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DER SCHNEE JAHRBUCH DES SCHWEIZERISCHEN AKADEMISCHEN SKI-CLUB ANNUAIRE DU SKI-CLUB AcAD~MIQUE SUlSSE ' - !* . . I I 'i,, ' . - - SCHRIFTLE~TUNG WALTER AMSTUTZ BD. 4 1 No. 14 / 1941 PREIS FR. 5.-
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Nr 14 1941

Mar 15, 2016

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Erica Angliker

Nr 14 1941
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DER SCHNEE

JAHRBUCH DES SCHWEIZERISCHEN AKADEMISCHEN SKI-CLUB

ANNUAIRE DU SKI-CLUB A c A D ~ M I Q U E SUlSSE

' - !* . . I I

'i,, ' . - - S C H R I F T L E ~ T U N G W A L T E R A M S T U T Z

BD. 4 1 No. 14 / 1941

P R E I S FR. 5.-

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SCHNEE Jahrbucli des Scliwcizcrischen Akademisclien Ski-Club Bd. 4, No. 1% 1941 Schriftleitung : Waltcr Amstut

INHALTSVERZEICHNIS

Schneehase - was nun?

Ich gedenke der Berge.. . Von Arnold Lunn, SAS, London

Die vier Stufen des Skifahrens. Von Dr. Henry Hoek, SAS, Davos

Der Abfahrtssport in Schweden. Von Sigge Bergman, Stockholm

Kritische Betrachtungen zur Mehrkampfbewertung in den Skikampfdisziplinen

Von Dr. Christian Meisser, SAS, Winterthur

PRHSIDIAL-, S K I - U N D CLUBBERICHTE

Jahresbericht 1941142

Rapport du Rennchef sur la Saison 1941142

I n Memoriam: Martin Fritzsche, 1920-1942

17. SAS-Rennen 1942 in Zermatt

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Auf Parsenn. Photo Eelene Fischer

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Anschr i f t der S c h r i f t l e i t i i n g : Dr . W a l t e r A m s t u t z , 4 5 N ü s c h e l e r s t r a s s e , T e l . 7 1 2 1 5 , Zürich

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SCHNEEHASE WASNUN?

Mit dem Erscheinen ieser Nummer läuft unser Vertrag mit dem Verleger ab. Dieses Jahrbuch ist

nun seit 1927 vierze al erschienen und hat sich in dieser Zeit seinen Platz gewissermaßen selbst

angewiesen. Junge U 4 ternehmen brauchen gewöhnlich „Dynamik", von der heute so gern und so oft

gesprochen wird. Der SAS kann behaupten, daß er mit diesem ,,Triebstoff", wenn auch nicht immer,

so jedenfalls zeitweise, sich fortbewegen ließ. Gelegentlich miiß auch der Gang gewechselt werden.

Das scheint heute wieder einmal der Fall zu sein.

Der Anfang dieses Jahrbuches war Selbstverlag. Für die Finanzierung der ersten drei Nummern

sorgte der Schriftleiter selbst. Es folgte ein vierjähriger Verlagsvertrag mit der Imprimerie Populaire

in Lausanne und anschließend eine sechsjährige Vereinbarung mit dem Art. Institut Orell Füßli in

Zürich (5 ganze und 2 halbe Nummern). Es ist dem Schreibenden eine angenehme Pflicht, dem Verlag

für die großzügige Art und Weise, wie er den Wünschen des SAS und des Schriftleiters je und je

entgegengekommen ist, im Namen des Clubs und auch persönlich zu danken. Wir können uns nichts

Besseres wünschen, als eine neiie Vereinbarung mit dem alten Verleger wieder abzuschließen. Dabei

sind wir uns bewußt, daß heute die Zeiten nicht so sind, wie sie auch schon waren, und daß wir wahr-

scheinlich für unser Jahrbuch in Zukunft einen größeren Beitrag leisten müssen wie bis anhin. Eine

beinahe zwanzigjährige Geschichte unseres Clubs aber bestärkt uns im Glauben an uns selbst. Vielleicht

brauchen wir auch wieder ein klein wenig von jener „Dynamik", die uns einst ins Leben brachte.

