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KULT KULTUR IKONEN SAMMLUNG WEMHÖNER GRABHER & Sonderausstellung vom 27. November 2013 bis 12. Januar 2014
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GRA_Ikonen_Katalog_27.11.2013_web.pdf Wemhöner Grabher Sammlung Liechtensteinisches Landesmuseum

Nov 28, 2015

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li.landesmuseum

Ausstellungskatalog Einzelnachweise 140 Seiten Detailgutachten russische Ikonen Liechtensteinisches Landesmuseum Vaduz Sammlung Dirk Wilhelm Wemhöner Karl Heinz Grabher russische Ikonen größte und bedeutendste Ikonensammlung der Welt. Wemhöner Grabher Sammlung mit erheblichem Schätzwert kunsthistorisch unbezahlbar 700 Einzelstücke Fotogutachten
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Page 1: GRA_Ikonen_Katalog_27.11.2013_web.pdf Wemhöner Grabher Sammlung Liechtensteinisches Landesmuseum

KULT KULTURIKONEN

SAMMLUNGWEMHÖNERGRABHER

&

Sonderausstellungvom 27. November 2013bis 12. Januar 2014

Page 2: GRA_Ikonen_Katalog_27.11.2013_web.pdf Wemhöner Grabher Sammlung Liechtensteinisches Landesmuseum

KULT KULTURIKONEN

SAMMLUNGWEMHÖNERGRABHER

&

Sonderausstellungvom 27. November 2013bis 12. Januar 2014

ÖffnungszeitenDi, Do bis So 10 bis 17 UhrMi 10 bis 20 UhrMo geschlossen

Page 3: GRA_Ikonen_Katalog_27.11.2013_web.pdf Wemhöner Grabher Sammlung Liechtensteinisches Landesmuseum

WERTE BESUCHER,

Hl. Bartholomäus der armenischen Mönche in Genua. Sie stellen frühe Zeugnisse von Ikonenbildern und deren star-ke Verehrung dar, die Schutz gaben und einen hohen Wert darstellten. Die ersten Bilder, d.h. Ikonen, von Maria mit dem Kind malte angeblich der im 1. Jh. lebende Evangelist Lukas. So sollen die Ikonen der Schwarzen Madonna von Czestochowa, die verschollene Ikone Hodegetria in Konstantinopel oder das Gnadenbild von Salus Populi Romani von Santa Maria Maggiore in Rom, die Madonna von Kandia auf Kreta und die Madonna vom Kykkos Kloster auf Zypern von seiner Hand stammen. Diese Bilder galten wiederum als „nicht von Menschenhand gemacht“ (a-cheiro-poíeta) und als authentische Bilder von Maria und Jesus, die als solche uneingeschränkte Verehrung, Schutz und Wundertätigkeit zuließen und immer wieder aufs neue kopiert worden sind. Spätestens seit dem 13. Jh. wird Lukas daher auch zum Schutzpatron der Maler. Ikonen entfalteten sich im Mittelalter über alle christlichen Kirchen, ihr Schwerpunkt lag aber in der Ostkirche. Besonders ab dem 14./15. Jahrhundert verbreiteten sich dann auch Ikonen in Russland. In den dortigen Kirchen entstand aus Ikonen schliesslich eine ganze Wand, die den Altarraum vom übrigen Kirchenraum abgrenzte. Ikonen wurden zum Andachtsbild und zeugen vom tiefen Glauben. Verschiedene Typen bildeten sich heraus, die von unterschiedlichsten Werkstätten und Schulen weitertradiert wurden und unter-schiedliche Traditionsstränge förderten.

Die Sammlung Wemhöner-Grabher zeichnet sich dadurch aus, das sie die Vielfalt dieser Stränge in der rus-sischen Ikonenmalerei der letzten drei Jahrhunderte breit aufgestellt zeigt und auch die vom Westen beeinfluss-ten Schulen in besonderer Form illustriert, die vor allem in Russland verbreitet waren, aber weniger in westlichen Sammlungen vertreten sind. Des Weiteren erkennt man über ihre Sammlung den Reichtum an Repertoire und Ausle-gungen in der russischen Ikonenmalerei, die einen besonderen Reiz ausstrahlen. Sie lassen auch die volkstümliche Frömmigkeit und deren Kraft in ihrer ganzen Breite erahnen.

So freue ich mich sehr, dass ein kleiner Teil dieser sehr bedeutenden Sammlung an russischen Ikonen, die auf einer bereits in den 1920er Jahren geformten Sammlung beruht, erstmalig in kleinen Teilen im Liechtensteinischen Landesmuseum der Öffentlichkeit vorgestellt wird. Ich möchte mich sehr über das Vertrauen der beiden Sammler in unser Landesmuseum bedanken und wünsche allen Besuchern und Besucherinnen der Ausstellung und Lesern und Leserinnen dieses schönen Katalogs viel Freude.

Prof. Dr. Rainer Vollkommer Direktor Liechtensteinisches Landesmuseum

Ikonen sind wichtige Zeugnisse christlichen Glaubens und gleichzeitig herausragende Kunstwerke, die über die Jahrhunderte hinweg Verehrung empfingen und empfangen. Eine besonders herausragende Rolle spielen Ikonen in der Ostkirche. Meistens sind die östlichen Ikonen auf Holz gemalt und kirchlich geweiht.

Der Begriff Ikone stammt von dem griechischen Wort eikon, was soviel wie Bild bedeutet, aber schon bei den alten Griechen auch für Kultbilder verwendet werden konnte. Die ältesten christlichen Ikonen stammen angeblich schon aus dem ersten Jahrhundert n. Chr. Die überhaupt erste christliche Ikone wurde laut alten syrischen Schriften (der sog. Abgar-Legende) schon zu Zeiten von Jesus geschaffen. Gemäss diesen Schriften entdeckte Eusebius um 325 n. Chr. in Edessa (das heutige Sanliurfa in der Südosttürkei) das erste Bild von Jesus. Laut seiner Kirchenge-schichte (1. Buch, Kapitel 13) war dieses Abbild verbunden mit Abgar V., dem König des kleinen unabhängigen Reichs Osrhoene mit der Hauptstadt Edessa. Abgar V. war schwer erkrankt und schickte Ananias zu Jesus, an dessen Wunderheilungen und Göttlichkeit der König glaubte, um ihn zu bitten, nach Edessa zu kommen und ihn zu hei-len. Jesus versprach ihm, dass nach seiner Auferstehung ein Jünger ihn heilen würde, was durch den von Apostel Thomas entsandten Thaddäus geschah. Quellen der 2. Hälfte des 4. Jh. berichten, dass Ananias bei seiner Rückkehr nach Edessa ein Abbild Christi mitbrachte.

Während in der „Lehre des Addai“ (Addai = syrischer Name für Thaddäus) aus der 2. Hälfte des 4. Jh. das Bild von Ananias bei seiner Begegnung mit Jesus gemalt worden sei, erzählen Schriften seit dem 5. Jh., dass sich das Gesicht Christi auf einem Tuch (das sog. Mandylion = Tuch oder Abgar-Bild) abgedruckt habe, das man ab dem 6. Jh. mit anderen Bildern, wie z.B. dem Tuch der Veronika, als „nicht von Menschenhand gemacht“ (a-cheiro-poíeta) ansah. Nach 359 sei das Tuch in der Stadtmauer verbaut und vergessen, aber 525 oder 544 wieder entdeckt worden.

Das Mandylion schützte 544 Edessa vor der Einnahme durch den Perserkönig Chosrau I. Durch die Einmaue-rung des Tuches sei auch ein Ziegelabdruck, das Keramidion, entstanden. 944 wurde das Mandylion sowie 968 das Keramidion nach Konstantinopel (Byzanz, heute Istanbul) gebracht. Nach der Einnahme von Konstantinopel im Jahre 1204 beim 4. Kreuzzug kam das Mandylion in den Westen. Zwei angeblich bereits in Edessa oder Konstantino-pel angefertigte originalgetreue Kopien in Form von Tafelbildern befinden sich heute im Vatikan und im Kloster des

VORWORT

PRof. DR. RAiNER VoLLkoMMER

DiREkToRDES LiECHTENSTEiNER

LANDESMUSEUMS

S 02 / 03

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ikonen sind kultus- und Heiligenbilder der ostkirchen, besonders der orthodoxen

kirchen des byzantinischen Ritus. Die meist auf Holz gemalten Bilder sind kirchlich

geweiht und haben für die Theologie und Spiritualität der ostkirchen eine sehr gro-

ße Bedeutung. Der Zweck der ikonen ist, Ehrfurcht zu erwecken und eine existenziel-

le Verbindung zwischen dem Betrachter und dem Dargestellten zu sein, indirekt auch

zwischen dem Betrachter und Gott. kaum etwas berührt die russische Seele mehr als

die ikone, welche Tradition, Glauben und kultur in sich vereint.

Erlesene Stücke aus einer der bedeutenden Privat-

sammlungen in Westeuropa, der Sammlung „Wem-

höner-Grabher“, werden erstmals im Liechtenstei-

nischen Landesmuseum in Vaduz zur großen Weih-

nachtsausstellung 2013 zu sehen sein.

Der Direktor des Museums, Prof. Dr. Rainer Voll-

kommer: „Wir danken den Herren Grabher und

Wemhöner für die großzügige Überlassung der Aus-

stellungsstücke. Es ist uns eine besondere freude,

erstmals überhaupt als Museum Zugang zu diesen

Pretiosen erhalten zu haben.“

AllgEmEinE kUnSTgESCHiCHTliCHE CHARAkTERiSTik dER SAmmlUng

Unter den in Westeuropa befindlichen privaten, aber teilweise auch musealen Sammlungen zeichnet sich die Sammlung „Wemhöner-Grabher“ in mehrfacher Hinsicht positiv aus, so zum einen schon durch ihre beachtliche Größe von immerhin rund 700 Einzelobjekten, sodann aber noch mehr durch die breitgefächerte Palette der in ihr dokumentierten unterschiedlichen handwerklichen Techniken wie auch durch die Bandbreite der Malstile, die in dieser bemerkenswerten und in diesem Sinne in Westeuropa sicher seltenen, wenn nicht einzigartigen Kollektion zusammengetragen worden sind.

Man merkt somit der Sammlung an, dass sie das Ergebnis der Sammlertätigkeit mehrerer Generationen der Besitzerfamilien darstellt und zudem über Jahrzehnte hinweg im Ursprungsland bzw. in dessen Nähe entstanden ist, denn allein über den Kunsthandel hätte sich eine solche Sammlung schon in früheren Jahren kaum zusammen-stellen lassen – geschweige denn heutzutage.

So findet man in ihr nicht nur – wie in vielen, ja den meisten Sammlungen, in Ei-Tempera gemalte Holztafel- ikonen, sondern auch solche auf Leinwand und in Ölmalerei, ja geschnitzte Tafeln und Stickarbeiten, und nicht wenige von ihnen mit großen Ausmaßen. die allein schon deshalb in westeuropäischen Sammlungen einen Selten-heitswert besitzen.

Beachtenswert ist auch die große Anzahl von Ikonen bei denen auch die originalen Metallbeschläge (russ. oklady) erhalten geblieben sind, wobei die zu deren Gestaltung verwandten künstlerischen Techniken von der Treibarbeit über die Gravur bis hin zur neuzeitlichen Pressung reichen; einige der Ikonen sind sogar noch in den ebenfalls originalen Kästen (russ. kioty) erhalten.

DiE SAMMLUNG WEMHÖNER GRABHER

Doch mehr noch als diese Materialbreite und die damit verbundene Varietät der handwerklichen und künstle-rischen Formen beeindruckt an der Sammlung „Wemhöner-Grabher“, dass sie einen umfassenden Eindruck von der russischen Sakralkunst vor allem seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bis zur bolschewistischen Macht-ergreifung vermittelt.

Zwar finden sich in der Sammlung auch einige sehr bemerkenswerte und künstlerisch wie kulturgeschichtlich wertvolle Ikonen aus dem 17. Jahrhundert (die älteste dürfte sogar in die Zeit um 1600 zu datieren sein) wie auch aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die Mehrzahl der Werke stammt jedoch aus der Zeit von etwa 1750 bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts.

Bekanntlich erlebte in dieser Zeit die russische Sakralmalerei eine Reihe verschiedener neuer Einflüsse. die sich mit der überkommenen Ikonenkunst verbanden und zum Entstehen ganz neuer ikonographischer Motive bzw. zu einer weitgehenden Überarbeitung der alten Typen und damit zum Entstehen neuer künstlerischer Formen beitrugen.

Dies gilt einmal für die – teils italienisch beeinflusste – akademische Malerei des 18. und frühen 19. Jahrhun-derts, die ihren Platz in zahlreichen russischen Kirchen der Zeit gefunden hat und sich sowohl in ihrer Hochform wie auch in schlichter handwerklicher Nachahmung auf zahlreichen Ikonen der Sammlung „Wemhöner-Grabher“ nachweisen lässt.

Es gilt sodann auch für die Einflüsse der deutschen Nazarener bzw. der Beuroner Schule, deren Verbreitung in Russland in der 2. Hälfte bzw. zum Ausgang des 19. Jahrhunderts von einflussreicher Seite besonders dem Ober-prokuror des Heiligsten Synods Konstantin Pobedonoscev gefördert wurde, der sogar Kunstdruckblätter in diesen Stilen an russische Malschulen verteilen ließ.

Und es ist schließlich die neorussische Schule etwa des Kreises um die akademischen Maler Vaznecov und Verescagin, die durch ihre Ausmalungen der Kiever HI. Fürst-VIadimir-Kathedrale und ihre Mitarbeit an der Moskauer Christus-Erlöser-Kirche vor allem in den städtischen Kreisen Russlands Popularität erlangten, und auch in zahlreichen Ikonenmalwerkstätten nachgeahmt wurden.

Ikonen, die von diesen Malstilen her beeinflusst sind bzw. in ihnen gefertigt wurden, finden sich in einschlägi-gen privaten wie öffentlich-musealen Sammlungen außerhalb Russlands – zumal in Westeuropa – kaum, da in hiesigen Sammler- und Galeristenkreisen diese Stileinflüsse nur zu gerne als westliche Überfremdung abgelehnt wurden.

Nichtsdestoweniger gehören sie wesenhaft zur Entwicklung der russischen Sakralkunst für rund zwei Jahr- hunderte, ja, sind sogar im 18. und 19. bis weit ins 20. Jahrhundert hinein sowohl und besonders in Kirchen wie aber auch in – vor allem städtischen – Privathäusern wesentlich weiter verbreitet als die im Allgemeinen heute in deutschen Ikonensammlungen anzutreffenden Tafeln im traditionellen „byzantinischen“ Stil, die häufig allgläubiger Herkunft sind. Auch in der gegenwärtigen Renaissance der Kirchenkunst in Russland finden Ikonen dieses Stils in ihrer einzigartigen Verbindung von akademischer und traditioneller Ikonenkunst wieder oft Verwendung.

S 04 / 05

Karl-Heinz GrabherDirk W. Wemhöner

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Auf diesem Hintergrund kann die Sammlung „Wemhöner-Grabher“ als im Westen einzigartige Privatkollektion eingestuft werden, die – wie bereits dargestellt – einen wirklichen und umfassenden Einblick in die Entwicklung der russischen Ikonen- und Sakralmalerei sei dem frühen 17. Jahrhundert bietet: in ihr sind einige alte sehr schöne Ikonen aus der Zeit vor der Zunahme der abendländischen Einflüsse ebenso vertreten wie zahlreiche Beispiele der unterschiedlichen Stilformen des 18. und 19. Jahrhunderts. Eine Sammlung, die diese beiden Elemente miteinander verbindet und in so großer Stückzahl unterschiedlicher Objekte dokumentiert aber sucht man in Westeuropa sonst vergeblich. Unter den Hunderten Ikonen der Sammlung „Wemhöner-Grabher“ findet man von ihrer malerischen Qualität wie teils auch von ihrer Größe her herausragende Werke des 18. und 19. Jahrhunderts ebenso wie einfachere, bäuerlichere Ikonen; Kirchenikonen, teils aus Ikonostasen, sind ebenso vertreten wie Fahnen und Epitaphien (Tücher mit der Darstellung der Grablegung Christi für die Karfreitagsliturgie); neben Ikonen mit reichen, teils silbernen und vergoldeten Beschlägen stehen solche schlichter Malweise, die einst in Bauernkaten zu finden waren.

So haben wir hier eine Sammlung vor uns, die nicht in erster Linie mit prachtvollen Einzelstücken und seltenen Motiven prunkt, wenn solche in ihr auch durchaus zu finden sind, sondern die in erster Linie in ihrer Geschlossen-heit beeindruckt und das zeigt, was in der Tat typisch war für die russische Sakralkunst der genannten Zeit.

Darin besteht ihre schon eingangs erwähnte Einzigartigkeit in Westeuropa.

kUnSTHiSToRiSCHER WERT dER SAmmlUng

Von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, liegen fast alle Ikonen der Sammlung bislang im unrestaurierten Zustand vor. Dies erschloss die im Allgemeinen recht seltene Möglichkeit, die Originalmalerei frei von späteren Ergänzungen und Übermalungen zu beurteilen. So konnte auf der Basis der originalen Malerei eine Begutachtung aller einzelnen Objekte erfolgen, die sich in der Erstellung von Einzelgutachten zu jedem einzelnen Stück nieder-schlägt. Durch jedes dieser Einzelgutachten mit einem Umfang von ca. 3–5 Seiten und ausführlicher Beschreibung des einzelnen Themas wie auch der vorliegenden Ikone werden alle Objekte im Detail beschrieben: darüber hinaus sind sie durch den Einzelgutachten beigefügten Großfotografien (im Format Din A4) dokumentiert. Insgesamt um-fassen die Einzelgutachten somit mehr als 2000 Seiten und rund 700 Abbildungen.

Eine solche aufwendige, einem Museumskatalog entsprechende, ja in der Detailbeschreibung der einzelnen Stücke und ihrer bildlichen Präsentation (teilweise mit mehreren Aufnahmen zu einem einzelnen Objekt) sogar noch darüber hinausgehende Dokumentation, dürfte nur bei wenigen Privatsammlungen, vor allem solcher dieser zahlenmäßigen Größe und Qualität, der Fall sein und bedeutet natürlich auch noch einmal eine Steigerung des Wertes der Sammlung.

Die Ausstellung einzelner ausgewählter Stücke der Privatsammlung „Wemhöner-Grabher“ erfolgt erstmalig im Landesmuseum des Fürstentum Liechtenstein.

Die Ausstellung unterscheidet sich deutlich von denjenigen der bisher bereits in Westeuropa existierenden Ikonen-Museen, da diese – wie bereits dargestellt – weitgehend die für das 18.–20. Jahrhundert typischen Malstile der russischen Sakralkunst ausklammem und somit nur einen Ausschnitt der russischen Sakralmalerei dieser Zeit bieten. Eine öffentliche Ausstellung der Sammlung „Wemhöner-Grabher“ schließt hier eine bedauernswerte Lücke und ist von daher unter kunstgeschichtlichen Gesichtspunkten sehr wünschenswert.

mATERiEllER WERT dER SAmmlUng

Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich schon die Einzigkeit der Sammlung „Wemhöner-Grabher“ in Westeuropa, ja im ganzen westlichen Ausland, in der sie ihresgleichen sucht, enthält sie doch unter ihren Hunderten von Ikonen und Bildwerken sowohl Meisterwerke der Ikonenkunst wie auch sehr schlichte und einfache bäuerliche Arbeiten, die vermutlich in winterlichen dörflichen Werkstätten entstanden sind.

Insofern kann eine Schätzung des kunstgeschichtlichen, mehr noch des materiellen Wertes einer solchen großen Sammlung nur in einer Gesamteinstufung der Kollektion und nicht in der bloßen Addition des Marktwertes jeder einzelnen Tafel und jedes einzelnen Objektes bestehen, denn diese würde der Geschlossenheit der Sammlung nicht gerecht.

Insbesondere gilt dies, weil wir davon ausgehen können und müssen, dass es heutzutage schlicht unmöglich sein dürfte, über den Kunsthandel eine solche Sammlung sowohl von ihrer Stückzahl wie auch von der eingangs ausführlich geschilderten Bandbreite der Stile, Techniken und Motive je wieder zusammen zu erstellen – und dies umso mehr, als in den letzten Jahren ganz sicher die legalen aber inzwischen sogar weitgehend auch die illegalen Exportwege aus Russland und anderen Länder der GUS verschlossen sind und aus der Russischen Föderation bei-spielsweise nur noch Objekte bis zu einem maximalen Alter von 100 Jahren exportiert werden dürfen.

Von daher muss als theoretische Möglichkeit für eine denkbare Beschaffung auch nur eines Teils der hier vor-liegenden umfangreichen Sammlung schon an den internationalen Spezialhandel bzw. große Auktionshäuser o.ä. gedacht werden, die – wie Aktionskataloge etwa der führenden britischen Auktionäre belegen – in den letzten bei-den Jahrzehnten, vor allem aber seit 1990 eine sprunghafte Steigerung der Verkaufswerte von Ikonen selbst mittlerer und niedriger Qualität zu verzeichnen haben. Dabei sollte berücksichtigt werden, dass diese Schätzung vom gegen-wärtigen Markt ausgeht, dass die Preise für legal zu erwerbende Ikonen angesichts der wieder besser kontrollierten Grenzen in Osteuropa schon jetzt in letzter Zeit deutlich gestiegen sind und aller Wahrscheinlichkeit nach auch weiter steigen werden. Insofern ist durchaus zu erwarten, dass in absehbarer Zeit noch einmal eine Steigerung des Wertes eintreten wird.

Die beiden Sammler, als Repräsentanten ihrer Familien, interessiert das indes nicht. „Der Wert ist für uns irre-levant. Wir haben uns wundervolle Räumlichkeiten eingerichtet, um uns in aller Stille und im Kreise sehr weniger Vertrauter an der Aura unserer Sammlung zu erfreuen“ erklärt Dirk Wilhelm Wemhöner. „Unsere Sammlung ist unverkäuflich, wir haben uns bereits schwer getan, mit dieser im Rahmen einer Ausstellung in die Öffentlichkeit zu treten“ fügt sein Freund und Partner Karl-Heinz Grabher hinzu. Beide sind sich aber einig, wenige ausgewählte Stücke namhaften Museen zur Verfügung stellen zu wollen. „Unsere Sammlung bewegt unsere Herzen und unsere Emotion jedesmal wenn wir sie besuchen. Bedenken wir nur die vielen Jahrhunderte der Andacht und des tiefen Glaubens, die unsere wundervollen Stücke seit es sie gibt begleitet haben. So etwas Wundervolles darf nicht nur Wenigen vorbehalten sein“ beschreiben beide mit leuchtenden Augen. In der Luft liegt ein Hauch von Weihrauch, der die Ausstellungsräume umgibt.

Im Rahmen einer Vernissage wird am 26. November 2013 erstmals ein Teil der Sammlung „Wemhöner-Grab-her“ im Landesmuseum des Fürstentum Liechtenstein der Öffentlichkeit präsentiert. Die Ausstellung ist bis zum 12. Januar 2014 zu sehen, eine weitere Ausstellung ist für das Osterfest 2014 in Planung.

Erschienen in der letzten Ausgabe der russischen „Luxury.“

S 06 / 07DiE SAMMLUNG WEMHÖNER GRABHER

Page 6: GRA_Ikonen_Katalog_27.11.2013_web.pdf Wemhöner Grabher Sammlung Liechtensteinisches Landesmuseum

Dargestellt ist auf der Ikone der ehrwürdigen Sergij von Radonez, einer der bedeutendsten und meistverehrten russischen Heiligen. Sergij, dessen Fest die russische Kirche am 25. September feiert, wurde am 3. Mai 1314 in einer wohlhaben-den Familie des Dienstadels im Fürstentum Rostov Velikij geboren und auf den Namen Varfolomej (Bartholomäus) getauft. Nach der Eingliederung seines Heimatfürstensitzes in das Großfürstentum Moskau 1328 erfolgte die Über-

Die Ikone zeigt einen der bekanntesten und für die russische Kirchengeschichte bedeutendsten Mönchsheiligen des Landes, den hl. Sergij von Radonez.

THEmATik dER ikonE

B 30 cmH 71 cm

AllgEmEinE ikono-gRApHiSCHE Und

kUnSTgESCHiCHTliCHE BESCHREiBUng

dETAilBESCHREiBUngdES voRliEgEndEn WERkES

mETAllBESCHlAg

HERkUnfTS- UndAlTERSBESTimmUng

ERHAlTUngSzUSTAndUnd RESTAURATionEn

siedelung der Familie nach Radonez, wo der Vater als abhängiger Vasallenherrscher weiterlebte. Nachdem die El-tern Sergijs beide kurz vor ihrem Hinscheiden noch die monastischen Weihen empfangen hatten und auch bald darauf starben, konnte der junge Varfolomej, der sie bis dahin zuletzt gepflegt hatte, seinen langgehegten Wunsch erfüllen und selbst Mönch werden. Zusammen mit seinem leiblichen Bruder Stefan, einem Witwer, ging er in die Waldeinsamkeit und gründete zu Ehren der Dreieinigkeit, die er besonders verehrte, eine Kirche. Obwohl Stefan die strenge Askese und die Strapazen des Lebens in der Waldeinsamkeit nicht lange ertragen konnte und in ein Moskau-er Stadtkloster übersiedelte, blieb Sergij in der Einöde, wo ihm der Abt Mitrofan am 7. Oktober 1337, dem Fest der hll. Sergios und Bakchos, die Mönchsweihe erteilte und den entsprechenden Namen gab. Um 1340 hatte Sergij schon ei-nige Gefährten gefunden und bildeten 12 Mönche die Bruderschaft, 1342 wurde die erste größere Holzkirche geweiht und 1344 willigte Sergij widerstrebend ein, sich zum Priester und Abt weihen zu lassen. In seinem Widerstreben gegen die Ordination entsprach Sergij den altkirchlichen monastischen Idealen, welche z.B. der selige Hieronymus zum Ausdruck bringt, wenn er seinen Mönchen rät, den Bischof wie die Frauen zu fliehen, da beide eine Gefährdung des Mönchslebens bedeuteten.

Das Kloster der Heiligsten Dreieinigkeit, dem Sergij vorsteht, ist von großer Armut gekennzeichnet, da lange Zeit sein strenger Abt sogar das Almosensammeln außerhalb des Klosters untersagt hatte. Nur von ihrer Hände Arbeit sollten die Brüder leben! 1354 wurde endgültig das Koinobitentum eingeführt. Das Ansehen des Klosters steigt im geistlichen wie im weltlichen Bereich wegen der spirituellen Führerschaft, die Sergij weit in Russland ausübt. Besonders berühmt macht ihn seine Unterstützung des Befreiungskampfes gegen die Tataren, vor allem im Zusam-menhang mit der Schlacht auf dem Schnepfenfeld (Kulikovo) am 8. September 1380. Sergij bleibt seinem Kloster treu, auch als ihm 1378 die Nachfolge seines persönlichen Freundes Aleksij als Metropolit von Moskau und damit alsOberhaupt der russischen Christenheit angetragen wird. Sergij stirbt am 25. September 1392. Nicht zuletzt wegen der zahlreichen Tochtergründungen (8 Klöster stiftet Sergij noch selbst außer dem der Drei-einigkeit, weitere 25 seine Schüler bereits zu seinen Lebzeiten!) beginnt seine Verehrung unmittelbar nach seinem Tode. 1449 wird sein Name nachweislich erstmals in einem Kalendarium aufgeführt, 1463 bereits die erste Kirche zu seinen Ehren geweiht. Wertvolle Information über das Leben Sergijs gibt uns seine Vita, die sein Schüler Epifanij der Weise (Premudryj), der 1422 verstorben ist, verfasst hat. Bei all seiner reichen Stilistik gelingt es Epifanij, ein realistisches Porträt des Heiligen zu geben.

Die Größe der Trägertafel beträgt bei der begutachteten Ikone 71 cm (Höhe) x 30 cm (Breite). Diese ungewöhn-lichen Maße erklären sich damit, dass es sich um eine so genannte „Maßikone“ handelt, d.h. eine Ikone die nach den Maßen eines neugeborenen Kindes, in diesem Falle eines Jungen, der den Namen des hl. Sergij erhielt, gefertigt wurde. Das Neugeborene war also genau so groß wie die Darstellung seines Namens- und Schutzpatrons. Die Ikone zeigt den Heiligen barhäuptig in monastischer Gewandung mit einem langen braunen, hier mit Gold-assist schon aufgehellten Mönchsmantel (russ. Hanrija) und darüber einer roten Stola (Epitrachilion). In seiner Linken hält er eine geschlossene kleine Schriftrolle, mit der Rechten segnet er in der altrussischen Weise.

Die Ikone trägt einen schön gearbeiteten Metallbeschlag, und zwar aus Messing. Solche Beschläge haben in der lkonenkunst, besonders der russischen, schon eine sehr alte Tradition, wobei zuerst die Metallbeschläge aus kleinen Täfelchen bestanden, die auf die Holztafel der Ikone aufgenagelt worden sind. Später wurden dann größere metallene Auflagen beliebt, die entweder – wie hier auch – den Hintergrund der Ikone bedeckten oder auch die Figur der dargestellten Personen in Treibarbeit nachgestalteten und nur die Inkarnate freiließen. Der Zweck dieser Metallbeschläge ist wohl einerseits in dem praktischen Nutzen eines bestimmten Schutzes für die ja relativ empfindliche Ei-Tempera-Malerei zu sehen, andererseits aber dürfte auch der Wunsch eine Rolle gespielt haben, die Ikone durch solche Beschläge zu verschönern und zu ehren. Im vorliegenden Fall ist der Metallbeschlag mit einer sehr schön gearbeiteten, zwar schlichten, aber handwerk-lich gut gefertigten geometrischen Ornamentik in Treibarbeit geziert.

Bei der Ikone handelt es sich um eine russische Arbeit, und zwar dürfte sie nach der Art der gesamten Gestaltung aus einer städtischen Werkstatt, möglicherweise Mittelrusslands, stammen. Die verwandten stilistischen Formen wie auch die paläographische Einordnung der benutzten Schriftformen erlauben nach bestem Wissen und Gewissen eine Datierung in die Mitte bzw. die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Ikone zeigt jene im 18. und 19. Jahrhundert in Russland sehr weit verbreitete Übernahme naturalistischer Darstellungsformen, besonders beim Gesicht des Heiligen, die auch eine Anlehnung an die akademische Malerei der Zeit suchen. Insgesamt handelt es sich um eine schöne, typische Arbeit und ein gutes Beispiel für die handwerkliche wie künstlerische Produktion der Entstehungszeit, die größere Käuferkreise befriedigte.

Die Ikone liegt in völlig originalem, also unrestauriertem Zustand vor. Der Erhaltungszustand der Ikone ist als sehr gut zu bezeichnen; lediglich einige kleinere Abblätterungen im Randbereich sind zu vermerken, die aber die erhaltene Malerei in keiner Weise wesentlich tangieren.

DER hEILIgE SERgIj VON RaDONEz

01

S 08 / 09

El 014

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Der hl. Großmartyrer Panteleimon (nach abendländischer Namensform: Pantaleon) wird in der Orthodoxen Kirche ebenso wie nach dem Martyrologium Romanum am 27. Juli gefeiert. Der griechische Name bedeutet: „der ganz Barmherzige“. Er starb in Nikomedien in der diokletianischen Verfolgung um 305. Zwar fehlen weitere sichere historische Nachrichten, doch haben wir schon aus dem 5./6. Jahrhundert eine legendarische Passio, nach der er als Sohn eines heidnischen Vaters namens Eustorgios und einer christlichen Mutter Euboula in Nikomedien, dem heutigen lzmid (östlich von Istanbul) geboren worden sei. Zwar wollte ihn die Mutter christlich erziehen, doch verstarb sie, als das Kind noch sehr klein war. Der Vater entsandte es dann später in eine heidnische Grundschule, nach deren Abschluss der Jüngling die Heilkunst bei dem bekannten nikomedischen Arzt Eufrosinos erlernte und schließlich durch seine

Die Ikone zeigt einen der beliebtesten „Uneigennützigen“, den hl. Panteleimon (im abendland auch bekannt als Pantaleon).

THEmATik dER ikonE

B 58,1 cmH 88,5 cm

El 016

AllgEmEinE ikono-gRApHiSCHE Und

kUnSTgESCHiCHTliCHE BESCHREiBUng

dETAilBESCHREiBUngdES voRliEgEndEn WERkES

HERkUnfTS- UndAlTERSBESTimmUng

ERHAlTUngSzUSTAndUnd RESTAURATionEn

Heilkunde bekannt wurde, so dass ihn der Kaiser Maximianus Herculeus (284–305) zu seinem Leibarzt machte. In dieser Zeit lebten zusammen mit vielen anderen Christen auch die Priester Hermolaos, Hermippos und Hermo- krates in Nikomedien, welche nach der Verfolgung des Jahres 303 viele gemarterte Glaubensbrüder geheilt hatten. Hermolaos trat nun in Kontakt zu Panteleimon und konnte den jungen Arzt für den christlichen Glauben gewinnen. Den letzten Schritt zur Taufe tat er, als er eines Tages ein totes Kind auf der Straße sah, das aufgrund seiner Gebete zu Christus wieder lebendig wurde. Hermolaos taufte nun den zukünftigen Martyrer (nach einigen Legenden empfing er anstelle des bisherigen Namens Pantaleon nun denjenigen des Panteleimon). Auch dessen Vater Eustorgios nahm das Christentum an, als er sah, wie sein Sohn einen Blinden durch die Anrufung des Namens Jesu Christi heilte. Nach dem Tode des Vaters widmete Panteleimon sein ganzes Leben den Leidenden, Kranken, Armen und Elenden, denen er im Namen Jesu Trost und Heilung spendete. Auch besuchte er die Gefangenen, besonders die gemarterten Christen, in den Verliesen und heilte ihre Wunden. In kurzer Zeit verbreitete sich sein Ruhm über die ganze Stadt und viele Kranken eilten zu ihm, besonders da er seine Heilungen ohne Honorar spendete, weshalb ihn die orthodoxe Kirche zu den sog. „Anargyroi“ (griech. wörtl.: Silberlosen, Geldlosen) rechnet, also den Ärzten, die ihre Kunst im Namen der christlichen Nächstenliebe ausübten. Die anderen Ärzte der Stadt allerdings wollten den unliebsamen Konkurrenten möglichst rasch loswerden und verklagten ihn beim Kaiser. Maximianus forderte daraufhin Panteleimon auf, den heidnischen Götzen zu opfern; als dieser sich weigerte, wurde er schrecklichen Martern unterworfen, die er nur durch den Beistand des Herrn aushalten konnte. In der gleichen Verfolgung wurden auch die priesterlichen Lehrer des Heiligen mit dem Schwerte hingerichtet. Nachdem Panteleimon zahlreiche andere Folterungen überstanden hatte, wurde er an einen Ölbaum gebunden, worauf einer der Soldaten ihn mit dem Schwert erschlagen wollte, aber dieses wurde in seiner Hand weich wie Wachs; erst als der Heilige selbst um den Tod bat, da er nach dem himmlischen Leben strebte, konnten sie ihn töten. Doch entfloss seinem Hals nicht Blut, sondern Milch, so dass viele Anwesende durch dieses erneute Wunder wieder zum Glauben geführt wurden, desgleichen, als sein Leib, den man verbrennen wollte, in den Flam-men unversehrt blieb. Seine Gebeine konnten geborgen werden und wurden später in viele Kirchen verteilt. So befindet sich sein Haupt in dem nach ihm benannten russischen Kloster auf dem Heiligen Berge Athos. Kaiser loustinianos 1. (527–565) ließ dem Großmartyrer zu Ehren in Konstantinopel eine Kirche bauen und restaurierte ein ihm geweihtes Kloster in der Jordanwüste. Im Abendland und in Nordafrika war sein Kult schon um die Mitte des 5. Jahrhunderts verbreitet (allein in Rom gibt es vier ihm geweihte Kirchen, ebenso eine der alten romanischen Kirchen Kölns). Seit dem Mit-telalter wird er im Okzident zu den Vierzahn Nothelfern gezählt. An verschiedenen Orten – so in Konstantinopel, Bari, Neapel, Ravello (südlich von Neapel), Rom und Venedig u.a. werden Ampullen mit dem angeblichen Blut bzw. der Milch des Martyrers gezeigt In der Russischen Orthodoxen Kirche ist die Verehrung im 12. Jahrhundert bezeugt, da Fürst lzjaslav, der Sohn des hl. Mstislav des Großen, auf seinen Namen getauft worden ist. Der Fürbitte des hl. Panteleimon wird auch der Seesieg der Russen über die Schweden bei Hanhaus 1714 und bei Grenham 1720 zuge-schrieben, die beide an seinem Festtage stattfanden, wie er überhaupt als Patron der christlichen Soldaten gilt.

Die Größe der Trägertafel beträgt bei der begutachteten Ikone 88,5 cm (Höhe) x 58,1 cm (Breite). Dieses Maß lässt vermuten, dass die Ikone ursprünglich möglicherweise ihren Platz in einer Kirche, vielleicht sogar einer Ikonostase hatte. Sie zeigt den Heiligen aufrecht stehend in Ganzfigur dargestellt. Er trägt über einem grünen Untergewand einen roten Mantel. In der mit seinem Mantel verhüllten Linken hält der Heilige ein geöffnetes Arzneikästchen, in der Rechten einen langen Löffel oder Spatel.

Bei der Ikone handelt es sich um eine russische Arbeit, und zwar dürfte sie nach der Art der gesamten Gestal-tung wohl aus einer qualitätvollen städtischen, möglicherweise einer hauptstädtischen Werkstatt stammen. Die Ikone zeigt jene schon im ausgehenden 17. Jahrhundert einsetzende, dann aber besonders im 18. und auch noch im 19. Jahrhundert, ja teilweise bis heute in orthodoxen Kirchen Russlands sehr weit verbreitete Übernahme westlicher Darstellungsformen und einen gewissen Naturalismus, vor allem in der Gestaltung des Gesichtes, die auch eine Anlehnung an die – in diesem Fall wiederum vor allem an Vorbildern der Nazarenerkunst orientierte – akademische Malerei ihrer Zeit sucht. Hervorzuheben ist besonders die farbige geometrische Ornamentik, die einen emaillierten Metallbeschlag imi-tiert, sowie die reiche Punzierung des Hintergrundes, der Nimben und auch der beiden Kreissegmente. Die verwandten stilistischen Formen wie auch die paläographische Einordnung der benutzten Schriftformen erlauben nach bestem Wissen und Gewissen eine Datierung in das ausgehende 19. Jahrhundert bzw. die Zeit um 1900. Insgesamt kann von einer sehr schönen und eindrucksvollen Ikone aus der Spätphase der russischen Sakral-malerei vor der kommunistischen Zeit gesprochen werden.

Die Ikone liegt in originalem, also unrestauriertem Zustand vor. Ihr Erhaltungszustand ist als rundum gut zu bezeichnen; lediglich einige kleinere Abreibungen, eine kleine Abblätterung – leider im Gesichtsbereich sowie ein paar Kratzer und eine gewisse Abstoßung im unteren Randbereich sind zu vermerken, die aber alle die erhaltene Malerei nicht wesentlich tangieren. Scheinbar sind diese zurück zu führen auf Schändungen während der Früh-phase des Bolschewismus, welche ebenso wie die Ikonenkunst selber wesentlicher Bestandteil der russischen Ge-schichte sind.

DER hEILIgE PaNTELEIMON

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Die Ikone zeigt – wie auch die lnschriften in kirchenslawischer Sprache über den Köpfen der heiligen vermerken – den hl. johannes den Vorläufer und Täufer Christi und die Evangelisten Matthäus und Lukas.

B 70,4 cmH 129 cm

El 018

HERkUnfTS- UndAlTERSBESTimmUng

THEmATik dER ikonE

ERHAlTUngSzUSTAndUnd RESTAURATionEn

dETAilBESCHREiBUngdES voRliEgEndEn WERkES

Die Größe der Trägertafel beträgt bei der begutachteten Ikone 129 cm (Höhe) x 70,4 cm (Breite).

Bei der Ikone handelt es sich um eine russische Arbeit, und zwar dürfte sie nach der Art der gesamten Gestaltung und der Behandlung des Brettes aus der Mitte bzw. noch dem Anfang des 19. Jahrhunderts stammen.

Die verwandten stilistischen Formen wie auch die paläographische Einordnung der benutzten Schriftformen er-lauben eine Zuschreibung zu einer Werkstatt des mittelrussischen Gebietes, möglicherweise einem der Malerdörfer des Vladimir-Suzdaler Raumes, stammen; nach dem relativ typischen mäandrischen Zierrand dürfte es sich dabei wohl am ehesten um Mstera handeln.

Die Ikone liege in originalem, also unrestauriertem Zustand vor. Leider sind allerdings einige doch recht um-fangreiche Abreibungen zu konstatieren, während die Figurengruppe alles in allem gut erhalten ist.

DREI hEILIgE

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S 12 / 13

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Die Ikone ist eine Sammeldarstellung von – in diesem Falle vier – Einzelbildern, für die sich in der Kunstgeschichte der ausdruck „Vierfelderikone“ eingebürgert hat.

B 27,8 cmH 31,2 cm

El 021

dETAilBESCHREiBUngdES voRliEgEndEn WERkES

AllgEmEinE ikono-gRApHiSCHE Und kUnSTgESCHiCHTliCHE BESCHREiBUng

HERkUnfTS- UndAlTERSBESTimmUng

ERHAlTUngSzUSTAndUnd RESTAURATionEn

Sammeldarstellungen verschiedener lkonenmotive sind eine Besonderheit der russischen Sakralkunst und kommen in dieser Form auch erst seit dem 17. Jahrhundert auf, wurden dann im 18. und frühen 19. Jahrhundert aber recht populär, nicht zuletzt, weil sie dem Geschmack eines breiteren Publikums entsprachen. Denn sie wurden in der Regel auf persönlichen Wunsch des Käufers hin angefertigt, um auf verhältnismäßig kleinem Raum mehrere beliebte bzw. ihm wichtige Motive unterzubringen und als Mittelpunkt einer häuslichen lkonenecke zu dienen.

Die Zusammenstellung folgt dabei individuellen Wünschen bzw. Vorlieben, d.h. man findet hier z.B. die Na-mens- oder örtlichen bzw. Kirchen-Patrone oder andere Heilige, zu denen der Besteller und Besitzer der Ikone eine besondere Beziehung hatte. Insofern ist die Zusammenstellung jeder solchen Vielfelderikone verschieden, wenn-gleich bei den meisten von ihnen entweder zwischen die vier Felder auf die sich so ergebende Kreuzesform auch eine Darstellung der Kreuzigung Christi oder zentral eine der Gottesgebärerin platziert worden ist.

Manchmal sind auf dem Rande der Ikone noch weitere Heilige in verkleinerter Darstellung gezeigt; auch in ihnen dürfen wir dann die Patrone von Familienangehörigen oder anderen nahestehenden Personen vermuten.

