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Als der NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg Anfang Febru- ar in der Talk-Show Maybrit Ill- ner den NATO-Beitritt der Ukra- ine als souveräne Entscheidung der Ukraine behandelte, konnte man sich doch nur wundern, wie ein gestandener Politiker so ge- schichtsvergessen und unsen- sibel zugleich sein kann. Man muss an dieser Stelle einmal zu Ende denken, was ein Beitritt der Ukraine zur NATO bedeu- ten würde. Mit diesem Schritt könnte schnell ein Szenario ein- treten, wonach die großen Welt- mächte hier in Europa direkt Krieg führen. Die ukrainische Regierung und das ukrainische Parlament zeichnen sich schon jetzt da- durch aus, dass sie beim Einsatz von Militär nicht gerade zimper- lich sind. So erklärte der ukra- inische Staatspräsident Petro Poroschenko die prorussischen Separatisten zu Terroristen, was ein faktischer Freibrief für de- ren Vernichtung ist. Überhaupt lässt sich eine verstärkte Milita- risierung der Politik feststellen. So gibt es enge Verknüpfungen von ukrainischen Politikern mit militärischen Verbänden und Freikorps. Beispielhaft stehen dafür zwei Mitglieder des ukrai- nischen Parlaments, Semen Se- mentschenko und Oleh Ljasch- ko. Sementschenko, Kandidat der Partei Samopomitsch bei den letzten Parlamentswah- len, ist Kommandeur des ukra- inischen Freiwilligenbataillions Donbass. Ljaschko, Vorsitzen- der der Radikalen Partei, hat das Freiwilligenbataillion Asow mitgegründet. Die Menschen- rechtsorganisation Amnesty International wirft ihm schwe- re Menschenrechtsverletzun- gen vor. Beide waren jüngst als „neutrale“ Kommentatoren der Entwicklungen in der Ukraine im ZDF zu sehen. Durch diese Verschränkungen wird die Tren- nung zwischen militärischer und politischer Logik faktisch aufge- hoben. Doch auch auf anderen Ebenen ist zu hinterfragen, inwieweit die neue ukrainische Regierung wirklich für – wie Ministerin von der Leyen behauptete –, Demo- kratie und Pressefreiheit steht. So steht die Ukraine stark un- ter dem Einfluss einiger weni- ger Oligarchen. Poroschenko ist beispielsweise, neben seiner Funktion als Staatspräsident, Ei- gentümer des Fernsehsenders Kanala 5. Und auch der ukraini- sche Ministerpräsident, Arse- nij Jazenjuk, hat gleich mehre- re Eisen im Feuer. Er war früher nicht nur Vorstandsvorsitzender einer der größten ukrainischen Banken, sondern später auch Leiter der Verhandlungskom- mission für den WTO-Beitritt der Ukraine. Die Interessen zwischen Poli- tik und (Militär-)Wirtschaft ver- schwimmen jedoch nicht nur in der Ukraine, sondern auch international. Der Druck auf ei- nen NATO-Beitritt der Ukraine wird von verschiedenen Seiten befeuert. So haben der trans- atlantische Think Tank, Atlantic Council, und der Chicago Coun- cil on Global Affairs unlängst ein Papier veröffentlicht, in dem sie der US-Regierung und den restli- chen NATO-Staaten empfehlen, Milliarden von Euro in die militä- rische Aufrüstung der Ukraine zu investieren. Befürchtungen, dass eine militärische Unterstüt- zung zu einer Eskalation führen könnte, wird mit der Argumenta- tion begegnet, dass die Situati- on ja sowieso bereits eskaliere. Wenn man sich diese Gemen- gelage vor Augen führt, darf ein möglicher ukrainischer Antrag auf eine NATO-Mitgliedschaft nicht wie ein x-beliebiger Ver- waltungsakt behandelt werden. Wer – wie die Bundeskanzlerin Angela Merkel – die Kontrolle der Grenze zwischen der Ukra- ine und Russland durchgesetzt sehen will, muss Russland auch hinsichtlich seiner sicherheits- politischen Befürchtungen ent- gegen kommen. Die Antwort auf eine Entspannung der Lage kann nur heißen, dass die Bun- desregierung ihre Bereitschaft gegenüber Putin erklärt, völker- rechtsverbindlich eine NATO- Mitgliedschaft der Ukraine aus- zuschließen. In der NATO herrscht das Prin- zip der Einstimmigkeit. Daher hat es Deutschland selbst in der Hand, Russland den Weg zu eb- nen: Grenzkontrollen durch die OSZE gegen einen verbindlichen Verzicht einer NATO-Mitglied- schaft der Ukraine. Die völker- rechtliche Verbindlichkeit wird unverzichtbar sein. Denn Russ- land hat mit unverbindlichen Er- klärungen zu einem Verzicht ei- ner Nato-Osterweiterung durch den Westen in der Vergangen- heit schlechte Erfahrungen ge- macht. Um den Frieden in Eu- ropa nicht weiter zu gefährden, muss der Status der Ukraine als militärisch neutraler Staat ge- wahrt bleiben. • Katja Kipping Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt März 2015 NATO-Beitritt der Ukraine ausschließen!
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Links! Ausgabe 03/2015

Apr 08, 2016

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Ausgabe März 2015 inklusive aller Beilagen.
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Page 1: Links! Ausgabe 03/2015

Als der NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg Anfang Febru-ar in der Talk-Show Maybrit Ill-ner den NATO-Beitritt der Ukra-ine als souveräne Entscheidung der Ukraine behandelte, konnte man sich doch nur wundern, wie ein gestandener Politiker so ge-schichtsvergessen und unsen-sibel zugleich sein kann. Man muss an dieser Stelle einmal zu Ende denken, was ein Beitritt der Ukraine zur NATO bedeu-ten würde. Mit diesem Schritt könnte schnell ein Szenario ein-treten, wonach die großen Welt-mächte hier in Europa direkt Krieg führen.Die ukrainische Regierung und das ukrainische Parlament zeichnen sich schon jetzt da-durch aus, dass sie beim Einsatz von Militär nicht gerade zimper-lich sind. So erklärte der ukra-inische Staatspräsident Petro Poroschenko die prorussischen Separatisten zu Terroristen, was ein faktischer Freibrief für de-ren Vernichtung ist. Überhaupt lässt sich eine verstärkte Milita-risierung der Politik feststellen. So gibt es enge Verknüpfungen von ukrainischen Politikern mit militärischen Verbänden und Freikorps. Beispielhaft stehen dafür zwei Mitglieder des ukrai-nischen Parlaments, Semen Se-mentschenko und Oleh Ljasch-ko. Sementschenko, Kandidat der Partei Samopomitsch bei den letzten Parlamentswah-len, ist Kommandeur des ukra-inischen Freiwilligenbataillions Donbass. Ljaschko, Vorsitzen-der der Radikalen Partei, hat das Freiwilligenbataillion Asow mitgegründet. Die Menschen-rechtsorganisation Amnesty International wirft ihm schwe-re Menschenrechtsverletzun-gen vor. Beide waren jüngst als „neutrale“ Kommentatoren der Entwicklungen in der Ukraine im ZDF zu sehen. Durch diese Verschränkungen wird die Tren-nung zwischen militärischer und politischer Logik faktisch aufge-hoben. Doch auch auf anderen Ebenen ist zu hinterfragen, inwieweit die neue ukrainische Regierung wirklich für – wie Ministerin von der Leyen behauptete –, Demo-

kratie und Pressefreiheit steht. So steht die Ukraine stark un-ter dem Einfluss einiger weni-ger Oligarchen. Poroschenko ist beispielsweise, neben seiner Funktion als Staatspräsident, Ei-gentümer des Fernsehsenders Kanala 5. Und auch der ukraini-sche Ministerpräsident, Arse-nij Jazenjuk, hat gleich mehre-re Eisen im Feuer. Er war früher nicht nur Vorstandsvorsitzender einer der größten ukrainischen Banken, sondern später auch Leiter der Verhandlungskom-mission für den WTO-Beitritt der Ukraine. Die Interessen zwischen Poli-tik und (Militär-)Wirtschaft ver-schwimmen jedoch nicht nur in der Ukraine, sondern auch international. Der Druck auf ei-nen NATO-Beitritt der Ukraine wird von verschiedenen Seiten befeuert. So haben der trans-atlantische Think Tank, Atlantic Council, und der Chicago Coun-cil on Global Affairs unlängst ein Papier veröffentlicht, in dem sie der US-Regierung und den restli-chen NATO-Staaten empfehlen, Milliarden von Euro in die militä-rische Aufrüstung der Ukraine zu investieren. Befürchtungen, dass eine militärische Unterstüt-zung zu einer Eskalation führen könnte, wird mit der Argumenta-tion begegnet, dass die Situati-on ja sowieso bereits eskaliere. Wenn man sich diese Gemen-gelage vor Augen führt, darf ein möglicher ukrainischer Antrag auf eine NATO-Mitgliedschaft nicht wie ein x-beliebiger Ver-waltungsakt behandelt werden. Wer – wie die Bundeskanzlerin Angela Merkel – die Kontrolle der Grenze zwischen der Ukra-ine und Russland durchgesetzt sehen will, muss Russland auch hinsichtlich seiner sicherheits-politischen Befürchtungen ent-gegen kommen. Die Antwort auf eine Entspannung der Lage kann nur heißen, dass die Bun-desregierung ihre Bereitschaft gegenüber Putin erklärt, völker-rechtsverbindlich eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine aus-zuschließen. In der NATO herrscht das Prin-zip der Einstimmigkeit. Daher hat es Deutschland selbst in der Hand, Russland den Weg zu eb-nen: Grenzkontrollen durch die OSZE gegen einen verbindlichen Verzicht einer NATO-Mitglied-schaft der Ukraine. Die völker-rechtliche Verbindlichkeit wird unverzichtbar sein. Denn Russ-land hat mit unverbindlichen Er-klärungen zu einem Verzicht ei-ner Nato-Osterweiterung durch den Westen in der Vergangen-heit schlechte Erfahrungen ge-macht. Um den Frieden in Eu-ropa nicht weiter zu gefährden, muss der Status der Ukraine als militärisch neutraler Staat ge-wahrt bleiben. • Katja Kipping

Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt März 2015

NATO-Beitritt der Ukraine ausschließen!

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„Links!“ sprach mit dem lang-jährigen SPD-Landtagsabgeord-neten Karl Nolle.

Herr Nolle, im Spätsommer haben Sie sich aus dem Land-tag verabschiedet. Ein Abgang mit Wehmut?Nein, keineswegs. Ich hatte nie die Absicht, Berufspolitiker zu werden, obwohl ich ein durch und durch politischer Mensch bin. Ich komme seit meinem Urgroßvater aus einem ursozi-aldemokratischen und antifa-schistischen Elternhaus. Den de-mokratischen Sozialismus habe ich schon mit der Muttermilch aufgesogen.

Sie gehörten dem Parlament 15 Jahre lang an. Welche Ver-änderungen konnten Sie be-obachten, etwa bei der Debat-tenkultur und dem Verhältnis zwischen den Fraktionen?Ja, 15 Jahre Parlamentsarbeit sind genug und irgendwann muss man mit dem Aufhören auch mal anfangen. Als ich 1999 SPD-Ab-geordneter wurde, gab es unter König Kurt und seinem Hofstaat eine königlich sächsische Hof-opposition und eine königlich sächsische Hofberichterstat-tung. Ich habe damals dazu bei-getragen, wie es der grüne MdL Johannes Lichdi einmal sagte, überhaupt so etwas wie eine An-mutung dessen, dass eine Oppo-sition in Sachsen möglich ist, in die Öffentlichkeit zu tragen, und ich war damals der einzige Unter-nehmer im Landtag. Amtsmiss-brauch und politische Korrup-tion der Mächtigen zum Thema zu machen, galt anfangs auch bei manchen Teilen der Opposi-tion als unpolitisch. Recherchie-ren, Fragen stellen, investigati-ven Journalismus fördern und ein landesweit bekannter offener Briefkasten, das war mein Ding. Klartext ohne Wischiwaschi trifft natürlich bei den Anderen nicht auf Gegenliebe. Einmal kam der CDU-Fraktionsvorsitzende Fritz Hähle mit seinem Weltbild völlig durcheinander. Er sprach von der SPD-Fraktion und ihrem „extre-mistischen Abgeordneten Karl Nolle“. Das war es dann, Nolle als extremistischer Demokrat.

Gelegentlich wird vermutet, Landespolitik werde zuneh-mend von einer Generation gestaltet, die außerhalb der Politik kein eigenständiges (Erwerbs)Leben mehr vorwei-sen kann. Konnten Sie solche Entwicklungen beobachten? Das Parlament muss ein Spie-gelbild der beruflichen und Le-benserfahrungen der Menschen sein. Nur in Ausnahmefällen soll-ten dort Abgeordnete sitzen, die in ihrem Leben noch keinen Eu-ro zum Bruttosozialprodukt bei-getragen haben oder die poli-tisch nicht allein über die Straße

kommen. Leider sind Landtags-fraktionen mit ihren Millionen-personaletats auch gigantische Geld getriebene Jobbörsen für Abgeordnete und Mitarbeiter. Fraktions- und Parteivorstände verfügen so über wirksame „Inte-grationsinstrumente“. Das ist bei

Regierungsfraktionen noch kras-ser. Sie verteilen Ministerial- und Ministerposten und produzieren Beamte auf Lebenszeit. Warum sollen die, die in solchen Genuss kommen, die Hand beißen, die sie füttert? Das führt immer wie-der zu schwer aufzulösender ge-genseitiger Abhängigkeit.

Ihnen wird nachgesagt, den Sturz zweier Ministerpräsi-denten maßgeblich zu verant-worten. Auch Stanislaw Til-lich haben Sie mit Ihrem Buch „Sonate für Blockflöten und Schalmeien“ zu dessen DDR-Vorleben in Bedrängnis ge-bracht. Welche Bezeichnung trifft auf Sie am besten zu – „Chef-Aufklärer“, „politischer Großwildjäger“?Man hat mir manche Ehrentitel gegeben. Am schönsten finde ich mit Anspielung auf mein Ge-wicht: „Biedenkopfs und Milb-radts dickstes Problem“.

Ihre Anfänge als Druckerei-unternehmer unternahmen Sie in den 1970er Jahren ge-meinsam mit Gerhard Schrö-der. Nach 1990 bauten Sie in Dresden ein Druckhaus auf, das zwei Jahre nach Ihrem Ausscheiden Insolvenz an-melden musste. Auslöser wa-ren Vorwürfe des Subventi-onsbetruges, die kurz vor der Buchveröffentlichung lanciert wurden. Das Ermittlungsver-fahren gegen Sie wurde 2010 eingestellt. Sind Sie Opfer ei-ner Kampagne?Nach zwei vergeblichen Versu-chen, meine Immunität aufzu-heben, wurde das Ermittlungs-verfahren ohne Schuldspruch 2010, nach 18 Monaten, einge-

stellt. Und dann stellte 2011 das Finanzgericht Leipzig fest, dass ich mich korrekt verhalten hatte. Natürlich gab es eine sehr wirk-same Kampagne zu meiner Ruf-schädigung. Dass man mich po-litisch aufs Korn nimmt, war zu erwarten, besonders infam war

jedoch die bewusste Inhaftungs-nahme unserer 75 Mitarbeiter.

Beim „Sachsensumpf“-Unter-suchungsausschuss bilanzier-ten Sie, in Sachsen würden Menschen, die ins Visier der Herrschenden geraten, „ver-folgt, an den Pranger gestellt, traumatisiert, physisch und psychisch zerstört, dienstun-fähig krank oder in den vor-zeitigen Ruhestand befördert und inflationär mit Ermitt-lungsverfahren überzogen.“ Welche Rolle spielt die seit 25 Jahren herrschende CDU?Meine Abrechnung und Ab-schlussrede zum Sachsensumpf sind auf meiner Seite www.karl-nolle.de les- und hörbar. Un-ser Land ist doch seit 1990 vom Hausmeister bis zum Ministeri-aldirigenten mit einem Gesang-buch durchorganisiert. Gegen-über Sachsen ist Bayern ein Hort des Liberalismus. Hier steht der Rechtsstaat immer noch auf dün-nen Beinen. Sachsen ist bis heu-te in jeder Hinsicht das Eigentum einer Partei geblieben und die Union ist weiter fest im Kokon ih-rer Selbstherrlichkeit und Macht-versessenheit eingeschnürt.

Ihre Partei, die SPD, ist zum zweiten Mal in der jüngsten Geschichte an einer CDU-ge-führten Regierung beteiligt. Sie haben das erste schwarz-rote Kabinett als Abgeordne-ter begleitet. Was sollten die Sozialdemokraten aus diesen Erfahrungen lernen?Aufpassen, dass man nicht zum nützlichen Idioten wird, achtge-ben, dass man nicht in der zwei-ten Reihe der Regierungslimousi-ne im Kindersitz landet, beruhigt

mit CDU-Schnuller. Egal wie groß der kleine Koalitionspartner ist, er ist immer Zünglein an der Waa-ge. Der CDU sollten drei Erkennt-nisse vermittelt werden: dass Demokratie auch dann stattfin-det, wenn die Union nicht die Mehrheit hat, dass – Koalition

hin oder her – das Parlament die Regierung zu kontrollieren hat und nicht zuletzt, dass Demo-kratie die Mehrheitsfrage stellt, nicht die Wahrheitsfrage.

Die Opposition hat den Koaliti-onsvertrag von CDU und SPD als wenig visionär kritisiert. Kommt der Freistaat mit die-sem Fahrplan voran?Im Sinne der CDU bestimmt. Für die SPD bin ich skeptisch. Wir müssen doch niemandem bewei-sen, dass wir rechnen, schrei-ben und lesen können. Nun gut, die SPD hat sich entschieden, der CDU beim Regieren zu hel-fen. Das zahlt sich beim nächs-ten Gang an die Wahlurne nur dann aus, wenn sie in der Lage ist, Begeisterung im Lande für das zu erzeugen, was ihre Po-litik grundlegend von der der CDU unterscheidet. Das ist ihre Hauptaufgabe. Die Wähler fra-gen sich doch jedes Mal: „Wo-für brauchen wir die SPD, wenn ihr zu den zentralen Fragen of-fenbar nichts anderes einfällt als der CDU?“.

In Thüringen kam es zum ers-ten rot-rot-grünen Regie-

rungsbündnis mit einem Re-gierungschef der LINKEN. Ist ein solches Bündnis auch in Sachsen möglich?Wenn sich in Thüringen erst ein-mal die von der CDU über die Lin-ke geblasenen Schwefelschwa-den verzogen haben, wird sich zeigen, dass ein rot-rot-grünes Regierungsbündnis durchaus rechnen, lesen und schreiben und sogar mit Messer und Gabel essen kann. Das sind Schritte zur Normalität. Dem Traum von einer grundlegend anderen, gerechte-ren Gesellschaftsordnung sind wir damit noch nicht näher. Und in Sachsen sind wir aus vielen Gründen selbst von einem sol-chen Bündnis weit entfernt, da fehlen m. E. auf allen Seiten zwei Dinge: Wille und Fähigkeit.

Es wird oft beklagt, dass das Interesse auch an der sächsi-schen Landespolitik zurück-geht. Was empfehlen Sie, um das demokratische Leben zum Blühen zu bringen?Das hat viel zu tun mit der Wahr-nehmung zunehmender sozi-aler Ungerechtigkeit: bei der Verteilung von Einkommen und Vermögen, mit zunehmender Perspektivlosigkeit und Armut, mit Kinder- und Altersarmut in Sachsen aber auch zwischen Regionen und Stadtvierteln. Bei der Landtagswahl 2014 mit einer jammervollen Wahlbeteiligung von 49 % entfielen z. B. in Dresd-ner Wahlkreisen auf das ärmere Prohlis-Süd ganze 39,2 %. Im rei-cheren Loschwitz/Wachwitz gin-gen dagegen 58,8 % zur Wahl – eine krasse Differenz von bis zu 35 % Wahlbeteiligung zwischen den armen und reichen Stadttei-len. Das gilt entsprechend auch für Leipzig und Chemnitz. Das muss uns doch Beine machen. •Die Fragen stellte Kevin Reißig.

Aktuelles

„Gegenüber Sachsen ist Bayern ein Hort des Liberalismus“

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Blattkritik

Im Ankündigungstext zum In-terview „Was die Dresdner So-zialcharta wert ist“ in der Janu-ar-Februar-Ausgabe 2015 heißt es wörtlich: „DIE LINKE und an-dere Parteien hatten seiner-zeit dem Ausverkauf nur zuge-stimmt, weil eine sogenannte Sozialcharta die Mieter schüt-zen sollte“. Diese Formulierung ist falsch. Tatsächlich hatte der PDS-Stadtverband Dresden be-schlossen, dem Verkauf nicht zuzustimmen. Eine Gruppe von Stadträten der damaligen PDS-Fraktion, neun von 17, hielt sich nicht daran und stimmte im Stadtrat mit den Fraktionen von CDU und FDP sowie der Bürger-Fraktion für den Verkauf. Es gab zu keinem Zeitpunkt eine Par-teizustimmung zum Verkauf, auch nicht mit einer angefüg-ten Sozialcharta. Wir bitten, die anfängliche Darstellung zu ent-schuldigen. (kr)

Nolle kommentiert auch mit Rosa Luxemburg:

„Anstatt auf Schritt und Tritt den Massen zu zeigen, wie er-bärmlich, wie geringfügig das ist, was ihr errungen habt, habt ihr euch logisch gezwungen, diese Lappalien ins Große zu ziehen und uns in übertriebe-ner Weise als etwas ganz Wich-tiges, als große Errungenschaft hinzustellen.“

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Seite 3 03/2015 Links!

Als anspruchsvoll kann man den Koalitionsvertrag von CDU und SPD im Bereich der Um-weltpolitik nicht bezeichnen. Beispielhaft möchte ich dies für die Schutzgüter Klima/Luft und Wasser aufzeigen.Sachsen bleibt auch in der veränderten Regierungskon-stellation in seinem Grund-verständnis dauerhaft ein Braunkohleverstromungsland. Bereits im Koalitionsvertrag ist festgelegt, dass der Neuauf-schluss des Tagebaus Noch-ten II kommen wird – ohne die übergeordneten Klimaschutz-ziele zu beachten. Seit dem

Jahr 2000 steigen die Treib-hausgasemissionen in Sach-sen wieder an. Etwa 60 % ma-chen dabei die Emissionen aus Großfeuerungsanlagen aus, davon stammen etwa 87 % aus der Braunkohleverstromung. Im Bundesvergleich ist Sach-sen seit Jahren der fünftgrößte Emittent von Treibhausgasen. Im Wahlkampf hatte die sächsi-sche SPD noch einen Ausstieg aus der Braunkohleverstro-mung bis 2050 gefordert. Jetzt führt sie mit Minister Dulig das Wirtschafts- und Arbeits-ministerium. Seine neuesten Verlautbarungen lassen keine

Hoffnung aufkommen: „Sach-sens Kraftwerke sind die effi-zientesten“. Sachsens Kraft-werke sind allerdings auch Spitzenreiter der Kohlendioxid-emission – 2013 emittierte das Kraftwerk Boxberg 19,3 Mio. Tonnen Kohlendioxid (Platz 4 in Deutschland). Das Braun-kohlekraftwerk Lippendorf ist mit über 600 Kilogramm pro Jahr die größte Punktquelle von Quecksilberabgasemissionen in ganz Deutschland.Immerhin kündigt die Koaliti-on ein neues Energiekonzept an, aber den Stillstand der letz-ten Jahre wird sie schwer aus-

gleichen können. Jetzt bekennt man sich zumindest wieder of-fen zum Ausbau der Windkraft – Sachsen war hier mit der FDP bei Null angelangt – und zu den Ausbauzielen für erneuerbare Energien des Bundes. Hier lag Sachsen 2011 beim Anteil er-neuerbarer Energien am Brut-tostromverbrauch bei 28 %! Die Koalition hat also ein an-spruchsvolles Ziel vor sich. Die Ziele des Bundes bei Erneuer-baren Energien: Den „Anteil des aus erneuerbaren Energi-en erzeugten Stroms am Brut-tostromverbrauch stetig und kosteneffizient auf mindestens

80 Prozent bis zum Jahr 2050 zu erhöhen. Hierzu soll dieser Anteil betragen: 1. 40 bis 45 Prozent bis zum Jahr 2025 und 2. 55 bis 60 Prozent bis zum Jahr 2035“.Im Bereich des Schutzgutes Wasser ist die Enttäuschung über den Koalitionstext eben-falls groß. Nach Sächsischem Wassergesetz erlischt eine wasserrechtliche Erlaubnis für Kleinkläranlagen zum 31. De-zember 2015, wenn die Anla-ge nicht dem Stand der Tech-nik entspricht. CDU und SPD halten am Datum für den de-zentralen Ausbau der Abwas-serversorgung fest. Gedroht wird mit der zwangsweisen Versiegelung der bestehen-den Kleinkläranlagen. Dieser Zwang zur Umstellung besteht für große Teile des ländlichen Raums. Daran ändert auch die neue Koalition nichts, wenn-gleich sie darauf verweist, dass die Kommunen stärker in die Pflicht genommen werden sol-len. Leidtragende sind die Bür-gerinnen und Bürger. Das heißt in Sachsen: Auch mit der neu-en Regierung bleibt die extre-me Ungleichbehandlung mit den verschiedenen Wassernut-zern bestehen. Für den Braun-kohleabbau werden Frist-verlängerungen in Anspruch genommen, nicht jedoch für Abwassereinleiter, obwohl der verursachte Schaden in Braun-kohlegebieten für Oberflächen- und Grundwässer ungleich hö-her ist. Dr. Jana Pinka

Die dritte Seite

Es weiß kaum noch wer! Aber es gab vor nunmehr fast ge-nau elf Jahren im Sächsischen Landtag eine heftige Debat-te, vornehmlich zwischen der CDU und der PDS, zwischen Herrn Hähle, dem damaligen Fraktionsvorsitzenden der CDU, und mir, seinem Kontra-henten von links. Es ging am 15. Januar 2004 um den Ent-wurf der Staatsregierung des „Zweites Gesetz zur Umset-zung des besseren Schulkon-zepts“. Die Staatsregierung hatte sich auf Anraten und mit Genehmigung der CDU etwas ganz Perfides ausgedacht: Es sollte die Bildung der Schü-lerinnen und Schüler „insbe-sondere anknüpfend an die christlichen Traditionen im europäischen Kulturkreis“ er-

folgen. Für Herrn Hähle war alles harmlos, kreuzbrav, nur ein Bekenntnis, das „die Chris-ten in unserem Land ermuti-gen wird“ und ansonsten nie-mandem etwas antut. Er ließ keine Einwände gelten, dass dadurch die europäische Kul-tur um all ihre anderen Wur-zeln beschnitten würde, vor-nehmlich auch um jüdische und islamische Einflüsse, um Überreste aus der heidnischen Zeit, die sich vor allem in den verchristlichten Festtagen wi-derspiegeln, und nicht zuletzt – und in ganz besonders be-dauerlicher Weise – um die Traditionen der Aufklärung. Es rührte ihn nicht Lessings Ring-parabel und nicht das Lexikon deutscher Wörter arabischer Herkunft mit immerhin über 500 Einträgen. Er berief sich auf das Erzgebirge mit seinen Weihnachtsbräuchen und lei-tete sich daraus das notwen-dige Ende der Trennung von Kirche und Staat im selbst er-fundenen Einheitsbrei christli-cher Tradition ab. Dieses Ende ist ein Verenden europäischer Kultur in einem kitschig-senti-mentalisch verbrämten, klein-

karierten Mythos vom christli-chen Abendland. Das schadet übrigens auch dem Christen-tum, das zur Staatsdoktrin zu-rechtgestutzt wird.Gut vorgearbeitet, kann man jetzt sagen. Das „Insbesonde-re“ steht noch immer im säch-sischen Schulgesetz. Und wir Linken? Wir haben es weitge-

hend verschlafen! Das Feld für PEGIDA war aufbereitet – in der Schule und in der Gesell-schaft. Die Linke bedauert Bil-dungsferne, die Bildung selbst und ihre Inhalte kritisiert sie aber kaum. In der Bildung ha-ben wir sozusagen „die Kir-

che im Dorf gelassen.“ Dass man bildungsfernen Schichten schichtenferne Bildung anbie-tet, übersehen wir geflissent-lich. Das System reproduziert sich deshalb von selbst.Nun hat der SPD-Vorsitzen-de Gabriel kürzlich gesagt, es gäbe in der Demokratie ein Recht, Dummheit zu verbrei-ten. Er hat dabei an Pegida ge-dacht und Bildungsferne mit Dummheit verwechselt. Oft ist es jedoch eher um die Dumm-heit gut bestellt, wo man sich auf Bildung beruft: Ralf Steg-ner, der SPD-Vize, meint, Sy-riza beschädige die Linke in Europa. Der ist schon so blöd, dass er nicht mehr weiß, wo Links und Rechts ist. Wie sagte doch der Wiener Ernst Jandl? „Rinks und Lechts kann man reicht velwechsern.“Herr Juncker, der Obersteu-erhinterziehungsorganisator der EU, meinte nun wieder, der Grieche Tsipras operiere am offenen Herzen, ohne dass er eine Ahnung davon habe. Lei-der ist es schlimmer: Tsipras und die Griechen bräuchten offene Herzen, stoßen aber vielerorts auf verschlossene

– in Deutschland bei Schäub-le und Merkel zumal und auch bei Herrn Juncker in Brüssel. Herzensbildung fehlt der bil-dungstragenden Schicht. Frau Lengsfeld hat aber den Vogel abgeschossen. Sie belehrt uns, eine Staatsregierung hät-te neutral zu sein. Mit der For-derung nach Weltoffenheit habe die sächsische Staatsre-gierung jedoch Partei gegen Pegida ergriffen und damit ei-ne „rote Linie“ überschritten. Das ist zu viel Ehre für diese Staatsregierung: Sie hat Wind gesät und Sturm steht zur Ern-te an. Die Schnitter stehen nach kurzer Verwunderung be-reit: Tillich, Ulbig, Kupfer. Vom Rand des Feldes kommt aber jetzt Konkurrenz. Die dürre Lohnschnitterin Frauke Petry als vorgebliche Alternative ist aber gar keine Alternative – keine zur CDU und schon gar nicht für Deutschland. Die ge-hört vielmehr zu jenen Leuten, die genau das verkünden, was sich die CDU öffentlich noch nicht allzu laut zu sagen wagt, demnächst aber verwirklichen will. Da wird zusammenwach-sen, was zusammengehört!