Um uns brandet immer noch das große Chaos, und noch ist das Ende nicht abzusehen. Für inter-

nationale Belange ist die Zeit der Zusammenarbeit noch nicht angebrochen, aber sie wird einmal

kommen, so sicher wie der Winter den Herbst ablöst. Und wonn einmal diese Zeit da ist, so dürfte

diesem Jahrbuch - wie kaum einem anderen - der Weg offen stehen, eine große skisportliche

Mission zu erfüllen, die weit über den Rahmen des ursprünglich gesteckten Zieles geht. Eine Aufgabe

des Sportes wird es sein, beizutragen, daß aus den Feinden von gestern Freunde von morgen werden

und nicht umgekehrt, wie dies bislang bei sportlichen Veranstaltungen der Fall war, so daß man

einst den Ausspruch wagen durfte, die Olympischen Spiele seien die beste Vorbereitung zum nächsten

Weltkrieg. Dabei wird es zu empfehlen seiri, dem Sport wieder die Bedeutung zu geben, die ihm von

Haus aus zukommt - neben der körperlichen und geistigen Erziehung soll Sport immer noch

Erholung bleiben !

Schneehase, was nun - wo geht die neue Spur?

Zürich, in1 Dezember 1942.

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ICH GEDENKE DER BERGE.. . .

T70n Arnold Lunn, SAS, London

I.

E I N JUBILHUM

Grindelwald feierte das Gedenkfest seines fünfzigjährigen Bestehens als Winter-Sport-Platz, und man

hatte mich gebeten ein paar Worte zu sprechen vor den im Hotel ,,Bär" versammelten Gästen. Mein

Freund Grob, Kurdirektor in Grindelwald, hörte sich meine kleine Rede mit vorbildlicher Geduld an;

dann führte er mich in die Bar. ,,Wissen Sie auch", so fragte ich ihn, „daß ich im Jahre 1942 mein eigenes

goldenes Jubiläum feiern kann als Gast von Grindelwald? Ich wurde geboren am 18. April 1888, und

meine erste bewußte Erinnerung ist die an den großen Brand, der den alten Bären zerstörte und das

halbe Dorf in Asche legte." ,,Dann müssen wir Sie zu einem Bankett im Bären einladen", meinte Grob.

Manchmal geschehen ja Zeichen und Wunder; und vielleicht kann ich tatsächlich und trotz allem

dieses ,,Gold-Jubiläum" feiern in dem Tale, das ich liebe. Aber es wird nicht sein im „Bärenc'. Denn

der ,,Bär" brannte abermals ab, zwei Jahre vor dem fünfzigsten Jahre nach seiner Wiedergeburt.

Der alte ,,Bär" erlebte die goldene Zeit des Bergsteigens, der junge ,,Bär" die goldene Zeit des Ski-

laufs. Der junge wie der alte haben sich geweigert die Zeiten zu überleben, für die sie symbolisch waren.

Der alte ,,Bar" war das geheiligte Bergheim des Alpine Club; willkommen waren die Auserwählten.

Seine Atmosphäre war ein bißchen kühl für das ,,profanum vulgus", für die große Masse - das heißt

für all jene, die man zusammenfassend als ,,Ausflugreisende" bezeichnen und damit gleichzeitig ver-

dammen kann. Der Alpine Club jener Tage rekrutierte sich aus den Reihen der Bischöfe, Richter,

Pfarrer, Rechtsanwälte, Dekane und Schulmeister. Er war ein Querschnitt durch die viktorianische

,,Gesellschaft" und genau so klassenbewußt wie ein Verein fanatischer Marxisten.

Der neue ,,BärL' entstand irn Jugendalter des Wintersports. Die englischen Pioniere teilten ihre Tage

zwischen den byzantinischen Orthodoxien der britischen Schlittschuh-Schule und Schlittelparties

in das ,,Happy Valley". Vom ,,Bären" aus begann Fox seine Versuche mit den ungebärdigen Brettern.

Das war bereits im Jahre 1891, kurz bevor E. C. Richardson in Davos das Fundament des englischen Skilaufs legte.

Davos war der Geburtsplatz des britischen Skilaufs, in Mürren erblickte der moderne Skilauf das

Licht des Schnees; denn in Mürren wurde der Kandahar-Club gegründet und die Kunst des Slaloms

entwickelt. Und wenn auch das älteste internationale Abfahrtsrennen (das Anglo-Swiss University

Meeting) in Mürren organisiert wurde - wo auch der Slalom-Lauf veranstaltet wurde -, so war es

doch der Tschuggen-Hang, auf dem die britischen und schweizerischen Studenten zum ersten Male

im Abfahrtsrennen sich maßen. Und es war in der Bar des neuen „Bärenc', wo wir die tüchtige Leistung

der britischen Mannschaft feierten, die zwar geschlagen war, aber eine ehrenvolle Niederlage erlitten hatte.