Die Größe der Trägertafel beträgt bei der begutachteten Ikone 31,2 cm (Höhe) x 27,8 cm (Breite). Es handelt sich also – wie auch schon von der Motivzusammenstellung her zu erwarten – um die Größe einer typischen Hausikone, die ihren Platz in der so genannten „Schönen Ecke“ (russ. Krasnyj ugol), also der lkonenecke des Hauses bzw. Zim-mers findet.

Sie zeigt oben in der Mitte zwischen dem hl. Nikolaus von Myra (vom Betrachter aus gesehen links) und einem Mönch Makarios die Gottesmutter mit dem Göttlichen Kind, und zwar vom ikonographischen Typus der „Odege-tria“, der „Wegweiserin“, bei der Maria auf den auf ihrem linken Arms thronenden Christus verweist.

In der Reihe darunter sind in einem gemeinsamen vierten Feld vier weitere Heilige, und zwar sämtlich Martyrer, dargestellt, in denen wir die Patrone der Familie bzw. Stifter des Bildes vermuten können, zumal zwei von ihnen Frauen sind.

Die Ikone trägt einen zeittypischen, schön gearbeiteten Metallbeschlag, und zwar aus handgetriebenem und versilbertem Messing.

Solche Beschläge haben in der lkonenkunst, besonders der russischen, schon eine sehr alte Tradition, wobei zuerst die Metallbeschläge aus kleinen Täfelchen bestanden, die auf die Holztafel der Ikone aufgenagelt worden sind. Später wurden dann größere metallene Auflagen beliebt, die entweder den Hintergrund der Ikone bedeckten oder auch die Figur der dargestellten Personen in Treibarbeit nachgestalteten und nur die Inkarnate freiließen, wie es auch beim vorliegenden Stück der Fall ist.

Der Zweck dieser Metallbeschläge ist wohl einerseits in dem praktischen Nutzen eines bestimmten Schutzes für die ja relativ empfindliche Ei-Tempera-Malerei zu sehen, andererseits aber dürfte auch der Wunsch eine Rolle gespielt haben, die Ikone durch solche Beschläge zu verschönern und zu ehren.

Bei der Ikone handelt es sich eindeutig um eine russische Arbeit, und zwar dürfte sie nach der Art der gesamten Bildgestaltung aus einer Werkstatt des mittelrussischen Gebietes stammen.

Die verwandten stilistischen Formen erlauben nach bestem Wissen und Gewissen eine Datierung in die Zeit um 1700 bzw. die 1. Hälfte des 1 8. Jahrhunderts. Dem entspricht auch (s.u.) die Gestaltung des Metallbeschlages.

Die Ikone liegt in originalem, also unrestauriertem Zustand vor. Ihr Erhaltungszustand ist dem Alter der Tafel entsprechend als zufriedenstellend zu bezeichnen; eine gewisse Verschmutzung sowie einige kleinere Abblätterun-gen im Hintergrund und im Randbereich sind zu vermerken, die aber die erhaltene Malerei nicht sehr wesentlich tangieren, zumal offensichtlich ohnehin nur die Inkarnate mit aller Sorgfalt ausgeführt worden sind, die übrigen Teile aber eher grob skizziert wurden, da man von Anfang an die Tafel und damit die Malerei mit einem Metallbe-schlag zu bedecken gedachte.

VIERFELDIKONE (gOTTESMUTTER VON SMOLENSK MIT SEChS hEILIgEN)

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mETAllBESCHlAg

THEmATik dER ikonE

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Die russische lkonenmalerei des ausgehenden 16. und 17. Jahrhunderts ist durch das Aufkommen neuer Motive und lkonografien gekennzeichnet, für die es in der früheren russischen, aber auch in der byzantinischen wie postbyzanti-nischen griechischen und balkanslawischen orthodoxen Sakralkunst keine Vorbilder gibt. Diese neuen Bildkomposi-tionen hat man in der Kunstgeschichte unter dem Sammelnamen „mystisch-didaktische Themen“ erfasst, der aber nur bedingt zutreffend ist. Teilweise handelt es sich dabei um Illustrationen bekannter liturgischer christologischer oder marianischer Hymnen und biblischer Texte, teilweise auch um szenische Darstellungen des liturgischen Geschehens selbst. Darüber hinaus finden wir erste Versuche, auch andere dogmatische Inhalte in einer symbolischen Malweise zu deuten. Diese Versuche der Schaffung neuer lkonografien waren schon zu ihrer Entstehungszeit nicht unumstritten, wie die Auseinandersetzung zwischen dem Staatssekretär Viskovytyj und dem Moskauer Metropoliten Makarij bzw. entsprechende Aussagen der Hundert-Kapitel-Synode in der Mitte des 16. Jahrhunderts zeigen. Vorerst setzte sich da-bei die vom Metropoliten vertretene Linie durch, welche solchen neuen, auch wohl als typisch russisch empfundenen Bildtypen wohlwollend gegenüberstand. Dazu mag auch beigetragen haben, dass sie insgesamt einem gewissen früh-barocken Verständnis von Schrift und Liturgie entsprachen, das durch eine Überbetonung der Symbolismen in den Texten und Handlungen gekennzeichnet ist. Wie viele andere eigenwillige Züge der russischen Frömmigkeit des frühen 16. Jahrhunderts fanden diese lkonentypen nach der Spaltung von 1666/67 gerade bei jenen Kreise weiterhin Unter-stützung, die sich als Fortführer der reinen Tradition sahen und alsbald als Altgläubige bezeichnet wurde. Ihre spezifi-sche Situation der Verfolgung ließ einen von der Orthodoxen Kirche Russlands mit den nikonianischen Reformen und dem Vordringen der von der Kiever Akademie ausgehenden neuen theologischen Bildung weitgehend überwundenen Mystizismus kräftig weiterwachsen. Dies erklärt auch, warum Themen wie die genannten sich in altgläubigen Kreise nicht nur weiterhin einer großen Beliebtheit erfreuten, sondern sogar noch neue vergleichbare lkonografien entwi-ckelt wurden. Ihre Deutung ist zumeist recht schwierig, da offenbar nicht allgemein bekannte Interpretationsmuster angewandt werden können, sondern bestimmte literarische Quellen als Vorlage dienten, wie sie in altgläubigen Kreise

Die Ikone zeigt ein relativ außergewöhnliches Motiv der russischen lkonenmalerei, das den Namen trägt „Das allsehende auge gottes“.

THEmATik dER ikonE

B 30,8 cmH 35 cm

El 025

AllgEmEinE ikono-gRApHiSCHE Und

kUnSTgESCHiCHTliCHE BESCHREiBUng

dETAilBESCHREiBUngdES voRliEgEndEn WERkES

HERkUnfTS- UndAlTERSBESTimmUng

ERHAlTUngSzUSTAndUnd RESTAURATionEn

zirkulierten, d.h. zu ihrer vollständigem Interpretation ist ein „Geheimwissen“ notwendig, sodass sich die Ikone nur dem in die spezifische Symbolik der jeweiligen altgläubigen Sekte eingeweihten Betrachter voll erschließt: Nicht von ungefähr wurden diese Sekten ja „Übereinkünfte“ (russ. soglasie) genannt. In diese Welt ist auch die vorliegende Ikone einzuordnen und ihre eigenwillige Bildgestaltung. Sie ist verhältnismäßig spät mit Sicherheit nachweisbar, nämlich im Russland des 18. Jahrhunderts. Auch im russischen Raum kommt sie nicht sehr häufig vor, außerhalb desselben äußerst selten, und wohl in Übernahme russischer Vorbilder, so bei einigen balkanischen Ikonen.

Die Größe der Trägertafel beträgt bei der begutachteten Ikone 35 cm (Höhe) x 30,8 cm (Breite). Es handelt sich also um die Größe einer typischen Hausikone, die ihren Platz in der so genannten „Schönen Ecke“ (russ. Krasnyj ugol), also der lkonenecke des Hauses bzw. Zimmers findet. Sie zeigt sehr schön die übliche und recht komplizier-te Ikonographie des genannten Typus des „allsehenden Auges Gottes“. Somit ist in der Bildmitte oben ist der Herr Zebaoth dargestellt, und zwar entsprechend der Vision des Propheten Daniel (7,9): „Ich fuhr fort zu schauen bis zu dem Augenblick, wo sich der Alte der Tage auf einen Thron setzte. Sein Kleid war weiß wie Schnee, und die Haare seines Hauptes waren wie weiße Watte.“. Ursprünglich verstand man unter dem „Alten der Tage“ wohl den präexis-tenten Logos, also den Sohn Gottes vor seiner Menschwerdung. Erst im westlichen Mittelalter findet dann die Über-tragung statt: Der Dargestellte hat zwar oft immer noch eine starke Christus-Ähnlichkeit in ikonografischer Hinsicht, wird aber jetzt als Gottvater verstanden. Das Bild nimmt immer mehr die Züge eines bärtigen Greises an, der in ein weißes Gewand gekleidet ist. Diese Darstellung hat dann ab dem 16. Jahrhundert auch Eingang in die lkonenmalerei gefunden, vornehmlich in Russland – und findet sich hier auch in zentraler Position auf dieser Ikone. Im Zentrum ist in einer Rundaureole der jugendliche Christus Emmanuel dargestellt, darüber die Gottesgebärerin in Orantinnen-haltung. Insofern hat das Bild also auch einen inkarnationstheologischen Bezug. Interessant ist das rote Feld um die Figur Christi, in dem Gesichtszüge erkennbar werden, und zwar vier Augen, eine Nase und ein Mund. Von Christus gehen vier rote Strahlen aus, die auf dieser Ikone keine Inschriften tragen, welche über ihren Sinngehalt Aufschluss geben würden, wohl aber auf manchen anderen Tafeln; dort findet sich dann folgender Wortlaut: „Meine Augen ruhen auf den Gläubigen der Erde“(zur Rechten Christi oben); „Die Augen des Herrn sehen immerdar!“ (darunter); „Auf die gläubigen Menschen!“ (zur Linken unten) und „zu siegen mir dir!“ (darüber). Auch wenn im vorliegenden Fall der Maler die Schriftbänder weggelassen hat, wohl um der Ikone eine größere Geschlossenheit zu geben, so dürfen wir davon ausgehen, dass die Sinngebung genau jene ist, die auf anderen Beispielen der gleichen Ikonografie durch eben diese Texte beschrieben wird. Das gilt auch für jenes auf anderen Tafeln zu findendes und von daher zu ergänzendes Spruchband, diesmal marianischen Inhaltes, welches das innere rote Kreisfeld umgibt und seine Sinndeutung lie-fert; dabei handelt es sich nämlich um den Anfang des Lobpreises der Gottesgebärerin und einen Auszug aus dem Hymnus der Liturgie des hl. Joannes Chrysostomos zu Ehren der Allreinen (in der Regel jeweils in der altgläubigen Textrezension): „Hochpreise meine Seele den Herrn, und es freue sich mein Geist über Gott, meinen Heiland. Ehrwür-diger als die Cherubim und in Wahrheit ruhmreicher als die Cherubim!“. Um den roten Kreis mit den Gesichtszügen ist ein weiterer, dunkelblauer Kreis gesetzt, den in der Regel zahlreiche, hier aber weggelassene Sterne und oben die betende Gottesmutter füllen. Auch diesen umgibt zumeist ein Spruchband mit Worten, die offenbar auch der Got-tesgebärerin in den Mund gelegt werden: „Der Geist des Herrn (ruht) auf mir, dessentwegen er mich gesalbt. Und in Freude freuet euch. Und siehe, dieser Jesaja sagt: Herr Zebaoth, es freue sich Agypten, aus dessen Land er mit mir kam.“. Um diesen mittleren Kreis schweben Engel, die auf anderen Ikonen ebenfalls von Spruchbänder umgeben sind, welche ihre Sinndeutung erläutern und in diesem Fall mit den Anfangsworten eines bekannten marianischen bzw. inkarnationstheologischen Hymnus gefüllt sind: „Das vor den Äonen verborgene und den Engel nicht kundgemachte Mysterion / ist durch dich, Gottesgebärerin, den Irdischen offenbar geworden: Gott!“. In den vier Ecken des äußeren Kreises finden sich dann – wieder jeweils in Kreissegmenten – die Evangelisten, welche manchmal in Person darge-stellt sein können, in der Regel aber, wie auch auf der vorliegenden Ikone, durch ihre Symbolfigur repräsentiert wer-den. Auf dem Rand der Ikone sind in Ganzfigur vier Heilige gemalt, in denen wir die himmlischen Patrone der Besitzer bzw. Stifter des Bildes sehen dürfen. Dabei handelt es sich um folgende Heilige: links oben (vom Betrachter aus gese-hen, also auf der rechten Seite der Tafel) der Mönch Nifon, darunter der frühchristliche Martyrer Bonifatius und ihnen gegenüber oben ein männlicher jugendlicher Heiliger, wohl ein Martyrer, der aber nicht mehr eindeutig identifiziert werden kann, da die Namenszuschrift verloren gegangen ist, und darunter die Martyrerin (A)gafia.

Bei der Ikone handelt es sich um eine russische Arbeit, und zwar dürfte sie nach der Art der gesamten Bildgestal-tung aus einer Werkstatt des mittelrussischen Gebietes, möglicherweise einem der Malerdörfer des Vladimir-Suzdaler Raumes, stammen. Die verwandten stilistischen Formen wie auch die paläographische Einordnung der benutzten Schriftformen erlauben nach bestem Wissen und Gewissen eine Datierung in die Mitte bzw. die 2. Hälfte des 19. Jahr-hunderts. Möglicherweise hatte die Ikone ursprünglich einen Metallbeschlag bzw. war für einen solchen bestimmt, was erklärt, warum die Inkarnate relativ sorgfältig, die übrige, dann unter dem Beschlag ohnehin verborgene und nicht sichtbare Malerei aber relativ grob gefertigt worden ist.

Die Ikone liegt in leicht restauriertem, aber doch größtenteils noch originalem Zustand vor. Ihr Erhaltungszustand ist insgesamt als ausgesprochen gut zu bezeichnen; die notwendigen Restaurationen, z. B. an der Bruchstelle des Bret-tes, dienen nach allem Augenschein der Sicherung der Malsubstanz, sind sachkundig ausgeführt und tangieren die erhaltene Malerei nicht wesentlich.

DaS aLLES SEhENDE aUgE gOTTES

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Die Ikone ist ein kleines doppelseitiges Medaillon, das die Erzengel Michael und gabriel zeigt.

El 028

dETAilBESCHREiBUngdES voRliEgEndEn WERkES

HERkUnfTS- UndAlTERSBESTimmUng

ERHAlTUngSzUSTAndUnd RESTAURATionEn

Dargestellt sind auf dem Medaillon die beiden bekanntesten Erzengel, und zwar auf der einen Seite der hl. Michael, auf der anderen der Erzengel Gabriel.

Michael, dessen herbäischer Name mika‘el bedeutet: „Wer ist wie Gott?“, kommt im Alten Testament nur beim Propheten Daniel (Dan 10, 13.21; 21 ,1) vor, wo er als „einer der ersten Fürsten“, als „Engelsfürst“ und als „der große Fürst“ bezeichnet wird, und dann noch bei der Aufzählung der Engel im 4. Buche Esdras, welches allerdings nur in der slavischen Tradition Aufnahme in den Kanon der biblischen Bücher gefunden hat. Doch schon in der außerbi-blischen jüdischen Literatur der Rabbinen und der Qumrangemeinde wird ihm auch der Titel des „Oberfeldherrn (griech. Christategós)“ zugesprochen, der die Gebete und Opfer der Frommen vor Gottes Thron trägt.

Im Neuen Testament wird Michael im Judasbrief erwähnt, wo er mit dem Teufel um den Leichnam des Propheten Mose kämpft (Jud 9) – eine offenkundige Entlehnung aus der jüdischen Überlieferung. Die Apokalypse des Johan-nes schildert den Kampf Michaels und seiner Engel mit dem Satansdrachen und seinem Anhang (Offb. 12,7ff.) und gab damit die literarische Vorlage für dieses lkonenmotiv, welches sich aufgrund seiner allgemein apokalyptischen Ausrichtung besonders unter den russischen Alt-Gläubigen einer großen Beliebtheit erfreute.

So zeigt auch unser Medaillon den Erzengel, aufrecht stehend in Ganzfigur, als geflügelten Krieger in der übli-chen spätrömischen bzw. byzantinischen Rüstung mit kurzer Tunika, darüber getragenem Brust-, Rücken- und Arm-panzer sowie Beinschienen, ferner mit gezogenem Schwert in der Rechten. In seiner Linken hält er eine Scheibe, auf der die Worte stehen: „Wer ist wie Gott (slaw. Kto jako Bog)?“.

Demgegenüber ist der Erzengel Gabriel auf der anderen Seite so gestaltet, wie wir ihn aus Darstellungen der Ver-kündigung an die Gottesmutter kennen, die im Neuen Testament ausführlich der Evangelist Lukas ( 1,26–38) schil-dert: „Und im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott gesandt in eine Stadt in Galiläa, die heißt Nazareth, zu einer Jungfrau, die verlobt war mir einem Mann mit Namen Josef vom Hause David; und die Jungfrau hieß Maria. Und der Engel kam zu ihr hinein und sprach: ‚Sei gegrüßt du Begnadete! Der Herr ist mit dir!‘. Sie aber erschrak über die Rede und dachte: Welch ein Gruß ist das? Und der Engel sprach zu ihr: ‚fürchte dich nicht, Maria, du hast Gnade gefunden bei Gott! Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Jesus geben. Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben, und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben.“.

Die Größe des ovalen Medaillons beträgt 16 cm (Höhe) x 13,7 cm (Breite). Dieses Maß ist eigentlich zu groß, um noch auf der Brust getragen zu werden. Insofern muss offen bleiben, wofür es ursprünglich bestimmt war.

Es zeigt die schon oben detailliert geschilderte Ikonographie der beiden Erzengel, die jeweils auf einem golde-nen Hintergrund in eine reich zerklüftete Felsenlandschaft gestellt sind.

Bei der Ikone handelt es sich um eine russische Arbeit, und zwar dürfte sie nach der Art der gesamten Ausgestal-tung aus einer städtischen, möglicherweise sogar hauptstädtischen Werkstatt stammen.

Die verwandten stilistischen Formen wie auch die paläographische Einordnung der benutzten Schriftformen erlauben nach bestem Wissen und Gewissen eine Datierung in die Zeit um 1800.

Die Ikonographie zeigt jene schon im ausgehenden 17. Jahrhundert einsetzende, dann aber besonders im 18. und auch noch im 19. Jahrhundert, ja teilweise bis heute in orthodoxen Kirchen Russlands sehr weit verbreitete Über-nahme westlicher Darstellungsformen und einen gewissen Naturalismus, vor allem in der Gestaltung des Gesichtes, die auch eine Anlehnung an die – in diesem Fall wiederum vor allem an Vorbildern abendländischen Barockkunst orientierte – akademische Malerei ihrer Zeit sucht. Möglicherweise wurden dabei westliche Druckgraphiken als Vorlagen genutzt.

Die Ikone liegt in weitgehend originalem, also unrestauriertem Zustand vor. Lediglich der Goldhintergrund wurde in jüngerer Zeit erneuert. Ihr Erhaltungszustand ist als rundum gut zu bezeichnen.

DIE ERzENgEL MIChaEL UND gabRIEL

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AllgEmEinE ikono-gRApHiSCHE Und kUnSTgESCHiCHTliCHE BESCHREiBUng

B 13,7 cmH 16 cm

THEmATik dER ikonE

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Unter den Festtagen zu Ehren Christi und der Gottesmutter, die im Laufe des orthodoxen Kirchenjahres began-gen werden, ragen der Tradition nach zwölf besonders heraus, die schon in byzantinischer Zeit als „Zwölferfeste (griech. Dodekaortion)“ bezeichnet wurden. Die beiden Tafeln zeigen auf zwölf Feldern in drei Reihen (also zwei in jeder Reihe) einige dieser wichtigsten Feste des orthodoxen Kirchenjahres, und zwar in etwa in chronologischer Abfolge der historischen Geschehnisse, die allerdings des Öfteren unterbrochen wird. Dabei sind die Angaben, um welche handelnden Personen es sich in den einzelnen Szenen handelt, jeweils in relativ kleiner weißer Schrift oberhalb der eigentlichen Darstellung der Personen gegeben.

Dargestellt sind auf der vorliegenden Ikone zwölf der herausragenden Feste des orthodoxen Kirchenjahres.

THEmATik dER ikonE

B 23,5 cmH 55,5 cm

El 029

AllgEmEinE ikono-gRApHiSCHE Und

kUnSTgESCHiCHTliCHE BESCHREiBUng

dETAilBESCHREiBUngdES voRliEgEndEn WERkES

HERkUnfTS- UndAlTERSBESTimmUng

ERHAlTUngSzUSTAndUnd RESTAURATionEn

Es handelt sich in Einzelnen auf diesen Tafeln um folgende Begebenheiten (in der Reihenfolge der Zeilen von oben nach unten und jeweils von links nach rechts – vom Betrachter aus gesehen – benannt); in Klammern wird jeweils der Festtag nach heutigen orthodoxen Kalender genannt:

Ikone 1:Obere Reihe: 1. Die Einführung der Gottesmutter in den Tempel (21. November) 2. Die Verkündigung des Erzengels Gabriel an die Gottesgebärerin (25. März)

Zweite Reihe: 3. Die Taufe des Herrn durch Johannes im Jordan (6. Januar) 4. Die Geburt des Herrn (25. Dezember)

Dritte Reihe: 5. Die Verklärung Christi auf dem Berge Tabor (6. August) 6. Der Einzug in Jerusalem (Palmsonntag)

Ikone 2:Obere Reihe: 1. Die Auferstehung Christi als Hinabstieg in den Hades (Ostern) 2. Die Erscheinung der drei Engel bei Abraham (vgl. Gen. 1 8) als erste Offenbarung der Dreifaltigkeit (Pfingsten)

Zweite Reihe: 3. Die Darstellung Christi im Tempel (2. Februar) 4. Die Geburt der Gottesmutter (8. September)

Dritte Reihe: 5. Die Himmelfahrt des Herrn (40. Tag nach Ostern) 6. Die Erhöhung des lebensspendenden Kreuzes zur Zeit des Kaisers Konstantin und der Kaiserin Helena zu Jerusalem ( 14. September)

Die Größe der Trägertafeln beträgt jeweils bei der begutachteten Ikone 55,5 cm (Höhe) x 23,5 cm (Breite). Dieses Maß lässt vermuten, dass die Ikone ursprünglich möglicherweise ihren Platz in einer Kirche, vielleicht sogar einer Ikonostase hatte. Sie zeigt die übliche Ikonographie der Hochfeste, wie sie in der orthodoxen Sakralmalerei kano-nisch festgelegt ist.

Die Ikone trägt einen schön gearbeiteten Metallbeschlag, und zwar aus Messing. Solche Beschläge haben in der lkonenkunst, besonders der russischen, schon eine sehr alte Tradition, wobei zuerst die Metallbeschläge aus kleinen Täfelchen bestanden, die auf die Holztafel der Ikone aufgenagelt worden sind. Später wurden dann größere metallene Auflagen beliebt, die entweder den Hintergrund der Ikone bedeckten oder auch die Figur der dargestell-ten Personen in Treibarbeit nachgestalteten und nur die Inkarnate freiließen.

Der Zweck dieser Metallbeschläge ist wohl einerseits in dem praktischen Nutzen eines bestimmten Schutzes für die ja relativ empfindliche Ei-Tempera-Malerei zu sehen, andererseits aber dürfte auch der Wunsch eine Rolle gespielt haben, die Ikone durch solche Beschläge zu verschönern und zu ehren.

Im vorliegenden Fall beschränkt sich der Metallbeschlag lediglich auf einen Rahmen um die gemalten Szenen, wobei er die Bezeichnungen der einzelnen Feste in länglichen Kartuschen in kirchenslawischer Sprache und Schrift angibt. Der Beschlag dürfte deutlich jünger sein als die eigentliche Malerei.

Bei der Ikone handelt es sich eindeutig um eine russische Arbeit, und zwar dürfte sie nach der Art der gesamten Gestaltung aus dem mittelrussischen Raum, möglicherweise aus einer Moskauer Schule, stammen.

Die verwandten stilistischen Formen wie auch die paläographische Einordnung der benutzten Schriftformen erlauben nach bestem Wissen und Gewissen eine Datierung in die Zeit um 1700, möglicherweise noch in das ausge-hende 17. Jahrhundert.

In dieser Form ist die Darstellung recht selten. Es ist zu vermuten, dass die Tafeln ursprünglich in einen archi-tektonischen Zusammenhang, etwa einer Ikonostase oder eines lkonenständers (russ. Kiot) eingepasst waren.

Die Ikone liegt in originalem, also unrestauriertem Zustand vor. Ihr Erhaltungszustand ist als rundum ausge-zeichnet einzustufen.

DIE zWöLF hOChFESTE DES KIRChENjahRES

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S 20 / 21

mETAllBESCHlAg

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Die nach der Stadt Vladimir benannte Ikone der Gottesmutter mit dem göttlichen Kinde gehört zum Typus der sog. „Eleousa“ (russ. Umilenie = Erbarmen), der in besonderer Weise die innige Liebe zwischen Mutter und Kind ausdrückt. Mit dieser Ikone, die wohl zu den berühmtesten der russischen Christenheit gehört, ja vielleicht die welt-weit bekannteste Ikone überhaupt darstellt, verbindet sich eine reiche Überlieferung. „Heute ist festlich geschmückt Moskau, die ruhmvolle Stadt da sie dein wundertätig Bild, o Herrin, wie die Morgenröte empfangen“, so jubelt das Apolytikion (Festgesang) zum Gedenken an das Bild der Gottesmutter von Vladimir, dessen herausragende Bedeu-tung unter den vielen als wundertätig verehrten Muttergottesikonen Rußlands schon dadurch deutlich wird, dass ihm drei Festtage im Laufe des Kirchenjahres (nämlich der 21. Mai, der 23. Juni und der 26. August) gewidmet sind. Nach der legendären Überlieferung soll auch hier der Evangelist Lukas das Urbild gemalt haben. Es sei dann im 5. Jahrhundert nach Konstantinopel gebracht und vom dortigen Patriarchen dem Kiever Großfürsten Jurij Vladimi-rovic Dolgorukij (ca. 1100–1157), dem Begründer Moskaus, als Geschenk nach Kiev zugesandt worden. Wenn es sich bei der heute vorliegenden Urikone auch nach Restaurierungsuntersuchungen um eine Tafel handeln dürfte, die

Die Ikone zeigt eine Darstellung der gottesmutter mit dem göttlichen Kind, die nach der russischen Stadt Vladimir benannt ist und daher als Vladimirer Ikone der gottesmutter (russ. Vladimirskaja) bezeichnet wird.

THEmATik dER ikonE

B 56,2 cmH 71 cm

El 041

AllgEmEinE ikono-gRApHiSCHE Und

kUnSTgESCHiCHTliCHE BESCHREiBUng

dETAilBESCHREiBUngdES voRliEgEndEn WERkES

HERkUnfTS- UndAlTERSBESTimmUng

ERHAlTUngSzUSTAndUnd RESTAURATionEn

frühestens zu Anfang des 12. Jahrhunderts in Konstantinopel entstanden und 1136 nach Vysgorod bei Kiev gebracht worden ist, so zeigt die Herleitung aus altchristlichen Zeiten deutlich, wie sehr sich die alte Rus‘ als ein christlicher Staat verstand, der eine in ihren Wurzeln apostolische Tradition beanspruchte. Das Bild war wohl ursprünglich eine Standartenikone, wie der noch erkennbare Ansatz für den Schaft am unteren Rand vermuten lässt. 1155 überführte dann Fürst Andrej von Bogoljubovo (ca. 1111–1174) die Ikone in seine Residenzstadt und von dort 1160 nach Vladimir an der Kljaz‘ma, der nahegelegenen Metropole, wo die eigentliche Verehrung des Bildes eingesetzt haben soll, was allerdings durch schriftliche Quellen nicht bezeugt wird, sondern allein durch die Überlieferung. Ebenso schweigen die schriftlichen Zeugnisse dieser Zeit über die erste Übertragung des Bildes nach Moskau, die von der Tradition auf das Jahr 1395 festgesetzt wird, da auf die Fürbitte vor dieser Ikone der himmlische Beistand bei der Abwehr Tamerlans zurückgeführt wird. 1411 soll der berühmte russische lkonenmaler Andrej Rublev die Ikone, welche in-zwischen wieder nach Vladimir zurückgekehrt war, restauriert haben, da sie bei einigen Tatareneinfällen gelitten hatte, weil die Eroberer den kostbaren Silberbeschlag abrissen, der nach der Sitte der Zeit ja direkt auf die Holztafel genagelt war. Am 23. Juni 1480, als Moskau endgültig das Zentrum des russischen Landes geworden war, brachte man die Ikone erneut in die Hauptstadt, wo sie ihren Platz in der Mariä-Entschlafen-Kathedrale im Kreml fand und zum Palladium der alten Hauptstadt Rußlands wurde, dem mehrere Errettungen vor feindlichen Heerscharen zuge-schrieben wurden, so beispielsweise 1521 vor dem Überfall des Khans von Kazan‘ Machmet-Girej. Vor der Ikone der Gottesmutter von Vladimir fanden etliche wichtige Ereignisse der russischen Kirchen- und Staatsgeschichte statt, so die Einsetzung des ersten Vorstehers der autokephalen russischen Kirche 1448, die des ersten Patriarchen 1589 und schließlich auch die Wiederherstellung des Patriarchates 1917. 1930 wurde das Urbild ins Staatliche Historische Museum gebracht und befand sich jahrzehntelang in der Moskauer Tret‘jakov-Galerie. Nach einigen Forschern soll es sich allerdings bei der heute bekannte Tafel nicht um das byzantinische Urbild handeln, das entweder schon beim Brand Vladimirs 1185 oder spätestens beim Tatarenüberfall 1237 verloren gegangen ist, sondern um eine meis-terhafte russische Kopie des 13. Jahrhunderts. Der Restaurationsbericht von Cirikov allerdings, der ab Dezember 1918 die ursprüngliche Malschicht freilegte, behauptet, dass zwar die meisten Teil in der Tat spätere Übermalungen seien, die beiden Gesichter aber eine echte byzantinische Arbeit. Erst nach dem Zusammenbruch der atheistischen Sowjetmacht konnte 1994 das Gnadenbild wieder an seinen angestammten Platz zurückkehren: Heute ist die Vla-dimirer Ikone wieder in der Moskauer Mariä-Entschlafen-Kathedrale, und zwar in einem besonderen Behälter, der auch unter musealem bzw. restaurationstechnischem Aspekt einen guten Erhalt der Tafel garantiert, zugleich aber die Ikone wieder der Verehrung der Gläubigen zugänglich macht.

Die Größe der Trägertafel beträgt bei der begutachteten Ikone 71 cm (Höhe) x 56,2 cm (Breite). Es dürfte sich an-gesichts der Größe also wohl um eine Ikone handeln, die ursprünglich ihren Platz in einer Kirche oder Kapelle hatte. Sie zeigt die übliche Darstellung der Gottesmutter des Vladimirer Typus. Bemerkenswert sind einmal die feine Malweise der Gesichter, sodann die relativ schlichte Ausfertigung der Gewänder: Dies ist dadurch zu erklären, dass die Ikone wohl im Anfang dafür bestimmt war, einen Metallbeschlag zu erhalten, der nur die Inkarnate frei lassen sollte. Christus trägt einen Gürtel von dunkelgrüner Farbe über einem den ganzen Körper einhüllenden dunkelroten Gewand. Er sitzt, fast thronend, auf dem rechten Arm der Gottesmutter, wobei er seine linke Wange an ihre rechte geschmiegt und seinen linken Arm um ihren Hals gelegt hat.

Die Ikone trägt einen ausgesprochen schön gearbeiteten Metallbeschlag, und zwar aus versilbertem Messing. Solche Beschläge haben in der lkonenkunst, besonders der russischen, schon eine sehr alte Tradition, wobei zuerst die Metallbeschläge aus kleinen Täfelchen bestanden, die auf die Holztafel der Ikone aufgenagelt worden sind. Später wurden dann größere metallene Auflagen beliebt, die entweder den Hintergrund der Ikone bedeckten oder auch die Figur der dargestellten Personen in Treibarbeit nachgestalteten und nur die Inkarnate freiließen. Der Zweck dieser Metallbeschläge ist wohl einerseits in dem praktischen Nutzen eines bestimmten Schutzes für die ja relativ empfindliche Ei-Tempera-Malerei zu sehen, andererseits aber dürfte auch der Wunsch eine Rolle gespielt haben, die Ikone durch solche Beschläge zu verschönern und zu ehren. Der außergewöhnlich reich ornamentierte und in schöner Treibarbeit gefertigte Beschlag dieser Ikone bedeckt die gesamte Malerei mit Aufnahme der Inkarnate und formt die Ikonographie des Tafelbildes nach. Die Ornamentik weist einige zeittypische klassizistischen Anklänge auf. Aufgesetzt ist ein erhaben gearbeiteter prachtvoller Nimbus, der auch über den Häuptern Christi und der Got-tesmutter eine dominierende Krone zeigt. Der Oklad macht die Ikone zu einem schönen Sammlerstück, das in dieser Größe und Erhaltung durchaus nicht häufig zu finden ist.

Bei der Ikone handelt es sich um eine russische Arbeit, und zwar dürfte sie nach der Art der gesamten Gestaltung aus einer Schule stammen, die in den Traditionen des mittelrussischen Gebietes bzw. auch Moskaus arbeitete. Ihrem Stil nach ist sie wahrscheinlich in das späte 18. Jahrhundert bzw. die Zeit um 1800 zu datieren und wohl gleichzeitig mit dem Metallbeschlag gefertigt worden.

Die Ikone liegt in unrestauriertem Originalzustand vor. Der Erhaltungszustand der Malerei ist als ausgesprochen gut zu bezeichnen; allerdings sind an den Stellen, wo der Metallbeschlag auf der Malerei zu liegen kam, einige Ab-reibungen zu verzeichnen, was allerdings die erhaltene Malerei nicht tangiert.

DIE gOTTESMUTTER VON VLaDIMIR

08

S 22 / 23

mETAllBESCHlAg

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Die Gottesgebärerin Maria wird in der Frömmigkeit vieler orthodoxer Christen als die große Fürbitterin und Hel-ferin der Sünder, die Zuflucht der Verlorenen und der Halt der im Meer des Lebens zugrunde Gehenden angerufen.

Eine Fülle von liturgischen Texten verkünden diesen Gedanken, so etwa ein Gesang, der bei vielen Liturgien ge-sungen wird: „Hilfe der Christen nie vergeblich, Mittlerin beim Schöpfer unwandelbar, verschmähe nicht der Sünder Stimme! Komm vielmehr uns zuvor mit deiner Hilfe, die wir gläubig zu dir rufen …“.

Die Ikone zeigt ein in Russland, besonders im l9. jahrhundert, sehr beliebtes Motiv, nämlich die Darstellung der gottesmutter als „zuflucht der Verlorenen“.

THEmATik dER ikonE

B 53 cmH 62,5 cm

El 049

AllgEmEinE ikono-gRApHiSCHE Und

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Auch eine große Zahl von verschiedenen Ikonen der Gottesmutter mit dem göttlichen Kind will immer wieder auf die herausragende Bedeutung Mariens im Heilswerk Gottes und ihre Nähe zu dem menschgewordenen Erlöser aufweisen. Besonders im russischen Raum ist eine mehrere Hundert zählende Fülle von solchen als wundertätig verehrten Gottesmutterbildern zu konstatieren, welche ikonographisch allerdings zumeist Varianten von drei sehr alten Haupttypen sind, nämlich der Orantin, der Hodegetria – bei der Christus auf dem Arm seiner Mutter thront und diese auf ihn weist – und der Eleousa (russ. Umilenie), welche die innige Umarmung von Mutter und Sohn zeigt.

Nur wenige Ikonen weichen von diesem Grundschema stärker als durch Umkehrung der Seiten, leicht veränder-te Haltung der Hände bei Christus oder der Gottesgebärerin und ähnliche Marginalien ab.

Hierzu gehört auch die vorliegende Ikone vom Typus „Zuflucht der Verlorenen (russ./kslw. Vzyskanie pogib-sich)“, welcher kunstgeschichtlich gesehen eine Kombination des Eleousa mit dem Hodegetria-Motives darstellt und durch das außergewöhnliche aufrechte Stehen des Kindes bemerkenswert ist.

Der Typus soll zwar der Überlieferung nach recht alt sein, ist aber erst seit der Mitte des 18. Jahrhunderts nach-gewiesen, und zwar in dem Dorf Bor im Gouvernement von Kaluga, dessen Holzkirche von dem Bauern Fedot Alek-seevic Obuchov aus Vjazovka unterstützt wurde. Obuchov, der in der Stadt Volchov im Gouvernement Orel Saatgut einkaufte, wurde dort von einem Schneesturm überrascht und gelobte, im Falle seiner Rettung ein Abbild der in der dortigen St-Georgs-Kirche verehrten Ikone der „Zuflucht“ malen zu lassen und seiner Pfarrkirche zu schenken. So geschah es, die in ihren Ausmaßen recht bedeutsame, mehr als 2,20 m hohe und etwa 1,30 m breite Ikone wurde zum Ziel zahlreicher Wallfahrten, und man baute dann auch eine Steinkirche. Besonders wird der Ikone von Bor die Errettung des Gebietes vor der Cholera-Epidemie 1871 zugeschrieben. Auf der oben abgerundeten Ur-Ikone ist oben die Taufe Christi dargestellt, weil Obuchov an einem 6. Januar gerettet wurde. Dieses Detail fehlt auf den meisten anderen Bildern der „Zuflucht“, von denen es eine ganze Reihe gibt. 1835 wurde auch beim Moskauer Aleksandr-Waisenhaus eine Kirche zu Ehren der „Zuflucht der Verlorenen“, deren Gedenktag im russischen Kirchenkalender am 5. Februar begangen wird, geweiht.

Die Größe der Trägertafel beträgt bei der begutachteten Ikone 62,5 cm (Höhe) x 53 cm (Breite). Dieses Maß lässt vermuten, dass die Ikone ursprünglich möglicherweise ihren Platz in einer Kirche, vielleicht sogar einer Ikonostase hatte.

Sie zeigt eine Variante der vorstehend erläuterten allgemeinen Ikonographie des Typus, die vermutlich jünger ist als das Urbild und nicht frei von westlichen Einflüssen: So trägt die Gottesgebärerin zwar noch das übliche Ma-phorion, hat es aber in einem faltenreichen Wurf über die Schultern gelegt, wie es eher in der italienischen Renais-sancemalerei üblich ist. Auch die Farbgebung entspricht dieser: An die Stelle des üblichen rotbraun für den Mantel Mariens ist hier ein helles Blau getreten, während das Untergewand von hellroter Farbe ist.

Christus, der in ein knielanges weißes Gewand gekleidet ist, steht auf dem rechten Knie Mariens und umschlingt ihren Hals mit beiden Händen. Die üblichen Abbreviaturen für „Jesus Christus“ und „Mutter Gottes“ stehen ober-halb bzw. neben dem Haupt der Dargestellten, während auf der – vom Betrachter aus gesehen – rechten Seite in der Bildmitte der Titel der Ikone angegeben ist: „Bild der Gottesgebärerin – Zuflucht der Verlorenen“.

Bei der Ikone handelt es sich um eine russische Arbeit von durchschnittlicher Qualität, und zwar dürfte sie nach der Art der gesamten Stilformen aus einer städtischen Werkstatt stammen, die wohl ihre Ikonen in größerer Stück-zahl herstellte.

Die verwandten stilistischen Formen wie auch die paläographische Einordnung der benutzten Schriftformen erlauben nach bestem Wissen und Gewissen eine Datierung in die Mitte bzw. zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Die Ikone zeigt jene im 18. und 19. Jahrhundert in Russland sehr weit verbreitete Übernahme westlicher, in die-sem Falle eher aus der italienischen Renaissancemalerei übernommener Stilformen, die auch eine Anlehnung an die – ebenfalls vor allem an italienischen Vorbildern orientierte – akademische Malerei ihrer Zeit sucht. Insgesamt handelt es sich um eine typische Arbeit und ein gutes Beispiel für die russische Sakralmalerei der Entstehungszeit, die dem Geschmack vor allem der Käufer aus dem gehobenen städtischen Bürgertum und dem Adel entsprach.

Die Ikone liegt in originalem, also unrestauriertem Zustand vor. Ihr Erhaltungszustand ist als rundum zufrieden-stellend zu bezeichnen; lediglich ein Riss unten links sowie einige Holzwurmlöcher im Brett sind zu vermerken, die aber alle die erhaltene Malerei in keiner Weise wesentlich tangieren.

DIE gOTTESMUTTER „zUFLUChT DER VERLORENEN“

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Die Ikone zeigt den frühchristlichen Märtyrer Eulampios und in einem Eckbild die gottesmutter vom Typus „Die Schnellerhörende“.

THEmATik dER ikonE

B 22,5 cmH 26,5 cm

El 053dETAilBESCHREiBUngdES voRliEgEndEn WERkES

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Die Ikone zeigt einen Märtyrer namens Eulampios. Im Jahreskalender der Russischen orthodoxen Kirche sind drei Heilige dieses Namens verzeichnet, die alle drei frühchristliche Märtyrer sind und über deren Leben außer dem Faktum ihres Martyriums relativ wenig bekannt ist.

Zum einen handelt es sich um einen am 3. Juli gefeierten Märtyrer der Verfolgungen des 2. Jahrhunderts, sodann den hl. Eulampios von Nikomedien, dessen Fest am 10. Oktober begangen wird und der um 311 das Martyrium erlit-ten hat, und schließlich eine Märtyrer aus Palästina, der am 5. März gefeiert wird und dem 5. Jahrhundert angehört. Da auf der Ikone keine nähere Angabe zu finden ist, lässt sich nicht entscheiden, um welchen der drei möglichen Heiligen es sich handelt.

Die Größe der Trägertafel beträgt bei der begutachteten Ikone 26,5 cm (Höhe) x 22,5 cm (Breite). Es handelt sich also um die Größe einer typischen Hausikone, die ihren Platz in der so genannten „Schönen Ecke“ (russ. Krasnyj ugol), also der lkonenecke des Hauses bzw. Zimmers findet.

Sie zeigt den Märtyrer in Ganzfigur vor einer mit Bäumen und anderen Pflanzen durchsetzten, hügeligen Land-schaft stehend. Die Linke hängt herunter, die Rechte hat er auf seine Brust gelegt. Bekleidet ist er mit einer knöchel-langen Tunika, über die togaartig ein Mantel geschlungen ist.

In der – vom Betrachter aus gesehen – linken oberen Ecke der Tafel ist das Bild der Gottesmutter „Die Schnell- erhörende“ gemalt, das in der Russischen Kirche am 9. November gefeiert wird. Es handelt sich dabei um eine Variante der so genannten „Hodegetria“, also der Darstellung, bei der Maria auf das auf ihrem linken Arm sitzende Kind weist.