Warum zusammen-wächst, was zusammen gehört!

Was bringt der Koalitionsvertrag in der Umweltpolitik?

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Seite 4Links! 03/2015 Hintergrund

Syriza hat in Griechenland die Wahl gewonnen. Viel Euphorie im linken europäischen Lager. Nun müssen die griechischen Linken beweisen, was sie kön-nen bei der Bewältigung der Krise von Staatsfinanzen, Wirt-schaft und Gesellschaft, die sie nicht zu verantworten ha-ben. Gerade ist der Staatsbank-rott abgewendet, das Hilfspro-gramm der „Troika“ geht vier Monate weiter. Dabei musste Syriza erheblich Federn lassen. Einige – wenige – Abweichungen vom neoliberalen Diktat sind er-halten. Jedenfalls hat es Syriza noch nicht geschadet, hier zu polarisieren. Aber nun sind eini-ge Wahlversprechen nicht oder nicht sofort umsetzbar. Da muss sich erweisen, ob eine Mehrheit im Volke zu Syriza steht und sich gegen das Diktat der „Troika“ aus EU, EZB und IWF stärkt.Aber da gibt es noch etwas an-deres: Nach dem griechischen Wahlrecht bekommt der Wahl-sieger mal eben so 50 zusätz-

liche Parlamentsplätze. Was – bitte – ist daran demokratisch? Auch wenn nun die Linken ge-wonnen haben, wird es dadurch nicht demokratischer. Bisher nützte es den Konservativen in ihrem neoliberalen Gehorsams-kurs, nun nützt es der Linken. Was macht man da, wenn man doch einen viel intensiveren De-mokratieansatz vertritt? Tak-tisch scheint es richtig zu sein, erst einmal daran nicht zu rüt-teln. Denn wichtigere Aufgaben stehen an: Neben der Konsoli-dierung des Staatshaushaltes, v. a. müssen Korruption und Steu-erhinterziehung beendet wer-den, muss der Arbeitsmarkt in Gang kommen, die Renten und Sozialtransferleistungen Exis-tenzen sichern usw.. Erinnert sei hier an das Brecht-Wort, dass die Hungernden nichts gegen ei-ne Diktatur haben, die den Hun-ger beseitigt.Mittelfristig aber, bis zur nächs-ten regulären Wahl (bis dahin ist erst mal durchzuhalten ...!),

muss Syriza die Wahl zur Volks-vertretung demokratisieren, in-dem das Wahlrecht reformiert wird und v. a. die Besetzungs-regeln für das Parlament dem Wahlergebnis direkter folgen. Auch das wird eine Probe auf die Volksverbundenheit von Syriza, die sie bis hierher durch dieses gute Wahlergebnis unter Beweis gestellt haben. Denn es gibt nur eine Richtung in Sachen „Volks-vertretung“ für linke, sozialisti-sche Politik, die diesen Namen dann auch verdient: Öffnung des Wahlrechts so, dass die In-teressen möglichst vieler Bürge-rinnen und Bürger möglichst au-thentisch repräsentiert sind. Mit einem Wahlergebnis von knapp 40 % eine parlamentarische Mehrheit zu bekommen, kann nicht als demokratisch gelten.Gerade damit könnte Syriza auch das Wahlergebnis für die Zukunft stabilisieren. Das Re-gieren und Koalieren allerdings wird dadurch nicht einfacher. Nun hatte es für Syriza nicht

ganz für die „Alleinherrschaft“ gereicht. Dazu muss auch be-achtet bleiben, dass Syriza seit 2009 quasi einen „kometenhaf-ten Aufstieg“ nahm (davor zwi-schen 3 und 6 %). Ob sie sich als wirklicher Repräsentant einer neuen gesellschaftlichen Be-wegung festigen kann, ist offen. Vielleicht liegt hier der Schlüs-sel zur Erklärung des Koalitions-verhaltens. Jedenfalls werden die noch folgenden Einschnitte, die das „Troika“-Programm er-fordert, eine Nagelprobe. Denn Syriza muss den – transforma-torischen – Weg aus diesem Diktat hin zu ihren Wahlverspre-chen erst finden.Aber das Diktat der „Troika“ ist auch demokratierelevant. Es berührt das Selbstbestim-mungsrecht eines Volkes und Staates. Wenn bloße finanziel-le Abhängigkeit zum Diktat über wirtschafts-, sozial-, haushalts- und steuerpolitischen Kurs (evtl. noch mehr) wird, gibt es keine staatliche Selbstbestim-

mung und folglich keine Mög-lichkeit einer Transformation der Gesellschaft. Dann werden auch innere „freie Wahlen“ eine Farce. Insofern wird Griechen-land auch Nagelprobe über For-men und Wege sozialistischer Politik.Gerade nun mit dem griechi-schen Wahlergebnis wäre es sinnvoll, zur Demokratisierung von Wahlrecht und Macht einen Diskurs in der Europäischen Linken voranzubringen, erstens damit die griechischen Linken nicht alleine stehen und zwei-tens um mit griechischen Er-fahrungen auch für die Linken in anderen europäischen Ländern und dem Europäischen Parla-ment Konsequenzen für Refor-men des Wahlrechts abzuleiten. Dabei muss die Demokratisie-rung von Wirtschaft, Gesell-schaft und Staat ein Grundan-liegen bleiben, gegen den neoliberalen Kurs in Europa. Ralf Becker, LAG Frieden & Inter-nationale Politik

Zu Gast im argentinischen ParlamentLinks! dokumentiert einen Rei-sebericht des Bundestagsabge-ordneten der LINKEN, Dr. And-ré Hahn

Im August 2014 erreichte mich ein unerwarteter Brief aus Bu-enos Aires. Darin wurde ich vom Jorge Landau, dem Vorsit-zenden der parlamentarischen Freundschaftsgruppe Argen-tinien – Deutschland, als Zeit-zeuge zu einer Veranstaltung zum Thema „Bilanz nach 25 Jah-ren Mauerfall – Zum Stand der argentinisch-deutschen Bezie-hungen“ in die argentinische Hauptstadt eingeladen. Wie man auf mich gekommen war, erfuhr ich erst später, un-ter anderem nach Gesprächen mit dem argentinischen Bot-schafter in Deutschland. So sollten an dem geplanten Fest-akt im argentinischen Parla-ment nicht nur Vertreter der re-gierungstragenden Fraktionen, sondern auch jemand von der Opposition teilnehmen, und da ich stellvertretender Vorsitzen-der der deutsch-südamerika-nischen Parlamentariergruppe bin und in der Wendezeit auch am Zentralen Runden Tisch der DDR mitgewirkt hatte, sah man in mir offenbar einen geeigne-ten Gesprächspartner. Zudem hatte ich zuvor auch mehre-re Anfragen im Bundestag zum Stand der Beziehungen zu Ar-gentinien gestellt, in denen es um den Tourismus- und Wissen-schaftsaustausch ebenso ging wie um die ablehnende Haltung der Bundesregierung zu UN-Be-schlüssen im Zusammenhang mit der extrem angespannten

Finanzsituation des Landes, für die nicht zuletzt auch amerika-nische Banken über so genann-te „Geier-Fonds“ verantwortlich sind. Nachdem die Fraktion die Rei-se bestätigt hatte, konnte ich dann im November letzten Jah-res nach Südamerika fliegen, um dort neben zwei Kollegen der SPD und einem CSU-Abge-ordneten über meine Erfahrun-gen von 1989/90 zu berichten. Mir war es dabei wichtig, deut-lich zu machen, dass hier bei uns in Deutschland beileibe nicht al-les so toll ist, wie es CDU/CSU und SPD gern darstellen, und dass vor allem im Osten noch viele Ungerechtigkeiten beste-hen, die überwunden werden müssen. Gerade auf diesen Teil meiner Rede wurde ich im Nach-gang zur Veranstaltung von Teil-nehmern mehrfach angespro-chen. Der Festakt wurde im Übrigen auch im argentinischen Fernsehen übertragen. Von vornherein hatte ich auch Wert darauf gelegt, meinen Aufenthalt in Buenos Aires da-zu zu nutzen, auch Gedenkstät-ten für die Opfer der Militärdik-tatur, Sozialprojekte und das Goethe-Institut zu besuchen sowie Gespräche mit Abgeord-neten des argentinischen Par-laments zu führen. So traf ich z. B. die Vorsitzenden des Ge-heimdienst-Kontrollausschus-ses sowie des Sportausschus-ses zum Meinungsaustausch. Das mit großem Abstand bewe-gendste Gespräch führte ich mit der Abgeordneten Victoria Don-da (Foto), die dafür extra ihren Schwangerschaftsurlaub unter-

brach. Die argentinische Militär-junta ermordete ihre Eltern, sie selbst wurde an ein Offiziers-Ehepaar „verschenkt“. Von ih-rer wahren Identität erfuhr sie erst vor wenigen Jahren. Heute besucht sie ihren „falschen Va-ter“ dennoch regelmäßig im Ge-fängnis, wo er seit seiner Verur-teilung wegen seiner Beteiligung an den Militärverbrechen ein-sitzt. Ein erschreckendes Schicksal, das sie nach derzei-

tigen Erkenntnissen mit unge-fähr 600 Kindern in ihrer Heimat teilt. Trotzdem wollte sie mit mir weniger darüber als vielmehr

über die aktuelle soziale Lage im Land, über Gleichstellungsfra-gen und über die Situation indi-gener Minderheiten sprechen. Beim Besuch in einem ehema-ligen Militärgefängnis traf ich eher zufällig noch auf zwei wei-tere Vertreter der so genann-ten „Enkel-Generation“. Die Be-zeichnung kommt daher, dass nach dem gewaltsamen Tod der leiblichen Eltern die Großeltern der verschwundenen Kinder

über Jahre und sogar Jahrzehnte hinweg nach dem Verbleib ihrer Enkel suchten und Aufklärung einforderten.

Aus dem kurzfristig vereinbar-ten Fünf-Minuten-Gespräch wurde fast eine halbe Stunde, in der auch die Zerrissenheit der Betroffenen deutlich wurde, denen klar war, dass ihre bis-herigen Eltern (sie nennen sie „Aneigner“) vermutlich im Ge-fängnis landen würden, wenn sie in den Gen-Daten-Banken nach ihrer Abstammung forsch-ten. Als ich die junge Frau frag-te, warum sie trotz ihres be-klemmenden Schicksals so häufig lache, antwortete sie mit Blick auf ihre „Aneigner“: „Ihre größte Strafe ist, dass wir heute glücklich sind!“Nach meiner Rückkehr erhielt ich in Berlin wieder einen Brief von Jorge Landau, der mir Fol-gendes schrieb: „Lieber And-ré, danke, dass Sie keine Mühe gescheut haben, extra in unser Land zu reisen, das so weit von Ihnen entfernt ist, um an der Veranstaltung anlässlich des 25. Jahrestages des Mauerfalls teilzunehmen. Ich danke Ihnen sehr für Ihr Engagement in Be-zug auf unser Land und dass Sie unsere schwierige internatio-nale Finanzlage verstehen, der wir aufgrund der globalisierten und wucherischen Handlungen der Banken ausgesetzt sind. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal bekräftigen, was ich Ih-nen bereits persönlich gesagt habe: Ich danke Ihnen im Na-men meines Landes, dass Sie sich im Bundestag für uns stark gemacht haben“. Ich denke, ein solcher Einsatz für die Länder Südamerikas steht den LINKEN auch künftig gut zu Gesicht. Dr. André Hahn

Griechenland – eine Nagelprobe

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03/2015 Sachsens Linke! Seite 1

Am 8. März ist wieder internationaler Frauentag. Ihm und seinen Anliegen wid-men wir diesmal eine bunte Doppelseite.

Außerdem schauen wir nach Rosenthal-Bielatal, wo mit Tho-mas Winkler ein „bun-ter Hund“ und Genosse

Bürgermeister werden will.

Michael Leutert hat als LINKER Abgeord-neter an der Münchner

Sicherheitskonferenz teilgenommen und be-richtet.

Dazu gibt es zwei span-nende Terminhinweise.

Aktuelle Infos stets auch unter

www.dielinke-sachsen.de

Sachsens Linke

März 2015

Greifbare Angst

Bürgerinnen und Bürger grei-fen unter Gejohle und mit Paro-len wie „Deutschland den Deut-schen“, „Ausländer raus“ oder „Räumen, räumen“ Geflüchtete an. Nein, ich schreibe nicht von Rostock-Lichtenhagen oder von Hoyerswerda Anfang der 90er. Wir alle haben diese Bilder im Kopf. Ich schreibe von Dresden. Im Jahr 2015. Die Bilder ähneln sich erschreckend. Am 2. März geschah genau ein solcher Über-griff auf das Camp von Geflüch-teten auf dem Theaterplatz in Dresden. Schon den ganzen Tag über hatte es rassistische Be-schimpfungen, Drohungen und unverhohlenen Hass gegen die Geflüchteten und ihre Unterstüt-zerinnen gegeben. Im Anschluss an die PEGIDA-Demonstration kam es dann zu diesen Szenen. Nur den vielen engagierten Men-schen vor Ort und dem Eingrei-fen der Polizei ist es zu verdan-ken, dass Dresden heute nicht in einer Reihe mit Rostock und Hoy-erswerda genannt werden muss. Und am nächsten Tag? Da dis-kutiert die Landespolitik, ob der Versammlung nun Zelte zuste-hen oder nicht, um ihren Protest ausdrücken zu können. Ich sa-ge offen: Ich schäme mich da-für nicht nur heimlich. Wir ha-ben in Sachsen mittlerweile eine aggressive, fremdenfeindliche Stimmung in Teilen der Bevölke-rung. Die Landespolitik nimmt die Sorgen und Nöte dieser Men-schen immer noch ernster als die derjenigen, die von dieser Stimmung bedroht werden. Men-schenfeindlichkeit wird manifest. Genau deshalb ist es unsere Auf-gabe als sozialistische Partei, uns vor diejenigen zu stellen, die um ihr Wohl und Leben fürchten müssen. Die Angst ist greifbar. Wir müssen Menschen schützen. Gemeinsam gegen Nazis!

Ein Beitrag zur Strategiedebatte

„In den letzten zwei Tagen habe ich so viel Schwachsinn, Hass und Menschenverachtung von sogenannten Normalbürgern gehört, wie ich mir kaum vorstel-len konnte“, schrieb ein vollkom-men erschöpfter Mirko Schult-ze nach zwei Tagen am von uns eingerichteten Dialogpunkt vor dem Camp der Geflüchteten an der Semperoper. Ziel war es, in dieser Situation BürgerInnen mit allgemeinen politischen Proble-men einen parteien- und spekt-renübergreifenden Anlaufpunkt zu geben, damit sie diese Unzu-friedenheit nicht gegenüber den protestierenden Asylsuchenden als Sündenböcke falscher Lan-despolitik ablassen. Eines sei vorangestellt: Die Ge-spräche, die wir geführt haben, sind ganz sicher nicht repräsen-tativ, aber sie zeigen Symptoma-tiken und lassen zumindest the-senartige Schlussfolgerungen zu politischer Bildung und poli-tischer Wirksamkeit zu, die uns als Partei im tiefsten Inneren treffen müssen. Es war blanker Hass, der uns vor Ort von Teilen der Bürgerschaft entgegenschlug. Unser Resü-mee: Nein, die Sachsen sind nicht resistent gegen rechte und fremdenfeindliche Einstellun-

gen, wie Kurt Biedenkopf mein-te. Diese Einstellungen finden sich bis tief in die Mitte der Ge-sellschaft. Die GenossInnen und anderen MitstreiterInnen auf dem Theaterplatz waren dort, wo es richtig wehtut. Doch es gab eben auch die an-dere Seite: Menschen, die ihren allgemeinen Frust auf die Poli-tik im Freistaat loswerden woll-ten. Mit dabei waren immer wie-der eklatante Vorwürfe an uns: „Ihr ändert doch sowieso nichts an Hartz IV und der Rente“, „Ihr seid doch auch nicht anders als die anderen“, „Ihr lebt doch in einem geschlossenen System“, „Ihr immer mit eurer Kapitalis-muskritik“, „Ihr hängt doch am Nabel der CDU“, „Ihr habt euch doch nach der Wende einge-richtet in der Opposition“, „Was könnt ihr schon für uns tun“, „Ihr redet nur, verändert nichts und stimmt der Regierung zu“. Deutlich geworden in den Ge-sprächen ist auch, dass Solida-rität dort aufhört, wo die eigene wirtschaftliche Stabilität in ir-gendeiner Form gefährdet sein könnte. Das Geld für Geflüch-tete beispielsweise werde doch woanders mehr gebraucht, könnte für Menschen mit deut-scher Staatsbürgerschaft ein-gesetzt werden. Auf die Frage, ob es fair sei, Menschen, die

nicht in Deutschland geboren wurden, schlechter zu behan-deln, folgten oft Antworten wie: „Nein, aber …“ Die Forderung nach mehr Steuergerechtigkeit, den Einsatz der massiven Über-schüsse im Landeshaushalt für soziale Maßnahmen? „Ja, aber …“Seit Jahrzehnten arbeiten wir an konkreten politischen Alterna-tiven für das Land. Wir machen eine vielfältige Oppositionspoli-tik, geben Gestaltungsvorschlä-ge, gehen die Regierung hart an, wenn sie aus unserer Sicht un-verantwortliche und unsoziale Politik betreibt. Wir spielen die ganze Klaviatur des Parlamen-tarismus und hauen auf die Pau-ke. Davon kommt im Land offen-kundig nicht allzu viel an. Es geht den Leuten nicht um die Nuan-cen linker oder linkerer Politik. Sie nehmen unsere Politik nicht wahr – und wenn, dann als Stän-kerei statt als gerechtfertigte Oppositionspolitik. Und wir er-füllen ihre Erwartungen nicht. Sie sind gar der Auffassung, dass wir aus der Opposition her-aus Mehrheiten finden müssten, verändern müssten. Unsere eigenen Untersuchun-gen belegen: Die Landespoli-tik wird nicht als eigenständige Ebene wahrgenommen. Was in Dresden im Landtag passiert,

bleibt in Dresden. Was von Lan-despolitik wahrgenommen wird, ist das Bändchendurchschnei-den des Ministerpräsidenten. Wir stecken in einem Dilemma. Das ist in den Gesprächen auf dem Theaterplatz mehr als deut-lich geworden. Wenn wir dieses Dilemma auf-lösen wollen, müssen wir in der kommenden Strategiedebatte nicht nur darüber reden, wel-che programmatische Agenda wir in den kommenden Jahren setzen wollen. Vielmehr müssen wir uns Gedanken machen, wie wir diese Agenda in neuer Form zu den Menschen bringen. Da-zu gehört es unserer Auffassung nach, dass wir unsere Rolle als Oppositionsführerin deutlicher machen. Wir können nur Druck aufbauen, aber Entscheidungen treffen andere. Ohne diese not-wendigen Veränderungen unse-res öffentlichen Agierens wer-den wir als von den Menschen entrückt wahrgenommen. Wir können uns nicht mehr da-rauf verlassen, dass Massen an Mitgliedern diese Aufgabe übernehmen. Wir müssen mit schwindenden Kräften haushal-ten. Wir müssen Oppositions-politik neu erfinden. Und wahr-scheinlich immer öfter dorthin gehen, wo es richtig wehtut. Antje Feiks, Thomas Dudzak

Dorthin, wo es richtig wehtut

Foto: Dr. Armin Krause

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Sachsens Linke! 03/2015 Seite 2

Meinungen

ImpressumSachsens Linke! Die Zeitung der LINKEN in Sachsen

Herausgeberin: DIE LINKE. SachsenVerleger: Verein Linke Bildung

und Kultur für Sachsen e.V., Kleiststraße 10a,01129 Dresden

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wie-der. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kür-zungen vor. Termine der Redakti-

onssitzungen bitte erfragen.Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und DruckereiGmbH in Cottbus in einer Auf-lage von 15.150 Exp. gedruckt.

Der Redaktion gehören an: Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Rico Schubert, Antje Feiks (V.i.S.d.P.), Andreas Haupt,

Ralf Richter, Stathis Soudias.

Bildnachweise, wenn nicht gesondert vermerkt: Archiv, iStockphoto, pixelio.

Kontakt: [email protected]. 0351-8532725Fax. 0351-8532720

Redaktionsschluss 27.02.2015

Die nächste Ausgabe erscheint voraussichtlich am 02.04.2015.

70 Jahre Bombardierung Dresdens zwischen „Opfer-mythos“ und „Bombenholo-caust“

Vor 70 Jahren, am 13. Febru-ar 1945, wurde Dresden von US-amerikanischen und briti-schen Fliegern bombardiert. Die Bombennacht führte zu 25.000 Opfern, Frauen wie Männern, zudem wurden vie-le Menschen in der Bomben-nacht obdach- und heimatlos. Nun ist es richtig, wenn DIE LINKE auf einige Eigenheiten des Gedenkens verweist. Wer das Gedenken in Dresden ver-folgt, könnte glauben, dass die Zerstörung Dresdens einzigar-tig ist. Sie ist es nicht, denn bei Bombenangriffen auf Hamburg im Juli 1943 starben deutlich mehr Menschen als in Dres-den 1945. Zudem wurde Dres-den im Krieg neunmal bom-bardiert, Köln 262 Mal. Richtig ist auch die Feststellung, dass die Bombardierung Dresdens 1945 eine Spätfolge des Janu-ars 1933, des Vernichtungs-kriegs der deutschen Nazis ist. Übersehen wird, dass Coven-try und Pearl Harbor bombar-diert wurden, dass (auch) im deutschen Vernichtungskrieg im Osten gegen Polen und die

Sowjetunion mannigfache Ver-brechen durchgeführt wurden. Vergessen ist, dass die NSDAP in der Nazizeit in Dresden stark war und die Stadt eine üble Rolle bei der Deportation von Juden in die KZ-Lager spielte. Dies wird in der selbstverlieb-ten, obrigkeitshörigen Stadt, die von vergangener Größe träumt, die sie zumindest intel-lektuell nie erreicht hat, gern übersehen.Darf man vor diesem Hinter-grund der Bombardierung Dresdens an diese „Täterspu-ren“ der Stadt erinnern? Ja, man soll, man muss es sogar, um Kriegsursachen und -fol-gen auseinander zu halten und alles zu tun, damit Deutschland nie wieder in die braune Brühe zurückfällt. Weil das Denken an die deutsche Vergangenheit des Landes der „Dichter und Denker, aber auch der Rich-ter und Henker“ vor Rückfäl-len schützt, die zu jeder Zeit möglich sind. Damit man nicht bei der Propaganda vom „Bom-benholocaust“ landet, wie sie die NPD vorgibt.Sollte man vor diesem Hinter-grund, wie es manche prak-tiziert haben, dem Geden-ken des Staates an die Opfer fernhalten und die Opfer nur

als „Kollateralschäden“ des Kampfes der Alliierten gegen die deutschen Nazis betrach-ten? Nein, das sollte man nicht. In einem Krieg, der von Hitler-deutschland verbrecherisch angezettelt wurde, sind furcht-bare Verbrechen passiert – von den Deutschen an Juden, Polen und Russen im Osten. Ohne die Kriegsschuld der Na-zis zu vergessen und zu ver-niedlichen, ist es aber erlaubt, Angriffe auf Wohngebiete und schutzlose Flüchtlinge ebenso als Verbrechen im Krieg zu be-trachten. Die Annahme, dass in Dresden nur Nazis und keine wehrlosen Menschen starben, geht fehl. Zum Vergleich: Auch wenn der Abwehrkrieg der Al-liierten gegen Hitlerdeutsch-land nicht zu umgehen war, haben sich die Bomben der Amerikaner und Briten in Leip-zig weitgehend auf Industrie-anlagen und Verkehrsknoten-punkte beschränkt. Übrigens hat sich später Churchill selbst von diesem sinnlosen Angriff auf Dresden distanziert. Aufklärung über deutsche Schuld und deutsche Verant-wortung am verbrecherischen Krieg ist und bleiben notwen-dig. Legenden und Mythen führen lediglich zur Verdrän-

gung und leisten nur Pegida Vorschub. Es bringt aber auch nichts, über die Verbrechen anderer hinwegzusehen, wozu übrigens auch die Atombom-benabwürfe der USA auf Hiro-shima und Nagasaki gehören, die keinesfalls zur Beendigung des Zweiten Weltkriegs erfor-derlich waren, sondern eher zur Steigerung der Profite der amerikanischen Rüstungsin-dustrie. Dass die Dramatisie-rung der Angriffe auf Dresden ins antiamerikanische Kon-zept der SED- und der Nazi-Propaganda passte, erscheint logisch. Dass eine Bagatelli-sierung der Angriffe der Bom-benangriffe auf Dresden in ein zeitgemäßes linkes Konzept passt, erschließt sich nicht. Wo doch die Konsequenz aus den furchtbaren Kriegsfolgen lauten müsste: Nie wieder Fa-schismus! Und nie wieder Krieg! A. Willnow, Leipzig

Bachmann wieder im Pegi-da-Vorstand

Mit der erneuten Wahl von Lutz Bachmann in den Pegi-da-Vorstand ist die bisher vor-getäuschte beschönigende Maske endgültig gefallen. Für jedermann wird die hässliche und abstoßende Fratze einer eindeutig rassistischen, aus-länderfeindlichen und insbe-sondere islamophoben Bewe-gung überdeutlich erkennbar. Ohne Zweifel muss man den Zweck des Vereins endgültig in der Sammlung von menschen-rechtsverachtenden, antide-mokratischen und zum Teil von faschistischer Gesinnung be-einflussten Kräften sehen. Wer sich jetzt noch in die Pe-gida, Legida... -Demonstrati-onen einreiht, der kann sich nicht mehr auf Naivität oder Unwissenheit berufen– er folgt den rechten Rattenfängern und stellt sich damit bewusst gegen die Verwirklichung von Menschenrechten und tritt öf-fentlich die solidarische Ge-meinschaft mit Füßen. Hier helfen weder Sonntagsreden noch Anbiederung bzw. ver-meintliches Verständnis. Es bleibt nur der aktive und brei-te zivilgesellschaftliche Wider-stand. Raimon Brete, Chemnitz

EinladungZwischenkonfe-renz zur Satzungs-

debatte Der sächsische Landesver-band der LINKEN führt am 14. März 2015 eine Zwischen-konferenz zur Satzungsde-batte unter Federführung der Satzungskommission durch, um Satzungsänderungen in partizipativen und demokra-tischen Prozessen zu gestal-ten. Dazu möchten wir recht herzlich alle interessierten GenossInnen für den 14. März 2015 ab 11 Uhr in das Gewerkschaftshaus, Schüt-zenplatz 14 in 01067 Dres-den einladen.

Ablauf: 11:00 Uhr Input zur Geschich-te der Parteistatuten der PDS und LINKEN 11:15 Uhr Input zum Arbeits-auftrag der Satzungskommis-sion, zu den Themen und zum Ablauf der Konferenz 11:45 Uhr Debatte zu Schwer-punktthemen (120 Minuten; ggf. in rotierenden Gruppen) - „Kleiner Parteitag“ - Mandatszeitbegrenzung 12:45 Uhr Mittagspause 13:15 Uhr Kleinteilige Sat-zungsänderungen Gegen 15 Uhr Ende.

Für eine bessere Planbarkeit bitten wir um eine Anmel-dung unter [email protected] oder unter 0351/853270. Wir freuen uns über Eure Teilnahme!

Mit solidarischen Grüßen Antje Feiks, Landesgeschäftsführerin

Erinnerung Konferenz „Wirksamkeit und Einfluss der Partei DIE LINKE in der Gesellschaft“21. März 2015 in Dresden, Gewerkschaftshaus, Schüt-zenplatz 14.