Allmählich begannen die Skiläufer auch nach Grindelwald zurückzukehren, statt die Hänge der beiden

Scheidegg bloß von ihrem Standort in Wengen und Mürren aus zu erforschen und zu benützen. Der

Kandahar-Ski-Club gründete 1936 einen Zweigverein in Grindelwald und im letzten Winter vor dem

Kriege gewann Robert Readhead (der in Grindelwald das Skilaufen gelernt hatte) den Becher des

Herzogs von Kent ; das war eine unoffizielle Weltmeisterschaft der im Flachland wohnenden Skiläufer.

Und damit schloß ein schöner Sieg das goldene Zeitalter des britischen Skilaufs ab.

Im ersten Kriegswinter besuchte ich die Alpen auf der Rückreise aus dem Balkan und zum letzten

Male sah ich den ,,Bärenu im Februar 1940, geschlossen und verlassen.

Ich war in Florenz, als die Deutschen in Holland einrückten, und ich verließ Paris unmittelbar nachdem

die Deutschen die Maginot-Linie bei Sedan umgangen hatten. Das europäische Festland betrat ich erst wieder, als ich am 11. Oktober 1941 in Lissabon landete.

ES tat mir sehr leid, England zu verlassen; als aber der Clipper einmal auf dem Wege nach Lissabon

war, wurde mein Bedauern gemäßigt durch die Vorfreude, wieder in den lateinischen Süden zu

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kommen; schon lange vor dem Morgengrauen war ich wach und hielt am Horizonte Ausschau nach

den ersten Anzeichen von Land. Noch lange nachdem bereits das Dunkel am östlichen Himmel

geschwunden, lag die Nacht noch über dem Atlantik. Tausende von Fuß unter uns war der dunkle

Ozean sichtbar durch Risse in einer Nebeldecke, auf deren Oberfläche mit regelmäßigen Unterbre-

chungen ein Licht aufleuchtete - wie ein Stern, der auf seinem Falle zur Erde in einem Wolkennetze

gefangen wurde. Und dann entpuppte sich der Stern als die Lichtkegel eines Leuchtturmes, dessen

Kopf sich gerade noch durch die niederen Nebel auf dem Wasser bohrte. Was aber waren die schwarzen

Gestalten im Osten? Wolken? Mein Herz schlug schneller wie diese wolkenähnliche Formen sich als

Berge erkennen ließen - als richtige Berge. Ich hatte Abschied genommen von den Alpen auf der

Terrasse vor dem Bundeshaus in Bern, als die deutschen Panzerwagen bei Sedan durchbrachen, und

die nächsten Berge, die ich sah, waren die Rockies von Denver aus. Auch sie sind schön in ihrer Art;

aber mir fehlten die Toten alle, die Römer, die Burgunder, die Habsburger. Denn zuzeiten hört man

auch heute nooh den Tritt der Legionen auf den Straßen, die die Römer bauten; und das Echo von

Rolands Horn schwingt noch leise im Tale von Roncevalles. Es war schön zurückzukehren zu Bergen,

die verwurzelt waren in den Jahrhunderten der Geschichte ; zu Bergen, die die Römer hatten kommen

sehen und die den Rückzug der Sarazenen erlebt hatten; zu Bergen, deren Vorland beschützt wird

von alten Burgen, in deren Täler christliche Heiligtümer stehen und wo Virgil's Flüsse, ,,fluminaque

subterlabenta muros", die Mauern zerfallener Befestigungen spiegeln.

Unser Clipper segelte über spielzeugkleine Kastelle und machte dann eine perfekte Landung auf dem

glatten Wasser der großen Bucht. Vor Ausbruch des Krieges hatte ich in dem verzauberten Garten

von St. Remigio, oberhalb Pallanza, gewohnt, und wie ich nun vor dem Zollhause stand und den Tagus

erwachen sah zum Glanze eines Tages im Süden, da fühlte ich, daß der Lago Maggiore ein bißchen

näher gerückt war. Hier, wie dort, schwanden allmählich die Schatten, wie die Sonne stieg; ich sah

denselben goldenen Schimmer auf den Hügeln, die sich der wachsenden Hitze ergaben; fühlte dieselbe

zarte Brise, die dem Morgendämmern folgte und das Wasser fast unmerkbar kräuselte in einer Land-

schaft, die erfüllt war von geschmolzenem Silber und durchsichtigstem Blau.

