Ferrers-Graphen oder Young-Diagramme ver-anschaulichen.Beispiel:

Ferrers-Graph bzw. Young-Diagramm der Partition 5 + 5 + 3 + 2 + 1 + 1

Die Summanden entsprechen den Punkten bzw. Kastchen in den Zeilen und sie sindmonoton fallend von oben nach unten geordnet.Haufig werden wir an die Partitionen, die wir abzahlen, zusatzliche Bedingung stellen,etwa dass alle Summanden ungerade sind oder dass alle verschieden sind und so weiter.Dafur benutzen wir die Schreibweise p(n |Bedingung ) fur die Anzahl aller Partitionen,welche die genannte Bedinung erfullen.

Beispiel:

p(n | alle Summanden ≤ m) = p(n |Anzahl der Summanden ≤ m)

Dies folgt durch Spiegelung des Ferrersgraphen an der Hauptdiagonalen (sog. Konjugati-on).Der Ferrers-Graph ist haufig bei der Konstruktion von Bijektionen zwischen gewissenPartitionsklassen von Nutzen.Bei folgendem Beispiel benotigen wir den Ferrers-Graphen jedoch nicht.

Beispiel: (Euler)

p(n | alle Summanden verschieden) = p(n | alle Summanden ungerade)

Wir konstruieren eine Bijektion wie folgt.Sind alle Summanden ungerade, so prufen wir, ob zwei Summanden gleich sind. Wenn ja,werden sie zu einem Summanden zusammengefasst und es wird erneut gepruft, ob zweigleiche Summanden vorhanden sind. Dieses Verfahren lasst sich solange ausfuhren bisschließlich alle Summanden verschieden sind und endet, weil die Anzahl der Summanden

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3.2 Partitionen 39

bei jeder Zusammenfassung kleiner wird.Das Ergebnis ist daruberhinaus unabhangig von der Reihenfolge der Zusammenfassungen.Die Ausgangspartition sei durch den Ausdruck rs11 r

s22 . . . rskk beschrieben, wobei die ri

ungerade sind und si-mal als Summanden in der Partition vorkommen.Wir schreiben si im Dualsystem, also

si =

ti∑j=0

aij2j, aij ∈ {0, 1}, 0 ≤ j ≤ ti, aiti = 1.

Dann enthalt das Ergebnis unseres Verfahrens genau die Summanden ri2j, fur die aij = 1

ist.Umgekehrt konnen wir, ausgehend von einer Partition in lauter verschiedene Summanden,so lange gerade Summanden in zwei gleich große Teile zerlegen, bis wir nur noch ungeradeSummanden haben.Diese beiden Verfahren sind invers zueinander und beschreiben die gewunschte Bijektion.

Der folgende Satz wurde von Euler mit Hilfe erzeugender Funktionen bewiesen.

Satz 3.2 (Eulerscher Pentagonalsatz)Sei n ∈ N, so gilt

pe(n) :=p(n | Summanden verschieden, Anzahl gerade)

= p(n | Summanden verschieden, Anzahl ungerade)︸ ︷︷ ︸po(n)

+e(n),

wobei e(n) =

{(−1)j, falls n = j(3j±1)

2fur ein j ∈ N,

0 , sonst.

Beweis: (F. Franklin, 1881)Es sei n = r1 + r2 + · · ·+ rk mit r1 > r2 > · · · > rk > 0. Wir definieren zwei Operationenauf Ferrersgraphen von Partitionen.Operation A: Entferne die letzte Zeile des Ferrersgraphen und fuge jeder der Zeilen1, . . . , rk einen Punkt hinzu.Operation B: Entferne aus den Zeilen 1, 2, . . . , σ jeweils einen Punkt, wobei σ := max{i | ri =r1 − i+ 1} und fuge unten eine neue Zeile mit σ Punkten an den Ferrersgraphen an.

Wir sagen, Operation A ist ausfuhrbar, falls k > rk ist, also falls es mehr Summanden alsPunkte in der letzten Zeile gibt.Operation B heißt ausfuhrbar, falls wieder der Ferrersgraph einer Partition in verschiedeneSummanden entsteht.

Operation A

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40 3 Erzeugende Funktionen

Operation B

Beide Operationen andern die Partitat der Anzahl der Summanden und sie sind in gewisserWeise invers zueinander. Dazu definieren wir die Operation C wiefolgt.

(1) Wende A an, falls rk < σ.

(2) Wende B an, falls rk > σ und B anwendbar.

(3) Wende A an, falls rk = σ und A anwendbar.

Nehmen wir an, wir starten im Fall (1). Dann entsteht ein Ferrersgraph, der nun zumFall (2) gehort und die zweimalige Anwendung von C fuhrt auf den ersten Ferrersgraphenzuruck. Ebenso ist es, falls wir im Fall (3) starten.Wenden wir im Fall (2) Operation B an, so ist σ der kleinste Summand der neuen Partiti-on, auf deren Ferrersgraphen dann A anwendbar ist, entweder im Fall (1) oder im Fall (3).Auch hier fuhrt die zweimalige Anwendung von C auf die gewunschte Ausgangspartitionzuruck.Es bleibt die Frage: Ist C denn stets anwendbar?Dies ist nicht der Fall, aber diese Ausnahmefalle haben eine sehr ubersichtliche Struktur.Ist C nicht anwendbar, so ist entweder rk > σ und B nicht anwendbar oder rk = σ undA nicht anwendbar.Der erste Fall bedeutet, dass rk = σ + 1 ist und der Summand rk durch Operation Bverkleinert wurde, also k = σ und somit

n = (σ + 1) + (σ + 2) + · · ·+ (σ + σ) =

(2σ + 1

2

)−(σ + 1

2

)=

1

2σ [2 (2σ + 1)− (σ + 1)] =

1

2σ(3σ + 1),

d.h. es gibt genau eine Ausnahmepartition und dies nur fur den Fall n = 12σ(3σ + 1). Die

Anzahl der Summanden dieser Partition ist σ.Im zweiten Fall muss rk = σ = k gelten und die Ausnahmepartition ist

σ + (σ + 1) + · · ·+ (σ + σ − 1) =

(2σ

2

)−(σ

2

)=

1

2σ((2σ − 1)− (σ − 1)) =

1

2σ(3σ − 1).

Fassen wir nun zusammen:Ist n nicht von der Form 1

2σ(3σ±1), so definiert C eine Bijektion zwischen den betrachteten

Partitionsklassen. Fur n = 12σ(3σ ± 1) gibt es in einer der beiden Klassen eine Partition

mehr und diese hat σ Summanden. �

Bemerkung:Die Zahlen der Form 1

2σ(3σ− 1), σ ∈ N, also 1, 5, 12, 22, 25, . . . heißen Pentagonalzahlen,

weil sie eine geometrische Deutung ahnlich den Dreiecks- oder Quadratzahlen gestatten,wie die folgende Skizze zeigt:Dreieckszahlen: 1, 3, 6, 10, . . .

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3.2 Partitionen 41

Quadratszahlen: 1, 4, 9, 16, . . .

Pentagonalzahlen: 1, 5, 12, 22, . . .

Wenden wir uns nun den erzeugenden Funktionen zu.

Satz 3.3Fur |q| < 1 gilt:

P (q) =∞∑n=0

p(n)qn =∞∏k=1

1

1− qk .

Beweis:Wir setzen

F (q) :=∞∏k=1

1

1− qk

und schreiben jeden Faktor als unendliche Reihe:

(1 + q + q2 + q3 + . . .)(1 + q2 + q4 + q6 + . . .)(1 + q3 + q6 + q9 + . . .)

...

Wie erhalten wir beim Ausmultiplizieren die Potenz qn?Aus den Reihen 1 + qk + q2k + q3k + . . . muss dur k > n stets die 1 als Faktor gewahltwerden.Fur k < n wird eine Potenz qk·rk gewahlt, sodass

q1·r1 · q2·r2 · . . . · qn·rn = q1·r1+2·r2+...+n·rn = qn

ist. Um den Exponenten n zu erhalten, erzeugen wir eine Partition von n, bei der derSummand k genau rk-mal vorkommt. Die Anzahl der Moglichkeiten, aus den ReihenFaktoren auszuwahlen, sodass qn entsteht, ist also genau p(n).Nun mussen wir uns noch davon uberzeugen, dass dieses unendliche Produkt auch die

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42 3 Erzeugende Funktionen

Potenzreihe P (q) im Sinne der Analysis liefert.Dazu sei

Fm(q) :=m∏k=1

1

1− qk =m∏k=1

( ∞∑r=0

qk·r)

und 0 < q < 1.Ferner sei

F (q) :=∞∏k=1

1

1− qk .

Aus der Analysis wissen wir, dass unendliche Produkte∞∏k=1

(1 + ak) und unendliche Reihen

∞∑k=1

ak fur ak ≥ 0 beide konvergent oder beide divergent sind.

Dies folgt aus

1 + a1 + a2 + · · ·+ am ≤m∏k=1

(1 + ak) ≤ ea1+···+am .

Nun ist1

1− qk = 1 +qk

1− qk < 1 +qk

1− qund

∞∑k=1

qk

1− qk

konvergent, also konvergiert auch Fm(q) gegen F (q) fur m→∞.Da Fm(q) ein Produkt endlich vieler (absolut konvergenter) unendlicher Reihen ist, er-halten wir mit der anfangs beschriebenen Argumentation sofort

Fm(q) =∞∑n=0

pm(n)qn

mit pm(n) := p(n | alle Summanden ≤ m). Es ist pm(n) ≤ p(n) mit Gleichheit fur m ≥ n.Nun gilt

m∑n=0

p(n)qn < Fm(q) < F (q) =∞∏k=1

1

1− qk ,

also ist die Reihe∞∑n=0

p(n)qn = P (q)

konvergent und es ist P (q) ≤ F (q).Andererseits ist Fm(q) ≤ P (q) fur alle m, also folgt fur m → ∞ auch F (q) ≤ P (q) unddamit F (q) = P (q).Die Einschrankung 0 < q < 1 ist nicht wesentlich, denn nach bekannten Satzen der Funk-tionentheorie mussen die beiden Funktionen fur |q| < 1 analytisch sein und dort uberallubereinstimmen. �

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3.2 Partitionen 43

Satz 3.4Es sei S ⊆ N. Dann gilt:

(i)∞∑n=0

p(n | alle Summanden in S)qn =∏k∈S

1

1− qk .

(ii)∞∑n=0

p(n | alle Summanden in S, verschieden)qn =∏k∈S

(1 + qk).

Beweis:Vollig analog zum vorigen Satz. �

Beispiel:

(i) Es sei S := {1, 2, 22, . . . , 2k, . . .} die Menge der Zweierpotenzen.Dann gilt:

∞∑n=0

p(n | alle Summanden in S, verschieden)qn

=∞∏k=0

(1 + q2k)

=(1 + q)(1 + q2)(1 + q4) . . .

=1− q2

1− q ·1− q4

1− q2· 1− q8

1− q4· · · = 1

1− q=1 + q + q2 + . . .+ qk + . . .

Also ist jede naturliche Zahl eindeutig im Zweiersystem darstellbar.

(ii) Die Identitat

(1 + q)(1 + q2)(1 + q3) · · · =1− q2

1− q ·1− q4

1− q2· 1− q6

1− q3· . . .

=1

1− q ·1

1− q3· 1

1− q5· . . .

zeigt ebenfalls eine bekannte Tatsache

p(n | alle Summanden verschieden) = p(n | alle Summanden ungerade).

(iii) Beim Ausmultiplizieren des unendlichen Produktes∞∏k=1

(1− qk) ist der Koeffizient

von qn genau die Differenz pe(n)−po(n), die im Eulerschen Pentagonalsatz bestimmtwurde, also

∞∏k=1

(1− qk) = 1 +∞∑j=1

(−1)j(q

12j(3j−1) + q

12j(3j+1)

).

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44 3 Erzeugende Funktionen

Interessant daran ist, dass die meisten Koeffizienten der Potenzreihe rechts Null sindund dass das unendliche Produkt genau P (q)−1 ist, also

1 =

( ∞∑n=0

p(n) · qn)(

1 +∞∑j=1

(−1)j(q

12j(3j−1) + q

12j(3j+1)

)).

Ausmultizieren und Koeffizientenvergleich von qn auf beiden Seiten liefert eine nutz-liche Rekursion fur p(n).

0 = p(n)− p(n− 1)− p(n− 2) + p(n− 5) + p(n− 7)− . . .

+ (−1)jp

(n− 1

2j(3j − 1)

)+ (−1)jp

(n− 1

2j(3j + 1)

)+ . . .

Die Anzahl der Summanden in diser Rekursion ist ungefahr√

23n.

Betrachten wir als nachstes den Ausdruck

fN(z, q) := (1 + zq)(1 + zq2) . . . (1 + zqN)

=N∑m=0

A(N,m, q)zm.

Dabei sind die A(N,m, q) Polynome in q, die wir genauer untersuchen wollen. Zunachstfolgt aus dem binomischen Lehrsatz A(N,m, 1) =

(Nm

).

Klar ist ferner, dass

A(N,m, q) =∑n≥0

p(n | genau m verschiedene Summanden, alle ≤ N) · qn

Daraus ergibt sich, dassA(N,m, q) durch qm(m+1)

2 teilbar ist. Wir konnen also Polynome[Nm

]durch die Gleichung

[Nm

]· qm(m+1)

2 = A(N,m, q) definieren. Die[Nm

]heißen Gaußsche

Polynome oder Gaußsche Koeffizienten. Wir erhalten sofort eine Verallgemeinerung desbinomischen Satzes.

Satz 3.5 (q-Binomialsatz)Es gilt

(1 + zq)(1 + zq2) · · · (1 + zqN) =N∑m=0

[N

m

]qm(m+1)

2 · zm.

Um eine Formel fur die[Nm

]zu erhalten, bemerken wir zunachst, dass

[N0

]=[NN

]= 1 ist.

Ferner gilt(1 + zq)fN(zq, q) = fN+1(z, q),

also

(1 + zq)N∑m=0

[N

m

]qm(m+1)

2 qm · zm =N+1∑m=0

[N + 1

m

]qm(m+1)

2 · zm.

Durch Koeffizientenvergleich erhalten wir[N + 1

m

]qm(m+1)

2 =

[N

m

]qm(m+1)

2 qm +

[N

m− 1

]q

(m−1)m2 qm.

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3.2 Partitionen 45

Division durch qm(m+1)

2 liefert schließlich[N + 1

m

]=

[N

m

]· qm +

[N

m− 1

],

ein Analogon zur Pascal-Rekursion fur die Binomialkoeffizienten.

Satz 3.6Fur 0 ≤ m ≤ N gilt[

N

m

]=

m−1∏k=0

1− qN−k1− qk+1

=(1− qN)(1− qN−1) . . . (1− qN−m+1)

(1− qm)(1− qm−1) . . . (1− q) .

Beweis:Wir machen eine Induktion nach N . Im Fall N = 0 ist die Aussage trivialer Weise erfullt.Fur den Induktionsschritt benutzen wir die obige Rekursion und erhalten somit[

N + 1

m

]=

(1− qN) . . . (1− qN−m+1)

(1− qm) . . . (1− q) · qm +(1− qN) . . . (1− qN−m+2)

(1− qm−1) . . . (1− q)

=(1− qN) . . . (1− qN−m+2)

((qm − qN+1) + (1− qm)

)(1− qm)(1− qm−1) . . . (1− q)

=(1− qN+1)(1− qN) . . . (1− qN−m+2)

(1− qm)(1− qm−1) . . . (1− q) .

Bemerkung:Es gilt [

N

m

]=∑n

p(n | hochstens m Summanden, alle ≤ N −m) · qn

(Ubung:)[N +m− 1

m

]=∑n

p(n | hochstens m Summanden, alle ≤ N − 1) · qn

Der binomische Lehrsatz hat die folgende Verallgemeinerung fur negative Exponenten.

Satz 3.7Fur |z| < 1 ist

1

(1− z)n=∞∑j=0

(n+ j − 1

j

)zj.

Wir zeigen das folgende”q-Analogon“:

Satz 3.8Fur |z| < 1 und |q| < 1 gilt

N∏j=1

1

1− zqj =∞∑m=0

qm[N +m− 1

m

]zm.

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46 3 Erzeugende Funktionen

Beweis:Wir schreiben die linke Seite als Produkt unendlicher Reihen

(1 + zq + z2q2 + . . .+ znqn + . . .)

(1 + zq2 + z2q4 + . . .+ znq2n + . . .)

...

(1 + zqN + z2q2N + . . .+ znqnN + . . .).

Wegen der absoluten Konvergenz konnen wir das Produkt in der Form

∞∑m=0

Am(q)zm

schreiben. Am(q) ist dabei die erzeugende Funktion und es gilt

Am(q) =∑n

p(n | genau m Summanden, alle ≤ N) · qn

(?)=∑n

p(n−m | hochstens m Summanden, alle ≤ N − 1) · qn

= qm∑n

p(n−m | hochstens m Summanden, alle ≤ N − 1) · qn−m

= qm∑n

p(n | hochstens m Summanden, alle ≤ N − 1) · qn

= qm[N +m− 1

m

].