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03/2015 Sachsens Linke! Seite 3

Rosenthal-Bielatal ist eine „lin-ke Hochburg“. 2013 gelang es dem Linken Peter Tschirch, mit einer Bürgerinitiative eine Tur-bo-Eingemeindung zu verhin-dern. Jetzt sorgt ein anderer Linker gehörig für Aufsehen.

2014 – die Gemeinderatswahl stand bevor. Die Orts-LINKE hatte die Nachricht erhalten, dass nun ein Genosse Winkler zu ihnen gehöre. Etwas ratlos standen sie vor dessen Villa in der Rosenthaler Schweizer-mühle und fragten an, ob er für den Gemeinderat kandidieren würde? Ein Unternehmer, der einem denkmalgeschützten, architektonischen Kleinod mit einem romantischen Park als seinem Eigentum zu neuem Glanz verholfen hatte – ist das denn einer von uns?„Klar mache ich das für uns!“, war seine Antwort. So klar war die Kandidatur dennoch nicht, denn Thomas Winkler war seit 1987 als linker Abgeordne-ter in Brabschütz/Mobschatz verwurzelt. Einige Jahre davon selbst als Bürgermeister. Ach-tung erwarb er sich durch den Erwerb einer verfallenen Was-sermühle, der weithin bekann-ten „Zschoner Mühle“. Mit 22 Jahren unterschrieb er 1985 den Kaufvertrag. Er erober-te sich Freiräume, die es in der DDR nach offizieller Les-art bis heute nie gab. „Mit Ge-schick, Improvisationstalent und vor allem ohne Scheu, sich dabei selbst die Hände schmutzig zu machen“ (Säch-sische Zeitung Pirna) verwan-delte er die Mühle mit Hilfe seiner damaligen Partnerin in

ein stadtbekanntes Ausflugs-restaurant. 300 Plätze gibt es in den geschmackvoll einge-richteten Mühlenräumen und im Mühlengarten. Ein beson-deres Highlight für Dresdner und Gäste ist die einzige funk-tionierende Wassermühle der Landeshauptstadt mit ihrem riesigen Wasserrad. Am 12.05.1962 wurde Thomas Winkler in Dresden geboren und verbrachte seine wohl be-hütete Kindheit im Ortsteil Bla-sewitz. Die Elbwiesen gegen-über den drei Elbschlössern, das Blaue Wunder, der Schil-ler- und der Körnerplatz waren sein Refugium. Die Liebe zur Sächsischen Schweiz weckten seine Eltern. Bald entdeckte er mit seinen Freunden per Rad und zu Fuß die reizvollen Täler.1988 landete er als einer der jüngsten Bürgermeister des Bezirkes Dresden im Rathaus von Brabschütz. Als der ver-wegene junge Mann mit der langen Haarpracht, Hut und schwarzem Mantel vor dem Rathaus dem eigenhändig auf-gebauten Jeep entstieg, rie-fen die dortigen Mitarbeiter irritiert beim Rat an, ob die-ses Unikat da wirklich ihr Chef werde? Er wurde. Und mach-te sich durch seinen zupa-ckenden, unorthodoxen Stil einen Namen. Die DDR wur-de Geschichte, Winkler stürz-te sich als Geschäftsführer der Zschoner Mühle in die Marktwirtschaft. Landesva-ter Kurt Biedenkopf schätz-te jungen, innovativen Unter-nehmergeist und förderte ihn, obgleich Winkler bei der Vor-stellung versehentlich statt

seiner Visitenkarte die Mit-gliedskarte der PDS zückte. Fernweh trieb den umtriebi-gen Linken für zwei Jahre mit Lebensgefährtin und Kind als

Landschaftsgestalter ins eng-lische Bournemouth. Er beleg-te Studiengänge für Politik, mitteldeutsche und sächsi-sche Geschichte und ist Grün-dungs- und Vorstandsmitglied des Sächsischen Mühlen-vereins sowie Mitglied in der Deutschen Gesellschaft für Mühlenkunde und -erhaltung.Die linke Idee ist ihm nie ver-lorengegangen. Der Mann mit

dem „falschen Parteibuch“ hat sich nie verbiegen lassen. Bis heute steht er zu der „mit den Genen“ mitbekommenen lin-ken Idee und glaubt fest, dass

eine andere Welt möglich ist.Vor acht Jahren erfüllte sich Thomas Winkler einen Traum. Er kaufte die „Villa Jordan“ in der Rosenthaler Schweizer-mühle und sanierte sie. Den in Italien erworbenen Stuck brachte er an die Decke, schliff selbst die Fußböden ab. Wer das Haus heute betritt, ist verzaubert. Der Anblick des 15.000 Quadratmeter gro-

ßen Parks mit den seltenen Gewächsen lässt den Hut da-vor ziehen, was er daraus ge-macht hat. Spaziergänger sind erwünscht. Ein Wanderweg führt mitten durch das Areal. Der noch weitgehend unbe-kannte Neu-Rosenthaler zog mit einem überraschend guten Wahlergebnis in den Gemein-derat von Rosenthal-Bielatal ein und hat es geschafft, gehö-rig für frischen Wind zu sorgen. Mit anderen Unternehmern ist er entschlossen, die ehemals renommierte Schweizermüh-le wieder zum Leben zu erwe-cken. Als er bei der Einwoh-nerversammlung sein Konzept vortrug, sprachen viele von ei-nem „Aha-Erlebnis“ Winkler. „Den Mann umgibt eine Aura“, sagte eine Anwohnerin. Der freundliche, zupackende Hüne ist es gewohnt, Dinge offen-siv in Angriff zu nehmen, auf Leute zuzugehen. Er scheut keine Mühe, wenn es um die Beantragung von Fördermit-teln geht. Er bringt erfrischen-de Ideen mit. Mit dem ihm ei-genen Enthusiasmus sagt er: „Ich will zeigen: Wir hier in Ro-senthal-Bielatal sind wer! Wir leben im reizvollsten Teil der Sächsischen Schweiz!“Zu denjenigen, die ihn zur Bür-germeisterkandidatur über-zeugt haben, gehören auch vie-le Einheimische, mit denen ihn mitnichten die Weltanschau-ung, sondern vielmehr Taten-drang und Unternehmergeist verbinden. Viele meinen, ein frischer Wind täte Rosenthal-Bielatal gut. Wünschen wir ihm ein starkes Wahlergebnis!Anja Oehm

Kandidatur im „Reich der Felsentürme“

Das Mentoring-Programm der LINKEN SachsenEs gibt heute zahlreiche Mento-ringprogramme: von Hochschu-len oder Stiftungen, speziell an Erasmus-Studierende oder Erstsemestler_innen gerichtet. Dieses Programm ist anders und meilenweit spannender. Das Mentoring-Programm der LINKEN Sachsen richtet sich an alle, die politisch interessiert sind und sich im linken Spekt-rum verorten. Dabei ist es egal, ob man schon lange in verschie-denen Strukturen aktiv ist oder gerade erst auf Tuchfühlung mit den politischen Diskursen geht – das Programm ist breit aufge-stellt und bietet allen, die Lust haben, hinter die Kulissen zu blicken und tiefer in die politi-schen Prozesse einzutauchen, eine Menge Möglichkeiten.Ein Teil des Mentoring-Pro-gramms sind vier Bildungswo-chenenden, in denen vor allem methodische und soziale Kom-petenzen vermittelt werden. Die Mentees bestimmen selbst, welche Komplexe sie bearbei-

ten wollen. Zielgruppenanspra-che, Moderation, Aufbau einer Rede, Politikmanagement – da-zwischen konnte im vergange-nen Programm auch Marx Platz finden. Es gibt genug freien Raum, um der Kreativität freien Lauf zu lassen, Fragen zu klä-ren, sich auszutauschen und fruchtbare Ideen und Lösun-gen für das am Ende anstehen-de Projekt zu sammeln. Auch die gemütlichen Abende in der abgeschiedenen, aber wohlig eingerichteten Umgebung soll-ten erwähnt werden. Durch die enge Zusammenarbeit in einer bunten Gruppe gibt es die Mög-lichkeit einer guten Vernetzung. Vielleicht entsteht daraus sogar die eine oder andere Freund-schaft.Das Mentoring-Programm bie-tet neben dem Wissenszu-wachs an Wochenenden auch andere Gelegenheiten der Bil-dung. So gibt es beispielswei-se die Möglichkeit einer Fahrt nach Straßburg in das europä-

ische Parlament und nach Ber-lin in den Bundestag. Für viele bestimmt ein Highlight ist die zweiwöchige „Beschattungs-phase“, bei der die Mentees ihre Mentor_innen auf Schritt und Tritt verfolgen. Die Arbeit im Parlament wird greifbarer und der Jahresplan von Abge-ordneten transparent. Man war auch einmal auf einem Neu-jahrsempfang oder bei Abend-veranstaltungen geladen. Den politischen Alltag kann man al-so hautnah miterleben!Das Programm wurde im Jahr 2012 ins Leben zurückgerufen. Seitdem hat es ein weiteres Mal im Jahr 2013/14 stattgefunden und hat somit zwei „Jahrgän-ge“ engagierter Menschen mit näherer Bindung an die Partei DIE LINKE und erfolgreich ver-tieften Kompetenzen im politi-schen Bereich hervorgebracht, worüber wir uns sehr freuen. Es gab im letzten Jahr je zwölf Mentees und Mentor_innen, die alle verschiedene thema-

tische Schwerpunkte haben. Die Mentor_innen kommen aus den unterschiedlichsten Ecken: manche sind auf Stadt-, man-che auf Landesebene aktive Mitstreiter_innen für eine soli-darische Gesellschaft, und an-dere wiederum vertreten die Interessen und Positionen un-serer Partei im Europäischen Parlament. So verschieden wie die Mentor_innen waren auch die letztjährigen Mentees. Eini-ge sind schon seit Jahren in den Parteistrukturen aktiv, andere engagieren sich außerhalb des Jugendverbands und der Par-tei. Alle zusammen deckten sie eine große Bandbreite ab: So gab es Umweltexpert_innen, Bildungspolitiker_innen, Enga-gierte im Bereich Gleichstel-lung, Inklusion, Asylpolitik usw. Am Ende des Programms soll-ten alle Mentees nach Möglich-keit neben ihren eigenen Pro-jekten, beispielsweise zu ihren politischen Lieblingsthemen, auch ein gemeinsames auf die

Beine stellen. Letztes Jahr ist es uns leider nicht gelungen, ein gemeinsames Projekt vorzu-bereiten. Gründe dafür reichen vom akuten Prüfungsstress bis zur aktiven Teilnahme und Mit-arbeit vieler Mentees am Wahl-kampf. Umso gespannter bli-cken wir auf die neue Runde des Programms. Wir ehemaligen Mentees sind durch das Programm reifer ge-worden, sammelten Unmengen wertvolle Erfahrungen, erlang-ten Kompetenzen und haben nicht zuletzt den Landesver-band besser kennengelernt. Unser Dank gilt dem Landes-verband und den Mentor_in-nen, die uns dies ermöglichten. Wer nun neugierig geworden ist: DIE LINKE. Sachsen wird online und vermutlich auch über die Mitgliederzeitung den Start für die nächste Runde be-kannt geben. Mitmachen lohnt sich definitiv! Anna Gorskih & Werner KujatInfos: www.dielinke-sachsen.de

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Sachsens Linke! 03/2015 Seite 4

Linke Kommunalpolitik in der KriseEin langer Titel, ein weites Feld: Kommunalpolitik. Angesichts ihrer unmittelbaren Wirkung auf den Lebensalltag fragt man sich, warum dieses Politikfeld nicht stärker „befarmt“ wird. Im November 2013 geschah dies, als sich linke kommunale Man-datsträgerInnen aus den Bene-lux-Ländern und aus Frankreich in Luxemburg (Remerschen) zu einer Fachtagung trafen. Der dazu entstandene Tagungsband wurde nun mit daran Beteiligten am 26. Januar 2015 im Rosa-Luxemburg-Salon in Berlin vor-gestellt. Dabei waren die Vor-sitzende der Rosa-Luxemburg Stiftung, Dagmar Enkelmann, der ehemalige Mainzer LIN-KEN-Fraktionsgeschäftsführer, Hermann Stauffer und die für Kommunalfinanzen zuständi-ge Bundestagsabgeordnete Su-sanna Karawanskij.Dagmar Enkelmann stellte ein-gangs die Frage: Was kann lin-ke Kommunalpolitik? Sicher nicht leicht zu beantworten. Doch wer Antworten schuldig bleibt, verliert Vertrauen und Wählerzuspruch. Die branden-burgische LINKE musste das im Vorjahr mehrfach schmerz-haft erfahren. Die Kommunal-politik ist jedenfalls für DIE LINKE ein zentrales Thema, so Enkelmann. Quasi zum Beweis erwähnte die Stiftungsvorsit-zende Studien und Analysen

kommunalpolitischen Inhalts. Aus LINKER Sicht nehme die Si-cherung der Daseinsvorsorge eine zentrale Stellung ein. Zuvor genau definiert, gehöre sie gar ins Grundgesetz. Ein weiterer wichtiger Gedanke: DIE LINKE frage immer nach den Auswir-kungen der Politik von Bund und Ländern auf die Kommunen; Stichwort Politikfolgenabschät-zung. Bitter Enkelmanns Fest-stellung: Städte und Gemein-den hätten keine Lobby. Sie

sitzen am Ende der Entschei-dungen, dabei hätten sie kaum reale Mitwirkungsrechte, doch die Lasten für jene Politik sollen sie meist allein tragen.Hermann Stauffer berichtete aus Mainz, die Stadt hätte 1,3

Milliarden Euro Schulden. Die Antwort der Regierenden be-stand in der Ausgliederung ho-heitlicher Aufgaben. Das mit dem Ergebnis, dass Geschäfts-führer die Entscheidungen tref-fen, die Schulden aber bei der Stadt bleiben. So wird die kom-munale Selbstverwaltung de-gradiert und das im Grundge-setz verbriefte Recht darauf den Kommunalpolitikern nicht zuge-standen. Trotz dieser Schulden-situation gefällt sich die Main-

zer Stadtregierung in der Rolle, Steuergeschenke zu machen: So wurden dem vermeintli-chen Karstadt-Retter Nicolas Berggruen über 500.000 Eu-ro an Steuern erlassen. Dem-gegenüber liest man davon,

dass Theaterzuschüsse gestri-chen werden, dass öffentliche Springbrunnen nur mittels pri-vater Spenden sprudeln kön-nen, oder dass die Grundsteu-er B auf 440 Punkte angehoben wurde. Griechische Verhältnis-se? Zudem merkte Stauffer an, wir dürften nicht nur kritisieren, sondern müssten auch Lösun-gen anbieten. So gestalteten sie auch ihre Antragstätigkeit. Wohl auch deshalb der Zuwachs bei den Mandaten. Jetzt kämp-

fen drei LINKE Ratsmitglie-der gegen den Rest, insgesamt sechzig. Bei allen länderspezifi-schen Unterschieden müsse ei-ne Gemeinsamkeit festgestellt werden: „Die mittlerweile na-hezu völlige Handlungsunfähig-

keit von Kommunen und Krei-sen, den ,Letzten in der Kette‘ der Auswirkungen neoliberaler Kürzungs- und Privatisierungs-politik in der Europäischen Uni-on“. Dies war dann auch Thema von Susanna Karawanskij. Eine stabile Einnahmesituation fehle den Kommunen. Dadurch wür-den auch die Spielräume ge-ringer. Darin sieht Karawanskij eine Ursache für die Politikver-drossenheit. Nun, der Inves-titionsbedarf in den Städten und Gemeinden ist recht hoch. Aber Finanzminister Wolfgang Schäuble scheint auf dem Geld zu sitzen, das ihm nicht gehört. Sollte er stattdessen nicht sei-nen Beitrag zur Auflösung des Investitionsstaus leisten? Doch wenn man eine (schwarze) Null im Finanzministerium hat ... Al-ternativ schlug die LINKE-Ab-geordnete die Einführung einer Gemeindewirtschaftssteuer vor. Im Kern geht es der LINKEN dabei um dauerhafte, verlässli-che und deutlich höhere Einnah-men der Kommunen. Allen, ob nun kommunalpoli-tisch eingebunden oder „nur“ als BürgerIn, dem nicht egal ist, was in seinem Ort geschieht, sei dieses Büchlein empfoh-len. Man wird seine kommunale Welt besser verstehen und viel-leicht auch selbst lokal aktiver werden. Denn kommunal ist im-mer lokal! René Lindenau

Hilft die Suche nach „Schuldigen“? Der Text von V. Külow, E. Lieber-am und D. Pellmann, „In die Of-fensive kommen“ in der jungen Welt vom 30.01.15 verdient ei-ne ausführliche Erörterung. Die Autoren weisen zunächst darauf hin, dass DIE LINKE die „antiauf-klärerische Aggression“ von Pe-gida zurückweisen müsse. Dies tun sie völlig zu Recht, denn die Pegida-Bewegungen, die den Gestus des Empörten bemühen, schüren Ängste, die sich gegen Flüchtlinge und Zuwanderer, ins-besondere Muslime richten. Die zutage kommenden Ängste und Ressentiments, der Aufstieg der AfD und der zunehmende Rechtsrutsch der Gesellschaft kommen für jene nicht überra-schend, die die Heitmeyer-Stu-dien zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit die ob-rigkeitsstaatliche Abwiegelung entsprechender Ressentiments durch die Sächsische Staats-regierung und den Alltagsras-sismus der „Mitte“ der Gesell-schaft zur Kenntnis nehmen. Gestützt wird dieser Rechtsruck durch Abstiegserfahrungen und -ängste einer Mittelschicht und durch Demütigungserfahrungen von Erwerbslosen auf Arbeits-ämtern und Jobcentern. In einer Zeit, in der die Mittelschicht zwi-schen dem „Oben“ und „Unten“

weiter schrumpft und Existenz-ängste zunehmen, wird durch Pegida „nach unten getreten, nicht nach oben“ (Katja Kip-ping). Nur ist der gemeinsame Wider-stand gegen Pegida nicht ge-ringzuschätzen. In der Bewe-gung gegen Pegida werden viele Menschen erstmals politisch sozialisiert. Bei den Aktionen finden sich Mitglieder aus SPD, LINKEN, Gewerkschaften, Grü-nen, Kirchen bis zu Amtsträgern der Verwaltung wieder. Diese gemeinsam erlebbaren Aktio-nen gegen antiaufklärerische Vorurteile sollten nicht kleinge-redet werden, sondern können eine Basis für ein (zukünftiges) gemeinsames Agieren in ande-ren Fragen darstellen.Nun sind die -gida-Bewegungen gewiss nicht einheitlich. Unter ihren Teilnehmern finden sich Fußball-Hools, Rechtsextreme, Islam-Hasser, aber auch Rent-ner, die gegen die Kürzung ihrer Rente protestieren wollen, Men-schen, die mit ihrer persönli-chen Situation unzufrieden sind, und solche, die die GEZ abschaf-fen wollen. Dass sich darunter auch frühere Wähler der LINKEN befinden werden, legen sowohl Studien zu Wanderungsbewe-gungen zwischen Wählern der

LINKEN und der AfD in Branden-burg nahe, als auch der Befund aus einer Umfrage des stern, wonach 26 % der LINKEN-Wäh-ler Bereitschaft zeigen würden, an solchen Demonstrationen teilzunehmen.Sollte der Ratschlag an die LIN-KE-Verantwortlichen darin be-stehen, den Protest-Gedanken stärker aufzunehmen und mit (außerparlamentarischen) Akti-onen gegen Prekarisierung und Rentenkürzungen zu verbinden, so ist dies zu unterstützen. Al-lerdings übersehen die Autoren, dass nicht jeder Protest und Un-zufriedenheit (auch in der Ge-schichte!) nach links, sondern häufig nach rechts geht, wie auch nicht jeder Protestler au-tomatisch ein „Guter“ ist (Der Vergleich zu Spanien und Grie-chenland geht fehl, weil die ex-plosive Situation in den südeu-ropäischen Staaten mit der des saturierten Deutschlands nicht zu vergleichen ist). DIE LINKE sollte sich um Unzufriedene be-mühen; dennoch ist mancher in seinem Konglomerat aus Sozi-alprotest und Hass auf Flücht-linge und noch Schwächere nicht (mehr) erreichbar. Nur weil jemand „gegen den Staat“ ist, wird er nicht zum besseren Menschen, ist er auch nicht ein

potenzieller LINKER oder Bünd-nispartner, sondern gegen die meisten Pegida-Protestierer müssen wir als LINKE den Staat, an dem wir in Thüringen oder Leipzig selbst beteiligt sind, ver-teidigen!Weiter übersehen die Autoren, dass es sich bei den Protestie-renden vielfach um Angehörige der Mittelschichten, des Klein-bürgertums, früheren CDU-, FDP- (und LINKEN-)Anhängern handelt. Hier helfen nicht immer grobe Sprüche, sondern das Aufgreifen von Problemen des Mittelstands, von Gebühren, Zwangsabgaben, der Existenz-gründung, der Kreditvergabe ... Aufklärung gegen Rassismus und Rechtspopulismus ist erfor-derlich, klar. In die Suche nach einem sozial-ökologischen Al-ternativentwurf sind die Men-schen fernab der Parteien und ihr Protest einzubeziehen, und es ist auch die Macht von ein-flussreichen Netzwerken ein-zudämmen. Aber: Gegen einen dumpfen Populismus von rechts hilft (allein) kein grobschläch-tiger Populismus von links, der, anstatt „ihnen ihre Ängste aus-zureden“, anstelle muslimischer Flüchtlinge z. B. amerikanische Geschäftsleute als „die Schul-digen“ benennt. Neue Vereinfa-

chungen ersetzen keine aufklä-rerische Politik, sondern stehen in der Gefahr, anderen, rechten Vereinfachern den Boden zu bereiten. Denn: „Wer Wind sät, wird Sturm ernten!“Notwendig ist stattdessen eine buntscheckige linke Bewegung, die durch Handeln in Verwaltung und in Opposition alternative Vorschläge, eine andere Kultur und Protest ausdrückt, deren Bündnispartner vom DGB, der Flüchtlingsbewegung bis zu den Kirchen reicht, entsprechende Bündnispartner sucht und fin-det. Eine Bewegung, die nicht vom Dogma eines neolibera-len „Einparteiensystems“ oder -kartells (Külow u.a.) ausgeht, sondern bei aller Unterschied-lichkeit nach Partnern für alter-native politische Wege sucht. Und die mit ihrer Politik in und außerhalb der Parlamente in Ge-staltung, Protest, Verwaltung und Veränderung nicht darauf wartet, bis „die Arbeiterklasse sich zu einer wirkungsvollen Al-ternative gegen die monopolka-pitalistische Herrschaft entwi-ckelt“. Denn: Wir dürfen nicht dort landen, dass wir wieder den BürgerInnen erklären, welche Fragen sie an uns gefälligst zu stellen haben! A. Willnow

Page 9: Links! Ausgabe 03/2015

Kommunal-Info 2-2015

ÖPNV-FinanzierungRegionalisierungsmittel müssen sichergestellt werden

Seite 2

WohnenAltersgerechter Umbau im Quartier

Seite 3

MetastudieZur demographischen Entwicklung und Wohnen im Alter

Seite 3

FlüchtlingeNovelle zum Baugesetzbuch über Flüchtlingsunterkünfte

Seite 4

K o m m u n a l p o l i t i s c h e s F o r u m S a c h s e n e . V .K F S

Online-Ausgabe unter www.kommunalforum-sachsen.de

2. März 2015

Für die Stellvertretung des Bürger-meisters gibt es in der Sächsischen Ge-meindeordnung (SächsGemO) ver-schiedene Regelungen. Unterschieden wird zwischen

� der aufgabenbezogenen ständigen Vertretung des Bürgermeisters durch Beigeordnete nach § 55 SächsGemO und

� einer bloßen Verhinderungsstellver-tretung, wie sie hauptsächlich in § 54 SächsGemO geregelt ist sowie

� der Bestellung eines Amtsverwesers nach § 54 SächsGemO, der den Bürger-meister für längere Zeit vertritt.

Da die Thematik der Beigeordneten bereits in der vorausgegangenen Aus-gabe der Kommunal-Info ausführlich behandelt wurde1, soll sich dieser Bei-trag auf die Verhinderungsstellvertre-tung und den Amtsverweser beschrän-ken.

Bestellung von StellvertreternFür die Bestellung von Stellver-

tretern des Bürgermeisters bestehen grundlegende Unterschiede zwischen Gemeinden, in denen Beigeordnete bestellt werden, und Gemeinden ohne Beigeordnete:

� In Gemeinden, in denen Beigeord-nete bestellt werden (Voraussetzung: mehr als 10.000 Einwohner), können neben den Beigeordneten auch Stell-vertreter des Bürgermeisters aus der Mitte des Gemeinderats bestellt wer-den, die den Bürgermeister im Falle seiner Verhinderung vertreten, wenn auch alle Beigeordneten verhindert sind.2

� In Gemeinden ohne Beigeordnete sind durch den Gemeinderat aus seiner Mitte ein oder mehrere Stellvertreter des Bürgermeisters zu bestellen.

Die Stellvertreter des Bürgermeisters sind nach jeder Gemeinderatswahl neu

Stellvertreter des Bürgermeisterszu bestellen, da für die Stellvertreter-funktion nur Mitglieder des Gemeinde-rat infrage kommen. Für die Bestellung zu Stellvertretern müssen jedoch nicht die Bedingungen erfüllt sein, die für ei-ne Wählbarkeit zum Bürgermeister vo-rausgesetzt werden (§ 49 SächsGemO).

Die Bestellung von Stellvertretern erfolgt durch Wahl im Gemeinderat. Die Wahl ist geheim mit Stimmzetteln vorzunehmen, sofern kein Gemein-derat widerspricht, dass eine offene Wahl durchgeführt wird. Als gewählt gilt, wer die Mehrheit der Stimmen der anwesenden Stimmberechtigten (der Bürgermeister ist stimmberechtigt!) erhalten hat.

Wird eine solche Mehrheit nicht er-reicht, findet zwischen den beiden Be-werbern mit den meisten Stimmen ei-ne Stichwahl statt, bei der die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheidet. Bei Stimmengleichheit entscheidet das Los. Steht nur ein Be-werber zur Wahl, so muss er die Mehr-heit der Stimmen der anwesenden Stimmberechtigten erhalten; erreicht er die absolute Mehrheit nicht, so muss ein zweiter Wahlgang stattfinden, bei dem die einfache Mehrheit der abgege-benen Stimmen ausreicht.

Werden mehrere Stellvertreter ge-wählt, kann dies nicht in einem ge-meinsamen Wahlgang erfolgen; son-dern jeder Stellvertreter ist in einem besonderen Wahlgang zu wählen. Bei der Wahl eines jeden Stellvertreters ist durch die Zahl der vor ihm gewähl-ten Stellvertreter festgelegt, in welcher Reihenfolge er zur Vertretung berufen ist. Bei Verhinderung des Bürgermei-sters ist zunächst der erste Stellvertre-ter vertretungsberechtigt; erst wenn dieser verhindert ist, tritt an seine Stel-le der zweite Stellvertreter. Der Bür-germeister hat auf diese Reihenfolge

keinen direkten Einfluss. Die Zahl der Stellvertreter wird zuvor von der Ge-meinde festgelegt. Eine Änderung die-ser Zahl während der laufenden Wahl-periode ist unzulässig. Da die Funktion als Stellvertreter des Bürgermeisters mit dem Ausscheiden aus dem Ge-meinderat endet, ist bei einem vorzei-tigen Ausscheiden unverzüglich eine Nachwahl des Stellvertreters durchzu-führen. Sind alle bestellten Stellvertre-ter vorzeitig ausgeschieden oder sind im Fall der Verhinderung des Bürger-meisters auch alle Stellvertreter verhin-dert, hat der Gemeinderat unverzüglich einen oder mehrerer Stellvertreter neu oder auf die Dauer der Verhinderung zusätzlich zu bestellen. Bis zu dieser Bestellung nimmt das an Lebensjahren älteste, nicht verhinderte Mitglied des Gemeinderats die Aufgaben des Stell-vertreters des Bürgermeisters wahr.

Die Bestellung zum Stellvertreter des Bürgermeisters kann grundsätz-lich nicht abgelehnt werden, lediglich bei Vorliegen eines wichtigen Grundes (§ 18 SächsGemO – Ablehnung ehren-amtlicher Tätigkeit) ist eine Weigerung vertretbar. Das Mandat als Gemeinde-rat wird dadurch nicht zwangsläufig in Frage gestellt.3

Mit der novellierten SächsGemO durch Gesetz vom 28.11.2013 wur-de neuerdings dem Gemeinderat die Möglichkeit eingeräumt, Stellvertreter des Bürgermeisters auch vorzeitig ab-zuwählen. Der Beschluss über die Ab-wahl bedarf der Mehrheit der Stimmen aller Mitglieder des Gemeinderats (nur die Mehrheit der bei der Gemeinderats-sitzung anwesenden Gemeinderäte ge-nügt nicht!). Zwischen Antrag und dem Beschluss muss eine Frist von minde-stens zwei und höchstens vier Wochen liegen. Die Stellvertretung endet mit Ablauf des Tages, an dem die Abwahl

beschlossen wird.