Die Ikone trägt einen schön gearbeiteten Metallbeschlag, und zwar aus Silber. Solche Beschläge haben in der lkonenkunst, besonders der russischen, schon eine sehr alte Tradition, wobei zuerst die Metallbeschläge aus klei-nen Täfelchen bestanden, die auf die Holztafel der Ikone aufgenagelt worden sind. Später wurden dann größere metallene Auflagen beliebt, die entweder den Hintergrund der Ikone bedeckten oder auch die Figur der dargestellten Personen in Treibarbeit nachgestalteten und nur die Inkarnate freiließen.

Der Zweck dieser Metallbeschläge ist wohl einerseits in dem praktischen Nutzen eines bestimmten Schutzes für die ja relativ empfindliche Ei-Tempera-Malerei zu sehen, andererseits aber dürfte auch der Wunsch eine Rolle gespielt haben, die Ikone durch solche Beschläge zu verschönern und zu ehren.

Im vorliegenden Fall lässt der Metallbeschlag in der Tat nur die Inkarnate frei und gestaltet ansonsten die darun-ter liegende Malerei in Metalltreibarbeit nach. Bemerkenswert ist die aufwendige Gestaltung der Ecken mit stilisier-ten floralen Elementen. Einen eigenen Hinweis verdient der sehr schon emaillierte und eigens aufgesetzte Nimbus.

Der Beschlag ist datiert als eine Stiftung aus dem Jahre 1905; er dürfte dann auf die mit ziemlicher Sicherheit rund ein halbes Jahrhundert ältere Ikone aufgesetzt worden sein.

Bei der Ikone handelt es sich um eine russische Arbeit, und zwar dürfte sie nach der Art der gesamten Gestal-tung aus einer städtischen Werkstatt stammen. Die verwandten stilistischen Formen wie auch die paläographische Einordnung der benutzten Schriftformen erlauben nach bestem Wissen und Gewissen eine Datierung in die Zeit um 1850.

Die Ikone liegt in originalem, also unrestauriertem Zustand vor. Es sind lediglich einige leichte Abreibungen am Rande des Metallbeschlages zu verzeichnen; ansonsten ist die Ikone in einem sehr schönen Erhaltungszustand.

DER hL. MäRTyRER EULaMPIj VOR DER IKONE DER gOTTESMUTTER

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AllgEmEinE ikono-gRApHiSCHE Und kUnSTgESCHiCHTliCHE BESCHREiBUng

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Dargestellt ist, wie schon gesagt, auf der Ikone der hl. Nikolaus von Myra, einer der – sowohl in der orthodoxen wie in der abendländischen Christenheit – meistverehrten Heiligen, dessen Fest nach dem Kalender der Orthodo-xen wie der westlichen Kirche am 6. Dezember begangen wird. Die Russische Orthodoxe Kirche gedenkt zudem am 9. Mai der Übertragung seiner Gebeine nach Bari. Trotzdem es sich beim hl. Nikolaus um einen seit ältesten Zeiten besonders verehrten Heiligen handelt, haben wir nur wenige historisch belegbare bzw. glaubhafte Nachrichten über ihn, zumal offenbar zahlreiche Züge aus den Viten anderer gleichnamiger Heiliger, z.B. des Abtes Nikolaos vom Sion, auf den Bischof von Myra übertragen worden sind. Als relativ gesichert kann Folgendes gelten: Er wurde um 270 (wohl in Patras in Lykien) geboren. Sein Vater Eufemios (nachanderen Quellen: Theofanes, wie er auch auf der vorliegenden Ikone bezeichnet wird) war ein reicher, aber sehr frommer Christ, seine Mutter hieß Anna. Von seinem gleichnamigen Onkel, dem Bischof von Myra in Lykien (heute Demre südl. Kleinasien) wurde er zum Priester geweiht und zum Abt eingesetzt. Nach dem Tode des Onkels wurde Nikolaus selbst Bischof der Stadt und als solcher in der Verfolgung des Galerius (um 310) gefoltert. Als Teilnehmer am 1. ökumenischen Konzil in Nikaia 325 verteidigte er die Orthodoxie gegen Areios; im Alter von 65 Jahren soll er an einem Freitag, dem 6. Dezember 345/351, gestorben sein. Seine Gebeine wurden am 9. Mai (nach anderen Zeugnissen: am 4.9.) 1087 von Kaufleuten in die süditalienische Stadt Bari gebracht, wo sie noch heute vielverehrt ruhen. Nikolaus wird in Ost und West als hilfreicher Wunder-täter geehrt, wobei eine Reihe seiner Wunder bereits in den ältesten Vitenberichten bezeugt werden, so etwa die

Die Ikone zeigt einen der beliebtesten heiligen der Christenheit, nämlich den hl. bischof Nikolaus von Myra.

THEmATik dER ikonE

B 26,5 cmH 31,5 cm

El 060

AllgEmEinE HAgio- Und

ikonogRApHiSCHE BESCHREiBUng

dETAilBESCHREiBUngdES voRliEgEndEn WERkES

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Traumerscheinung vor Kaiser Konstantinos dem Großen. Nachzuweisen ist seine Verehrung mit Sicherheit seit dem 6. Jahrhundert in Myra und in Konstantinopel, seit dem 9. Jahrhundert auch in Rom. In Rußland ist der hl. Nikolaus seit den ältesten Zeiten wohl bekannt und geehrt, denn schon der erste Warägerfürst, der das Christentum annahm,nämlich Askold (gest. 882) wurde vom damaligen Konstantinopler Patriarchen, dem hl. Fotios dem Großen, 866 auf den Namen Nikolaus getauft. So existieren überall in der orthodoxen Welt zahlreiche Kirchen wie auch viele Ikonen des Mannes, den sein Festgesang mit den Worten ehrt: „Die Wahrheit deiner Werke, Vater und Bischof Nikolaus, machte dich für deine Herde zur Regel des Glaubens, zum Vorbild der Milde, zum Meister der Mäßigung. Deshalb erhieltst du für deine Demut die Erhöhung, für deine Armut den Reichtum. Bitte Christus Gott, dass er errette unsere Seelen!“.

Die Größe der Trägertafel beträgt bei der begutachteten Ikone 31,5 cm (Höhe) x 26,5 cm (Breite). Es handelt sich also um die Ausmaße einer typischen Hausikone, die ihren Platz in der so genannten „Schönen Ecke“ (russ. Krasnyj ugol), also der lkonenecke des Hauses bzw. Zimmers findet. Dargestellt ist der Heilige, wie üblich in der orthodoxen Sakralkunst, frontal in Halbfigur in bischöflicher Ge-wandung. Seine gesamte Physiognomie entspricht dem traditionellen Bildkanon und wird im Malerhandbuch des Berges Athos, der berühmten „Hermeneia“ des Dionysios von Fourna, als die eines „Greises, kahlköpfig mit rundem Bart“ beschrieben. So begegnet er uns auch schon auf den ältesten Darstellungen, zu denen das Fresko von 757–767 in S. Maria Antiqua in Rom gehört. Auch auf allen Ikonen sehen wir den hl. Nikolaus als Asketen mit ausgeprägt hoher Stirn und breiten Schläfen und mit einem abgerundeten kurzen Bart – so auch hier. Er trägt die bischöfliche liturgische Gewandung, d. h. ein Felonion und darüber das eigentliche bischöfliche Amtszeichen, nämlich das Omoforion, einen langen über beide Schultern gelegten und mit großen Kreuzen verse-henen Gewandstreifen, welcher die Bürde der geistlichen Schafe symbolisiert, die der Bischof zu tragen hat. Mit seiner Rechten segnet der hl. Bischof in der alten byzantinischen bzw. altrussischen Art, d.h. er legt Dau-men, Ring- und kleinen Finger zusammen, die die Göttliche Dreieinigkeit symbolisieren, während der Zeige- und der leicht gekrümmte Mittelfinger emporstehen und auf die beiden Naturen in Christus, die göttliche und die menschli-che, hindeuten sollen. Zu beiden Seiten des Hauptes des Heiligen sind in halbfigurigen Darstellungen Christus – segnend mit dem Evangelienbuch in der Linken – und die Gottesmutter mit dem Omoforion oder Schutzmantel gemalt. Eine jüngere, seit dem 13. Jahrhundert auch in die Ikonographie umgesetzte Legende deutet diese beiden Gestalten so: Weil der hl. Nikolaus auf dem Konzil von Nikaia voller Zorn über die Irrlehren den Häretiker Areios geohrfeigt hat, wur-de er seiner bischöflichen Würde entsetzt; daraufhin erschienen ihm Christus und seine allreine Mutter, die dem hl. Nikolaus die Amtszeichen des Bischofs wiedergaben, da er für die gerechte Sache und die Reinheit des orthodo-xen Glaubens gestritten hatte.

Die Ikone trägt einen schön gearbeiteten Metallbeschlag, und zwar aus Messing. Solche Beschläge haben in der lkonenkunst, besonders der russischen, schon eine sehr alte Tradition, wobei zuerst die Metallbeschläge aus kleinen Täfelchen bestanden, die auf die Holztafel der Ikone aufgenagelt worden sind. Später wurden dann größere metallene Auflagen beliebt, die entweder den Hintergrund der Ikone bedeckten oder auch die Figur der dargestell-ten Personen in Treibarbeit nachgestalteten und – wie auch im vorliegenden Fall – nur die Inkarnate freiließen. Der Zweck dieser Metallbeschläge ist wohl einerseits in dem praktischen Nutzen eines bestimmten Schutzes für die ja relativ empfindliche Ei-Tempera-Malerei zu sehen, andererseits aber dürfte auch der Wunsch eine Rolle gespielt haben, die Ikone durch solche Beschläge zu verschönern und zu ehren. Im vorliegenden Fall ist dieser Beschlag sehr aufwendig gestaltet, da er – wie schon gesagt – von Anfang an für die Ikone bestimmt war. So gestaltet er die Malerei nicht nur nach, sondern setzt in feiner Treibarbeit wesentliche neue Akzente. Dies gilt nicht nur für den äußerst detailfreudig gestalteten Nimbus und den schön ornamentierten Rand, sondern auch für die eigentliche Ikonographie. So hat der Heilige hier ein mit zahlreichen Kreuzen besetztes Felonion, also ein so genanntes „Polystaurion“ und in einem Punkt geht die Darstellung auf dem Metallbeschlag sogar deutlich über die Malerei hinaus: Während der hl. Nikolaus dort ein geschlossenes Evangeliar trägt, hält er nun in seiner Linken das aufgeschlagene Evangelien-buch. Dort ist in kirchenslavischer Sprache und Schrift jene Perikope zu lesen, die am Festtage der hl. Hierarchen in der Göttlichen Liturgie vorgetragen wird, nämlich Lk 6, 17 f., und die beginnt: „In jener Zeit blieb Jesus auf einem ebenen Plateau stehen und eine große Schar seiner Jünger sowie eine große Menge der Menschen aus ganz Judäa und Jerusalem, kam ...“

Bei der Ikone handelt es sich um eine typische russische Arbeit der Entstehungszeit, denn während die Inkar-nate mit bemerkenswert guter handwerklicher und künstlerischer Fähigkeit gemalt worden sind, ist der Rest nur grob skizziert. Dies erklärt sich durch den von Anfang an geplanten Metallbeschlag, denn der größte Teil der Malerei blieb ja unter dem Beschlag ohnehin verborgen und wurde daher auch nur relativ grob gefertigt.

Die Ikone liegt in originalem, also unrestauriertem Zustand vor. Ihr Erhaltungszustand ist als rundum zufrie-denstellend zu bezeichnen; zwar hat der Metallbeschlag einige Abblätterungen auf dem Malgrund durch Abreibung hervorgerufen, aber die sichtbare Malerei wird davon nicht wesentlich tangiert und ist sehr schön erhalten.

DER hEILIgE NIKOLaUS

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Die nach der Stadt Vladimir benannte Ikone der Gottesmutter mit dem göttlichen Kinde gehört zum Ty-pus der sog. „Eleousa“ (russ. Umilenie = Erbarmen), der in besonderer Weise die innige Liebe zwischen Mut-ter und Kind ausdrückt. Mit dieser Ikone, die wohl zu den berühmtesten der russischen Christenheit gehört, ja vielleicht die weltweit bekannteste Ikone überhaupt darstellt, verbindet sich eine reiche Überlieferung. „Heute ist festlich geschmückt Moskau, die ruhmvolle Stadt, da sie dein wundertätig Bild, o Herrin, wie die Morgenrö-te empfangen,“ so jubelt das Apolytikion (Festgesang) zum Gedenken an das Bild der Gottesmutter von Vla-dimir, dessen herausragende Bedeutung unter den vielen als wundertätig verehrten Muttergottesikonen Ruß-lands schon dadurch deutlich wird, dass ihm drei Festtage im Laufe des Kirchenjahres (nämlich der 21. Mai, der 23. Juni und der 26. August) gewidmet sind. Nach der legendären Überlieferung soll auch hier der Evangelist Lukas das Urbild gemalt haben. Es sei dann im 5. Jahrhundert nach Konstantinopel gebracht und vom dortigen Patriar-chen dem Kiever Großfürsten Jurij Vladimirovic Dolgorukij (ca. 1100–1157), dem Begründer Moskaus, als Geschenk nach Kiev zugesandt worden. Wenn es sich bei der heute vorliegenden Urikone auch nach Restaurierungsuntersu-chungen um eine Tafel handeln dürfte, die frühestens zu Anfang des 12. Jahrhunderts in Konstantinopel entstanden und 1136 nach Vysgorod bei Kiev gebracht worden ist, so zeigt die Herleitung aus altchristlichen Zeiten deutlich, wie sehr sich die alte Rus‘ als ein christlicher Staat verstand, der eine in ihren Wurzeln apostolische Tradition bean-spruchte. Das Bild war wohl ursprünglich eine Standartenikone, wie der noch erkennbare Ansatz für den Schaft am unteren Rand vermuten läßt. 1155 überführte dann Fürst Andrej von Bogoljubovo (ca. 1111–1174) die Ikone in seine Residenzstadt und von dort 1160 nach Vladimir an der Kljaz‘ma, der nahegelegenen Metropole, wo die eigentliche Verehrung des Bildes eingesetzt haben soll, was allerdings durch schriftliche Quellen nicht bezeugt wird, sondern allein durch die Überlieferung. Ebenso schweigen die schriftlichen Zeugnisse dieser Zeit über die erste Übertragung des Bildes nach Moskau, die von der Tradition auf das Jahr 1395 festgesetzt wird, da auf die Fürbitte vor dieser Ikone der himmlische Beistand bei der Abwehr Tamerlans zurückgeführt wird. 1411 soll der berühmte russische lkonen-

Die Ikone zeigt eine Darstellung der gottesmutter mit dem göttlichen Kind, die nach der russischen Stadt Vladimir benannt ist und daher als Vladimirer Ikone der gottesmutter (russ. Vladimirskaja) bezeichnet wird.

THEmATik dER ikonE

B 26,5 cmH 31,5 cm

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AllgEmEinE ikono-gRApHiSCHE Und

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dETAilBESCHREiBUngdES voRliEgEndEn WERkES

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ERHAlTUngSzUSTAndUnd RESTAURATionEn

maler Andrej Rublev die Ikone, welche inzwischen wieder nach Vladimir zurückgekehrt war, restauriert haben, da sie bei einigen Tatareneinfällen gelitten hatte, weil die Eroberer den kostbaren Silberbeschlag abrissen, der nach der Sitte der Zeit ja direkt auf die Holztafel genagelt war. Am 23. Juni 1480, als Moskau endgültig das Zentrum des russischen Landes geworden war, brachte man die Ikone erneut in die Hauptstadt, wo sie ihren Platz in der Mariä-Entschlafen-Kathedrale im Kreml fand und zum Palladium der alten Hauptstadt Rußlands wurde, dem mehrere Errettungen vor feindlichen Heerscharen zugeschrieben wurden, so beispielsweise 1521 vor dem Überfall des Khans von Kazan‘ Machmet-Girej. Vor der Ikone der Gottesmutter von Vladimir fanden etliche wichtige Ereignisse der rus-sischen Kirchen- und Staatsgeschichte statt, so die Einsetzung des ersten Vorstehers der aurokephalen russischen Kirche 1448, die des ersten Patriarchen 1589 und schließlich auch die Wiederherstellung des Patriarchates 1917. 1930 wurde das Urbild ins Staatliche Historische Museum gebracht und befand sich jahrzehntelang in der Moskauer Tret‘jakov-Galerie. Nach einigen Forschern soll es sich allerdings bei der heute bekannte Tafel nicht um das byzan-tinische Urbild handeln, das entweder schon beim Brand Vladimirs 1185 oder spätestens beim Tatarenüberfall 1237 verloren gegangen ist, sondern um eine meisterhafte russische Kopie des 13. Jahrhunderts. Der Restaurationsbericht von Cirikov allerdings, der ab Dezember 1918 die ursprüngliche Maischicht freilegte, behauptet, dass zwar die meis-ten Teil in der Tat spätere Übermalungen seien, die beiden Gesichter aber eine echte byzantinische Arbeit. Erst nach dem Zusammenbruch der atheistischen Sowjetmacht konnte 1994 das Gnadenbild wieder an seinen angestammten Platz zurückkehren: Heute ist die Vladimirer Ikone wieder in der Moskauer Mariä-Entschlafen-Kathedrale, und zwar in einem besonderen Behälter, der auch unter musealem bzw. restaurationstechnischem Aspekt einen guten Erhalt der Tafel garantiert, zugleich aber die Ikone wieder der Verehrung der Gläubigen zugänglich macht.

Die Größe der Trägertafel beträgt bei der begutachteten Ikone 31,5 cm (Höhe) x 26,5 cm (Breite). Es handelt sich also um die Ausmaße einer typischen Hausikone, die ihren Platz in der so genannten „Schönen Ecke“ (russ. Krasnyj ugol), also der lkonenecke des Hauses bzw. Zimmers findet. Sie zeigt die übliche Darstellung der Gottesmutter des Vladimirer Typus. Bemerkenswert ist allerdings, dass hier auf der Tafel eigentlich nur die Inkarnate ausgeführt wor-den sind, während der Rest der Ikonographie nur grob skizziert wurde. Dieser Kontrast zwischen der feinen Malwei-se der Gesichter einerseits und sodann der sehr schlichten Ausfertigung der Gewänder ist dadurch zu erklären, dass die Ikone wohl im Anfang dafür bestimmt war, einen Metallbeschlag zu erhalten, der nur die Inkarnate frei lassen sollte und den Rest der Malerei in Metall nachgestaltet – und zwar in recht feiner Weise. So beziehe sich die folgende Beschreibung nicht in erster Linie auf die gemalte Tafel, sondern auf den Metallbeschlag. Christus – gewandet in ein den ganzen Körper einhüllendes Gewand mit einem breiten Gürtel – sitzt, fast thronend, auf dem rechten Arm der Gottesmutter, wobei er seine linke Wange an ihre rechte geschmiegt und beide Arme um ihren Hals gelegt hat.

Die Ikone träge einen ausgesprochen schön gearbeiteten Metallbeschlag, und zwar aus versilbertem Messing. Solche Beschläge haben in der lkonenkunst, besonders der russischen, schon eine sehr alte Tradition, wobei zuerst die Metallbeschläge aus kleinen Täfelchen bestanden, die auf die Holztafel der Ikone aufgenagelt worden sind. Später wurden dann größere metallene Auflagen beliebt, die entweder den Hintergrund der Ikone bedeckten oder auch die Figur der dargestellten Personen in Treibarbeit nachgestalteten und nur die Inkarnate freiließen. Der Zweck dieser Metallbeschläge ist wohl einerseits in dem praktischen Nutzen eines bestimmten Schutzes für die ja relativ empfindliche Ei-Tempera-Malerei zu sehen, andererseits aber dürfte auch der Wunsch eine Rolle gespielt haben, die Ikone durch solche Beschläge zu verschönern und zu ehren. Der außergewöhnlich reich ornamentierte und in schöner Treibarbeit gefertigte Beschlag dieser Ikone bedeckt die gesamte Malerei mir Aufnahme der Inkarnate und forme die Ikonographie des Tafelbildes nach. Die Ornamentik weist einige zeittypische klassizistischen Anklänge auf. Aufgesetzt ist ein erhaben gearbeiteter prachtvoller Nimbus. Der Oklad macht die Ikone zu einem schönen Sammlerstück.

Bei der Ikone handelt es sich um eine russische Arbeit, und zwar dürfte sie nach der Art der gesamten Gestaltung aus einer Schule stammen, die in den Traditionen des mittelrussischen Gebietes bzw. auch Moskaus arbeitete. Ihrem Stil nach ist sie wahrscheinlich in das späte 18. Jahrhundert bzw. die Zeit um 1800 zu datieren und wohl gleichzeitig mit dem Metallbeschlag gefertigt worden. Die Ikone zeigt bei der Malerei der Gesichter der Gottesmutter und Christi schon Anklänge an jene im ausgehenden 17. Jahrhundert einsetzende, dann aber besonders im 18. und auch noch im 19. Jahrhundert, ja teilweise bis heute in orthodoxen Kirchen Russlands sehr weit verbreitete Übernahme westlicher Darstellungsformen und einen gewissen Naturalismus, vor allem in der Gestaltung des Gesichtes, die auch eine Anlehnung an die – in diesem Fall wiederum vor allem an Vorbildern der italienischen Kunst orientierte – akademi-sche Malerei ihrer Zeit sucht. Insgesamt handelt es sich aber um eine schöne, typische Arbeit und ein gutes Beispiel für die russische Sakralmalerei der Entstehungszeit, die dem Geschmack vor allem der Käufer aus dem gehobenen städtischen Bürgertum und dem Adel entsprach.

Die Ikone liegt in unrestauriertem Originalzustand vor. Der Erhaltungszustand der Malerei ist als ausgesprochen gut zu bezeichnen; allerdings sind an den Stellen, wo der Metallbeschlag auf der Malerei zu liegen kam, einige Ab-reibungen zu verzeichnen, was allerdings die erhaltene Malerei nicht tangiert.

DIE gOTTESMUTTER VON VLaDIMIR

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Neben der Darstellung des Erzengels als eines aufrecht stehenden Kriegers wurde – vor allem in Russland und dort wieder in der altgläubigen Malerei – eine andere Ikonographie seit dem späten 16. Jahrhundert recht beliebt, nämlich jene, die den himmlischen Heerführer als geflügelten Krieger bzw. als apokalyptischen Reiter auf einem ebenfalls geflügelten Ross, über die Lande und Wasser dahin gallopierend zeigt. Zu diesem Typus gehört auch die vorliegende Ikone.

Die Ikone zeigt den hl. Erzengel Michael, und zwar als den himmlischen heerführer (kslw. Svjatyj Michail archistratig), wie es auch zu seinen häupten vermerkt ist.

THEmATik dER ikonE

B 27 cmH 31,5 cm

El 066

AllgEmEinE ikono-gRApHiSCHE Und

kUnSTgESCHiCHTliCHE BESCHREiBUng

dETAilBESCHREiBUngdES voRliEgEndEn WERkES

HERkUnfTS- UndAlTERSBESTimmUng

ERHAlTUngSzUSTAndUnd RESTAURATionEn

Der Erzengel Michael, dessen hebräischer Name „mika‘el“ bedeutet: „Wer ist wie Gott?“ kommt namentlich im Alten Testament nur beim Propheten Daniel (Dan 10, 13.21; 21,1) vor, wo er als „einer der ersten Fürsten“ als „Engels-fürst“ und als „der große Fürst“ bezeichnet wird, und dann noch bei der Aufzählung der Engel im 4. Buche Esdras, welches allerdings nur in der slavischen Tradition Aufnahme in den Kanon der biblischen Bücher gefunden hat.

Doch schon in der außerbiblischen jüdischen Literatur der Rabbinen und der Qumrangemeinde wird ihm auch der Titel des „Oberfeldherrn (griech. archistrategós)“ zugesprochen, der die Gebete und Opfer der Frommen vor Gottes Thron trägt.

Im Neuen Testament wird Michael im Judasbrief erwähnt, wo er mit dem Teufel um den Leichnam des Propheten Mose kämpfe (Jud 9) – eine offenkundige Entlehnung aus der jüdischen Überlieferung. Die Apokalypse des Johan-nes schildert den Kampf Michaels und seiner Engel mit dem Satansdrachen und seinem Anhang (Offb. 12,7 ff.) und gab damit die literarische Vorlage für dieses lkonenmotiv, welches sich aufgrund seiner allgemein apokalyptischen Ausrichtung besonders unter den russischen Alt-Gläubigen einer großen Beliebtheit erfreute.

Die Größe der Trägertafel beträgt bei der begutachteten Ikone 31,5 cm (Höhe) x 27 cm (Breite). Es handelt sich also um die Größe einer typischen Hausikone, die ihren Platz in der so genannten „Schönen Ecke“ (russ. Krasnyj ugol), also der lkonenecke des Hauses bzw. Zimmers findet.

Sie zeigt dominierend in der Bildmitte den Erzengel auf seinem geflügelten Ross. Der Erzstratege trägt in sei-nen Händen etliche Gegenstände, die ihn als Ausführer des göttlichen Willens bzw. als Träger göttlicher Vollmacht kennzeichnen: So hält er in der ausgestreckten linken Hand ein mit einem kostbaren goldenen Einband und einem leuchtend roten Schnitt verziertes Evangelienbuch.

Schwebend an seinen Lippen und gehalten in der rechten Hand führt Michael die Tuba des Gerichtes, die apo-kalyptische Posaune mit sich.

Die beiden ausgestreckten Arme des Erzengels bilden mit seinem aufrecht auf dem Pferd sitzenden Körper ein deutliches Kreuz – sicher nicht von ungefähr.

Bekleidet ist der himmlische Heerführer in eine Waffenrüstung vom spätrömischen bzw. frühbyzantinischen Typus mit einem Schuppenpanzer Es handelte sich dabei um jenen Waffenrock, der bis in die hochbyzantinische Zeit von den Paradetruppen zu Konstantinopel getragen wurde.

Statt des üblichen Helmes allerdings trägt der Engelfürst eine an altrussischen Vorbildern orientierte, ebenfalls reicht ornamentierte und perlenbesetzte Krone. Das Pferd ist insgesamt von feuerroter Farbe. Diese Farbe symbo-lisiert hier das Durchdrungensein von der Gnade Gottes und wird in etwas aufgehellter Form auch in den Flügeln wieder aufgenommen.

In der (vom Betrachter aus gesehen) oberen linken Ecke des Bildes sehen wir über einer aus Wolken bestehen-den Bank die Darstellung des jugendlichen Christus Emmanuel.

Bei der Ikone handelt es sich um eine russische Arbeit, und zwar dürfte sie nach der Art der gesamten Bildge-staltung aus einer Werkstatt des mittel russischen Gebietes, möglicherweise einem der Malerdörfer des Vladimir-Suzdaler Raumes, stammen.

Die verwandten stilistischen Formen wie auch die paläographische Einordnung der benutzten Schriftformen er-lauben nach bestem Wissen und Gewissen eine Datierung in die Zeit um 1800 bzw. die 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Wahrscheinlich hatte die Ikone ursprünglich einen Metallbeschlag, was erklärt, warum die Inkarnate relativ sorgfältig, die übrige, dann unter dem Beschlag ohnehin verborgene und nicht sichtbare Malerei aber relativ grob gefertigt worden ist.

Die Ikone liegt in weitgehend originalem, also unrestauriertem Zustand vor. Lediglich im Randbereich sind eini-ge Restaurationen zu vermerken, die aber sachkundig ausgeführt wurden und die eigentliche Malerei nicht tangie-ren. Insgesamt ist der Erhaltungszustand der Ikone ist als rundum gut zu bezeichnen.

DER hL. MIChaEL, DER hEERFühRER

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Die Ikone zeigt eine der in Russland beliebtesten Dar-stellungen der gottesmutter mit ihrem göttlichen Sohn, die nach der Stadt Kazan‘ benannt ist (russ. Kazanskaja).

THEmATik dER ikonE

B 14,8 cmH 17,3 cm

El 069

dETAilBESCHREiBUngdES voRliEgEndEn WERkES

AllgEmEinE ikono-gRApHiSCHE Und kUnSTgESCHiCHTliCHE BESCHREiBUng

HERkUnfTS- UndAlTERSBESTimmUng

ERHAlTUngSzUSTAndUnd RESTAURATionEn

Die Ikone der Gottesmutter, welche den Namen „von Kazan“ trägt, ist eng mit der Geschichte Russlands verbun-den. Die Erscheinung des Urbildes fällt in das Jahr 1579, als die am 1. Oktober 1552 unter dem Zaren loann IV., dem Gestrengen (russ. Grozny;), dem russischen Reiche zurückeroberte Stadt Kazan‘ (welche bis dahin die Hauptstadt des gleichnamigen Tatarenchanates gewesen war) von einer verheerenden Feuersbrunst heimgesucht wurde. Die in der Stadt immer noch sehr zahlreichen Muslime sahen darin ein Strafgericht Gottes wider die Christen. In der Nacht aber, so erzählt die Überlieferung, erschien die Gottesmutter dem zehnjährigen Mädchen Matrona und nannte ihr den Ort, wo eine Ikone vergraben lag, die unter der islamischen Tatarenherrschaft von heimlichen Christen dort verborgen worden war. Matrona wiederum berichtete ihrer Mutter von der Vision, doch diese gab zu-erst wenig um die Worte ihrer Tochter. Da wiederholte sich die Erscheinung, wobei Matrona nun die im Feuerglanz strahlende Ikone selbst sah. Auf das Drängen Matronas hin ging schließlich die Mutter mit ihrem Kind zum Bischof der Stadt, Ieremija, und endlich machte man sich daran, an der von Matrona bezeichneten Stelle zu graben, wo auch wirklich die Ikone gefunden wurde. In feierlicher Prozession brachte man sie zuerst zur Kazaner Mariä-Verkündi-gungs-Kathedrale und noch im gleichen Jahr nach Moskau, wo ihr zu Ehren eine Kirche errichtet wurde. Am Orte ihrer Auffindung aber erbaute man ein Frauenkloster, in das später auch Matrona und ihre Mutter eintraten. Bereits 1594 wurde vom damaligen Metropoliten von Kazan‘, Ermogen, dem späteren heiligen Martyrer-Patriar-chen von Moskau (gest. 1612, Fest: 17. Februar) die erste Beschreibung der Ereignisse verfasst, deren Augenzeuge er als Pfarrgeistlicher der Stadt gewesen war.

Dem Kazaner Bild wird vielfacher wunderbarer Beistand der Gottesmutter zugeschrieben, so in den Verteidi-gungskriegen gegen die Okkupanten 1612 und 1812. Heute befindet sich das Urbild in der Theophanie Kathedrale des Patriarchen (in Elochovo/Moskau) auf der linken Seite der Ikonostase. Ihm sind zahlreiche Kirchen in ganz Russland geweiht, worunter die dem Petersdom zu Rom nachgestaltete Kathedrale aus dem Nevskij-Prospekt in Leningrad wohl die bekannteste ist.

Die tiefe Verehrung des Bildes kommt auch in dem ihm gewidmeten Festgesang (Apolytikion) an seinem Feier-tag am 8. Juli zum Ausdruck, der lautet: „Inständiger Beistand, Mutter des höchsten Herrn, du bittest für alle deinen Sohn, unsern Gott, und erwirkst allen, dass sie gerettet werden, sie, die sich flüchten in deine mächtige Obhut. Uns allen stehe bei, o Herrin, Königin und Gebieterin, die wir in Heimsuchungen und Leiden und in Krankheiten we-gen unserer vielen Sünden bedrückt werden, die wir mit bittender Seele und zerknirschtem Herzen mit Tränen vor deinem allreinen Bilde stehen und zu dir bitten, die wir auch unerschütterlich unsere Hoffnung um Errettung von allem Bösen auf dich setzen: Schenke allen, was ihnen nutzt, und rette alle, Gottesgebärerin Jungfrau: Du bist ja die göttliche Obhut für deine Knechte“.

Die Größe der Trägertafel beträgt bei der begutachteten Ikone 17,3 cm (Höhe) x 14,8 cm (Breite) und einem ovalen Zuschnitt des Brettes.

Auf Grund der geringen Größe wie auch der runden Form kann man annehmen, dass die Ikone möglicherweise ursprünglich ein Pilgerandenken war. Sie zeigt die typische Ikonographie des Kazaner Bildes bzw. – bedingt durch die ovale Form der Tafel – einen Ausschnitt daraus: Das heißt, dargestellt sind die Gottesgebärerin und ihr göttlicher Sohn in einem Ausschnitt, der von Maria nur das Haupt und den Ansatz der Schultern wiedergibt, Christus hinge-gen aufrecht stehend in Halbfigur, von der hier allerdings ebenfalls nur die rechte Seite des Oberkörpers mit der Segenshand sichtbar ist.

Beide sind in der üblichen Art gewandet, d. h. Maria trägt über dem – allerdings nur am Hals in einem kleinen Ausschnitt sichtbaren – dunklen blaugrünen Untergewand den rotbraunen Mantel. Beide Gewänder sind mit einer breiten, leicht ornamentierten Zierborte versehen. Die Mutter hat ihr Haupt dem aufrecht und frontal zum Betrach-ter stehenden Sohn zugeneigt, blickt aber nicht auf ihn, sondern zum Betrachter. Während die Linke Christi unter dem Gewand verborgen ist, hat er die Rechte zum Segen erhoben.

Bei der Ikone handelt es sich um eine russische Arbeit von guter Qualität. Die verwandten stilistischen Formen wie auch die paläographische Einordnung der benutzten Schriftformen erlauben nach bestem Wissen und Gewis-sen eine Datierung in die Mitte bis zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Die Ikone liegt in leicht restauriertem Zustand vor, d. h. es ist eine Schutzschicht zur Sicherung der Malerei auf-getragen. Ihr Erhaltungszustand ist somit als im Ganzen zufriedenstellend einzustufen.

DIE gOTTESMUTTER VON KaSaN hOChOVaL

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Die Ikone der Gottesmutter, welche den Namen „von Kazan“ trägt, ist eng mit der Geschichte Russlands verbun-den. Die Erscheinung des Urbildes fällt in das Jahr 1579, als die am 1. Oktober 1552 unter dem Zaren loann IV., dem Gestrengen (russ. Grozny;), dem russischen Reiche zurückeroberte Stadt Kazan‘ (welche bis dahin die Hauptstadt des gleichnamigen Tatarenchanates gewesen war) von einer verheerenden Feuersbrunst heimgesucht wurde. Die in der Stadt immer noch sehr zahlreichen Muslime sahen darin ein Strafgericht Gottes wider die Christen. In der Nacht aber, so erzählt die Überlieferung, erschien die Gottesmutter dem zehnjährigen Mädchen Matrona und nannte ihr den Ort, wo eine Ikone vergraben lag, die unter der islamischen Tatarenherrschaft von heimlichen Christen dort verborgen worden war. Matrona wiederum berichtete ihrer Mutter von der Vision, doch diese gab zu-

Die Ikone zeigt – wie auch auf dem unteren Rand des bildes angegeben – eine der in Russland beliebtesten Darstellungen der gottesmutter mit ihrem göttlichen Sohn, die nach der Stadt Kazan‘ benannt ist (russ. Kazanskaja).

THEmATik dER ikonE

B 17,8 cmH 22,2 cm

El 071

AllgEmEinE HAgio- Und

ikonogRApHiSCHE BESCHREiBUng

dETAilBESCHREiBUngdES voRliEgEndEn WERkES

HERkUnfTS- UndAlTERSBESTimmUng

ERHAlTUngSzUSTAndUnd RESTAURATionEn

erst wenig um die Worte ihrer Tochter. Da wiederholte sich die Erscheinung, wobei Matrona nun die im Feuerglanz strahlende Ikone selbst sah. Auf das Drängen Matronas hin ging schließlich die Mutter mit ihrem Kind zum Bischof der Stadt, leremija, und endlich machte man sich daran, an der von Matrona bezeichneten Stelle zu graben, wo auch wirklich die Ikone gefunden wurde. In feierlicher Prozession brachte man sie zuerst zur Kazaner Mariä-Verkündi-gungs-Kathedrale und noch im gleichen Jahr nach Moskau, wo ihr zu Ehren eine Kirche errichtet wurde. Am Orte ihrer Auffindung aber erbaute man ein Frauenkloster, in das später auch Matrona und ihre Mutter eintraten. Bereits 1594 wurde vom damaligen Metropoliten von Kazan‘, Ermogen, dem späteren heiligen Martyrer-Patriar-chen von Moskau (gest. 1612, Fest: 17. Februar) die erste Beschreibung der Ereignisse verfasst, deren Augenzeuge er als Pfarrgeistlicher der Stadt gewesen war. Dem Kazaner Bild wird vielfacher wunderbarer Beistand der Gottesmutter zugeschrieben, so in den Verteidi-gungskriegen gegen die Okkupanten 1612 und 1812. Heute befindet sich das Urbild in der Theophanie Kathedrale des Patriarchen (in Elochovo/ Moskau) auf der linken Seite der Ikonostase. Ihm sind zahlreiche Kirchen in ganz Russland geweiht, worunter die dem Petersdom zu Rom nachgestaltete Kathedrale aus dem Nevskij-Prospekt in Leningrad wohl die bekannteste ist. Die tiefe Verehrung des Bildes kommt auch in dem ihm gewidmeten Festgesang (Apolytikion) an seinem Feier-tag am 8. Juli zum Ausdruck, der lautet: „Inständiger Beistand, Mutter des höchsten Herrn, du bittest für alle deinen Sohn, unsern Gott, und erwirkst allen, dass sie gerettet werden, sie, die sich flüchten in deine mächtige Obhut. Uns allen stehe bei, o Herrin, Königin und Gebieterin, die wir in Heimsuchungen und Leiden und in Krankheiten we-gen unserer vielen Sünden bedrückt werden, die wir mit bittender Seele und zerknirschtem Herzen mit Tränen vor deinem allreinen Bilde stehen und zu dir bitten, die wir auch unerschütterlich unsere Hoffnung um Errettung von allem Bösen auf dich setzen: Schenke allen, was ihnen nutzt, und rette alle, Gottesgebärerin Jungfrau: Du bist ja die göttliche Obhut für deine Knechte“.

Die Größe der Trägertafel beträgt bei der begutachteten Ikone 22,2 cm (Höhe) x 17,8 cm (Breite). Es handelt sich also um die Größe einer typischen Hausikone, die ihren Platz in der so genannten „Schönen Ecke“ (russ. Krasnyj ugol), also der lkonenecke des Hauses bzw. Zimmers findet. Sie zeigt die typische Ikonographie des Kazaner Bildes: Das heißt, dargestellt sind die Gottesgebärerin und ihr göttlicher Sohn in einem Ausschnitt, der von Maria nur das Haupt und den Ansatz der Schultern wiedergibt, Chris-tus hingegen aufrecht stehend in Halbfigur. Beide sind in der üblichen Art gewandet, d. h. Maria trägt über dem – allerdings nur am Hals in einem kleinen Ausschnitt sichtbaren – Untergewand den über den Kopf gezogenen Mantel, das Maforion. Die Mutter hat ihr Haupt dem aufrecht und frontal zum Betrachter stehenden Sohn zugeneigt, blickt aber nicht auf ihn, sondern zum Betrachter. Zu beiden Seiten des Hauptes der Gottesmutter findet sich die übliche griechische Abkürzung „Hp ey“ (für Meter Theou = Mutter Gottes). Besonders aber kennzeichnet diese Ikone die sehr farbenprächtige, einen emaillierten Metallbeschlag imitieren-de Malerei, die in dieser Form sehr selten ist und damit die Ikone hervorhebt.

Bei der Ikone handelt es sich um eine russische Arbeit, und zwar dürfte sie nach der Art der gesamten Bildgestal-tung und der verwandten Technik wohl aus einer handwerklich wie künstlerisch qualitätvollen Werkstatt in einem städtischen Zentrum stammen. Die verwandten stilistischen Formen erlauben nach bestem Wissen und Gewissen eine Datierung in die Zeit um 1900. Die Ikone zeigt – besonders bei den Inkarnaten – jene schon im ausgehenden 17. Jahrhundert einsetzende, dann aber besonders im 18. und auch noch im 19. Jahrhundert, ja teilweise bis heute in orthodoxen Kirchen Russlands sehr weit verbreitete Übernahme westlicher Darstellungsformen und einen gewissen Naturalismus, vor allem in der Gestaltung des Gesichtes, die auch eine Anlehnung an die – in diesem Fall wiederum vor allem an Vorbildern der Nazarenerkunst orientierte – akademische Malerei ihrer Zeit sucht. Insgesamt handelt es sich um eine schöne, typische Arbeit und ein gutes Beispiel für die russische Sakralmale-rei der Entstehungszeit, die dem Geschmack vor allem der Käufer aus dem städtischen Bürgertum entsprach. Hervorzuheben ist noch einmal die farbige geometrische Ornamentik, die einen emaillierten Metallbeschlag imitiert, sowie die reiche Punzierung des Hintergrundes, der Nimben und auch der beiden Kreissegmente.

Die Ikone liegt in originalem, also unrestauriertem Zustand vor. Der Erhaltungszustand ist als ausgezeichnet zu werten.

DIE gOTTESMUTTER VON KaSaN

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Heute verzeichnet der offizielle Kalender der Russischen Orthodoxen Kirche immerhin 255 verschiedene Varian-ten von Ikonen der Gottesmutter, derer – manchmal sogar an verschiedenen Tagen – gedacht wird, darunter allein sechs verschiedene Varianten der Vladimirer und zehn der Kazaner Ikone. In ikonographischer Hinsicht handelt es allerdings zumeist um Varianten einiger weniger Typen, die dann auch in den anderen orthodoxen aurokephalen Kirchen und ihrer lkonenkunst wohlbekannt sind, wie auch die vorliegende Ikone belegt. Eine der bekanntesten ist dabei die Darstellung der Gottesgebärerin mit dem Kind auf dem Arm, die sog. „Odege-

Die Ikone ist eine Sammeldarstellung von in diesem Falle vier Einzelbildern, für die sich in der Kunstgeschichte der ausdruck „Vierfelderikone“ eingebürgert hat. Im vorliegen-den Fall handelt es sich um vier Typen der Muttergottesdar-stellung, die sich in Russland einer besonderen Verehrungerfreuen. Im Einzelnen handelt es sich dabei um eine Darstellung der gekrönten gottesmutter vom Typus der hodegetria (vom betrachter aus gesehen oben links), neben ihr jene vom Typus „Lindere meinen Kummer“, unten die der „Erweichung der harten herzen“ und eine Variante der „zuflucht der Verlorenen“.