Bei (?) benutzen wir die Bijektion, die 1 von jedem Summanden subtrahiert. �

Sind in der Hauptdiagonalen eines Ferrersgraphen j Felder besetzt, so enthalt der Ferrers-graph ein Quadrat der Große j × j in seiner Nordwest-Ecke. Entfernen wir es, so bleibenrechts und unterhalb des Quadrates eine Partition in hochstens j Summanden und einePartition in Summanden ≤ j. Das Quadrat heißt Durfee-Quadrat der Partition. Dies fuhrtauf eine neue Formel fur P (q) =

∑n

p(n)qn :

P (q) =∞∑j=0

qj2

(1− q)2 . . . (1− qj)2.

Alternativ konnen wir die j Felder in der Hauptdiagonalen entfernen und die Zahlena1 > a2 > . . . > aj ≥ 0 in den ersten j Zeilen rechts der Hauptdiagonalen und b1 > b2 >. . . > bj ≥ 0 in den Spalten unter der Hauptdiagonalen notieren.

Die (2× j)-Matrix

(a1 · · · ajb1 · · · bj

)beschreibt dann den Ferrersgraphen eindeutig.

Betrachten wir nun den Koeffizienten von z0 in dem unendlichen Produkt{(1 + (zq)q0

) (1 + (zq)q1

) (1 + (zq)q2

)· · · (1 + (zq)qn) · · ·

}·{(

1 + z−1q0) (

1 + z−1q1) (

1 + z−1q2)· · ·(1 + z−1qn

)· · ·}.

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3.2 Partitionen 47

Um z0 zu bekommen, mussen wir in jeder geschweiften Klammer die gleiche Anzahl vonFaktoren 6= 1 auswahlen. Wir nehmen an, dass diese Anzahl j ist. Ein solches Produktist dann von der Form

qj · q(a1+···+aj) · q(b1+···+bj)

mit a1 > a2 > · · · > aj ≥ 0 und b1 > b2 > · · · > bj ≥ 0. Also ist der Koeffizient derPotenz z0 genau P (q).Damit konnen wir nun einen beruhmten Satz aus der Theorie der elliptischen Funktionenbeweisen.

Satz 3.9 (Jacobis Tripel-Produkt-Identitat)Fur |q| < 1 und z 6= 0 gilt:

∞∑n=−∞

znqn(n+1)

2 =∞∏n=1

(1− qn) (1 + zqn)(1 + z−1qn−1

).

Beweis:Wir setzen

J(z) :=∞∏n=1

(1 + zqn) ·∞∏n=1

(1 + z−1qn−1),

also genau das unendliche Produkt, das wir vor dem Beweis betrachtet haben, und schrei-ben es als Laurent-Reihe um z = 0

J(z) =∞∑

n=−∞An(q)zn.

Unsere Betrachtung vor dem Beweis zeigte, dass

A0(q) = P (q) =1∏

n≥1

(1− qn)

ist. Substituieren wir zq fur z, so folgt

J(zq) =

( ∞∏n=2

(1 + zqn)

)· (1 + z−1q−1) ·

∞∏n=1

(1 + z−1qn−1)

= z−1q−1

∞∏n=1

(1 + zqn) ·∞∏n=1

(1 + z−1qn−1)

= z−1q−1J(z).

Dies bedeutet fur die Laurent-Reihen∞∑

n=−∞An(q)zn = zq ·

∞∑n=−∞

An(q)qnzn,

alsoAn(q) = qn · An−1(q) = qn · qn−1 · An−2(q) = . . . = q

n(n+1)2 · A0(q)

(auch fur negative n) und damit

J(z) = P (q) ·∞∑

n=−∞qn(n+1)

2 · zn.

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48 3 Erzeugende Funktionen

Bemerkung:Die Formel enthalt als Spezialfall den Eulerschen Pentagonalsatz. (Ersetze q durch q3 undz durch −q−1.)Weitere interessante Anwendungen sind

∞∑n=−∞

(−1)nqn2

=∞∏n=1

(1− qn)

(1 + qn)∞∑n=0

qn(n+1)

2 =∞∏n=1

1− q2n

1− q2n−1

∞∑n=0

(−1)nqn(n+1)

2 (2n+ 1) =∞∏n=1

(1− qn)3

Anschließend wollen wir noch die beruhmten Rogers-Ramanujan-Identitaten zu sprechenkommen.

Satz 3.10Fur |q| < 1 gilt

(i)

1 +∞∑k=1

xk2

(1− x) . . . (1− xk) =∞∏n=1

1

(1− x5n−4)(1− x5n−1)

(ii)

1 +∞∑k=1

xk(k+1)

(1− x) . . . (1− xk) =∞∏n=1

1

(1− x5n−3)(1− x5n−2).

Die linke Seite von (i) bzw. (ii) kann gedeutet werden als die erzeugende Funktion von

p(n | (Summanden haben) Mindestdifferenz 2)

bzw.

p(n |Mindestdifferenz 2, Summanden ≥ 2),

wahrend sich die rechte Seite deuten lasst durch

p(n | alle Summanden ≡ 1 oder 4 mod 5)

bzw.

p(n | alle Summanden ≡ 2 oder 3 mod 5).

Ein einfacher bijektiver Beweis wird immer noch gesucht.

Beweis (von (3.10)):(nach Schur)Wir setzen

D1(q) :=1

∞∏n=1

(1− q5n−4) (1− q5n−1)und D2(q) :=

1∞∏n=1

(1− q5n−3) (1− q5n−2).

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3.2 Partitionen 49

Dann gilt

D1(q) =

∞∏n=1

(1− q5n) (1− q5n−2) (1− q5n−3)

∞∏n=1

(1− qn).

Der Zahler entspricht dem Jacobi-Tripel-Produkt mit z = −q−2 und q ersetzt durch q5,also

D1(q) ·∞∏n=1

(1− qn) =∞∑

n=−∞(−1)nq5

n(n+1)2−2n

=∞∑

n=−∞(−1)n · q n2 (5n+1).

Bezeichnet p1(n|N) die Anzahl der Partitionen von n in Summanden mit Mindestabstand≥ 2 und Summanden ≤ N und p2(n|N) die entsprechende Anzahl, wenn der Summand 1ausgeschlossen wird, so ist

D(N)i (q) :=

∑n

pi(n|N)qn , i = 1, 2.

Klassifiziert man die Partitionen danach, ob der Summand N wirklich auftritt oder nicht,so erhahlt man die Rekursion

D(N)i (q) = D

(N−1)i (q) + qND

(N−2)i (q) , i = 1, 2.

Zusammen mit den Anfangsbedingungen

D(1)1 (q) = 1 + q, D

(2)1 (q) = 1 + q + q2, D

(1)2 (q) = 1, D

(2)2 (q) = 1 + q2

sind die Polynome dadurch festgelegt.Die Beweisidee von Schur besteht darin, Losungen fur die Rekursion

PN(q) = PN−1(q) + qNPN−2(q) (3.1)

zu konstruieren und dann die D(N)i (q) als Linearkombination dieser Losungen darzustellen.

Als Werkzeug zur Konstruktion dieser Losungen dienen ihm die Gaußschen Polynome[k

l

]=

(1− qk)(1− qk−1) · · · (1− qk−l+1)

(1− q)(1− q2) · · · (1− ql) .

Wir beachten, dass[kl

]=[kk−l]

gilt, sowie[kl

]= 0 fur l > k oder k = 0, l 6= 0.

Wir erweitern die Definition, indem wir[k0

]:= 1 setzen (also auch

[00

]:= 1), sowie[

kl

]:= 0 fur l < 0. Den

”Zahler“ k betrachten wir nur fur k ≥ 0.

Wir erinnern auch an die Rekursion[k

l

]=

[k − 1

l − 1

]+ ql

[k − 1

l

], k ≥ 1

sowie die Beziehung[k

l

]=

1− qk1− ql ·

[k − 1

l − 1

]=

[k − 1

l − 1

]+ql − qk1− ql ·

[k − 1

l − 1

], k, l ≥ 1.

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50 3 Erzeugende Funktionen

Die erste Rekursion kann wegen der Symmetrie der Gaußschen Koeffizienten auch wiefolgt geschrieben werden[

k

l

]=

[k − 1

l

]+ qk−l

[k − 1

l − 1

], k ≥ 1,

eine Gleichung, die schon ein wenig an (3.1) erinnert.Schur betrachtet zunachst die (rationalen) Funktionen

F (i)(k, l) :=

[k

l

]− qk−2l+2+i

[k

l − 2− i

], i = 0, 1,

mit k ≥ 0, l ∈ Z.

Lemma 3.11

F (0)(k, l) = F (1)(k − 1, l) + qk−1 · F (0)(k − 2, l − 1)

Beweis:

F (0)(k, l)− F (1)(k − 1, l) =

[k

l

]− qk−2l+2

[k

l − 2

]−[k − 1

l

]+ qk−2l+2

[k − 1

l − 3

]= qk−l

[k − 1

l − 1

]− qk−2l+2 · ql−2 ·

[k − 1

l − 2

]= qk−l ·

([k − 1

l − 1

]−[k − 1

l − 2

])= qk−l ·

([k − 2

l − 2

]+ ql−1 ·

[k − 2

l − 1

]−[k − 2

l − 2

]− qk−l+1

[k − 2

l − 3

])= qk−1 ·

([k − 2

l − 1

]− qk−2l+2 ·

[k − 2

l − 3

])= qk−1 · F (0)(k − 2, l − 1).

Nun setzen wir

εn :=

⌊n+ 1

2

⌋−⌊n

2

⌋∈ {0, 1},

also εn ≡ n mod 2.Fur spater genauer zu definierende ganze Zahlen α, β sei nun

Fn := Fn(q, α) := F (εn)(n+ 1,

⌊n+ 1

2

⌋− α),

Gn := Gn(q, β) := F (1−εn)(n+ 1,⌊n

2

⌋− β).

Dann folgt aus dem Lemma

F (0)(n+ 1,

⌊n+ 1

2

⌋− α) = F (1)(n,

⌊n+ 1

2

⌋− α) + qn · F (0)(n− 1,

⌊n− 1

2

⌋− α).

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3.2 Partitionen 51

Ist n gerade, so bedeutet dies

Fn = Fn−1 + qn · Fn−2

(wegen εn = 0,⌊n+1

2

⌋=⌊n2

⌋), also eine Losung von (3.1).

Analog gilt

F (0)(n+ 1,⌊n

2

⌋− β) = F (1)(n,

⌊n2

⌋− β) + qnF (0)(n− 1,

⌊n− 2

2

⌋− β)

und damit fur ungerades n (⌊n2

⌋=⌊n−1

2

⌋)

Gn = Gn−1 + qnGn−2.

Aus der Definition der F (i)(k, l) ergibt sich

Fn =

[n+ 1⌊n+1

2

⌋− α

]− q2α+3 ·

[n+ 1⌊

n2

⌋− α− 2

],

sowie

Gn =

[n+ 1⌊n2

⌋− β

]− q2β+4 ·

[n+ 1⌊

n+12

⌋− β − 3

].

Nun betrachten wir”Linearkombinationen“

Rn(q) :=∞∑

t=−∞Qt(q)Fn(q, αt),

wobei (Qt) eine Folge von Polynomen ist und αt ∈ Z mit αt →∞ (t→∞),sowie αt → −∞ (t→ −∞) gelte.Dann gilt fur n gerade ebenfalls die Beziehung

Rn(q) = Rn−1(q) + qnRn−2(q).

Ferner ist

Rn(q) =∞∑

t=−∞Qt ·

([n+ 1⌊

n+12

⌋− αt

]− q2αt+3 ·

[n+ 1⌊

n2

⌋− αt − 2

])

= −∞∑

t=−∞

(Qtq

2αt+3

[n+ 1⌊

n2

⌋− αt − 2

]−Qt+1

[n+ 1⌊

n+12

⌋− αt+1

])︸ ︷︷ ︸

(∗)

.

Die Idee ist nun, die Qt und αt so zu bestimmen, dass der Summand (∗) (bis auf einenFaktor, der von n nicht abhangt) zu einem Gn(q, β) wird. Dann gilt die gewunschte Re-kursion auch fur ein ungerades n.Um die

”Nenner“ der Gaußschen Koeffizienten anzugleichen, setzen wir

β = αt + 2, β + 3 = αt+1, also αt+1 = αt + 5, αt = α0 + 5t.

Außerdem brauchen wir

Qt+1 = Qt · q4αt+11 = Qt · q4α0+20t+11,

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52 3 Erzeugende Funktionen

alsoQt = Q0 · q4α0t+10t(t−1)+11t = Q0 · qt(10t+4α0+1).

Setzen wir dieses Ergebnis wieder in die Definition der Rn ein, so folgt

Rn(q) = Q0·∞∑

t=−∞

(qt(10t+4α0+1)

[n+ 1⌊

n+12

⌋− α0 − 5t

]− qt(10t+4α0+1)+2α0+10t+3

[n+ 1⌊

n2

⌋− α0 − 5t− 2

]).

Jetzt noch etwas Kosmetik:

t(10t+ 4α0 + 1) =2t

2· (5 · 2t+ 4α0 + 1)

und

t(10t+ 4α0 + 1) + 2α0 + 10t+ 3 =2t+ 1

2(5(2t+ 1) + 4α0 + 1) ,⌊

n+ 1

2

⌋− 5 · t =

⌊n+ 1− 5 · 2t

2

⌋,⌊n

2

⌋− 5t− 2 =

⌊n+ 1− 5(2t+ 1)

2

⌋,

also

Rn(q) = Q0 ·∞∑

m=−∞(−1)m · (q)m2 ·(5m+4α0+1) ·

[n+ 1⌊

n+1−5m2

⌋− α0

].

Wahlen wir Q0 = 1, α0 = 0, so ergibt sich R0(q) = 1, R1(q) = 1 + q, also

D(N)1 (q) = RN(q) =

∞∑m=−∞

(−1)m · qm2 ·(5m+1) ·[

N + 1⌊N+1−5m

2

⌋].Fur Q0 = 1, α0 = −1 ergibt sich R0(q) = 1 = R1(q), also

D(N)2 (q) =

∞∑m=−∞

(−1)m · qm2 (5m−3) ·[

N + 1⌊N+1−5m

2

⌋+ 1

].

In dem Zahlerprodukt des Gaußschen Koeffizienten[

N+1

bN+1−5m2 c

]ist 1−qS der letzte Faktor,

S = N + 1−⌊N+1−5m

2

⌋+ 1 =

⌊N+5m

2

⌋+ 1.

Dann ist

m

2(5m+ 1) +

⌊N + 5m

2

⌋+ 1 ≥ |m|(5|m| − 1)

2+N − 5|m|

2

≥ 5|m|(|m| − 2)

2+N

2

>

⌊N

2

⌋− 3.

Deshalb stimmt das Polynom

qm2

(5m+1) ·[

N + 1⌊N+1−5m

2

⌋]mit der Potenzreihe

qm2

(5m+1)

(1− q)(1− q2) . . . (1− qb(N+1−5m

2 c)

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3.2 Partitionen 53

in den Koeffizienten bis⌊N2

⌋− 3 uberein und damit ebenso mit der Potenzreihe

qm2

(5m+1)

∞∏n=1

(1− qn).

D(N)1 (q) stimmt also mit der Reihe

∞∑m=−∞

(−1)mqm2

(5m+1) · 1∏n≥1

(1− qn)

in den ersten⌊N2

⌋− 3 Koeffizienten uberein.

Daraus folgt die Behauptung. �

Ramanujan betrachtete den Kettenbruch K(q) = 1 +q

1 +q2

1 +q3

1 + . . .

,

also den Grenzwert der Folge

1, 1 + q, 1 +q

1 + q2=

1 + q + q2

1 + q2, . . . ,

also

Kn(q) = 1 +q

1 +q2

...

1 + qn

und K(q) = limn→∞

Kn(q).

Dann gilt

Kn(q) =D

(n)1 (q)

D(n)2 (q)

fur alle n, also

K(q) =

∞∏n=1

(1− q5n−3)(1− q5n−2)

∞∏n=1

(1− q5n−4)(1− q5n−1).

Der Grenzwert existiert fur |q| < 1 und Ramanujan bestimmte die WerteK(e−2π),K(e−π),

K(e−2π·√

5) aus dieser Gleichung.

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54 3 Erzeugende Funktionen

So erhielt er zum Beispiel die Formeln

1

1 +e−2π

1 +e−4π

1 +e−6π

...

=

√5 +√

5

2−√

5 + 1

2

· e 2π5 ,

1− e−π

1 +e−2π

1− e−3π

...