VertretungsmachtDie Vertretungsmacht der Stellver-

treter beschränkt sich – anders als bei Beigeordneten – nur auf Fälle der Ver-hinderung des Bürgermeisters. Die Verhinderung kann

� auf rechtlichen Gründen beruhen (etwa im Fall der Befangenheit des Bürgermeisters) oder auch

� tatsächliche Ursachen haben (etwa bei Krankheit oder Urlaub).

Der Bürgermeister kann seinen nach § 54 Abs. 1 SächsGemO bestell-ten Stellvertretern kein ständiges Ar-beitsgebiet mit Vertretungsbefugnis übertragen. Die Vertretungsbefugnis entsteht bei Verhinderung des Bürger-meisters „automatisch“, es bedarf kei-nes besonderen Auftrags im Einzelfall. Der Verhinderungsfall tritt bereits ein, wenn der Bürgermeister seine Verhin-derung erklärt; einer Prüfung, ob die angegebenen Verhinderungsgründe tatsächlich vorliegen oder eines Nach-weises dafür, bedarf es nicht.

Übt ein Stellvertreter die Befug-nisse des Bürgermeisters aus, ohne dass ein Verhinderungsfall vorliegt, dann handelt er als Vertreter ohne Vertretungsmacht. Rechtsgeschäfte sind schwebend unwirksam und be-dürfen der nachträglichen Genehmi-gung durch den Bürgermeister. Einsei-tige Rechtsgeschäfte sind nichtig. Ist ein Vertretungsfall vorhanden, ist die Vertretungsmacht des Stellvertreters unbeschränkt (und auch nicht durch den Bürgermeister beschränkbar), sei-ne rechtsgeschäftlichen Erklärungen sind für die Gemeinde verbindlich, oh-ne dass es einer eigenen Beschlussfas-sung des Gemeinderats bedürfte.4

Fortsetzung auf folgender Seite

Page 10: Links! Ausgabe 03/2015

Seite 2Kommunal-Info 2/2015

ImpressumKommunalpolitisches

Forum Sachsen e.V.Großenhainer Straße 99

01127 DresdenTel.: 0351-4827944 oder 4827945

Fax: 0351-7952453info@kommunalforum-sachsen.dewww.kommunalforum-sachsen.deRed., Satz und Layout: A. Grunke

V.i.S.d.P.: P. PritschaDie Kommunal-Info dient der kommunalpolitischen Bildung und Information und wird aus finanziellen Zuwendungen des

Sächsischen Staatsministeriums des Innern gefördert.

BeschränkungenDie Vertretungsbefugnis von Stell-

vertretern, die im Verhinderungsfall des Bürgermeisters tätig werden, gilt zunächst unbeschränkt und erstreckt sich auf alle die Rechtsstellung des Bürgermeisters betreffenden Kompe-tenzen.

Nach der novellierten SächsGemO vom 28.11.2013 kann jedoch durch die Hauptsatzung bestimmt werden, dass sich die Stellvertretung

� auf den Vorsitz im Gemeinderat und � die Vorbereitung seiner Sitzungen (§

36 SächsGemO) und � auf die Repräsentation der Gemein-

de zu beschränken hat. Ob nun die zeitweilige Vertre-

tungsmacht von Stellvertretern unbe-schränkt bleibt oder auf die o.g. Vertre-tungsfunktionen eingeschränkt wird, hängt ganz von den konkreten Um-ständen in der Gemeinde und der fach-lichen Befähigung der jeweiligen Stell-vertreter ab. Die Entscheidung darüber ist eine Angelegenheit der kommu-nalen Selbstverwaltung und liegt ganz in den Händen des Gemeinderats.

Wird die Vertretungsbefugnis von Stellvertretern nun eingeschränkt, dann hat in diesem Falle der Bürger-meister im Einvernehmen mit dem Ge-meinderat einen oder mehrere geeig-nete Bedienstete zu bestellen, die ihn in den Fällen der Verhinderung im Üb-rigen vertreten (Vertreter). Kommt es zu keinem Einvernehmen, entschei-det der Gemeinderat mit einer Mehr-heit von zwei Dritteln der anwesenden Stimmberechtigten allein. Bestellt werden die Vertreter in jedem Fall vom Bürgermeister, der auch – bei der Be-stellung mehrerer Vertreter – die Rei-henfolge festlegt. Die Bestellung kann widerrufen werden. Die vom Bürger-meister bestellten Vertreter nehmen an den Sitzungen des Gemeinderats und der für ihren Geschäftskreis zuständi-

gen Ausschüsse mit beratender Stim-me teil. Für die Vertreter gelten die Hinderungsgründe wie für Beigeord-nete (§ 57 Abs. 2 SächsGemO) und im Übrigen auch die besonderen Dienst-pflichten nach § 58 SächsGemO.

Die Repräsentation der Gemeinde sowie der Vorsitz im Gemeinderat ein-schließlich der Sitzungsvorbereitung bleiben den Stellvertretern des Bürger-meisters vorbehalten, weil nur sie über die hierfür notwendige demokratische Legitimation verfügen.

AmtsverweserBleibt die Stelle des Bürgermeisters

voraussichtlich längere Zeit unbesetzt oder ist der Bürgermeister voraus-sichtlich längere Zeit an der Ausübung seines Amtes verhindert, kann der Gemeinderat mit der Mehrheit der Stimmen aller Mitglieder einen Amts-verweser bestellen.5 Der Amtsverwe-ser muss die Voraussetzungen erfüllen, die an die Wählbarkeit eines Bürger-meisters nach § 49 SächsGemO ge-stellt werden, er muss jedoch nicht Bür-ger der Gemeinde sein. Anders als ein Stellvertreter muss der Amtsverweser nicht dem Gemeinderat angehören. Je-doch ist die Bestellung eines Gemein-derats zum Amtsverweser möglich. Wird ein Gemeinderat zum Amtsver-weser bestellt, so ist der Hinderungs-grund des § 32 SächsGemO zu beach-ten, was zur Folge hat, dass er aus dem Gemeinderat ausscheiden muss.

Für einen Amtsverweser gelten nicht die möglichen Beschränkungen wie für einen Stellvertreter des Bürgermei-sters, er übernimmt alle Aufgaben und Befugnisse des Bürgermeisters. Da seine Bestellung jedoch nicht auf einer unmittelbaren demokratischen Legi-timation durch Wahl der Bürgerschaft beruht, hat er weder im Gemeinderat noch in den beschließenden Ausschüs-sen ein Stimmrecht. Dies gilt auch für einen zum Amtsverweser bestell-ten Gemeinderat, weil mit der Über-tragung dieses Amtes sein Gemeinde-

ratsmandat erloschen ist. Eine sonstige Einschränkung der Rechte des Amts-verwesers durch den Gemeinderat ist nicht möglich. Außer den Beschrän-kungen hinsichtlich des Stimmrechts stehen dem Amtsverweser die gesetz-lichen Befugnisse des Bürgermeisters uneingeschränkt zu.

Der Amtsverweser ist in Gemein-den mit hauptamtlichem Bürgermei-ster zum Beamten auf Widerruf, in Gemeinden mit ehrenamtlichem Bür-germeister zum Ehrenbeamten auf Wi-derruf zu bestellen, sofern er nicht be-reits Beamter der Gemeinde ist. Die Ernennungsurkunde für den Amts-verweser wird vom Stellvertreter des Bürgermeisters ausgestellt und ist dem Amtsverweser bei Amtsantritt zu über-geben. Der Amtsverweser führt die Amtsbezeichnung „Bürgermeister“ (bzw. Oberbürgermeister). Er kann deshalb auch eine Satzung mit dieser Bezeichnung unterschreiben.

Bei WahlanfechtungEin zum Bürgermeister der Gemein-

de gewählter Bewerber kann im Fal-le der Anfechtung der Wahl vor der rechtskräftigen Entscheidung über de-ren Gültigkeit vom Gemeinderat mit der Mehrheit der Stimmen aller Mit-glieder zum Amtsverweser bestellt werden, aber nur dann, wenn die Wahl-prüfungsbehörde die Gültigkeit der Wahl festgestellt hat oder die Wahlprü-fungsfrist ungenutzt verstrichen ist.

Der auf diese Weise bestellte Amts-verweser ist – bei einer Wahl zum hauptamtlichen Bürgermeister – Be-amter auf Zeit und – bei einer Wahl zum ehrenamtlichen Bürgermeister – Ehrenbeamter auf Zeit. Die Ernen-nung nimmt der Stellvertreter des Bür-germeisters vor. Seine Amtszeit ist auf zwei Jahre begrenzt, wobei eine Wie-derwahl zulässig ist. Er führt die Be-zeichnung Bürgermeister (bzw. Ober-bürgermeister). Seine Amtszeit als Amtsverweser wird auf die Amtszeit als Bürgermeister angerechnet.

Im Unterschied zu einem Amtsver-weser, der anstelle eines Bürgermei-sters bestellt wurde, hat ein vorüber-gehend zum Amtsverweser bereits gewählter Bürgermeister (der sein Amt nur wegen einer laufenden Wahlan-fechtung nicht antreten kann) jedoch ein Stimmrecht im Gemeinderat und seinen Ausschüssen. Da sich seine Le-gitimation aus einer direkten Volks-wahl ableitet, kann ihm das Stimm-recht im Gemeinderat deshalb nicht vorenthalten werden.

AG1 Siehe hierzu Kommunal-Info Nr.

1/2015.2 Vergleichbares gilt für die Land-

kreise: auch hier können neben den Bei-geordneten weitere Stellvertreter des Landrats bestellt werden. 3 Vgl. Gemeindeordnung für den Frei-

staat Sachsen. Ergänzbarer Kommen-tar mit weiterführenden Vorschriften, Erich Schmidt Verlag, Kommentar zu § 54, Rn. 3ff.4 Vgl. ebenda, Rn. 2.5 Für die Bestellung eines Amtsverwe-

sers anstelle des Landrats gelten nach § 51 Sächsischer Landkreisordnung sinn-gleiche Bestimmungen. Das gilt ebenso im Falle einer Wahlanfechtung.

Fortsetzung von Seite 1:

Stellvertreter...

Landkreistag erinnert Länder an ihre Verantwortung für die Fi-nanzierung des ÖPNV

Angesichts der vom Statischen Bun-desamt veröffentlichten Zahlen zur Entwicklung der Fahrgastzahlen im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) im Jahr 2014, fordert der Deutsche Landkreistag die Länder auf, ihrer Verantwortung für eine aus-kömmliche Finanzierung des ÖPNV nachzukommen. „Auch wenn der deut-liche Rückgang der Fahrgastzahlen bei Nahverkehrsbussen von 1,1 % im Vergleich zum Vorjahr auch auf Ver-lagerungseffekte zwischen Bus- und Schienenverkehr durch optimierte und abgestimmte ÖPNV-Angebote zurück-zuführen ist, müssen uns diese Zah-len aufhorchen lassen“, sagte Landrat Reinhard Sager, Präsident des Deut-schen Landkreistages. „Beim ÖPNV darf kein Rückzug aus der Fläche er-folgen. Auch in den ländlichen Räu-men reduziert sich die Bedeutung des ÖPNV nicht auf Schülerverkehre und Rufbussysteme. Vielmehr ist der Nah-verkehr Teil der öffentlichen Daseins-vorsorge und muss als Beitrag zur All-tagsmobilität der Menschen erhalten

werden. Er ist nicht zuletzt auch als touristische Infrastruktur wichtiger wirtschaftlicher Standortfaktor.“

Die Länder seien vor diesem Hinter-grund aufgefordert, die Landkreise als ÖPNV-Aufgabenträger finanziell an-gemessen auszustatten, damit sie ih-ren gesetzlichen Aufgaben der Mobi-litätsicherung auch angesichts meist schwieriger demografischer Heraus-forderungen durch rückläufige Bevöl-kerungszahlen und eine veränderte Al-tersstruktur weiterhin gerecht werden könnten. „Die für die Gemeindever-kehrsfinanzierung wichtigen Entflech-tungsmittel müssen den Kommunen unbeschadet des Ergebnisses der Neu-regelung der Bund-Länder-Finanz-beziehungen von den Ländern unver-mindert bereit gestellt werden. Wir erwarten, dass die Länder ohne Abstri-che ihrer bereits seit der Föderalismus-reform I bestehenden Verantwortung gerecht werden und nicht auf den Bund verweisen“, führte Sager aus.

Von entscheidender Bedeutung sei zudem eine baldmöglichste Einigung über die künftige Höhe der Regionali-sierungsmittel, so der Präsident weiter. Die Regionalisierung sei eine Erfolgs-geschichte und habe seit 1996 insge-samt zu einem sehr deutlichen Zuwachs

beim öffentlichen Nahverkehr geführt. Der aktuelle Streit zwischen Bund und Ländern über die künftige aufgaben-angemessene Höhe der Regionalisie-rungsmittel dürfe nicht mit der Frage der Bund-Länder-Finanzbeziehungen

vermengt und müsse vor die Klammer gezogen werden. Nach der Bahnreform stünden die Regionalisierungsmittel den Ländern bereits grundgesetzlich aus dem Mineralölsteueraufkommen des Bundes zu. Diese seien in ange-messener Höhe auch über 2019 hinaus fortzuschreiben und zu dynamisieren. Das gelte umso mehr, als ein bedeu-tender Teil der Regionalisierungsmittel über Trassen- und Stationspreise an die Infrastrukturgesellschaften der Deut-schen Bahn und damit letztlich auch an den Bund zurückfließe.

Sager forderte die Länder zudem auf, die Regionalisierungsmittel nicht nur für eine Weiterentwicklung des Schie-nenverkehrs, sondern auch für die Si-cherstellung von Busverkehren in der Fläche bereit zu stellen. „Das gilt ins-besondere dort, wo eine Versorgung über die Schiene nicht mehr gewähr-leistet werden kann. Angesichts weg-brechender Schülerverkehre sind in den Ländern zudem die sog. § 45a PBe-fG-Mittel für die Schülerbeförderung zu kommunalisieren, um zu einer effi-zienteren und europarechtskonformen Verkehrsfinanzierung aus einer Hand zu kommen“, so der DLT-Präsident ab-schließend.

(Dt. Landkreistag, 11. Februar 2015)

ÖPNV-Finanzierung

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PARLAMENTSREPORTFebruar 2015 Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag

Der Staatshaushalt ist nicht alles, aber ohne ihn ist alles nichts: Dicke Papierbündel in den Büros der Landtagsabgeordneten künden von einer neuen Verhandlungsrunde zu diesem wichtigen Gesetzeswerk. Hinter den Zahlenkolonnen steckt das wahre Leben: Von ihnen hängt ab, ob es in den nächsten Jahren gelingen wird, Probleme wie den Lehrermangel oder den Polizei-abbau anzupacken und den Frei-staat für die Zukunft fit zu machen. Eine erste Debatte hat im Landtag bereits stattgefunden. Finanzmi-nister Georg Unland (CDU) hat den Haushaltsentwurf der Regierung eingebracht, die Fraktionen – auch Oppositionsführer Rico Gebhardt – nahmen Stellung. Und obwohl erst in den kommenden Wochen kon-kret über die Einnahme- und Aus-gabeposten gestritten werden wird, zeichnet sich ab, in welche Richtung die Regierung gehen will: Mit leich-ten Ausgabenerhöhungen will man die schlimmsten Folgen der fünf schwarz-gelben Jahre reparieren, gelangt damit aber an vielen Stellen nicht einmal auf das Niveau zurück, das der Freistaat vor der schwarz-gelben Kürzungsorgie seit 2010 schon einmal hatte. Die Devise lau-tet: Vorwärts in die Vergangenheit, aber nur den halben Weg …

Die Staatsregierung rechnet insge-samt damit, dass die Einnahmen und damit der Gesamtumfang des Haus-halts bis 2016 leicht wachsen wer-den, auf 17,23 Milliarden Euro pro Jahr (2014: 17 Mrd.). 2015 will man 171 Millionen und 2016 noch einmal 234 Millionen aus der Haushalts-ausgleichsrücklage entnehmen. Denn Unland rechnet Sachsen wei-ter künstlich arm und unterschätzt

absichtlich die Steuermehreinnah-men, auch um sich keine weiteren Forderungen vom Koalitionspart-ner SPD gefallen lassen zu müssen. Trotz allem sinken sowohl die Aus-gaben für Investitionen als auch die Zuweisungen an die Kommunen – weiterer Substanzverzehr ist vorpro-grammiert. Der Spielraum für neue Schulgebäude, Brücken oder Stra-ßen schwindet, Städte und Gemein-den bleiben klamm. Positiv ist nur, dass die Ausgaben für Bildung und Forschung etwas höher ausfallen sollen, wenn auch bei weitem nicht so hoch, wie es notwendig wäre.

Rico Gebhardt ging mit dem Ent-wurf hart ins Gericht und griff Unland scharf an. „Das Prinzip Ihres bisherigen Handelns lautete: Es muss nur genug Geld im Spar-strumpf sein, dann steuert Sach-sen auf ein goldenes Zeitalter zu. Stattdessen haben wir monate-lange Pegida-, Legida-, Hoygida-, Cegida- und andere Umzüge ver-unsicherter, wütender Menschen erlebt“. Sachsen brauche keine Finanzpolitik, die hohe Rücklagen als einziges Erfolgsziel ansehe, sondern „eine Politik, die Sach-sen und den hier lebenden Men-schen, egal welcher Herkunft und welcher Religion, wirklich gerecht wird. Davon aber sind Sie mit die-sem Haushaltsentwurf meilenweit entfernt!“ Da helfe auch keine mil-lionenschwere Imagekampagne „So geht sächsisch“, die spätestens jetzt eingestampft werden müsse. Alles andere sei Geldverbrennung – wie bei der Landesbank, deren Ruin Sachsens Steuerzahlerinnen und Steuerzahler jedes Jahr 100 Millio-nen Euro kostet. Gebhardts Fazit: „Der Regierungsentwurf der neuen

Koalition ist nicht viel mehr als die Reparatur der immensen Bauschä-den, die die Vorgänger-Koalition hinterlassen hat“.

Die öffentlichen Kassen in Sachsen werden noch immer vor allem aus Quellen gespeist, die nicht im Frei-staat sprudeln: Mehr als die Hälfte der Staatseinnahmen stammen von der EU, dem Bund oder aus dem Länderfinanzausgleich. Die säch-sische Wirtschaftsleistung liegt noch immer bei nur 73 % des Bun-desdurchschnitts. Es ist absehbar, dass die Einnahmen aus den Soli-darpakt- und EU-Mitteln bis 2020 um bis zu 2,5 Milliarden Euro pro Jahr absinken werden. Gerade des-halb müssen zwei Prinzipien unbe-dingt beachtet werden: Zum einen darf der Doppelhaushalt keine neuen Probleme mit hohen Folge-kosten verursachen – so darf Sach-sen beispielsweise nicht länger damit warten, den Lehrermangel zu beheben. Zum anderen muss sich die Staatsregierung in Berlin und Brüssel für höhere Einnahmen ein-setzen – etwa mit Vorschlägen für ein Steuersystem, das Gutverdie-ner und Vermögende stärker in die Pflicht nimmt. Unland aber betrach-tet weiter vor allem die Ausgaben-seite. Das führt unweigerlich in die Sackgasse.

Auch die Linksfraktion wird Ände-rungsvorschläge zum Haushalt ent-wickeln – für ein soziales Sachsen, bessere Bildung, mehr Kultur. Dabei arbeiten wir weiterhin nur mit dem Geldbetrag, den auch die Staats-regierung zugrunde legt, kommen also verfassungsgemäß ohne neue Schulden aus. Schon beim letz-ten Doppelhaushalt haben wir so eine ganze Reihe von Vorschlä-gen gemacht. Viele davon wer-fen wir nun wieder in die Debatte, weil sich in den letzten Jahren in Sachsen kaum etwas bewegt hat. Voraussichtlich im April wird der Landtag dann den Doppelhaus-halt 2015/2016 beschließen. Ob bei Polizei und Justiz, der in diesen Tagen heiß diskutierten Flüchtlings-betreuung, in der Bildung oder bei Sozialem: Der Landtag muss den Entwurf der Regierung verändern, wenn er Missstände beseitigen statt schaffen soll. Die vergangene Legis-laturperiode war ein verlorenes hal-bes Jahrzehnt für Sachsen – wir stellen uns der Aufgabe, den Pro-blemberg der verbrauchten Regie-rung abzuarbeiten. Weil Reformen aber nur möglich werden, wenn sie im Haushalt festgezurrt sind, wer-den die kommenden Wochen richtig spannend.

Vorwärts in die Vergangenheit

Liebe Leserinnen und Leser,ich kann mir gut vorstellen, dass viele kaum verstehen, was derzeit im Freistaat passiert. Es ist absurd: Die Sicherheitsbehörden schleiften, von „PEGIDA“ getrieben, in Dresden vor­übergehend das komplette Versamm­lungsrecht. Das gab es noch nie! Als Rechtfertigung diente ein arabischer Twitter­Beitrag, der die Bedrohung einer einzelnen Person belegen sollte. Sicher, Hinweise müssen bewertet, Gefahren bekämpft werden. Das darf aber nicht dazu führen, dass das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nach Belieben außer Kraft gesetzt wird. Deshalb wollen wir wissen, wie es dazu kam. Mit einem Dringlichen Antrag forderten wir die Staatsregierung zum Beginn der Landtagssitzung auf, uns aufzuklären. CDU und SPD lehnten ab. Am Abend erreichte uns eine neue bizarre Nachricht: Vor dem großen Toleranz­Konzert mit internationalen Stars hat es eine Bombendrohung gegeben. Die Polizei ging ihr mit Spür­hunden nach, ließ die Veranstaltung aber zu. Schon das zeigt, dass das Ver­sammlungsverbot in der Woche zuvor offensichtlich völlig überzogen war.Der Innenminister hatte sich derweil geheim mit Köpfen der „PEGIDA“ getroffen. Dabei wurden, wie er erklärte, „Inhalte oder Positionen zur Seite gestellt“. Er habe über die Sicherheit ihrer Aufmärsche sprechen wollen. Warum aber übernahmen das nicht die Versammlungsbehörden, son­dern der Minister höchstselbst? Die Antwort ist einfach: Ulbig will Oberbür­germeister von Dresden werden, das Frustpotential der „PEGIDA“ parteipo­litisch abernten. Bis hierhin mag alles „nur“ absurd gewesen sein. Die Welt schaut auf Sachsen und reibt sich die Augen. Es fehlt aber nicht viel, bis es gefährlich wird – für die Demokratie.

Rico Gebhardt Fraktionsvorsitzender

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PARLAMENTSREPORTSeite 2 Februar 2015

Baustelle Bildungssystem: Betrug beim Kita-Schlüssel, Lehrermangel wird bleibenBeste Bildungschancen von der Kita bis zur Hochschule – dafür soll auch der Doppelhaushalt sorgen. Bei Betreuung und Bildung der Jüngs-ten genehmigt sich die Koalition allerdings einen lupenreinen Betrug. Lange haben Träger und Opposition gefordert, mehr Kita-Erzieherinnen und -Erzieher einzustellen, also den Betreuungsschlüssel zu verbessern. Der Koalitionsvertrag verspricht einen kleinen Schritt: Ab Septem-ber 2015 soll ein Erzieher in Kinder-tagesstätten statistisch gesehen nicht mehr 13, sondern 12,5 Kinder betreuen, ab September 2016 noch 12. In Kinderkrippen soll dieses Verhältnis ab September 2017 von 1:6 auf 1:5,5 und ein Jahr später auf 1:5 verbessert wer-den. Die Freude wird aber schnell getrübt. Denn CDU und SPD versprechen zwar, dass „der Freistaat Sachsen die Kos-ten, die mit dieser Qualitätsverbes-serung verbunden sind“, tragen wird. Doch es kommt anders.Denn die Eltern werden mindestens die Hälfte der Mehrkosten bezahlen müssen. Die Kommunen, die Träger der allermeisten Kitas sind, bekom-men für das zusätzliche Personal zu wenig Geld vom Freistaat, außerdem sind sie chronisch unterfinanziert. Sie sollen sich deshalb weitere Mit-tel besorgen – durch höhere Eltern-beiträge. In Kindergärten und Horten

steigen diese von 30 % auf 33 % der Personal- und Sachkosten, was den Eltern Mehrausgaben von bis zu 170 Euro jährlich pro Kind beschert. Bei Krippen können die Elternbeiträge von 23 % auf 26 % erhöht werden – Mehrkosten von bis zu 300 Euro pro Kind und Jahr. Natürlich müssen die Kommunen nicht die höchstmögli-chen Beiträge erheben. Allerdings werden viele durch ihre Finanznot und die Rechtsaufsicht bei der Haus-haltsgenehmigung dazu gezwungen.

Damit nicht genug: Bei der Berechnung des Betreuungs-

schlüssels dürfen künftig auch Assistenzkräfte ein-

bezogen werden, an die es keine fachlichen Anforderungen gibt. Künf-tig könnte also jede und jeder Fünfte im Kita-Personal keine Fachkraft sein. Für die Eltern heißt das: Mehr bezahlen für weniger Qualität.Wortbrüchig werden CDU und SPD auch bei der Einstellung zusätzlicher Lehrerinnen und Lehrer – obwohl die Schülerzahlen steigen. Unland: „Im Schulbereich haben wir die unbe-fristete Einstellung von mindestens 6.100 Lehrern bis zum Jahr 2019 sichergestellt“. Damit aber wer-den nur die Lehrkräfte ersetzt, die in Rente gehen. Von den insgesamt 1.000 zusätzlichen Pädagoginnen

und Pädagogen, die der Koalitions-vertrag versprach, ist im Haushalts-entwurf keine Rede mehr. Auch bei den Freien Schulen löst der Etat die Probleme nicht. Die Schulen in freier Trägerschaft waren Opfer von Einschnitten in ihre finanzielle Aus-stattung, was sie gegenüber den öffentlichen Schulen benachteiligte. Ein Urteil des Verfassungsgerichts verpflichtet den Freistaat inzwi-schen, öffentliche und freie Schu-len gleich zu behandeln. Allerdings sind die staatlichen Zuschüsse an die Freien Schulen weiter zu niedrig, weshalb sie Schulgeld erheben müs-sen. Dabei füllen Freie Schulen viele Lücken, die nach den Standortschlie-ßungen im öffentlichen Schulnetz klaffen.Auch bei den Hochschulen muss sich die Koalition Kritik gefallen lassen. Denn sie setzt immer stärker auf Drittmittel, um die sich die Wissen-schaftler aufwändig bewerben müs-sen, als auf öffentliche Grundmittel. Der Staat zieht sich also zurück, soll doch die Industrie die Forschung bezahlen. Die Gesellschaft braucht aber auch Erkenntnisse, die zu gewinnen sich vielleicht marktwirt-schaftlich zunächst nicht rechnet. Die Grundausstattung der Hoch-schulen wird weiter abgesenkt. Fazit: Der Haushaltsentwurf vergibt nicht nur Bildungschancen. Er ver-gibt Chancen für ganz Sachsen.

Baustelle Soziales: Ausgleich gibt es nur mit unsSeit der Verfassungsänderung gel-ten auch neue Regeln für den Lan-deshaushalt. DIE LINKE hatte durch-gesetzt, dass neben Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit auch der sozi-ale Ausgleich als gleichberechtigter Grundsatz zu beachten ist. Wer die Regierung fragt, wie sie den sozialen Ausgleich in ihrem Haushaltsent-wurf konkret umgesetzt hat, erntet aber nur Worthülsen. Deshalb wer-den wir genau kontrollieren, ob sich das Land auf Kosten der Schwächs-ten konsolidieren soll.

Betrachtet man die Aussagen des Finanzministers zum Haushalt, scheint es, als ob die Regierung genau das in Kauf nimmt. O-Ton Unland: „Die beste Sozialpolitik ist diejenige, die Arbeit schafft. […] Die Förderung der Wirtschaft bildet daher auch im vorliegenden Haus-haltsentwurf eine bedeutende Pri-orität“. Zwar setzen CDU und SPD einen LINKEN Vorschlag zur Wirt-schaftsförderung um, denn ein Fusi-onsfonds soll kleinen Unternehmen beim Wachsen helfen. Es wäre aber

dennoch verfehlt, so undifferenziert zu argumentieren wie Unland. Denn „Arbeit“ ist nicht gleich „Arbeit“. 42 Prozent der sozialversicherungs-pflichtigen Vollzeitbeschäftigten in Sachsen arbeiten zu einem Nied-riglohn – doppelt so viele wie bun-desweit. Überdurchschnittlich sind auch die Zahlen der Langzeitar-beitslosen, der älteren Erwerbslo-sen, der Hartz-IV-AufstockerInnen, der LeiharbeiterInnen und der Men-schen mit Hartz-IV-Dauerbezug. Die Zahl der vergleichsweise gut bezahlten Arbeitsplätze mit betrieb-licher Mitbestimmung im produzie-renden Gewerbe hat sich seit 1991 halbiert. Was neu entsteht, ist über-wiegend prekäre Beschäftigung. Altersarmut wird vorprogrammiert. Dieses Land hat die Verpflich-tung zum sozialen Ausgleich bit-ter nötig.Auch zwei weitere Beispiele zeigen, dass der Regierungsentwurf sozial-politisch verbessert werden muss.