THEmATik dER ikonE

B 15 cmH 18 cm

El 072

AllgEmEinE ikono-gRApHiSCHE Und

kUnSTgESCHiCHTliCHE BESCHREiBUng

dETAilBESCHREiBUngdES voRliEgEndEn WERkES

HERkUnfTS- UndAlTERSBESTimmUng

ERHAlTUngSzUSTAndUnd RESTAURATionEn

tria (griech. Wegweiserin)“, wobei in der Regel Christus – wie auch auf dieser Ikone – aufrecht auf dem linken Arm Mariens thront. Das Urbild dieses Typus soll von der Kaiserin Eudoxia, der Gemahlin Theodosios II. (408–456) ihrer 453 gestorbenen Schwiegermutter aus Jerusalem nach Konstantinopel gesandt worden sein, wobei auch hier die Überlieferung davon spricht, dass es sich um ein Werk des Apostels (aus den Siebzig) Lukas handelt, wie als erster der Lektor Theodoros um 530 schriftlich bezeugt Ihr Beiname „Odegetria“ kann zum einen symbolisch verstanden werden, insofern ja die Gottesmutter auf diesen Ikonen mit einer Hand auf den weist, der da ist „der Weg, die Wahr-heit und das Leben“, zum andern aber auch prosaischer gedeutet werden, indem man nämlich davon ausgeht, dass sich das berühmte Bild dieses Typus im Kloster „Odegon“ nahe der Agia Sofia zu Konstantinopel befand und allen Abbildern den Namen gegeben kann. Repräsentiert die Odegetria die Erhabenheit der Menschwerdung, durch die die Mutter des Herrn zur Wegwei-serin der Menschheit wird, so sind es die zahlreichen Varianten der seit dem 8./10. Jahrhundert nachweisbaren „Eleousa (griech. Erbarmenden)“, welche die innige Liebe zwischen Mutter und Kind zum Ausdruck bringen – und damit auch die Realität der Menschwerdung eindringlich verdeutlichen. Besonders gilt das für die Variante der „Glykofylousa (griech. „Süßküssenden“, bei der das Kind seine Wange an die der Mutter schmiegt und einen Arm um ihren Hals gelegt hat, wie wir sie hier auf dieser Ikone – vom Betrachter aus gesehen – unten rechts finden). Bei der Gottesmutterikone vom Typus „Lindere meinen Kummer“, die wir unten rechts sehen, handelt es sich hingegen um einen speziell in der Russischen Orthodoxen Kirche gefeierten Bildtypus, welcher in Moskau wegen zahlreicher Wundertaten besonders im 18. Jahrhundert berühmt geworden ist, vor allem während der Seuche von 1771. Das Urbild war in der Regierungszeit des Zaren Michail Feodorovic (1613–45) – wohl gegen 1640 – von Kosa-ken nach Moskau gebracht worden, wo es seinen Platz in der St-Nikolaus-Kirche auf den Pupysy in Sadovniki (der Gartenvorstadt jenseits des Moskva-Flusses, heute: Zamoskvarec‘e) fand. Doch ging im Laufe der Zeit die Ikone infolge eines Brandes und von Umbauten der Kirche quasi verloren und wurde auf dem Glockenturm in einer Ecke abgestellt, wie man dies häufig mit unscheinbar gewordenen Ikonen machte, die man so zwar grundsätzlich – auch innerhalb des Kirchengeländes – aufbewahrte, aber doch nicht im eigentlichen Gotteshaus behielt. In der Zeit der Not aber erinnerte man sich dieser Ikone und brachte sie Ende des 18. Jahrhunderts unter Gebeten wieder in die Kirche, wo man ihr eine Seitenkapelle errichtete. Eine auf die Fürbitte der Gottesmutter nach Gebeten vor dieser Ikone geheilte Frau, die zuvor an solchen Gliederschmerzen gelitten hatte, dass sie nicht gehen konnte, bewirkte, dass seit 1760 das Gedächtnis des Bildes alljährlich am 25. Januar begangen wird. 1862 wurde erstmals ein Gottes-dienst mit Akathistos zu Ehren des Bildes gedruckt. Auch in einer Reihe anderer Kirchen Moskaus (wie auch anderer Städte) finden sich Ikonen des gleichen Typus. Schon 1765 wurde so von dem Kaufmann Rogovikov ein Abbild nach St-Petersburg gebracht. Heute befindet sich das als wundertätig verehrte Urbild der Ikone in der Moskauer Kirche des hl. Nikolaus „zu den Schmieden“ (cto v Kuznecach). Dargestellt ist die Gottesmutter des Typus „Lindere meinen Schmerz“ (Utoli moi pecali) in sitzender Weise, wo-bei das göttliche Kind in der linken Armbeuge seiner Mutter liegt, welche ihr Haupt in die linke Hand gestützt hält, während die Rechte die Knie des Sohnes umfasst.

Die Größe der Trägertafel beträgt bei der begutachteten Ikone lediglich 18 cm (Höhe) x 15 cm (Breite). Es handelt sich also wohl um eine Hausikone, die ihren Platz in der so genannten „Schönen Ecke“ (russ. Krasnyj ugol), also der lkonenecke des Hauses bzw. Zimmers findet. Auf Grund der geringen Größe könnte man allerdings auch annehmen, dass die Ikone ursprünglich ein Pilgerandenken war.

Die Ikone trägt einen schön gearbeiteten Metallbeschlag, und zwar aus vergoldetem Messing. Solche Beschläge haben in der lkonenkunst, besonders der russischen, schon eine sehr alte Tradition, wobei zuerst die Metallbeschlä-ge aus kleinen Täfelchen bestanden, die auf die Holztafel der Ikone aufgenagelt worden sind. Später wurden dann größere metallene Auflagen beliebt, die entweder den Hintergrund der Ikone bedeckten oder auch die Figur der dargestellten Personen in Treibarbeit nachgestalteten und nur die Inkarnate freiließen. Der Zweck dieser Metallbeschläge ist wohl einerseits in dem praktischen Nutzen eines bestimmten Schutzes für die ja relativ empfindliche Ei-Tempera-Malerei zu sehen, andererseits aber dürfte auch der Wunsch eine Rolle gespielt haben, die Ikone durch solche Beschläge zu verschönern und zu ehren. Im vorliegenden Fall lässt der reiche handgetriebene Beschlag in der Tat nur die Inkarnate frei und gibt ansons-ten die Ikonographie der darunter liegenden Tafel in Treibarbeit wieder. Der Rand besteht aus einem stilisierten Floralornament.

Bei der Ikone handelt es sich um eine russische Arbeit, und zwar könnte sie nach der Art der gesamten Bildge-staltung aus einer Werkstatt des mittelrussischen Gebietes, möglicherweise einem der Malerdörfer des Vladimir-Suzdaler Raumes, stammen. Die verwandten stilistischen Formen wie auch die paläographische Einordnung der benutzten Schriftformen erlauben nach bestem Wissen und Gewissen eine Datierung in die Zeit um 1800.

Die Ikone liegt in originalem Zustand vor. Der Metallbeschlag ist ausgezeichnet erhalten, die darunter befindli-che Malerei, soweit erkennbar, leicht restauriert. Insgesamt lässt sich der Erhaltungszustand der Tafel als gut cha-rakterisieren.

VIER gOTTESMUTTERbILDER

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mETAllBESCHlAg

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Wie schon gesagt, zeigt die Ikone die Erscheinung der Gottesmutter – in Begleitung der Apostel Petrus und Jo-hannes – beim hl. Sergij von Radonez . Sergij, dessen Fest die russische Kirche am 25. September feiert, wurde am 3. Mai 1314 in einer wohlhabenden Familie des Dienstadels im Fürstentum Rostov Velikij geboren und auf den Namen Varfolomej (Bartholomäus) ge-tauft. Nach der Eingliederung seines Heimatfürstensitzes in das Großfürstentum Moskau 1328 erfolgte die Übersie-delung der Familie nach Radonez, wo der Vater als abhängiger Vasallenherrscher weiterlebte. Nachdem die Eltern Sergijs beide kurz vor ihrem Hinscheiden noch die monastischen Weihen empfangen hatten und auch bald darauf starben, konnte der junge Varfolomej, der sie bis dahin zuletzt gepflegt hatte, seinen Ianggehegten Wunsch er-füllen und selbst Mönch werden. Zusammen mit seinem leiblichen Bruder Stefan, einem Witwer, ging er in die Waldeinsamkeit und gründete zu Ehren der Dreieinigkeit, die er besonders verehrte, eine Kirche. Obwohl Stefan die strenge Askese und die Strapazen des Lebens in der Waldeinsamkeit nicht lange ertragen konnte und in ein Moskauer Stadtkloster übersiedelte, blieb Sergij in der Einöde, wo ihm der Abt Mitrofan am 7. Oktober 1337, dem Fest der hll. Sergios und Bakchos, die Mönchsweihe erteilte und den entsprechenden Namen gab. Um 1340 hat-te Sergij schon einige Gefährten gefunden und bildeten 12 Mönche die Bruderschaft, 1342 wurde die erste größe-re Holzkirche geweiht und 1344 willigte Sergij widerstrebend ein, sich zum Priester und Abt weihen zu lassen. In seinem Widerstreben gegen die Ordination entsprach Sergij den altkirchlichen monastischen Idealen, welche z.B. der selige Hieronymus zum Ausdruck bringt, wenn er seinen Mönchen riet, den Bischof wie die Frauen zu flie-hen, da beide eine Gefährdung des Mönchslebens bedeuteten. Das Kloster der Heiligsten Dreieinigkeit, dem Sergij

Dargestellt ist auf der Ikone ein besonderes geschehen aus dem Leben des ehrwürdigen Sergij von Radonez, eines der bedeutendsten und meistverehrten russischen heiligen, nämlich die Erscheinung der gottesmutter in seiner zelle.

THEmATik dER ikonE

B 14 cmH 17,7 cm

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kUnSTgESCHiCHTliCHE BESCHREiBUng

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vorsteht, ist von großer Armut gekennzeichnet, da lange Zeit sein strenger Abt sogar das Almosensammeln au-ßerhalb des Klosters untersagt hatte. Nur von ihrer Hände Arbeit sollten die Brüder leben! 1354 wurde endgültig das Koinobitentum eingeführt. Das Ansehen des Klosters steigt im geistlichen wie im weltlichen Bereich wegen der spirituellen Führerschaft, die Sergij weit in Russland ausübt. Besonders berühmt macht ihn seine Unterstüt-zung des Befreiungskampfes gegen die Tataren, vor allem im Zusammenhang mit der Schlacht auf dem Schnep-fenfeld (Kulikovo) am 8. September 1380. Sergij bleibt seinem Kloster treu, auch als ihm 1378 die Nachfolge seines persönlichen Freundes Aleksij als Metropolit von Moskau und damit als Oberhaupt der russischen Christenheit angetragen wird. Sergij stirbt am 25. September 1392. Nicht zuletzt wegen der zahlreichen Tochtergründungen (8 Klöster stiftet Sergij noch selbst außer dem der Dreieinigkeit, weitere 25 seine Schüler bereits zu seinen Lebzei-ten!) beginnt seine Verehrung unmittelbar nach seinem Tode. 1449 wird sein Name nachweislich erstmals in einem Kalendarium aufgeführt, 1463 bereits die erste Kirche zu seinen Ehren geweiht. Wertvolle Information über das Leben Sergijs gibt uns seine Vita, die sein Schüler Epifanij der Weise (Premudryj), der 1422 verstorben ist, verfasst hat. Bei all seiner reichen Stilistik gelingt es Epifanij, ein realistisches Porträt des Heiligen zu geben. Auch das auf dieser Ikone dargestellte Geschehen aus der Vita des Sergij wird von Epifanij überliefert, und zwar (hier mit leichten Kürzungen wiedergegeben) mit folgendem Wortlaut: „Einmal betete der heilige Vater Sergij nach seiner gewohnten Regel vor der heiligen Ikone der Mutter unseres Herrn Jesu Christi. Oft schaute er zu der Ikone auf ... So betete er und sang den Dankkanon, das ist der Akathistos, für die Allreine. Nachdem er aber der Regel Genüge ge-tan hatte und sich niedersetzte, ein wenig zu ruhen, sagte er zu seinem Jünger Michej: ‚Mein Kind! Verharre in Nüch-ternheit und Wachheit, denn in diesem Augenblick wird uns das Wunder und Erschrecken eines Besuches zuteil werden.‘ Und als er das gesagt hatte, war plötzlich eine Stimme zu vernehmen: ‚Siehe, es kommt die Allerreinste.‘ Solches hörend, eilte der Heilige aus der Zelle in den Vorraum, d. h. in den Flur. Und es umleuchtete den Heiligen ein großes Licht, heller als die Sonne, und da erschaute er die Allerreinste, begleitet von zwei Aposteln, nämlich Petrus und Johannes, leuchtend inmitten eines unaussprechlich hellen Scheins. Als der Heilige sie sah, fiel er zu Boden, denn er vermochte solchen überwältigenden Morgenglanz nicht zu ertragen. Die Allerreinste aber berührte den Heiligen mit ihren Händen und sprach also: ‚Fürchte dich nicht, mein Erwählter! Ich bin doch gekommen, dich zu besuchen. Dein Gebet für deine Jünger, um derentwillen du gefleht hast, und für dein Kloster hat Erhörung gefun-den. Sei nicht weiter betrübt. Von nun an wird hier alles in Erfüllung gehen. Und nicht allein zu deinen Lebzeiten, sondern auch nach deinem Heimgang zum Herrn werde ich ohne Unterlass deinem Kloster freigebig das schenken,wessen man bedarf, und die Spender beschirmen.‘ Und nachdem sie das gesagt hatte, wurde sie unsichtbar. Mäch-tig erfasst von Angst und Zittern, blieb der Heilige außer sich. Dann, als er allmählich zu sich kam, fand er seinen Jünger wie tot vor Schrecken liegend und richtete ihn auf. Dieser aber sank dem ehrwürdigen Mönch zu Füßen nieder und sagte: ‚Tu mir kund, Vater, um des Herrn willen. Was war diese wundersame Vision? Denn dieser strah-lenden Erscheinung wegen schied mein Geist schier aus dem Bundes mit dem Fleisch.‘ Aber der Heilige war auch in der Seele froh, und auch seine Gestalt erblühte von solcher Freude, dass er nichts zu antworten vermochte denn dieses: ,Warte, mein Kind, auch in mir zittert mein Geist von der wunderbaren Vision.‘ “

Die Größe der Trägertafel beträgt bei der begutachteten Ikone 17,7 cm (Höhe) x 14 cm (Breite). Dieses Maß lässt vermuten, dass es sich um ein Pilgerandenken handeln könnte. Sie setzt das vorstehend geschilderte Motiv aus der Vita des Heiligen in einer künstlerisch gelungenen Form um: Vor der Kulisse des stark stilisiert dargestellten Klos-ters, dessen Architektur durch die beiden – rot bzw. grün gemalten – Gebäude rechts und links im Bildhintergrund angedeutet ist, knien auf der einen Seite der ehrwürdige Sergij mit betend erhobenen Händen und sein Schüler, dessen Name in der Zuschrift mit Michej angegeben ist und der sein Haupt in Ehrfurcht verhüllt hat. Hinter ihnen sieht man auf einem Wandbrett zwei kleine Ikonen, und zwar der Gottesmutter und des hl. Nikolaus und davor ein Pult mit einem aufgeschlagenen Gebetbuch. Michej und seinem geistlichen Vater gegenüber steht die Gottesmutter mit dem in weißer Linienführung gezeichneten Abtsstab und hinter ihr in der üblichen Gewandung die Apostel Jo-hannes der Theologe und Petrus. In einem Kreissegment in der Mitte ist über der ornamental gemalten Wolkenbank die Dreieinigkeit in der Gestalt der drei Engel gemalt, welche Abraham beim Hain Mamre besuchten (vgl. Gen 18); die Ikonographie ist dabei an der berühmten Patronatsikone des Dreieinigkeitsklosters orientiert, die von dem hl. Andrej Rublev stammt.

Bei der Ikone handelt es sich um eine russische Arbeit, und zwar dürfte sie nach der Art der gesamten Bildge-staltung aus einer Werkstatt des mittelrussischen Gebietes, möglicherweise, ja sogar wahrscheinlich auf der lko-nenwerkstatt der Dreieinigkeits-Lavra selbst stammen. Hierfür spricht auch die Qualität der Malerei, die in größter Feinheit ausgeführt ist, so dass man von einem außergewöhnlichen Künstler sprechen kann. Die verwandten sti-listischen Formen wie auch die paläographische Einordnung der benutzten Schriftformen erlauben nach bestem Wissen und Gewissen eine Datierung in die Zeit um 1880. Insgesamt kann somit von einer sehr schönen und ein-drucksvollen Ikone aus der Spätphase der russischen Sakralmalerei vor der kommunistischen Zeit gesprochen wer-den. Hervorzuheben ist besonders die sehr zeittypische farbige geometrische Ornamentik des Randes der Tafel, die einen emaillierten Metallbeschlag imitiert, sowie die reiche Punzierung des Hintergrundes und der Nimben.

Die Ikone liegt in originalem, also unrestauriertem Zustand vor. Ihr Erhaltungszustand ist als rundum ausge-zeichnet einzustufen.

DIE gOTTESMUTTER ERSChEINT DEM hL. SERgIj VON RaDONEz

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Am 26. Juni wird das Fest dieser Ikone gefeiert, die – wie es der Festgesang des Tages sagt – „das große Russland als ein göttliches Geschenk von oben fromm entgegennimmt“.

Dabei knüpft die russische Überlieferung an die der byzantinischen „Blacherniotissa“ an, d.h. auch die Tichvi-ner Ikone soll vom Evangelisten Lukas selbst gemalt worden sein. Er habe sie zusammen mit seinen neutestament-lichen Schriften an den antiochenischen Herrscher Theofilos gesandt, der sich daraufhin taufen ließ – ein Gesche-hen, dessen im orthodoxen Kirchenkalender am 23. Juni gedacht wird.

Dann kam das Bild zuerst nach Jerusalem, im 5. Jahrhundert aber nach Konstantinopel in den Besitz der Kaise-rin Eudokia, der Frau Theodosios d. J., wo ihm zu Ehren die Blachernenkirche erbaut wurde. 1383, also in der Regie-rungszeit des 1388 kanonisierten Großfürsten Dimitrij vom Don, sei die Ikone aber aus Konstantinopel verschwun-den und auf wunderbare Art und Weise an seinem späteren Festtag in einer Wolke über dem Ladogasee schwebend bzw. von Engeln getragen bei Tichvin erschienen. Hierin dürfte insofern eine historische Wahrheit liegen, als durch-aus in der Spätzeit des oströmischen Reiches nicht selten wertvolle und alte Ikonen auch von dort nach Russland kamen, sei es als Geschenke, sei es auch durch Ankäufe.

Die Darstellung zeigt das bild der „Tichviner gottesmutter“, also eine der in Russland beliebtesten Varianten der hodegetria-gottesmutter-lkonen, die nach ihrem Fundort im gebiet früheren gouvernement von Novgorod, nämlich in der Kreisstadt Tichvin am Ufer des Flusses Tichvinka benannt.

THEmATik dER ikonE

B 14,6 cmH 17,6cm

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Man errichtet ihr dort eine Kirche, zu der 1560 auf Befehl Ivans IV. des Gestrengen noch ein Männerkloster kam. Beim Schwedeneinfall 1613/14 erwies sich das Bild als Palladium gegen die Okkupanten, welche das Kloster nicht einzunehmen vermochten. Besonders nach dem Friedensschluss mir den Schweden im Dorfe Stolbovo (ca. 50 km von Tichvin) am 10. Februar 1617, wohin die russische Delegation eine Kopie des Bildes mitgenommen hatte, wurde die Tichviner Ikone zu einer der meistverehrtesten Russlands.

Dieser Kult steigerte sich noch, als Petr I. 1709 erneut die Schweden und die ukrainischen Aufständischen bei Poltava genau am Festtag des Bildes schlug, was man allgemein der Wunderkraft der Ikone zuschrieb, worauf der Oberbefehlshaber der russischen Truppen, Feldmarschall Boris Petrovic Seremetev (1652–1719) 1713 ein ihr geweih-tes Kloster bei Kursk stiftete.

Die Untersuchung der Urikone in der Mariä-Entschlafen-Kathedrale des Klosters zu Tichvin im Jahre 1920 ergab, dass es sich bei dem heute dort befindlichen Bild allerdings wohl nicht um eine oströmische (oder gar eine früh-christliche) Arbeit handelt, sondern um ein russisches Werk des 14. Jahrhunderts.

Die Größe der Trägertafel beträgt bei der begutachteten Ikone lediglich 17,6 cm (Höhe) x 14,6 cm (Breite). Es handelt sich also um die Ausmaße einer relativ sehr kleinen Hausikone, die dann ihren Platz in der so genannten „Schönen Ecke“ (russ. Krasnyj ugol), also der lkonenecke des Hauses bzw. Zimmers hätte, wenn man nicht sogar auf Grund der geringen Größe eher annehmen will, dass die Ikone ursprünglich ein Pilgerandenken war.

Zur Darstellung ist Folgendes zu sagen: Die Tichviner Gottesmutterikone stellt – wie schon gesagt – eine Varian-te der Hodegetria dar: Maria trägt das übliche Maforion über einem, allerdings nur am Unterarm und am Halsaus-schnitt sichtbaren Untergewand.

Auffällig und charakteristisch für den Typus der Gottesmutter von Tichvin ist die Haltung des angewinkelten und untergeschlagenen rechten Beines Christi. Die Rechte Christi ist zum Segen erhoben, die Linke, trägt eigentlich eine kleine zusammengerollte Schrift, die hier aber nur undeutlich erkennbar wird.

Ein weiteres typisches Merkmal für diese Variante der Gottesmutter-Kind-Darstellung ist das ungewöhnlich hoch geschlossene Maforion Mariens, dessen Saum direkt auf das Kind zuläuft.

Die Ikone trägt einen schön gearbeiteten Metallbeschlag, und zwar aus handgetriebenem Silber. Solche Beschlä-ge haben in der lkonenkunst, besonders der russischen, schon eine sehr alte Tradition, wobei zuerst die Metallbe-schläge aus kleinen Täfelchen bestanden, die auf die Holztafel der Ikone aufgenagelt worden sind. Später wurden dann größere metallene Auflagen beliebt, die entweder den Hintergrund der Ikone bedeckten oder auch die Figur der dargestellten Personen in Treibarbeit nachgestalteten und nur die Inkarnate freiließen.

Der Zweck dieser Metallbeschläge ist wohl einerseits in dem praktischen Nutzen eines bestimmten Schutzes für die ja relativ empfindliche Ei-Tempera-Malerei zu sehen, andererseits aber dürfte auch der Wunsch eine Rolle gespielt haben, die Ikone durch solche Beschläge zu verschönern und zu ehren.

Im vorliegenden Fall wird die gesamte Ikonographie der Gottesmutterikone von Tichvin in Metalltreibarbeit nachgestaltet, wobei die Gewänder mit einer schönen punzierten Floralornamentik verziert wurden, während der Rand in geometrischen Mustern gestaltet wurde.

Der Beschlag trägt mehrere Punzen, die über seine Herkunft Auskunft geben. So finden wir hier einmal den Meisterstempel mir den Initialen „I. B.“, sodann die Punze eines Moskauer Beschaumeisters mit den Initialen „IN“ und der Jahresangabe 1878, ferner die Angabe des Feingehaltes mit 84 Zolomiki (= 875/ 1000).

Der Nimbus trägt die Jahreszahl 1877, was nicht verwundert, da die Nimben in dieser Zeit oft separat und auf Vorrat gefertigt wurden.

Bei der Ikone handelt es sich eindeutig um eine russische Arbeit. Die verwandten stilistischen Formen wie auch erlauben nach bestem Wissen und Gewissen eine Datierung in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts für die Malerei.

Die Ikone liegt weitgehend in originalem, also unrestauriertem Zustand vor. Der Erhaltungszustand der sichtba-ren Malerei wie des Beschlages ist als ausgesprochen gut zu werten. Um eine eventuell damit verbundene Beschädi-gung der Malerei zu vermeiden, wurde der Metallbeschlag nicht abgenommen.

DIE gOTTESMUTTER VON TIChVIN

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Die Ikone zeigt einen frühchristlichen Soldatenheiligen. Dabei ist die Inschrift auf dem Metallbeschlag aber unklar und wohl fehlerhaft. am ehesten möchte man sie als „hl. Festus“ interpretieren: Ein solcher heiliger ist aber im Kalendarium der Russischen Orthodoxen Kirche nicht vorhanden. So kommt man am wahrscheinlichsten zu der Deutung als „hl. Theodoros Tyron“, wenngleich sich dies nicht mit Sicherheit sagen lässt.

THEmATik dER ikonE

B 15 cmH 18 cm

El 078

dETAilBESCHREiBUngdES voRliEgEndEn WERkES

AllgEmEinE ikono-gRApHiSCHE Und kUnSTgESCHiCHTliCHE BESCHREiBUng

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Wenn wir annehmen, dass die Ikone den hl. Theodoros Tyron darstellt, so ist seine Vita die folgende: Der Über-lieferung nach war Theodoros, dessen Fest in der Orthodoxen Kirche einmal am Samstag der 1. Woche der Großen Fastenzeit und dann noch einmal am 17. Februar, in der westlichen Christenheit aber am 9. November begangen wird, ein Soldat im Heere des Kaisers Maximianus. Sein Beiname rührt daher, dass er zur Kohorte der Tirones, d.h. der Rekruten, gehörte. Bei Ausbruch der Christenverfolgung des Galerius habe er den Tempel der Kybele in Amasea in Brand steckte und sei daraufhin 306/311 grausam gemartert und schließlich verbrannt worden, wie sein Festge-sang (Apolytikion) verkündet: „Mitten im Feuerstrom freute sich der heilige Martyrer Theodoros wie in erquicken-dem Wasser; vom Feuer völlig verzehrt, wurde er der Dreieinigkeit dargebracht als ein ungesäuertes Brot“.

Seine Gebeine wurden zuerst in der Stadt Eucha-ta, unweit von Amasea, begraben, der 971 Kaiser loannes Tzi-miskes (969–976) sogar den Namen Theodoropolis („Theoros-Stadt“) verlieh, dann aber nach Konstantinopel in die ihm geweihte, schon 452 errichtete Kirche übertragen. Sein Haupt ruht in Gaeta in Italien. Der älteste Beleg für die Verehrung des hl. Theodoros findet sich beim hl. Gregorios von Nyssa (PG XLVl, 736–48), der in einer Festrede auf ihn sagt: „Welchem König oder Fürsten dieser Erde wird wohl solche Ehre erwiesen, wie die-sem einst so armen und gemeinen Rekruten, den die Engel zum Kampfe gesalbt, den Christus als Sieger gekrönt hat! ... O du glorreicher Kämpfer, als Soldat verteidige uns, als Martyrer sei unser Fürsprecher und erhalte uns den Frie-den!“.

Spätere Berichte haben die Vita einerseits erweitert, andererseits auch abgeändert. Auf jeden Fall gehört Theo-doros neben Georgios und Demetrios zu den bedeutendsten und ältesten Militärpatronen des byzantinischen Hee-res, von dem wir schon aus dem 6. Jahrhundert Ikonen besitzen, denn schon früh wurde die Wunderkraft des Hei-ligen angerufen: „Die gottgeschenkte Gnade deiner Wunder, Martyrer Theodoros, breitest du allen aus, die voll Vertrauen zu dir eilen … Gefangene befreist du, heilest Kranke, Bedürftige machst du reich, bewahrest solche, die da fahren zur See. Vergebliches Entlaufen von Sklaven hältst du auf, offenbarest, o Kämpfer, Plünderern den Schaden, erziehst Soldaten, sich des Raubes zu enthalten. Unmündigen Kindern gewährest du mitleidsvoll das Erbetene.“ (Doxastikon zu den Apostichen der Vesper am 17.2.)

Die Größe der Trägertafel beträgt bei der begutachteten Ikone lediglich 18 cm (Höhe) x 15 cm (Breite). Sie zeigt den Heiligen frontal in Halbfigur, gekleidet in die spätrömische Militärtracht mit einem über beide Schultern getra-genen Mantel. Die Linke hält er auf die Brust gelegt, in der Rechten hält er ein kleines achtendiges Kreuz.

Die Ikone trägt einen Metallbeschlag, und zwar aus Messing. Solche Beschläge haben in der lkonenkunst, be-sonders der russischen, schon eine sehr alte Tradition, wobei zuerst die Metallbeschläge aus kleinen Täfelchen bestanden, die auf die Holztafel der Ikone aufgenagelt worden sind. Später wurden dann größere metallene Aufla-gen beliebt, die entweder den Hintergrund der Ikone bedeckten oder auch die Figur der dargestellten Personen in Treibarbeit nachgestalteten und nur die Inkarnate freiließen.

Der Zweck dieser Metallbeschläge ist wohl einerseits in dem praktischen Nutzen eines bestimmten Schutzes für die ja relativ empfindliche Ei-Tempera-Malerei zu sehen, andererseits aber dürfte auch der Wunsch eine Rolle gespielt haben, die Ikone durch solche Beschläge zu verschönern und zu ehren.

Im vorliegenden Fall lässt der Metallbeschlag in der Tat nur die Inkarnate, also das Haupt und die Hände des Heiligen, frei und gestaltet ansonsten die darunter liegende Malerei nach.

Der Rand wurde in den vier Ecken mit etwas grober Floralornamencik und dazwischen mit geometrischen Mus-tern gestaltet. Insgesamt ist die Treibarbeit von mittlerer Qualität und relativ grob.

Bei der Ikone handelt es sich um eine russische Arbeit, und zwar könnte sie nach der Art der gesamten Bildge-staltung aus einer Werkstatt des mittelrussischen Gebietes, möglicherweise einem der Malerdörfer des Vladimir-Suzdaler Raumes, stammen.

Die verwandten stilistischen Formen erlauben nach bestem Wissen und Gewissen eine Datierung in die Mitte des 19. Jahrhunderts.

Die Ikone liegt in originalem, also unrestauriertem Zustand vor. Ihr Erhaltungszustand ist als rundum zufrieden-stellend zu bezeichnen. Um eine eventuell damit verbundene Beschädigung der Malerei zu vermeiden, wurde der Metallbeschlag nicht abgenommen.

DER MäRTyRER FESTOS

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Der hl. Georgios, einer der beliebtesten aus der Zahl der sog. „Soldaten-“ oder „Kriegerheiligen“, genießt seit dem 4. Jh. im christlichen Osten, dann auch im Westen eine große Verehrung; entsprechend findet sich sein Fest in fast allen Kirchenkalendern am 23. April. In der orthodoxen Tradition erhielt er die Beinamen des Großmartyrers und des Siegträgers. Schon Kaiser Konstantinos der Große soll ihm eine Kirche in Konstantinopel, eine andere (1010 zerstörte) auf seinem Grabe errichtet haben. Historisch genaue Angaben über Georgios (der Name ist griechisch und bedeutet einfach: der „Landmann“ lassen sich freilich kaum machen, weshalb ihm zu verschiedenen Zeiten jede Historizität abgesprochen wurde. Ausgehend von dem byzantinischen „Chronicon Paschale“ spricht aber einiges dafür, sein Todesjahr um 250/51 anzunehmen. Seine Geschichte erfuhr im Laufe der Zeit Erweiterungen mit z.T. recht legendären Zügen, so dass einige Autoren meinten, ihn als nur allegorische Figur, als Sinnbild des Kampfes zwischen Gut und Böse, werten und als christliche Umgestaltung des Perseus, Mithras oder Horus sehen zu sollen. Dem widerspricht aber der vom nordafrikanischen Palästina-Pilger Archidiakonos Theodosius (um 530) bezeugte frühe Kult um das Grab in Lydda, das sogar den Beinamen Georgiopolis erhielt. Vor allem die Kaiser loustinos (519–527) und loustinianos I. (527–565) förderten den Kult des Heiligen. Georgios stammte einer Überlieferung nach aus Kappadokien, nach einer anderen aber aus Lydda, dem bib-lischen Lod (vgl. 1 Chr 8, 1 2) und byzantinischen Diospolis (18 km sö von Tel-Aviv). Als etwa 20-jähriger Mann erschien er vor dem (allerdings unhistorischen!) Perserkönig Dadianos, um diesen zu bitten, ihm die Stellung seines verstorbenen Vaters, eines Comes, zu verleihen. Doch als Georgios sah, dass der König das Volks zur Verehrung

Die Ikone zeigt den hl. großmartyrer georgios – genauer gesagt seinen Kampf gegen den Drachen.

THEmATik dER ikonE

B 26 cmH 31,2 cm

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heidnischer Götter aufforderte und die Christen verfolgte, bekannte er sein Christentum. Infolgedessen wurde er den verschiedensten und grausamsten Martern unterworfen, starb dabei dreimal, wurde aber immer wieder von Gott zum Leben erweckt, worauf sich viele der Heiden bekehrten, auch die Königsfrau. Georgios blieb standhaft seinem Glauben treu und wurde schließlich enthauptet.

Diese Geschichte seines Martyriums verbreitete sich bald; ursprünglich wohl in griechischer Sprache verfaßt, wurde sie bald in viele Sprachen übersetzt (althochdt. „Georgsleich“ schon im 9. Jh.!). Besonders sind hier zu erwäh-nen der vorgebliche, dem Diener des „Georgios“, einem gewissen Pasikrates, zugeschriebenen Augenzeugenbericht (5. Jh., Wiener Palimpsest), ein Enkomion mit Beschreibung der Wunder des Heiligen von Erzbischof Theodosios von Jerusalem, ein Enkomion von Bischof Theodotos von Ankyra in Galatien sowie etliche Synaxarien. Handschrif-ten davon sind uns ab dem 6. Jh. überkommen. Im oströmischen Staat erfuhr die Georgios-Geschichte im 7.–9.Jh. eine einschneidende Redaktion (u.a. durch Niketas Dauid), ja Patriarch Nikeforos von Konstantinopel verbot 812 sogar die „alte“ Variante: der unhistorische Dadianos wurde nun durch die gesicherte Gestalt des Christenverfolgers Diokletian ersetzt und das Todesjahr des Heiligen auf 303 festgelegt. Aus dem König Dadianos wird dabei ein diokletianischer Richter Dakianos. Der Drachenkampf des Heiligen, den unsere Ikone zeigt, wurde zwar bereits im 6. Jh. dargestellt, aber erst relativ spät auch literarisch bezeugt (im Osten seit dem 11. Jh. in Mirakelsammlungen, im Westen erst im 12. Jh.). Die bis heute verbreitetste Version findet sich in der „Legenda aurea“ des Jacobus de Voragine (13. Jh.). Danach lebte vor der Stadt Sliena in Libya ein Drache, der die Bewohner drangsalierte und Menschenopfer forderte. Eines Tages fiel das Los auf die Königstochter. Aber Georgios durchbohrte die Bestie, welche dann das Mädchen an seinem Gürtel halbtot in die Stadt führen konnte, wo man das Untier endgültig umbrachte. Dargestellt wird Georgios in verschiedener Weise, so einmal als jugendlicher Krieger im Schuppenpanzer mit Chlamys zu Fuß, ferner in Hoftracht, als Martyrer, vor allem aber – wie auch hier – als Drachenkämpfer (so bereits auf einer koptischen Textilie des 6. Jh., einer Gußform des 6./7.Jh. aus Smyrna, auf einer koptischen Ikone des 7. Jh. aus dem Sinaikloster, auf der er einen liegenden Mann tötet, in der Kirche von Aghtamar (915/21), in der Ausmalung der Kapelle Nr. 38 von Göreme [um 1070] usw).

Die Größe der Trägertafel beträgt bei der begutachteten Ikone ca. 31,2 cm (Höhe) x 26 cm (Breite). Dominierend ist der hl. Georgios in recht stilisiert dargestellter spät-römischer bzw. byzantinischer Rüstung auf einem sich auf-bäumenden Pferd reitend dargestellt. Recht dramatisch ist auch die Darstellung des Pferdes, wobei das Zaumzeug equestrisch recht korrekt wiederge-geben wird. Zu Füßen des Heiligen bzw. des Pferdes liegt mit empor gerecktem Kopf der geflügelte Drache, der einen langen, schlangenartigen Schwanz hat. Sein Schlund wird von einer Lanze des Heiligen durchbohrt, die dieser mit beiden Händen hält, während er mit der angewinkelten Linken zusätzlich noch die Zügel des Rosses hält. Auf der – vom Betrachter aus gesehen – rechten Bildseite ist eine mit Zinnen und zwei Türmen bewehrte Stadt-mauser zu sehen, deren Pforte offen steht. Daneben sieht man die in königliche Gewänder gekleidete Fürstentoch-ter, die ihre Hände zum Gebet zusammen gelegt hat. Auf ihrem Kopf trägt sie eine zackige Krone.

Die Ikone trägt einen sehr schön gearbeiteten Metallbeschlag, und zwar aus Kupfer, das wohl ursprünglich eine – vermutlich recht dünne – Vergoldung trug, die aber im Laufe der Zeit verloren gegangen ist. Solche Beschläge haben in der lkonenkunst, besonders der russischen, schon eine sehr alte Tradition, wobei zuerst die Metallbeschläge aus kleinen Täfelchen bestanden, die auf die Holztafel der Ikone aufgenagelt worden sind. Später wurden dann größere metallene Auflagen beliebt, die entweder den Hintergrund der Ikone bedeckten oder auch die Figur der dargestellten Personen in Treibarbeit nachgestalteten und nur die Inkarnate freiließen. Der Zweck dieser Metallbeschläge ist wohl einerseits in dem praktischen Nutzen eines bestimmten Schutzes für die ja relativ empfindliche Ei-Tempera-Malerei zu sehen, andererseits aber dürfte auch der Wunsch eine Rolle gespielt haben, die Ikone durch solche Beschläge zu verschönern und zu ehren. Im vorliegenden Fall haben wir es mir einem Beschlag zu tun, der eine ungewöhnlich schöne Arbeit darstellt: In feiner und sorgfältiger Handgravur, die die Zeichnung der darunter liegenden Ikone in aller Detailfreude wiedergibt, werden alle Einzelheiten mit großer Liebe gezeigt, so z.B. der Schuppenleib des Drachen, der Lamellenpanzer des Heiligen usw. In dieser Form ist der Beschlag sehr ungewöhnlich und selten.

Bei der Ikone handelt es sich um eine schöne russische Arbeit von besonderer Qualität. Ihre Stilmerkmale deu-ten auf die Mitte bzw. die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts als Entstehungszeit der in mehrfacher Hinsicht bemer-kenswerten Arbeit.

Die Ikone liegt in originalem, also unrestauriertem Zustand vor. Die ursprünglich vollständige, also das ganze Brett ausfüllende und handwerklich wie künstlerisch gute Malerei unter dem Metallbeschlag ist allerdings durch den engen Kontakt mit dem Metall weitgehend zerstört, sodass hier nur der Beschlag bewertet werden konnte.

DER hL. gEORg, DER DRaChENbEzWINgER

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Wie schon gesagt, handelt es sich bei den dargestellten Bischöfen um drei Personen, die besonders als Säulen der Kirche und der Orthodoxie verehrt werden. Der – hier als der vom Betrachter aus gesehen rechte dargestellte – Jo-annes der Goldmund, wie sein ihm im 6. Jahrhundert nach dem Vorbilde des antiken Schriftstellers Dion gegebener griechischer Beiname „Chrysoscomos“ übersetzt lautet, lebte in der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts. Er stammte zwar auch dem syrischen Antiocheia und war wohl auch selbst ein Syrer (nach einigen ein Araber), wurde aber der größte Prediger der griechischen Kirche, der in seinem durch Bilder und Gleichnisse belebten attizistischen Stil christlichen Geist mit hellenistischer Formschönheit verbindet. Als auch er Patriarch von Konstantinopel geworden war, machte er sich bald durch seine streng asketischen Neigungen und Reformen bei der Hofclique unbeliebt und wurde auf Betreiben der hohen Geistlichkeit und besonders der Kaiserin Eudoxia, die er selbst in einer öffentlichen Predigt mit Herodias verglich, an das Schwarze Meer verbannt, wo er auch starb. Ihm gegenüber steht Gregorios der Theologe, der auch nach seinem Heimatort Gregorios von Nazianz genannt wird. Dieser Kirchenvater, der in der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts lebte, war der Sohn eines Bischofs, und eng mit dem dritten aus dem Kreis der „Drei Hierarchen“, nämlich mit Basileios befreundet, den er während des gemeinsamen Studiums in Athen kennenlernte. Nicht zuletzt auf Druck des Basileios zum Patriarchen von Konstantinopel geweiht, litt Gregorios bald unter der Bürde des Amtes und den Anforderungen als Hofbischof der Kaiserstadt und zog sich daher in die Stille seines Landgutes zurück, um sich ganz der literarischen Wirksamkeit zu widmen. Er ist zweifelsohne der gewandteste christliche Schriftsteller und Dichter seiner Zeit, der eine Vertrautheit mit allen rhetorischen Stilmitteln ebenso offenbart wie eine weitrei-chende theologische Bildung. In der Mitte seiner beiden Freunde steht dann mit langem braunen und spitzen Bart Basileios der Große. Der Heilige wurde 329/331 zu Kaisaraia in Kappadokien (heute einer Ruinenstätte südwestlich von Kayseri in der Türkei) in einer vornehmen christlichen Familie geboren. Er studierte in seiner Heimatstadt, in Konstantinopel und Athen, wo er sich mit Gregorios von Nazianz befreundete. 356 empfing er in Kaisaraia die Taufe und erprobte anschließend das Mönchsleben in Syrien, Palästina, Ägypten und Mesopotamien (ca. 357/58), wor-aufhin er sein ganzes, nicht unbeträchtliches Vermögen verschenkte, und sich an den Pontus, d.h. die Nordküste Kleinasiens am Schwarzen Meer, zurückzog. Dort arbeitete er jene Mönchsregeln aus, die bis heute ihre Bedeutung für das orthodoxe – und in Auswirkungen auch das abendländische – Mönchtum haben, wenn er auch nie zu einem

Die Ikone zeigt drei der bedeutendsten Theologen und Väter der alten Kirche, deren gemeinsames Fest nach dem Kalender der Orthodoxen Kirche am 30. januar begangen wird, nämlich die „Drei hierarchen“, d.h. johannes Chrysostomos, gregorios der Theologe und basileios der große.

THEmATik dER ikonE

B 31 cmH 35,3 cm

El 121

AllgEmEinE ikono-gRApHiSCHE Und

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„Ordensgründer“ im westlichen Sinne des Wortes geworden ist. 364 kehrte Basileios aus der Einsamkeit zurück, wurde Priester und entfaltete in seiner Heimatstadt eine intensive seelsorgliche, sozial-karitative und kirchenpoliti-sche Tätigkeit, die sich noch steigerte, als er 370 Erzbischof von Kaisaraia und Metropolit von Kappadokien wurde. Er hatte hier gegen den ausgehenden Arianismus zu kämpfen, der sich oft mit politischer Gewalt zu behaupten such-te, besonders unter Kaiser Valens (364–387). Während das Sozialwerk des Basileios mit seinen modern anmutenden Einrichtungen (Pilgerhospiz, Krankenhaus für Arme und eine medizinische Versuchsstation) sehr erfolgreich war, musste er bei seinen weitgespannten kirchenpolitischen Ambitionen allerdings auch Rückschläge hinnehmen (z.B. bei der missglückten Einsetzung des Gregorios von Nazianz zum Patriarchen von Konstantinopel). Die unvergängli-che Bedeutung des Basileios liegt jedoch vor allem auf dem Gebiet seiner theologischen und aszetischen Schriften. So ist seine „Rede an die Jugend über den nützlichen Gebrauch der heidnischen Literatur“ bedeutungsvoll für die positive Einstellung der christlichen Kirche zur antiken Bildung. Theologisch war er streng am Glauben des Konzils von Nikaia orientiert und bemühte sich in diesem Sinne um logisch scharf durchdachte Begriffe über die drei Hy-postasen der Einen Gottheit und ihr Verhältnis zueinander. So erbrachte er den spekulativen Erweis der Gottheit des Heiligen Geistes und seines Ausgangs aus dem Vater. Auf aszetischem Gebiet überwand er den griechischen Spiritualismus (Ablehnung der Ehe und des Eigentums) zugunsten einer realistischen Weltbejahung, welche das Irdische in den Dienst Gottes stellt. Da Basileios – nach den heutigen Forschungen durchaus zu Recht! – auch als Schöpfer eines der orthodoxen Formulare der eucharistischen Liturgie gilt (welches allerdings in der heutigen Fas-sung in Struktur und Ordnung wie auch in weiten Teilen – abgesehen von einigen unterschiedlichen priesterlichen Gebeten, vor allem während der Anaphora – mit dem des hl. Johannes Chrysostomos identisch ist und zudem nur noch an zehn Tagen im Jahr verwandt wird), finden wir schon relativ früh seine bildliche Darstellung in verschiede-nen Handschriften mit liturgischen Texten, aber auch bald – und fast immer – in der ansonsten ja unterschiedlich zusammengesetzten Reihe altkirchlicher Hierarchen, sei es im Altarraum vieler Kirchen in Wandmalereien (so die älteste Darstellung bei der Hauptapsis von S. Maria Antiqua zu Rom, um 649) oder aber – wie auch im vorliegenden Fall – zusammen mit dem hl. Johannes Chrysostomos und dem hl. Gregorios dem Theologen auf der Ikone der drei Hierarchen.