=

√5−√

5

2−√

5− 1

2

· eπ5 ,

von denen Hardy schreibt:

”[These formulas] defeated me completely. I had never seen anything in the least like them

before. A single look at them is enough to show that they could only be written down bya mathematician of the highest class. They must be true because, if they were not true,no one would have had the imagination to invent them.“

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4 Die Inzidenzalgebra

4.1 Einfuhrung

Wir betrachten Halbordnungen (P,≤), wobei P lokal endlich ist, d.h. fur alle x, y ∈ P istdas Intervall [x, y] := {z ∈ P : x ≤ z ≤ y} eine endliche Menge.Ferner sei I(P ) := {f : P × P → K : f(x, y) = 0 falls x 6≤ y}. K ist ein Korper derCharakteristik 0 und I(P ) damit ein K-Vektorraum.Fur f, g ∈ I(P ) definieren wir das Produkt f ∗ g wie folgt

(f ∗ g)(x, y) :=∑z∈[x,y]

f(x, z) · g(z, y).

Offenbar ist f ∗ g in I(P ) und man rechnet leicht nach, dass I(P ) mit diesem Produktzu einer Algebra wird, der sog. Inzidenzalgebra von (P,≤).Wir definieren δ, ζ ∈ I(P ) vermoge

δ(x, y) := [x = y] , ζ(x, y) := [x ≤ y] .

Dann ist δ das neutrale Element der Multiplikation: f ∗ δ = δ ∗ f = f fur alle f ∈ I(P ).

In unseren Beispielen wird P stets endlich oder abzahlbar unendlich sein. Um die Multi-plikation besser zu verstehen, betten wir P in eine Totalordnung ein, d.h. wir schreibenP = {p0, p1, p2, . . . } oder P = {. . . , p−1, p0, p1, . . . }, sodass gilt: pi ≤ pj ⇒ i ≤ j.Dass eine solche Einbettung existiert, werden wir noch zeigen. Wir konnen uns danndie f ∈ I(P ) als unendliche Matrizen vorstellen und das Produkt entspricht genau demMatrizenprodukt

(f ∗ g)(pi, pk) =∑

j : i≤j≤kf(pi, pj)g(pj, pk).

Dabei entspricht δ der Einheitsmatrix.

Lemma 4.1Jede abzahlbare lokal-endliche Halbordnung kann zu einer lokal-endlichen Totalordnungerweitert werden.

Beweis:Es sei (P,≤) lokal-endlich, P = {pi | i ∈ N0}. Fur A ⊆ P sei

I(A) := {p ∈ P : ∃ a ∈ A mit p ≤ a},

F (A) := {p ∈ P : ∃ a ∈ A mit a ≤ p}.I(A) (bzw. F (A)) heißt das von A erzeugte Ideal (bzw. der von A erzeugte Filter).Ferner sei

M+(A) := {p ∈ P\I(A) : @ a ∈ A mit | [a, p] \A| ≥ 2}M−(A) := {p ∈ P\F (A) : @ a ∈ A mit | [p, a] \A| ≥ 2}.

Weil P lokal-endlich ist, ist M+(A) = ∅ genau dann, wenn P = I(A) und M−(A) = ∅genau dann, wenn P = F (A).Wir betrachten nun den folgenden Algorithmus:

55

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56 4 Die Inzidenzalgebra

1. a0 := p0, A := {a0}

2. Angenommen, ai, . . . , a0, . . . , aj sind bereits definiert, A := {ai, . . . , a0, . . . , aj}.2.1. Teste, ob M+(A) 6= ∅ ist.

Falls ja, wahle pk ∈M+(A) mit minimalem Index k, setze

aj+1 := pk, A := {ai, . . . , a0, . . . , aj+1}.

2.2. Teste, ob M−(A) 6= ∅ ist.Falls ja, wahle pk ∈M−(A) mit minimalem Index k und setze

ai−1 := pk, A := A ∪ {ai−1}.

Der Algorithmus bricht ab, falls M+(A) = M−(A) = ∅ ist (was gleichbedeutend mitP = A ist).Dieser Algorithmus produziert eine Folge (ak)k∈S mit folgenden Eigenschaften:

1. Es gilt

S = {i, . . . , 0, . . . , j} mit i, j ∈ Z oder

S = {i, . . . , 0, . . . } = Z≥i oder

S = {. . . , 0, . . . , j} = Z≤j oder

S = Z.

2. Zu jedem p ∈ P existiert genau ein k ∈ S mit ak = p. Wir schreiben k = k(p).

3. Ferner gilt:p ≤ q ⇒ k(p) ≤ k(q) fur alle p, q ∈ P.

(Beweis: Ubung)Da S mit der naturlichen Ordnung auf Z total geordnet ist, folgt die Behauptung. �

Die Analogie zu den oberen Dreiecksmatrizen legt den folgenden Satz nahe.

Satz 4.2Ein f ∈ I(P ) ist genau dann invertierbar, wenn f(x, x) 6= 0 fur alle x ∈ P .Die (zweiseitige) Inverse f−1 ist gegeben durch

f−1(x, x) =1

f(x, x),

fur x 6= y : f−1(x, y) = − 1

f(y, y)·∑

z :x≤z<yf−1(x, z)f(z, y),

d.h. f−1(x, y) hangt nur von den Werten von f im Intervall [x, y] ab und kann rekursiv(nach | [x, y] |) berechnet werden.

Beweis:Aus f ∗ g = δ (oder g ∗ f = δ) folgt fur alle x ∈ P :

1 = δ(x, x) = (f ∗ g)(x, x) = f(x, x) · g(x, x) = (g ∗ f)(x, x),

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4.1 Einfuhrung 57

also f(x, x) 6= 0. Definiert man induktiv ein f−1 ∈ I(P ) wie im Satz angegeben, so rechnetman sofort nach, dass

(f−1 ∗ f)(x, y) =∑

z :x≤z≤yf−1(x, z) · f(z, y)

=∑

z :x≤z<yf−1(x, z) · f(z, y) + f−1(x, y) · f(y, y)

= δ(x, y)

gilt. Analog zeigt man die Existenz einer Rechtsinversen g und es ist

g = (f−1 ∗ f) ∗ g = f−1 ∗ (f ∗ g) = f−1.

Ist f ∈ I(P ) mit f(x, x) = 0 fur alle x ∈ P , so macht es Sinn, die”unendliche Reihe“

∞∑k=0

fk zu betrachten. Fur beliebige (feste) x, y ∈ P ist namlich

fk(x, y) =∑

x≤z1≤z2≤...≤zk−1≤yf(x, z1) · f(z1, z2) . . . f(zk−1, y)

=∑

x<z1<z2<...<zk−1<y

f(x, z1) · f(z1, z2) . . . f(zk−1, y)

= 0, falls k ≥ | [x, y] |.Die Summe ist also fur jedes Paar x, y endlich. Dies ermoglicht unter anderem eine alter-native Darstellung der Inversen.

Satz 4.3Es sei f ∈ I(P ) invertierbar und f der Diagonalanteil von f , d.h.

f(x, y) := f(x, y) · [x = y] , (x, y ∈ P ).

Dann ist f ∗ f−1 = δ − g mit g(x, x) = 0 fur alle x.Dann gilt:

f−1 = f−1 ∗ (f ∗ f−1)−1 = f−1 ∗ (δ − g)−1

= f−1 ∗∞∑k=0

gk =∞∑k=0

f−1 ∗ gk.

Die Inzidenzalgebra bestimmt P bis auf Isomorphie:

Satz 4.4Seien P,Q lokal-endlich. Dann gilt:

I(P ) ∼= I(Q)⇒ P ∼= Q

Beweis: Ubung.

Beispiele:Außer δ und ζ fuhren wir weitere Bezeichnungen fur spezielle Inzidenzfunktionen ein:

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58 4 Die Inzidenzalgebra

(i) µ := ζ−1 heißt Mobiusfunktion von P .Es gilt fur x, y ∈ P :

µ(x, x) = 1,

µ(x, y) = −∑

z :x≤z<yµ(x, z) = −

∑z :x<z≤y

µ(z, y)

(ii) λ(x, y) :=

{1 , 1 ≤ | [x, y] | ≤ 2

0 , sonst.

(iii) η := ζ − δ heißt Kettenfunktion.

(iv) κ := λ− δ heißt Cover-Funktion.

Satz 4.5Fur x, y ∈ P gilt:

(i) ηk(x, y) = Anzahl der (x-y)-Ketten der Lange k.

(ii) κk(x, y) = Anzahl der maximalen (x-y)-Ketten der Lange k.

(iii) ζk(x, y) = Anzahl der(x-y)-Ketten mit Wiederholung der Lange k.

(iv) λk(x, y) = Anzahl der maximalen (x-y)-Ketten mit Wiederholung der Lange k.

(v) ∑k≥0

ηk(x, y) = (2δ − ζ)−1(x, y) = Anzahl der (x-y)-Ketten.

(vi) ∑k≥0

κk(x, y) = (2δ − λ)−1(x, y) = Anzahl der maximalen (x-y)-Ketten.

Beispiele:

(i) Sei (P,≤) = (N0,≤). Dann ist

ηk(x, y) =

(n− 1

k − 1

)mit n = | [x, y] | = y − x+ 1.

(Die Ketten entsprechen den geordneten k-Partitionen von n.)

ζk(x, y) =

(n+ k − 1

n

)und λk(x, y) =

(k

n

).

(Ubung.)

(ii) Sei (P,≤) = (Re(N),⊆) mit Re(N) := {X ⊆ N : X endlich}.Fur X, Y ∈ Re(N) und n := |Y \X| erhalten wir:

ηk(X, Y ) = k!Sn,k , Sk(X, Y ) = kn

κk(X, Y ) = [n = k] · k! , λk(X, Y ) = kn.

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4.1 Einfuhrung 59

(iii) Sei (P,≤) = (N, |) also die naturlichen Zahlen mit der Teilbarkeitsrelation.Fur x, y ∈ N mit x | y sei y

x= pα1

1 . . . pαrr mit verschiedenen Primzahlen p1, . . . , pr undα1, . . . , αr ≥ 1. Dann ist ζ2(x, y) die Anzahl der Teiler von y

x, also (α1+1) · · · (αr+1).

κk(x, y) ist nur im Fall k = α1 + . . .+ αr von Null verschieden.Es ergibt sich dann(

k

α1

)·(k − α1

α2

)· · ·(k − α1 − . . .− αr−1

αr

),

der sogenannte Multinomialkoeffizient(k

α1, . . . , αr

).

Beispiel: (Mobius-Funktionen)

(i) (N0,≤) : µ(x, y) =

1, falls x = y

−1, falls y = x+ 1

0, sonst.

(ii) (Re(N),⊆) : µ(X, Y ) = (−1)|Y \X| · [X ⊆ Y ] .

(iii) (N, |) : µ(x, y) =

(−1)r, falls y

xProdukt von r Primzahlen, quadratfrei

1, falls x = y

0, sonst.

Es bezeichne µ(y) = µ(1, y) mit y ∈ Z die zahlentheoretische Mobiusfunktion.

Es seien endlich viele lokal endliche Halbordnungen (Pi,≤i) gegeben, 1 ≤ i ≤ n. Wirbetrachten die Produkthalbordnung (P,≤) mit P := P1 × · · · × Pn und

(x1, . . . , xn) ≤ (y1, . . . , yn) :⇔ xi ≤ yi fur alle 1 ≤ i ≤ n.

Fur die Zetafunktion gilt offenbar

ζp((x1, . . . , xn), (y1, . . . , yn)) =n∏i=1

ζpi(xi, yi).

Nun rechnet man leicht nach, dass auch die Mobiusfunktion µp eine entsprechende Pro-duktzerlegung gestattet

µp((x1, . . . , xn), (y1, . . . , yn)) =n∏i=1

µpi(xi, yi).

Dies wollen wir auf unsere Beispiele (i) − (iii) anwenden.Zu (i): Dies kann man sofort mit Induktion nach y− x beweisen, wenn man auf Satz 1.38zuruckgreift.Fur (ii) betrachten wir ein festes Intervall [X, Y ] , X ⊆ Y ⊆ N. Weil die Werte vonµ(X, Y ) nur von den Werten µ(X,Z) und µ(Z, Y ) mit Z ∈ [X, Y ] abhangen, genugtes, die Formel fur die Halbordnung ([X, Y ] ,⊆) zu zeigen. Diese ist offenbar isomorph zu({0, 1},≤)n mit n = |Y \X|.

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60 4 Die Inzidenzalgebra

Aus (i) und der Produktformel ergibt sich: µ(X,Z) = (−1)|Z\X|, was zu zeigen war.Analog im Fall (iii): Wir schreiben

x =n∏i=1

pαii , y =n∏i=1

pβii , pi prim, 0 ≤ αi ≤ βi, 1 ≤ i ≤ n.

([x, y] , |) ist dann isomorph zum Produkt von n Ketten (Totalordnungen) der Langenβi − αi, deren Mobiusfunktion nach (i) bekannt ist. Daraus folgt die angegebene Formelfur µ.

Die Mobiusfunktionen dienen zur Inversion von Summenformeln.

Satz 4.6 (Mobius-Inversion)Es sei (P,≤) lokal endlich (und abzahlbar) und f, g : P → K, wobei K ein Korper derCharakteristik 0 ist, der auch unserer Inzidenzalgebra zu Grunde liegt.Dann gilt:

(i) Falls alle Hauptideale I(x), x ∈ P endlich sind:

g(x) =∑y:y≤x

f(y) fur alle x ∈ P

⇔ f(x) =∑y:y≤x

g(y)µ(y, x) fur alle x ∈ P

(ii) Falls alle Hauptfilter F (x) (x ∈ P ) endlich sind:

g(x) =∑y:x≤y

f(y) fur alle x ∈ P

⇔ f(x) =∑y:x≤y

µ(x, y)g(y) fur alle x ∈ P

Beweis:Indem wir (P,≤) in eine lokal endliche Totalordnung einbetten, konnen wir ζ und µdurch (evtl. unendliche) Matrizen ζ und µ darstellen. Analog entsprechen f und g (evtl.unendlichen) Zeilen- bzw. Spaltenvektoren f , g bzw. f , g.Die Aquivalenzen unter (i) und (ii) bedeuten dann lediglich

g = f · ζ ⇔ gµ = f bzw. ζ · f = g ⇔ f = µg.

4.2 Das Prinzip von Inklusion und Exklusion

Beispiel:Wie viele Zahlen zwischen 1 und 900 sind zu 900 teilerfremd?Dazu betrachten wir die Primfaktorzerlegung von 900:

900 = 9 · 100 = 32 · 22 · 52.

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4.2 Das Prinzip von Inklusion und Exklusion 61

Es sei

A := {n ∈ N : n ≤ 900, 2 | n}, B := {n ∈ N : n ≤ 900, 3 | n},C := {n ∈ N : n ≤ 900, 5 | n}.

Dann ist die gesuchte Anzahl 900−|A∪B∪C|. Zur Bestimmung von |A∪B∪C| addierenwir zunachst |A| + |B| + |C|. Dies ist zu viel, da die Zahlen in A ∩ B, A ∩ C, B ∩ Cdoppelt gezahlt wurden, wir subtrahieren also diese Kardinalitaten. Nun kann es abernoch Elemente in A∩B ∩C geben. Diese wurden insgesamt 0-mal gezahlt. Wir addieren|A ∩B ∩ C| und haben ein korrektes Ergebnis

|A ∪B ∪ C| = |A|+ |B|+ |C|− |A ∩B| − |A ∩ C| − |B ∩ C|+ |A ∩B ∩ C|.

A B

C

In unserem Beispiel ergibt sich

|A| = 450, |B| = 300, |C| = 180, |A ∩B| = 900

2 · 3 = 150,

|A ∩ C| = 90, |B ∩ C| = 60, |A ∩B ∩ C| = 30.

Somit erhalten wir

|A ∪B ∪ C| = 450 + 300 + 180− 150− 90− 60 + 30 = 660,

die gesuchte Anzahl ist also 900− 660 = 240.Etwas allgemeiner taucht das Problem in der Wahrscheinlichkeitstheorie auf. Wir habenEreignisse A1, . . . , An und ein Wahrscheinlichkeitsmaß P und wollen P (A1 ∪ · · · ∪ An)bestimmen.

Satz 4.7Es seien A1, . . . , An Ereignisse, P ein Wahrscheinlichkeitsmaß.

P

(n⋃i=1

Ai

)=

∑∅6=I⊆{1,...,n}

(−1)|I|−1P (AI),

wobei AI :=⋂i∈IAi ist.

Beweis:Zunachst ist

P

(n⋃i=1

Ai

)= 1− P

(n⋂i=1

Aci

).

Fur ein Ereignis B bezeichne 1B seine Indikatorfunktion 1B(ω) := [ω ∈ B] .Offenbar gilt 1Bc = 1−1B, 1A∩B = 1A ·1B, sowie E(1B) = P (B) fur den Erwartungswert.