So ist fraglich, ob die geplan-ten Krankenhausinvestitionen

ausreichen. Schließlich muss gerade eine alternde Gesell-

schaft eine hochwertige Klinikversorgung sichern.

Das wird dadurch erschwert, dass die Krankenkassen seit 2015 nichts mehr zu den Klinik-Investitionen bei-steuern. Im Doppelhaushalt sind nun 130 Millionen Euro für 2015 und 120 Millionen Euro für 2016 eingeplant. Damit lassen sich zwar die wegge-fallenen Kassenmittel ausgleichen, allerdings bleiben die Zuschüsse immer noch unter dem Bedarf, den die Sächsische Krankenhausgesell-schaft auf 234 Millionen Euro jähr-lich beziffert.Auch bei der Schaffung einer inklu-siven Gesellschaft mit umfassender Barrierefreiheit – zweites Beispiel – besteht Nachholbedarf. Allerdings wird der Etat-Entwurf der Regierung bisher weder den Anforderungen der UN-Behindertenrechtskonven-tion noch dem Ziel Barrierefreiheit gerecht. Mit den geplanten drei Mil-liönchen werden sich keine barriere-freien öffentlichen Gebäude schaf-fen lassen.Wir LINKE halten nicht nur die diversen Millionärs-Schonpro-gramme der CDU- und SPD-Bun-desregierungen für verfehlt. Wir werden auch beim Landeshaus-halt darauf achten, dass er dem sozialen Ausgleich dient!

Page 13: Links! Ausgabe 03/2015

PARLAMENTSREPORTFebruar 2015 Seite 3

Baustelle Polizei und Justiz:

Notstand wird nicht beseitigtIm Zusammenhang mit Protesten gegen „LEGIDA“ war er wieder in aller Munde: der Personalmangel bei der sächsischen Polizei. Wegen ihm wurde sogar die Demonstrations-freiheit eingeschränkt – das bleibt unabhängig davon, wie die dann verbreiteten Ansichten zu bewer-ten gewesen wären, inakzeptabel. Aber auch abseits solcher großen Einsätze schwindet die Präsenz der Polizei, Streifen brauchen immer länger bis zum Einsatzort. Große Hoffnungen galten daher dem Koa-litionsvertrag, der Besserung ver-sprach. Der Haushaltsentwurf zeigt nun, wie wenig davon übrig ist. So gelobt die Koalition, künftig pro Jahr etwas mehr Polizei-Nachwuchskräfte ein-zustellen – ganze 400. Schon diese Mini-Umkehr der CDU-Innenpolitik bedurfte jahrelanger Proteste. Aller-dings werden bis 2025 jedes Jahr bis zu 650 Beamte altersbedingt ausscheiden, der Einstellungskor-ridor ist also weiterhin zu schmal. So schrumpft Sachsens Polizei wei-ter vor sich hin, die von der CDU

geschaffene Lücke beim Polizei-Personal bleibt. Bestenfalls kann verhindert werden, dass sie größer wird. Dabei ist längst erwiesen: Mit jedem aufgegebenen Polizei-Stand-ort in der Fläche steigt die Krimina-lität. Eine wirkliche Zukunftsinvesti-tion wäre ein sofortiger Stopp des Stellenabbaus, damit wenigstens die Altersabgänge ausgeglichen werden können. Anstelle von Wer-bekampagnen („Verdächtig gute Jobs!“) sollte der Polizeiberuf durch verbesserte Besoldung, Ausrüstung und Arbeitsbedingungen aufgewer-tet werden. Der Personalmangel bei der Polizei ist aber nicht das einzige sicher-heitspolitische Problem, das der schwarz-rote Haushalt nur halbher-zig anpackt. Erst kürzlich wurde ein Hilferuf der Generalstaatsanwälte laut, wonach Sachsens Justiz mit der Auswertung von Beweismitteln nicht hinterherkommt. Die krimi-naltechnischen Institute in Sach-sen sind zu schlecht ausgestattet und haben zu wenig Personal, ihre alternde Technik erlaubt keine opti-

male und schnelle Verfolgung etwa von Internet-Kriminalität. Hinzu kom-men überlange Verfahrensdauern an den Gerichten, insbesondere an den Verwaltungsgerichten. Auch

hier wird nur zögerlich gehandelt: 36 neue Stellen für Richter und Staatsanwälte vorrangig für die Staatsanwaltschaften und Sozialge-richte, einhundert Spezialisten für Internet-Kriminalität und ganze zwei neue Verwaltungsrichter sollen für reibungslose und schnellere Verfah-ren sorgen. Das kann mit so weni-gen Stellen allerdings kaum gelin-gen, zumal die Besoldungs- und Entlohnungsstrukturen die benötig-ten Experten eher nicht anlocken werden.So bleibt der Haushaltsplan 2015/2016 für den gesamten Bereich der Justiz nur ein finanzpoli-

tischer Feuerwehreinsatz: An Stel-len, wo es so laut knirscht, dass

es kaum zu ignorieren ist, wird etwas mehr Geld investiert.

Auch das sind allerdings nur Symptom-Kuren, Miss-stände werden nicht an der

Wurzel gepackt. Das wäre aber notwendig – im Interesse der öffentlichen Sicherheit in Sachsen und nicht zuletzt von Grundrechten wie der Versammlungsfreiheit.

Ein erklecklicher Teil des Geldes, um das bei Haushaltsverhandlun-gen gestritten wird, landet über das Finanzausgleichsgesetz bei den Kommunen. Kreise, Städte und Gemeinden erbringen Leistungen, die für unser aller Leben wichtig sind: Energie- und Wasserversor-gung, Nahverkehr, Schulwesen, Abfallentsorgung, Kultur und vieles mehr. Das fällt ihnen immer schwe-rer, weil der Freistaat seine Kommu-nen karg ausstattet. Ihre Aufgaben-palette ist stetig breiter geworden, die Einnahmen wachsen aber nicht entsprechend mit. Des-halb machen Bibliotheken, Schwimmbäder oder Jugend-klubs dicht. Gleichzeitig häuft der Finanzminister Jahr für Jahr dreistellige Millionenüberschüsse an. Dabei sollten die Kommu-nen an den Rücklagen des Freistaa-tes beteiligt werden. Beispielsweise könnten sie eine jährliche Investi-tionspauschale von 100 Millionen Euro bekommen, damit sie ihre zum Teil marode Infrastruktur in Ord-nung bringen können. Davon findet sich aber nichts im Haushaltsent-wurf der Regierung, der hinsichtlich der Kommunalfinanzen hinter den Erwartungen zurückbleibt. Beispiel 1: Sportanlagen. Der Breitensport und die Vereinsland-schaft stärken nicht nur die Gesund-heit, sondern auch den Zusammen-

halt. Das ist gerade in Zeiten von „PEGIDA“ wichtig. Dennoch gibt es bei Turnhallen oder Fußballplät-zen einen Investitionsstau, den der Landessportbund auf eine dreistel-lige Millionensumme taxiert. Die Sportstättenförderung soll aber quasi halbiert werden. Schlechte Nachrichten für die Kommunen, denn ihnen fehlen Mittel zum Bau und zur Unterhaltung der Anlagen. Dabei sagt der Koalitionsvertrag: „Wir wollen dafür sorgen, dass auch

in Zukunft Jeder und Jedem flä-chendeckend attraktive Sport-

stätten zur Verfügung ste-hen“.

Beispiel 2: die Jugend-pauschale. Mit ihr unter-

stützt der Freistaat die Landkreise und kreisfreien Städte bei der örtli-chen Jugendhilfe: Jugendarbeit und Jugendverbandsarbeit, Jugendso-zialarbeit, erzieherischer Kinder- und Jugendschutz und so weiter. So erhielt etwa die Stadt Dresden im Jahr 2014 mehr als 1,5 Millionen Euro. Es leuchtet ein, dass solche Angebote für die jungen Menschen wichtig sind, nicht nur für die Frei-zeitgestaltung. Allerdings gilt auch bei der Jugendpauschale die Devise „Vorwärts in die Vergangenheit, aber nur den halben Weg“: 2010 wurde sie von 14,30 Euro pro Kind auf 10,40 Euro gekürzt, nun will man bei 12,40 Euro hängen bleiben.Beispiel 3: Probleme bei der

Unterbringung von Asylsuchen-den. Ob Kamenz, Meißen oder Schneeberg: Überall wird von cha-otischen Zuständen in den Unter-künften geredet. Turnhallen müssen als Notquartier herhalten, Men-schen werden zusammengepfercht, die hygienischen Bedingungen sind oft katastrophal. Dabei ste-hen viele tausende Wohnungen in Sachsen leer. Die Kommunen brau-chen schnell mehr Geld, um diesen Wohnraum nutzbar machen und eine menschenwürdige Unterbrin-gung organisieren zu können. Der Not-Zuschuss von zehn Millionen Euro, den die Staatsregierung nun gewährt, reicht bei ständig steigen-den Flüchtlingszahlen nicht aus. Der Haushalt muss dafür sorgen, dass die Kommunen dauerhaft in Unter-künfte investieren können! Außer-dem sind mehr Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter notwendig, um die oft traumatisierten Flüchtlinge zu betreuen. Der Haushaltsentwurf verspricht für 2015 insgesamt vier Millionen, für 2016 sieben Millionen, um die Kommunen dabei zu unter-stützen. Diese Beträge sind lächer-lich: Allein die Stadt Leipzig veran-schlagt für diese Aufgabe 2015 2,4 Millionen Euro.Nicht zuletzt das Chaos bei der Flüchtlingsunterbringung zeigt: Sachsens Kommunen müssen durch höhere Zuschüsse endlich wieder Luft zum Atmen bekommen!

Baustelle Kommunen: Überforderung nicht nur bei der Flüchtlingsunterbringung

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PARLAMENTSREPORTSeite 4 Februar 2015

ImpressumFraktion DIE LINKE im Sächsischen LandtagBernhard-von-Lindenau-Platz 101067 Dresden

Telefon: 0351/493-5800Telefax: 0351/493-5460

E-Mail: [email protected]

V.i.S.d.P.: Marcel BraumannRedaktion: Kevin Reißig

Wer den Film „Schindlers Liste“ gesehen hat, erinnert sich sicher an die bewegende Schlussszene. Der Unternehmer bekommt von seinen jüdischen Arbeitern, die er vor der Vernichtung rettete, ein besonde-res Dankesgeschenk. In den Ring, gegossen aus Zahngold, das einer der „Schindler-Juden“ beisteuerte, ist eingraviert: „Wer nur ein Leben rettet, rettet die ganze Welt“. Dieser Satz steht in seiner Langfassung – „Wer auch immer ein einziges Leben rettet, der ist, als ob er die ganze Welt gerettet hätte“ – sowohl im babylonischen Talmud, Traktat San-hedrin 37a, als auch im Koran (Sure 5:32). Er ist zugleich das Motto eines Zeitzeugen-Erinnerungsprojektes mit dazugehöriger Ausstellung, das vom Jüdischen FrauenVerein Dres-den e. V. verantwortet wird und das anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz auf unserer Fraktionsetage gastierte. Es portraitiert zehn Frauen, die sich während der Nazi-Zeit für die Ret-tung ihrer verfolgten jüdischen Mit-

bürger einsetzten und dabei ihr eige-nes Leben riskierten. Geschildert wird beispielsweise das Schicksal von Herta und Kurt Fuchs aus Oberpoyritz bei Dresden. Im Frühjahr 1945 klopften die drei pol-nischen Juden Josef Szwajcer, Abra-mek Sztajer und Roman Halter, erst 17 Jahre alt, an ihre Tür. Sie hatten in einem Zwangsarbeiterlager in Dres-den, Schandauer Straße 68, Muni-tion herstellen müssen und waren nach dem Bombenangriff auf einen Todesmarsch geschickt worden, von dem sie fliehen konnten. Es blieb nicht unbemerkt, dass das Ehepaar Fuchs ihnen Unterschlupf gewährte. Am 12. Mai 1945, vier Tage nach dem Ende des Krieges, wurden Kurt Fuchs und Josef Szwajcer mitten im Dorf erschossen, wohl von „zurückflu-tenden SS-Leuten“, wie Herta Fuchs später angab.Der Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE, Rico Gebhardt, dankte dem Verein in seiner Rede zur Ausstel-lungseröffnung und erinnerte an den Jahrestag der Auschwitz-Befreiung: „Den Soldaten der Roten Armee, ja der ganzen Welt wurde gewahr, was bis dahin nur die Opfer und die Täter des Holocaust wussten – und nur wenige Menschen ahnten: Die ganze Dimension des Grauens, der Barba-rei und der Unmenschlichkeit, die mit dem Völkermord im Namen des deut-schen Volkes an den europäischen Juden nicht nur in Auschwitz, aber vor allem dort geschah. Keiner der hierfür geprägten Begriffe wie Geno-zid, Völkermord, Holocaust, Juden-vernichtung u.a. vermögen dieses Ausmaß von Schuld und Entmensch-

lichung, Gewalt und Erniedrigung, Schmerz und Verlust, Trauer und Leid widerzugeben. Es sind vor allem die Bilder, die wir beispielsweise seit dem Besuch der KZ-Gedenkstätten oder nach einem Dokumentarfilm in unserem Kopf haben, von Leichen-bergen, von Folterkellern, von medi-zinischen Versuchen, von Verbren-nungsöfen, die Berge von Brillen, Schuhen, Haaren … Bilder, die uns zutiefst erschütterten, die wir nicht wieder loswerden und die immer vor unseren Augen stehen, wenn das Wort Auschwitz fällt“. Es werde in die-sen Tagen häufig der drohende Unter-gang des Abendlandes beschworen. „Auschwitz ist für alle Zeiten Mahn-mal des absoluten Kollapses aller sogenannter abendländischer Werte, des vollständigen Zusammenbruchs abendländischer Zivilisation“.Gebhardt verwies auch auf die isra-elische Gedenkstätte Yad Vashem,

die den Opfern des Holocaust ein Denkmal setzt, und auf den „Garten der Gerechten unter den Völkern“. Letzterer erinnert an all die muti-gen Menschen, die größte Gefahren auf sich nahmen, um ihre jüdischen Nachbarn oder geflohene jüdische Zwangsarbeiter vor dem siche-ren Tod zu bewahren. Die Liste der „Gerechten unter den Völkern“ ent-hält auch etwa dreihundert deutsche Namen, die sämtlich die Schutzbe-hauptung widerlegten, der Einzelne habe nichts gegen die staatliche Judenvernichtung tun können. Im Gegenteil – Gebhardt: „Es kommt immer auf jeden Einzelnen an“. Möge die Erinnerung wachbleiben – an die Opfer, aber auch an jene, die sich für deren Schutz einsetzten: die zehn Frauen, zahlreiche andere Bürgerinnen und Bürger, und auch – Oskar Schindler und seine Frau Emilie.

Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt

Intershop für Nippes So schnell kann es gehen, und man gehört aus Sicht der CDU nicht mehr zum erlauchten Kreis der hoffähigen Opposition, sondern zu den lästigen Quertreibern. Auf der Tagesordnung der 7. Plenarsitzung stand die Frage-stunde an die Minister. Unsere Frak-tion hatte die Kredite für den Staats-betrieb, zur Zukunftsstrategie und zum Erhalt der Meissner Porzellan-Manufaktur als kulturelles Erbe auf die Tagesordnung gesetzt. Meine erste Frage an den Minister für Finanzen, Georg Unland, lautete denn auch: „Sie stellen in Ihren Pressemitteilungen immer wieder die Wahrung, Pflege und Förderung des bedeutsamen Kultur-gutes der staatlichen Porzellan-Manu-faktur Meißen und deren Identität über die Region hinaus – hört man Meißen, denkt man an Meißner Porzellan – in den Vordergrund. Wie können Sie es vor diesem Hintergrund verantwor-ten, dass aus einem derart wichtigen Kulturgut ein Intershop für Nippes für neureiche Kleinbürger gemacht wird?“ Die Antwort des Ministers war knapp und beschränkte sich auf die Worte: „Das ist eine böswillige Frage, welche ich nicht beantworte“. Der CDU-Abgeordnete Jens Michel fühlte sich daraufhin bemüßigt, eine

Pressemitteilung zu verfassen, Zitat: „Besonders befremdet mich aber ... mit welcher Abschätzigkeit sich Herr Sodann über die Arbeit der Beschäf-tigten der Porzellanmanufaktur geäu-ßert hat. ... Der Sächsische Landtag ist kein Ort für flegelhaftes Beneh-men“. Meine Frage war aber ernst gemeint. Wagen Sie doch einmal einen Blick auf www.meissen.com: Da wird geredet von Meißen Couture 1710. Und kaum ein Wort vom kultu-

rellen Erbe, von der Stadt Meißen, von Identität sowie der 300jährigen Tra-dition der Meißner Porzellan-Manu-faktur, sondern Möbel, Kleider, Kis-sen, Schals, Ringe, Füllfederhalter, Decken, Schneiderbürsten, und diese großenteils produziert im Ausland. Selbst das Markenzeichen, die sich kreuzenden Schwerter, werden im Ausland aufgedruckt. DAS ist kulturlo-ser, flegelhafter Umgang, nicht meine Anfrage.

Dr. Reinhard Fichte (Sprecher der Bür-gerinitiative „Manu in Gefahr“) schrieb in einem Leserbrief an die Sächsische Zeitung: „Gut und richtig, dass Herr Sodann als Abgeordneter des Land-tages diese Fragwürdigkeiten unge-schminkt beim Namen nennt. Damit beleidigt er nicht die Manufakturis-ten, wie es der christliche Demokrat Herr Michel benennt. Nein, er hält mit seinen Worten die schützende Hand über die Künstler und Mitarbeiter“. Genau so habe ich es gemeint.

Franz Sodann, MdL

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Seite 3 Kommunal-Info 2/2015

Demographische Entwicklung und WohnenArbeitsgruppe „Altersgerechter Umbau im Quartier“ nimmt seine Arbeit auf

„Wir brauchen dringend mehr En-gagement für den altersgerechten Um-bau von Wohnungen“, erklärte Inge-borg Esser, Hauptgeschäftsführerin des Spitzenverbandes der Wohnungs-wirtschaft GdW anlässlich der Auf-taktsitzung der Arbeitsgruppe „Al-tersgerechter Umbau im Quartier“ des Bündnisses für bezahlbares Wohnen und Bauen des Bundesbauministeri-ums. Bereits bis zum Jahr 2020 wür-den nach Studien etwa drei Millionen altersgerechte Wohnungen benötigt - das sei mehr als das Vierfache des heu-tigen Bestandes. Daher sei es dringend geboten, das Engagement der Bundes-regierung bei der Finanzierung des al-tersgerechten Umbaus auszuweiten und zu verstetigen. „Es werden unbe-dingt weitere Programmmittel benöti-gt“, so Esser.

Die Wohnungswirtschaft will Vor-reiter sein, wenn es darum geht, älteren Menschen oder Menschen mit beson-derem Unterstützungsbedarf möglichst lange ein selbstbestimmtes Leben in den eigenen vier Wänden zu ermög-lichen. So sollen 2013 rund 350.000 von rund sechs Millionen GdW-Woh-nungen einen barrierearmen oder bar-rierefreien Standard aufgewiesen haben. Das wären 6% aller GdW-Woh-nungen. Bundesweit seien dagegen nur etwa 1,75% - rund 700.000 Woh-nungen - altersgerecht ausgestattet. Zu-dem böten GdW-Unternehmen häufig

spezielle Dienstleistungen und Pfle-geangebote für ältere Menschen an, die zunehmend durch neue technische As-sistenzsysteme ergänzt würden.

Angesichts der dynamischen Ent-wicklung der Zahl der Pflegebedürf-tigen und einer Verdreifachung der Zahl der über 80-Jährigen bis zum Jahr 2050 auf gut zehn Millionen Menschen herrscht großer Handlungsbedarf. „Wir brauchen deutlich mehr barriere-arme Wohnungen“, erklärte Esser. Die-se Herausforderungen müssen über-wiegend über Bestandsanpassungen realisiert werden. Erforderlich seien

�Schwellenreduzierungen, �Badumbauten sowie � zunehmend technische Systeme als

praktische Alltagsunterstützung.Studien zufolge betrage allein der

Mehraufwand, um einen altersge-rechten Wohnstandard für mobili-tätseingeschränkte ältere Menschen zu erreichen, durchschnittlich 7.200 Euro pro Wohnung.

„Es muss einen Masterplan ,Wohnen für ein langes Leben’ geben - und zwar auch für jede einzelne Kommune“, for-derte Esser. Zentraler Bestandteil eines solches Masterplans müsse die finan-zielle Unterstützung kommunaler De-mografiekonzepte sein. Denn auch die kommunale Infrastruktur - also Stra-ßen, Verkehr, öffentliche Gebäude und Dienstleistungen - müsse ergänzend zum Programm „Barrierearme Stadt“ angepasst werden. Der Quartiersbezug spiele dabei eine zentrale Rolle...(www.baulinks.de, 23.2.2015)

Handlungsbedarf für Umbau

Metastudie zur demografischen Ent-wicklung und zum Wohnen im Alter

Das Institut für Bauforschung hat im Auftrag des Bauherren-Schutzbunds im Rahmen einer Metastudie 14 wis-senschaftliche Untersuchungen auf der Basis konkreter Kriterien zum de-mografischen Wandel und deren Aus-wirkungen auf das Wohnen und den künftigen Wohnbedarf vergleichend gegenübergestellt. Der Fokus der Ana-lyse liegt auf den selbstnutzenden Ei-gentümern, die mit 15,6 Millionen Wohnungen 40 Prozent des Wohnungs-marktes repräsentieren.

Als zentrales Ergebnis kommt die Studie zu der Erkenntnis, dass mit einer erheblichen Versorgungslücke an bar-rierefreien bzw. altersgerechten Woh-nungsangeboten für die nächsten 15 bis 20 Jahre zu rechnen ist. 2025 werden demnach mindestens zwei Millionen seniorengerechte neue Wohnungen ge-braucht. Das heißt, dass bis dahin pro Jahr mindestens 100.000 solcher Woh-nungen geschaffen werden müssen.

Derzeit bewohnen 93 Prozent der knapp 12,5 Millionen Seniorenhaus-halte Wohnungen, die nicht speziell auf die Wohnbedürfnisse älterer Men-schen ausgerichtet sind. Dazu gehören vor allem Häuser, die vor dem Zweiten Weltkrieg oder in den 50er und 60er Jahren errichtet wurden. Diese weisen in der Regel zahlreiche Hindernisse und Barrie ren auf. Lediglich 570.000 Wohnungen sollen die Anforderungen an barrierefreies oder barriereredu-ziertes Wohnen erfüllen.

Die Metastudie zeigt weiter, dass der Begriff des barrierefreien Wohnens das komplexe Thema Wohnen im Alter nur unzureichend beschreibt. Relevant seien neben neuen Wohn- und Betreu-ungsformen

� die Infrastruktur, � das soziale Umfeld und � die Pflege.Problematisch ist die gegenläufige

Entwicklung von Einkommen und Wohnkosten samt zusätzlicher Pfle-ge- und Servicekosten, die zu einer Verschlechterung der Lebenssitu ation älterer Menschen führt. Diese Sche-re bewirkt u.a., dass ältere Eigentü-mer nur bedingt in die Anpassung ih-rer Wohnung investieren können. Auch der laufende Unterhalt eines Einfami-lienhauses, das in der Regel einst für

eine größere Familie konzipiert war, gestaltet sich so immer schwieriger. Wurden Immobilien bei Eintritt in den Ruhestand noch einmal saniert, wer-den dann die Ausgaben für die Instand-haltung zurückgefahren.

Deshalb ist ein Großteil der geerbten oder gebraucht gekauften Immobilien sanierungsbedürftig. Hinzu kommt, dass in Regionen, die von Alterung und Abwanderung besonders betroffen sind, der Immobilienbesitz als Wertan-lage oder Alterssicherung seine Funk-tion verliert, da Sach- und Verkehrs-werte zunehmend auseinanderfallen.

FazitWohnen im Alter bedeutet, die ge-

samte Lebenswelt der älteren Men-schen in den Blick zu nehmen. Ein ganzheitliches Verständnis ist notwen-dig. Die Aufgabe besteht nun darin, differenzierte, mittel- und langfristige gesamtgesellschaftliche Handlungsan-sätze zu erarbeiten. Dabei können die in der Metastudie zusammengefassten, wissenschaftlich bewerteten Erkennt-nisse wichtige Impulse für politische Entscheidungen und aktives Han-deln geben. Der demografische Wan-del muss angenommen werden, damit gutes Leben im Alter für alle möglich und bezahlbar wird. Auf die Heraus-forderungen der demografischen Ent-wicklung gibt der Koalitionsvertrag keine befriedigenden Antworten“, be-tont Peter Mauel, 1. Vorsitzender des BSB. „Hier besteht weiterhin für Bund und Länder ein akuter Handlungsbe-darf.“

Kriterien der Auswertung waren un-ter anderem Entwicklung und Ten-denzen des Wohnungsmarktes, der Be-darf an barrierefreiem Wohnraum, die Bezahlbarkeit von Wohnen und Woh-neigentum, das selbstgenutzte Woh-neigentum als private Altersvorsorge, dessen Förderung und Erhalt sowie die Entwicklung im ländlichen Raum.Metastudie zum Herunterladen:www.bsb-ev.de/analysen_und_studien/

Metastudie demografische Entwicklung

Unter Leitung des Leibniz-Insti-tuts für ökologische Raumentwicklung (IÖR) untersucht ein Netzwerk aus deutschen und internationalen Part-nern drei Jahre lang Entwicklungen in einem der wichtigsten Immobili-enmarktsegmente. In vielen Ländern gilt es als das Wohnideal schlechthin – das Einfamilienhaus. In Deutschland machen Einfamilienhäuser zwei Drit-tel aller Wohngebäude aus. Mehr als die Hälfte aller Europäer lebte 2011 in einem solchen und auch in Japan und den USA gibt es mehr Einfamilienhäu-ser als andere Wohnungen.

Doch die Zukunft dieses Immobili-enmarktsegmentes ist ungewiss. Mit Wirtschafts- und Finanzkrisen, de-mografischem Wandel, veränderten Familienkonstellationen und Nut-zungsansprüchen ändern sich auch die Wohnbedürfnisse und finanziellen Möglichkeiten der Menschen. Diese Entwicklungen stellen den Immobili-enmarkt, insbesondere das Segment der Einfamilienhäuser, langfristig vor besondere Herausforderungen.

Was passiert zum Beispiel, wenn die Zahl der Haushalte abnimmt, sich Fa-milienstrukturen ändern, wenn es statt traditioneller Kernfamilien immer mehr Single-Haushalte gibt? Was be-deutet es, wenn junge Leute auf dem Arbeitsmarkt flexibel sein und häufig den Wohnort wechseln müssen? Wie wirkt sich ein Preisverfall am Immo-

bilienmarkt aus, der einerseits dazu führt, dass sich das Wohneigentum als wichtiger Teil der Altersvorsorge nicht mehr rechnet. Der aber andererseits be-günstigt, dass sich auch Menschen ein Haus kaufen können, deren Einkom-men bisher dafür nicht ausreichte? Wie entwickeln sich Gebiete, in denen viele Einfamilienhäuser bereits leer stehen? Und was bedeutet dies für die Kom-munen, die einerseits auf Gebühren für Müllabfuhr oder Straßenbau sitzen bleiben und außerdem an Attraktivität verlieren? Welche Auswirkungen erge-ben sich mit Blick auf Flächennutzung, Energieverbrauch und Bautätigkeit?

Die Wissenschaftler wollen aufzei-gen, welche traditionellen und neu-en Nutzergruppen es für Einfamilien-häuser gibt und wie sich ihre Struktur und ihre Ansprüche an den Wohnraum künftig entwickeln werden. Außerdem soll deutlich werden, welche Auswir-kungen der Wandel auf Nutzerseite für den Bestand an Einfamilienhäusern, die Preisentwicklung und auch die Hö-he des Leerstandes haben könnte. Da-mit verbunden ist die Frage, welche Herausforderung die Entwicklung im Einfamilienhaussektor für Kommunen und die Siedlungsentwicklung allge-mein mit sich bringt und welche Res-sourcen aufgewendet werden müssen. Mögliche Entwicklungsszenarien für Kommunen sollen erarbeitet werden. (www.ioer.de)

Einfamilienhaus in der Krise?

Page 16: Links! Ausgabe 03/2015

Seite 4Kommunal-Info 2/2015

Flüchtlinge unterbringen nach BauGB Von KonrAd Heinze, CHemnitz

Das „Flüchtlingsunterbringungs- Maßnahmengesetz“ ist die zweite Bau-gesetzbuch-Novelle (BauGB-Novel-le 2014 II) des Jahres 2014. Von der Einbringung des Gesetzesentwurf im Bundesrat bis zum Inkrafttreten am 26.11.2014 vergingen kaum mehr als zwei Monate. Angesichts des noch jun-gen Datums fehlt es an Beispielen ak-tueller Rechtsprechung, daher dienen zwei Fachaufsätze als Basis der fol-genden Betrachtung. Grundsätzlich ist das „Maßnahmengesetz“ in das BauGB integriert, gilt also unabhängig von umsetzenden Landesgesetzen un-mittelbar.