Noch am selben Nachmittag reiste ich weiter nach Madrid, das ich zum letzten Male während des

Bürgerkrieges vom Friedhof aus gesehen hatte. Das Madrid, in das ich zuriickkehrte, war eine leid-

erfüllte Stadt, überschattet von einer ungewissen Zukunft, und ich war Miß Aileen O'Brien sehr dank-

bar für das Auto, in dem wir für einige Stunden in die Berge flohen. Wir fuhren durch die Ruinen des

Universitätsviertels und vorbei an Dörfern, die der Krieg gezeichnet hatte, zur langgezogenen Mauer

der Sierra, in der der Escorial steht. Die ruhige Schönheit der herbstlichen Berge, deren Gipfel vor-

zeitigen Schnee trugen, erinnerte mich an die Pracht der Alpen im Oktober. Ich mußte an das Berner

Oberland denken, an das fahle Grün der verlassenen Alpen, überzuckert vom ersten Herbstschnee, an

den edlen Vorhang der Wälder, der sich hinabsenkt zu den Seen, an die Flammen der Lärchen im dun-

keln Hang der Tannen, an das Purpur sterbenden Laubes, das sich kopfstehend spiegelt im klaren Blau

des Brienzer Sees und an das milde goldene Licht, zart und doch klar, märchenhaft in seiner Verbin-

dung von Durchsichtigkeit und Atmosphäre. Unser Wagen hielt in der Nähe des Escorial und plötzlich

hörte ich einen Ton, der eine ganze Flut von Erinnerungen aufsteigen ließ : Es war das Bimmeln einer

Kuhglocke! Ein Stier zog langsam auf der Straße seines Weges. Ich schloß die Augen und versuchte

mir weiszumachen, daß ich einem dirigentenlosen Orchester der Wengeneralp lauschte. Aber die

Berge oberhalb des Escorial erwecken Erinnerungen, die sehr verschieden sind von denen der Alpen.

Denn ich hatte diese Berge das letztemal während des Bürgerkrieges gesehen. Der Sohn eines Freundes

von mir war Befehlshaber einer Kompanie, die einen Vorposten nahe dem Gebirgsrücken zu vertei-

digen hatte. Er war von der Höhe herab gekommen, um seinen Vater zu sehen; nooh kann ich mich

erinnern an das Heulen einer verirrten Kugel, wie sie zusammen fortgingen; noch sehe ich den Gegen-

satz zwischen der ganzen Verwüstung durch den Krieg auf den Bergkuppen und der Schönheit der

Frühlingsblumen im Tale.

„Vom Gipfel des Berges, wo mein Sohn kämpfti', hatte mein Freund gesagt, „kann man den Escorial

sehen."

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Der Escorial ist ganz autochthon, denn er ist erbaut aus dem Granit der benachbarten Sierra. Er ist

so streng und hart wie das Material, das für ihn gebrochen wurde; er ist so finster wie das Spanien,

in dem er entstand; so abweisend-unnahbar wie der König, der ihn sich als Grabmal errichtete. Groß-

artig ist er - jawohl. . . Und doch sehnte ich mich nach den Türmen von Thun oder Chillon. Und

Erinnerungen stiegen auf an Byron's Gefangenen, an „das Stückchen See, das mich lächelnd grüßt",

an die blauen Weiten des Genfer Sees mit seinen lateinischen Segeln; und eine Bemerkung meiner

Frau kam mir in den Sinn - kurz bevor Chamberlain nach München flog -, wie wir zurückkehrten

in die Schweiz. Wir hatten in St.Remigio gewohnt; und obwohl die Italiener nicht angesteckt waren

vom Engländerhaß, den die Fascistische Presse predigte, so schien doch die Sonne Italiens bereits

verdunkelt von Schatten kommender grausamer Geschehnisse. Es war das erstemal in meinem Leben,

daß ich froh war, Italien hinter mir zu lassen. Und als der Zug aus dem Dunkel des Simplon-Tunnels

tauchte in das Licht der gesunden und nicht krankhaft aufgeblasenen Schweiz, da rief meine Frau

aus: „Ist es nicht herrlich, wieder in diesem schonen Land zu sein, das Gottes Hand liebkoste?"