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62 4 Die Inzidenzalgebra

Nun folgt

P

(n⋂i=1

Aci

)= E

(1 n⋂i=1

Aci

)= E

(n∏i=1

1Aci

)= E

(n∏i=1

(1− 1Ai)

)

=∑

I⊆{1,...,n}(−1)|I|E

(∏i∈I

1Ai

)

=∑

I⊆{1,...,n}(−1)|I|E

(1 ⋂i∈I

Ai

)=

∑I⊆{1,...,n}

(−1)|I|P (AI),

woraus die Behauptung folgt. �

Wir versuchen nun, diese Formeln mit Hilfe der Mobius-Inversion zu verstehen und zuverallgemeinern.Sind Teilmengen A1, . . . , An ⊆ S gegeben, so sei T := {1, . . . , n}, f(I) sei die Anzahl derElemente von S, die genau zu den Ai mit i ∈ I gehoren und zu keinen anderen, d.h.

f(I) :=

∣∣∣∣∣∣⋂i∈IAi ∩

⋂i∈T\I

Aci

∣∣∣∣∣∣ I ⊆ T.

Offenbar gilt ∑J : I⊆J⊆T

f(J) =

∣∣∣∣∣⋂i∈IAi

∣∣∣∣∣ ,also per Mobius-Inversion

f(I) =∑

J : I⊆J⊆T(−1)|J\I|

∣∣∣∣∣⋂i∈IAi

∣∣∣∣∣,die klassische Siebformel fur I 6= ∅.Interessiert man sich fur die Anzahl der Elemente von S, die in genau k der Mengen Ailiegen, so folgt ∑

I: I⊆T,|I|=kf(I) =

∑I: |I|=k

∑J : I⊆J⊆T

(−1)|J\I|

∣∣∣∣∣⋂i∈J

Ai

∣∣∣∣∣=

∑J : |J |≥k

∑I: I⊆J,|I|=k

(−1)|J |−k

∣∣∣∣∣⋂i∈J

Ai

∣∣∣∣∣=

n∑l=k

(−1)l−k(l

k

) ∑J : |J |=l

∣∣∣∣∣⋂i∈J

Ai

∣∣∣∣∣.Dies kann sofort verallgemeinert werden.Ist S endlich, A1, . . . , An ⊆ S und w : S → R. Wir setzen

w(A) :=∑a∈A

w(a) fur alle A ⊆ S.

Dann gelten die folgenden Siebformeln:

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4.3 Reduzierte Algebra und erzeugende Funktionen 63

(i)

w

(n⋃j=1

Aj

)=∑∅6=I⊆T

(−1)|I|−1w

(⋂i∈IAi

).

(ii) Mit Bk := {x ∈ S : x gehort genau zu genau k der Mengen A1, . . . , An} gilt

w(Bk) =n∑l=k

(−1)l−k(l

k

) ∑J : |J |=l

w

(⋂i∈IAi

).

Beispiel: (Eulersche ϕ-Funktion)Wir verallgemeinern das erste Beispiel zum Prinzip von Inklusion und Exklusion.Es sei

m = pα11 · . . . · pαnn , pi prim, αi > 0 fur 1 ≤ i ≤ n.

Weiter seien S := {1, . . . ,m}, T := {1, . . . , n} und Ai := {x ∈ S : pi|x}, 1 ≤ i ≤ m.Dann ist ∣∣∣∣∣⋂

i∈IAi

∣∣∣∣∣ =m∏

i∈Ipi

und wir erhalten fur ϕ(m), die Anzahl der zu m teilerfremden Zahlen in S

ϕ(m) = |B0| =n∑l=0

(−1)l∑

J : |J |=l

m∏j∈J

pj

= m ·n∏i=1

(1− 1

pi

).

Mit Hilfe der zahlentheoretischen Mobiusfunktion µ konnen wir dies wie folgt ausdrucken

ϕ(m) =∑d | m

d µ(md

).

Die Inversion uber den Teilerverband ([1,m] , |) liefert

m =∑d | m

ϕ(d).

4.3 Reduzierte Algebra und erzeugende Funktionen

Wir betrachten nun eine Aquivalenzrelation”≈“ auf den Intervallen einer Halbordnung

(P,≤) mit einer gewissen Vertraglichkeitsbedingung.

Definition 4.8Es sei Int(P ) := {[x, y] | x, y ∈ P, x ≤ y}. Eine Aquivalenzrelation ≈ auf Int(P ) heißtzulassig, falls fur alle f, g ∈ I(P ) gilt:f ∗ g ist konstant auf ≈-Klassen, falls f und g konstant auf ≈-Klassen sind.

Beispiele:

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64 4 Die Inzidenzalgebra

(i) Ordnungsisomorphie ist zulassig.Seien [x, y] , [u, v] ∈ Int(P ), ϕ : [x, y] → [u, v] ein Ordnungsisomorphismus und f, gkonstant auf ≈-Klassen. Dann gilt

(f ∗ g)(x, y) =∑

z: x≤z≤yf(x, z) · g(z, y)

=∑

z: x≤z≤yf(ϕ(x), ϕ(z)) · g(ϕ(z), ϕ(y))

=∑

z: x≤z≤yf(u, ϕ(z)) · g(ϕ(z), v)

=∑

w: u≤w≤vf(u,w) · g(w, v) = (f ∗ g)(v, w).

(ii) Fur (N, |) betrachten wir

[k, l] ≈ [m,n] :⇔ l

k=

n

m.

Diese Aquivalenzrelation ist feiner als Ordnungsisomorphie.Die Abbildung

”i 7→ i · m

k“ ist ein Ordnungsisomorphismus von [k, l] auf [m,n],

aber zwei Intervalle der Form [1, p] (p prim) sind niemals aquivalent, obwohl sietrivialerweise ordnungsisomorph sind. Die Zulassigkeit folgt aus

(f ∗ g)(k, l) =∑i: k | i | l

f(k, i)g(i, l)

=∑i: k | i | l

f(m, i · mk

)g(i · mk, n)

=∑

j: m | j |nf(m, j)g(j, n) = (f ∗ g)(m,n).

Definition 4.9Die Menge der Aquivalenzklassen Int(P )/ ≈ bezeichnen wir kurz mit T und nennen ihreElemente Typen. F (P,≈) bezeichne die Menge der Funktionen von T in K.Sind α, β, γ Typen und [x, y] ∈ α, so heißen die Zahlen[

α

β γ

]:= |{z ∈ [x, y] | [x, z] ∈ β, [z, y] ∈ γ}|

die Inzidenzkoeffizienten von F (P,≈).

Diese sind unabhangig von der Wahl des Intervalls [x, y] ∈ α, denn:Fur ω ∈ T definieren wir fω ∈ I(P ) vermoge

fω(x, y) :=

{1, [x, y] ∈ ω0, sonst.

Dann gilt fur [x, y] , [u, v], die beide zu α gehoren,

|{z | z ∈ [x, y] , [y, z] ∈ β, [z, y] ∈ γ}| = (fβ ∗ fγ)(x, y)≈ zulassig

= (fβ ∗ fγ)(u, v)

= |{w | w ∈ [u, v] , [u,w] ∈ β, [w, v] ∈ γ}| .

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4.3 Reduzierte Algebra und erzeugende Funktionen 65

Satz 4.10F (P,≈) wird zu einer (assoziativen) Algebra mit der gewohnlichen Addition und skalarenMultiplikation und dem Produkt f ∗ g = h, das definiert ist vermoge

h(α) :=∑β,γ ∈T

β γ

]f(β)g(γ) (α ∈ T ).

Diese Algebra ist isomorph zur Unteralgebra der Funktionen aus I(P ), die konstant aufden Typen sind. F (P,≈) ist abgeschlossen unter Inversenbildung.

Beweis:Klar bis auf die Aussage uber Inverse.Diese folgt aus der Darstellung der Inversen als

”geometrische Reihe“ (Satz 4.3). �

Die Funktionen ζ, µ, η, κ (bzw. ihre isomorphen Bilder) gehoren alle zu F (P,≈).

Fur die wichtigsten Beispiele, die wir betrachtet haben, versuchen wir nun, die Strukturvon F (P,≈) genauer zu verstehen.

(i) (N0,≤): ≈: OrdnungsisomorphieDie Typen sind Kettenlangen und entsprechen bijektiv den Zahlen {0, 1, 2, . . . }. DieFunktion f ∈ F (P,≈) ist also durch die Folge (an)∞n=0 mit f(n) = an (n ∈ T )bestimmt. Die Inzidenzkoeffizienten sind[ n

k l

]= [n = k + l] .

Seien f, g, h ∈ F (P,≈) mit f ∗ g = h und f(n) = an, g(n) = bn, h(n) = cn, so folgt

cn =∑

k,l: k+l=n

akbl =n∑k=0

akbn−k.

F (P,≈) ist also isomorph zur Algebra der formalen Potenzreihen mit dem ublichemCauchy-Produkt.Dabei ist die ζ-Funktion gegeben durch

∞∑k=0

xk =1

1− x =: ζ(x)

und somit µ(x) = 1− x.

Beispiel: (Geordnete Zahlpartitionen von n)Wir wissen, dass ηk(x, y) die Anzahl der (x − y)-Ketten der Lange k ist, also ent-spricht die Anzahl aller Ketten∑

k≥0

ηk(x, y) = (δ + η + η2 + . . . )(x, y) = (δ − η)−1 = (2δ − ζ)−1.

Wir erhalten fur die Anzahl der geordneten Zahlpartitionen von n in k Summanden

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66 4 Die Inzidenzalgebra

Pn,k ∑n

Pn,kxn =

(1

1− x − 1

)k=

(x

1− x

)k= xk · 1

(1− x)k

= xk ·∞∑j=0

(k + j − 1

j

)xj =

∞∑n=k

(n− 1

k − 1

)xn.

Fur die geordneten Partitionen in eine beliebige Zahl von Summanden folgt

∞∑n=0

Pnxn =

1

2− (1− x)−1=

1− x1− 2x

= (1− x) ·∞∑n=0

(2x)n

= (1− x) ·∞∑n=0

2nxn = 1 +∞∑n=1

2n−1xn.

(ii) (Pe(N),⊆), ≈: OrdnungsisomorphieDer Isomorphietyp von [X, Y ] ist durch |Y \X| gegeben und somit T = {0, 1, 2, . . . }.Als Inzidenzkoeffizienten erhalten wir[ n

k l

]=

{(nk

), k + l = n

0, sonst.

Fur an = f(n), bn = g(n), cn = (f ∗ g)(n) gilt die Beziehung

cn =∑k+l=n

(n

k

)akbl =

n∑k=0

(n

k

)akbn−k.

Die Multiplikation entspricht der Multiplikation exponentiell erzeugender Funktio-nen

cnn!

=n∑k=0

akk!· bn−k

(n− k)!.

Die ζ-Funktion entspricht also hier

ζ(x) =∞∑n=0

1 · xn

n!= ex

und damit µ(x) = e−x.

Beispiel: (Geordnete Partitionen einer n-elementigen Menge in k Klassen)Diese Anzahl cn,k ist Sn,k · k!. Andererseits entsprechen diese Partitionen wiederKetten der Lange k, also∑

n

cn,k ·xn

n!= ηk(x) = (ζ − δ)k(x) = (ex − 1)k.

Summation uber alle k liefert

1

1− (ex − 1)=

1

2− ex .

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4.3 Reduzierte Algebra und erzeugende Funktionen 67

(iii) (N, | ) : [k, l] ≈ [m,n]⇔ l

k=

n

mDie Typen entsprechen T = {1, 2, 3, . . . }. Als Inzidenzkoeffizienten erhalten wir

[ nk l

]=

{1, n = k · l0, sonst.

Es gilt

cn =∑k,l

[ nk l

]akbl =

∑k | l

akbnk.

Dies ist die Multiplikationsvorschrift fur sogenannte Dirichletreihen( ∞∑k=1

akks

)·( ∞∑n=1

blls

)=∞∑n=1

∑k·l=n

ak · bl ·1

ns.

Dies ist die verbreitetste Art von erzeugenden Funktionen in der Zahlentheorie.Dann ist

ζ(s) = ζ(s) =∞∑n=1

1

ns

die Riemannsche ζ-Funktion und ζ−1

(s) =∞∑n=1

µ(n)ns

.

Die Funktion (2 − ζ(s))−1 zahlt hier die Anzahl der geordneten Faktorisierungeneiner Zahl in Faktoren ≥ 2.

Diese Funktion wurde bereits von Euler betrachtet. Er betrachtete das Produkt∏p prim,p≤N

1

1− 1p

=∏p prim,p≤N

(1 +

1

p+

1

p2+ . . .

)(∗)=

∑n: alle Primfaktoren

von n≤N

1

n,

wobei die Gleichheit in (∗) aus dem Satz uber die eindeutige Primfaktorzerlegung folgt.Wegen der Divergenz der harmonischen Reihe liefert dies einen Beweis dafur, dass esunendlich viele Primzahlen gibt.

Riemann betrachtete nun ζ(s) fur komplexe s = σ+ it mit σ = Re(s) > 1 und erhielt dieProduktdarstellung

ζ(s) =∏p prim

(1− p−s)−1.

Offensichtlich hat ζ(s) bei s = 1 eine Polstelle und kann meromorph auf die ganze komple-xe Ebene fortgesetzt werden. Diese Fortsetzung von ζ(s) hat (triviale) Nullstellen an denStellen −2,−4,−6, . . . . Alle ubrigen Nullstellen liegen im sogenannten kritischen Streifen{s | 0 ≤ σ ≤ 1}. Die beruhmte Riemannsche Vermutung lautet nun:Alle Nullstellen von ζ(s) im kritischen Streifen liegen auf der Geraden σ = 1

2.

Der fruher schon erwahnte Primzahlsatz ist aquivalent zu der Aussage, dass keine Null-stelle von ζ(s) auf der Geraden σ = 1 liegt.

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68 4 Die Inzidenzalgebra

Die ersten wichtigen Resultate in Richtung des Primzahlsatzes wurden jedoch von Che-byshev erzielt. Er studierte die Funktionen

ϑ(x) =∑p: p≤x

log p und ψ(x) =∑

(p,m): pm≤xlog p,

wobei p immer fur eine Primzahl steht.

Wegen pm ≤ x g.d.w. m ≤ log x

log pgilt

ψ(x) =∑p: p≤x

⌊log x

log p

⌋· log p ≤

∑p: p≤x

log x

log p· log p = π(x) · log x,

alsoϑ(x)

x≤ ψ(x)

x≤ π(x) · log x

x.

Andererseits ist fur ε > 0

ϑ(x) ≥∑

x1−ε<p≤xlog p ≥

∑x1−ε<p≤x

log(x1−ε) = (1− ε) · log x ·(π(x)− π

(x1−ε)) ,

alsoϑ(x)

x≥ (1− ε) · π(x) · log x

x− (1− ε) · log x

xε.

Aus diesen Ungleichungen schloss Chebyshev

a := lim infx→∞

ϑ(x)

x= lim inf

x→∞ψ(x)

x= lim inf

x→∞π(x) log x

x

und ebenso

A := lim supx→∞

ϑ(x)

x= lim sup

x→∞

ψ(x)

x= lim sup

x→∞

π(x) log x

x

Betrachten wir zunachst den Binomialkoeffizienten(

2n+1n

)= (2n+1)!

n!(n+1)!, der zweimal in der

Binomialentwicklung von (1 + 1)2n+1 vorkommt. Dann gilt

2 ·(

2n+ 1

n

)< 22n+1 bzw.

(2n+ 1

n

)< 22n.

Da jede Primzahl p mit n+ 1 < p ≤ 2n+ 1 diesen Binomialkoeffizienten teilt, folgt

ϑ(2n+ 1)− ϑ(n+ 1) =∑

n+1<p≤ 2n+1

log p ≤ log

(2n+ 1

2

)< 2n log 2.

Nun folgt durch Induktion nach m, dass ϑ(m) ≤ 2m · log 2, denn die Ungleichung istsicher richtig fur m ≤ 2 und fur den Induktionsschluss (m − 1 → m) unterscheiden wirzwei Falle.1. Fall m = 2n :

ϑ(m) = ϑ(2n) = ϑ(2n− 1) ≤ 2(2n− 1) · log 2 < 4n · log 2 = 2m log 2.

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4.3 Reduzierte Algebra und erzeugende Funktionen 69

2. Fall m = 2n+ 1 :

ϑ(m) = ϑ(2n+ 1)− ϑ(n+ 1) + ϑ(n+ 1) ≤ 2n · log 2 + 2(n+ 1) · log 2

= 2(2n+ 1) · log 2 = 2m log 2.

Also gilt auch fur ein beliebiges x ∈ R

ϑ(x) = ϑ(bxc) ≤ 2bxc log 2 ≤ 2x log 2

und somit

lim supx→∞

ϑ(x)

x≤ 2 log 2.

Eine untere Schranke erhalten wir durch Betrachtung von(

2nn

). Dazu zahlen wir, wie oft

eine Primzahl p die Zahl m! teilt. Diese Anzahl sei Np(m), also

m! =∏p≤m

pNp(m).

Wir betrachten die Matrix M = (mij) ∈ {0, 1}k×m mit mij = [ pi | j ], wobei k =⌊

logmlog p

⌋.