In das Dauerrecht aufgenommen wurde die Erweiterung des Kata-logs städtebaulicher Belange nach § 1 Abs. 6 BauGB um die Nr. 13, „Be-lange von Flüchtlingen oder Asylbe-gehrenden und ihre Unterbringung“. Weiterhin ist § 31 Abs. 2 Nr. 1 neu ge-fasst: „ Gründe des Wohls der Allge-meinheit, einschließlich des Bedarfs zur Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden, die Befreiung erfordern“. Beide Neuregelungen sind von klarstellendem Charakter und ver-weisen auf die Notwendigkeit und das besondere Interesse der Berücksichti-gung in kommenden Bauleitplanungen bzw. die Berechtigung der Befreiung von vorhandenen B-Plänen.

Befristet bis 2019 gelten die einge-fügten Abs. 8, 9, 10 des § 246 BauGB.

Abs. 8 beinhaltet die Nutzungsän-derung zulässigerweise errichteter Geschäfts-, Büro- und Verwaltungs-gebäude sowie deren Erweiterung, Änderung, Erneuerung zum Zwecke der Unterbringung Asylsuchender. In Verbindung mit § 34 Abs. 3a entsteht ein Befreiungstatbestand als Erforder-nis des Einfügens in die nähere Umge-bung, insofern diese Abweichung städ-tebaulich vertretbar ist.

Abs. 9 erleichtert die Zulassung der

Unterbringung im Außenbereich, da diese in Rechtsfolge des § 35 Abs. 4 BauGB als teilweise privilegierte Vor-haben gelten. Die einengende Voraus-setzung „innerhalb des Siedlungsbe-reichs“ ist jedoch interpretationsfähig.

Abs. 10 soll die Unterbringung von Asylsuchenden in Gewerbegebie-ten ermöglichen, ist jedoch mit eini-gen Schranken versehen. Sind etwa im B-Plan Anlagen für soziale Zwe-cke ausgeschlossen, erübrigen sich

derartige Vorhaben. Weiterhin gel-ten die entsprechenden umweltrecht-lichen Bestimmungen, insbesondere das Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG). Nun erlaubt die gesetz-liche Änderung Flexibilität, so ver-weist aber Scheidler insbesondere auf die Beteiligungsrechte der Gemeinde und die Notwendigkeit des Einverneh-mens gemäß § 36 BauGB.

Insgesamt ist im Hinblick auf die ge-plante Investitionspauschale im Haus-haltsentwurf der Staatsregierung zu bedenken, dass eventuell umgenutzte Einrichtungen weit länger bestehen werden, als die zugehörige Gesetzesän-derung. Zumal eine „wohnähnliche Nutzung“ nicht ohne weiteres in ei-ne allgemeine Wohnnutzung zu über-führen ist. Weiterhin wäre auch die Signalwirkung zu beachten, wenn Asylsuchende aufgrund der genann-ten Erleichterung „vor den Toren der Stadt“ und außerhalb der Gesellschaft untergebracht werden sollen.

1 Vgl. Krautzberger/Stüer: BauGB-No-velle 2014 II. Erleichterte Unter-bringung von Flüchtlingen , in: DV-BL 2 (2015), S. 73-79 und Scheidler: BauGB-Änderung II – das Flüchtlings-unterbringungs-Maßnahmengesetz, in: APF 2 (2015), S. 33-37.2 Vgl. Krautzberger/Stüer, S. 76 und

Scheidler, S. 34.3 Vgl. Scheidler, S. 37.

Spitzengremien des Deutschen Städ-tetages berieten in Berlin. Städte en-gagieren sich für Integration von Flüchtlingen – Akzeptanz der Bevöl-kerung aufrecht erhalten

Die deutschen Städte sind bereit, in diesem Jahr weitere Bürgerkriegs-flüchtlinge und Asylbewerber aufzu-nehmen und ihre dauerhafte Integra-tion in die Gesellschaft tatkräftig zu unterstützen. Gleichzeitig wollen die Städte aktiv dazu beitragen, die Ak-zeptanz in der Bevölkerung und die Toleranz gegenüber Flüchtlingen auf-recht zu erhalten, die sich in den ver-gangenen Monaten vielfach gezeigt haben. Das machte der Präsident des Deutschen Städtetages, der Nürnberger Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly, nach den Sitzungen von Präsidium und Hauptausschuss des Deutschen Städte-tags in Berlin deutlich. Der kommunale Spitzenverband appellierte an die Län-der, dafür zu sorgen, dass die Mittel des Bundes von jeweils 500 Millionen Eu-ro in den Jahren 2015 und 2016 für die Flüchtlingsversorgung auch vollstän-dig den Kommunen zugute kommen. Vom Bund erwarten die Städte, dass er sich auf Dauer an der Finanzierung der Aufnahme von Flüchtlingen beteiligt.

Städtetagspräsident Maly erklärte: „Viele Menschen, die vor Krieg oder politischer Verfolgung zu uns geflohen sind und noch kommen werden, blei-

ben länger bei uns. Die Städte haben deshalb neben der Aufgabe der Flücht-lingsunterbringung damit begonnen, für die neu angekommenen Menschen Integrationsarbeit zu leisten, also bei der Wohnungssuche behilflich zu sein, Schulunterricht, Sprachkurse und Kin-dergartenplätze anzubieten, bei der Anerkennung von Qualifikationen und der Vermittlung in Arbeit zu helfen und die gesellschaftliche Integration voran-zutreiben. Das ist nicht einfach zu or-ganisieren, muss aber gerade in diesem Jahr angepackt und von allen wich-tigen Kräften unserer Gesellschaft un-terstützt werden.“

Als Herausforderung für das Jahr 2015 sehen die Städte auch das Wer-ben für Akzeptanz in der Bevölke-rung. „Vielerorts gibt es umfangreiche Hilfsangebote aus der Bürgerschaft und treffen sich Runde Tische, um Spenden und Beratungsleistungen für Flüchtlinge zu organisieren. Die Soli-darität ist sichtbar. Aber es gibt auch immer wieder Proteste, wenn neue Standorte für Asylbewerberunter-künfte diskutiert werden. Da geht es um Einstellungen und die in jeder Ge-sellschaft vorhandene Angst vor dem Fremden. Jetzt kommt es darauf an, die Aufnahmebereitschaft der Gesell-schaft zu pflegen, über ihre Grundla-gen auch öffentlich zu sprechen und Ängste abzubauen. Dazu sind alle mo-

ralischen Instanzen, wie Kirchen und Religionsgemeinschaften, Parteien, Gewerkschaften und politische Reprä-sentanten gefragt“, machte Maly deut-lich.

Er warb gleichzeitig dafür, Flücht-linge zu respektieren und vor Frem-denfeindlichkeit zu schützen: Die deut-schen Städte stehen ein für Toleranz und eine menschliche, weltoffene Ge-sellschaft, die die Grundrechte ach-tet. Die Städte wenden sich gegen je-de Form der Fremdenfeindlichkeit, der Diskriminierung von Menschen ande-rer Hautfarbe und des Rassismus. Mei-nungsfreiheit sei zu achten, dürfe aber nicht in Intoleranz oder das Schüren von Ängsten gegenüber Menschen an-derer Nationalitäten umschlagen.

Um Integration der Flüchtlinge in die Gesellschaft zu erreichen, brauche es menschliche und finanzielle Res-sourcen. Deshalb sei es unverzicht-bar, dass die Länder die Bundesmittel zur Flüchtlingsversorgung vollständig an die Kommunen weiterreichen, was zum Teil nicht der Fall sei: Außerdem seien die Kommunen darauf angewie-sen, dass ihnen die Länder mit dauer-hafter Unterstützung des Bundes ihre Ausgaben für Unterbringung, Gesund-heitsversorgung und soziale Leistun-gen für Asylbewerber in vollem Um-fang erstatten.

Die Kommunen wollen sich bei der

Unterbringung von Flüchtlingen be-sonders auf anerkannte Asylbewer-ber, Geduldete und Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention kon-zentrieren können. Im vergangenen Jahr haben rund 203.000 Menschen in Deutschland Asyl beantragt, das ist der höchste Wert seit 1995. Ende Januar waren insgesamt 178.000 Asylverfah-ren anhängig, also noch nicht entschie-den. Deshalb sei es dringender denn je, dass der Bund das Personal zur zügigen Bearbeitung von Asylanträgen weiter aufstocke.

Der Deutsche Städtetag begrüßt in diesem Zusammenhang die Verabre-dung zwischen Bund und Innenmini-stern der Länder, die Asylverfahren für die derzeit stark steigende Anzahl von Asylbewerbern aus dem Koso-vo zu verkürzen und dafür mehr Per-sonal in den Erstaufnahmeeinrich-tungen der vom Zuzug besonders betroffenen Länder (Baden-Württem-berg, Nordrhein-Westfalen, Bayern und Niedersachsen) einzusetzen. Al-lerdings könnten die Ursachen für den Flüchtlingsstrom nur im Kosovo selbst bekämpft werden. „Die Probleme müssten da gelöst werden, wo sie ent-stehen, damit nicht immer mehr Men-schen ihrer Heimat Kosovo den Rücken kehren.

(Dt. Städtetag, 26.02.2015)

Städtetag engagiert sich für Flüchtlinge

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03/2015 Sachsens Linke! Seite 5

Vernetzungstreffen für junge Kommunalpolitiker*innen

Jugend

Ahoi ihr da draußen! Ich bin Marie Wendland und seit 01.01.2015 die Jugendkoordina-torin der Linkjugend Sachsen. Für alle, die mich noch nicht kennen, ein paar Details zu mir. In Leipzig geboren und aufge-wachsen, kam 2008 zur Linksju-gend und bin seit 2009 Mitglied im Beauftragtenrat (seit No-vember auch Schatzmeisterin) und vor allem landesweit orga-nisiert. 2011 verschlug es mich nach Dresden, seitdem wohne und lebe ich hier. Wenn ich nicht hinter meinem Schreibtisch sit-ze, in Sachsen unterwegs bin oder die nächste Veranstaltung vorbereite, verstecke ich mich leidenschaftlich gerne mit ei-nem guten Buch wahlweise auch mit einem kitschigen Lie-besfilm in meinem Bett oder bin an der frischen Luft unterwegs. Durch die mittlerweile schon circa fünf Jahre im Beauftrag-tenrat und die dort gesammel-ten Erfahrungen kenne ich den Jugendverband gut. Im letzten Jahr habe ich als Wahlkampf-

managerin der Linksjugend ge-meinsam mit vielen anderen Köpfen eine großartige Kam-pagne mit dem Titel „Alles was wir wollen ist diese Regierung stürzen …“ entwickelt. Gera-de im Jugendwahlkampf und in Verbindung mit dieser weit aus-strahlenden Kampagne ist mir bewusst geworden, wie viel tol-le Ideen, Engagement und Kraft wir als Jugendverband haben, um die Gesellschaft zu verän-dern. Wir streiten als emanzi-patorischer Jugendverband für eine Welt ohne Rassismus, Anti-semitismus und Sexismus.Als Jugendkoordinatorin möch-te ich dazu beitragen, dass das politische Wirken der Linksju-gend Sachsen weiter wächst und intensiver wird. Ich möchte den Landesverband strukturell unterstützen. Ich will dafür sor-gen, dass der Laden läuft, Tref-fen stattfinden können und der bestmögliche Raum geschaffen wird, in dem neue und tolle Ide-en wachsen können. Ich möchte mit anderen Leuten zusammen organisieren, veranstalten, pla-nen und koordinieren, denn ich bin überzeugt, wir haben noch Großes vor uns.

08.03.2015, 11:00 UhrFrauenkampftag mit sächsi-scher Bündnisdemonstration in Leipzig.

14.03.2015, 11:00 Uhr bis 15.03.2015, 17:00 UhrAwareness-Workshop-Wochen-ende der linksjugend [‚solid] Sachsen.

22.03.2015, 12:00 UhrDresden: Sitzung des Beauf-tragtenrates in der Wahlfabrik.

27.03.2015, 18:00 Uhr bis 28.03.2015Chemnitz: Landesjugendple-num und Landesjugendtag (Vollversammlung der linksju-gend [‚solid] Sachsen).

29.03.2015, 11:00 UhrChemnitz: Vernetzungs-treffen junger, linker Kommunalpolitiker*innen. (In-fos & Anmeldung: www.linksju-gend-sachsen.de).

11.04.2015 –12.04.2015Leipzig: Voraussichtlich Stadtju-gendtag der linksjugend Leipzig.

11.04.2015, 12:00 UhrLeipzig: Sitzung des Beauftrag-tenrates im linXXnet.

10.05.2015, 12:00 UhrDresden: Sitzung des Beauf-tragtenrates in der WahlFabrik.

17.06.2015, 08:00 UhrGedenkstättenfahrt nach Kra-kau und Oswiecim.

Mehr Infos unter www.linksju-gend-sachsen.de

Termine

Gestatten: Marie, neue Jugendkoordinatorin

Von Freitag, dem 27.03.15, bis Samstag, den 28.03.15, finden in Chemnitz aka „Karl-Marx-Stadt“ aka „Stadt der Moderne“ aka „Big C-City“ das Landes-jugendplenum und der Lan-desjugendtag der linksjugend [ solid] Sachsen statt. Das Landesjugendplenum ist die Vollversammlung der Mitglie-

der und Sympathisant*innen der linksjugend [ solid] Sach-sen. Am Freitag gibt es außer-dem ein Socializing-Programm und einen Krypto-Abend, bei dem ihr eure mobilen Gerä-te verschlüsseln könnt. Wie wichtig das sein kann, hat sich jüngst in Leipzig gezeigt, wo die Polizei nach einer Spontan-

demo 150 Handys und Smart-phones beschlagnahmt hat. Was findet sonst noch statt? Kurz gesprochen (das gan-ze Programm und mehr Infos gibt‘s hier: http://gleft.de/NF) beschäftigen wir uns mit PEGIDA & Co., dem anstehen-den Bundeskongress von links-jugend [ solid] (und wählen un-

sere Delegierten), nominieren eine*n neue*n Jugendpoliti-schen Sprecher, präsentieren den Jahresplan des Beauftrag-tenrates und einiges mehr. Am wichtigsten ist für unsere Planung jedoch, dass ihr euch anmeldet. Wo? Wie immer un-ter: https://anmeldung.links-jugend-sachsen.de/

Nach den letzten Kommunal-wahlen sitzen für DIE LINKE wieder mehr als 1.000 Men-schen in den „kommunalen Vertretungskörperschaften“ Sachsens – also in Gemein-deräten, Kreistagen, Stadt-räten und dergleichen mehr. Dabei haben 2014 nicht nur viele junge Menschen in ih-ren Kommunen für ein Man-dat kandidiert, sondern vie-le sind glücklicherweise auch tatsächlich gewählt worden. Damit man mit seinen Ideen, Erfahrungen, Fragen, Proble-men und Erfolgen nicht alleine ist, möchten wir alle jungen,

linken kommunalpolitischen Aktiven und Interessierten zu einem Vernetzungs- und Aus-tauschtreffen einladen.

Wann, Wo & WährungDas Treffen findet statt am Sonntag, dem 29. März 2015 in der Jugendherberge Chem-nitz 1 (Getreidemarkt, 09111 Chemnitz) und dauert von 11:00 bis 18:15 Uhr. Die Teil-nahme kostet Dich nichts und die Fahrtkosten können in Eu-ro bei uns abgerechnet wer-den. Am Freitag und Samstag vorher findet am gleichen Ort übrigens die Vollversammlung

der linksjugend [ solid] Sach-sen statt, so dass du beides einfach kombinieren kannst.

An wen richtet sich das An-gebot?Junge und linke Kommunalpolitiker*innen un-ter 35 Jahre. Dabei ist es egal, ob Du in einem Gemeinde-rat, Stadtrat, Kreistag, Ort-schaftsrat, einem Ausschuss oder Beirat sitzt. Auch Men-schen, die (noch) kein Man-dat haben, sich aber vorstel-len können, mal irgendwann kommunalpolitisch etwas zu reißen, sind eingeladen.

Anreise, Unterkunft und VerpflegungNach Chemnitz kommst Du mit dem Bus, dem Zug, dem Auto oder dem Fahrrad. Der Veranstaltungsort ist direkt im Zentrum und fußläufig sehr gut von der „Zentralhaltestel-le“ erreichbar. Wenn Du schon am Freitag oder Samstag zur Vollversammlung der linksju-gend anreist und dich dort an-meldest, bekommst du auch einen Schlafplatz in der Ju-gendherberge.

Infos & Anmeldung auf www.linksjugend-sachsen.de

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Sachsens Linke! 03/2015 Seite 6

Gleichstellung – ein Überblick

Brief eines Politikmüden

Zahlenfakten

Im Februar 2015 zählt der Lan-desverband der LINKEN ins-gesamt 9.096 Mitglieder, der Frauenanteil beträgt 45%. Seit dem 01.01.2014 bis jetzt sind 285 Eintritte zu verzeich-nen, wobei aber nur 75 Frauen sind (26 %). Diese Zahlen sind nahezu identisch mit denen in vorangegangenen Jahren. Von dreizehn Kreisvorstän-den haben immer noch neun die Quotierung nicht eingehal-ten (2012 waren das ebenfalls neun). Fünf Frauen üben die Funktion der Kreisvorsitzen-den aus, immerhin zwei mehr als noch im Jahr 2012. Die neue Fraktion besteht aus ins-gesamt 27 Personen, wovon 14 weiblich sind. Dem Frakti-onsvorstand gehören sieben Mitglieder an, davon sind drei Frauen.

Was ist zu tun?

08. März – Internationaler FrauentagIn Berlin findet der Internatio-nale Frauen*kampftag statt. Er steht für das Ringen um recht-liche, politische, wirtschaftli-che und kulturelle Gleichstel-lung, sowie für Teilhabe und für ein selbstbestimmtes Le-ben frei von Diskriminierung und Gewalt – gegen die Aus-beutung von Mensch und Na-tur. Mehr als 100 Jahre nach dem ersten Internationalen Frauen*kampftag haben wir noch allen Grund, am 8. März auf die Straße zu gehen. Er-wartungen, Stereotype und Normen zwängen uns alltäg-lich in geschlechtsspezifische Rollen, werten Weiblichkeit ab und Männlichkeit auf. Über die Kategorie Geschlecht wird politische und gesellschaft-liche Macht ungleich verteilt und Menschen werden syste-

matisch ungleich behandelt. Nehmt an der Demo teil oder organisiert eigene Aktionen! Infos findet ihr unter www.frauenkampftag2015.de.

20. März – Equal Pay DayDer Equal Pay Day markiert symbolisch den geschlechts-spezifischen Entgeltunter-schied, der laut Statistischem Bundesamt in Deutschland aktuell 22 Prozent beträgt. Umgerechnet ergeben sich daraus 79 Tage (21,6 % von 365 Tagen) und das Datum des nächsten EPD, der 20. März 2015.Angenommen, Männer und Frauen bekommen den glei-chen Stundenlohn: Dann steht der Equal Pay Day für den Tag, bis zu dem Frauen umsonst arbeiten, während Männer schon seit dem 1.1. für ihre Arbeit bezahlt wer-den. Wir fordern euch auf, auf diesen Missstand aufmerk-sam zu machen. Organisiert euch, macht Veranstaltungen, seid in der Öffentlichkeit prä-sent. Gern könnt ihr die Mate-rialien (Postkarten „My lovely Mr. Singing Club!“ und „Star-ke Frau“) in der Wahlfabrik be-stellen.

Was noch?

Für die nahe Zukunft sollten wir uns darum bemühen, be-züglich der Einhaltung der Quote konsequenter zu sein. Dies betrifft zum einen die Quotierung der Arbeitsgremi-en bei Parteiveranstaltungen und auch bei der Besetzung von Podien, und zum anderen die Quotierung der Kreisvor-stände. Es reicht eben nicht aus, erst kurz vor der Angst – der Wahl des Kreisvorstan-des – Frauen anzusprechen, die kandidieren sollen; es gilt vielmehr, Frauen langfristig in

die regionale Arbeit mit ein-zubeziehen und ihnen auch verantwortungsvolle Aufga-ben zu überlassen – Kaffee-kochen gehört nicht dazu :-)! Als nächsten Schritt wäre es sinnvoll, eine Person aus dem Kreisvorstand zu ernennen, die sich dezidiert mit Fragen der Gleichstellung und femi-nistischer Politik beschäftigt. Gern wird gesagt, dass alle sich mit dem Thema beschäf-tigten, es sozusagen als Quer-schnittsthema begreifen. Beim genaueren Nach- und Hinterfragen, was in diesem Bereich jedoch jedeR Einzelne gemacht hat, wird meist mit Schulterzucken geantwortet. Ein stetiger Kontakt zur kom-munalen Gleichstellungsbe-auftragten und zu regionalen Fraueninitiativen kann dabei ein erster Schritt in eine gute Netzwerkarbeit über die Par-teigrenzen hinaus sein. Claudia Jobst

Zum 12. Mal lobt die Frauen-arbeitsgemeinschaft LISA in Sachsen aus Anlass des In-ternationalen Frauentages am 8. März 2015 den „Lysis-trata-Frauen-Friedenspreis“ aus. Bereits neun Mal konnte der Preis der pfiffigen „Hee-resauflöserin“, denn das be-deutet „Lysistrata“, Name einer Titelfigur des antiken Komödiendichter Aristopha-nes, verliehen werden. Wir rufen deshalb auf, Vor-schläge für eine Preisträ-gerin 2015 einzureichen. Wir suchen Frauengruppen,

Frauenprojekte und einzelne Frauen, die in der Lysistrata-Tradition zum Frieden anstif-ten, zum politischen Frieden zwischen den Kontinenten, Völkern, Kulturen auf unse-rer Erde und zur Gewaltlo-sigkeit zwischen den Men-schen.Die Vorschläge sind mit Be-gründung bis zum 30. Juni 2015 an die Frauenarbeits-gemeinschaft LISA Sach-sen, Kleiststraße 10a, 01029 Dresden oder [email protected] einzureichen.

Frauen-Friedenskampf – uraltes, immer aktuelles Thema

One Billion Rising! - Stra-ßenaktion auf der Prager Straße, Dresden

Tanzen als Akt weltweiter Solidarität! Wer sich von allen menschenfeindlichen Einstellungen und Gewalt-formen abgrenzt und gegen Gewalt an Frauen* weltweit stark machen will, ist will-kommen, etwas zu unserer Kundgebung beizutragen.

7. März 2015, von 16:00 - 18:00 Uhr auf der Prager Straße, Höhe Cafe Borowski.

Lesung und Matinee zum Internationalen Frauentag, Rosa-Luxemburg Stiftung SachsenMit Texten von Malwida von Meysenburg, Hedwig Dohm, Anna Seghers, Bertolt Brecht, Irmtraud Morgner, Christa Wolf, Helga Königs-dorf und Brigitte Reimann. Texte zusammengestellt von Prof. Dr. Klaus Schuhmann, Literaturwissenschaftler

Beginn: 7. März 2015, 14 Uhr RLS Sachsen, Harkortstraße 10, Leipzig.

Mitmachen am Aktions-stand „Frauen kämpfen in-ternational“ AG LISA /DIE LINKE. Chemnitz

Beginn: 7. März 2015, um 10:30 Uhr, Johannisplatz in Chemnitz

Frauen*kampftag Demo in Leipzig

Demonstration gegen All-tagssexismus, Rassismus, Ausbeutung, Homophobie und die als natürlich ange-nommene Geschlechtertei-lung in „Mann“ und „Frau“. Gleichzeitig demonstrieren wir für eine offene Gesell-schaft, in der alle Menschen selbstbestimmt leben kön-nen.

Beginn: 08. März 2015 um 14:00, Clara-Zetkin-Denkmal (Johannapark), Leipzig

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03/2015 Sachsens Linke! Seite 7

Meist ist es so, dass die Bilder von Flucht und Asyl mit Bildern von jungen Männern verbun-den sind. Das verwischt die Re-alität, denn weltweit sind 80 % aller Flüchtlinge weiblich. Frau-en gehen hierzulande, wenn von Flucht gesprochen wird, als „Teil der Familie“ in derselben unter. Ganz selten spielen sie im Kontext von Fluchtursachen ei-ne Rolle, obwohl diese zu keiner Zeit geschlechtsneutral waren. In Kriegen und anderen Kon-flikten hat die Demütigung und Verfolgung von Frauen immer eine besondere Rolle gespielt, wie im Ex-Jugoslawien, wo tau-sende Frauen aus politscher Rache heraus massenhaft ver-gewaltigt wurden, oder im Irak, wo DAASH-Terroristen tausen-de Frauen gekidnappt und ver-sklavt haben. Fluchtursachen sind neben Kriegen und Natur-katastrophen eben auch Verge-waltigung, Zwangssterilisation, restriktive geschlechtsspezifi-sche Gesetze bzw. Sittenregeln (z. B. unverhältnismäßige Stra-fen für weiblichen Ehebruch), Zwangsverheiratung und Geni-talverstümmelung. Dass dies oftmals im Privatbereich statt-findet und von den jeweiligen Staaten toleriert oder unter-stützt wird, macht es Frauen, wenn sie aus diesen Lebensla-gen ausbrechen wollen, dop-pelt schwer: Zum einen als Asyl-

suchende und zum anderen als Frau, deren geschlechtsbezoge-ne Asylgründe weithin ungehört sind. Die Genfer Flüchtlings-konvention von 1951 definiert „Flüchtlinge“ als Personen, die aus begründeter Furcht vor

Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehö-rigkeit zu einer bestimmten so-zialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung ver-folgt werden. Geschlechtsspe-zifische Gründe sind nicht ex-plizit erwähnt. Hinzu kommt, dass im Asylrecht auf staatliche

Verfolgungsgründe in erster Li-nie abgestellt wird. Das lässt sich aber im Falle frauenspe-zifischer Fluchtgründe immer schwer nachweisen, da diese Dinge sich im vorrangig priva-ten Bereich abspielen, obwohl

sie mit offizieller Staatspolitik zu tun haben. Es wäre aber zu kurz gegriffen, frauenspezifische Fluchtgründe könnten laut Genfer Flüchtlings-konvention (GFK) nicht grund-sätzlich anerkannt werden. Die Formulierung der „Zugehörig-keit zu einer bestimmten sozia-

len Gruppe“ lässt Raum für wei-tere Asylgründe ebenso wie das Non-Refoulement-Prinzip, nach dem Menschen nicht in Länder abgeschoben werden können, in denen ihr Leib und Leben be-droht ist.