Wenn Gottes Hand aber auch über die Berge ging, die auf den Escorial herabschauen, so ging sie in

diesem Falle gegen den Strich. Die unfreundlichen Büschel stachligen Grases auf den Kämmen lassen

nicht an Schatten für den Liebhaber der Berge denken, sie taugen höchstens als Deckung für den

Kampfer irn Gebirge. Und die mageren Wälder stehen starr wie die gesträubten Haare auf dem ge-

krümmten Rücken einer fauchenden Katze. Und dies ist wieder einmal ein gutes Beispiel für das, was

Ruskin den ,,pathetischen Fehlschluß" nennt, der Fehlschluß, aus dem heraus wir unsere in die Natur

hinausprojizierten Gefühle auf uns wirken lassen. So kam es, daß in einer Stimmung, die erfüllt war

vom Heimweh nach den Alpen, die ernsten Sierren mir den kompromisslosen Fanatismus Spaniens

zu symbolisieren schienen. Alles oder nichts - Todo o nada - ist der Schlüssel zum Verständnis der

Geschichte dieses Landes; und das schweizerische Mosaik von Sassen würde sich schon längst auf-

gelöst haben, hätten die Schweizer nicht die Technik gemeistert „die Unterschiede zu zerlegen" -

übrigens eine Technik, in der die Briten ihre einzigen Rivalen sind.

Auch die Schweiz wurde von den Wogen der Reformation und der Revolution erfaßt - aber diese

geistigen Unwetter hatten sich der Hauptsache nach schon ausgetobt, bevor sie die Schweiz erreichten.

Die Schweiz hat keinen Torquemeda noch Robespierre hervorgebracht, und es ist ganz bezeichnend,

daß die Grenzstadt Genf, die am wenigsten schweizerische der StBdte des Landes, der Schauplatz

war von Calvins Experiment und Fanatismus. Sogar die Schweizer Bürgerkriege machen keine Aus-

nahme; und der Sonderbund-Krieg von 1848 verursachte weniger Verluste an Menschenleben, als der Monat sogenannten Friedens, der dem Bürgerkrieg in Spanien vorausging.

Das Leben zwingt uns unter Opfern zu wählen . . . Und große Kunst ist nicht das Nebenprodukt von

Toleranz, sondern kritiklosen Glaubens. Das Zeitalter, das den Escorial hervorbrachte, war eine Zeit

fanatischer Glaubensüberzeugung, starren Feudalismus, edler Kunst - eine Zeit voller Grausamkeit

und Dreck. Das neunzehnte Jahrhundert war eine Zeitspanne wachsenden Skeptizismus, des Auf-

kommens der Demokratie und des Humanitarismus, künstlerischer Dekadenz und bewundernswerter

Hygiene. Leider aber - wie uns Cnossos beweist - kann auch eine gute Installation eine Zivili-

sation nicht retten.

Torquemeda war gewiß ein hoher Preis für den Escorial - aber „Main Street" gibt uns zu bedenken, daß ein Fortschritt in der Architektur nicht unbedingt auch einen solchen in ethischer Beziehung

bedingt. Schöpferische Rassen sind wie die Bienen: nimmt man ihnen den Stachel, so sterben sie.

Wäre unsere Welt weniger grausam als Torquemeda, und hatte die Überzeugung, daß kein Preis zu

hoch ist, den man für den Frieden bezahlt, uns wirklich den Frieden gebracht - nun, dann könnte

man sich abfinden mit dem Untergang der Kunst. Aber so ist es nicht . . . Das verweichlichte und

schmerzfürchtende Temperament eines skeptischen Humanismus hat den Weg bereitet für einen

neuen Fanatismus und für ein Zeitalter des totalen Krieges. Alle Grausamkeit vergangener Epochen

erwacht wieder zum Leben - aber ohne deren versohnende künstlerische Glorie. Auf konkrete Bei-

spiele, die dies beweisen, möchte ich lieber verzichten.