Die Spalte j enthalt also l Einsen, g.d.w. pl die großte p-Potenz ist, die j teilt, d.h.

Np(m) =m∑j=1

k∑i=1

mij =k∑i=1

m∑j=1

mij =k∑i=1

⌊m

pi

⌋.

Damit konnen wir schreiben

log

(2n

n

)= log((2n)!)− 2 · log(n!) =

∑p≤2n

(Np(2n)− 2Np(n)) · log p

=∑p≤2n

∞∑i=1

(⌊2n

pi

⌋− 2 ·

⌊n

pi

⌋)· log p.

Wegen b2xc − 2bxc ∈ {0, 1} folgt

log

(2n

n

)≤∑p≤2n

⌊log 2n

log p

⌋log p = ψ(2n),

alsoψ(2n) > 2n · log 2− log(2n+ 1).

Ist nun x ∈ R, so wahlen wir das großte n mit 2n ≤ x, also

ψ(x) ≥ ψ(2n) > (2n) log 2− log(2n+ 1) ≥ (x− 2) log 2− log(x+ 1).

Daraus folgt nun

ψ(x)

x≥ log 2 · x− 2

x− log(x+ 1)

x→ log 2 (x→∞).

Zusammenfassend erhalten wir

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70 4 Die Inzidenzalgebra

Satz 4.11 (Chebyshev)

log 2 ≤ lim infx→∞

π(x)log x

x≤ lim sup

x→∞π(x)

log x

x≤ 2 · log 2.

Chebyshev hat diese Konstanten noch verbessert, aber niemand war bisher in der Lage,mit seiner Methode allein den Primzahlsatz zu beweisen.Erdos hat sich intensiv mit Fragen der Primzahlverteilung beschaftigt. Im Jahr 1932veroffentlichte er einen Beweis fur den folgenden Satz, der als

”Bertrands Postulat“ be-

kannt geworden ist. Der Satz wurde zuerst von Chebyshev im Jahre 1850 bewiesen. Wirgeben hier den Beweis von Erdos wieder.

Satz 4.12 (Bertrands Postulat, Chebyshev 1850)Zwischen n und 2n befindet sich stets eine Primzahl. (n ≥ 1)

Beweis:Sei p ≤ 2n eine Primzahl. Wir nehmen an, es existiere keine Primzahl q mit n < q ≤ 2n.Dann ist p ≤ n und wir betrachten wieder

N =

(2n

n

)=

2n(2n− 1) . . . (n+ 1)

n!.

Ist p > 23n, so teilt p den Zahler von N genauso oft, wie den Nenner und es folgt, dass

p ≤ 23n ist fur jedes p, das N teilt, also∑

p |Nlog p ≤

∑p≤ 2

3n

log p = ϑ

(2

3n

)≤ 4

3n log 2.

Gilt nun pk |N mit k ≥ 2, so folgt

2 · log p ≤ k · log p ≤ log(2n),

also p ≤√

2n, also ∑(k,p): pk |N, pk+1 -N,

k≥2

k · log p ≤√

2n · log(2n),

also

logN ≤∑p|N

log p+√

2n · log(2n) ≤ 4

3n log 2 +

√2n · log(2n).

Andererseits ist fur n ≥ 2

22n = 2 +

(2n

1

)+

(2n

2

)+ · · ·+

(2n

2n− 1

)≤ 2n ·N,

also

2n log 2 ≤ log(2n) + logN ≤ 4

3n log 2 +

(1 +√

2n)· log(2n)

2

3n log 2 ≤ (1 +

√2n) · log(2n)

bzw.

2 · log 2 ≤ 3 ·(

1

n+

√2√n

)· log(2n) =: f(n).

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4.3 Reduzierte Algebra und erzeugende Funktionen 71

Durch Differentiation stellt man fest, dass f(n) fur n ≥ 5 monoton fallend ist.Fur n = 512 = 29 ergibt sich:

f(512) = 3 ·(

1

512+

1

16

)· 10 · log 2 =

990

512log 2 < 2 log 2,

also ein Widerspruch. Bertrands Postulat gilt also fur n ≥ 512.Fur kleinere Werte betrachten wir die Primzahlfolge

2, 3, 5, 7, 13, 23, 43, 83, 163, 317, 631.

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5 Abzahlen von Isomorphieklassen

Wie viele Graphen mit 4 Punkten gibt es? Diese Frage konnen wir wie folgt interpretierenund losen:Es sei V = {1, 2, 3, 4}. Gesucht ist die Anzahl der (V,E) mit E ⊆

(V2

), also, da V fest

gewahlt ist, die Anzahl der Teilmengen von(V2

). Damit ist die Losung 2(4

2) = 26 = 64.

Allgemeiner erhalten wir fur Graphen mit n Punkten die Anzahl 2(n2).Andererseits ist die folgende Liste auch eine

”vollstandige“ Liste aller Graphen mit 4

Punkten:

Jeder Graph auf 4 Punkten ist zu einem Graphen dieser Liste isomorph. Es gibt somit 11nicht-isomorphe Graphen auf 4 Punkten, d.h. 11 Isomorphieklassen.Eine

”schone“, geschlossene Formel fur die Anzahl der nicht-isomorphen Graphen gibt

es nicht. Es gibt aber eine Theorie, mit der wir die Anzahl mit vertretbarem Aufwandbestimmen konnen und die wir in diesem Kapitel kennenlernen wollen. Diese Theorie gehtauf eine Arbeit von G. Polya zuruck (G. Polya, Kombinatorische Anzahlbestimmung furGruppen, Graphen und chemische Verbindungen, Acta Math. 68, 145-254, 1937).Polya war damals Professor an der ETH Zurich und wurde durch die dortigen Chemikermit dem Isomerenproblem konfrontiert.Wie viele verschiedene Isomere gibt es zu einer gegebenen chemischen Summenformel?Die Chemiker haben Baukasten (oder heutzutage Computerprogramme), mit denen siedie Atome (oder Atomgruppen) gemaß den Regeln der chemischen Bindung zu Modellenzusammensetzen konnen. Zwei Modelle reprasentieren die gleiche Verbindung, wenn siedurch eine orientierungserhaltende Bewegung des Raumes ineinander uberfuhrt werdenkonnen.Es stellt sich die Frage: Wie erzeugt man Modelle fur alle verschiedenen Isomere? bzw.Wie kann man sicher sein, dass man alle gefunden hat?

Hier sind noch zwei weitere Beispiele fur analoge Fragestellungen:

Beispiel: (Halskettenproblem)Aus einem Vorrat von Perlen mit a Farben soll eine Halskette mit n Perlen hergestelltwerden. Zwei Halsketten gelten als gleich, wenn sie durch eine Drehung der Kette inein-ander uberfuhrt werden konnen. Wie viele verschiedene Halsketten dieser Art gibt es?Fur n = 5, a = 2 gibt es 8 verschiedene Halsketten.

72

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73

Beispiel:Wir farben die 6 Flachen eines Wurfels mit a Farben. Zwei Farbungen heißen aquivalent,falls sie durch eine Drehung des Wurfels ineinander ubergehen. Wie viele verschiedeneFarbungen gibt es?

Bei allen diesen Beispielen wird die Aquivalenz oder Isomorphie durch eine Gruppenope-ration definiert.

Definition 5.1Es sei G eine Gruppe und M eine Menge. G operiert auf M , falls es eine Abbildung∗ : G×M →M gibt mit:

(i)h ∗ (g ∗m) = (hg) ∗m fur alle g, h ∈ G,

(ii)1G ∗m = m.

Das heißt, die Gruppenmultiplikation ist mit der Operation ∗ vertraglich und das Eins-element von G lasst jedes m ∈M fest.

Die Abbildung πg : M → M, m 7→ g ∗m ist eine Permutation von M und”g 7→ πg“ ein

Homomorphismus von G in die symmetrische Gruppe SM . Wenn nichts anderes gesagtwird, setzen wir im folgenden G und M als endlich voraus. Solange Missverstandnisseausgeschlossen sind, verzichten wir auf das Symbol ∗.

Definition 5.2Fur m ∈M sei G(m) := {gm | g ∈ G} die Bahn von m. Definiert man

m ∼ m′ :⇔ es existiert ein g ∈ G mit gm = m′,

so ist”∼“ eine Aquivalenzrelation. Die Aquivalenzklassen sind genau die Bahnen von

M unter G (also m ∼ m′ ⇔ G(m) = G(m′)).

Die Menge der Bahnen bezeichnen wir mit M/G. Ist m ∈M , so heißt

Gm := {g ∈ G | gm = m}

der Stabilisator von m (in G). Gm ist eine Untergruppe von G, allerdings i.a. keinNormalteiler. Es gilt namlich

gGmg−1 = Ggm.

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74 5 Abzahlen von Isomorphieklassen

Das folgende Lemma zeigt, dass die Operation von G auf einer Bahn G(m)”isomorph“

zur Operation von G auf den Linksnebenklassen von G nach Gm ist.

Lemma 5.3Es sei G = g1Gm ∪ g2Gm ∪ . . . ∪ gkGm die Zerlegung von G in Linksnebenklassen nachGm. ({g1, . . . , gk} ist also ein Reprasentantensystem dieser Linksnebenklassen.) Dann istG(m) = {g1m, . . . , gkm} und es gilt

g ∗ (gim) = gjm g.d.w. ggiGm = gjGm.

Insbesondere ist

k =|G||Gm|

= |G(m)|.

(”Lange der Bahn = Index des Stabilisators“)

Beweis:Jedes g ∈ G liegt in genau einer Nebenklasse giGm und g ∈ giGm ist aquivalent zug−1gi ∈ Gm bzw. g−1gim = m bzw. gim = gm.Daraus folgen unmittelbar die Aussagen des Lemmas. �

Grundlegend ist nun

Lemma 5.4 (Lemma von Burnside; Cauchy-Frobenius)Fur g ∈ G bezeichnen wir mit Fix(g) := {m ∈ M | gm = m} die Menge der Fixpunktevon g. Dann gilt

|M/G| = 1

|G|∑g∈G|Fix(g)|

(”Die Anzahl der Bahnen ist die durchschnittliche Anzahl der Fixpunkte von g ∈ G “).

Beweis:Wir betrachten die Matrix

A = (ag,m)g∈G,m∈M mit ag,m := [gm = m] =

{1, falls gm = m

0, sonst.

Dann ist (Regel vom doppelten Abzahlen):∑g∈G|Fix(g)| =

∑g∈G

∑m∈M

[gm = m] =∑m∈M

∑g∈G

[gm = m]

=∑m∈M

|Gm| =∑m∈M

|G||G(m)| = |G|

∑m∈M

1

|G(m)|

= |G|∑

B∈M/G

∑m∈B

1

|B|︸ ︷︷ ︸=1

= |G| · |M/G|.

Als eine Anwendung losen wir das Halskettenproblem.

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Beispiel:Eine Halskette ist eine Aquivalenzklasse von Abbildungen f : {1, . . . , n} → {1, . . . , a}.Setzen wir ρ(i) = i + 1, 1 ≤ i < n, ρ(n) = 1, so liegen zwei Abbildungen f und h in dergleichen Bahn genau dann, wenn

f(x) = h(ρk(x)

)fur alle x ∈ {1, . . . , n} und ein festes k ∈ {0, . . . , n− 1}.

Unsere Gruppe G ist also die von ρ erzeugte zyklische Gruppe G = {1, ρ, ρ2, . . . , ρn−1}.Die Permutation ρk ∈ Sn zerfallt in Zyklen.

Was ist die Zykelstruktur von ρk? Dazu sei d = ggT(k, n), also k = d·r mit ggT(r, n

d

)= 1.(

ρk)l

(x) = x g.d.w. n | (k · l = drl) g.d.w.n

d| l.

Jedes x liegt also in einem Zyklus der Lange nd, d.h. ρk zerfallt in d Zyklen der Lange n

d.

Wann ist f ein Fixpunkt von ρk? Offenbar g.d.w. f(x) = f(ρk·l(x)

)fur alle l, d.h. g.d.w.

f konstant auf den Zyklen von ρk ist. Fur jeden dieser d Zyklen kann also ein Wert vonf aus {1, . . . , a} gewahlt werden.Daraus ergibt sich

|Fix(ρk)| = ad.

Ist andererseits d mit d | n gegeben, so kann ein r mit ggT(r, n

d

)= 1 und d · r < n auf

genau ϕ(nd

)Weisen ausgewahlt werden, wobei ϕ die Eulersche ϕ-Funktion ist.

Nach dem Lemma von Burnside erhalten wir also fur die Anzahl der Halsketten

1

n∑k=0

∣∣Fix(ρk)∣∣ =

1

n·∑d|n

ϕ(nd

)ad.

Ist n eine Primzahl p, so folgt

|M/G| = 1

p((p− 1) · a+ ap) ,

d.h. p teilt (p− 1) · a+ ap ⇒ ap − a ≡ 0 mod p. Dies ist der kleine Fermatsche Satz ausder Zahlentheorie.

Dieses Beispiel wollen wir nun verallgemeinern. Dazu seien F und D nicht-leere endlicheMengen, wobei F fur

”Farben“ und D fur

”Dinge“ steht. Eine Abbildung f ∈ FD ist dann

eine Farbung der Dinge mit Farben aus F . Auf D sei eine Permutationsgruppe G ≤ SDgegeben.Zwei Farbungen f, h ∈ FD sind aquivalent, falls ein π ∈ G mit f ◦ π−1 = h existiert. DieGruppe G induziert also eine Operation auf FD vermoge

π ∗ f = f ◦ π−1.

Außerdem sei w : F → R eine Gewichtung der Farben durch Elemente eines (kommuta-tiven) Integritatsbereichs R. Dann induziert w eine Gewichtung der Farbungen vermoge

w(f) :=∏d∈D

w(f(d)).

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76 5 Abzahlen von Isomorphieklassen

Wegen

w(f ◦ π−1) =∏d∈D

w(f(π−1(d)))R kommutativ

=∏d∈D

w(f(d))

ist w konstant auf den Bahnen FD/G.Statt w schreiben wir im folgenden einfach w. Fur die BahnenG(f) schreiben wir w(G(f)) =w(f). Der Satz von Polya (s.u.) liefert eine Formel fur den Ausdruck∑

B∈FD/Gw(B).

Diese Formel hangt stark von der Zykelstruktur der Permutationen π ∈ G ≤ SD (alsPermutationen von D, nicht von FD) ab.

Definition 5.5Es sei G ≤ SD, |D| = n. Der Zyklenzeiger Z(G) = Z(G)(z1, . . . , zn) ist definiert durch

Z(G) :=1

|G|∑g∈G

zb1(g)1 . . . zbn(g)

n .

Dabei ist bi(g) die Anzahl der Zyklen der Lange i von g. Der Koeffizient des Monomszb11 . . . zbnn ist also die Anzahl der g ∈ G mit bi(g) = bi fur alle 1 ≤ i ≤ n.

Beispiel:G := {ρk | 0 ≤ k ≤ n} sei die Gruppe des Halskettenproblems. Ist d = ggT(k, n), sozerfallt ρk in d Zyklen der Lange n

d, also

Z(G) =1

n

∑d|n

zdnd· ϕ(nd

).

Substituieren wir fur jede Variable die Zahl a, so erhalten wir die Anzahl der Halsketten.Nun kommen wir zum zentralen Ergebnis unseres Abschnitts.

Satz 5.6 (Polya, 1937)Seien G,D, F,w wie oben beschrieben, so gilt

∑B∈FD/G

w(B) = Z(G)

(∑a∈F

w(a),∑a∈F

w(a)2, . . . ,∑a∈F

w(a)n

),

d.h. die Summe der Bahnengewichte entsteht, wenn im Zyklenzeiger von G fur die Va-riable zk die Potenzsumme

∑a∈F

w(a)k substituiert wird, 1 ≤ k ≤ |D|.

Beweis:Ist B ∈ FD/G, so gilt nach dem Lemma von Burnside:

1 =1

|G|∑π∈G|Fix(π) ∩B|,

also

w(B) =1

|G|∑π∈G

∑f∈Fix(π)∩B

w(f),

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da w konstant auf B ist, also∑B∈FD/G

w(B) =1

|G|∑π∈G

∑f∈Fix(π)

w(f).

Jetzt betrachten wir Fix(π) genauer.Es sei C1

1 , . . . , C1b1, C2

1 , . . . , C2b2, · · · , Ck

1 , . . . , Ckbk, . . . die Partition von D durch die Zyklen

von π (∣∣Ci

j

∣∣ = i fur alle i, j). Dann ist f ◦ π−1 = f genau dann, wenn f konstant aufden Zyklen von π ist. Um Fix(π) zu erzeugen, konnen wir fur jedes (nicht-leere) Ci

j einaij ∈ F wahlen, auf das alle Elemente von Ci

j durch f abgebildet werden. Dieses f hatdann das Gewicht

w(f) =n∏i=1

bi∏j=1

w(aij)i.