1984 hat das Europäische Par-lament die besondere Verfol-gungssituation von Frauen fest-gestellt und war damit Vorreiter. Es forderte die Mitgliedsstaaten auf, verfolgte Frauen als eine „soziale Gruppe“ im Sinne der GFK zu betrachten und dement-sprechend in die jeweiligen na-

tionalen Asylverfahren einzube-ziehen. Seit 1995 fordert das Europäische Parlament auch den Rat sowie die Kommissi-on dazu auf, den Beschluss Nr. 73 des Exekutivkomitees des UNHCR, der frauenspezifische Asylgründe in der Auslegung der GFK anerkennt, in europäisches Recht umzusetzen. Die Euro-päische Menschenrechtskon-vention unterstützt dies nach-haltig. Erst 2005 wurden in der Bundesrepublik zumindest for-mal frauenspezifische ebenso wie nichtstaatliche Verfolgungs-gründe anerkannt, die meisten anderen Mitgliedstaaten haben gar keine Regelungen. Trotz des Fortschritts hierzulande muss festgestellt werden, dass die An-wendung dieser Regelung durch andere Regelungen torpediert wird, die grundsätzlich das Asyl-recht außer Kraft setzen, wie das pauschale Flughafenver-fahren, das Prinzip der „siche-ren Herkunftsstaaten“, die Dritt-staatenregelung und die vielen Rückführungsabkommen, mit denen beispielsweise EU-Bei-trittskandidaten „gekauft“ wer-den, um Visaerleichterungen zu bekommen. Insofern bleibt es in den meisten Fällen beim Alten, Frauen müssen auch im Asyl-recht hinten anstehen. Cornelia Ernst, MdEP, Mitglied im Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres

DIE LINKE im Europäischen Parlament

Bereits vor der Geburt eines Kin-des ist eine der häufigsten Fra-gen an die werdenden Eltern: Wird es ein Junge oder ein Mäd-chen? Je nach Antwort ist klar, in welcher Hälfte des Spielzeug- und Kinderkleidungsgeschäfts man sich nach passenden Ge-schenken umsieht: blaue Far-ben, Auto- und Superheldenmo-tive sind dann die Geschenke für die Jungen, rosa Farbtöne, Tierbaby- und Prinzessinnen-motive für die Mädchen. Die Botschaft, die bereits den we-nige Tage alten Babys vermittelt wird, ist klar – Jungen sind „klei-ne Racker“, tapfer und mutig, Mädchen sind hübsch, brav und niedlich. Nach einer Auswahl da-zwischen, Spielzeuge und Klei-dungsstücke, die nicht schon auf Jungen bzw. Mädchen ge-münzt sind, sucht man oft ver-gebens.Die eingeschlagene Richtung in die strikte Trennung von Eigen-schaften und Vorlieben der Ge-schlechter geht im Kindergar-ten weiter. Jungen sollen sich austoben und draußen spielen, Mädchen sollen basteln und im Puppenraum Mutter-Vater-Kind spielen. „Das ist eben ihre Na-tur!“ Aber ist es das wirklich? Ist es nicht viel mehr die Erwartung der Erwachsenen und geprägt

durch das Verhalten, das sie den Kindern gegenüber an den Tag legen? Wie geht es nun Kindern, die eben nicht rollenkonform to-ben oder ruhig spielen, sondern das Gegenteilige bevorzugen oder gar beides wollen? Dann kommen wir schnell zu Beschreibungen wie „die kleine Sabine tobt wie ein Junge“ und „der kleine Markus bastelt wie ein Mädchen“. Schon kommen die Kinder in einen, für sie oft-mals noch unbegreiflichen, Kon-flikt. Sie merken, dass sie mit ihrem Verhalten die Erwachse-nen irritieren. Auf Dauer ist es für Kinder anstrengend, diesen Irritationen und immer wieder fragenden Blicken bzw. Kom-mentaren ausgesetzt zu sein. Es bleibt also entweder die Op-tion, sich immer wieder erklären zu müssen oder sich zu fügen und die von der Umwelt erwar-teten Rollenzuschreibungen an-zunehmen. Doch damit stehen Kindern nur noch die Hälfte an akzeptierten Verhaltensweisen, Spielzeugen und Berufswün-schen und Tätigkeitsfeldern zur Wahl. Mädchen sollen Fürsorge und Haushaltsführung trainie-ren, sich um Puppen kümmern oder in der Kinderküche kochen, Jungen sollen toben und bauen, sich beim Wettrennen messen

und Sandburgen errichten. Die-se Entwicklung fortgesetzt hie-ße, dass Mädchen später vor allem im Fürsorgebereich tä-tig sein werden, z. B. in der Kin-dererziehung, Alten- und Kran-kenpflege und Jungen vor allem Wettbewerb und im produktiven Gewerbe, z. B. als Ingenieure oder Manager. Und siehe da, ge-nau so ist es auch! Die Zahlen in den Berufsfeldern sprechen ei-ne eindeutige Sprache: Im Pfle-ge- und Erziehungsbereich sind in großer Mehrheit Frauen tätig, Ingenieursstudiengänge sehen es als großen Erfolg, wenn die Frauenquote unter den Studie-renden über 10 % liegt.Wenn sich die Vorlieben von Kindern jedoch gar nicht in „ty-pisch Junge“ und „typisch Mäd-chen“ einteilen lassen, bedeutet die Rollenzuschreibung, ihnen die freie Wahl zu nehmen. Die Erwachsenenwelt überträgt ihr zweigeschlechtlich einge-teiltes Weltbild auf die Kinder. Denn was ist tatsächlich ko-misch oder unnatürlich an wil-den Mädchen oder sanften Jungen? An Ritterinnen und ro-sa Prinzen? Wird den Kindern nicht ein großes Stück an Ent-faltungsmöglichkeiten genom-men, wenn die rollenkonformen Entscheidungen bestätigt und

die rollenabweichenden Ent-scheidungen mit fragenden Bli-cken oder gar Sätzen wie „Das gehört sich für einen Jungen/ein Mädchen doch aber nicht“ kom-mentiert werden? Die Antwort ist klar: Ja, es ist eine Einschrän-kung der Entwicklungsmög-lichkeiten und Entscheidungs-freiheiten der Kinder, wenn von vornherein entsprechend ihres Geschlechts lediglich die Hälf-te der Türen offen steht. Und es entspricht auch keineswegs „der Natur“, sondern ist in ers-ter Linie die Folge ihrer Sozia-lisation. Untersuchungen und Studien zeigen eindeutig, dass Kinder sich sehr stark an Er-wachsenen orientieren und auf kritische oder bestätigende Bli-cke durchaus reagieren. Kinder wollen – wie Erwachsene auch – gelobt und gefördert werden. Und wenn Jungen Bestätigung beim Kochen und Mutter-Vater-Kind-Spielen erfahren, ist das für sie eine fördernde Bestäti-gung, ebenso für Mädchen, die Lob für besonders groß gebaute Sandburgen oder für Tore beim Fußballspielen erfahren. Jedoch tun sich Erwachsene ganz offen-sichtlich sehr schwer damit, aus ihren eigenen zweigeteilten Rol-lenvorstellungen auszubrechen und nicht-rollenkonformes Ver-

halten nicht als abweichend zu betrachten. Um diesen Kreis-lauf nicht ewig fortzusetzen, ist es dringend notwendig, aus den einengenden Rollenvorstellun-gen auszubrechen und Kinder – und in der Folge auch Erwachse-ne – in dem zu bestärken, was sie gerne und gut machen, oh-ne durch die Geschlechterbrille zu schauen. Gute Ansätze bie-ten hierbei geschlechtsneutra-le bzw. gendersensible Erzie-hungsansätze, die eben genau das tun: sie lassen Kinder Kinder sein und geben allen Kindern die Möglichkeit, sich im Toben, Bas-teln, Klettern und Kochen aus-zuprobieren, um dann selbst zu entscheiden, welche Tätigkeiten am meisten Spaß machen. Ein weiterer wichtiger Baustein ist eine geschlechtersensible Be-rufsorientierung. Denn Rollen-zuschreibungen entsprechend des Geschlechts engen die Ent-faltungsmöglichkeiten ein und dienen letztlich nur als Platzan-weiser in der Gesellschaft. Sarah Buddeberg, MdL

Perspektiven asylsuchender Frauen in Europa

Prinzessinnen und Ritter: Rollenzuschreibungen sind Platzanweiser

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Page 20: Links! Ausgabe 03/2015

Sachsens Linke! 03/2015 Seite 8DIE LINKE im Bundestag

Sicherheitspolitik – selbstbewusst in die Debatte

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Panzer statt Kita-Plätze?Nun liegt er vor, der Zwischen-bericht zum Kinderförderungs-gesetz. Nun wissen es alle: Das Ziel, das schon im Herbst 2013 erreicht werden sollte, ist noch in weiter Ferne. Trotz des Aus-baus in den vergangenen Jahren fehlen für ein bedarfsgerechtes Angebot immer noch 185.000 Kita-Plätze. Zwar ist das Betreu-ungsplatzangebot gestiegen, aber das reicht immer noch nicht aus. Die Betreuungsquote lag 2014 bei 32,3 Prozent. Es benötigten jedoch 41,5 Prozent der Eltern mit Kindern unter drei Jahren einen Platz.Bundesfamilienministerin Ma-nuela Schwesig kündigte in der Presse an, den Kita-Ausbau weiter vorantreiben zu wollen: „Die Zahlen zeigen, dass das Angebot noch nicht ausreicht.“ Eigenen Angaben zufolge habe sie daher das Sondervermögen für diesen Zweck auf eine Mil-liarde Euro aufgestockt, damit

in den nächsten Jahren 30.000 Plätze zusätzlich eingerichtet werden könnten. Angehoben ist das Sondervermögen allerdings schon lange, aber was passiert überdies? 30.000 Plätze sind im Vergleich zu den fehlenden 185.000 ein Hohn.

Maßnahmen darüber hinaus?

Auf diese Frage bleibt die Re-gierung eine Antwort schuldig bzw. trägt im Bundestag sogar falsche Tatsachen vor. Ebenso schweigt sie sich wohlweislich über die Qualität der Kinderbe-treuung aus. Zu große Gruppen, zu kleine Räume, zu geringe Bezahlung, mit anderen Wor-ten, Arbeitsbedingungen, die nicht zufrieden stellen. Und jede vierte Betreuerin hat laut Anga-ben der ARD keine oder lediglich ein vierwöchige pädagogische Ausbildung. Das wird allerdings von der Regierung bestritten.

Kinder kosten Geld. Das weiß jeder. Und jeder schreit, dass Kinder unsere Zukunft sind. Von daher kann ich nicht nachvollzie-hen, warum nicht in die Zukunft investiert wird. Nötig sind bes-sere Arbeitsbedingungen für die Erzieher und Erzieherinnen und bundeseinheitliche Standards für kostenfreie Mittagessen. All das muss vom Bund finanziert werden, denn unsere Kinder sind eine gesamtgesellschaft-liche Aufgabe. Es sollten überall in Deutschland gleichwertige Bedingungen für das Aufwach-sen von Kindern herrschen.

Was macht die Regierung?

Um sechs Euro will Finanzmini-ster Schäuble das Kindergeld erhöhen, in zwei Schritten: die-ses Jahr noch um vier Euro und 2016 dann nochmal um zwei Euro. Den Kinderzuschlag will er um 20 Euro anheben. Er will an-

geblich damit der Familienmini-sterin ein Entgegenkommen si-gnalisieren. Entgegenkommen? Schäuble sollte endlich aufhö-ren, seine „schwarze Null“ wie eine Monstranz vor sich herzu-tragen und auf dem Weg seiner Prozession die Kinder und damit die Zukunft unseres Landes zu opfern. Aber da wird ja lieber überlegt, ob man die Zahl der Panzer um 20 % aufstockt, und zwei Prozent des Bruttoinlands-produkts sollen in die Rüstung fließen. Das ist die Zukunft, wie Schäuble sie sich wünscht. Alles weitere für Kinder und Familien soll Ministerin Schwesig in ih-rem eigenen Ressort erbringen. Ein Hohn!Sowohl der Kinderfreibetrag als auch der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende müssen deut-lich angehoben werden. Ebenso das Kindergeld und der Kinder-zuschlag. Da sollte man viel-leicht Herrn Schäuble erst nach-

rangig hören. Ich erwarte von der Regierung dieses Landes, dass sie eine Zukunft gestaltet, in der Kinder gesund aufwach-sen können und Familien sich wohlfühlen. Das kann mit Pan-zern und Aufrüstung nicht er-reicht werden. Ich fordere auch, dass endlich einmal ressortü-bergreifend zukunftsweisend gedacht und nicht immer nur im eigenen Brei herumgerührt wird. DIE LINKE fordert Entlastung für Familien und eine qualitativ hochwertige Kinderbetreuung mit gesunder Vollverpflegung, aber keine Panzer, egal ob mit oder ohne Kindersitz.Jörn Wunderlich

Sicherheitspolitik – der Begriff und alles, was damit zu tun hat, ist für viele in unserer Partei im-mer noch ein rotes Tuch. Er wird oftmals als Euphemismus für eine nach Vorherrschaft stre-bende, auch auf militärische Mittel setzende Machtpolitik der westlichen Länder verstan-den. Die Kriege in Afghanistan und die Ausdehnung der NATO nach Osteuropa scheinen dies ebenso zu bestätigen wie die Forderung nach Kampfeinsät-zen der Bundeswehr. Sicherheitspolitik, das ist bis-lang kein linker Begriff. Die Fra-ge ist: Soll sich DIE LINKE über-haupt an Debatten beteiligen, deren herrschender Diskurs al-lein der Diskurs der Herrschen-den zu sein scheint?Einer der Orte, an denen hoch-rangig über Sicherheitspolitik diskutiert wird, ist die Münch-ner Sicherheitskonferenz (MSC), auf der 2014 die For-mulierung von der „aktiveren Rolle Deutschlands in der Au-ßenpolitik“ geprägt wurde. In ihren Anfängen als ‚Internati-onale Wehrkundetagung‘ ab 1963 war sie tatsächlich das Treffen von westlichen Spit-zenpolitikerInnen, Rüstungs-lobbyistInnen und Militärs, als das sie manchen heute immer noch gilt. Sicher, auch in die-sem Jahr, als ich erstmals an der Konferenz teilgenommen habe, wurden die Debatten von westlichen Funktionsträgern dominiert. In München haben Angela Merkel, Frank- Walter Steinmeier und Ursula von der Leyen ebenso geredet wie der amerikanische Vizepräsident Joe Biden oder der seit Jahren in der Ukraine sehr aktive Ex-US-Präsidentschaftskandidat

John McCain. Es waren westli-che Staatschefs, hochrangige PolitikerInnen und Militärs ver-treten, mit deren außen- und sicherheitspolitischen Vorstel-lungen DIE LINKE zumeist nicht übereinstimmen wird. Doch ha-ben an der MSC 2015 auch der irakische Kurden-Präsident Barzani sowie der iranische und russische Außenminister teil-genommen. Nichtregierungs-organisationen wie Green-

peace, Amnesty International oder ONE hatten kritische Bei-träge. Das Forum Ziviler Frie-densdienst thematisierte die internationale Flüchtlingskata-strophe in einem eigenen Pa-nel. Dort wurde – ebenso wie an anderer Stelle beim Thema Klimaschutz – formuliert, dass Frieden nicht allein die Abwe-senheit von Krieg bedeutet und internationale Sicherheit

auch eine soziale und ökolo-gische Frage ist. Selbst in den Beiträgen westlicher Spitzen-politiker waren auf der MSC Unterschiede augenfällig. So widersprachen die deutschen Regierungsvertreter Merkel, Steinmeier und von der Leyen entschieden der von US-ame-rikanischer Seite nicht ausge-schlossenen Option, Waffen an die Ukraine zu liefern. Das alles macht aus der MSC kei-

ne Friedenskonferenz. Doch es zeigt, dass die Wahrnehmung der Konferenz als rein affirma-tives strategisches Treffen der NATO falsch ist. Und es macht eine Tendenz zur Öffnung der MSC und zur Integration ande-rer Stimmen, anderer Perspek-tiven deutlich. DIE LINKE sollte dort in Zukunft ebenso hoch-rangig vertreten sein, wie ande-re Parteien und ihre Positionen

einbringen. Das weist auf die Ausgangsfrage zurück: DIE LIN-KE soll sich nicht nur, sie muss sich an aktuellen sicherheitspo-litischen Debatten beteiligen. Das Politikfeld Sicherheitspoli-tik umfasst zunächst einmal alle Überlegungen, Planungen und Gestaltungsprozesse zur inter-nationalen „Friedenserhaltung, Konfliktverhütung, Krisenbe-wältigung und Kriegsführung“, wie es Wikipedia definiert. Über

deren politische Inhalte und Zielstellungen ist damit noch nichts gesagt. Angesichts der Globalisierung, der Auflösung der alten Weltordnung nach En-de des Ost-West-Konflikts und einer allgemeinen Tendenz zur Entstaatlichung internationa-ler Konflikte ist die Suche nach Bausteinen für eine internati-onale Sicherheitsarchitektur sinnvoll und notwendig. Dieses

Feld darf DIE LINKE nicht der politischen Konkurrenz über-lassen, indem sie sich der De-batte verweigert. Sie sollte ih-re eigenen Vorstellungen einer friedensorientierten Außen- und Sicherheitspolitik einflie-ßen lassen. Tun wir dies nicht, erscheinen die gegenwärtigen sicherheitspolitischen Paradig-men auch in der Öffentlichkeit als alternativlos. Das sind sie nicht. Wie in anderen Politikfel-dern auch ist es unsere Aufga-be, tragfähige Konzepte zu ent-wickeln, die zeigen, dass eine andere Sicherheitspolitik mög-lich ist. Ansatzpunkte dafür sind vor-handen. 2013 erschien das vom LINKEN Außenpolitiker Stefan Liebich herausgegebene Buch „Linke Außenpolitik. Reform-perspektiven“, zu dem unter an-derem Lothar Bisky, Gregor Gy-si und Paul Schäfer beigetragen haben. Sie setzen sich mit den globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts aus linker Perspektive auseinander. Aus dem letzten Jahr stammt der von Paul Schäfer, dem ehemaligen verteidigungspolitischen Spre-cher der LINKEN im Bundestag, herausgegebene Band „In einer aus den Fugen geratenen Welt“. Verschiedene Autoren themati-sieren darin ebenfalls Fragen, die sicherheitspolitisch relevant sind. Beide Veröffentlichungen stehen nicht isoliert für sich, sondern für Diskussions- und Arbeitsprozesse innerhalb der Linksfraktion im Bundestag und der Linken allgemein. Es gilt sie zu systematisieren und auszu-bauen. Wir haben allen Grund uns selbstbewusst an Debatten zur Sicherheitspolitik zu beteili-gen. Michael Leutert

Greenpeace-Direktor Kumi Naidoo bei der MSC

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Die Gründung der ersten Treu-handanstalt

Am 1. März 1990 wurde durch die von Hans Modrow gelei-tete Regierung der DDR ein Beschluss zur Gründung einer Treuhandanstalt (THA) zwecks Umgestaltung der volkseige-nen Betriebe (VEB) gefasst. Die Initiative zur THA-Bildung ging vom Theologen Wolfgang Ullmann, Mitglied des Sprecher-rates der im September 1989 gegründeten Bürgerbewegung „Demokratie Jetzt“ (DJ) aus. In-nerhalb von DJ hatte eine kleine Arbeitsgruppe ein Papier „Zu-kunft durch Selbstorganisation“ ausgearbeitet, in dem gefordert wurde, von dem vorhandenen Volkseigentum dem Staat so-viel wie möglich „zu entwinden“ und den Bürgern der DDR direkt zukommen zu lassen. Die Mo-drow-Regierung hatte sich in ihrem „Regierungskonzept zur Wirtschaftsreform in der DDR“ zwar zum Eigentumspluralismus bekannt. Aber die Umwand-lung von bereits existierendem Volkseigentum war darin nur in Ausnahmefällen vorgesehen.Ab Anfang Februar 1990 verän-derte sich jedoch die politische Situation für die DDR drama-tisch. Die Bundesregierung entschied sich am 6. Februar für den raschen Beitritt der DDR zur Bundesrepublik mittels einer Wirtschafts- und Wäh-rungsunion und forderte dafür „Dominanz des Privateigentums an den Produktionsmitteln“ als „ordnungspolitisches Funda-

ment“ ein. Nunmehr stand für Bürgerbewegung und Modrow-Regierung unerwartet die Frage auf der Tagesordnung, wie unter den veränderten Umständen, angesichts einer nicht mehr in Jahren, sondern in Mona-ten zu erwarteten Vereinigung von Bundesrepublik und DDR mit dem Volkseigentum umzu-gehen sei – für das bald eine Übergangs- bzw. die Bonner

Regierung zuständig sein wür-de. Wolfgang Ullmann trat am 12.2.1990 mit den Treuhand-vorstellungen von „Demokra-tie Jetzt“ an die Öffentlichkeit.

Der Vorschlag, die volkseigene Betriebe zum Volksvermögen zu erklären, sie in Kapitalge-sellschaften (AGs und GmbHs) zu verwandeln und über An-teilscheine die Bürger der DDR zu unmittelbaren Mitbesitzern zu machen, wurde nunmehr als Grundidee sowohl von der Modrow-Regierung als auch von den anderen Bürgerbewe-gungen akzeptiert. Die Über-

zeugung, auf diese Weise einen „Ausverkauf der DDR“ verhin-dern zu können, veranlasste DJ und die meisten anderen Bürgerbewegungen, einen Ver-

ordnungsentwurf der Modrow-Regierung zur Bildung einer Treuhandanstalt zu billigen, als dieser am 26.2.1990 dem Run-den Tisch vorlag. Seine Zustim-mung gab Ullmann, allerdings „nicht ohne Bauchschmerzen“. Hauptkritikpunkt war das Weg-lassen des Vorschlags der Aus-gabe von Anteilscheinen an die Bevölkerung und die Über-tragung der Aufsicht über die

Tätigkeit der THA allein an die Regierung, nicht auch auf die Volkskammer. Am 15. März 1990 konstituierte sich die THA mit der Zentrale in Berlin und

15 Außenstellen in den Bezir-ken der DDR. Das Personal (im Juni 143 Mitarbeiter) stammte aus den Industrieministerien und dem Finanzministerium der DDR. Auf diese Fachleute konn-te auch die nach den Wahlen vom 18. März dem zweiten Ka-binett Modrow folgende CDU-geführte Koalitionsregierung von Lothar de Maiziére nicht verzichten. Bis zur Währungsu-nion wurden 3.600 VEB in AGs bzw. GmbHs umgewandelt. Zu-sätzlich waren seit April von der Treuhand 2.800 meist kleinere, 1972 enteignete Betriebe repri-vatisiert bzw. als Joint Ventures auf den Weg gebracht worden. Das von der THA bis Ende Juni 1990 erreichte Etappenziel der Umwandlung der VEB in Ka-pitalgesellschaften ließ noch offen, wie weit die begonnene Privatisierung gehen und in wel-chen Formen und in welchem Zeitraum sie vollzogen werden sollte. Auseinandersetzungen darüber wurden parallel zum Aufbau der THA von Mitte April bis Mitte Juni zwischen Ostber-lin und Bonn auf Regierungse-bene sowie innerhalb der Frakti-onen der Volkskammer geführt. Das Ergebnis dieser Auseinan-dersetzungen waren angesichts des dominierenden Einflusses des Bonner Finanzministeriums eine de facto zweite Treuhand, die – unter westdeutschem Ma-nagement – das Volkseigentum so vollständig wie möglich an private Bieter aus der Bundesre-publik veräußern sollte. Prof. Dr. Jörg Roesler

Als am 7. März 1945, also vor 70 Jahren, die Provisorische Re-gierung des Demokratischen Fö-derativen Jugoslawien gebildet wurde, war das nur ein Moment in der Geschichte des neuen Jugoslawiens. Der revolutionäre Prozess zur Herausbildung des Staates hatte früher begonnen, nämlich unmittelbar nach dem Überfall Deutschlands auf Ju-goslawien (6. April 1941). We-nige Tage später kapitulierte der Staat. Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt begannen nationale und patriotische Kräfte, den Ok-kupanten Widerstand zu leisten. Davon zeugte die heroische Episode der Partisanenrepublik von Uzice (November 1941). Die Partisanen erhielten Unterstüt-zung durch die Sowjetunion und durch England. Ende 1942 gab es bereits ein geschlossenes be-freites Territorium und es konnte die Republik von Bihac (Bosnien) gegründet werden. Spiritus rec-tor des Ganzen war der Antifa-schistische Rat der Nationalen

Befreiung Jugoslawiens (AVNOJ), dessen Hauptkräfte die Kommu-nisten waren. Auf seiner zweiten Tagung in Jajce (29./30. Novem-ber 1943) bildete der AVNOJ ein Nationalkomitee, das bereits Funktionen einer provisorischen Regierung wahrnahm. Aus die-sem Nationalkomitee entstand die Provisorische Regierung.Nach den Wahlen zur Konsti-tuierenden Versammlung am 11.11.1945, die eine überwäl-tigende Mehrheit für den Rat und damit für die Kommuni-stische Partei ergaben, wurde am 29.11.1945 die Föderative Volksrepublik Jugoslawien aus-gerufen. 37 Jahre lang war es Josip-Broz Tito, der dem Land den Stempel aufdrückte. Er war die überragende Figur im Wider-standskampf gegen die deut-schen Okkupanten, gegen die faschistischen Ustascha-Kämp-fer und die Tschetniks. Während des Widerstandskampfes war er zum Marschall ernannt worden und stand an der Spitze des

AVNOJ. Am 29. November 1945 wurde er Ministerpräsident der Volksrepublik Jugoslawien. Nach der Annahme einer neuen Verfassung von1953 wurde Tito am 14. Januar 1953 in das Amt des Staatspräsidenten gewählt, das er ab 1963 auf Lebenszeit innehatte. Er starb am 4. Mai 1980 wenige Tage vor seinem 88. Geburtstag. Er selbst soll die Kompliziertheit des Aufbaus eines brüderlich-verbundenen, demokratischen Jugoslawiens wie folgt umschrieben haben: „Ich regiere ein Land mit zwei Alphabeten, drei Sprachen, vier Religionen und fünf Nationali-täten, die in sechs Republiken leben, von sieben Nachbarn umgeben sind und mit acht Min-derheiten auskommen müssen.“ Nach Titos Tod hatten viele Po-litiker und Wissenschaftler das Auseinanderfallen Jugoslawien erwartet. Das trat nicht sofort ein, es begann aber ein Prozess des starken Artikulierens natio-naler Interessen durch die Teilre-

publiken. Es kam zu nationalen Anfeindungen und Abspaltungs-bestrebungen. Die alte Titosche Losung „Bratsvo i Jedistvo“ (Brü-derlichkeit und Einheit) war tot. An ihre Stelle trat die Realität bewaffneter Auseinanderset-zungen, trat der Jugoslawien-krieg. Die Teilrepubliken streb-ten, auch unter Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker, ihre Unabhängigkeit an und errangen nach insgesamt rund zehn Jahren währenden, teils brutal geführten Kämpfen die internationale Anerkennung als souveräne Staaten. Was bleibt von Jugoslawien, was bleibt von den hoffnungsvollen Ansätzen der 40er Jahre des vergangenen Jahrhunderts? Es bleibt eigentlich nur die Erin-nerung an den Versuch, einen dritten Weg zwischen Kapita-lismus und Staatssozialismus zu beschreiten und eine dritte Kraft in einer bipolaren Welt zu sein. Die Realität des heutigen Serbien, Kroatien, Slowenien,

Mazedonien und Bosniens-Herzegowina sowie des Kosovo ist eine völlig andere, als sie in den 40er Jahren gedacht und in der Folgezeit – wenn auch sehr unzulänglich – zu realisieren versucht wurde. Das Nationali-tätenproblem, die Überwindung eines wirtschaftlichen Nord-Südgefälles, die Herstellung einer Arbeiterselbstverwaltung (E. Kardelj), die Errichtung ei-ner wahren Volksherrschaft (M. Djilas) – all diese Ziele wurden nicht erreicht. Stattdessen kam es in Jugoslawien zu einem au-tokratischen System mit einem auswuchernden Personenkult. Aber auch vom Begründer die-ses Systems, von Tito, blieb nicht viel: Die Städte, Straßen etc., die nach ihm benannt wa-ren, sind schon lange wieder umbenannt. Sein Grabmal – das Haus der Blumen – in Belgrad wird von der serbischen Füh-rung als Last empfunden. Was bleibt? Fast nichts.Dr. Hartmut Kästner

Geschichte

Vergeblicher Versuch, das Volkseigentum für die Bürger der DDR zu sichern

Was bleibt von Jugoslawien?

Hauptsitz der Treuhandanstalt am Berliner Alexanderplatz. Bild: Andreas Steinhoff

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Leipzig, 7. März, Sonnabend, 14.00 UhrLesung und Matinee zum Inter-nationalen Frauentag***. Mit Texten von Malwida von Mey-senburg, Hedwig Dohm, Anna Seghers, Bertolt Brecht, Irm-traud Morgner, Christa Wolf, Helga Königsdorf und Brigitte Reimann, zusammengestellt von Prof. Dr. Klaus Schuhmann, Literaturwissenschaftler (Leip-zig).RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig

Dresden, 11. März, Mittwoch, 19.00 UhrImpulsreferate und Gespräch. PEGIDA: Zerfall des Mythos von der “Mitte”***. Mit And-rea Hübler, RAA Sachsen e.V. - Opferberatung; Juliane Na-gel, MdL, Sprecherin für Flücht-lings- und Migrationspolitik in der Linksfraktion im Sächsi-schen Landtag; Max Lill, Poli-tologe; Moderation: Steffen Juhran. Eine gemeinsame Veranstal-tung des Europabüro der MdEP Dr. Cornelia Ernst, des WIR e.V. und der Rosa-Luxemburg-Stif-tung Sachsen.WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

Leipzig, 12. März, Donners-tag, 18.00 UhrLeipzig liest. „Verfolger und Verfolgte. Antiziganismus in Ungarn“***. Mit der Autorin Magdalena Marsovszky. Mode-ration: MdL Juliane Nagel.RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig

In Großstädten Europas tau-chen bettelnde obdachlose Roma-Gruppen auf, die offen-sichtlich aus einem südosteu-ropäischen Staat kommen. Von diesem Anblick sprechen viele schnell von „Wirtschaftsflücht-lingen“. Doch wenn das so ist, wie mag es diesen Menschen in ihrem Herkunftsland ergangen sein? Unter welchen Umstän-den haben sie gelebt, dass ih-nen das Dasein auf der Straße in Wien, München oder Berlin erträglicher ist als das Leben zu Hause in den eigenen vier Wän-den? Diesen Fragen ist die Au-

torin nachgegangen und hat die Situation von Roma in Ungarn untersucht.

Leipzig, 13. März, Freitag, 18.00 UhrLeipzig liest. „Begegnungen mit Don Quijote“. Herausgeber Werner Röhr stellt das Werk von Karl Schmückle vor. Moderati-on: Prof. Dr. Klaus Kinner.RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig

Die Ausgabe umfasst die wich-tigsten philosophischen, his-toriographischen und literatur-kritischen Schriften von Karl Schmückle aus den Jahren 1923 bis 1936.