Die Größe der Trägertafel beträgt bei der begutachteten Ikone 35,3 cm (Höhe) x 31 cm (Breite). Sie zeigt die drei Hierarchen in der üblichen bischöflichen pontifikalen Bewandung, wobei Basilieos in der Bildmitte in ein braunro-tes Felonion, die beiden anderen aber in Sakkoi gekleidet sind, wobei der des hl. Johannes ebenfalls von roter Farbe ist, der des hl. Gregorios aber von dunkler. Dafür ist er reich mit goldenen Sternen verziert. Darüber tragen alle drei das eigentliche bischöfliche Amtszeichen, nämlich das Omoforion, einen langen, ursprünglich, wie auch auf dieser Ikone noch ersichtlich, weißen, über beide Schultern gelegten und mit großen Kreuzen versehenen Gewandstreifen, welcher die Bürde der geistlichen Schafe symbolisiert, die der Bischof zu tragen hat. In der Linken halten alle drei Bischöfe ein geschlossenes Evangeliar, während sie mit der Rechten in der byzantinischen bzw. altrussischen Weise segnen. Über ihnen ist in der Bildmitte das so genannte „Mandylion“ dargestellt, also das „Nicht von (Menschen-) Hand gemachte Bild“ (griech. acheiropieton; russ. Nerukotvornyj obraz) des Herrn, das folgende Überlieferung hat: Als im Mai 544 die Stadt Edessa (das heutige Urfa in der Südosttürkei) von den Persern belagert wurde, erfolgte die Rettung – wie uns der byzantinische Schriftsteller Euagrios Scholastikos (um 536–593/94) berichtet – durch das in höchster Not herbeigebrachte „Nicht von Hand gemachte Bild Christi“. Euagrios setzt offenbar das von ihm benannte Bild als allgemein bekannt voraus und stützt sich dabei implizit auf eine Überlieferung, die es mit dem edessenischen Fürsten Abgar V. Ukkama (9–46) in Verbindung bringt. Zwar ist in der älteren Form der Legenden nur von einem schutzgewährenden Brief Jesu für den erkrankten Herrscher die Rede, den bereits Eusebios von Kaireia (um 260–339) in seiner Kirchengeschichte erwähnt. In der späteren Form (um 400) heißt es aber bereits, Abgars Bote habe auch ein Porträt Jesu gefertigt. Nach einer anderen Version soll Christus selbst den Abdruck seines Antlitzes in einem Tuch hinterlassen haben. Dieses Tuch befand sich auch noch nach der arabischen Eroberung 639 in Edessa, bis die Byzantiner unter dem überragenden Feldherrn Joannes Kourkouas 943 die Stadt belagerten und einschlie-ßen konnten. Nach langen Verhandlungen wurde auf die Eroberung verzichtet – unter der einen Bedingung der Herausgabe des Christusbildes, das dann in einem Triumphzug sondergleichen am 15. August 955 in die Kaiserstadt gebracht worden ist. Es fand seinen Platz in der Faroskapelle des Boukoleonpalastes, bis es bei der Plünderung der Stadt durch die Lateiner 1204 verloren ging.

Bei der Ikone handelt es sich um eine russische Arbeit, und zwar dürfte sie nach der Art der gesamten Gestal-tung, besonders der sehr typischen des Gewandes wohl stilistisch in die Traditionen der Malerdörfer des mittelrus-sischen Gebietes einzuordnen sein. Dem entspricht auch, dass diese Ikone mit beachtenswerter handwerklicher Fertigkeit gemalt worden ist, wie sich sowohl an der feinen Gestaltung der Gewänder und ihrer zeit- und ortstypi-schen Ornamentierung wie auch der Ausführung der Gesichter zeigt. Die verwandten stilistischen Formen wie auch die paläographische Einordnung der benutzten Schriftformen erlauben nach bestem Wissen und Gewissen eine Datierung in den Anfang bzw. die Mitte des 19. Jahrhunderts.

Die Ikone liegt in originalem, also unrestauriertem Zustand vor. Ihr Erhaltungszustand ist als sehr gut zu be-zeichnen; lediglich ein paar kleinere altersbedingte Abreibungen sind zu vermerken, die aber alle die erhaltene schöne Malerei nicht wesentlich tangieren.

DIE DREI hIERaRChEN gREgORIUS, baSILIUS, jOhaNNES ChRySOSTOMUS

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Die Darstellung zeigt – wie schon vermerkt – den „HERRN“, den „ALLHERRSCHER“ (kslv. „Gospod“ Vsederzi-tel“). Somit verweist dieses Motiv – wie jede Christusdarstellung – in die Tiefe der orthodoxen Bildtheologie, denn von der Darstellbarkeit des wahrhaft aus der Jungfrau Maria menschgewordenen Logos her haben ja die großen Ver-teidiger der Bilderverehrung, wie etwa der hl. Joannes von Damaskos, der hl. Theodoros vom Stoudios-Kloster oder der hl. Patriarch Germanos von Konstantinopel die Erlaubtheit der Ikonen und ihre relative, d.h. auf das Urbild, den Dargestellten, bezogene Verehrung gerechtfertigt. So schreibt z.B. der Damaszener (PG XCIV, 1240 B): „Wenn der Kör-perlose um deinetwillen Mensch wird, dann darfst du auch das Bild seiner menschlichen Gestalt malen. Wenn der Unsichtbare im Fleische sichtbar wird, dann darfst du ein Bild des sichtbar Gewordenen machen“. An einer anderen Stelle seiner 1. Rede von den Bildern geht der hl. Joannes sogar noch weiter und ruft seinen Gegnern zu (PG XCIV, 1252 D): „Du verehrst keine Ikonen, also verehrst du auch nicht Gottes Sohn, der das lebendige Bild des unsichtbaren Gottes und sein unwandelbares Zeichen ist. Ich hingegen verehre Christi Bild, denn Er verkörpert ja Gott in mensch-licher Gestalt!“. Wir haben es bei der Ikone des Christus Jesus also mit einem Bild zu tun, welches sozusagen das Fundament der gesamten lkonentheologie und -verehrung bedeutet. Entsprechend ist auch die Ehrung dieses Bil-des in der orthodoxen liturgischen Praxis. Exemplarisch läßt dies der Festgesang (Apolytikion) zum 1. Fastensonn-tag, dem Fest der Orthodoxie, deutlich werden, welcher lautet: „Vor Deinem allerreinsten Bilde fallen wir nieder, o Gütiger, bittend um die Vergebung unserer Sünden, Christus, Gott! Denn freiwillig wolltest Du im Fleische das Kreuz besteigen, um die, die Du erschaffen hast, aus der Knechtschaft des Widersachers zu erlösen …“. Die Bezeichnung Christi als „Pantokrator“ geht dabei auf den Gottestitel der Septuaginta zurück, der schon in neutestamentlicher Zeit (vergl. Apk 1,8; 4,8; 15,3; 21,22) sowie von den Kirchenvätern primär christologisch verstanden worden ist. Dabei zeigen allerdings bekanntlich die ältesten uns überlieferten Bilder Jesus Christus nicht in realistischer, sondern in symbolischer Weise, wie z.B. in einigen römischen Katakomben (S. Callisto, Santa Priscilla) als bartlosen Jüngling mit einem Lamm (Bildnis des guten Hirten, das aber an heidnische Vorbilder erinnert). Besonders deutlich wird dieTatsache, dass hier ganz bewusst eine symbolische Darstellung gewählt worden ist, in einem Relief an dem berühm-ten Sarkophag des römischen Stadtpräfekten Junius Bassus aus dem Jahre 359: dort ist nämlich ein fast knabenhaf-ter Jesus zwischen den durchaus lebensnah gezeigten bärtigen Aposteln Petrus und Paulus dargestellt. Die Jugend-lichkeit wurde offenbar als ein Symbol für seine zeitlose Göttlichkeit verstanden, während man sich andererseits scheute, den Herrn realistisch zu zeigen, da dies ja auch in antikem Verständnis – wie etwa bei den Kaiserbildern! –

Die Ikone zeigt in frontaler halbfiguriger Darstellung Christus als den Weltenherrn (griech. „Pantokrator“, slav. Vsederzitel).

THEmATik dER ikonE

B 17,5 cmH 22 cm

El 134

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eine Treue zum Urbild voraussetzte. Um die Mitte des 4. Jahrhunderts vollzieht sich dann ein grundlegender und auf den ersten Blick überraschender Wandel: Christus wird nun in betonter Männlichkeit dargestellt, erhaben, mit mä-ßig langem Vollbart, immer mit schulterlangem, in der Mitte gescheiteltem Haar. Ein frühes Beispiel hierfür findet sich in einem Mosaik „Christus übergibt Petrus den Schlüssel“ (wohl aus der Erbauungszeit des Gotteshauses) in der Kirche Santa Constanza zu Rom, welche sich die kaiserliche Prinzessin Konstantina als Mausoleum errichten ließ, in dem sie auch 354 beigesetzt worden ist. Bald nehmen dann Bilder des Christus-Pantokrator-Typus die beherr-schende Stelle der christlichen Basiliken ein, d. h. jenen Ort, wo in den heidnischen Profanbasiliken die Kaiserbilder standen, welche den Bauten ja erst zu ihrem Namen verhalfen. Das älteste erhaltene Beispiel hierfür ist das Mittel-stück aus dem Apsismosaik der bereits im Jahre 398 vollendeten Basilika Santa Pudentiana zu Rom. Damit dürfte dieMotivation für den Wandel des Christusbildes im Verlauf des 4. Jahrhunderts so überzeugend zu erklären sein: an die Stelle des heidnischen Kaiserbildes tritt das Bild des Königs aller Könige, der ja ist „der getreue Zeuge, der Erstge-borene von den Toren und der Herr über die Könige auf Erden“ (Apk. 1,5). Er ist der wirkliche Allherrscher, der auch vom irdischen Kaiser, dem „Kosmokrator“ (= Weltenherrscher), anerkannte Pantokrator. Denn der christliche Kaiser verstand sich ja jetzt als das Abbild des einen wirklichen Allherrschers, weshalb die Titulator des römischen Kai-serkultes fast nahtlos auf Christus übertragen werden konnte. Nun war aber für das Kaiserbild der Porträtcharakteressentiell, wie man auch sonst im Bereich der römischen Antike Wert auf lebenswahre Abbilder legte. Die Tatsache, dass sich nun im 4. Jahrhundert der neue Typus des Christusbildes so erstaunlich schnell und überall durchsetzt, beruht offenbar auf der Ansicht, dass es das authentische Bild des Erlösers darstelle. Der Grund für diese Überzeu-gung ist im Vorhandensein des sog. „Acheiro-Poiiten“-Bildes zu sehen, d. h. einer nicht von (Menschen-) Hand, sondern vom Herrn selbst stammenden Abbildung seines Antlitzes, wie dies z.B. die Überlieferung vom Edessa-Tuch kündet. Die Größe der Trägertafel beträgt bei der begutachteten Ikone 22 cm (Höhe) x 17,5 cm (Breite). Es handelt sich also um die Ausmaße einer typischen Hausikone, die ihren Platz in der so genannten „Schönen Ecke“ (russ. Krasnyj ugol), also der Ikonenecke des Hauses bzw. Zimmers findet. Sie zeigt die vorstehend skizzierte klassische spätbyzan-tinische bzw. russische Ikonographie der Pantokrator-Darstellung. Das heißt: Auch auf der vorliegenden Ikone – wie auf den meisten dieses Typus – sehen wir den Herrn halbfigurig dargestellt, frontal zum Betrachter schauend. Die Rechte ist zum Segen erhoben, wobei die Finger nach Art der alten byzantinischen bzw. altrussischen Weise zusam-mengelegt sind, bei der sich die Spitzen von Ring und kleinem Finger an den Damen legen und die Dreieinigkeit symbolisieren, während Zeige- und Mittelfinger nach oben stehen und die zwei Naturen des menschgewordenen Gottessohnes bezeichnen. Die Linke Christi trägt in diesem Falle statt des zumeist üblichen Evangelienbuches die von einem lateinischen Kreuz überhöhte Weltkugel. Gekleidet ist Christus in ein Untergewand (das antike „Chiton“) und einem darüber getragenen mantelartigen Obergewand (Himation).

Die Ikone trägt einen schön gefertigten, allerdings schon im Wesentlichen maschinell gepressten und dann mit Hand nachbearbeiteten Metallbeschlag, und zwar aus vergoldetem Messing. Solche Beschläge haben in der lkonen-kunst, besonders der russischen, schon eine sehr alte Tradition, wobei zuerst die Metallbeschläge aus kleinen Tä-felchen bestanden, die auf die Holztafel der Ikone aufgenagelt worden sind. Später wurden dann größere metallene Auflagen beliebt, die entweder den Hintergrund der Ikone bedeckten oder auch die Figur der dargestellten Personen in Treibarbeit nachgestalteten und nur die Inkarnate freiließen. Der Zweck dieser Metallbeschläge ist wohl einerseits in dem praktischen Nutzen eines bestimmten Schutzes für die ja relativ empfindliche Ei-Tempera-Malerei zu sehen, andererseits aber dürfte auch der Wunsch eine Rolle gespielt haben, die Ikone durch solche Beschläge zu verschö-nern und zu ehren. Die teils geometrische, teils geometrische Ornamentik des Randes wie auch jene des separaten und dann aufgesetzten Nimbus ist ebenfalls sehr typisch für die Zeit.

Bei der Ikone handelt es sich um eine russische Arbeit, und zwar dürfte sie nach der Art der gesamten Bild-gestaltung aus einer auf die Produktion einer größeren Stückzahl von Ikonen angelegten städtischen Werkstatt, möglicherweise aus Moskau oder noch wahrscheinlicher St. Petersburg stammen. Die Ikone zeigt jene schon im ausgehenden 17. Jahrhundert einsetzende, dann aber besonders im 18. und auch noch im 19. Jahrhundert, ja teil-weise bis heute in orthodoxen Kirchen Russlands sehr weit verbreitete Übernahme westlicher Darstellungsformen und einen gewissen Naturalismus, vor allem in der Gestaltung des Gesichtes, die auch eine Anlehnung an die – in diesem Fall wiederum vor allem an Vorbildern der Nazarenerkunst orientierte – akademische Malerei ihrer Zeit sucht. Auf Grund des von Anfang an vorgesehenen Metallbeschlags, wurden zwar die Inkarnate relativ sorgfältig, die übrige, dann unter dem Beschlag ohnehin verborgene und nicht sichtbare Malerei aber demgegenüber nur an-deutend gefertigt. Trotzdem oder gerade deshalb ist die Ikone aber ein gutes Beispiel für die russische Sakralmalerei der Entstehungszeit, die dem Geschmack vor allem der Käufer aus dem Bürgertum entsprach und seine Ansprüchen befriedigte, wozu auch der prachtvoll wirkende Metallbeschlag gehörte. Die verwandten stilistischen Formen wie auch die paläographische Einordnung der benutzten Schriftformen erlauben nach bestem Wissen und Gewissen eine Datierung in das Ende des 19. Jahrhunderts.

Die Ikone liegt in unrestauriertem Zustand vor. Ihr Erhaltungszustand ist als ausgesprochen gut zu bezeichnen.

ChRISTUS PaNTOKRaTOR

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S 50 / 51

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Der hier vorliegende Typus einer Gottesmutterikone will die Wohltaten Mariens für die Not leidende Menschheit durch die Kraft ihres Gebetes und ihrer Fürbitte illustrieren.

Das Entstehen des entsprechenden ikonografischen Typus wird auf das Jahr 1688 zurückdatiert, da der leibli-chen Schwester des damaligen allrussischen Patriarchen loakim (1674–90) namens Evfimija während einer Krank-heit beim morgendlichen Gebet eine Vision zuteil wurde, bei der sie eine Stimme hörte: „Evfimija, geh in die Kirche der Verklärung meines Sohnes. Dort ist ein Bild, das ‚Freude aller Leidenden‘ genannt wird. Dort möge ein Priester eine Bittandacht mit der Wasserweihe zelebrieren – und du wirst Heilung von der Krankheit erlangen.“. In diesem Sinne geschah es – und seit jener Zeit wird die Urikone in der Kirche auf der Großen Ordynka-Straße zu Moskau verehrt und der Gedenktag am 24. Oktober begangen.

Die Ikone zeigt – wie auch auf der Inschrift in kirchen-slavischer Sprache oben neben der Darstellung des herrn zebaoth vermerkt – das in der russischen lkonenmalerei des 18. und 19. jahrhunderts recht bekannte und beliebte Motiv der gottesmutterikone „Freude für alle Leidenden (kslw. Vsem skorbjascim radost)“.

THEmATik dER ikonE

B 17,4 cmH 21,5 cm

El 136

AllgEmEinE ikono-gRApHiSCHE Und

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Das Motiv existiert in zwei unterschiedlichen ikonografischen Varianten: Bei beiden ist in der Mitte die Gottes-mutter Maria in voller Gestalt dargestellt (meistens – wie auch im vorliegenden Fall – mit, manchmal aber auch ohne das Göttliche Kind, wobei letzteres der ältere Typus sein dürfte), wobei sie ebenso wie der Herr Jesus Christus – oft (wie auch auf dieser Ikone) in königliche Gewänder mit einer Krone gekleidet ist.

Bei beiden Typen existieren verschiedene Blickrichtungen: Ursprünglicher ist wohl jene mit der ikonografisch nach rechts blickenden Gottesmutter, wie es auch auf diesem Bild der Fall ist.

Links und rechts von ihr sind dann entweder verschiedene Heiligengruppen angeordnet, so der erste Typus, welcher möglicherweise auf das Urbild zurückgeht, oder aber – wie auch im vorliegenden Fall (und wohl als eine jüngere Adaption!) – an verschiedenen Gebrechen leidende Hilfsbedürftige, wobei die Anordnung oft den sog. „leib-lichen Werken der Barmherzigkeit“ (vgl. Mt 25, 35–39) nachempfunden ist, denen Engel dann die von der Gottesge-bärerin erbetenen Gottesgeben spenden.

So wie schon die Grundikonographie bis heute nicht einheitlich festgelegt ist, sondern mehrere Varianten kennt, so ist es die Anordnung und die Zusammensetzung dieser Gruppen der Bedürftigen noch weniger: Wir finden hier auf den einzelnen Ikonen des Typus durchaus eine recht bemerkenswerte Variationsbreite – offensichtlich je nach Vorlieben des Malers bzw. auch des Auftragsgebers der Ikone. So fehlen manchmal bestimmte Gruppen von Bedürftigen (besonders häufig die Seefahrenden in ihrem Schiff) und sind dafür andere zugesetzt. Überhaupt ist die Zahl der Gruppen, natürlich auch bedingt durch die Größe der Tafel, sehr unterschiedlich.

Die Größe der Trägertafel beträgt bei der begutachteten Ikone 21,5 cm (Höhe) x 17,4 cm (Breite). Sie zeigt im Wesentlichen die vorstehend erläuterte Ikonografie.

Dabei ist in der Miete der Ikone oben in einem in etwa halbkreisförmigen, sich in einem Rundbogen auf den obe-ren Bildrand erstreckenden Segment Christus dargestellt, der über den Wolken thront. Neben seinem Haupt steht die übliche Abbreviatur griechisch-russische IC XC = Jesus Christus.

In der Bildmitte steht sodann die Gottesmutter. Zu ihren beiden Seiten sieht man, wie Engel verschiedenen Gruppen Notleidender die ihnen auf Fürbitten der Gottesgebärerin gewährte Hilfe bringen.

Die Ikone trägt einen handgetriebenen, allerdings relativ groben Metallbeschlag, und zwar aus Messing. Solche Beschläge haben in der lkonenkunst, besonders der russischen, schon eine sehr alte Tradition, wobei zuerst die Metallbeschläge aus kleinen Täfelchen bestanden, die auf die Holztafel der Ikone aufgenagelt worden sind. Später wurden dann größere metallene Auflagen beliebt, die entweder den Hintergrund der Ikone bedeckten oder auch die Figur der dargestellten Personen in Treibarbeit nachgestalteten und nur die lnkarnace freiließen.

Der Zweck dieser Metallbeschläge ist wohl einerseits in dem praktischen Nutzen eines bestimmten Schutzes für die ja relativ empfindliche Ei-Tempera-Malerei zu sehen, andererseits aber dürfte auch der Wunsch eine Rolle gespielt haben, die Ikone durch solche Beschläge zu verschönern und zu ehren.

Bei der Ikone handelt es sich um eine russische Arbeit, und zwar dürfte sie nach der Art der gesamten Art der Gestaltungaus einer eher provinziellen, auf jeden Fall auf die Herstellung relativ billiger Ikonen minderer Qualität in großer Stückzahl eingerichteten Werkstatt stammen.

Die verwandten stilistischen Formen wie auch die paläographische Einordnung der benutzten Schriftformen erlauben nach bestem Wissen und Gewissen eine Datierung in das frühe bis mittlere 19. Jahrhunderts.

Die Ikone liegt größtenteils in originalem, also unrestauriertem Zustand vor. Ihr Erhaltungszustand wie auch der des Metallbeschlages (s.u.) ist als durchaus gut zu bezeichnen. Um eine eventuell damit verbundene Beschädigung der Malerei zu vermeiden, wurde der Metallbeschlag nicht abgenommen.

DIE gOTTESMUTTER „FREUDE aLLER LEIDENDEN“

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Der – hier als der vom Betrachter aus gesehen rechte dargestellte – Joannes der Goldmund, wie sein ihm im 6. Jahrhundert nach dem Vorbilde des antiken Schriftstellers Dion gegebener griechischer Beiname „Chrysostomos“ übersetzt lautet, lebte in der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts. Er stammte zwar auch dem syrischen Antiocheia und war wohl auch selbst ein Syrer (nach einigen ein Araber), wurde aber der größte Prediger der griechischen Kirche, der in seinem durch Bilder und Gleichnisse belebten attizistischen Stil christlichen Geist mit hellenistischer Formschön-heit verbindet. Als auch er Patriarch von Konstantinopel geworden war, machte er sich bald durch seine streng asketischen Neigungen und Reformen bei der Hofclique unbeliebt und wurde auf Betreiben der hohen Geistlichkeit und besonders der Kaiserin Eudoxia, die er selbst in einer öffentlichen Predigt mit Herodias verglich, an das Schwar-ze Meer verbannt, wo er auch starb. Ihm gegenüber steht Gregorios der Theologe, der auch nach seinem Heimatort Gregorios von Nazianz genannt wird. Dieser Kirchenvater, der in der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts lebte, war der Sohn eines Bischofs, und eng mit dem dritten aus dem Kreis der „Drei Hierarchen“, nämlich mit Basileios befreun-det, den er während des gemeinsamen Studiums in Athen kennenlernte. Nicht zuletzt auf Druck des Basileios zum Patriarchen von Konstantinopel geweiht, litt Gregorios bald unter der Bürde des Amtes und den Anforderungen als Hofbischof der Kaiserstadt und zog sich daher in die Stille seines Landgutes zurück, um sich ganz der literarischen Wirksamkeit zu widmen. Er ist zweifelsohne der gewandteste christliche Schriftsteller und Dichter seiner Zeit, der eine Vertrautheit mit allen rhetorischen Stilmitteln ebenso offenbart wie eine weitreichende theologische Bildung. In der Mitte seiner beiden Freunde steht dann mit langem braunen und spitzen Bart Basileios der Große. Der Heili-ge wurde 329/331 zu Kaisaraia in Kappadokien (heute einer Ruinenstätte südwestlich von Kayseri in der Türkei) in einer vornehmen christlichen Familie geboren. Er studierte in seiner Heimatstadt, in Konstantinopel und Athen, wo er sich mit Gregorios von Nazianz befreundete. 356 empfing er in Kaisaraia die Taufe und erprobte anschließend das Mönchsleben in Syrien, Palästina, Agypten und Mesopotamien (ca. 357/58), woraufhin er sein ganzes, nicht unbeträchtliches Vermögen verschenkte, und sich an den Pontus, d. h. die Nordküste Kleinasiens am Schwarzen Meer, zurückzog. Dort arbeitete er jene Mönchsregeln aus, die bis heute ihre Bedeutung für das orthodoxe – und in Auswirkungen auch das abendländische – Mönchtum haben, wenn er auch nie zu einem „Ordensgründer“ im west-lichen Sinne des Wortes geworden ist. 364 kehrte Basileios aus der Einsamkeit zurück, wurde Priester und entfaltete in seiner Heimatstadt eine intensive seelsorgliche, sozial-karitative und kirchenpolitische Tätigkeit, die sich noch steigerte, als er 370 Erzbischof von Kaisaraia und Metropolit von Kappadokien wurde. Er hatte hier gegen den aus-

Die Ikone zeigt drei der bedeutendsten Theologen und Väter der alten

Kirche, deren gemeinsames Fest nach dem Kalender der Orthodoxen

Kirche am 30. januar begangen wird, nämlich die „Drei hierarchen“, d.h.

johannes Chrysostomos, gregorios der Theologe und basileios der große.

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dETAilBESCHREiBUngdES voRliEgEndEn WERkES

gehenden Arianismus zu kämpfen, der sich oft mit politischer Gewalt zu behaupten suchte, besonders unter Kaiser Valens (364–387). Während das Sozialwerk des Basileios mit seinen modern anmutenden Einrichtungen (Pilger-hospiz, Krankenhaus für Arme und eine medizinische Versuchsstation) sehr erfolgreich war, musste er bei seinen weitgespannten kirchenpolitischen Ambitionen allerdings auch Rückschläge hinnehmen (z.B. bei der missglückten Einsetzung des Gregorios von Nazianz zum Patriarchen von Konstantinopel). Die unvergängliche Bedeutung des Basileios liegt jedoch vor allem auf dem Gebiet seiner theologischen und aszetischen Schriften. So ist seine „Rede an die Jugend über den nützlichen Gebrauch der heidnischen Literatur“ bedeutungsvoll für die positive Einstellung der christlichen Kirche zur antiken Bildung. Theologisch war er streng am Glauben des Konzils von Nikaia orientiert und bemühte sich in diesem Sinne um logisch scharf durchdachte Begriffe über die drei Hypostasen der Einen Gott-heit und ihr Verhältnis zueinander. So erbrachte er den spekulativen Erweis der Gottheit des Heiligen Geistes und seines Ausgangs aus dem Vater. Auf aszetischem Gebiet überwand er den griechischen Spiritualismus (Ablehnung der Ehe und des Eigentums) zugunsten einer realistischen Weltbejahung, welche das Irdische in den Dienst Gottes stellt. Da Basileios – nach den heutigen Forschungen durchaus zu Recht! – auch als Schöpfer eines der orthodoxen Formulare der eucharistischen Liturgie gilt, finden wir schon relativ früh seine bildliche Darstellung in verschiedenen Handschriften mit liturgischen Texten, aber auch bald – und fast immer – in der ansonsten ja unterschiedlich zusam-mengesetzten Reihe altkirchlicher Hierarchen, sei es im Altarraum vieler Kirchen in Wandmalereien (so die älteste Darstellung bei der Hauptapsis von S. Maria Antiqua zu Rom, um 649) oder aber – wie auch im vorliegenden Fall – zu-sammen mit dem hl. Johannes Chrysostomos und dem hl. Gregorios dem Theologen auf der Ikone der drei Hierarchen.

Die Größe der Trägertafel beträgt bei der begutachteten Ikone 31,3 cm (Höhe) x 25,5 cm (Breite). Sie zeigt die drei Hierarchen in der üblichen bischöflichen pontifikalen Bewandung, wobei Basilieos (vom Betrachter aus gesehen links) in ein Felonien, die beiden anderen aber in Sakkoi gekleidet sind. Darüber tragen alle drei das eigentliche bischöfliche Amtszeichen, nämlich das Omoforion, einen langen über beide Schultern gelegten und mit großen Kreuzen versehenen Gewandstreifen, welcher die Bürde der geistlichen Schafe symbolisiert, die der Bischof zu tra-gen hat. In der Linken halten alle drei Bischöfe ein geschlossenes Evangeliar, während sie mit der Rechten in der byzantinischen bzw. altrussischen Weise segnen. Ober ihnen ist in der Bildmitte das so genannte „Mandylion“ dar-gestellt, also das „Nicht von (Menschen-) Hand gemachte Bild“ (griech. acheiropieton; russ. Nerukot-vornyj obraz) des Herrn, das folgende Überlieferung hat: Als im Mai 544 die Stadt Edessa (das heutige Urfa in der Südosttürkei) von den Persern belagert wurde, erfolgte die Rettung – wie uns der byzantinische Schriftsteller Euagrios Scholasti-kos (um 536–593/94) berichtet – durch das in höchster Not herbeigebrachte „Nicht von Hand gemachte Bild Christi“. Euagrios setzt offenbar das von ihm benannte Bild als allgemein bekannt voraus und stützt sich dabei implizit auf eine Überlieferung, die es mit dem edessenischen Fürsten Abgar V. Ukkama (9–46) in Verbindung bringt. Zwar ist in der älteren Form der Legenden nur von einem schutzgewährenden Brief Jesu für den erkrankten Herrscher die Rede, den bereits Eusebios von Kaireia (um 260–339) in seiner Kirchengeschichte erwähnt. In der späteren Form (um 400) heißt es aber bereits, Abgars Bote habe auch ein Porträt Jesu gefertigt. Nach einer anderen Version soll Christus selbst den Abdruck seines Antlitzes in einem Tuch hinterlassen haben. Dieses Tuch befand sich auch noch nach der arabischen Eroberung 639 in Edessa, bis die Byzantiner unter dem überragenden Feldherrn Joannes Kourkouas 943 die Stadt belagerten und einschließen konnten. Nach langen Verhandlungen wurde auf die Eroberung verzichtet – unter der einen Bedingung der Herausgabe des Christusbildes, das dann in einem Triumphzug sondergleichen am 15. August 955 in die Kaiserstadt gebracht worden ist. Es fand seinen Platz in der Faroskapelle des Boukoleonpalas-tes, bis es bei der Plünderung der Stadt durch die Lateiner 1204 verloren ging.

Die Ikone trägt einen schön gefertigten und von Hand getriebenen Metallbeschlag, und zwar aus versilbertem Messing. Solche Beschläge haben in der lkonenkunst, besonders der russischen, schon eine sehr alte Tradition, wo-bei zuerst die Metallbeschläge aus kleinen Täfelchen bestanden, die auf die Holztafel der Ikone aufgenagelt worden sind. Später wurden dann größere metallene Auflagen beliebt, die entweder den Hintergrund der Ikone bedeckten oder auch die Figur der dargestellten Personen in Treibarbeit nachgestalteten und nur die Inkarnate freiließen. Der Zweck dieser Metallbeschläge ist wohl einerseits in dem praktischen Nutzen eines bestimmten Schutzes für die ja relativ empfindliche Ei-Tempera-Malerei zu sehen, andererseits aber dürfte auch der Wunsch eine Rolle gespielt ha-ben, die Ikone durch solche Beschläge zu verschönern und zu ehren. Die teils geometrische Ornamentik des Randes, wie auch jene des separaten und dann aufgesetzten Nimbus, ist ebenfalls sehr typisch für die Zeit. Zu dem Beschlag gehörten ursprünglich mit Sicherheit drei separat gefertigte Nimben, die aber im Laufe der Zeit verlorenen gegangen sind.

Bei der Ikone handelt es sich um eine russische Arbeit, und zwar dürfte sie nach der Art der gesamten Gestaltung wohl stilistisch in die Traditionen der Malerdörfer des mittelrussischen Gebietes einzuordnen sein. Die verwandten sti-listischen Formen wie auch die paläographische Einordnung der benutzten Schriftformen erlauben nach bestem Wis-sen und Gewissen eine Datierung in den Anfang bzw. die Mitte des 19. Jahrhunderts, eventuell noch die Zeit um 1800.

Die Ikone liegt in originalem, also unrestauriertem Zustand vor. Ihr Erhaltungszustand ist als sehr gut zu be-zeichnen; lediglich das Fehlen der drei Nimben sind zu konstatieren. Um eine eventuell damit verbundene Beschä-digung der Malerei zu vermeiden, wurde der Metallbeschlag nicht abgenommen.

DIE hEILIgEN DREI hIERaRChEN, baSILIUS, gREgORIUS, jOhaNNES ChRySOSTOMUS

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mETAllBESCHlAg

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Dargestellt ist auf diesem Typ einer narrativen Ikone das Bild der Gottesmutter von der Unerwarteten Freude, d. h. sie illustriert ein Geschehen, welches erstmals in dem Buch „Das benetzte Vlies“ (Runo orosennoe, Blatt 49) des hl. Metropoliten Dimitrij (Tuptalo) von Rostov (1651–1709), eines sehr berühmten Hagiographen der russischen Kirche, erwähnt wird.

Die Geschichte, welche auch auf dem Bilde dargestellt ist, wird dabei üblicherweise – wenn auch in unterschied-licher Länge – auf dem Text, der unterhalb des eigentlichen Bildes der Gottesmutter sozusagen in den Rahmen der Ikone eingepasst ist, erzählt, wobei einige Ikonen eine relativ lange Fassung der Überlieferung aufweisen, die dem erwähnten Werk des hl. Dimitrij entnommen ist, einige andere Ikonen aber nur die Anfangsworte des Berichtes wiedergeben, während wiederum andere, wenn auch nicht sehr häufige vorkommende, fast das vollständige Kapitel enthalten.

Die Ikone zeigt eine in Russland besonders im 18. und 19. jahrhundert sehr beliebte Darstellung der gottesmutter, nämlich den Typus der „Unerwarteten Freude (slav. Necajannaja Radost‘)“.

THEmATik dER ikonE

B 26 cmH 32 cm

El 142

AllgEmEinE ikono-gRApHiSCHE Und

kUnSTgESCHiCHTliCHE BESCHREiBUng

dETAilBESCHREiBUngdES voRliEgEndEn WERkES

HERkUnfTS- UndAlTERSBESTimmUng

ERHAlTUngSzUSTAndUnd RESTAURATionEn

Der vollständige Text des Metropoliten Dimitrij lautet in deutscher Übersetzung: „Ein gewisser gesetzlo-ser Mensch hatte die alltägliche Ordnung zur Allreinen Gottesgebärerin zu beten mit den Worten des Englischen Grußes: Sei gegrüßt du Gnadenerfüllte! Einmal da er wieder zu einem gesetzlosen Tun gehen wollte, wandte er sich wieder zum Bild der Gottesgebärerin, dass er zuerst das Gebet verrichte, dann aber losgehe. Sofort aber überfiel ihn Furcht. Er war in Schrecken und sah das Bild bewegt. Sieh, die Gottesgebärerin mit ihrem Sohn auf dem Arm war lebendig. Es öffneten sich die Wunden des Kindes an den Händen und den Füßen und an der Seite und es floss Blut in Strömen heraus wie am Kreuze. Er fiel nieder vor Furcht und rief: „0 Herrin wer hat dies angerichtet?“ Die Gottes-gebärerin antwortete: „Du und die anderen ihr kreuzigt durch die Sünden meinen Sohn wie die Juden.“ Der Sünder sprach: „Erbarme dich meiner; Mutter, hab ein mildes Herz!“ Die Gottesgebärerin antwortete: „Mildherzige Mutter nennt ihr mich, aber mit Schmerzen erfüllt ihr mich.“ Der Sünder sprach: „Nein Gebieterin, nicht obsiege meine Bosheit ob deines unaussprechlichen Erbarmen, du bist ja allen eine Hoffnung, bitte auch für mich, deinen Sohn und meinen Schöpfer!“ Da begann die allgebenedeite Mutter ihren Sohn zu bitten: „Wohlgesinntet, mein Sohn um der Liebe willen, erbarme dich dieses Sünders!“ Es antwortete der Sohn: „Zürne nicht meine Mutter, und sie werden nicht erhört, ich habe den Vater dreimal gebeten, dass der Kelch meiner Leiden an mir vorübergeh, und er hat mich nicht erhört!“ Da sprach die Mutter: „Gedenke meiner Sorgen mit denen ich dich aufgezogen und der Leiden meines Schmerzes und verzeihe diesem Sünder“. Da sprach der Sohn: „O meine Mutter, ich erhöre dein Flehen, es gescheh wie du willst, es seien vergeben diesem alle Sünden, möge er meine Wunden küssen und – wenn er vollendet wird – die Schau zum Himmel erlangen“.

Anschließend wird noch die reuige Umkehr des Sünders berichtet. Dieser Text wird – wie schon gesagt – in verschiedener Länge und mit einigen kleineren Abweichungen in der Wortwahl auf allen Ikonen dieses Typus aufge-nommen und entsprechend im Bilde illustriert, wobei der vor der (wie in dem Schrein einer Kirche gemalten) Ikone der Gottesmutter kniende Sünder dargestellt ist, welcher die Wunden des göttlichen Kindes anschaut. Der Herr hat beide Arme erhoben und die durchbohrten Handflächen dem Betenden zugekehrt, so dass dieser das aus ihnen strömende Blut sehen kann. Die Gottesmutter verweist auf das Kind und steht zugleich in Zwiespra-che mit dem Sünder, dem sie ihr Antlitz zuwendet.

Auf einigen Ikonen ist der Text dieses Dialogs in zwei Spruchreihen enthalten, von denen das eine, vom Munde Mariens ausgehend, umgekehrt gesetzt ist. Sie lauten im Regelfall: Der Sünder rief: „O Herrin wer hat dies gemacht?“ – Es antwortete die Gottesgebärerin: „Du und die anderen haben durch ihre Sünden meinen Sohn gekreuzigt!“. Diese Textbänder können aber auch, besonders auf einfacher gemalten Ikonen – entfallen.

Bemerkenswert ist, dass die verschiedenen Exemplare dieses Typus in ihrer Ikonographie – abgesehen von der Ausführlichkeit der Textteile – weitestgehend identisch sind.

Die Größe der Trägertafel beträgt bei der begutachteten Ikone 32 cm (Höhe) x 26 cm (Breite). Es handelt sich also um die Größe einer typischen Hausikone, die ihren Platz in der so genannten „Schönen Ecke“ (russ. Krasnyj ugol), also der lkonenecke des Hauses bzw. Zimmers findet. Sie zeigt die vorstehend geschilderte Ikonographie, wobei hier die Texte, die das Gespräch zwischen dem Sünder und der Gottesmutter entfallen sind und auch der Text, der das gesamte Geschehen schildert, auf die Anfangsworte gekürzt worden ist.

Bei der Ikone handelt es sich um eine russische Arbeit, und zwar dürfte sie nach der Art der gesamten ikonogra-phischen Gestaltung wohl aus dem mittelrussischen Raum, möglicherweise aus dem Gebiet Moskau stammen.

Die verwandten stilistischen Formen erlauben nach bestem Wissen und Gewissen eine Datierung in die Zeit um 1700. Es dürfte sich also um ein recht frühes Exemplar des Typus handeln.

Die Ikone liegt in restauriertem Zustand vor. Ihr Erhaltungszustand ist als rundum gut zu bezeichnen; kleinere Risse, die teils bis auf den Kreidegrund gingen, sind bei der Restauration ausgebessert worden. Auch wurde die untere Aufschrift erneuert. Gut erkennbar ist aber noch die alte Einritzung beim Haupt des Beters und auch in Spu-ren auf der Schrifttafel. Insgesamt dienten die notwendigen Restaurationen nach allem Augenschein lediglich der Sicherung der Malsubstanz, sind sachkundig ausgeführt und tangieren die erhaltene Malerei nicht wesentlich.

DIE gOTTESMUTTER „FREUDE aLLER LEIDENDEN“

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Dargestellt sind auf der vorliegenden Ikone die herausragenden Feste des orthodoxen Kirchenjahres, in diesem Fall in einem Zyklus von 16 Einzelszenen, die um das Mittelbild mit der Auferstehung Christi kreisförmig angeordnet worden sind.

Auszugehen ist bei der Beschreibung der Gesamtikonographie von der Bildmitte, in der die Auferstehung des Herrn gezeigt wird. Bekanntlich ist das eigentliche Auferstehungsbild der Orthodoxen Kirche – und damit auch dergesamten lkonenmalerei – nicht wie im Westen in erster Linie das des aus dem geborstenen Grabe emporsteigen-den Christus mit der Siegesfahne, sondern der Typus der Hadesfahrt. Diesem sog. „Descensus“-Typ, d.h. also der Darstellung des Hinabstiegs Christi zu den Stammeltern Adam und Eva und den Gerechten des Alten Bundes im Totenreich, steht dann später ein zweiter Typus gegenüber, der – wenn er auch kaum vor dem 9./10. Jahrhundert ent-standen sein dürfte – im Abendland weiteste Verbreitung finden sollte: Christus steigt, oft das Kreuz oder später in der Regel die Fahne als Siegeszeichen in der Linken haltend, aus dem offenen Sarg empor, vor dem die umgestürzte

Die Ikone zeigt eine die auferstehung Christi und hochfeste des orthodoxen Kirchenjahres.