Anschaulich bedeutet dies: Sei F = {a1, . . . , am}, so betrachtet man die Matrix

C11 , . . . , C1

b1, C2

1 , . . . , C2b2, . . . , Ck

1 , . . . , Ckbk, . . .

w(a1) . . . w(a1) w(a1)2 . . . w(a1)2 . . . w(a1)k . . . w(a1)k . . ....

......

......

...w(am) . . . w(am) w(am)2 . . . w(am)2 . . . w(am)k . . . w(am)k . . .∑f∈Fix(π)w(f) entsteht, indem aus jeder Spalte dieser Matrix unabhangig voneinander

ein Gewichtsfaktor ausgewahlt wird. Diese werden dann miteinander multipliziert. DasProdukt wird fur alle moglichen Auswahlen aufsummiert.Nach dem Distributivgesetz ist dies aber(∑

a∈Fw(a)

)b1

·(∑a∈F

w(a)2

)b2

. . .

(∑a∈F

w(a)k

)bk

. . .

Also insgesamt ∑B∈FD/G

w(B) =1

|G|∑π∈G

∑f∈FD: f◦π−1=f

w(f)

=1

|G|∑π∈G

(∑a∈F

w(a)

)b1

. . .

(∑a∈F

w(a)k

)bk

. . .

= Z(G)

(∑a∈F

w(a)k,∑a∈F

w(a)2, . . . ,∑a∈F

w(a)n

).

Beispiel:Es sei D die Menge der 6 Seiten eines Wurfels, F = {r, b}, w(r) = w(b) = 1.Wir brauchen den Zyklenzeiger der Gruppe der Drehungen, die den Wurfel invariant las-sen.Die Drehachsen konnen dabei zwei gegenuberliegende Seitenmitten (A) oder zwei ge-genuberliegende Kantenmitten (B) oder zwei gegenuberliegende Ecken verbinden (C).

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78 5 Abzahlen von Isomorphieklassen

Dabei zahlen wir die triviale Drehung (Identitat) mit Zykeltyp (6, 0, 0, 0, 0, 0) spater ge-sondert hinzu.

Fall A:Es gibt 3 mogliche Achsen und zu jeder Achse gehort eine zyklische Untergruppe von Gder Ordnung 4. Bei den Drehungen um π

2, 3π

2ist der Zykeltyp (2, 0, 0, 1, 0, 0) und es gibt

2 · 3 = 6 solcher Drehungen.Zum Drehwinkel π gehoren insgesamt 3 Drehungen vom Typ (2, 2, 0, 0, 0, 0). Die (nichttrivialen) Drehungen aus Fall (A) liefern also zum Zyklenzeiger den Beitrag 6z2

1z4 +3z21z

22 .

Fall B:Es gibt 6 solcher Drehachsen und zu jeder Achse gehort eine Drehung um π. Der zugehori-ge Zykeltyp ist (0, 3, 0, 0, 0, 0). Fall (B) liefert 6 · z3

2 .

Fall C:Es gibt 4 Drehachsen, die Drehwinkel sind 2π

3und 4π

3, der Zykeltyp ist (0, 0, 2, 0, 0, 0), also

insgesamt ein Beitrag von 8 · z23 .

Fur Z(G) ergibt sich

Z(G) =1

24·(z6

1 + 6z21z4 + 3z2

1z22 + 6z3

2 + 8z23

).

Damit ist die gesuchte Anzahl der Farbungen

1

24

(26 + 6 · 22 · 2 + 3 · 22 · 22 + 6 · 23 + 8 · 22

)=

1

24(64 + 48 + 48 + 48 + 32)

=1

24(4 · 24 + 2 · 24 + 2 · 24 + 2 · 24) = 10.

Beispiel: Abzahlung von Alkoholen.Wir mochten wissen, wie viele Alkohole mit n C-Atomen es gibt.Dabei ist ein Alkohol definiert als ein ringfreies Molekul, das aus C-Atomen (4-wertig),H-Atomen (1-wertig) und genau einer (1-wertigen) OH-Gruppe besteht, z.B. das Ethanol

H H

H C C OH

H H

Trennt man die OH-Gruppe ab, so erhalt man ein (1-wertiges) Alkylradikal. Jeder Alkoholmit mindestens einem C-Atom hat die folgende Struktur:

R1

HO C R2

R3

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79

wobei die Ri Alkylradikale sind, 1 ≤ i ≤ 3. Eine formale Definition der Alkohole ist wiefolgt moglich

A0 := {a0},An := {(a1, a2, a3) | ai ∈ An−1, 1 ≤ i ≤ 3}

Dabei entspricht a0 dem”Alkohol“ ohne C-Atom also Wasser (H2O) und das Tripel

(a1, a2, a3) dem Alkohol mit der obigen Strukturformel, wobei Ri das Alkylradikal zu aiist.

Auf A :=⋃nAn definieren wir rekursiv eine Aquivalenzrelation ∼ mit:

a0 ∼ a0,

(a1, a2, a3) ∼ (a′1, a′2, a′3) :⇔ es existiert ein π ∈ S3 mit ai ∼ a′π(i), 1 ≤ i ≤ 3.

Alkohole sind nun die Aquivalenzklassen von A nach ∼. Wir definieren eine Gewichts-funktion ω(a) auf A wie folgt

ω(ao) := 1, ω((a1, a2, a3)) := ω(a1) + ω(a2) + ω(a3) + 1.

Dann ist ω(a) die Anzahl der C-Atome von a. Außerdem ist ω konstant auf den Aqui-valenzklassen von A/ ∼. Es sei nun αn := |{c ∈ A/ ∼ |ω(c) = n}|. Wir interessieren unsfur die erzeugende Funktion

∞∑n=0

αnzn = a(z).

Zusatzlich definieren wir

FN := {c ∈ A/ ∼ |ω(c) ≤ N},MN := {c ∈ A/ ∼ | c = [(a1, a2, a3)]∼ mit ω(ai) ≤ N fur i = 1, 2, 3}.

MN ist dann wohldefiniert.

Wir setzen nun D := {1, 2, 3}, F := FN , w(c) := zω(c) fur c ∈ F und G = S3. Dann folgtaus dem Satz von Polya∑c∈MN

zω(c) = 1 + z · Z(S3)

(∑a∈F

w(a),∑a∈F

w(a)2,∑a∈F

w(a)3

)

= 1 + z · 1

6

(∑a∈F

zω(a)

)3

+ 3 ·(∑a∈F

zω(a)

)·(∑a∈F

z2ω(a)

)+ 2 ·

(∑a∈F

z3ω(a)

) .Fur N →∞ ergibt sich

a(z) = 1 + z · 1

6·[a(z)3 + 3 · a(z)a(z2) + 2 · a(z3)

].

Daraus konnen die αn rekursiv berechnet werden:

α0 = 1 (Wasser)

α1 =1

6· (1 + 3 + 2) = 1 (Methylalkohol)

α2 =1

6·(3α2

0α1 + 3α1α0

)= 1 (Ethanol)

α3 =1

6·(3(α2

1α0 + α22α2

)+ 3

(α0α

21 + α2α0

))= 2 (Propan-1-ol und Propan-2-ol)

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6 Hypergraphen

6.1 Sperner Systeme

Es sei |X| = n und F ⊆ 2X . F heißt Sperner-System oder Sperner-Familie genau dann,wenn

A,B ∈ F , A ⊆ B ⇒ A = B,

d.h. die Mengen aus F sind bezuglich”⊆“ paarweise unvergleichbar.

Im Jahr 1928 zeigte E. Sperner den folgenden Satz.

Satz 6.1Ist |X| = n und F ⊆ 2X ein Sperner-System, so ist

|F| ≤(

n

bn/2c

).

Beweis:Es sei Fk := {A ∈ F : |A| = k} , 0 ≤ k ≤ n und fk := |Fk|.Fur ein festes A ∈ Fk zahlen wir, wie viele maximale Ketten durch A gehen, d.h. wie vieleKetten ∅ = A0 ⊆ A1 ⊆ · · · ⊆ Ak = A ⊆ Ak+1 ⊆ · · · ⊆ An es gibt mit |Ai| = i fur alle i.Dies sind offenbar k!(n − k)! Stuck. Da jede Kette hochstens ein A ∈ F enthalten kann,folgt

n∑k=0

fk · k! · (n− k)! ≤ (Anzahl aller max. Ketten) = n!,

alson∑k=0

fk(nk

) ≤ 1.

Uber die Binomialkoeffizienten wissen wir, dass(nk

)≤(

nbn/2c

)fur 0 ≤ k ≤ n, also

n∑k=0

fk ≤(

n

bn/2c

),

woraus die Behauptung folgt. �

Der Beweis zeigt auch, dass eine Sperner-Familie maximaler Kardinalitat nur aus MengenA mit |A| ∈ {

⌊n2

⌋,⌈n2

⌉} bestehen kann.

Ein anderer kurzer Beweis ergibt sich aus dem folgenden Satz.

Satz 6.2Die Potenzmenge 2X kann in disjunkte, symmetrische Ketten zerlegt werden.

Dabei heißt eine Kette A1 ⊆ A2 ⊆ · · · ⊆ Ak symmetrisch, genau dann wenn |Ai+1\Ai| =1, 1 ≤ i ≤ k, und |A1| = n − |Ak|, d.h. die Kette beginnt auf dem Level l := |A1| undendet auf dem Level n− l = |Ak|. Sie enthalt eine Menge auf jedem Level j, l ≤ j ≤ n− l.

80

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6.1 Sperner Systeme 81

Da jede solche Kette genau eine Menge des Levels bn/2c enthalt, besteht die Kettenzer-legung genau aus

(nbn/2c

)Ketten, woraus sofort der Satz von Sperner folgt.

Beweis:Wir machen eine Induktion nach n := |X|Im Fall n = 1 haben wir wegen 2X = {∅, X} nichts zu zeigen.Sei nun n > 1. O.B.d.A. sei X := {1, . . . , n}, Y := {1, . . . , n− 1} sowie

2Y = C1 ∪C2 ∪ . . . ∪Cseine Zerlegung von Y in symmetrische Ketten (alle nichtleer), also s =

(n−1

b(n−1)/2c).

Ist nun C1 = {A1 ⊂ A2 ⊂ . . . ⊂ Ak}, so setzen wir

C ′1 := {A1 ⊂ . . . ⊂ Ak ⊂ Ak ∪ {n}} und C ′′1 := {A1 ∪ {n} ⊂ . . . ⊂ Ak−1 ∪ {n}}(insbesondere ist C ′′1 = ∅, falls k = 1).Dann ist offenbar 2X =

⋃si=1C

′i ∪⋃si=1 C

′′i und die C ′i, C

′′i sind symmetrische Ketten

|A1| = (n− 1)− |Ak| = n− |Ak ∪ {n}|,|A1 ∪ {n}| = |A1|+ 1 = (n− 1)− |Ak|+ 1 = n− |Ak| = n− |Ak−1 ∪ {n}|.

Die Ketten sind auch disjunkt: Ist A ∈ 2Y , so ist A in genau einer Kette C ′i. Ist A =Aj ∪ {n} mit Aj ∈ Ci, so ist A ∈ C ′i, falls Aj maximal in Ci und A ∈ C ′′i , sonst. �

Allgemeiner: Sei (P,≤) eine Halbordnung , dann nennt man eine Teilmenge A ⊆ PAntikette, falls je zwei Elemente von A in P unvergleichbar sind. Der folgende allgemeineSatz von Dilworth macht plausibel, warum in den Beweisen des Satzes von Sperner Ketteneine besondere Rolle spielen.

Satz 6.3 (Dilworth, 1950)Es sei (P,≤) eine endliche Halbordnung. Dann gilt

max{|A| : A Antikette in P} = min{|K| : K Kettenzerlegung von P}.Eine Kettenzerlegung ist dabei genau das, was der Name sagt:

K = {K1, . . . , Ks}, P = K1 ∪ . . . ∪Ks, jedes Ki ist eine Kette in P.

Beweis:Wir bezeichnen mit α(P ) die maximale Große einer Antikette und mit κ(P ) die minimaleGroße einer Kettenzerlegung. Da jede Kette hochstens ein Element einer Antikette ent-halten kann, gilt offenbar α(P ) ≤ κ(P ).Die Ungleichung α(P ) ≥ κ(P ) beweisen wir durch Induktion nach |P |, wobei der Induk-tionsanfang (|P | = 1) trivial ist.Fur den Induktionsschluss betrachten wir eine Antikette A ⊆ P mit |A| = α(P ). Es sei

P− := {x ∈ P : es existiert ein a ∈ A mit x ≤ a}P+ := {x ∈ P : es existiert ein a ∈ A mit a ≤ x}

Da A maximal ist, gilt P = P− ∪ P+.Nehmen wir zunachst an, dass P− 6= A 6= P+ (bzw. P− 6= P 6= P+). Nach Induktionsvor-aussetzung gibt es disjunkte Ketten C−1 , . . . , C

−α und C+

1 , . . . , C+α mit

P− =α⋃·i=1

C−i , P+ =α⋃·i=1

C+i , α = α(P ).

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82 6 Hypergraphen

Da jedes C−i genau ein a ∈ A als maximales Element und jedes C+i genau ein a ∈ A als

minimales Element enthalten muss, konnen wir o.B.d.A. annehmen, dass

maxC−i = minC+i , 1 ≤ i ≤ α.

Setzen wir Ci := C−i ∪ C+i , 1 ≤ i ≤ α, so haben wir eine Kettenzerlegung von P in α(P )

Ketten, was zu zeigen war.Wir konnen also annehmen, dass fur jede Antikette A mit |A| = α(P ) gilt, dass A = P−oder A = P+. Daraus folgt, dass die einzigen Kandidaten fur Antiketten maximaler Großedie maximalen und die minimalen Elemente von P sind.Es sei nun C eine Kette in P , die ein maximales und ein minimales Element von P enthalt.Dann ist α(P\C) = α(P )− 1 und P\C ist in α(P )− 1 disjunkte Ketten zerlegbar.Eine solche Kettenzerlegung kann durch C zu einer Kettenzerlegung von P in α(P ) Kettenerganzt werden. �

Beispiel:Wir erhalten einen neuen Beweis des Satzes von Erdos und Szekeres (2.3). In einer Folgea1, a2, . . . , an2+1 reeller Zahlen gibt es eine monoton steigende oder fallende Teilfolge derLange n+ 1.Wir ordnen die Folge vermoge

ai < aj ⇔ i < j und ai ≤ aj.

Falls keine monoton wachsende Teilfolge der Lange n+1 existiert, so haben alle Ketten inunserer Halbordnung eine Lange ≤ n, eine Kettenzerlegung besteht also aus mindestensn+ 1 Ketten.Nach dem Satz von Dilworth gibt es eine Antikette {ai1 , . . . , ain+1} mit n + 1 Elemen-ten. Ordnet man die Indizes steigend, zum Beispiel i1 < i2 < · · · < in+1, so folgtai1 > ai2 > · · · > ain+1 . �

1943 studierten Littlewood und Offord die Anzahl reeller Nullstellen von Zufallspolyno-men. Dabei stießen sie auf folgendes Problem:

Seien z1, . . . , zn komplexe Zahlen mit |zi| ≥ 1 fur alle i. Wir setzen zA :=∑

i∈A zi furA ⊆ {1, . . . , n} =: X.Was ist eine obere Schranke fur |F| wenn |zA − zB| < 1 fur alle A,B ∈ F?

Littlewood und Offord zeigten |F| = O(

2n · logn√n

)und Erdos verbesserte 2 Jahre spater

die Schranke auf O(

2n√n

). Im Falle reeller Zahlen x1, . . . , xn zeigte er mit Hilfe des Satzes

von Sperner, dass(

nbn/2c

)die beste Schranke ist. Er vermutete, dass diese Schranke sogar

gilt, wenn die xi Vektoren aus einem Hilbertraum (mit ‖xi‖ ≥ 1) sind. Dies wurde erst1970 von Kleitman bewiesen.

Betrachten wir zunachst den Fall reeller Zahlen. Wenn wir ein Vorzeichen andern, al-so xi0 durch −xi0 ersetzen, so erhalten wir ein aquivalentes Problem. Bezeichnet ⊕(A⊕B := (A \B)∪ (B \A)) die symmetrische Differenz, so gilt fur die neue Zahlenfolge

x′i :=

{xi, i 6= i0

−xi, i = i0,

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6.1 Sperner Systeme 83

die Gleichung|xA − xB| =

∣∣x′A⊕i0 − x′B⊕i0∣∣fur alle A,B ⊆ {1, . . . , n} und die Abbildung

”A 7→ A⊕ i0“ ist eine Involution von 2X .

Wir konnen deshalb annehmen, dass alle xi positiv sind.Ist nun F ⊆ X = {1, . . . , n} mit |xA − xB| < 1 fur alle A,B ∈ F , so ist F notwendiger-weise ein Spernersystem. Nun zeigen wir:

Satz 6.4 (Kleitman, 1970)Es sei Y ein normierter Raum, x1, . . . , xn ∈ Y mit ‖xi‖ ≥ 1 fur alle i. Ferner seiF ⊆ 2X (X = {1, . . . , n}), sodass ‖xA − xB‖ < 1 fur alle A,B ∈ F . Dann ist

|F| ≤(

n

bn/2c

).