Leipzig, 14. März, Sonn-abend, 14.00 UhrLeipzig liest. „Bruno Apitz. Eine politische Biographie“***. Mit dem Verfasser Dr. Lars Förster, Historiker (Chemnitz).RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig

Leipzig, 14. März, Sonn-abend, 18.00 UhrLeipzig liest. „KARL MARX: ABER WAS HAT ER UNS ÜBER-LASSEN“. Volker Braun im Ge-spräch mit Wolfgang Fritz Haug über den gerade erscheinen Band 8/II des Historisch-Kriti-schen Wörterbuches des Mar-xismus.Galerie KUB, Kantstraße 18, 04277 Leipzig

Die rund 80 Artikel des neuen Bandes dieses „Jahrhundert-werks“ (Oskar Negt) spannen den Bogen von „links/rechts“ bis „Maschinenstürmer“. Doch ins Zentrum platziert das Alpha-bet die Einträge zu Marxismus, Marxismus Lenins, Marxis-mus-Leninismus, Marxismus-Feminismus. Um die Subjekte mit ihren Motiven und Erfah-rungen geht es in Haugs Arti-kel über das „Marxistsein“ als geschichtliche Individualitäts-form.

Leipzig, 17. März, Dienstag, 18.00 UhrVortrag und Diskussion. Droh-neneinsatz – Auftakt zum Ro-boterkrieg der Zukunft. Mit

Norbert Schepers, Politikwis-senschaftler, Politik- und Orga-nisationsberater, Büroleiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung Bre-men. RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig

Dresden, 18. März, Mittwoch, 19.00 UhrVortrag und Diskussion. Der globale Modemarkt oder vom langen Weg bis zu sauberer Klei-dung***. Mit Dr. Bettina Musio-lek, Wirtschaftswissenschaft-lerin, Mitgründerin der Clean Clothes Campaign – Kampa-gne für saubere Kleidung in Deutschland, Gründerin der Al-lianz SACHSEN KAUFT FAIR.WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

Der Textildiscounter Primark symbolisiert, dass Kleidung zu-nehmend als schnelllebiges Wegwerfkonsumgut gilt, das irgendwo auf unserer Erde un-ter oft schlimmen, wenig hin-terfragten Bedingungen her-gestellt wurde. Die Referentin zeigt diese Bedingungen, wie bekannte Markenfirmen von der weltweiten Ausbeutung profitieren und wie KäuferInnen beitragen können, dass es so nicht bleibt.

Leipzig, 19. März, Donners-tag, 18.00 UhrOffener Gesprächskreis. Jour Fixe. Ein unkonventioneller Ge-sprächskreis. Moderation: Prof. Dr. Klaus Kinner, Historiker (Leipzig) und Prof. Dr. Manfred Neuhaus, Historiker, Vorsitzen-der des Wissenschaftsbeirates der RLS Sachsen (Leipzig).RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig

Hier werden frei variierend übergreifende Themen debat-tiert, Publikationen und Projek-te vorgestellt. Johann Sebastian Bach und die Musikstadt Leip-zig sind Thema des Abends.

Chemnitz, 20. März, Freitag, 16.00 UhrVortrag und Diskussion. Arbeit unterm Hakenkreuz. Chemnit-zer Fabrikarbeiter im Zweiten Weltkrieg*** Mit Dr. Karlheinz

Schaller, Historiker (Chemnitz). Eine Veranstaltung des Abgeor-dentenbüros Michael Leutert, MdB und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen.Soziokulturelles Zentrum quer-beet, Rosenplatz 4, 09126 Chemnitz

Ältere Männer, Frauen und Zwangsarbeiter sollten die zum Kriegsdienst Einberufenen er-setzen. Dadurch vollzog sich ein einschneidender Wandel in der Belegschaftsstruktur in Fabri-ken. Das NS-Regime schuf ei-ne skrupellose Maschinerie des Arbeitseinsatzes, die sehr stark vom Rassismus geprägt wurde. Ein Klima der Angst überlager-te den Fabrikalltag, in das aber auch immer wieder Mensch-lichkeit, Mitgefühl und Solidari-tät Breschen schlugen.

Chemnitz, 21. März, Sams-tag, 10.30 UhrVortrag und Diskussion. Becher, Fallersleben, Brecht und die Hymne***. Mit Prof. Dr. Sieg-fried Prokop, Historiker (Bernau bei Berlin). Eine gemeinsame Veranstaltung der Rosa-Luxem-burg-Stiftung Sachsen und des Rothaus e.V. Chemnitz.Veranstaltungssaal Rothaus, Lohstraße 2, Chemnitz

Die Nationalhymne der DDR entstand im Oktober 1949, nach Beschluss 1950 sollte sie zur gesamtdeutsch ange-legten Nationalhymne werden. Im Westen entschied 1952 ein Briefwechsel zwischen Kanzler Adenauer und Bundespräsident Heuss, dass die dritte Strophe des „Deutschlandliedes“ die Nationalhymne der Bundesre-publik wird. Seit 1990 gab es angesichts des von vielen Bür-gern empfundenen Hymnen-Di-lemmas verschiedene Vorschlä-ge für einen „Hymnen-Mix“. Der Diskurs um die deutsche Nati-onalhymne ist auch heute noch nicht beendet …

Dresden, 24. März, Dienstag, 18.00 UhrREIHE: JUNGE ROSA. Das Spiel zwischen Lust und Moneten - Kommerzialisierung im Fuß-ball***. Mit Adam Bednarsky,

Geschäftsführer Roter Stern Leipzig.WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

Dresden, 25. März, Mitt-woch,19.00 UhrVortrag und Diskussion. Grie-chenland nach den Wahlen - neue Hoffnung für ein geplag-tes Volk? Mit Stathis Soudias, Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V.WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

Leipzig, 26. März, Donners-tag, 18.30 UhrREIHE: ROSA L. IN GRÜNAU„denn alle Kreatur braucht Hilf´ von allen …“ – eine Brechtle-sung in vier KapitelnMit Mike Melzer (Chemnitz)Klub Gshelka, An der Kotsche 51, 04207 Leipzig

Die Lesung widmet sich den Ideen und der Gedankenwelt des armen B.B.. In einer Zeit, in welcher der „Klassiker der Ver-nunft“ auf unpolitische Liebes-lyrik (sehr schöne nebenbei) und „klassische Zeitstücke“ be-schränkt wird, will dieses Pro-gramm Texte Brechts mit aktu-ellen Bezügen zu Gehör bringen.

Leipzig, 31. März, Dienstag, 18.00 UhrVortrag und Diskussion. Die Lü-ge –ein legitimes Mittel der Po-litik?*** Mit Dr. Jürgen Stahl (Leipzig). Moderation: Dr. Monika RungeRLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig

Dem moralischen Gebot „Du sollst nicht lügen!“ steht nicht erst heute die Auffassung von der Nützlichkeit der Lüge im persönlichen und politischen Umgang entgegen. Aber kann die Lüge ein Mittel einer auf Emanzipation gerichteten Poli-tik sein? Und welche Relevanz hat sie überhaupt für die Politik, die doch auf die Durchsetzung von Interessen gerichtet ist?

***In Kooperation mit der Ro-sa-Luxemburg-Stiftung: Gesell-schaftsanalyse und politische Bildung e. V.

Rosa-Luxemburg-Stiftung

ImpressumLinks! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt

Herausgebergremium: Dr. Monika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Achim Grunke, Rico Schubert

Verleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sach-sen e. V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden

Namentlich gekennzeichne-te Beiträge geben nicht un-bedingt die Meinung der Re-daktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinn-wahrende Kürzungen vor. Ter-

mine der Redaktionssitzungen bitte erfragen.

Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Drucke-rei GmbH in Cottbus in einer Auflage von 15.150 Exempla-ren gedruckt.

Redaktion: Kevin Reißig (V.i.S.d.P.), Jayne-Ann Igel, Ute Gelfert, Ralf Richter

Kontakt: [email protected] Tel. 0351-84389773

Bildnachweise: Archiv, iStockphoto, pixelio

Redaktionschluss: 27.02.2015

Die nächste Ausgabe erscheint am 02.04.2015.

Die Zeitung kann abonniert werden. Jahresabo 10 Euro incl. Versand.

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Termine

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Seite 7 03/2015 Links!

Uwe Steimles CD: 25 Jahre Kehre – Eine Heimatstunde74:19 Minuten Osten satt – und das Ganze uff gud Sächs‘sch unter dem typischen Steim-le-Stichwort: 25 Jahre Kehre – denn: „Das war keene Wende, das war ne Kehre!“ So sagte es Steimle schon in der Anstalt auf 3sat, als diese noch von Ur-ban Priol und Georg Schramm moderiert wurde. Was ist der Osten 25 Jahre nach dem En-de der DDR? Wenn man Steim-le hört und erlebt, dann steigen längst vergessen geglaubte Er-innerungen auf. Hört man Na-men wie Vaclav Neckar (Kroko-dil Theophil) oder Zsusza Koncz mit den zugehörigen Melodien, sieht man wieder die Bilder im Kessel Buntes. Zumindest trifft das auf die Generation 40plus Ost zu.Die CD „Fourschbar“ wur-de im Leipziger Kabarettkeller der „Academixer“ aufgenom-men und entstammt somit ei-nem Steimle-Heimspiel. Gele-genheit, um „die Zugereisten“ aufzuspießen, die Hausfrau-engesellschaft der „Führungs-kräfte“, die sich mit dem Kauf von „Bio-Birnen“ aus Chile die Zeit vertreiben, während ih-re Männer in den Rathäusern dafür sorgen, dass die alten Dresdner Birnenbäume gefällt – und durch „fruchtlose“ Bir-nenbäume ersetzt werden.Es ist noch ein anderer Aspekt, der einen nachdenklich werden lässt: Wer heute in Dresden Sächsisch spricht wie Steimle, ist ja schon fast ein Widerständ-ler, es fällt nur offenbar keinem

mehr auf. Die Generation der 60er Jahrgänge sprach noch in Sachsen in der Jugend mit gro-ßem Selbstverständnis das hei-matliche Idiom – und verbrach-te die letzten 25 Jahre nach der „Kehre“ damit, es sich abzutrai-

nieren, weshalb Steimle-Hö-ren schon eine Wohltat für die Ohren ist. Denn Heimat hat et-was mit heimatlichen Klängen zu tun – und Sächsisch ist für

den geborenen Ostdeutschen eben nicht die Sprache des grimmig dreinblickenden Gren-zers, sondern es ist die Stimme von Eberhard Cohrs, O. F. Weit-ling, Jürgen Hart und anderen „Kulturschaffenden“ – es ist

die Sprache der Unterhaltung, des Humors, der Gemütlichkeit und vor allen Dingen: der Hei-mat. Und Heimat ging und geht für Ostdeutsche verloren. Milli-

onenfach. Während im Westen viele immer noch den „Verlust“ von Schlesien, Ostpreußen oder dem Sudetenland bedau-ern – das die meisten von ihnen allenfalls als Kleinkinder erlebt haben –, verlassen Jahr für Jahr

Tausende nach dem Studium oder der Ausbildung die Hei-mat zwischen Erzgebirge und Kap Arkona, die ihnen zwar Ausbildung, aber keine Arbeit

geben kann – und so sind nach Steimles Worten viele Veran-staltungen im Westen fast „Ver-triebenentreffen“ – der Neu-Vertriebenen allerdings, die die heimatliche Scholle nicht mehr ernährt. Die Massenabwande-rung hält an – allen „Heimkeh-rerprogrammen“, wie sie gera-de DIE LINKE in Brandenburg auflegt, zum Trotz.Bedenkt man, dass ein Viertel-jahrhundert nach dem Ende der DDR ca. 90 Prozent der Füh-rungskräfte in Wirtschaft und Politik in Ostdeutschland aus dem Westen stammen, so wä-re es in der Tat an der Zeit, eine ganz andere Quote als die Frau-enquote zwischen Rügen und Erzgebirge zu fordern. Nein, Steimle mag zwar Sächsisch reden, aber er spricht in ers-ter Linie dann doch aus der ost-deutschen Seele. Die Lage in Sachsen ist nur symptomatisch für Ostdeutschland. In Sach-sen, einem Land, in dem seit 25 Jahren nur Ministerpräsident werden kann, wer ein Katholik ist und mithin einer Minderheit von 4 bis 5 Prozent angehört – und das im Kernland des Pro-testantismus. Steimle „echau-viviert“ sich „fourschbar“... zum Vergnügen der Hörerin-nen und Hörer aus dem Osten oder mit Ost-Affinität. Da tut es auch nicht so weh, wenn man das Gefühl hat, einiges schon aus anderen Programmen des Kabarettisten zu kennen – ak-tuell ist es allemal. Leider. Die Buschfunk-CD kostet im freien Handel unter 15 Euro.Ralf Richter

„Fourschbar“ oder der Osten in unsRezensionen

Im eben erst vergangenen Jahr 2014 dominierte der Aus-bruch des Ersten Weltkriegs vor hundert Jahren unseren Er-innerungshorizont. Der rwan-dische Genozid, der vor 20 Jahren stattfand und bei dem fast eine Million Menschen bin-nen 100 Tagen getötet wurde, blieb dagegen weitgehend un-beachtet. Dieser Lücke des Gedenkens hat sich der Ver-lag Das Wunderhorn mit der Übersetzung von Scholastique Mukasongas im Original 2012 erschienenem und mit dem Prix Renaudot ausgezeichne-tem Roman „Notre-Dame du Nil“ angenommen. Die Auto-rin wurde 1956 in Rwanda ge-borenen und musste schon in ihrer Kindheit die Gewalt und Demütigungen des ethnischen Konflikts in Ruanda erfahren. Mit 17 Jahren ging sie nach Bu-rundi ins Exil. Ein Großteil ihrer Familie fiel dem Völkermord in Ruanda 1994 zum Opfer. Sie lebt heute mit ihrer Familie in der Normandie. Der Entwicklungsroman „Die Heilige Jungfrau vom Nil“ spielt

nicht während des Völkermor-des, sondern schildert den Schulalltag an einem katholi-schen Mädchenpensionat in Ruanda der 1970er Jahre, zwei Jahrzehnte vor dem Genozid. An dieser Schule hoch oben im südwestlichen Bergland, un-weit einer der Nilquellen, ler-nen die Töchter ranghoher Po-litiker, Militärs, Geschäftsleute und Diplomaten, aber auch die mittelloser Bauern unter stren-ger katholischer Aufsicht. Doch die scholastische Idylle trügt. Ruanda ist seit einigen Jahren unabhängig, und mit der sozialen Revolution haben sich auch die einstigen Machtver-hältnisse zwischen den Tutsi und den Hutu zugunsten der Hutus verschoben. Eine gesell-schaftliche Veränderung, die auch im Bildungswesen ihre Folgen zeigt. Der Zugang zum Bildungssystem ist für Kin-der der Tutsi durch eine Quo-te, schon oft Quell ewigen Un-friedens, geregelt. Doch für die Schülerin Gloriosa, eine Hutu, ist das noch nicht genug: „Auf zwanzig Schülerinnen zwei

Tutsi, das ist also die Quote, und wegen der haben Freun-dinnen von mir, echte Ruan-derinnen vom Hauptvolk, dem Volk-der-Hacke, in der Schule keinen Platz mehr bekommen“. Die Schule wird zum Mikrokos-mos, in dem sich die Mechanis-men der Gewalt und des Has-

ses spiegeln, und entlarvt den ethnischen Wahn und die kolo-nialen Altschulden. Die Schü-lerin Modesta, die selbst halb

Hutu, halb Tutsi ist, sagt zum Ursprung des Rassenwahns: „Dass es in Ruanda nun mal zwei Rassen gab. Oder drei. Das haben die Weißen gesagt, sie haben es herausgefunden. Sie schrieben es in ihren Bü-chern. Gelehrte kamen ext-ra dafür angereist, maßen alle Schädel“. Aber auch nach der Unabhängigkeit sind es Euro-päer wie Pater Herménégilde, der belgische Anstaltsgeist-liche, der in antisemitischer Weise gegen die Tutsi hetzt, die für ihn wie „die Juden“ seien. Doch bevor der mörderische Hass in seinem unausweichli-chem Pogrom mündet, erzählt die Autorin, ermöglicht durch die gewählte Schreibform des Tagebuchs, wunderbare Ge-schichten über das ‚normale‘ Leben ruandischer Mädchen. Über eine Schülerin, die zu ei-ner Regenmacherin geht, da-mit diese ihr ein spezielles Lie-bespuder für ewige Treue ihres motorisierten Freundes ab-mischt. Das belgische Königs-paar, das seine einstige Kolo-nie mit einer Visite beehrt, der

zairische Botschafter, dessen liederliches Treiben mit einer Schülerin die Mutter Oberin geflissentlich übersieht, aber auch die bekannte Gorilla-For-scherin Dian Fossey und der deutsche Fotojournalist Ro-bert Lebeck umkreisen das Ge-schehen an der Mädchenschu-le wie bunte Himmelskörper. Scholastique Mukasonga ist ein packender Roman voll un-erträglicher Spannung gelun-gen. Sie hat unter dem trügeri-schen Schutz einer Schwarzen Madonnenstatue einen Ort des Friedens geschaffen, der nach und nach vom Hass gefangen genommen wird. Es graut ei-nem beim Lesen, wenn man sich daran erinnert, dass das Entsetzliche, das dann los-bricht, sein exaktes Vorbild in der Realität hat.Andreas Haupt

Scholastique Mukasonga: Die heilige Jungfrau vom Nil. Aus dem Französischen von And-reas Jandl. Verlag Das Wunder-horn, Heidelberg 2014. 24,80 Euro.

Ruandas Sturz in den Genozid

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Page 24: Links! Ausgabe 03/2015

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Der am 20. Januar 1940 in Dip-poldiswalde geborene Klaus von Wrochem wurde schon als Kind mit der klassischen Musik kon-frontiert. Besonders das Spiel auf der Violine hatte es ihm an-getan. 1960 begann er folgerich-tig ein Studium an der Musik-hochschule Köln, bevor er sich der moderneren Klassik wid-mete und bei Karl Heinz Stock-hausen und Mauricio Kagel stu-dierte. Acht Jahre später ging er in die USA, wo er sich der zeit-genössischen Komposition der Avantgarde zuwendete. So hatte er eigentlich sehr po-sitive Voraussetzungen für ei-ne glänzende Künstlerkarrie-re, wäre er nicht von der in den Endsechzigern entfachten Hip-piekultur sowie der aufkom-menden Protestbewegung ge-gen den Vietnamkrieg infiziert worden. Er zog einen Schluss-strich, kehrte 1970 nach Köln zurück, wohnte in einer Kommu-ne und beschloss, niemals wie-der als Sinfoniker in Konzertsä-len aufzutreten. Es trieb ihn auf die Straße, auf den Boulevard und auf die „Dom-Platte“, um Straßenmusik zu machen. Seine Botschaft hieß von nun an: Puris-tisch politische Klarheit mit radi-kaler Sprache in der Tradition der alten Bänkelsänger. In den Sieb-zigern und Achtzigern wurde das Straßenbild zumindest in den Großstädten der BRD von einer neuen Form der Straßenmusik geprägt. Handelte es sich in den Fünfzigern und Sechzigern meist um bettelnde, oft kriegsversehr-te Harmonikaspieler, die harm-lose Schlager über Bierseligkeit

sowie Seemannsschnulzen zum Besten gaben, entwickelte sich nun eine ernstzunehmende Qua-lität der Asphaltkunst. Ihre Tex-te, die hauptsächlich solistisch mit Gitarrenbegleitung gesun-gen wurden, gewannen rasch an politischer Bedeutung. Opposi-tionelle Soldatenlieder, die der 48er Revolution oder Songs ge-gen Atomkraft waren beliebt.Die neue Musikantengeneration

begann eine Rebellion gegen die kaufrauschsüchtige Hektik und Alltäglichkeit der geleckten Sau-berkeit vor den Supermärkten. Die meist ungehobelt vorgetra-genen Couplets wurden frecher, voller Spott und Sozialkritik, sie schockierten, provozierten und irritierten, veranlassten den ein-fachen Straßenpassanten, in-nezuhalten, zuzuhören und – je nach Originalität der jeweiligen Performance – nachzudenken. Viele Akteure bewiesen, dass

man auch ohne elektrische Ver-stärkung, englischen Singsang und Hochschulabschluss Mu-sik machen konnte, dass selbst Jugendliche und Hörer, die zum ersten Mal mit dieser Musizier-weise konfrontiert wurden, ein kleines Stück anderes Bewusst-sein mit heimnahmen. Auch gründeten sich erste Straßen-musikensembles mit außerge-wöhnlichen Namen, wie z. B.

„Mobiles Einsatz Ohr Kester Bo-chum“, „Schrott und Spott“ aus Franken oder „Die 3 Tornados“. In diesem Umfeld wurde „Klaus der Geiger“, wie von Wrochem sich nunmehr nannte, prompt bekannt, zumal er auch in Stu-dentenklubs sowie in Jugend-zentren auftrat. Er verstand es, bekannte Melodien, die haupt-sächlich aus der Klassik-, Rock- oder Folkmusik stammten, mit aktuellen, aggressiven und poin-tierten Texten zu unterlegen.

Ebenso bevorzugte er Schla-gerparodien, die so manchen Passanten zu faszinieren ver-mochten. Konfrontationen mit Ordnungshütern blieben freilich nicht aus. Unangemeldete Auf-tritte wurden geahndet, so ge-schehen 1971 in Nürnberg: Weil Klaus der Geiger sich der Poli-zei widersetzte und nach ihrem Straßenverweis auf Wunsch des Publikums weiterspielte, kam es

zu einem Handgemenge, er wur-de verhaftet. Aus Protest trat er in den Hungerstreik. Nach seiner Entlassung zog er fünf Jahre lang durch die Lande, wohnte im Bau-wagen, in Kommunen und Hüt-tendörfern. Er beteiligte sich an Demonstrationen gegen Atom-müll-Transporte, war bei Streiks und Hausbesetzungen aktiv, gab Konzerte für Obdachlose, sang und spielte gegen Neonazis, Im-mobilienhaie, Wohnungsspeku-lanten, Umweltverschmutzung

und Rassismus. Auch interna-tional war er präsent. Im Jahr 2000 gab er zusammen mit dem Straßenmusikensemble „Ru-kiwerch“ in der weißrussischen Hauptstadt Minsk ein verwege-nes kleines Konzert an den Pfor-ten des Regierungspalastes. Bei den brisantesten Protestakti-onen gegen Maßnahmen des westlichen Militärs wie in Jugos-lawien, im Irak oder in Afghanis-tan war Klaus der Geiger stets zugegen. Und wenn sich die Ge-legenheit ergab, war er an Orten, die im Fokus des Weltgesche-hens standen, wie beispielswei-se die Anti-Atomkonferenz (ikk) 2003 oder der G8-Gipfel in Heili-gendamm 2008, selbstverständ-lich ebenfalls singend vor Ort. In den letzten Jahren befasste er sich mit der klassischen Musik und interpretierte Werke von Bach, Schostakowitsch oder Bartok. Ab und zu agitiert er wei-terhin auf den Straßen, manch-mal unterstützt von seinen Kin-dern oder dem Trio „Drei Geiger unter euch“. 2011 erhielt er den deutschen Weltmusikpreis „Eh-ren-RUTH“, überreicht während des Tanz- und Folkfestivals in Rudolstadt. Eine Hommage an Karl Valentin und Liesl Karstadt, gemeinsam erarbeitet und auf-geführt mit seiner Tochter Ant-je von Wrochem, sowie ein As-tor-Piazzolla-Programm mit dem Gitarristen Marius Peters 2014 bestätigen seine künstlerische Vielfalt. Am 20. Januar 2015 fei-erte Klaus von Wrochem seinen 75. Geburtstag. Wir gratulieren nachträglich ganz herzlich!Jens-Paul Wollenberg

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Klaus der Geiger – bekanntester „Straßenpaganini“ Deutschlands

„Es war alles falsch, es waren unsere besten Jahre“„Es wird nie ein Mensch flie-gen“, so behauptet überzeugt der Bischof gegenüber den Leu-ten – nachdem der „Schneider von Ulm“ beim Versuch, das Ge-genteil zu beweisen, auf dem Pflaster zerschellt ist. So je-denfalls in Bert Brechts gleich-namiger Ballade. Nun, es haben trotzdem immer wieder Men-schen versucht. Und auch wenn nicht der Mensch selbst fliegt, sondern von ihm beherrsch-te Maschinen, ist der Bischof längst widerlegt. Der Mensch fliegt. Und nur dann, wenn seine Maschinen versagen, zerschellt er weiterhin am Boden.„Der Schneider von Ulm“ ist der Titel einer endlich auch auf Deutsch erschienenen Mono-grafie über die Kommunistische Partei Italiens von Lucio Magri. Übersetzungen des 2009 ver-öffentlichten Bandes liegen seit Jahren vor. Es ist bezeichnend für den Zustand der deutschen Wissenschaft und des deut-schen Verlagswesens, dass die jetzt vorliegende Ausgabe nur durch die finanzielle Unterstüt-zung etlicher Wissenschaftler

sowie der Rosa-Luxemburg-Stiftung im renommierten Argu-ment-Verlag erscheinen konnte. Der britische „Guardian“ urteilt in seiner Rezension: „Manch-mal spürt man den Schmerz eines Menschen, der sein Le-ben lang für ein besseres Itali-en gekämpft hat, um schließ-lich einem so lächerlichen Widersacher wie Silvio Berlus-coni gegenüberzustehen – be-siegt nicht etwa von den Mas-sen, sondern von den Märkten“. Man könnte sich wohl kaum ei-nen kundigeren Analytiker des Scheiterns der einstmals mit Abstand größten Kommunisti-schen Partei in Westeuropa vor-stellen. Lucio Magri hat die Ge-schichte dieser Partei ein Leben lang mitgestaltet. In leitenden Funktionen ebenso wie auch als Ketzer, als ihm die Parteili-nie untragbar zu werden schien. Das Resultat seiner Dissidenz war im Jahr 1971 die Tageszei-tung „Il Manifesto“, die – trotz erheblicher finanzieller Schwie-rigkeiten – im Gegensatz zur KP bis heute überlebt hat. Mit Ma-gri gemeinsam gegangen waren

führende Intellektuelle der Par-tei wie Luigi Pintor und Rossa-na Rossanda. Gelesen wurde ihr Blatt aber weiterhin auch in Kreisen der KPI, denn Teile des Jugendverbandes und einzelne Parteigliederungen, aber auch die linke Metallarbeitergewerk-schaft und linke Intellektuelle teilten die Kritik der Gruppe um „Il Manifesto“. Aus der Zeitung, die so tatsächlich kollektiver Or-ganisator wurde, entstand 1974 die „Partei der proletarischen Einheit für den Kommunismus“. Am Gründungsparteitag nah-men Vertreter fast sämtlicher Befreiungsbewegungen aus der so genannten Dritten Welt teil. Lucio Magri wurde der General-sekretär. Ein wesentliches Ziel bestand seit Anbeginn darin, die eigene Existenz überflüssig zu machen. Dies wäre dann erreicht, wenn die KPI ihre wesentlichen Fehler korrigiert hätte und innerpar-teiliche Demokratie umgesetzt würde. In wohl allen anderen Ländern wäre eine solche Ab-spaltung von der hegemonia-len Kommunistischen Partei

als Feind behandelt worden. Es ehrt die KPI, dass sie diesen üb-lichen Weg nicht gegangen ist. 1984 bot Enrico Berlinguer, da-mals Generalsekretär, die Rück-kehr in die Mutterpartei an. Das Angebot wurde angenommen, wichtige Personen der Gruppe wie Lucio Magri in wichtige Lei-tungsfunktionen kooptiert.Doch war es bereits zu spät, um wirksam den Kurs zu än-dern. 1991 folgte die schmäh-liche Selbstauflösung der Par-tei. Magri und der Kreis um ihn stimmten gegen diesen Schritt. Anschließend organisierten sie sich in der neuen „Partei für die Kommunistische Neugrün-dung“ (PRC) sowie in der Frie-densbewegung. Um schließlich auch das Scheitern der PRC er-leben zu müssen.Als im vergangenen August bei der europäischen Sommeruni-versität von Attac in Paris Wis-senschaftler_innen aus zahl-reichen Ländern bei einem Workshop über das Erstarken rechter Parteien auf dem Sub-kontinent debattierten, wur-de von etlichen Teilnehmen-

den die eklatante Schwäche einer linken außerparlamenta-rischen Bewegung und der lin-ken Parteien als eine Ursache dafür benannt. Sichtbar un-ruhig dabei wurde der Italie-ner Matteo Albanese. Er merk-te schließlich an: „Ihr jammert auf hohem Niveau. In Italien gibt es schon längst keine Lin-ke als gesellschaftliche Kraft mehr“. Lucio Magris Buch un-tersucht und schreibt also die Geschichte eines Scheiterns. Sachkundig und schonungslos gegenüber der eigenen Partei wie auch gegenüber der kom-munistischen Bewegung insge-samt. Und doch wird sein histo-rischer Optimismus bereits im Buchtitel deutlich. Der „Schnei-der von Ulm“ ist zwar nicht ge-flogen, aber der Mensch fliegt doch. Der Kapitalismus, davon war auch der greise Lucio Mag-ri zutiefst überzeugt, wird nicht das Ende der Geschichte sein.Volkmar Wölk

Lucio Magri: Der Schneider von Ulm; XXIII + 458 S., Hamburg: Argument, 2015, geb., 46 Euro.

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