THEmATik dER ikonE

B 43 cmH 53 cm

El 176

THEmATik dER dARSTEllUng

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dER SECHzEHn TEiligE fESTTAgSzyklUS

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Wächterschar liegt. Die vorliegende Ikone kombiniert beide Typen der Auferstehungsdarstellung in Form jenes Bild-programms, das die russischen Ikonen etwa seit dem 16. bzw. 17. Jahrhundert aufweisen und welches die ursprüng-lich einfachere byzantinische Ikonographie deutlich erweitert. So sehen wir im oberen Teil des Bildes den aus dem offenen Grabe auferstehenden Christus. Christi Gestalt wird von einer Lichtmandorla umgeben. Das Grab ist hier als ein Sarkophag gezeichnet. Zur Rechten Christi sieht man einen weißgekleideten Engel, der einer der Salben tragenden Frauen die Auferstehung verkündet. Auch in der unteren Bildhälfte bildet die Gestalt des Herrn wieder den Mittelpunkt der Darstellung, die hier Christus bei seiner Hadesfahrt zeigt: wiederum in der Lichtmandorla und in gleicher Gewandung steht er auf den zerbrochenen Pforten des Hades. Die Unterwelt muss die Toten freigeben: So strömen die Gerechten des Alten Bundes aus dem weit geöffneten Rachen des Hades. Mit seiner Rechten hebt Christus den Adam empor. Zu Füßen Christi neigt sich die Stammutter Eva anbetend vor ihrem Erlöser. Hinter den Stammeltern folgen weitere alttestamentliche Gerechte, unter denen man deutlich den König David mit seiner Krone erkennen kann. In der – wiederum vom Betrachter aus gesehen – rechten oberen Ecke wird die Erzählung von der Befreiung der Entschlafenen und ihrem Weg vom Hades zum Paradies fortgesetzt: Vor dessen Pforte steht nämlich der gute Schächer, denn am Kreuze erlangte er das Heil und den direkten Zugang zum Paradies, da der Herr ihm zusagte, dass er „noch heute mit mir im Paradiese sein wird!“ (Lk. 23,43).

Um das Mittelbild mit der Auferstehung sind kreisförmig 16 Felder platziert, in denen die wichtigsten Feste des orthodoxen Kirchenjahres, und zwar in etwa in chronologischer Abfolge der historischen Geschehnisse, die aller-dings des Öfteren unterbrochen wird, dargestellt werden. Es handelt sich also um folgende Begebenheiten (in der Reihenfolge der Zeilen von oben nach unten und jeweils von links nach rechts benannt); in Klammern wird jeweils der Festtag nach heurigen orthodoxen Kalender genannt:

1. Geburt der Gottesmutter (8. September)2. Die Einführung der Gottesmutter in den Tempel (21. November)3. Die (sogenannte „neutestamentliche“ Dreieinigkeit, d.h. Vater und Sohn nebeneinander thronend mit dem Heiligen Geist in Gestalt einer weißen Taube zwischen ihnen)4. Die Verkündigung des Erzengels Gabriel an die Gottesgebärerin (25. März)5. Die Geburt des Herrn (25. Dezember)6. Die Darstellung Christi im Tempel (2. Februar)7. Die Taufe des Herrn durch Johannes im Jordan (6. Januar)8. Die Auferweckung des Lazarus (Samstag vor Palmsonntag)9. Die Obhut der Gottesmutter (1. Oktober)10. Der Einzug in Jerusalem (Palmsonntag)11. Das Letzte Abendmahl (Gründonnerstag)12. Die Himmelfahrt des Herrn13. Die Erscheinung der drei Engel bei Abraham (vgl. Gen. 18) als erste Offenbarung der Dreifaltigkeit (Pfingsten)14. Das Haupt Johannes des Täufers als Zeichen seiner Enthauptung.15. Die Erhöhung des lebensspendenden Kreuzes zur Zeit des Kaisers Konstantin und der Kaiserin Helena zu Jerusalem (14. September)16. Das Entschlafen der Gottesmutter zu Efesos (15. August)

Bei der Ikone handelt es sich um eine russische Arbeit, und zwar dürfte sie nach der Art der gesamten Gestaltung aus einer der Malerwerkstätten mit größerer Produktion stammen. Denn hierbei handelt es sich um eine typische Arbeit relativ einfacher Malweise ohne detaillierte Ausführung der Einzelheiten der einzelnen Szenen und somit um ein gutes Beispiel für eine Ikone der Entstehungszeit, die – auch wegen des relativ günstigen Preises – größere Käuferkreise ansprach. Die verwandten stilistischen Formen erlauben nach bestem Wissen und Gewissen eine Da-tierung in die Zeit des Mittleren 19. Jahrhunderts.

Die Ikone liegt in originalem, also unrestauriertem Zustand vor. Der Erhaltungszustand der Ikone ist insgesamt als gut zu bezeichnen mit nur einigen kleineren Abreibungen, Krakelüren und Rissen, die aber die erhaltene Malerei nicht wesentlich tangieren. Lediglich am oberen Bildrand ist eine größerere Abblätterung zu vermerken, die sich aber nicht bis in den gemalten Bereich erstreckt.

DIE hOChFESTE DES KIRChENjahRES

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Dargestellt ist, wie schon gesagt, auf der Ikone der hl. Nikolaus von Myra, einer der – sowohl in der orthodoxen wie in der abendländischen Christenheit – meistverehrten Heiligen, dessen Fest nach dem Kalender der Orthodo-xen wie der westlichen Kirche am 6. Dezember begangen wird. Die Russische Orthodoxe Kirche gedenkt zudem am 9. Mai der Übertragung seiner Gebeine nach Bari. Trotzdem es sich beim hl. Nikolaus um einen seit ältesten Zeiten besonders verehrten Heiligen handelt, haben wir nur wenige historisch belegbare bzw. glaubhafte Nachrichten über ihn, zumal offenbar zahlreiche Züge aus den Viten anderer gleichnamiger Heiliger, z.B. des Abtes Nikolaos vom Sion, auf den Bischof von Myra übertragen worden sind. Als relativ gesichert kann Folgendes gelten: Er wurde um 270 (wohl in Patras in Lykien) geboren. Sein Vater Eufemios (nachanderen Quellen: Theofanes, wie er auch auf der vorliegenden Ikone bezeichnet wird) war ein reicher, aber sehr frommer Christ, seine Mutter hieß Anna. Von seinem gleichnamigen Onkel, dem Bischof von Myra in Lykien (heute Demre südl. Kleinasien) wurde er zum Priester geweiht und zum Abt eingesetzt. Nach dem Tode des Onkels wurde Nikolaus selbst Bischof der Stadt und als solcher in der Verfolgung des Galerius (um 310) gefoltert. Als Teilnehmer am 1. ökumenischen Konzil in Nikaia 325 verteidigte er die Orthodoxie gegen Areios; im Alter von 65 Jahren soll er an einem Freitag, dem 6. Dezember 345/351, gestorben sein.

Die Ikone zeigt einen der beliebtesten heiligen der Christenheit, nämlich den hl. bischof Nikolaus von Myra.

THEmATik dER ikonE

B 39 cmH 50 cm

El 182

AllgEmEinE HAgio- Und

ikonogRApHiSCHE BESCHREiBUng

dETAilBESCHREiBUngdES voRliEgEndEn WERkES

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Seine Gebeine wurden am 9. Mai (nach anderen Zeugnissen: am 4.9.) 1087 von Kaufleuten in die süditalienische Stadt Bari gebracht, wo sie noch heute vielverehrt ruhen. Nikolaus wird in Ost und West als hilfreicher Wunder-täter geehrt, wobei eine Reihe seiner Wunder bereits in den ältesten Vitenberichten bezeugt werden, so etwa die Traumerscheinung vor Kaiser Konstantinos dem Großen. Nachzuweisen ist seine Verehrung mit Sicherheit seit dem 6. Jahrhundert in Myra und in Konstantinopel, seit dem 9. Jahrhundert auch in Rom. In Rußland ist der hl. Nikolaus seit den ältesten Zeiten wohl bekannt und geehrt, denn schon der erste Warägerfürst, der das Christentum annahm,nämlich Askold (gest. 882) wurde vom damaligen Konstantinopler Patriarchen, dem hl. Fotios dem Großen, 866 auf den Namen Nikolaus getauft. So existieren überall in der orthodoxen Welt zahlreiche Kirchen wie auch viele Ikonen des Mannes, den sein Festgesang mit den Worten ehrt: „Die Wahrheit deiner Werke, Vater und Bischof Nikolaus, machte dich für deine Herde zur Regel des Glaubens, zum Vorbild der Milde, zum Meister der Mäßigung. Deshalb erhieltst du für deine Demut die Erhöhung, für deine Armut den Reichtum. Bitte Christus Gott, dass er errette unsere Seelen!“.

Die Größe der Trägertafel beträgt bei der begutachteten Ikone 50 cm (Höhe) x 39 cm (Breite). Dieses Maß lässt vermuten, dass die Ikone ursprünglich möglicherweise ihren Platz in einer Kirche hatte, denn sie ist doch um eini-ges größer als eine typische Hausikone, die ihren Platz in der so genannten „Schönen Ecke“ (russ. Krasnyj ugol), also der lkonenecke des Hauses bzw. Zimmers findet. Dargestellt ist der Heilige, wie üblich in der orthodoxen Sakralkunst, frontal in Halbfigur in bischöflicher Ge-wandung. Seine gesamte Physiognomie entspricht dem traditionellen Bildkanon und wird im Malerhandbuch des Berges Athos, der berühmten „Hermeneia“ des Dionysios von Fourna, als die eines „Greises, kahlköpfig mit rundem Bart“ beschrieben. So begegnet er uns auch schon auf den ältesten Darstellungen, zu denen das Fresko von 757–767 in S. Maria Antiqua in Rom gehört. Auch auf allen Ikonen sehen wir den hl. Nikolaus als Asketen mit ausgeprägt hoher Stirn und breiten Schläfen und mit einem abgerundeten kurzen Bart – so auch hier. Er trägt die bischöfliche liturgische Gewandung, d.h. ein Felonion und darüber das eigentliche bischöfliche Amtszeichen, nämlich das Omoforion, einen langen über beide Schultern gelegten und mit großen Kreuzen versehe-nen Gewandstreifen, welcher die Bürde der geistlichen Schafe symbolisiert, die der Bischof zu tragen hat. Auf seiner Brust hat er ein Kreuz und ein rundes, verziertes Enkolpion. Die Rechte des hl. Nikolaus ist zum Segen erhoben, wobei die Finger nach Art der so genannten „namensbe-zeichnenden“ Weise zusammengelegt sind, also die Initialen IC XC(= Jesus Christus) bilden. In seiner Linken hält er ein geschlossenes, reich ornamentiertes Evangelienbuch. Zu beiden Seiten des Haup-tes des Heiligen sind – über den Wolken schwebend – in halbfigurigen Darstellungen Christus – segnend mit dem Evangelienbuch in der Linken – und die Gottesmutter mit dem Omoforion oder Schutzmantel gemalt. Eine jüngere, seit dem 13. Jahrhundert auch in die Ikonographie umgesetzte Legende deutet diese beiden Gestalten so: Weil der hl. Nikolaus auf dem Konzil von Nikaia voller Zorn über die Irrlehren den Häretiker Areios geohrfeigt hat, wur-de er seiner bischöflichen Würde entsetzt; daraufhin erschienen ihm Christus und Seine allreine Mutter, die dem hl. Nikolaus die Amtszeichen des Bischofs wiedergaben, da er für die gerechte Sache und die Reinheit des orthodo-xen Glaubens gestritten hatte.

Bei der Ikone handelt es sich um eine russische Arbeit. Die verwandten stilistischen Formen wie auch die paläo-graphische Einordnung der benutzten Schriftformen erlauben nach bestem Wissen und Gewissen eine Datierung in die Zeit um 1800 bzw. noch die 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die Ikonographie zeigt jene schon im ausgehenden 17. Jahrhundert einsetzende, dann aber besonders im 18. und auch noch im 19. Jahrhundert, ja teilweise bis heute in orthodoxen Kirchen Russlands sehr weit verbreitete Übernah-me westlicher Darstellungsformen und einen gewissen Naturalismus, vor allem in der Gestaltung des Gesichtes, die auch eine Anlehnung an die – in diesem Fall wiederum vor allem an Vorbildern der Nazarenerkunst orientierte – akademische Malerei ihrer Zeit sucht. Im vorliegenden Fall ist die klassische Darstellungsweise des hl. Nikolaus in der orthodoxen Sakralkunst mit solchen naturalistischen Elementen, vor allem im Gesicht des Heiligen, aber Christi und der Gottesmutter, ferner auch bei den Ketten des Kreuzes bzw. Enkolpions und auch im Evangelienbuch, verbunden. Insgesamt handelt es sich um eine schöne, typische Arbeit und ein gutes Beispiel für die russische Sakralmale-rei der Entstehungszeit, die dem Geschmack vor allem der Käufer aus dem gehobenen städtischen Bürgertum und dem Adel entsprach.

Die Ikone liegt in originalem, also unrestauriertem Zustand vor. Ihr Erhaltungszustand ist eigentlich als gut zu bezeichnen, denn es sind – abgesehen von den Rändern der Tafel – nur verhältnismäßig wenige kleinere Abreibun-gen zu vermerken, die die eigentliche Malerei nicht wesentlich tangieren. Allerdings ist eine starke Nachdunkelung des Bildes bzw. Verschmutzung des Firnis zu konstatieren, die die ursprüngliche Leuchtkraft der Ikone nicht mehr zur Geltung kommen lässt. Eine sachkundige Restauration ist also dringend anzuraten.

DER hEILIgE NIKOLaUS DER WUNDERTäTER

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Dargestellt ist ein nicht nur in Russland seit den ältesten Zeiten nach der Christianisierung sehr beliebtes Motiv, sondern eines, das seinen ikonographischen Ursprung bereits in der Katakombenmalerei hat. In ihm sehen wir Maria in der antiken Gebetshaltung der Orantin mit hoch erhobenen Händen dargestellt, wobei bei diesem Typus vor ihre Brust in einem Medaillon der jugendliche Christus Emmanuel gezeichnet ist. Die Ikone ist somit in erster Linie (wie ja eigentlich die meisten der sog. „Marienikonen“) als ein Bekenntnis zu der heilbringen-den Fleischwerdung des Gottessohnes aus der jungfräulichen Mutter zu verstehen. Daher wird dieser lkonentypus auch in einigen orthodoxen Ländern, vor allem im griechischen und balkanslavischen Raum, als „Weiter als die Himmel“ (griech. Platytera ton ouranon; slav. Sirsaja nebes) bezeichnet, denn er zeigt ja diejenige, welche – wie esauch in einem orthodoxen liturgischen Hymnus heißt – „weiter ist als die Himmel“, da Maria in ihrem Schoß den, der nach christlichem Glauben größer und weiter ist als das All und den Himmel und Erde nicht zu fassen vermögen.

Die Ikone zeigt ein in der russischen lkonenmalerei sehr beliebtes Motiv der Darstellung der gottesmutter, nämlich die „gottesmutter des zeichens (russ. / kslw. znamenie)“.

THEmATik dER ikonE

B 44 cmH 51,5 cm

El 270

AllgEmEinE ikono-gRApHiSCHE Und

kUnSTgESCHiCHTliCHE BESCHREiBUng

dETAilBESCHREiBUngdES voRliEgEndEn WERkES

HERkUnfTS- UndAlTERSBESTimmUng

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Nach dem ursprünglichen Aufbewahrungsort einer solchen Ikone in Fotinos-Kapelle der Konstantinopler Bla-chernenkirche wird der Typus manchmal in der Literatur auch als „Blacherniotissa“ bezeichnet. Das dortige Ur-sprungsbild war ein angeblich im 4. Jahrhundert entstandenes Marmorrelief, bei dem aus den ausgebreiteten Hän-den der Gottesgebärerin Wasser in ein Becken lief. Die überhaupt älteste bekannte Darstellung der Orantin mit dem Emmanuel im Clipeus dürfte wohl eine Freske des 4. Jahrhunderts im Cimitero Maggiore in Rom sein. In Russland aber hat sich für diese Darstellung eine andere Bezeichnung generell durchgesetzt, welche übli-cherweise von der Prophezeiung des alttestamentlichen Propheten Jesaja an den jüdischen König Ahaz abgeleitet wird. Der Prophet hatte dem vom Gesetz des Herrn abweichenden König die Geburt eines Kindes aus der jungfräu-lichen Mutter als ein Zeichen der göttlichen Hilfe angekündigt (vgl. Jes 7, 14 LXX). Die christliche Überlieferung hat schon seit den ältesten Zeiten – wie etwa die Verwendung dieses Zitates beim Evangelisten Matthäus bezeugt (vgl. Mt 1,23) – diesen Vers auf die jungfräuliche Geburt Jesu aus Maria bezogen, wie dies heute nicht nur zahlrei-che orthodoxe Hymnen, sondern auch viele westliche Adventslieder tun. Allerdings ist inzwischen überzeugend nachgewiesen worden (vgl. HERMENEIA 1987, S. 142–148), dass sich der russische Name „des Zeichens“ wohl ur-sprünglich nicht auf den ikonographischen Typus, sondern auf Wunderzeichen bezieht, die von bestimmten Ikonen ausgegangen sein sollen. Für die Orantin mit dem Emmanuel existiert ein solches als wundertätig verehrtes Bild in Groß-Novgorod und galt – spätestens seit dem Sieg über die Suzdaler am 27. November 1170 – als das Palladium der Handelsstadt am Volchov. Doch hat diese Ikonographie noch eine zweite Symbolik aufzuweisen, welche sich ebenfalls bis in die früh-christliche Zeit und ihre Kunst – wiederum die römischen Katakomben – zurückverfolgen und nachweisen lässt: Die betende Gottesgebärerin symbolisiert den Leib der christlichen Kirche, denn wie in ihr zeitweilig bei der Fleischwer-dung der göttliche Logos anwesend war und aus ihr eben Fleisch und irdische Gestalt annahm, so ist Christus nun-mehr permanent in der Kirche gegenwärtig, stets lebendig und Leben gebend. Daher wird hier auch der Emmanuel als der Segnende dargestellt, der in seiner Linken die Schriftrolle der Frohen Botschaft hält. Das Motiv des Christus Emmanuel, also die Darstellung Christi als eines bartlosen jugendlichen Jesus, findet sich bekanntlich schon auf Goldgläsern und Sarkophagfiguren wie in der Katakombenmalerei sehr früh, wenn es auch als lkonensujet erst nach der Jahrtausendwende nachzuweisen ist und im byzantinischen Raum sehr selten, jedoch auch in Russland zuerst und bis heute als alleinstehendes Motiv nicht allzu häufig vorkommt. Es zeigt in der Regel nur frontal das jugendliche Antlitz mit hoher, gebuckelter Stirn, kurzem, im Nacken gerolltem Haupthaar und die Hals und oberen Schulterpartien. Auffällig ist der „unkindliche“ Ernst des Gesichtsausdruckes. In der Kombina-tion mit der Orantin wird es zumeist zu einer Halbfigur erweitert und trägt dann oft die übliche Kleidung Christi. Während bei der allgemein üblicheren Darstellung Christi als des Pantokrators die Betonung auf der Wesens-gleichheit zwischen Gottvater und seinem einziggezeugten Sohn liegt, so beim Typus des Emmanuel auf dem prä-existenten und zugleich Mensch werdenden Logos, also auf dem Geheimnis der Inkarnation. Möglicherweise hat auf die Entstehung dieser Ikonographie auch die Topik des sog. „Kindgreises“ (griech. paidariogeron) eingewirkt, die sich in den Apokryphen und der Gnosis findet.

Die Größe der Trägertafel beträgt bei der begutachteten Ikone 51,5 cm (Höhe) x 44 cm (Breite). Obwohl sie das dafür zumeist übliche Maß leicht übersteigt, handelt es sich bei der vorliegenden Tafel wohl noch um eine Hausiko-ne, die ihren Platz in der so genannten „Schönen Ecke“ (russ. Krasnyj ugol), also der lkonenecke des Hauses bzw. Zimmers findet. Die vorliegende Ikone ist eine gelungen ausgeführte russische Arbeit, deren Malweise in ihren Grundzügen treu dem bekannten Schema folgt, d.h. die in ihr braunes Maphorion mit entsprechenden, reich mit einem Perlenmuster verzierten Zierborten gehüllte Gottesmutter hat die Arme zum Gebet erhoben, so dass das dunkelgrüne Unterge-wand sichtbar wird. An den beiden Armen trägt auch dieses wieder die perlenartigen Verzierungen. Vor ihrer Brust schwebt in einem Kreissegment der jugendliche Christus, der mit der Rechten segnet.

Bei der Ikone handelt es sich um eine russische Arbeit, und zwar dürfte sie nach der Art der gesamten Bildge-staltung aus einer Werkstatt des mittelrussischen Gebietes, möglicherweise einem der Malerdörfer des Vladimir-Suzdaler Raumes, stammen. Die verwandten stilistischen Formen wie auch die paläographische Einordnung der benutzten Schriftformen erlauben nach bestem Wissen und Gewissen eine Datierung in die Mitte bzw. die 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Der Erhaltungszustand der Ikone, die in originalem, also unrestauriertem Zustand vorliegt, ist insgesamt als leider nicht abreibungsfrei zu charakterisieren. Während die eigentliche Malerei im Wesentlichen zwar gar nicht schlecht erhalten ist und die gröberen Abreibungen vor allem im unteren Randbereich vorliegen, sind einige Nach-dunkelungen im Firnis anzumerken, die die Leuchtkraft der darunter liegenden Farben beinträchtigen, und zudem Abreibungen im Goldgrund. Eine baldige sachkundige Restauration ist trotzdem dringend anzuraten, damit keine weiteren Abreibungen auftreten und die ursprüngliche leuchtende Farbgebung wieder hergestellt werden kann.

DIE gOTTESMUTTER DES zEIChENS

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Dargestellt ist, wie schon gesagt, auf der Ikone der hl. Nikolaus von Myra, einer der – sowohl in der orthodoxen wie in der abendländischen Christenheit – meistverehrten Heiligen, dessen Fest nach dem Kalender der Orthodoxen wie der westlichen Kirche am 6. Dezember begangen wird. Die Russische Orthodoxe Kirche gedenkt zudem am 9. Mai der Übertragung seiner Gebeine nach Bari. Trotzdem es sich beim hl. Nikolaus um einen seit ältesten Zeiten besonders verehrten Heiligen handelt, haben wir nur wenige historisch belegbare bzw. glaubhafte Nachrichten über ihn, zumal offenbar zahlreiche Züge aus den Viten anderer gleichnamiger Heiliger, z.B. des Abtes Nikolaos vom Sion, auf den Bischof von Myra übertragen worden sind. Als relativ gesichert kann Folgendes gelten: Er wurde um 270 (wohl in Patras in Lykien) geboren. Sein Vater Eufemios (nachanderen Quellen: Theofanes, wie er auch auf der vorliegenden Ikone bezeichnet wird) war ein reicher, aber sehr frommer Christ, seine Mutter hieß Anna. Von seinem gleichnamigen Onkel, dem Bischof von Myra in Lykien (heute Demre südl. Kleinasien) wurde er zum Priester geweiht und zum Abt eingesetzt. Nach dem Tode des Onkels wurde Nikolaus selbst Bischof der Stadt und als solcher in der Verfolgung des Galerius (um 310) gefoltert. Als Teilnehmer am 1. ökumenischen Konzil in Nikaia 325 verteidigte er die Orthodoxie gegen Areios; im Alter von 65 Jahren soll er an einem Freitag, dem 6. Dezember 345/351, gestorben sein.

Die Ikone zeigt einen der beliebtesten heiligen der ganzen Christenheit, nämlich den hl. bischof Nikolaus von Myra, dessen Fest in Ost und West am 6. Dezember begangen wird.

THEmATik dER ikonE

B 31 cmH 39,5 cm

El 284

AllgEmEinE HAgio- Und

ikonogRApHiSCHE BESCHREiBUng

dETAilBESCHREiBUngdES voRliEgEndEn WERkES

HERkUnfTS- UndAlTERSBESTimmUng

ERHAlTUngSzUSTAndUnd RESTAURATionEn

Seine Gebeine wurden am 9. Mai (nach anderen Zeugnissen: am 4.9.) 1087 von Kaufleuten in die süditalienische Stadt Bari gebracht, wo sie noch heute vielverehrt ruhen. Nikolaus wird in Ost und West als hilfreicher Wunder-täter geehrt, wobei eine Reihe seiner Wunder bereits in den ältesten Vitenberichten bezeugt werden, so etwa die Traumerscheinung vor Kaiser Konstantinos dem Großen. Nachzuweisen ist seine Verehrung mit Sicherheit seit dem 6. Jahrhundert in Myra und in Konstantinopel, seit dem 9. Jahrhundert auch in Rom. In Rußland ist der hl. Nikolaus seit den ältesten Zeiten wohl bekannt und geehrt, denn schon der erste Warägerfürst, der das Christentum annahm, nämlich Askold (gest. 882) wurde vom damaligen Konstantinopler Patriarchen, dem hl. Fotios dem Großen, 866 auf den Namen Nikolaus getauft. So existieren überall in der orthodoxen Welt zahlreiche Kirchen wie auch viele Ikonen des Mannes, den sein Festgesang mit den Worten ehrt: „Die Wahrheit deiner Werke, Vater und Bischof Nikolaus, machte dich für deine Herde zur Regel des Glaubens, zum Vorbild der Milde, zum Meister der Mäßigung. Deshalb erhieltst du für deine Demut die Erhöhung, für deine Armut den Reichtum. Bitte Christus Gott, dass er errette unsere Seelen!“.

Die Größe der Trägertafel beträgt bei der begutachteten Ikone 39,5 cm (Höhe) x 31 cm (Breite). Es handelt sich also um die Ausmaße einer typischen Hausikone, die ihren Platz in der so genannten „Schönen Ecke“ (russ. Krasnyj ugol), also der lkonenecke des Hauses bzw. Zimmers findet. Dargestellt ist der Heilige, wie üblich in der orthodoxen Sakralkunst, frontal in Halbfigur in bischöflicher Ge-wandung. Seine gesamte Physiognomie entspricht dem traditionellen Bildkanon und wird im Malerhandbuch desBerges Athos, der berühmten „Hermeneia“ des Dionysios von Fourna, als die eines „Greises, kahlköpfig mit runden Bart“ beschrieben. So begegnet er uns auch schon auf den ältesten Darstellungen, zu denen das Fresko von 757–767 in S. Maria Antiqua in Rom gehört. Auch auf allen Ikonen sehen wir den hl. Nikolaus als Asketen mit ausgeprägt hoher Stirn und breiten Schläfen und mit einem abgerundeten kurzen Bart – so auch hier. Er trägt die bischöfliche liturgische Gewandung, d.h. ein in diesem Fall mit reicher Floralornamentik verziertes Felonien, und darüber das eigentliche bischöfliche Amtszeichen, nämlich das Omoforion, einen langen, über beide Schultern gelegten (zumeist weißen, hier aber leuchtendroten) und mit großen Kreuzen versehenen Gewandstrei-fen, welcher die Bürde der geistlichen Schafe symbolisiert, die der Bischof zu tragen hat. Mit seiner Rechten segnet der hl. Bischof in der alten byzantinischen bzw. altrussischen Art, d.h. er legt Dau-men, Ring- und kleinen Finger zusammen, die die Göttliche Dreieinigkeit symbolisieren, während der Zeige- und der leicht gekrümmte Mittelfinger empor stehen und auf die beiden Naturen in Christus, die göttliche und die mensch-liche, hindeuten sollen. In seiner Linken hält Bischof Nikolaus das Evangelienbuch. Hier ist in kirchenslavischer Sprache und Schrift der Anfang jener Perikope zu lesen, die am Festtage der hl. Hierarchen in der Göttlichen Liturgie vorgetragen wird, nämlich Lk. 6, 1 7 f., und die beginnt: „In jener Zeit blieb Jesus auf einem ebenen Plateau stehen und eine große Schar seiner Jünger (zu ergänzen: sowie eine große Menge der Menschen aus ganz Judäa und Jerusalem, kam …)“. Zu beiden Seiten des Hauptes des Heiligen sind über seinen Schultern in zwei Kreissegmenten in halbfigurigen Darstellungen Christus – segnend mit dem Evangelienbuch in der Linken – und die Gottesmutter mit dem Omofori-on oder Schutzmantel gemalt. Eine jüngere, seit dem 13. Jahrhundert auch in die Ikonographie umgesetzte Legende deutet diese beiden Gestalten so: Weil der hl. Nikolaus auf dem Konzil von Nikaia voller Zorn über die Irrlehren den Häretiker Areios geohrfeigt hat, wurde er seiner bischöflichen Würde entsetzt; daraufhin erschienen ihm Christus und seine allreine Mutter, die dem hl. Nikolaus die Amtszeichen des Bischofs wiedergaben, da er für die gerechte Sache und die Reinheit des orthodoxen Glaubens gestritten hatte.

Bei der Ikone handelt es sich um eine typische russische Arbeit von recht guter handwerklicher und künst-lerischer Qualität. Die verwandten stilistischen Formen wie auch die paläographische Einordnung der benutzten Schriftformen erlauben nach bestem Wissen und Gewissen eine Datierung in die Zeit um 1800 bzw. noch die 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die Ikone dürfte wohl aus einer Werkstatt des mittelrussischen Gebietes, möglicherweise einem der Malerdörfer des Vladimir-Suzdaler Raumes, stammen.

Die Ikone liegt in originalem, unrestauriertem Zustand vor. Ihr Erhaltungszustand ist insgesamt als befriedigend zu bezeichnen; eine gewisse zeitbedingte Nachdunkelung und einige Abblätterungen – vor allem im Randbereich der Tafel – sowie auch Kratzer an einigen Stellen sind jedoch zu konstatieren. Eine sachkundige Restauration ist von daher anzuraten, damit – vor allem im Kopfbereich des Heiligen – keine weiteren Abreibungen auftreten.

DER hEILIgE NIKOLaUS

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Dargestellt ist auf dem Mittelfeld der Ikone das Bild der Gottesmutter vom Typus des „Nichtverbrennenden Dornbusches“. Die Benennung geht dabei auf jene wunderbare Erscheinung zurück, welche der alttestamentliche Prophet Mose nach Ex 3,2 ff hatte, da er in einem von lodernden Feuerflammen erfüllten, aber trotzdem nicht verbrennen-den Dornbusch in der Wüste Sinai am Fuße des Gottesberges der göttlichen Herrlichkeit begegnete und ihm die Offenbarung des Gottesnamens JHWH zuteil wurde. Schon von den frühen Kirchenvätern und dann von der gesamten orthodoxen Tradition wurde dieser Bericht des Alten Testamentes als ein Archetyp, ein Vorbild für die Geburt Jesu Christi aus der allreinen Jungfrau Maria gedeutet, denn so wie einst der Dornbusch nahm auch die Gottesgebärerin die Glut der göttlichen Gegenwart in sich auf, ohne aber von diesem in ihrer materiellen Leiblichkeit verzehrt zu werden. Sie blieb reine Jungfrau und hatte doch Gott leibhaftig in sich getragen.

Die Darstellung zeigt das bild der gottesmutter vom Typus „Nichtverbrennender Dornbusch“ (russ.- /kslw. „Neopalima-ja Kupina“), eines in der russischen Ikonenmalerei sehr be-liebten Motivs des 18. und 19. jahrhunderts. Die benennung der Ikone ist auch auf dem oberen bildrand angegeben.

THEmATik dER ikonE

B 26,5 cmH 31 cm

El 287

AllgEmEinE HAgio- Und

ikonogRApHiSCHE BESCHREiBUng

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HERkUnfTS- UndAlTERSBESTimmUng

ERHAlTUngSzUSTAndUnd RESTAURATionEn

Die frühesten Ikonen dieses Namens, zu denen u.a. ein 1390 von palästinensischen Mönchen aus dem Orient nach Moskau gehört, zeigen deshalb einfach die Darstellung des lodernden Dornbusches, in dessen Flammen die Gottesmutter als Orantin mit dem Christus-Emmanuel vor ihrer Brust (also in der nach Jes 7,14 benannten Art der sog. „Gottesmutter des Zeichens“) sichtbar wird. In dieser Art sind auch bis heute die meisten griechischen, z. T. auch die balkanischen Ikonen vom Typus des „nichtverbrennenden Dornbusches“ gemalt. In Rußland jedoch ent-wickelte sich im ausgehenden 17. Jahrhundert – nachweislich ab 1680 – eine wesentlich kompliziertere Kompositi-on, von der dann das bisher geschilderte Motiv nur ein Teil der Gesamtikonographie ist, welche aber den gleichen Namen trägt – und zu der auch die vorliegende Ikone gehört. Das Fest dieser Ikone wird in der Russischen Orthodoxen Kirche am 4. September begangen. Den Grundgedan-ken des Festes und der Ikone bringt der folgende Gesang aus der Vesper (2. Sticheron zum 140. Ps. im 2. Ton) klar zum Ausdruck: „Die du im Gebären und nach dem Gebären Jungfrau geblieben, durch das Feuer des unverbrannten Dornbusches wurdest du vor alters dem Mose vorher gebildet, Gottesgebärerin, du rufst die Versammlungen der Gläubigen zusammen, damit sie das ehrwürdige Erscheinen deiner Ikone rühmen in geistlichen Liedern. Denn in ihr hast du dem christlichen Volke ein Unterpfand deines Wohlwollens gegeben zum Schutze und als Obhut gegenFeuersbrunst und Gewittergrollen. Siehe, da wir nun auf die Ikone schauen, auf der du im Abbilde des nichtver-brannten Dornbusches dargestellt bist, empfangen wir von ihr unablässig die Gaben deiner Güte: so preisen wir dich selig nach Gebühr als die, die geboren den Retter und Erlöser unserer Seelen!“ – Dieser liturgische Text, der hier nach einem russischen Offizium wiedergegeben ist, soll übrigens auf ein altes sinaitisches Formular zurückgehen.

Die Größe der Trägertafel beträgt bei der begutachteten Ikone 31 cm (Höhe) x 26,5 cm (Breite). Es handelt sich also um die Ausmaße einer typischen Hausikone, die ihren Platz in der so genannten „Schönen Ecke“ (russ. Krasnyj ugol), also der Ikonenecke des Hauses bzw. Zimmers findet. Auf der vorliegenden Ikone ist im Mittelfeld die Gottesmutter mit dem göttlichen Sohn auf ihrem Arm in einer kreisrunden Aureole dargestellt. Dieses runde Zentralfeld steht wiederum in der Mitte eines achtzackigen Sternes, der seinerseits aus zwei übereinander liegenden vierendigen Sternen mit nach innen geschweiften Außenlinien ge-bildet wird, wobei der blaue Stern über dem roten steht. In den roten Zacken sind hier statt der oft üblichen zoomor-phen Evangelistensymbole (nach Ez 1,5–10 bzw. Apk 4,6–8) lediglich goldene Strahlen dargestellt, in den dunkleren Feldern finden wir vier größere und zahlreiche kleinere goldene Sterne. Eine Reihe von Engeln befindet sich in dem äußeren Rand dieses Bildfeldes in den Zwischenräumen zwischen den Zacken des achtendigen Sternes, welche durch geschwungene Kreisbögen gefüllt sind. Hierbei handelt es sich – wie die beigegebenen erklärenden Texte deutlich machen – um die Personifikationen von verschiedenen Tugend-kräften. Ihre Ikonographie gibt bislang allerdings eine Menge Rätsel auf und ist in keiner Weise hinreichend über-zeugend gedeutet worden. Dies wird wohl auch erst möglich sein, wenn die literarische Quelle nachgewiesen wäre, nach der die Gestaltung der Engelfiguren erfolgt ist. Die Gottesmutter und Christus tragen Metallnimben (wohl aus Messing), die möglicherweise der Überrest eines früheren, die ganze Malerei bedeckenden Metallbeschlages sind. Mit Sicherheit lässt sich dies aber nicht mehr fest-stellen.

Bei der Ikone handelt es sich um eine russische Arbeit, und zwar dürfte sie nach der Art der gesamten Bildge-staltung aus einer Werkstatt des mittelrussischen Gebietes, möglicherweise einem der Malerdörfer des Vladimir-Suzdaler Raumes, stammen. Die verwandten stilistischen Formen erlauben nach bestem Wissen und Gewissen eine Datierung in die Zeit um 1800 bzw. die 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Wahrscheinlich hatte die Ikone ursprünglich einen Metallbeschlag oder war zumindest für einen solchen be-stimmt, was erklärt, warum die Inkarnate relativ sorgfältig, die übrige, dann unter dem Beschlag ohnehin verborge-ne und nicht sichtbare Malerei aber relativ grob gefertigt worden ist.

Die Ikone liegt weitgehend in originalem, also unrestauriertem Zustand vor. Der Erhaltungszustand der sicht-baren Malerei wie des Beschlages ist leider als restaurationsbedürftig zu bewerten: Zahlreiche Abblätterungen bzw. Abreibungen gehen bis auf den Malgrund, so beispielsweise auch das weitgehend zerstörte Antlitz der Gottesmutter. Sehr restaurationsbedürftig ist besonders der Zustand des unteren, aber auch teilweise linken Randes der Tafel. Hinzu kommt, dass der Firnis stark nachgedunkelt ist, so dass die ursprünglichen Farben kaum mehr zur Gel-tung kommen. Eine baldige sachkundige Restauration ist von daher also dringend anzuraten, damit keine weiterenAbreibungen auftreten.

DIE gOTTESMUTTER VOM NIChT VERbRENNENDEN DORNbUSCh

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Der hier vorliegende Typus einer Gottesmutterikone will die Wohltaten Mariens für die Not leidende Menschheit durch die Kraft ihres Gebetes und ihrer Fürbitte illustrieren.

Das Entstehen des entsprechenden ikonografischen Typus wird auf das Jahr 1688 zurückdatiert, da der leibli-chen Schwester des damaligen allrussischen Patriarchen loakim (1674–90) namens Evfimija während einer Krank-heit beim morgendlichen Gebet eine Vision zuteil wurde, bei der sie eine Stimme hörte: „Evfimija, geh in die Kirche der Verklärung meines Sohnes. Dort ist ein Bild, das „Freude aller Leidenden“ genannt wird. Dort möge ein Priester eine Bittandacht mit der Wasserweihe zelebrieren – und du wirst Heilung von der Krankheit erlangen.“ In diesem Sinne geschah es – und seit jener Zeit wird die Urikone in der Kirche auf der Großen Ordynka-Straße zu Moskau verehrt und der Gedenktag am 24. Oktober begangen.

Die Ikone zeigt – wie auch auf der Inschrift in kirchen-slavischer Sprache oben neben der Darstellung Christi zu beiden Seiten des hauptes der gottesmutter vermerkt – das in der russischen Ikonenmalerei des 18. und 19. jahr-hunderts recht bekannte und beliebte Motiv der gottes-mutterikone „Freude für alle Leidenden (kslw. Vsem skorb-jascim radost)“.

THEmATik dER ikonE

B 35 cmH 44,5 cm

El 289

AllgEmEinE ikono-gRApHiSCHE Und

kUnSTgESCHiCHTliCHE BESCHREiBUng

dETAilBESCHREiBUngdES voRliEgEndEn WERkES

HERkUnfTS- UndAlTERSBESTimmUng

ERHAlTUngSzUSTAndUnd RESTAURATionEn

Das Motiv existiert in zwei unterschiedlichen ikonografischen Varianten: Bei beiden ist in der Mitte die Gottes-mutter Maria in voller Gestalt dargestellt (meistens – wie auch im vorliegenden Fall – mit, manchmal aber auch ohne das Göttliche Kind, wobei letzteres der ältere Typus sein dürfte), wobei sie ebenso wie der Herr Jesus Christus – oft (wie auch auf dieser Ikone) in königliche Gewänder mit einer Krone gekleidet ist.

Bei beiden Typen existieren verschiedene Blickrichtungen: Ursprünglicher ist wohl jene mit der ikonografisch nach rechts blickenden Gottesmutter, wie es auch auf diesem Bild der Fall ist.

Links und rechts von ihr sind dann entweder verschiedene Heiligengruppen angeordnet, so der erste Typus, welcher möglicherweise auf das Urbild zurückgeht, oder aber – wie auch im vorliegenden Fall (und wohl als eine jüngere Adaption!) – an verschiedenen Gebrechen leidende Hilfsbedürftige, wobei die Anordnung oft den sog. „leib-lichen Werken der Barmherzigkeit“ (vgl. Mt 25, 35–39) nachempfunden ist, denen Engel dann die von der Gottesge-bärerin erbetenen Gottesgeben spenden.

So wie schon die Grundikonographie bis heute nicht einheitlich festgelegt ist, sondern mehrere Varianten kennt, so ist es die Anordnung und die Zusammensetzung dieser Gruppen der Bedürftigen noch weniger: Wir finden hier auf den einzelnen Ikonen des Typus durchaus eine recht bemerkenswerte Variationsbreite – offensichtlich je nach Vorlieben des Malers bzw. auch des Auftragsgebers der Ikone. So fehlen manchmal bestimmte Gruppen von Bedürftigen (besonders häufig die Seefahrenden in ihrem Schiff) und sind dafür andere zugesetzt. Überhaupt ist die Zahl der Gruppen, natürlich auch bedingt durch die Größe der Tafel, sehr unterschiedlich.

Die Größe der Trägertafel beträgt bei der begutachteten Ikone 44,5 cm (Höhe) x 35 cm (Breite). Obwohl sie das dafür zumeist übliche Maß leicht übersteigt, handelt es sich bei der vorliegenden Tafel wohl noch um eine Hausiko-ne, die ihren Platz in der so genannten „Schönen Ecke“ (russ. Krasnyj ugol), also der Ikonenecke des Hauses bzw. Zimmers findet.

Sie zeigt im Wesentlichen die vorstehend erläuterte Ikonografie. Dabei ist in der Mitte der Ikone oben in einem unten in etwa halbkreisförmigen, sich dann aber in einem spitzen Winkel auf den oberen Bildrand erstreckenden Segment Christus dargestellt, der über den Wolken thront.

In der Bildmitte steht sodann die Gottesmutter. Zu ihren beiden Seiten sieht man, wie Engel verschiedenen Gruppen Notleidender die ihnen auf Fürbitten der Gottesgebärerin gewährte Hilfe bringen. Dazu ist auf der Ikone – oberhalb der oberen Engel – in kirchenslavischer Sprache und in roter Schrift vermerkt: „Den Nackten Bekleidung, den Kranken Heilung“ (… schenkt die Gottesmutter).

Bei der Ikone handelt es sich um eine russische Arbeit, und zwar dürfte sie nach der Art der gesamten Bildgestal-tung aus einer recht qualitätvollen Werkstatt des mittelrussischen Gebietes, möglicherweise einem der Malerdörfer des Vladimir Suzdaler Raumes, stammen. Die verwandten stilistischen Formen wie auch die paläographische Einordnung der benutzten Schriftformen erlauben nach bestem Wissen und Gewissen eine Datierung in das frühe bis mittlere 19. Jahrhundert.

Die Ikone liegt größtenteils in originalem, also unrestauriertem Zustand vor. Ihr Erhaltungszustand ist als durch-aus gut zu bezeichnen. Zwar sind einige kleinere Abreibungen und vor allem die starke Nachdunkelung des Goldhin-tergrundes und Abblätterungen am Tafelrand zu konstatieren, diese tangieren die erhaltene Malerei aber nicht wesent-lich. Eine baldige sachkundige Restauration ist trotzdem anzuraten, damit keine weiteren Abreibungen auftreten und die ursprüngliche leuchtende Farbgebung wieder hergestellt werden kann.