Beweis:Der Beweis imitiert gewissermaßen den Beweis, dass 2X , in symmetrische Ketten zerlegtwerden kann. Dort haben wir Ketten betrachtet, weil ein Spernersystem mit einer Kettehochstens ein gemeinsames Element haben kann.Wir bezeichnen eine Menge D ⊆ X als dunn, falls ‖xA − xB‖ ≥ 1 fur alle A,B ∈ D.Die dunnen Mengensysteme treten also an die Stelle der Ketten. Was tritt an die Stelleder Symmetrie? Dazu benotigen wir nur die folgenden Eigenschaften.Eine Zerlegung 2X =

⋃s

j=1Dj in dunne Mengen heißt symmetrisch, falls:

(i) |Dj| = n+ 1− 2i fur ein i mit 1 ≤ i ≤ bn/2c.

(ii) Genau(ni

)−(ni−1

)der Dj haben Kardinalitat n+ 1− 2i, 1 ≤ i ≤ bn/2c.

Dabei definieren wir(n−1

):= 0. Wegen (ii) ist dann automatisch

s =

bn/2c∑i=0

((n

i

)−(

n

i− 1

))=

(n

bn/2c

).

Um den Beweis abzuschließen, genugt es also zu zeigen, dass eine symmetrische Partitionvon 2X in dunne Mengen existiert. Dies zeigen wir durch Induktion nach n, wobei derFall n = 1 wiederum trivial ist.Es sei nun X ′ := {1, . . . , n−1} und 2X

′=⋃s

j=1Dj eine symmetrische Zerlegung in dunneMengen. Nun wahlen wir ein Funktional f ∈ Y ∗ mit Norm 1 und f(xn) = ‖xn‖ ≥ 1. SolcheFunktionale existieren nach dem Satz von Hahn-Banach aus der Funktionalanalysis.Ist nun Dj = {A1, A2, . . . , Ak}, so wahlen wir ein l mit f (xAl) ≥ f (xAi) fur alle 1 ≤ i ≤ k.Dann setzen wir

D′j := {A1, A2, . . . , Ak, Al ∪ {n}}D′′j := {A1 ∪ {n}, . . . , Al−1 ∪ {n}, Al+1 ∪ {n}, . . . , Ak ∪ {n}} .

Die nichtleeren Mengen unter den D′j,D′′j bilden dann zusammen eine symmetrische Par-tition von 2X in dunne Mengen. Dass die D′′j dabei dunn sind, ist trivial.Ist nun Ai ∈ D′j, i 6= l, so gilt

∥∥xAl∪{n} − xAi∥∥ ‖f‖=1

≥ f(xAl∪{n} − xAi

) f linear= f(xn) + f (xAl)− f (xAi) ≥ f(xn) ≥ 1.

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84 6 Hypergraphen

In allen ubrigen Fallen ist die Ungleichung ‖xA − xB‖ ≥ 1 fur A,B ∈ Dj trivial.

Wir mussen noch nachrechnen, dass Bedingungen (i) und (ii) erfullt sind. Ist Dj gegebenmit |Dj| = n − 2i, 0 ≤ i ≤

⌊n−1

2

⌋, so erhalten wir daraus ein D′j mit |D′j| = n + 1 − 2i.

Falls |Dj| > 1, also i ≤⌊n2

⌋− 1, so erhalten wir auch eine Menge D′′j mit

|D′′j | = |Dj| − 1 = n+ 1− 2(i+ 1).

Die Anzahl der dunnen Mengen der Kardinalitat n+ 1− 2i mit 1 ≤ i ≤⌊n−1

2

⌋ist daher(

n− 1

i

)−(n− 1

i− 1

)+

[(n− 1

i− 1

)−(n− 1

i− 2

)]=

[(n− 1

i

)+

(n− 1

i− 1

)]−[(n− 1

i− 1

)+

(n− 1

i− 2

)]=

(n

i

)−(

n

i− 1

).

Fur i = 0 existiert genau ein Dj mit Dj = n, aus dem ein Dj mit |D′j| = n + 1 entsteht.

Falls⌊n−1

2

⌋<⌊n2

⌋, so ist n gerade. Mit i = n

2erhalten wir fur die Anzahl der D′′j mit

|D′′j | = n+ 1− 2i = 1, dass(n− 1

i− 1

)−(n− 1

i− 2

)=

(2i− 1

i− 1

)−(

2i− 1

i− 2

)=

[(2i− 1

i− 1

)+

(2i− 1

i

)]−[(

2i− 1

i− 2

)+

(2i− 1

i− 1

)]=

(2i

i

)−(

2i

i− 1

)=

(n

i

)−(

n

i− 1

).

Bemerkung:Da wir nur endlich viele Vektoren haben, konnen wir uns Y als Rn vorstellen, der mit einergeeigneten Norm versehen ist. Der ubliche Beweis des Satzes von Hahn-Banach benotigtdann das Zornsche Lemma nicht.

6.1.1 Der Satz von Erdos-Ko-Rado

In einer Arbeit von 1961 untersuchten Erdos, Ko und Rado die folgende Frage:Wie viele Elemente kann ein Mengensystem F ⊆ 2X enthalten, falls A∩B 6= ∅ ist fur alleA,B ∈ F?Ohne weitere Voraussetzungen an F ist das Problem leicht zu losen: 2X kann disjunktin Paare {A,X\A} zerlegt werden und F kann von jedem Paar hochstens eine Mengeenthalten, also |F| ≤ 2n−1, n = |X|. Andererseits ist {A ⊆ X : x ∈ A} fur festes x ∈ Xein System, das diese Ungleichung mit Gleichheit erfullt.Betrachten wir nun die gleiche Frage, falls F k-uniform ist, d.h. |A| = k fur alle A ∈ F .Fur k > n

2ist automatisch A ∩ B 6= ∅ falls |A| = |B| = k. Auch fur k = n

2ist die Losung

leicht. Wir teilen(Xk

)wieder in Paare {A,X\A} auf und wahlen aus jedem Paar eine

Menge aus. Schwieriger und interessanter ist der Fall k < n2. Hier gilt:

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6.1 Sperner Systeme 85

Satz 6.5 (Erdos, Ko, Rado, 1961)Es sei 2k < n, |X| = n und F ⊆

(Xk

)mit: A,B ∈ F ⇒ A ∩B 6= ∅.

Dann ist

|F| ≤(n− 1

k − 1

)mit Gleichheit g.d.w. ein x ∈ X existiert mit F =

{A ∈

(Xk

): x ∈ A

}.

Beweis: (Katona)Wir schreiben die Elemente von X in irgendeiner Reihenfolge auf einen Kreis:

a1 a2 a3an · · ·

···

Zwei Reihenfolgen sind aquivalent, wenn sie durch eine Drehung oder Spiegelung des Krei-ses ineinander ubergehen (d.h. zwei Permutationen von X sind aquivalent, falls sie durcheine Permutation aus der Diedergruppe Dn ineinander ubergehen).Nun betrachten wir die Matrix M (mA,R), wobei A die Elemente von F und R die (ver-schiedenen Aquivalenzklassen von) Reihenfolgen durchlauft. M hat also |F| Zeilen und(n−1)!

2Spalten. mA,R nimmt den Wert 1 an, falls die Elemente von A bei der Reihenfolge

R ein Intervall auf dem Kreis bilden und 0 sonst.Wie viele Reihenfolgen R gibt es bei festem A, sodass die Elemente von A bei R einIntervall bilden?Es gibt n Moglichkeiten, das Intervall auszuwahlen und anschließend k!(n− k)! Moglich-keiten, die Elemente von X entsprechend auf den Kreis zu schreiben. Je 2n dieser Permu-tationen sind aquivalent, also∑

R

mA,R =n · k! · (n− k)!

2n=

1

2k!(n− k)!

und somit ∑A

∑R

mA,R = |F| · 1

2· k! · (n− k)! .

Nun sei eine Reihenfolge R gegeben und wir fragen nach den Spaltensummen∑

AmA,R.Angenommen, A = {a1, . . . , ak} ist (in dieser Reihenfolge) ein Intervall bei R.Jedes weitere B ∈ F , das bei R ein Intervall bildet, muss mit A einen nichtleeren Schnitthaben. Dann muss ein i ∈ {1, . . . , k − 1} existieren, sodass B ai als rechten Endpunkt(im Uhrzeigersinn) oder ai+1 als linken Endpunkt hat. Fur ein festes i kann aber nur einedieser beiden Moglichkeiten realisiert sein, da die entsprechenden Intervalle wegen 2k < nsonst disjunkt waren.

[ai+1ai] · · · · ······

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86 6 Hypergraphen

Es folgt ∑A∈F

mA,R ≤ k fur alle R,

also

|F| · 1

2k!(n− k)! =

∑R

∑A

mA,R ≤ k · 1

2· (n− 1)!

und somit

|F| ≤12· k · (n− 1)!

12· k! · (n− k)!

=

(n− 1

k − 1

).

Gleichheit gilt g.d.w.∑

A∈F mA,R = k fur alle R ist. Ein solches R sei nun gegeben.A1, . . . , Ak seien die

”Intervallmengen“ bzw.

”Kreisbogen“.

Ware X ⊆ ⋃ki=1 Ai, so musste jedes x ∈ X(bei der Reihenfolge R) Endpunkt eines

Intervalls sein, was wegen 2k < n nicht moglich ist.Es sei A1 = {a1, . . . , ak} und a1, . . . , an reprasentiere R, sodass an /∈ ⋃k

i=1Ai. Dann istAi = {ai, . . . , ak+i−1} fur 1 ≤ i ≤ k.

[ak] ak+1] ak+2 ]

a2k−

1 ]a n[a1[a2

[a 3 · · ·

·····

Werden nur a1, . . . , ak−1 und ak+1, . . . , a2k−1 permutiert, so bleiben A1 und Ak auch inder neuen Reihenfolge

a′1, . . . , a′k−1, ak, a

′k+1, . . . , a

′2k−1, . . .

Intervalle und es mussen auch die Mengen A′i := {a′i, . . . , ak, . . . , a′i+k−1} in F sein, daF maximal sein soll. Somit hat jede Reihenfolge o.B.d.A. die in obigen Bild dargestellteForm, in Bezug auf ein Element, welches nicht durch die Ai uberdeckt wird. Angenommen,es ware B ∈ F mit ak /∈ B. O.B.d.A. sei B ∩ A1 = {a1, . . . , ar}. Wir wahlen b /∈{a1, . . . , a2k−1} und Elemente ck+1, ck+2, . . . , sodass ck+1, . . . , ck+r alle nicht zu A1 ∪ Bgehoren. Wegen {b, a1, . . . , ak−1} /∈ F und {a1, . . . , ak−1, ak} ∈ F folgt

{a2, . . . , ak, ck+1} ∈ F , . . . , {ar+1, . . . , ck+r} ∈ F

Dann ist aber B ∩ {ar+1, . . . , ck+r} = ∅. �

6.1.2 Der Satz von Kruskal-Katona

Wir betrachten wieder ein F ⊆ 2X , X = {1, . . . , n}. Der Schatten ∂F ist definiert durch

∂F := {A ⊆ X : ∃B ∈ F , A ⊆ B, |B\A| = 1}.

Was konnen wir uber |∂F| in Abhangigkeit von F sagen? Beschranken wir uns zunachstauf den uniformen Fall F ⊆

(Xk

). Naturlich ist |∂F| ≤ k · |F| und diese Schranke ist im

Allgemeinen nicht verbesserbar. Es gibt aber eine sehr interessante untere Schranke, die

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6.1 Sperner Systeme 87

unabhangig von Kruskal und Katona entdeckt wurde.Dazu schreiben wir die naturliche Zahl |F| = m in der Form

m =

(akk

)+

(ak−1

k − 1

)+ . . .+

(ass

)mit ak > ak−1 > . . . > as ≥ s ≥ 1.

Jedes m hat genau eine Darstellung in dieser Form. Wir sprechen von der k-Kaskaden-darstellung von m. Um sie zu erhalten, suchen wir zunachst ak := max

{a |(ak

)≤ m

}.

Ist m =(akk

), so sind wir fertig. Andernfalls ist

m′ := m−(akk

)<

(ak + 1

k

)−(akk

)=

(ak

k − 1

)und die k-Kaskadendarstellung von m entsteht aus der (k − 1)-Kaskadendarstellung vonm′ durch Addition von

(akk

).

Die Eindeutigkeit folgt ebenfalls induktiv mit der Formel

k∑j=0

(a− jk − j

)=

(a+ 1

k

).

Wurden wir namlich ak < max{(

ak

)≤ m

}wahlen, so folgte

m−(akk

)≥(ak + 1

k

)−(akk

)=

(ak

k − 1

)>

k−1∑j=1

(ak − jk − j

),

eine Fortsetzung von(akk

)zu einer k-Kaskadendarstellung ware also unmoglich.

Wir werden zeigen:

Satz 6.6 (Kruskal 1963, Katona 1968)Ist F ⊆

(Xk

), |F| = m =

(akk

)+ · · ·+

(ass

)mit ak > ak−1 > · · · > as ≥ s ≥ 1, so gilt:

|∂F| ≥(

akk − 1

)+ · · ·+

(as

s− 1

)=: ∂(k)(m) (6.1)

und zu jedem m existiert ein System F , sodass Gleichheit gilt.Ferner gilt die folgende Abschatzung (Lovasz): Sei m =

(xk

)mit x ∈ R, so ist

|∂F| ≥(

x

k − 1

). (6.2)

Fur den Beweis benotigen wir noch etwas Vorbereitung. Zunachst definieren wir eineinteressante Totalordnung auf

(Xk

). Fur A = {a1 < . . . < ak} und B = {b1 < . . . < bk}

mit A 6= B definieren wir

A < B ⇔ (ak < bk) oder (ak = bk und ak−1 < bk−1) oder . . .

oder (ak = bk, . . . , a2 = b2, a1 < b1).

Stellt man A und B durch ihre Inzidenzvektoren dar, so bedeutet dies, dass die letzteKomponente, in der die Vektoren sich unterscheiden, die Ordnung bestimmt. Offenbargilt

A < B ⇔k∑i=1

2ai <k∑i=1

2bi .

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88 6 Hypergraphen

Die Ordnung ist als colexikographische Ordnung (Colex-Ordnung) bekannt. Was sind dieersten m Elemente von

(Xk

)in der Colex-Ordnung?

Dazu schreiben wir m =(akk

)+ · · ·+

(ass

)in der k-Kaskadendarstellung und setzen Aj :=

{1, . . . , aj}. Nun sei

Fk :=

(Akk

)Fk−1 :=

{A ∪ {ak + 1} : A ∈

(Ak−1

k − 1

)}Fk−2 :=

{A ∪ {ak−1 + 1, ak + 1} : A ∈

(Ak−2

k − 2

)}...

Fs :=

{A ∪ {as+1 + 1, . . . , ak + 1} : A ∈

(Ass

)}.

Schließlich definieren wir

F :=k⋃j=s

Fj.

Dann besteht F aus den ersten m Mengen in der Colex-Ordnung auf(Xk

). (Ubung)

Was ist ∂F?

∂Fk =

(Akk − 1

),

sowie fur s ≤ j < k

∂Fj\ (∂Fk ∪ · · · ∪ ∂Fj+1) =

{A ∪ {aj+1 + 1, . . . , ak + 1} : A ∈

(Ajj − 1

)}.

Unser F ist also ein System, fur das in (6.1) Gleichheit gilt.

Nun definieren wir Kompressionsoperatoren Cij fur 1 ≤ i, j ≤ n, i 6= j.

Cij : 2X → 2X , A 7→{

(A\{j}) ∪ {i}, i /∈ A, j ∈ AA, sonst,

d.h. wenn i nicht zu A gehort, aber j, so werden i und j ausgetauscht. Die Cij sindkeineswegs injektiv. Ist B ⊆ X\{i, j}, so ist

Cij (B ∪ {j}) = B ∪ {i} = Cij (B ∪ {i}) .

Die Cij induzieren Operatoren Cij, die Mengensysteme wieder in Mengensysteme uberfuhren

Cij(F) := {Cij(A) : A ∈ F} ∪ {A : A und Cij(A) in F} .

Offenbar gilt∣∣∣Cij(F)

∣∣∣ = |F|.