Ich nahm Abschied von Europa auf den Azoren und von dem letzten Vorposten Großbritanniens

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a b der Clipger Bermuda verließ. Stunde um Stunde flogen wir über einen Teppich in zartesten Farben leuchtender Wölkchen; das erinnerte an ein alpines „NebelmeerU; aber die ungeheure Monotonie

dieser unbelebten und leeren Riiume, ,„vacua et i n a h regna", wurde nicht gemildert durch ragende,

die Wolken durchbrechende Gipfel, die wie Inseln über dem Schaum dsr Nebel stehen. Und unter dimen Wolken war kein geliebtes Brienz oder Luzern, sondern nur die dunklen Einöden dee wogenden Atlantik. Die ersten Zeilen dieses Kapitels schrieb iah am 15. November 1941 in Lissabon, und ich

schlieRe es ab mitten im Sommer 1942. I& habe aber keine sechs Monate gebraucht, um meine Siltze auszufeilen. Denn ich schreibe diese letzten Worte in Lima - und wenn wir auch mitten im Sommer sind, so ist das Datum 12. Januar 1942.

Mein Sehiff verlieG New York kurz nachdem die Vereinigten Staaten in den Krieg eingetreten waren.

Alle Liehter waren verdunkelt und alle Kabinenfenster des Nachts hermetisch geschlossen. Da8 hatte zur Folge, daI3 dm Leben unter Deck fast unerträglich war, nachdem wir die Tropen erreicht hatten.

So schlief ich denn auf Deck und sah den Polarstern unter den Horizont sinken, wahrend das Kreuz des Südens über die Wogen empor stieg; und dann wußte ich, da13 nicht nur der Atlantik, sondern auch der Äquator mich trennte von allem, was ich liebe. Weihnwhten in dem Caribkhen Meer war eine

groteske Parodie von Weihnachten in Mürren. Die Mitternachtmesse wurde zelebriert in einem M t -

losen Salon bei abgeblendetem Licht und versiegelten Luken. Dar Priester wie die Versammlung der Glilubigen troffen vor Schweiß. Und ich gedachte der frosthellen Sterne der Weihnachtstage in den A lpn und aller Freunde, die Mürren nie mehr sehen werden. Soeben bin ich in mein Zirnmer zurückgekehrt, nachdem ioh mir eine Abendzeitung gekauft habe, in der eine ganze Menge unnötiger Einzelheiten stehen über die Pläne der A~hsesun(Ic.hte, soweit ~ i e Malta betreffen. Es sind zurzeit zu viele Lunns in Malta! Peter ist da und Antoinette und mein Enkel

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David und die kleine Innominata. Ich nenne sie so, weil ich ihren Namen noch nicht weiß. Alles, was

ich von ihr weiß, ist, daß sie ,,ihrem Großvater erschreckend ähnlich sieht" -wie in dem etwas unehr-

erbietigen Telegramm stand, das ich bei meiner Landung in New York bekam. „Los bombardeos

Contra Malta han sido casi continuos en las ultimas semanas." Ich denke, ich werde die Abendausgabe

von ,,La Noche" morgen nicht kaufen. . . Ich landete in Callao, dem Hafen von Lima, am 1. Januar. Und wie ich über die staubige Straße

der „verbrannten Erde" den regenlosen Bergen zufuhr, dachte ich an Ernst Gertsch, der den „Neu-

jahrs-Slalom" aussteckte. Wenn der Tag des jüngsten Gerichts auf den 2. Januar festgesetzt würde,

ich bin überzeugt, Ernst würde sein klassisches Rennen ausfahren lassen noch vor dem letzten Posaunenton.

Ich hatte das Gefühl, daß der Kalender etwas in Unordnung sei, denn der peruanische Januar schien mir so grotesk wie manche Versuche einer Neuordnung der Welt. Und ich sehnte mich nach dem zarten

Singen der Schneekristalle, wenn der Ski eine geschützte Lichtung furcht; sehnte mich nach den

Schneehängen, die übergoßen sind von dem gemlißigten Licht einer belebenden Sonne, so himmel-

weit verschieden von der glühenden Kugel, deren mitleidloses Leuchten jedes vorwitzige grüne

Bliittchen Grases in den Küstenbergen Perus ausgemerzt hat.

ES waren nicht nur die Jahreszeiten, die vertauscht waren, wie ich den Äquator überschritten hatte.

Ich kam wieder in den Sommer zurück und gleichzeitig in die Vergangenheit der Kolonialzeit. Eine

neue Zivilisation wird gerade in Nordamerika geboren - und eine alte Kultur stirbt in Peru.

Was geblieben ist vom Vizekönigtum Lima ist ein kleines Stückchen altes Spanien, verlassen und

vergessen, an der fernen Küste des Pazifiks. Die herrschenden Familien, der Hauptsache nach Spanier,

oder wenigstens spanischer Herkunft, werden an Zahl zwanzig- oder dreißigmal übertroffen von den

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