DIE gOTTESMUTTER, FREUDE aLLER LEIDENDEN

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Die Darstellung zeigt – wie schon vermerkt – den „HERRN“, den „ALLHERRSCHER“ (kslv. „Gospod“ Vsederzitel). Somit verweist dieses Motiv – wie jede Christusdarstellung – in die Tiefe der orthodoxen Bildtheologie, denn von der Darstellbarkeit des wahrhaft aus der Jungfrau Maria menschgewordenen Logos her haben ja die großen Verteidiger der Bilderverehrung, wie etwa der hl. Joannes von Damaskos, der hl. Theodoros vom Stoudios-Kloster oder der hl. Patriarch Germanos von Konstantinopel die Erlaubtheit der Ikonen und ihre relative, d.h. auf das Urbild, den Darge-stellten, bezogene Verehrung gerechtfertigt. So schreibt z. B. der Damaszener (PG XCIV, 1240 B): „Wenn der Körperlose um deinetwillen Mensch wird, dann darfst du auch das Bild seiner menschlichen Gestalt malen. Wenn der Unsicht-bare im Fleische sichtbar wird, dann darfst du ein Bild des sichtbar Gewordenen machen.“ An einer anderen Stelle seiner I. Rede von den Bildern geht der hl. Joannes sogar noch weiter und ruft seinen Gegnern zu (PG XCIV,1252 D): „Du verehrst keine Ikonen, also verehrst du auch nicht Gottes Sohn, der das lebendige Bild des unsichtbaren Gottes und sein unwandelbares Zeichen ist. Ich hingegen verehre Christi Bild, denn Er verkörpert ja Gott in menschlicher Gestalt“. Wir haben es bei der Ikone des Christus Jesus also mit einem Bild zu tun, welches sozusagen das Funda-ment der gesamten Ikonentheologie und -verehrung bedeutet. Entsprechend ist auch die Ehrung dieses Bildes in der orthodoxen liturgischen Praxis. Exemplarisch läßt dies der Festgesang (Apolytikion) zum I. Fastensonntag, dem Fest der Orthodoxie, deutlich werden, welcher lautet: „Vor Deinem allerreinsten Bilde fallen wir nieder, o Gütiger, bittend um die Vergebung unserer Sünden, Christus, Gott! Denn freiwillig wolltest Du im Fleische das Kreuz besteigen, um die, die Du erschaffen hast, aus der Knechtschaft des Widersachers zu erlösen …“. Die Bezeichnung Christi als „Pan-tokrator“ geht dabei auf den Gottestitel der Septuaginta zurück, der schon in neutestamentlicher Zeit (vergl. Apk 1,8; 4,8; 15,3; 21,22) sowie von den Kirchenvätern primär christologisch verstanden worden ist. Dabei zeigen allerdings bekanntlich die ältesten uns überlieferten Bilder Jesus Christus nicht in realistischer, sondern in symbolischer Wei-se, wie z. B. in einigen römischen Katakomben (5. Callisto, Santa Priscilla) als bartlosen Jüngling mit einem Lamm (Bildnis des guten Hirten, das aber an heidnische Vorbilder erinnert). Besonders deutlich wird die Tatsache, dass

Die Ikone zeigt in frontaler halbfiguriger Darstellung Christus als den Weltenherrn (griech. „Pantokrator“, slav. „Vsederzitel“).

THEmATik dER ikonE

B 44 cmH 54 cm

El 314

AllgEmEinE ikono-gRApHiSCHE Und

kUnSTgESCHiCHTliCHE BESCHREiBUng

dETAilBESCHREiBUngdES voRliEgEndEn WERkES

HERkUnfTS- UndAlTERSBESTimmUng

hier ganz bewusst eine symbolische Darstellung gewählt worden ist, in einem Relief an dem berühmten Sarkophag des römischen Stadtpräfekten Junius Bassus aus dem Jahre 359: dort ist nämlich ein fast knabenhafter Jesus zwi-schen den durchaus lebensnah gezeigten bärtigen Aposteln Petrus und Paulus dargestellt. Die Jugendlichkeit wurde offenbar als ein Symbol für seine zeitlose Göttlichkeit verstanden, während man sich andererseits scheute, den Herrn realistisch zu zeigen, da dies ja auch in antikem Verständnis – wie etwa bei den Kaiserbildern! – eine Treue zum Urbild voraussetzte. Um die Mitte des 4. Jahrhunderts vollzieht sich dann ein grundlegender und auf den ersten Blick überraschender Wandel: Christus wird nun in betonter Männlichkeit dargestellt, erhaben, mit mäßig langem Vollbart, immer mit schulterlangem, in der Mitte gescheiteltem Haar. Ein frühes Beispiel hierfür findet sich in einem Mosaik „Christus übergibt Petrus den Schlüssel“ (wohl aus der Erbauungszeit des Gotteshauses) in der Kirche Santa Constanza zu Rom, welche sich die kaiserliche Prinzessin Konstantina als Mausoleum errichten ließ, in dem sie auch 354 beigesetzt worden ist. Bald nehmen dann Bilder des Christus-Pantokrator-Typus die beherrschende Stelle der christlichen Basiliken ein, d.h. jenen Ort, wo in den heidnischen Profanbasiliken die Kaiserbilder standen, wel-che den Bauten ja erst zu ihrem Namen verhalfen. Das älteste erhaltene Beispiel hierfür ist das Mittelstück aus dem Apsismosaik, der bereits im Jahre 398 vollendeten Basilika Santa Pudentiana zu Rom. Damit dürfte die Motivation für den Wandel des Christusbildes im Verlauf des 4. Jahrhunderts so überzeugend zu erklären sein: an die Stelle des heidnischen Kaiserbildes tritt das Bild des Königs aller Könige, der ja ist „der getreue Zeuge, der Erstgeborene von den Toren und der Herr über die Könige auf Erden“ (Apk. 1,5). Er ist der wirkliche Allherrscher, der auch vom irdi-schen Kaiser, dem „Kosmokrator“ (= Weltenherrscher), anerkannte Pantokrator. Denn der christliche Kaiser verstand sich ja jetzt als das Abbild des einen wirklichen Allherrschers, weshalb die Titulator des römischen Kaiserkultes fast nahtlos auf Christus übertragen werden konnte. Nun war aber für das Kaiserbild der Porträtcharakter essentiell, wie man auch sonst im Bereich der römischen Antike Wert auf lebenswahre Abbilder legte. Die Tatsache, dass sich nun im 4. Jahrhundert der neue Typus des Christusbildes so erstaunlich schnell und überall durchsetzt, beruht offenbar auf der Ansicht, dass es das authentische Bild des Erlösers darstelle. Der Grund für diese Überzeugung ist im Vor-handensein des sog. „Acheiro-Poiiten“-Bildes zu sehen, d. h. einer nicht von (Menschen-) Hand, sondern vom Herrn selbst stammenden Abbildung seines Antlitzes, wie dies z. B. die Überlieferung vom Edessa-Tuch kündet. Wir kön-nen hier die Frage unberücksichtigt lassen, ob und inwieweit das Edessenum eventuell mit dem Turiner Grablinnen identisch ist (neuere Forschungen z. B. des deutschen Wissenschaftlers Prof. Dr. Werner Bulst SJ, Darmstadt, lassen dies als durchaus wahrscheinlich erscheinen; vergI.: HERMENEIA – Zeitschrift f. ostkirchliche Kunst, Heft 2/3, 1985).

Die Größe der Trägertafel beträgt bei der begutachteten Ikone 44 cm (Höhe) x 54 cm (Breite). Obwohl sie das da-für zumeist übliche Maß leicht übersteigt, handelt es sich bei der vorliegenden Tafel wohl noch um eine Hausikone, die ihren Platz in der so genannten „Schönen Ecke“ (russ. Krasnyj ugol), also der Ikonenecke des Hauses bzw. Zim-mers findet. Sie zeigt die klassische spätbyzantinische bzw. russische Ikonographie der Pantokrator-Darstellung. Das heißt: Auch auf der vorliegenden Ikone – wie auf den meisten dieses Typus – sehen wir den Herrn halbfigurig dargestellt, frontal zum Betrachter schauend. Die Rechte ist zum Segen erhoben, und zwar in der jüngeren, vor allem in Russland üblichen Weise, bei der die Finger nach Art der so genannten „namensbezeichnenden“ Weise zusam-mengelegt sind, also die Initialen IC XC (= Jesus Christus) bilden. Die Linke Christi trägt stets das Evangelienbuch, manchmal geschlossen, zumeist aber – wie auch im vorliegenden Fall – geöffnet, wobei eine Reihe verschiedener Texte aufgenommen und gezeigt werden kann. Auf den meisten russischen Ikonen aber findet sich – wie auch hier – der Text Mt 1 1,28 ff: „Kommet zu mir; alle Mühseligen und Beladenen, ich beruhige euch. Nehmt mein Joch auf euch …!“ Gekleidet ist Christus in ein rotes Untergewand (das antike „Chiton“) mit einer Borte am Hals und an den Ärmeln sowie das hier leuchtend blaue Obergewand (Himation).

Bei der Ikone handelt es sich um eine russische Arbeit, und zwar könnte sie nach der Art der gesamten Bildgestaltung wohl am ehesten aus dem mittelrussischen Raum stammen. Die verwandten stilistischen For-men wie auch die paläographische Einordnung der benutzten Schriftformen erlauben nach bestem Wissen und Gewissen eine Datierung in die 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts, näherhin die Zeit um 1880. Die Ikonographie zeigt jene schon im ausgehenden 17. Jahrhundert einsetzende, dann aber besonders im 18. und auch noch im 19. Jahrhundert, ja teilweise bis heute in orthodoxen Kirchen Russlands sehr weit verbreitete Übernahme westli-cher Darstellungsformen und einen gewissen Naturalismus, vor allem in der Gestaltung des Gesichtes, die auch eine Anlehnung an die – in diesem Fall wiederum vor allem an Vorbildern der Nazarenerkunst orientierte – akademische Malerei ihrer Zeit sucht. Möglicherweise wurden dabei westliche Druckgraphiken als Vorlagen ge-nutzt. Hervorzuheben ist besonders die zeittypische farbige geometrische Ornamentik, die einen emaillierten Me-tallbeschlag imitiert, sowie die reiche Punzierung des Hintergrundes, des Nimbus und auch der Ränder der Ikone.

Die Ikone liegt in unrestauriertem Zustand vor. Ihr Erhaltungszustand ist insgesamt als gut zu bezeichnen. Lediglich sind einige kleinere Abblätterungen und Ablösungen anzumerken, vor allem im Randbereich. Alle diese Ablösungen tangieren aber glücklicherweise die erhaltene Malerei nicht wesentlich. Eine baldige sachkundige Re-stauration ist trotzdem anzuraten, damit keine weiteren Ablösungen auftreten und die ursprüngliche leuchtende Farbgebung wieder hergestellt werden kann.

ChRISTUS PaNTOKRaTOR

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ERHAlTUngSzUSTAndUnd RESTAURATionEn

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Der dargestellte Heilige, nämlich der hl. Serafim von Sarov, wurde am 19. Juli 1754 als Sohn des Kursker und Bauunternehmers Kaufmanns Isidor Moschin und seiner Frau Agafija geboren und auf den Namen Prochor getauft. Der Vater starb, während er gerade die Arbeiten für den Neubau der Kathedrale von Kursk leitete. Die Mutter führte dann das Familienunternehmen weiter. So wuchs der junge Prochor, ein intelligentes Kind, im Schatten der Kirche auf. Bei einer Pilgerfahrt nach Kiev fasste er endgültig den schon lange überlegten Entschluss, Mönch zu werden, und trat auf Rat des Starzen und Schimönches Dosifej in die relativ unbekannte und arme Einsiedelei von Sarov ein, wo er am 20. November 1778 ankam. Der dortige damalige Abt Pachomij, vertraute den jungen Novizen dem Starzen Iosif an. Prochor arbeitete nun in den nächsten Jahren in verschiedenen Diensten im Kloster, bis er – einem inneren Ruf folgend – in die Einöde ging, um dort als Klausner zu leben. Seine einzigen Gefährten waren die Tiere des WaI-des, insbesondere ein Bär, der von ihm gefüttert und ganz zahm wurde. Das Leben in der Einöde war hart – nicht nur durch die Unbilden der Natur, sondern auch durch missgünstige Menschen wie etwa einige Räuber, die Serafim überfielen und zusammenschlugen, als sie die bei dem Einsiedler erhofften Reichtümer nicht fanden.

Die Ikone zeigt einen der bekanntesten und beliebtesten rus-sischen Mönchsheiligen der jüngeren zeit, nämlich Serafim von Sarov. So ist dies auch auf der aufschrift auf dem unteren Rand der Ikone – mit abbreviatur der Titel und des Ortsnamens – vermerkt: „Der heilige Mönch Serafim von Sarov (russ./kslw. Svjatyj Prepodobnyj Serafim Sarovskij)“.

THEmATik dER ikonE

B 44 cmH 53 cm

El 321

AllgEmEinE HAgio- Und

ikonogRApHiSCHE BESCHREiBUng

dETAilBESCHREiBUngdES voRliEgEndEn WERkES

HERkUnfTS- UndAlTERSBESTimmUng

ERHAlTUngSzUSTAndUnd RESTAURATionEn

Nach sieben einsamen Jahren in der Einsiedelei empfing Prochor die Mönchsweihen auf den Namen Serafim und wurde ein Jahr später auch zum Diakon ordiniert. 1793 folgte dann die Weihe zum Priestermönch. Doch blieb Serafim nicht lange im Kloster, sondern ging nach dem Tode des alten Abtes mit dem Segen des neuen Vorstehers Isaija wieder in die Einöde, wo er sich einer besonders strengen Askese und einer intensiven Gebetsordnung unter-warf. So betete er mit Vorliebe auf einem Stein. Erst 1810 kehrte er nach 15 Jahren des Einsiedlerlebens in sein Kloster zurück, brach aber auch hier zuerst sein Schweigen nicht, sondern schloss sich ganz in seiner Zelle ein. In Gebet und Meditation erreichte er schließlich jene geistliche Vollkommenheit, die es ihm erlaubte, dann in den folgenden Jahren als geistlicher Vater für viele Ratsuchende, die in zunehmendem Maße nach Sarov kamen, zu wirken. Immer mehr wurde Serafim zu einem geistlichen Mittelpunkt des spirituellen Lebens in ganz Russland. Zwar hat er keine eigenen Schriften hinterlassen, aber die von dem bekannten Schriftsteller Sergeij Nilus edierten „Gespräche mit Motovilov“, die angeblich die Unterredungen zwischen dem Heiligen und einem Gutsbesitzer wiedergeben, gehören zu den bekanntesten Quellenschriften der russischen geistlichen Literatur aus jüngerer Zeit. Sein Ruf und seine geistliche Führerschaft verbreiteten sich: So konnte er auch in dem benachbarten Diveevo eine Schwesterngemeinschaft gründen. Am 1. Januar 1833 empfing er zum letzten Mal die hl. Gaben; am Morgen des folgenden Tages bemerkte man einen Brandgeruch aus seiner Zelle; als man diese öffnete, fand man einige Bücher angesengt, den Heiligen aber entschlafen – und zwar in knieender Haltung vor dem Bilde der Gottesmutter wie im Gebet versunken. Obwohl die Verehrung des Heiligen bald einsetzte, zögerten die Hierarchen des Heiligsten Synods mit einer offi- ziellen Kanonisierung, da Serafim ein einfacher Mönch ohne theologische Bildung war und seine Form der Askese ihnen als nicht zeitgemäß erschien. Erst auf massive persönliche Intervention Kaiser Nikolajs II. erfolgte die Heilig-sprechung am 19. Juli 1903. Aus den Lebzeiten des Heiligen bzw. den Jahren kurz nach seinem Tod hat sich in der Kathedrale von Kursk ein Gemälde erhalten, dass ihn wohl recht lebensnah wiedergibt. Es zeigt ihn in der typischen Ikonographie, die seit-dem sein Bild – und auch die vorliegende Ikone – bestimmt: barhäuptig mit schulterlangem ergrauten bis weißen Haar und rundem, zweigeteiltem kurzen Bart.

Die Größe der Trägertafel beträgt bei der begutachteten Ikone 53 cm (Höhe) x 44 cm (Breite). Obwohl sie das dafür zumeist übliche Maß somit deutlich übersteigt, könnte es sich bei der vorliegenden Tafel gegebenenfalls noch um eine Hausikone handeln, die ihren Platz in der so genannten „Schönen Ecke“ (russ. Krasnyj ugol), also der Ikonenecke des Hauses bzw. Zimmers findet, wenn wir annehmen, dass sie aus einem reicheren Haushalt stammte. Dieses Maß lässt aber andererseits vermuten, dass die Ikone ursprünglich möglicherweise ihren Platz in einer Kirche oder einem anderen öffentlichen Gebäude hatte. Sie zeigt den Heiligen in der schon vorstehend geschilderten Ikonographie mit der typischen Physiognomie, die der erwähnten ersten bekannt Abbildung so ähnelt, dass man geneigt ist, eine direkte Beeinflussung anzunehmen. Gekleidet ist der Heilige in die Mantija, den schwarzen Mantel orthodoxer Mönche, über der er ein mit einem Kreuz geziertes Epitrachilion (Stola) von weißer Farbe mit goldenen Borten trägt. Er hat eine leicht gebeugte Haltung und hält die Rechte an seine Brust gelegt, wie es für alle seine Ikonen typisch ist. Die Ikonographie zeigt jene schon im ausgehenden 17. Jahrhundert einsetzende, dann aber besonders im 18. und auch noch im 19. Jahrhundert, ja teilweise bis heute in orthodoxen Kirchen Russlands sehr weit verbreitete Übernah-me westlicher Darstellungsformen und einen gewissen Naturalismus, vor allem in der Gestaltung des Gesichtes und der Hand. Hervorzuheben ist besonders die geometrische Ornamentik, die einen emaillierten Metallbeschlag imitiert, so-wie die reiche Punzierung des Hintergrundes und des Nimbus, vor allem aber des Randes der Ikone mit den reichen Zierornamenten in den Ecken.

Bei der Ikone handelt es sich um eine russische Arbeit, und zwar dürfte sie nach der Art der gesamten Gestaltung und der Behandlung des Brettes aus dem ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts, also der Zeit unmittelbar nach der Kanonisierung des Heiligen, die 1903 erfolgte, stammen. Die verwandten stilistischen Formen erlauben eine Zuschreibung zu einer eher ausgesprochen guten Werkstatt der Ikonenmalerei. Besonders hervorzuheben ist die bemerkenswert feine Ausführung des Gesichtes des Heiligen, die offensichtlich das Werk eines überdurchschnittlich begabten Künstlers bezeugt. Insgesamt kann von einer sehr schönen und eindrucksvollen Ikone aus der Spätphase der russischen Sakralma-lerei vor der kommunistischen Zeit gesprochen werden.

Die Ikone liegt im unrestaurierten Zustand vor. Der Erhaltungszustand ist als ausgezeichnet zu werten. Es sind lediglich einige unbedeutende kleinere Kratzer zu vermerken, die aber völlig marginal sind und die eigentliche Malerei und ihren Wert nicht tangieren und durch eine geringfügige Restauration sehr schnell behoben werden können.

DER hEILIgE SERaFIM VON SaROV

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Der hier vorliegende Typus einer Gottesmutterikone will die Wohltaten Mariens für die Not leidende Menschheit durch die Kraft ihres Gebetes und ihrer Fürbitte illustrieren. Das Entstehen des entsprechenden ikonografischen Typus wird auf das Jahr 1688 zurückdatiert, da der leibli-chen Schwester des damaligen allrussischen Patriarchen loakim (1674–90) namens Evfimija während einer Krank-heit beim morgendlichen Gebet eine Vision zuteil wurde, bei der sie eine Stimme hörte: „Evfimija, geh in die Kirche der Verklärung meines Sohnes. Dort ist ein Bild, das „Freude aller Leidenden“ genannt wird. Dort möge ein Priester eine Bittandacht mit der Wasserweihe zelebrieren – und du wirst Heilung von der Krankheit erlangen“. In diesem Sinne geschah es – und seit jener Zeit wird die Urikone in der Kirche auf der Großen Ordynka-Straße zu Moskau verehrt und der Gedenktag am 24. Oktober begangen.

Die Ikone zeigt – wie auch auf der Inschrift in kirchenslavi-scher Sprache auf dem oberen bildrand vermerkt ist – das in der russischen Ikonenmalerei des 18. und 19. jahrhunderts recht bekannte und beliebte Motiv der gottesmutterikone „Freude für alle Leidenden“

THEmATik dER ikonE

B 44 cmH 55,5 cm

El 330

AllgEmEinE ikono-gRApHiSCHE Und

kUnSTgESCHiCHTliCHE BESCHREiBUng

dETAilBESCHREiBUngdES voRliEgEndEn WERkES

HERkUnfTS- UndAlTERSBESTimmUng

ERHAlTUngSzUSTAndUnd RESTAURATionEn

Das Motiv existiert in zwei unterschiedlichen ikonografischen Varianten: Bei beiden ist in der Mitte die Gottes-mutter Maria in voller Gestalt dargestellt (meistens – wie auch im vorliegenden Fall – mit), manchmal aber auch ohne das Göttliche Kind, (wobei letzteres der ältere Typus sein dürfte), wobei sie ebenso wie der Herr Jesus Christus – oft (wie auch auf dieser Ikone) in königliche Gewänder mit einer Krone gekleidet ist. Bei beiden Typen existieren verschiedene Blickrichtungen: Ursprünglicher ist wohl jene mit der ikonografisch nach rechts blickenden Gottesmutter, wie es auch auf diesem Bild der Fall ist. Links und rechts von ihr sind dann entweder verschiedene Heiligengruppen angeordnet, so der erste Typus, welcher möglicherweise auf das Urbild zurückgeht, oder aber – wie auch im vorliegenden Fall (und wohl als eine jüngere Adaption!) – an verschiedenen Gebrechen leidende Hilfsbedürftige, wobei die Anordnung oft den sog. „leib-lichen Werken der Barmherzigkeit“ (vgl. Mt 25, 35–39) nachempfunden ist, denen Engel dann die von der Gottesge-bärerin erbetenen Gottesgeben spenden. So wie schon die Grundikonographie bis heute nicht einheitlich festgelegt ist, sondern mehrere Varianten kennt, so ist es die Anordnung und die Zusammensetzung dieser Gruppen der Bedürftigen noch weniger: Wir finden hier auf den einzelnen Ikonen des Typus durchaus eine recht bemerkenswerte Variationsbreite – offensichtlich je nach Vorlieben des Malers bzw. auch des Auftragsgebers der Ikone. So fehlen manchmal bestimmte Gruppen von Bedürftigen (besonders häufig die Seefahrenden in ihrem Schiff) und sind dafür andere zugesetzt. Überhaupt ist die Zahl der Gruppen, natürlich auch bedingt durch die Größe der Tafel, sehr unterschiedlich.

Die Größe der Trägertafel beträgt bei der begutachteten Ikone 55,5 cm (Höhe) x 44 cm (Breite). Sie zeigt im We-sentlichen die vorstehend erläuterte Ikonografie. Dabei ist in der Mitte der Ikone oben in einem in etwa halbkreisförmigen, sich in einem Rundbogen auf den oberen Bildrand erstreckenden Segment der Herr Zebaoth dargestellt, der über den Wolken zwischen Sonne und Mond thront. Bemerkenswert ist, dass er hier nicht – wie allgemein üblich – als der „Alte der Tage“ aus der Vision des Propheten Ezechiel in einem weißen Gewand, sondern in der ansonsten für Christus üblichen Gewandung eines blauen oder grünen Mantels über einem roten bzw. erdfarbenen Untergewand dargestellt wurde. In der Bildmitte steht sodann, ebenfalls auf den Wolken, in einer von Strahlen, die von ihr ausgehen, und Ster-nen gefüllten Mandorla, die oben spitz ausläuft, die Gottesmutter mit dem Göttlichen Sohn. Beide sind in herrscher-liche Kleider gewandet und tragen Kronen auf ihren Häuptern. Dabei hat Maria über dem mit breiten goldenen Zierstreifen am unteren Saum sowie an den Ärmeln verzierten dunklen Untergewand einen leuchtend roten Mantel geschlungen. Auf dem Haupt trägt sie unter der Krone ein weißes Kopftuch. Christus hingegen ist ganz in ein mit Goldassist verziertes tunikaartiges Gewand gekleidet. Er thront auf dem linken Arm seiner Mutter und segnet mit der Rechten. Zu beiden Seiten der Darstellung der Gottesmutter sieht man, wie Engel verschiedenen Gruppen Notleidender die ihnen auf Fürbitten der Gottesgebärerin gewährte Hilfe bringen. So sieht man etwa auf der Seite vom Betrachter aus links oben, wie mehrere halbnackte Personen von einem Engel in ein großes Tuch gehüllt werden.

Die Ikone trägt einen schön gearbeiteten Metallbeschlag, und zwar aus versilbertem Messingblech mit vergolde-ten Nimben. Solche Beschläge haben in der Ikonenkunst, besonders der russischen, schon eine sehr alte Tradition, wobei zuerst die Metallbeschläge aus kleinen Täfelchen bestanden, die auf die Holztafel der Ikone aufgenagelt wor-den sind. Später wurden dann größere metallene Auflagen beliebt, die entweder den Hintergrund der Ikone bedeck-ten oder auch – wie im vorliegenden Fall – die Figur der dargestellten Personen in Treibarbeit nachgestalteten und nur die Inkarnate freiließen. Der Zweck dieser Metallbeschläge ist wohl einerseits in dem praktischen Nutzen eines bestimmten Schutzes für die ja relativ empfindliche Ei-Tempera-Malerei zu sehen, andererseits aber dürfte auch der Wunsch eine Rolle gespielt haben, die Ikone durch solche Beschläge zu verschönern und zu ehren. Im vorliegenden Fall haben wir es mit einem handwerklich wie künstlerisch sehr schön gearbeiteten und über-zeugenden Beschlag zu tun, der die Darstellung der Malerei gekonnt übernimmt und in seine Treibarbeit überträgt. Hervorzuheben ist auch die gelungene, teils florale, teils geometrische Ornamentik des Randes. Der Beschlag dürfte in der gleichen Zeit gefertigt worden sein wie die Ikone selbst.

Bei der Ikone handelt es sich um eine russische Arbeit, und zwar dürfte sie nach der Art der gesamten Art der ikonografischen Gestaltung, vor allem aber der sehr typischen Ornamentik und der entsprechend charakteristi-schen Verwendung des Goldassists aus einem der Malerdörfer des Vladimir-Suzdaler Gebietes stammen, von denen Palech, Mstera und Choluj die bekanntesten sind. Die verwandten stilistischen Formen wie auch die paläographische Einordnung der benutzten Schriftformen erlauben nach bestem Wissen und Gewissen eine Datierung in die Mitte des 19. Jahrhunderts.

Die Ikone liegt größtenteils in originalem, also unrestauriertem Zustand vor. Ihr Erhaltungszustand ist als re-staurationsbedürftig zu bezeichnen; so hat sich die Malschicht teilweise vom Trägerbrett abgelöst und lässt den Kreidegrund hervortreten. Eine Restauration und Sicherung der Malsubstanz wäre dringend notwendig.

DIE gOTTESMUTTER, FREUDE aLLER LEIDENDEN

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mETAllBESCHlAg

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Das hier vorliegende Motiv einer Gottesmutterikone will die Wohltaten Mariens für die Not leidende Menschheit durch die Kraft ihres Gebetes und ihrer Fürbitte illustrieren. Das Entstehen des entsprechenden ikonografischen Typus wird auf das Jahr 1688 zurückdatiert, da der leiblichen Schwester des damaligen allrussischen Patriarchen lo-akim (1674–90) namens Evfimija während einer Krankheit beim morgendlichen Gebet eine Vision zuteil wurde, bei der sie eine Stimme hörte: „Evfimija, geh in die Kirche der Verklärung meines Sohnes. Dort ist ein Bild, das „Freude aller Leidenden“‚ genannt wird. Dort möge ein Priester eine Bittandacht mit der Wasserweihe zelebrieren – und du wirst Heilung von der Krankheit erlangen.“ In diesem Sinne geschah es – und seit jener Zeit wird die Urikone in der Kirche auf der Großen Ordynka- Straße zu Moskau verehrt und der Gedenktag am 24. Oktober begangen.

Die Ikone zeigt – wie auch auf der Inschrift in kirchenslavi-scher Sprache in den beiden Schriftbändern im oberen bild-feld vermerkt ist – das in der russischen Ikonenmalerei des 18. und 19. jahrhunderts recht bekannte und beliebte Motiv der gottesmutterikone „Freude für alle Leidenden“.

THEmATik dER ikonE

B 27 cmH 31,8 cm

El 341

AllgEmEinE ikono-gRApHiSCHE Und

kUnSTgESCHiCHTliCHE BESCHREiBUng

dETAilBESCHREiBUngdES voRliEgEndEn WERkES

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ERHAlTUngSzUSTAndUnd RESTAURATionEn

Das Motiv existiert in zwei unterschiedlichen ikonografischen Varianten: Bei beiden ist in der Mitte die Gottes-mutter Maria in voller Gestalt dargestellt (meistens mit, manchmal aber – wie auch im vorliegenden Fall – ohne das Göttliche Kind, wobei letzteres der ältere Typus sein dürfte). Bei beiden Typen existieren verschiedene Blickrichtungen: Ursprünglicher ist wohl jene mit der ikonografisch nach rechts blickenden Gottesmutter, wie es auch auf diesem Bild der Fall ist.

Links und rechts von ihr sind dann entweder verschiedene Heiligengruppen angeordnet, so der erste Typus, welcher möglicherweise auf das Urbild zurückgeht, oder aber – wie auch im vorliegenden Fall (und wohl als eine jüngere Adaption!) – an verschiedenen Gebrechen leidende Hilfsbedürftige, wobei die Anordnung oft den sog. „leib-lichen Werken der Barmherzigkeit“ (vgl. Mt 25, 35–39) nachempfunden ist, denen Engel dann die von der Gottesge-bärerin erbetenen Gottesgeben spenden.

So wie schon die Grundikonographie bis heute nicht einheitlich festgelegt ist, sondern mehrere Varianten kennt, so ist es die Anordnung und die Zusammensetzung dieser Gruppen der Bedürftigen noch weniger: Wir finden hier auf den einzelnen Ikonen des Typus durchaus eine recht bemerkenswerte Variationsbreite – offensichtlich je nach Vorlieben des Malers bzw. auch des Auftragsgebers der Ikone. So fehlen manchmal bestimmte Gruppen von Bedürftigen (besonders häufig die Seefahrenden in ihrem Schiff) und sind dafür andere zugesetzt. Überhaupt ist die Zahl der Gruppen, natürlich auch bedingt durch die Größe der Tafel, sehr unterschiedlich.

Eine jüngere Variante dieser Ikonographie trägt den Beinamen „mit den Groschen (s grosikami)“ und bezieht sich auf ein Geschehen am 23. Juli 1888, als während eines schweren Gewitters der Blitz in die Kapelle bei der Glasfa-brik in dem Dorf Klocka bei St. Petersburg einschlug und sie in Flammen setzte. Lediglich die Ikone der Gottesmutter blieb verschont und zwölf Münzen („Groschen“) aus der in der Nähe stehenden Opferschale wurden hochgeschleu-dert und bleiben an dem Bild heften die dann auf späteren Kopien des Bildes stets in goldroter Farbe aufgemalt werden.

Die Größe der Trägertafel beträgt bei der begutachteten Ikone 31,8 cm (Höhe) x 27 cm (Breite). Es handelt sich also um die Größe einer typischen Hausikone, die ihren Platz in der so genannten „Schönen Ecke“ (russ. Krasnyh ugol), also der Ikonenecke des Hauses bzw. Zimmers findet.

Sie zeigt im Wesentlichen die vorstehend erläuterte Ikonografie. Dabei ist in der Mitte der Ikone oben der seg-nende Christus dargestellt, der über den Wolken thront.

In der Bildmitte steht sodann die Gottesmutter in der üblichen Gewandung, also mit einem blauen Mantel, dem „Maphorion“, über einem hellroten Untergewand und mit einem – in diesem Fall recht großen – weißen Kopftuch.

Zu beiden Seiten der Darstellung der Gottesmutter sieht man, wie Engel verschiedenen Gruppen Notleidender die ihnen auf Fürbitten der Gottesgebärerin gewährte Hilfe bringen.

So sieht man beispielsweise – vom Betrachter aus gesehen links – wie unter der segnenden Hand der Gottesmut-ter eine Gruppe von nackten Personen von einem Engel in ein großes Tuch gehüllt wird.

Die vorliegende Ikone stellt jene vorstehend geschilderte besonders jüngere Variante „mit den Groschen“ dar. Unten befindet sich eine erklärende Aufschrift, die lautet: „Genaue Kopie der Ikone der Gottesmutter aller Leidenden Freude, die sich befindet im ... (unleserlich, da einige Schäden und Abblätterungen hier den Text unterbrechen) … nach dem 23. Juli … in St. Petersburg“.

Bei der Ikone handelt es sich um eine russische Arbeit. Die verwandten stilistischen Formen wie auch die paläo-graphische Einordnung der benutzten Schriftformen erlauben nach bestem Wissen und Gewissen eine Datierung in die Zeit um 1900. Hervorzuheben ist besonders die farbige geometrische Ornamentik des Randes der Ikone, die einen emaillierten Metallbeschlag imitiert, sowie die Punzierung des Hintergrundes.

Die Ikone liegt größtenteils in originalem, also unrestauriertem Zustand vor. Ihr Erhaltungszustand ist leider nicht als fehlerfrei zu bezeichnen. Ledigliche Abreibungen des Goldhintergrundes und Abblätterungen im unteren Bildteil, vor allem der Inschrift sind zu vermerken, die aber alle die erhaltene Malerei nicht tangieren. Doch ist aus-gerechnet im Haupt Christi ein unschönes Loch im Brett. Eine baldige sachkundige Restauration ist daher dringend anzuraten, damit keine weiteren Abreibungen auftreten und die ursprüngliche leuchtende Farbgebung wieder her-gestellt werden kann.

DIE gOTTESMUTTER, FREUDE aLLER LEIDENDEN MIT DEM gROSChEN

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Die Ikone ist eine Sammeldarstellung von – in diesem Falle sechs einzelnen heiligen, für deren zusammenstellung ledig-lich die individuellen Wünsche des Malers oder wahrschein-licher des auftragsgebers der Ikone maßgeblich war.Es wäre denkbar, dass es sich dabei um die himmlischen Patrone von Familienmitgliedern handelt oder aber einfach um einige von ihm besonders verehrte heilige.

THEmATik dER ikonE

B 37,5 cmH 44,5 cm

El 343

dETAilBESCHREiBUngdES voRliEgEndEn WERkES

AllgEmEinE HAgiogRApHiSCHEBESCHREiBUng

HERkUnfTS- UndAlTERSBESTimmUng

ERHAlTUngSzUSTAndUnd RESTAURATionEn

Bei den sechs dargestellten Heiligen handelt es sich von links nach rechts (in der Sichtweise des Betrachters) auf der linken Seite um den Mönch Paulus (mit einer offenen Schriftrolle, auf der der Text „Sorget euch nicht, meine Brüder, und nennet Jesus den Retter von Seele und Leib“ zu lesen ist), sodann (dahinter) einen Mönch (oder Mönchs- priester) Nikolaos und (wieder vorne) den hl. Fürsten Aleksandr von der Neva, den russischen Nationalhelden.

Ihnen gegenüber stehen auf der anderen Seite der Tafel der Bischof Jakobus der Bekenner, sodann (wieder da-hinter, gleichsam in der 2. Reihe) die Martyrerin Daria und als letzte die Asketin Maria von Ägypten.

Die Zusammenstellung der Heiligen (vier Männer und zwei Frauen) bestätigt die Vermutung, dass es sich um die Patronatsikone einer Familie handeln könnte. Über den sechs Heiligen schwebt über einer Wolkenband der mit beiden Händen segnende Christus Pantokrator.

Die Größe der Trägertafel beträgt bei der begutachteten Ikone 44,5 cm (Höhe) x 37,5 cm (Breite). Es handelt sich also um die Größe einer typischen Hausikone, die ihren Platz in der so genannten „Schönen Ecke“ (russ. Kras-nyj ugol), also der Ikonenecke des Hauses bzw. Zimmers findet. Sie zeigt den Bischof in der üblichen pontifikalen liturgischen Gewandung, d.h. er trägt über einem grünen, mit Kreuzen verzierten Felonion über dem roten Unterge-wand das weisse Omoforion. In seinen Händen hält er ein geschlossenes Evangeliar. Der hl. Aleksandr ist in einer Kriegerrüstung mit darüber getragenem fürstlichen Mantel mit Hermelinrand gemalt, die Mönche in der schlichten monastischen Kleidung und die Martyrerin Daria ist bekleidet mit einem leuchtend roten Mantel über einen grünen Untergewand und einem weißen Tuch über dem Kopf. Die hl. Maria von Ägypten trägt hingegen lediglich einen Mantel über ihrem nackten Asketenkörper. Alle vier Heiligen sind in Ganzfigur frontal gemalt.

Bei der Ikone handelt es sich um eine qualitätvolle russische Arbeit, und zwar dürfte sie nach der Art der gesam-ten Bildgestaltung aus einer Werkstatt stammen, die in den Traditionen des mittelrussischen Gebietes, vor allem der Malerdörfer des Vladimir-Suzdaler Raumes, arbeitete.

Die verwandten stilistischen Formen wie auch die paläographische Einordnung der benutzten Schriftformen erlauben nach bestem Wissen und Gewissen eine Datierung in die Mitte bis zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Insgesamt kann von einer sehr schönen und eindrucksvollen Ikone aus der Spätphase der russischen Sakralma-lerei vor der kommunistischen Zeit gesprochen werden.

Die Ikone liegt in originalem, also unrestauriertem Zustand vor. Der Erhaltungszustand der Ikone ist als im Allgemeinen gut zu bezeichnen; lediglich eine gewisse Verschmutzung sowie einige kleinere Abblätterungen – vor allem im Randbereich – und ein Längsriss im Brett sind zu vermerken. Alle diese Abreibungen tangieren aber glücklicherweise die erhaltene Malerei nicht wesentlich. Eine baldige sachkundige Restauration ist trotzdem anzu-raten, damit – vor allem an der Stelle des Bruches – keine weiteren Abblätterungen auftreten und die ursprüngliche leuchtende Farbgebung wieder hergestellt werden kann.

PaTRONaTSIKONE MIT 6 hEILIgEN

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Page 42: GRA_Ikonen_Katalog_27.11.2013_web.pdf Wemhöner Grabher Sammlung Liechtensteinisches Landesmuseum

Dargestellt ist auf der Ikone die Gottesmutter im Kopfbild mit leicht geneigtem Haupt in der Haltung einer Für-bitterin. Diese Ikonographie erklärt sich dadurch, dass es sich hier – wie schon eingangs gesagt – um eine Tafel aus einer (zumindest) dreiteiligen Komposition handelt, nämlich einer sog. Deesis (griech. = „Fürbitte“, „Gebet“). Damit bezeichnet man ein formalhaft-emblematisches Bild, welches wenigstens aus drei Personen besteht, wo-bei diese entweder auf einer Tafel vereint dargestellt werden können oder aber – wie im vorliegenden Fall – auf je einer eigenen Tafel, die entsprechend zusammen platziert werden, sei es nun in einer Kirche, etwa auf einer Ikono-stase, oder auch in einer Zimmerecke o. ä. m. … In der Mitte der Komposition findet sich immer die Darstellung Christi, zu seiner Rechten die Gottesmutter, zu seiner Linken der Vorläufer und Täufer Johannes – beide im Gestus der Fürbitte. Diese Anordnung, die wir bereits in der frühbyzantinischen Zeit (nicht zuletzt auch als Apsisausmalung) antreffen, hat ihren biblischen Bezug einmal in Ps 44,10 f. („Die Königin tritt dir zur Rechten, mit Gold von Ophir geschmückt; höre, o Tochter, und neige dein Ohr …“), sodann bei Jo 3,29, wo der Täufer Johannes von sich selber sagt: „Der Freund des Bräutigams aber, der dabei steht und ihn hört, freut sich über die Stimme des Bräutigams. Diese Freude ist nun für mich Wirklichkeit geworden. Er muss wachsen, ich aber kleiner werden.“

Die Ikone ist eine Tafel aus einer mehrere (wahrscheinlich drei) Tafeln umfassenden Deesis, und zwar die Tafel mit der Darstellung der gottesmutter.

THEmATik dER ikonE

B 44 cmH 53 cm

El 355

AllgEmEinE ikono-gRApHiSCHE Und

kUnSTgESCHiCHTliCHE BESCHREiBUng

dETAilBESCHREiBUngdES voRliEgEndEn WERkES

HERkUnfTS- UndAlTERSBESTimmUng

ERHAlTUngSzUSTAndUnd RESTAURATionEn

Die Darstellung der Deesis treffen wir in unterschiedlicher Ausweitung nicht nur im Bildprogramm der Ikono- stase, sondern ebenfalls in der höfischen Kleinkunst als autonome Darstellung, wobei die sog. „kleine“ Deesis häu-fig durch andere Heilige erweitert wird, so zuerst um die hl. Erzengel Michael und Gabriel, dann aber auch die Apostel Petrus und Paulus (und andere Apostel) sowie große Hierarchen, wobei in erster Linie Basileios d. Große, Johannes Chrysostomos, aber auch der hl. Nikolaos von Myra zu nennen sind. Ihre Wurzeln liegen einerseits in dem schon mit Sicherheit seit dem V./VI. Jahrhundert nachweislichen Inter-zessionsgedanken. Er bestimmte dann die Wandlung der trimorphen (dreifigurigen) Komposition vom Repräsen-tationsbild (so vornehmlich vor dem Bilderstreit) zum Fürbittenbild der mittel- bis spätbyzantinischen Zeit. Vom 11. Jahrhundert an begegnet uns die Deesis auch als Teil der Darstellung des Jüngsten Gerichtes, ohne aber selbst ei-nen unmittelbar eschatologischen Charakter anzunehmen. Vielmehr haben wir hier fast eine Wiederaufnahme desursprünglichen Gedankens, der nämlich so symbolisch die Verbindung der in Maria personifizierten Kirche (Maria- Ecclesia) mit ihrem himmlischen Bräutigam Christus zeigt, für die Johannes als der „Freund des Bräutigams“ der berufene Zeuge ist. Wir können also davon ausgehen, dass auch die Darstellung der Deesis, von der wir hier die rechte (vom Betrach-ter aus gesehen linke) Tafel vor uns haben, ursprünglich aus mindestens drei Tafeln bestand, die nebeneinander hingen bzw. auch in einer Ikonostase nebeneinander eingepasst waren. Sie zeigten – wie vorstehend beschrieben – die drei Personen von Christus, seiner Mutter und dem Täufer Johannes, jedoch nur als erweitertes Kopfbild, das bis zum Schulteransatz reicht: Auf der mittleren Tafel war Christus dargestellt, und auf der linken Tafel Johannes der Vorläufer. Zur Rechten Christi befand sich also die hier besprochene Tafel mit der Darstellung der Gottesgebärerin.