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6.1 Sperner Systeme 89

Lemma 6.7Ist F ⊆ 2X , 1 ≤ i < j ≤ n, so gilt ∣∣∣∂Cij(F)

∣∣∣ ≤ |∂F| .Beweis:Wir zeigen, dass Cji eine injektive Abbildung von ∂Cij(F)\∂F nach ∂F\∂Cij(F) ist.Dazu sei B ∈ ∂Cij(F)\∂F , etwa B ∈ ∂Cij(A) mit A ∈ F . Wegen B /∈ ∂F muss Cij(A) /∈F gelten, etwa Cij(A) = (A\{j}) ∪ {i}, also j /∈ B. Weil B /∈ ∂A ⊆ ∂F , kann B nichtA \ {j} sein, also ist i ∈ B. Dann ist Cji(B) = (B\{i}) ∪ {j} ⊆ A, also Cji(B) ∈ ∂F .Insbesondere ist Cji injektiv, da fur i ∈ B und j /∈ B die Menge Cji(B) von Cij wiederauf B abgebildet wird.Angenommen, Cji(B) ∈ ∂Cij(F), etwa Cji(B) ∈ ∂D mit D ∈ Cij(F). Ware i ∈ D, sofolgte aus {i, j} ⊆ D, dass D ∈ F ist und B ∈ ∂D im Widerspruch zur Wahl von B. ImFall i /∈ D muss aber nach Definition von Cij gelten, dass D ∈ F und Cij(D) ∈ F , worauswiederum B ∈ ∂Cij(D) ⊆ ∂F folgt, ein Widerspruch. �

Beweis des Satzes von Kruskal-Katona:Wir machen eine Induktion nach k und anschließend nach m, wobei die Falle k = 1und m = 1 trivial sind. Es sei also k ≥ 2 und die Behauptung gelte fur alle F mit|F| < m, F ⊆

(Xk

), sowie fur alle F ⊆

(Xk−1

).

Nach Lemma (6.7) konnen wir auf F sukzessive die Operatoren C1j anwenden, ohne denSchatten zu vergroßern. Wir nehmen also an, dass C1j(F) = F ist fur alle 2 ≤ j ≤ n.Seien

F0 := {A ∈ F : 1 /∈ A} und F1 := {A\{1} : 1 ∈ A ∈ F} .Dann ist |∂F| ≥ |F1|+ |∂F1|, denn F1 ⊆ ∂F und die Abbildung

”A 7→ A ∪ {1}“ ist eine

injektive Abbildung von ∂F1 in ∂F\F1. Außerdem ist ∂F0 ⊆ F1, denn falls B = A\{j}fur ein j ∈ A, A ∈ F0 ist, so muss C1j(A) ∈ F sein, also B ∈ F1.Nun unterscheiden wir zwei Falle.Fall 1: |F1| ≥

(ak−1k−1

)+ · · ·+

(as−1s−1

).

Aus der Induktionsvoraussetzung folgt dann

|∂F1| ≥(ak − 1

k − 2

)+ . . .+

(as − 1

s− 2

),

also

|∂F| ≥ |F1|+ |∂F1| ≥(ak − 1

k − 1

)+

(ak − 1

k − 2

)+ . . .+

(as − 1

s− 1

)+

(as − 1

s− 2

)=

(ak

k − 1

)+ . . .+

(as

s− 1

).

Fall 2: Ware |F1| <(ak−1k−1

)+ . . .+

(as−1s−1

), so folgte aus |F0| = |F| − |F1|

|F0| >(ak − 1

k

)+ . . .+

(as − 1

s

),

also

|F1| ≥ |∂F0| ≥(ak − 1

k − 1

)+ . . .+

(as − 1

s− 1

),

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90 6 Hypergraphen

ein Widerspruch.

Analog folgt (6.2): Ist |F1| ≥(x−1k−1

), so folgt nach Induktionsvoraussetzung

|∂F1| ≥(x− 1

k − 2

),

also

|∂F| ≥(x− 1

k − 1

)+

(x− 1

k − 2

)=

(x

k − 1

).

Fur |F1| <(x−1k−1

)ist wieder

|F0| = |F| − |F1| >(x

k

)−(x− 1

k − 1

)=

(x− 1

k

),

also

|∂F0| ≥(x− 1

k − 1

)im Widerspruch zu ∂F0 ⊆ F1. �

Bemerkung:Der Beweis liefert auch eine Charakterisierung der Gleichheit fur den Fall, dass |F| = m =(xk

)mit x ∈ N, denn Gleichheit gilt genau dann, wenn F =

(Ak

)fur ein A mit |A| = x.

Dies folgt ebenfalls induktiv:Zunachst bemerken wir, dass bei Anwendung eines Kompressionsoperators Cij auf einSystem F nur dann Cij(F) =

(Ak

)gilt (|A| = x), wenn F bereits von der gleichen Form

war, d.h.

F = Cji

((A

k

))=

(Cji(A)

k

).

Gilt nun fur das komprimierte F aus dem Beweis |F| =(xk

)und |∂F| =

(xk−1

)fur x ∈ N,

so muss (vgl. Beweis)

|F1| =(x− 1

k − 1

)und |∂F1| =

(x− 1

k − 2

)gelten. Nach Induktionsvoraussetzung ist dann F1 =

(Ak−1

), |A| = x − 1 und A ⊆

{2, . . . , n}, also

F =

(A ∪ {1}

k

).

Beispiele:Es sei F ⊆ 2X eine Spernerfamilie, Fk = F ∩

(Xk

)und fk := |Fk|.

Schreiben wir 0 < |Fk| =(xk

), x ∈ R, x ≤ n, so folgt mit dem Satz von Kruskal-Katona

(6.6)

|∂Fk| ≥(

x

k − 1

),

also|∂Fk||Fk|

≥(xk−1

)(xk

) =k

x− k + 1≥ k

n− k + 1

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6.1 Sperner Systeme 91

mit Gleichheit genau dann, wenn x = n. Daraus ergibt sich

|∂Fk|(nk−1

) ≥ |Fk|(nk

)mit Gleichheit genau dann, wenn Fk = ∅ oder Fk =

(Xk

).

Diese Ungleichung heißt auch”lokale LYM-Ungleichung“, weil aus ihr die zum Beweis des

Satzes von Sperner benutzte LYM-Ungleichung folgt. Dazu setzen wir

Gn := Fn und Gk := Fk ∪ ∂Gk+1, fur k < n.

Außerdem sei αk := fk

(nk). Die LYM-Ungleichung lautet

n∑k=0

fk(nk

) ≤ 1.

Mit βk := |Gk|(nk)

erhalten wir aus der lokalen LYM-Ungleichung

αk + βk+1 ≤ βk,

weil Fk und ∂Gk+1 wegen der Sperner-Eigenschaft von F disjunkt sind.

Gk+1

Gk

Gk−1

∂Gk+1

∂Gk

Fk

Fk−1

Gleichheit gilt dabei genau dann, wenn βk+1 ∈ {0, 1}. Nun folgt induktiv

βn = αn

βn−1 ≥ βn + αn−1 =αn + αn−1

βn−2 ≥ βn−1 + αn−2≥αn + αn−1 + αn−2

......

...

1 ≥ β0 ≥ β1 + α0 ≥αn + αn−1 + . . .+ α0 =n∑k=0

fk(nk

) .Gleichheit gilt dabei genau dann, wenn αk + βk+1 = βk fur alle k gilt, was F =

(Xk

)fur

ein spezielles k impliziert.

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92 6 Hypergraphen

Als eine weitere Anwendung wollen wir den Satz von Erdos-Ko-Rado anders beweisen. Essei F ⊆

(Xk

)mit 2k < n und A,B ∈ F ⇒ A ∩B 6= ∅. Wir betrachten

F c := {X \ A : A ∈ F} ⊆(

X

n− k

).

Nun nehmen wir an, dass |F| =(n−1k−1

)=(

n−1n−1−(k−1)

)=(n−1n−k). Die iterierte Anwendung

des Satzes von Kruskal-Katona liefert

|∂F c| ≥(

n− 1

n− k − 1

), |∂(∂F c)| ≥

(n− 1

n− k − 2

), . . . , |∂rF c| ≥

(n− 1

n− k − r

).

Fur r = n− 2k ist ∂rF c ⊆(Xk

)und |∂rF c| ≥

(n−1k

). Sind A,B ∈ F , so ist die Bedingung

A ∩B 6= ∅ aquivalent dazu, dass A 6⊆ BC ist, also F ∩ ∂rF c = ∅.Also folgt aus F ∪ ∂rF c ⊆

(Xk

)und |F| =

(n−1k−1

), |∂rF c| ≥

(n−1k

),(nk

)=(n−1k−1

)+(n−1k

),

dass |∂rF c| =(n−1k

)gelten muss. Bei den r Anwendungen des Kruskal-Katona-Satzes

muss also stets Gleichheit gegolten haben. Dies impliziert, dass

F c =

(X\{a}n− k

)fur ein a ∈ X gilt, also

F =

{A ∈

(X

k

): a ∈ A

}.

6.2 Uber eine Vermutung von Borsuk

Fur M ⊆ Rn, M beschrankt, sei

diam(M) := sup {‖x− y‖ : x, y ∈M}

der Durchmesser von M .Fur welche k kann man M in Teilmengen M = M1 ∪ . . . ∪Mk zerlegen, sodass diam(Mi) <diam(M) fur alle 1 ≤ i ≤ k gilt?

Beispiel:M sei ein Simplex, etwa M = conv(x0, . . . xn), ‖xi − xj‖ = d fur alle i 6= j. Da jedes Mi

hochstens eine Ecke xi enthalten darf, folgt: k ≥ n+ 1.

Borsuk vermutete 1933, dass eine solche Zerlegung in k = n+ 1 Mengen stets moglich sei.Das ist fur den R3 tatsachlich richtig. Der allgemeine Fall wurde 1993 von Kahn und Kalaiin spektakularer Weise widerlegt. Bezeichnen wir mit f(n) die kleinste naturliche Zahl,so dass jede beschrankte Teilmenge des Rn in f(n) Teilmengen kleineren Durchmesserszerlegt werden kann, so gilt:

Satz 6.8 (Kahn-Kalai, 1993)f(n) > (1, 2)

√n fur alle hinreichend großen n.

Der Beweis beruht auf einer Hypergraphenkonstruktion und ist das Hauptziel dieses Ab-schnitts.

Wir beginnen mit einem Satz von Frankl und Wilson.

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6.2 Uber eine Vermutung von Borsuk 93

Satz 6.9 (Frankl-Wilson, 1981)Es sei p eine Primzahl und L = {l1, . . . , ls} ⊆ {0, . . . , p − 1}. F sei eine Familie vonTeilmengen von X = {1, . . . , n}, sodass

|A| mod p /∈ L fur alle A ∈ X,|A ∩B| mod p ∈ L fur alle A,B ∈ X,A 6= B.

Dann gilt

|F| ≤s∑i=0

(n

i

).

Beweis:Es sei Zp := Z/pZ der Korper mit p Elementen. Fur A ⊆ X sei 1A der charakteristischeVektor von A in Znp , also 1A = (x1, . . . , xn) mit xi = [i ∈ A].Fur A ∈ F definieren wir Polynome

fA (x1, . . . , xn) :=s∏j=1

(x · 1A − lj) =s∏j=1

(∑i∈A

xi − lj).

Dann gilt fur A,B ∈ F

fA (1B) =s∏j=1

(|A ∩B| − lj) ≡ 0 g.d.w. A 6= B.

Die (fA (x))A∈F sind also linear unabhangig uber Zp.Schreiben wir

fA(x) =∑

d1,...,dn

α(A, d1, . . . , ds)xd11 . . . xdnn ,

so setzen wir

fA(x) :=∑

d1,...,ds

α(A, d1, . . . , dn)xd′11 . . . xd

′nn mit d′i :=

{1, di > 0

0, di = 0.

Da fA(x) = fA(x) auf 0-1-Vektoren, sind auch die fA linear unabhangig.Nach Konstruktion konnen aber hochstens s der Zahlen d1, . . . , dn positiv sein, fallsα(A, d1, . . . , dn) 6= 0 ist, also

span{fA | A ∈ F} ⊆ span

{∏i∈C

xi | C ⊆ {1, . . . , n}, |C| ≤ s

}=: U.

Der Unterraum U hat aber Dimension hochstens

s∑j=0

(n

j

).

Mit Hilfe von Satz (6.9) erhalten wir

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94 6 Hypergraphen

Folgerung 6.10 (Fisher-Ungleichung)Es sei 0 ≤ λ ≤ n und F ⊆ 2X , |X| = n mit |A ∩B| = λ fur A,B ∈ F , A 6= B.Dann ist |F| ≤ n+ 1.

Beweis:Falls ein A ∈ F existiert mit |A| = λ, so gilt A ∩ B = A fur alle B ∈ F , also B ∩ C = Afur alle B,C ∈ F .Daraus folgt |F| ≤ n− λ+ 1, also sind wir fertig.Wir konnen also annehmen, dass |A| > λ fur alle A ∈ F . Dann ist der Satz von Frankl-Wilson anwendbar (mit L = {λ} und p > n) und liefert:

|F| ≤(n

0

)+

(n

1

)= n+ 1.

Beweis (6.8):Es sei nun ein Mengensystem F ⊆ 2X gegeben mit X = {1, . . . , n}.Dann ist M := {1A | A ∈ F} ⊆ Rn eine beschrankte Menge. Aus der Borsuk-Vermutungwurde folgen, dass eine Zerlegung M = M1 ∪ . . . ∪Ml mit l ≤ n + 1 existiert, sodassdiam(M) > diam(Mi), 1 ≤ i ≤ l ist.Nun ist

‖1A − 1B‖ =√|A⊕B| =

√|A|+ |B| − 2|A ∩B|.

Ist speziell F ⊆(Xk

), so gilt

diam(M) =√

2(k − |A ∩B|) mit A,B ∈ F , so dass |A ∩B| minimal ist.

Setzen wir dann t := min {|A ∩B| : A,B ∈ F}, so folgt aus der Borsuk-Vermutung:F kann so in l ≤ n+ 1 Mengen F1, . . . ,Fl zerlegt werden, dass fur jedes i gilt

A,B ∈ Fi ⇒ |A ∩B| > t.

Nun wahlen wir eine ungerade Primzahl p und setzen m := 4p, V := {1, . . . ,m} ,W :=(V2

),F :=

{A ∈

(V2p

): 1 ∈ A

}.

Jedem A ∈ F ordnen wir eine Menge A ∈(W4p2

)zu vermoge

A := {{x, y} ∈ W : x ∈ A, y ∈ V \A}

(A ist die Kantenmenge des vollstandigen bipartiten Graphen mit Farbklassen A und

V \A). Wir definieren F :={A : A ∈ F

}. Da die Zuordnung injektiv ist, gilt |F | = |F|.

Es seien nun A,B ∈ F , A 6= B, x = |A ∩B|. Dann gilt 1 ≤ x ≤ 2p− 1 und

|A ∩ B| = x2 + (2p− x)2 = 2x2 − 4px+ 4p2 = 2((x− p) + p2

)≥ 2p2

mit Gleichheit g.d.w. x = p.(Ist x 6= p, so ist |A ∩ B| mod p = 2x2 mod p 6≡ 0 mod p).Nehmen wir nun an, dass eine Zerlegung F = F1 ∪ . . . ∪ Fl existiert mit |A∩ B| > 2p2 furalle A, B ∈ Fi, 1 ≤ i ≤ l. Fur die entsprechenden Mengen A,B ∈ Fi hat dies zur Folge,dass |A ∩B| 6= p und damit |A ∩B| 6≡ 0 mod p fur A,B ∈ Fi.

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6.2 Uber eine Vermutung von Borsuk 95

Nach Frankl-Wilson folgt, dass Fi hochstens∑p−1

j=0

(mj

)Mengen enthalten kann, denn die

Restklasse von 0 ist ausgeschlossen.Also

l ·p−1∑j=0

(m

j

)≥ |F| =

(m− 1

2p− 1

).

Was bedeutet diese Abschatzung fur l? Wir benutzen die Stirling-Formel, sowie die Un-gleichung

p−1∑j=0

(m

j

)≤ 2 ·

(m

p− 1

),

die aus der Abschatzung(mj

)(mj−1

) =m− j + 1

j≥ 4p− (p− 1) + 1

p− 1=

3p+ 2

p− 1> 2

folgt.Die Stirling-Formel lautet

n! =√

2πn(ne

)neα·

112n mit 0 < α = αn < 1.

Daraus folgt(n

k

)=

1√2π

(ne

)n(ke

)k (n−ke

)n−k ·√ n

k(n− k)· e 1

12nαn− 1

12kαk− 1

12(n−k)αn−k︸ ︷︷ ︸1+o(1), fur n,k→∞

.

Also

l ≥(

4p−12p−1

)2 ·(

4pp−1

) =1

2· 1

4p· (p− 1)p−1(3p+ 1)3p+1

(2p− 1)2p−1(2p+ 1)2p+1· (1 + o(1))

(1 + o(1))

≥((

1

2

) 14

·(

3

2

) 34

+ o(1)

)m

≥ (1, 1397 + o(1))m .

Falls n = 4p(4p−1)2

= m(m−1)2

, so ist m ≥√

2n− 1. Das bedeutet fur die Borsuk-Zahl f(n)

f(n) ≥ (1, 1397 + o(1))d√

2n−1e > (1, 203 + o(1))√n .