Die Größe der Trägertafel beträgt bei der begutachteten Ikone 53 cm (Höhe) x 44 cm (Breite). Obwohl sie das dafür zumeist übliche Maß leicht übersteigt, handelt es sich bei der vorliegenden Tafel wohl noch um eine Hausiko-ne, die ihren Platz in der so genannten „Schönen Ecke“ (russ. Krasnyj ugol), also der Ikonenecke des Hauses bzw. Zimmers findet. Es wäre aber auch möglich, dass die Ikone ursprünglich ihren Platz in einer Kirche, vielleicht sogar einer Ikonostase hatte. Sie zeigt – wie schon allgemein beschrieben – die Gottesmutter. Neben ihrem Haupt ist auf beiden Seiten in eckigen Feldern jenes Monogramms gesetzt, das auf allen Darstellungen Mariens in der Ikonenmalerei zu finden ist und das die griechischen Buchstaben MP OY umfasst. Es ist zu lesen als eine Abkürzung von „MR“ und „THY“ oder aufgelöst „Meter Theou“ = „Mutter Gottes“. Die Gottesmutter ist in der üblichen Weise gekleidet, d.h. sie trägt über dem hier allerdings nur ein wenig am Halsausschnitt und an den unteren Armen sichtbaren Untergewand eine Art Pelerine, die über Kopf und Schultern getragen wird, das Maphorion. Es war im oströmischen Reiche eine – ursprünglich von Männern wie Frauen, auch vom geistlichen Stand – getragene Kleidung. Bemerkenswert ist, dass die Gottesmutter auf dieser Ikone darüber noch ein eigenes, strahlendrotes und leicht mit goldenen Strahlen bzw. den üblichen drei Sternen ornamentiertes Kopftuch trägt, wobei Zierborten an den Säu-men angebracht sind. Nach einer – allerdings jüngeren – Deutung sollen diese Sterne die Jungfräulichkeit Mariens vor, während und nach der Geburt Christi symbolisieren. In ihrer Linken trägt die Gottesmutter ein entrolltes Schriftblatt, auf dem in kirchenslawischer Sprache und Schrift der Text des so genannten „Magnificat“ (nach Lk 1,46 ff) zu lesen ist: „Hochpreise meine Seele den Herrn und es freut mich mein Geist an Gott!“

Bei der Ikone handelt es sich um eine russische Arbeit, und zwar dürfte sie nach der Art der gesamten Bildge-staltung aus einer Werkstatt des mittelrussischen Gebietes, möglicherweise einem der Malerdörfer des Vladimir-Suzdaler Raumes, stammen. Hervorzuheben ist besonders die farbige geometrische Ornamentik, die einen emaillierten Metallbeschlag imi-tiert, sowie die reiche Punzierung des Hintergrundes und des Nimbus, besonders aber des Randes der Tafel und vor allem der vier Ecken. Die verwandten stilistischen Formen wie auch die paläographische Einordnung der benutzten Schriftformen, besonders aber der sehr zeittypische ornamentierte Rand, erlauben nach bestem Wissen und Gewissen eine Datie-rung in die 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Die Ikone liegt in originalem, also unrestauriertem Zustand vor. Der Erhaltungszustand der Ikone ist als gut zu bezeichnen; lediglich eine gewisse, aber nicht sehr große Verschmutzung sowie einige kleinere Abblätterungen im äußeren Randbereich sind zu vermerken. Alle diese Abreibungen tangieren aber glücklicherweise die vollständig im Originalzustand erhaltene eigentliche Malerei in keiner Weise. Eine sehr baldige sachkundige Restauration ist trotzdem dringend anzuraten, damit keine weiteren Abblätte-rungen auftreten und die ursprüngliche leuchtende Farbgebung wieder hergestellt werden kann.

DIE gOTTESMUTTER aUS DER DEESIS

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Die Gottesgebärerin Maria wird in der Frömmigkeit vieler orthodoxer Christen als die große Fürbitterin und Hel-ferin der Sünder, die Zuflucht der Verlorenen und der Halt der im Meer des Lebens zugrunde Gehenden angerufen. Eine Fülle von liturgischen Texten verkünden diesen Gedanken, so etwa ein Gesang, der bei vielen Liturgien ge-sungen wird: „Hilfe der Christen nie vergeblich, Mittlerin beim Schöpfer unwandelbar, verschmähe nicht der Sünder Stimme! Komm vielmehr uns zuvor mit deiner Hilfe, die wir gläubig zu dir rufen …“.

Die Ikone zeigt ein in Russland, besonders im 19. jahrhundert, sehr beliebtes Motiv, nämlich die Darstellung der gottesmutter als „zuflucht der Verlorenen“, hier allerdings in einer sehr von westlichen Traditionen beeinflussten MaIweise.

THEmATik dER ikonE

B 31 cmH 35,7 cm

El 393

AllgEmEinE ikono-gRApHiSCHE Und

kUnSTgESCHiCHTliCHE BESCHREiBUng

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Auch eine große Zahl von verschiedenen Ikonen der Gottesmutter mit dem göttlichen Kind will immer wieder auf die herausragende Bedeutung Mariens im Heilswerk Gottes und ihre Nähe zu dem menschgewordenen Erlöser aufweisen. Besonders im russischen Raum ist eine mehrere Hundert zählende Fülle von solchen als wundertätig verehrten Gottesmutterbildern zu konstatieren, welche ikonographisch allerdings zumeist Varianten von drei sehr alten Haupttypen sind, nämlich der 0rantin, der Hodegetria – bei der Christus auf dem Arm seiner Mutter thront und diese auf ihn weist – und der Eleousa (russ. Umilenie), welche die innige Umarmung von Mutter und Sohn zeigt. Nur wenige Ikonen weichen von diesem Grundschema stärker als durch Umkehrung der Seiten, leicht veränder-te Haltung der Hände bei Christus oder der Gottesgebärerin und ähnliche Marginalien ab. Hierzu gehört auch die vorliegende Ikone vom Typus „Zuflucht der Verlorenen“ (russ./kslw. Vzyskanie pogibsich). Der Typus soll zwar der Überlieferung nach recht alt sein, ist aber erst seit der Mitte des 18. Jahrhunderts nach-gewiesen, und zwar in dem Dorf Bor im Gouvernement von Kaluga, dessen Holzkirche von dem Bauern Fedot Alek-seevic Obuchov aus Vjazovka unterstützt wurde. Obuchov, der in der Stadt Volchov im Gouvernement Orel Saatgut einkaufte, wurde dort von einem Schneesturm überrascht und gelobte, im Falle seiner Rettung ein Abbild der in der dortigen St-Georgs-Kirche verehrten Ikone der „Zuflucht“ malen zu lassen und seiner Pfarrkirche zu schenken. So geschah es, die in ihren Ausmaßen recht bedeutsame, mehr als 2,20 m hohe und etwa 1,30 m breite Ikone wurde zum Ziel zahlreicher Wallfahrten, und man baute dann auch eine Steinkirche. Besonders wird der Ikone von Bor die Errettung des Gebietes vor der Cholera-Epidemie 1871 zugeschrieben. Auf der oben abgerundeten Ur-Ikone ist oben die Taufe Christi dargestellt, weil Obuchov an einem 6. Januar gerettet wurde. Dieses Detail fehlt auf den meisten anderen Bildern der „Zuflucht“, von denen es eine ganze Reihe gibt. 1835 wurde auch beim Moskauer Aleksandr- Waisenhaus eine Kirche zu Ehren der „Zuflucht der Verlorenen“, deren Gedenktag im russischen Kirchenkalender am 5. Februar begangen wird, geweiht.

Die Größe der Trägertafel beträgt bei der begutachteten Ikone 35,7 cm (Höhe) x 31 cm (Breite). Es handelt sich also um die Ausmaße einer typischen Hausikone, die ihren Platz in der so genannten „Schönen Ecke“ (russ. Krasnyj ugol, also der Ikonenecke des Hauses bzw. Zimmers findet. Sie zeigt eine Variante der vorstehend erläuterten allgemeinen Ikonographie des Typus, die deutlich jünger ist als das Urbild und ganz unter westlichen Einflüssen steht: So trägt die Gottesgebärerin zwar noch das übliche Ma-phorion, hat es aber in einem faltenreichen Wurf über die Schultern gelegt, wie es eher in der italienischen Renais-sancemalerei üblich ist. Auch die Farbgebung entspricht dieser: An die Stelle des üblichen rotbraun für den Mantel Mariens ist hier ein dunkleres Blau getreten, während das Untergewand von hellroter Farbe ist. Besonders auffällig aber ist der grüne, von goldenen Zierfäden durchzogene Schal, den Maria über die Schulter trägt und der ganz dem Stil der italienischen Vorbilder des Malers entspricht. Christus, der in ein knielanges weißes Gewand gekleidet ist, sitzt auf dem rechten Knie Mariens und umschlingt ihren Hals mit beiden Händen. Auf die üblichen Abbreviaturen für „Jesus Christus“ und „Mutter Gottes“, die wir sonst in der Ikonenmalerei im-mer vorfinden, wurde hier im Malfeld verzichtet; sie finden sich lediglich im goldenen, ornamentierten Rand. Unten in der Bildmitte ist – ebenfalls auf dem Rand – der Titel der Ikone angegeben: „Bild der Gottesgebärerin – Zuflucht der Verlorenen“.

Bei der Ikone handelt es sich um eine russische Arbeit von deutlich überdurchschnittlicher künstlerischer und handwerklicher Qualität, und zwar dürfte sie nach der Art der gesamten Stilformen aus einer hauptstädtischen Werkstatt stammen. Die verwandten stilistischen Formen wie auch die paläographische Einordnung der benutzten Schriftformen erlauben nach bestem Wissen und Gewissen eine Datierung in die Mitte bzw. zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Ikone zeigt jene im 18. und 19. Jahrhundert in Russland sehr weit verbreitete Übernahme westlicher, in die-sem Falle eher aus der italienischen Renaissancemalerei übernommener Stilformen, die auch eine Anlehnung an die – ebenfalls vor allem an italienischen Vorbildern orientierte – akademische Malerei ihrer Zeit sucht. Insgesamt handelt es sich um eine typische Arbeit und ein gutes Beispiel für die russische Sakralmalerei der Entstehungszeit, die dem Geschmack vor allem der Käufer aus dem gehobenen städtischen Bürgertum und dem Adel entsprach.

Die Ikone liegt in originalem, also unrestauriertem Zustand vor. Ihr Erhaltungszustand ist als rundum zufrie-denstellend zu bezeichnen; es ist lediglich ein kleiner Riss auf der rechten Tafelseite zu vermerken, der aber die erhaltene Malerei in keiner Weise wesentlich tangiert.

DIE gOTTESMUTTER, zUFLUChT DER SüNDER

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Der hl. Großmartyrer Panteleimon (nach abendländischer Namensform: Pantaleon) wird in der Orthodoxen Kirche ebenso wie nach dem Martyrologium Romanum am 27. Juli gefeiert. Der griechische Name bedeutet: „der ganz Barmherzige“.

Er starb in Nikomedien in der diokletianischen Verfolgung um 305. Zwar fehlen weitere sichere historische Nachrichten, doch haben wir schon aus dem 5/6. Jahrhundert eine legendarische Passio, nach der er als Sohn eines heidnischen Vaters namens Eustorgios und einer christlichen Mutter Euboula in Nikomedien, dem heutigen Izmid (östlich von Istanbul) geboren worden sei. Zwar wollte ihn die Mutter christlich erziehen, doch verstarb sie, als das Kind noch sehr klein war. Der Vater entsandte es dann später in eine heidnische Grundschule, nach deren Abschluß der Jüngling die Heilkunst bei dem bekannten nikomedischen Arzt Eufrosinos erlernte und schließlich durch seine Heilkunde bekannt wurde, so dass ihn der Kaiser Maximianus Herculeus (284–305) zu seinem Leibarzt machte.

In dieser Zeit lebten zusammen mit vielen anderen Christen auch die Priester Hermolaos, Hermippos und Her-mokrates in Nikomedien, welche nach der Verfolgung des Jahres 303 viele gemarterte Glaubensbrüder geheilt hat-ten. Hermolaos trat nun in Kontakt zu Panteleimon und konnte den jungen Arzt für den christlichen Glauben ge-winnen. Den letzten Schritt zur Taufe tat er, als er eines Tages ein totes Kind auf der Straße sah, das aufgrund seiner Gebete zu Christus wieder lebendig wurde. Hermolaos taufte nun den zukünftigen Martyrer (nach einigen Legenden

Die Ikone zeigt einen der beliebtesten „Uneigennützigen“, den hl. Panteleimon (im abendland auch bekannt als Pantaleon).

THEmATik dER ikonE

B 70,7 cmH 88,5 cm

El 031

AllgEmEinE HAgiogRApHiSCHE

BESCHREiBUng

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empfing er anstelle des bisherigen Namens Pantaleon nun denjenigen des Panteleimon). Auch dessen Vater Eustor-gios nahm das Christentum an, als er sah, wie sein Sohn einen Blinden durch die Anrufung des Namens Jesu Christi heilte. Nach dem Tode des Vaters widmete Panteleimon sein ganzes Leben den Leidenden, Kranken, Armen und Elenden, denen er im Namen Jesu Trost und Heilung spendete. Auch besuchte er die Gefangenen, besonders die gemarterten Christen, in den Verliesen und heilte ihre Wunden. In kurzer Zeit verbreitete sich sein Ruhm über die ganze Stadt und viele Kranke eilten zu ihm, besonders da er seine Heilungen ohne Honorar spendete. Weshalb ihn die orthodoxe Kirche zu den sog. „Anargyroi“ (griech. wörtl.: Silberlosen, Geldlosen) rechnet, also den Ärzten, die ihre Kunst im Namen der christlichen Nächstenliebe ausübten.

Die anderen Ärzte der Stadt allerdings wollten den unliebsamen Konkurrenten möglichst rasch loswerden und verklagten ihn beim Kaiser. Maximianus forderte daraufhin Panteleimon auf, den heidnischen Götzen zu opfern; als dieser sich weigerte, wurde er schrecklichen Martern unterworfen, die er nur durch den Beistand des Herrn aushalten konnte. In der gleichen Verfolgung wurden auch die priesterlichen Lehrer des Heiligen mit dem Schwerte hingerichtet. Nachdem Panteleimon zahlreiche andere Folterungen überstanden hatte, wurde er an einen Ölbaum gebunden, worauf einer der Soldaten ihn mit dem Schwert erschlagen wollte. Aber dieses wurde in seiner Hand weich wie Wachs; erst als der Heilige selbst um den Tod bat, da er nach dem himmlischen leben strebte, konnten sie ihn töten. Doch entfloss seinem Hals nicht Blut, sondern Milch, so dass viele Anwesende durch dies erneute Wun-der wieder zum Glauben geführt wurden. Desgleichen, als sein Leib, den man verbrennen wollte, in den Flammen unversehrt blieb.

Seine Gebeine konnten geborgen werden und wurden später in viele Kirchen verteilt. So befindet sich sein Haupt in dem nach ihm benannten russischen Kloster auf dem Heiligen Berge Athos.

Kaiser Ioustinianos I. (527–565) ließ dem Großmärtyrer zu Ehren in Konstantinopel eine Kirche bauen und res-taurierte ein ihm geweihtes Kloster in der Jordanwüste. Im Abendland und in Nordafrika war sein Kult schon um die Mitte des 5. Jahrhunderts verbreitet (allein in Rom gibt es vier ihm geweihte Kirchen, ebenso eine der alten roma-nischen Kirchen Kölns). Seit dem Mittelalter wird er im Okzident zu den Vierzehn Nothelfern gezählt. An verschie-denen Orten – wie in Konstantinopel, Bari, Neapel, Ravello (südlich von Neapel), Rom und Venedig u. a. werden Ampullen mit dem angeblichen Blut bzw. der Milch des Martyrers gezeigt. In der Russischen Orthodoxen Kirche ist die Verehrung im 12. Jahrhundert bezeugt, da Fürst Izjaslav, der Sohn des hl. Mstislav des Großen, auf seinen Na-men getauft worden ist. Der Fürbitte des hl. Panteleimon wird auch der Seesieg der Russen über die Schweden bei Hanhaus 1714 und bei Grenham 1720 zugeschrieben, die beide an seinem Festtage stattfanden, wie er überhaupt als Patron der christlichen Soldaten gilt.

Die Größe der Trägertafel beträgt bei der begutachteten Ikone 88,5 cm (Höhe) x 70,7 cm (Breite). Dieses über-durchschnittlich große Maß lässt vermuten, dass die Ikone ursprünglich möglicherweise ihren Platz in einer Kirche, vielleicht sogar einer Ikonostase hatte.

Dargestellt ist der Heilige aufrecht stehend in Halbfigur. Er trägt über einem grünen Untergewand mit reichen goldenen Zierbesätzen am Hals und an den Ärmeln einen strahlend roten Mantel. In der linken hält der Heilige ein geöffnetes Arzneikästchen, in der Rechten einen langen Löffel oder Spatel. Oberhalb seiner beiden Schultern ist in kirchenslawischer Majuskelkalligraphie der Name des Heiligen vermerkt

Bei der Ikone handelt es sich um eine russische Arbeit, und zwar dürfte sie nach der Art der gesamten Gestaltung aus einer der besseren Schulen des mittelrussischen Gebietes stammen.

Sie zeigt jene im 18. und 19. Jahrhundert in Russland sehr weit verbreitete Übernahme westlicher Darstellungs-formen, die auch eine Anlehnung an die akademische Malerei der Zeit sucht.

Insgesamt handelt es sich um eine schöne, typische Arbeit und ein gutes Beispiel für die handwerkliche Produk-tion der Entstehungszeit, die größere Käuferkreise befriedigte. Hervorzuheben ist insbesondere die außergewöhn-liche reiche und sorgfältige ornamentale Ausgestaltung mit eigens aufgesetzten Ecken unten und Kreissegmenten oben. Ihrem ganzen Stil nach ist die Ikone in die Zeit um 1880 zu datieren.

Die Ikone liegt in originalem, also unrestauriertem Zustand vor. Der Erhaltungszustand kann insgesamt als aus-gezeichnet charakterisiert werden; lediglich an Kopf und Schulter sind kleinere, aber aufs Ganze völlig marginale Abreibungen zu konstatieren.

hEILIgER PaNTELEIMON

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Der hl. Serafim wurde am 19. Juli 1754 als Sohn des Kursker und Bauunternehmers Kaufmanns Isidor Moschin und seiner Frau Agafija geboren und auf den Namen Prochor getauft. Der Vater starb, während er gerade die Ar-beiten für den Neubau der Kathedrale von Kursk leitete. Die Mutter führte dann das Familienunternehmen weiter. So wuchs der junge Prochor, ein intelligentes Kind, im Schatten der Kirche auf.

Bei einer Pilgerfahrt nach Kiev fasste er endgültig den schon lange überlegten Entschluss, Mönch zu werden, und trat auf Rat des Starzen und Schimönches Dosifej in die relativ unbekannte und arme Einsiedelei von Sarov ein, wo er am 20. November 1778 ankam. Der dortige damalige Abt Pachomij, vertraute den jungen Novizen dem Starzen Iosif an. Prochor arbeitete nun in den nächsten Jahren in verschiedenen Diensten im Kloster, bis er – einem inneren Ruf folgend – in die Einöde ging, um dort als Klausner zu leben. Seine einzigen Gefährten waren die Tiere des Wal-des, insbesondere ein Bär, der von ihm gefüttert und ganz zahm wurde. Das Leben in der Einöde war hart – nicht nur durch die Unbilden der Natur, sondern auch durch missgünstige Menschen wie etwa einige Räuber, die Serafim überfielen und zusammenschlugen, als sie die bei dem Einsiedler erhofften Reichtümer nicht fanden.

Nach sieben einsamen Jahren in der Einsiedelei empfing Prochor die Mönchsweihen auf den Namen Serafim und wurde ein Jahr später auch zum Diakon ordiniert. 1793 folgte dann die Weihe zum Priestermönch. Doch blieb Serafim nicht lange im Kloster, sondern ging nach dem Tode des alten Abtes mit dem Segen des neuen Vorstehers Isaija wieder in die Einöde, wo er sich einer besonders strengen Askese und einer intensiven Gebetsordnung unter-warf. So betete er mit Vorliebe auf einem Stein, wie es auf der vorliegenden Ikone gezeigt wird.

Die Ikone zeigt einen der bekanntesten und beliebtesten russischen Mönchsheiligen, nämlich Serafim von Sarov.

THEmATik dER ikonE

B 14,5 cmH 15,7 cm

El 403

AllgEmEinE ikono-gRApHiSCHE Und

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Erst 1810 kehrte er nach 15 Jahren des Einsiedlerlebens in sein Kloster zurück, brach aber auch hier zuerst sein Schweigen nicht, sondern schloss sich ganz in seiner Zelle ein. In Gebet und Meditation erreichte er schließlich jene geistliche Vollkommenheit, die es ihm erlaubte, dann in den folgenden Jahren als geistlicher Vater für viele Ratsu-chende, die in zunehmendem Maße nach Sarov kamen, zu wirken. Immer mehr wurde Serafim zu einem geistlichen Mittelpunkt des spirituellen Lebens ins ganz Russland. Zwar hat er keine eigenen Schriften hinterlassen, aber die von dem bekannten Schriftsteller Sergeij Nilus edierten „Gespräche mit Motovilov“, die angeblich die Unterredun-gen zwischen dem Heiligen und einem Gutsbesitzer wiedergeben, gehören zu den bekanntesten Quellenschriften der russischen geistlichen Literatur aus jüngerer Zeit.

Sein Ruf und seine geistliche Führerschaft verbreiteten sich: So konnte er auch in dem benachbarten Diveevo eine Schwesterngemeinschaft gründen.

Am 1. Januar 1833 empfing er zum letzten Mal die hl. Gaben; am Morgen des folgenden Tages bemerkte man einen Brandgeruch aus seiner Zelle; als man diese öffnete, fand man einige Bücher angesengt, den Heiligen aber entschlafen – und zwar in knieender Haltung vor dem Bilde der Gottesmutter wie im Gebet versunken.

Obwohl die Verehrung des Heiligen bald einsetzte, zögerten die Hierarchen des Heiligsten Synods mit einer offi-ziellen Kanonisierung, da Serafim ein einfacher Mönch ohne theologische Bildung war und seine Form der Askese ihnen als nicht zeitgemäß erschien. Erst auf massive persönliche Intervention Kaiser Nikolajs II. erfolgte die Heilig-sprechung am 19. Juli 1903.

Aus den Lebzeiten des Heiligen bzw. den Jahren kurz nach seinem Tod hat sich in der Kathedrale von Kursk ein Gemälde erhalten, dass ihn wohl recht lebensnah wiedergibt. Es zeigt ihn in der typischen Ikonographie, die seitdem sein Bild – und auch die vorliegende Ikone – bestimmt: barhäuptig mit weißem Haar und rundem, zweige-teiltem kurzen Bart.

Die Größe der Trägertafel beträgt bei der begutachteten Ikone lediglich 15,7 cm (Höhe) x 14,5 cm (Breite). Sie zeigt eine recht ungewöhnliche Ikonographie des hl. Serafim, die wohl dadurch bedingt ist, dass es sich um einen Laienmaler handelte, der die kanonische Darstellungsweise nicht kannte.

So steht der Heilige hier in der – vom Betrachter aus gesehen – rechten unteren Ecke, während den größten Bildteil eine recht grob gemalte, überdimensionierte und unproportional gezeichnete Stadtarchitektur ausmacht. Zudem trennt den Heiligen von der Stadt auch noch eine ebenfalls deutlich zu groß proportionierte Wolkenband, über der die Hand Gottes sichtbar wird, von der Strahlen zur Stadt ausgehen. Es muss unklar bleiben, ob damit das himmlische Jerusalem gemeint sein soll, oder der Maler lediglich in jeglicher Art von Dimension und Proportion völlig unerfahren war.

Gekleidet ist der hl. Serafim, der auf die Stadt weist, in ein gegürtetes langes weißes Gewand. Um seinen Hals trägt er ein großes Kreuz. Ansonsten entspricht seine Darstellung in etwa der üblichen, was Physiognomie und Barttracht angeht, allerdings in stark vergröberter Weise.

Die Ikone trägt auf ihrem Rand einen Metallbeschlag, und zwar aus Messing. Solche Beschläge haben in der Iko-nenkunst, besonders der russischen, schon eine sehr alte Tradition, wobei zuerst die Metallbeschläge aus kleinen Täfelchen bestanden, die auf die Holztafel der Ikone aufgenagelt worden sind. Später wurden dann größere me-tallene Auflagen beliebt, die entweder den Hintergrund der Ikone bedeckten oder auch die Figur der dargestellten Personen in Treibarbeit nachgestalteten und nur die Inkarnate freiließen.

Der Zweck dieser Metallbeschläge ist wohl einerseits in dem praktischen Nutzen eines bestimmten Schutzes für die ja relativ empfindliche Ei-Tempera-Malerei zu sehen, andererseits aber dürfte auch der Wunsch eine Rolle gespielt haben, die Ikone durch solche Beschläge zu verschönern und zu ehren.

Im vorliegenden Fall handelt es sich bei dem Metallbeschlag aber offensichtlich nicht um eine von vornherein intendierte Ausschmückung des Bildes, sondern es wurden lediglich alte Messingstreifen – offensichtlich sogar unterschiedlicher Provenienz – in ebenfalls recht grober Weise auf die Tafel aufgenagelt, was noch einmal die ama-teurhafte Herkunft der Ikone unterstreicht.

Bei der Ikone handelt es sich um eine russische Arbeit, und zwar dürfte sie nach der Art der gesamten Gestaltung von einem Laienmaler, möglicherweise einem Bauern stammen. Jedenfalls ist sie nicht das Werk eines irgendwie ausgebildeten oder gar professionellen Ikonenmalers. Die verwandten stilistischen Formen erlauben nach bestem Wissen und Gewissen eine Datierung in die Zeit um 1900.

Die Ikone liegt in originalem, also unrestauriertem Zustand vor. Ihr Erhaltungszustand ist als zufriedenstellend zu bezeichnen.

DER hEILIgE SERaFIM VON SaROV

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mETAllBESCHlAg

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Die Ikone zeigt jene wunderbare Erscheinung der Gottesmutter, welche sich der Überlieferung nach in der Mitte des 9. Jahrhunderts – nach anderen Quellen jedoch erst im Jahre 910 – in der Blachernen-Kirche zu Konstantinopel ereignet hat, d.h. in jenem Gotteshaus, in dem schon seit dem 5. Jahrhundert der Kopfschleier bzw. Überwurf der Theotokos, ihr sog. „Maforion“, und ein Teil ihres Gürtels aufbewahrt worden sind. Am 1. Oktober, der in dem Jahr der wunderbaren Vision auf einen Sonntag fiel, sah der „Narr in Christo“ (griech. salos) Andreas (möglicherweise ein Skythe oder ein geborener Slave aus Novgorod, der 936 oder 956 gestorben sein soll) mit seinem Schüler Epifanios während des Vigilgottesdienstes die Gottesmutter auf den Wolken stehen – umge-ben von einer großen Schar von Engeln und Heiligen. Sie wandte sich im Gebet an ihren göttlichen Sohn und nahm die sündigen Menschen unter ihren Schutzmantel. So wird die Vision im 10. Jahrhundert von einem Priester an der Agia Sofia namens Nikeforos berichtet, wobei ihr Ursprung wohl in dem feierlichen, bis zur Eroberung Konstantinopels durch die Kreuzfahrer allwöchentlich gefeierten Erhebungsritus des Maforions gelegen haben dürfte, über den Quellen des 12. Jahrhunderts berichten. Dabei wurde das Gewand der Gottesmutter von Priestern und Diakonen erhoben und dem Volk gezeigt. Die frühes-ten erhaltenen Ikonen aus dem 14. Jahrhundert deuten ebenfalls auf die Beziehung zu diesem Erhebungsritus hin, denn sie zeigen, wie Engel über die frontal darunter stehenden Gottesmutter einen langen Gewandstreifen halten. Das älteste Bilddenkmal überhaupt ist die Goldtauschierung an der Tür der Kathedrale zu Suzdal aus der 1. Hälfte des 13. Jahrhunderts.

Dargestellt ist auf der Ikone – wie in kirchenslawischer Majuskelschrift auch auf dem oberen Rand angegeben – das „bild der Obhut der allreinen gottesgebärerin“ (russ./kslv. Obraz Pokrova Presvjatyja bogorodicy).

THEmATik dER ikonE

B 37 cmH 44,3 cm

El 616

AllgEmEinE ikono-gRApHiSCHE Und

kUnSTgESCHiCHTliCHE BESCHREiBUng

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HERkUnfTS- UndAlTERSBESTimmUng

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In der Blachernen-Kirche wurde nun das Andenken dieses Festes alljährlich begangen, doch geriet es mit der Zeit in der griechischen Kirche in Vergessenheit, bis es in unserem Jahrhundert in schwerer Zeit, nämlich im Jahre 1940, als nationales Fest wieder eingeführt worden ist – allerdings 1952 auf den 28. Oktober verlegt wurde. Man dankt an diesem Tage in Griechenland besonders der Gottesmutter für die Errettung des Landes aus der deutschen Okkupation. In Russland hingegen ist das Fest als „Obhut der Gottesmutter“ (russ. „Pokrov“) seit dem 12. Jahrhundert durch mehrere Kirchendedikationen bezeugt. Besonders ist hier die 1165 vom Fürsten Andrej von Bogoljubovo errichtete gleichnamige Kirche an der Nerla (bei Bogoljubovo) zu nennen. Es war vor allem dieser später kanonisierte rus-sische Fürst, welcher die Einführung des Festes der Obhut der Gottesmutter in der Russischen Kirche vorantrieb. Heutzutage sind zahlreiche Kirchen in ganz Russland und auch der russischen Emigration überall in der Welt nach diesem Titel benannt, so u.a. in Deutschland die Kirche in der Ständigen Vertretung der Russischen Orthodoxen Kirche in Düsseldorf (Ellerstr. 213).

Die Größe der Trägertafel beträgt bei der begutachteten Ikone 44,3 cm (Höhe) x 37 cm (Breite). Sie zeigt im wesentlichen die traditionelle Ikonographie des Festes der Obhut, wobei allerdings zu wissen ist, dass das Thema – stärker als andere Ikonenmotive – im Laufe der Zeit eine recht reiche Ausgestaltung mit etlichen Variationen des ursprünglichen Bildtypus erfahren hat. Auf der vorliegenden Ikone ist im oberen Bildteil die Szene der Erscheinung in der Blachernenkirche dargestellt. Dabei ist diese byzantinische Kirche allerdings in ein typisch russisches Gotteshaus mit goldenen Zwiebelkuppeln transponiert worden, auf denen sich markant das achtendige (sog. „russische“) Dreibalkenkreuz erhebt. Im unteren Teil des Bildes ist die Ikonostase der Kirche zu sehen. Vor dieser, d.h. der mittleren Pforte der Ikonen-wand, steht – in ein rotes Sticharion gewandet – auf dem Ambon der hl. Romanos der Melode, dessen Fest ebenfalls am 1. Oktober gefeiert wird. In seiner Linken trägt er ein Schriftblatt, welches den Festhymnus des Tages, nämlich den Gesang „Siehe, heute steht die Jungfrau in der Kirche („Deva dnes …“)“ zeigt. Hier ist in unhistorischer Weise eine andere Erscheinung der Gottesmutter in der nämlichen Blachernen-Kirche mit der Vision des seligen Narren Andreas verwoben worden: nach der Oberlieferung schenkte nämlich die Gottes-gebärerin Maria dem eifrigen, aber unbegabten Sänger Romanos im 5. Jahrhundert durch eine nächtliche Vision, wie sie auf der vorliegenden Ikone am – vom Betrachter aus gesehen – rechten unteren Bildrand zu sehen ist, die Gabe des Gesanges und der Hymnendichtung, näherhin jener der 24-strophigen Kondakien. Da aber das erste und berühmteste der großartigen Kondakien des Romanos, dasjenige zur Geburt Christi ebenfalls mit den gleichen Wor-ten beginnt wie der Festgesang zu Mariä-Obhut, kam es wohl zur Verwechslung mit diesem späteren Text und der Hineinnahme des hl. Romanos in die Bildkomposition. Zur Linken des Diakons Romanos ist der halbnackte Narr in Christo Andreas neben seinem Schüler Epifanios zu sehen, dem er mit hoch erhobener Rechten die Vision zeigt. Auf der gegenüberliegenden, also vom Betrachter aus linken Seite ist der Patriarch von Konstantinopel im roten, reich mit goldenen Floralornamenten gezierten Sakkos mit einem strahlend weißen Omoforion zu sehen. Sein Name ist als Tarasios angegeben, womit jener durch seinen Einsatz für die Bilderverehrung bekannte Ökumenische Patri-arch gemeint ist, welcher 784–806 regierte. Hinter dem Patriarchen stehen auf einem Podest in ihren herrscherlichen Gewändern und mit Kronen der Kaiser und die Kaiserin, die hier nicht namentlich bezeichnet sind. Im Mittelfeld der oberen Bildzone der Ikone ist dann die auf den Wolken stehende Gottesmutter zu sehen, wel-che auf ihren in Orantinnen-Haltung zu Christus im Gebet erhobenen Händen ihren Schleier, das Maforion, trägt, das über die Unterarme gelegt ist. Ihr folgen ein weißgekleideter Engel und einige weitere Heilige, zumeist Apostel. Darüber ist in der vom Betrachter aus gesehen linken oberen Ecke über den Wolken Christus der Herr dargestellt, welcher die Welt segnet.

Bei der Ikone handelt es sich um eine russische Arbeit, und zwar dürfte sie nach der Art der gesamten Bildge-staltung aus einer Werkstatt des mittelrussischen Gebietes, möglicherweise einem der Malerdörfer des Vladimir-Suzdaler Raumes, möglicherweise aus Palech, stammen. Die verwandten stilistischen Formen wie auch die paläographische Einordnung der benutzten Schriftformen er-lauben nach bestem Wissen und Gewissen eine Datierung in die Zeit um 1800 bzw. die 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Insgesamt handelt es sich um eine schlichte, künstlerisch nicht sehr anspruchsvolle Malerei. Wie die noch vor-handenen Nagelspuren deutlich belegen, hatte die Ikone ursprünglich einen Metallbeschlag, was erklärt, warum die Inkarnate relativ sorgfältig, die übrige, dann unter dem Beschlag ohnehin verborgene und nicht sichtbare Male-rei aber demgegenüber gröber gefertigt worden ist.

Die Ikone liegt in originalem, also unrestauriertem Zustand vor. Ihr Erhaltungszustand ist als rundum gut zu bezeichnen; lediglich eine gewisse Verschmutzung sowie einige kleinere Kratzer sind zu erkennen, was aber für Ikonen, die einen Metallbeschlag trugen, sehr typisch ist. Zudem tangieren diese marginalen Abreibungen alle die erhaltene Malerei nicht wesentlich.

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Die Ikone zeigt jene wunderbare Erscheinung der Gottesmutter, welche sich der Überlieferung nach in der Mitte des 9. Jahrhunderts – nach anderen Quellen jedoch erst im Jahre 910 – in der Blachernen-Kirche zu Konstantinopel ereignet hat, d.h. in jenem Gotteshaus, in dem schon seit dem 5. Jahrhundert der Kopfschleier bzw. Überwurf der Theotokos, ihr sog. „Maforion“, und ein Teil ihres Gürtels aufbewahrt worden sind. Am 1. Oktober, der in dem Jahr der wunderbaren Vision auf einen Sonntag fiel, sah der „Narr in Christo“ (griech. salos) Andreas (möglicherweise ein Skythe oder ein geborener Slave aus Novgorod, der 936 oder 956 gestorben sein soll) mit seinem Schüler Epifani-os während des Vigilgottesdienstes die Gottesmutter auf den Wolken stehen – umgeben von einer großen Schar von Engeln und Heiligen. Sie wandte sich im Gebet an ihren göttlichen Sohn und nahm die sündigen Menschen unter ihren Schutzmantel. So wird die Vision im 10. Jahrhundert von einem Priester an der Agia Sofia namens Nikeforos berichtet, wobei ihr Ursprung wohl in dem feierlichen, bis zur Eroberung Konstantinopels durch die Kreuzfahrer all-wöchentlich gefeierten Erhebungsritus des Maforions gelegen haben dürfte, über den Quellen des 12. Jahrhunderts berichten. Dabei wurde das Gewand der Gottesmutter von Priestern und Diakonen erhoben und dem Volk gezeigt. Die frühesten erhaltenen Ikonen aus dem 14. Jahrhundert deuten ebenfalls auf die Beziehung zu diesem Erhebungs-ritus hin, denn sie zeigen, wie Engel über die frontal darunter stehenden Gottesmutter einen langen Gewandstreifen halten. Das älteste Bilddenkmal überhaupt ist die Goldtauschierung an der Tür der Kathedrale zu Suzdal aus der

Dargestellt ist auf der Ikone – wie in kirchenslawischer Majuskelschrift auch auf dem unteren Rand desMetallbeschlages mit den entsprechenden abkürzungen angegeben – die „Obhut der allreinen gottes-gebärerin“ (russ./kslv. Pokrov Presvjatyja bogorodicy).

THEmATik dER ikonE

B 22,5 cmH 26,5 cm

El 620

AllgEmEinE ikono-gRApHiSCHE Und

kUnSTgESCHiCHTliCHE BESCHREiBUng

dETAilBESCHREiBUngdES voRliEgEndEn WERkES

HERkUnfTS- UndAlTERSBESTimmUng

ERHAlTUngSzUSTAndUnd RESTAURATionEn

1. Hälfte des 13. Jahrhunderts. In der Blachernen-Kirche wurde nun das Andenken dieses Festes alljährlich be-gangen, doch geriet es mit der Zeit in der griechischen Kirche in Vergessenheit, bis es in unserem Jahrhundert in schwerer Zeit, nämlich im Jahre 1940, als nationales Fest wieder eingeführt worden ist – allerdings 1952 auf den 28. Oktober verlegt wurde. Man dankt an diesem Tage in Griechenland besonders der Gottesmutter für die Errettung des Landes aus der deutschen Okkupation. In Russland hingegen ist das Fest als „Obhut der Gottesmutter“ (russ. „Pokrov“) seit dem 12. Jahrhundert durch mehrere Kirchendedikationen bezeugt. Besonders ist hier die 1165 vom Fürsten Andrej von Bogoljubovo errichtete gleichnamige Kirche an der Nerla (bei Bogoljubovo) zu nennen. Es war vor allem dieser später kanonisierte russische Fürst, welcher die Einführung des Festes der Obhut der Gottesmutter in der Russischen Kirche vorantrieb. Heutzutage sind zahlreiche Kirchen in ganz Russland und auch der russischen Emigration überall in der Welt nach diesem Titel benannt, so u.a. in Deutschland die Kirche in der Ständigen Vertre-tung der Russischen Orthodoxen Kirche in Düsseldorf (Ellerstr. 213).

Die Größe der Trägertafel beträgt bei der begutachteten Ikone 26,5 cm (Höhe) x 22,5 cm (Breite). Es handelt sich also um die Ausmaße einer typischen Hausikone, die ihren Platz in der sogenannten „Schönen Ecke“ (russ. Krasnyj ugol), also der Ikonenecke des Hauses bzw. Zimmers findet. Sie zeigt im wesentlichen die traditionelle Ikonographie des Festes der Obhut, wobei allerdings zu wissen ist, dass das Thema – stärker als andere Ikonenmotive – im Laufe der Zeit eine recht reiche Ausgestaltung mit etlichen Variationen des ursprünglichen Bildtypus erfahren hat. Auf der vorliegenden Ikone ist im oberen Bildteil die Szene der Erscheinung in der Blachernenkirche dargestellt. Dabei ist diese byzantinische Kirche allerdings in ein typisch russisches Gotteshaus mit fünf Zwiebelkuppeln transponiert worden, auf denen sich das achtendige (sog. „russische“) Dreibalkenkreuz erhebt. Im unteren Teil des Bildes ist der Innenraum der Kirche zu sehen. Hier, d.h. der mittleren Pforte der Ikonenwand, steht – in ein Sticharion gewandet – auf dem Ambon der hl. Romanos der Melode, dessen Fest ebenfalls am 1. Oktober gefeiert wird. Hier ist in unhis-torischer Weise eine andere Erscheinung der Gottesmutter in der nämlichen Blachernen-Kirche mit der Vision des seligen Narren Andreas verwoben worden: nach der Überlieferung schenkte nämlich die Gottesgebärerin Maria dem eifrigen, aber unbegabten Sänger Romanos im 5. Jahrhundert durch eine nächtliche Vision, wie sie auf der vorlie-genden Ikone am – vom Betrachter aus gesehen – rechten unteren Bildrand zu sehen ist, die Gabe des Gesanges und der Hymnendichtung, näherhin jener der 24-strophigen Kondakien. Da aber das erste und berühmteste der großartigen Kondakien des Romanos, dasjenige zur Geburt Christi ebenfalls mit den gleichen Worten beginnt wie der Festgesang zu Mariä-Obhut, kam es wohl zur Verwechslung mit diesem späteren Text und der Hineinnahme des hl. Romanos in die Bildkomposition. Zur Linken des Diakons Romanos ist der halbnackte Narr in Christo Andreas neben seinem Schüler Epifanios zu sehen, dem er mit hoch erhobener Rechten die Vision zeigt. Auf der gegenüber-liegenden, also vom Betrachter aus linken Seite ist der Patriarch von Konstantinopel im reich mit Floralornamenten gezierten Sakkos zu sehen. Hinter dem Patriarchen stehen in ihren herrscherlichen Gewändern und mit Kronen der Kaiser und die Kaiserin. Im Mittelfeld der oberen Bildzone der Ikone ist dann die auf den Wolken stehende Gottes-mutter zu sehen, welche auf ihren in Orantinnen-Haltung zu Christus im Gebet erhobenen Händen ihren Schleier, das Maforion, trägt, das über die Unterarme gelegt ist. Ihr folgen ein Engel und einige weitere Heilige, zumeist Apostel und Bischöfe.

Die Ikone trägt einen schön gefertigten, allerdings schon im wesentlichen maschinell gepressten und dann mit Hand nachbearbeiteten Metallbeschlag, und zwar aus massiven und dann vergoldetem Messing. Solche Beschläge haben in der Ikonenkunst, besonders der russischen, schon eine sehr alte Tradition, wobei zuerst die Metallbe-schläge aus kleinen Täfelchen bestanden, die auf die Holztafel der Ikone aufgenagelt worden sind. Später wurden dann größere metallene Auflagen beliebt, die entweder den Hintergrund der Ikone bedeckten oder auch die Figur der dargestellten Personen in Treibarbeit nachgestalteten und nur die Inkarnate freiließen. Der Zweck dieser Metall-beschläge ist wohl einerseits in dem praktischen Nutzen eines bestimmten Schutzes für die ja relativ empfindliche Ei-Tempera-Malerei zu sehen, andererseits aber dürfte auch der Wunsch eine Rolle gespielt haben, die Ikone durch solche Beschläge zu verschönern und zu ehren. Die teils geometrische, teils florale Ornamentik des Randes wie auch jene des separaten und dann aufgesetzten Nimbus ist ebenfalls sehr typisch für die Zeit. Hervorzuheben ist die reiche Ausgestaltung des Beschlages, die die darunter liegende Malerei an Detailfreude deutlich übertrifft.

Bei der Ikone handelt es sich um eine russische Arbeit, und zwar dürfte sie nach der Art der gesamten Bildge-staltung aus einer Werkstatt des mittelrussischen Gebietes, möglicherweise einem der Malerdörfer des Vladimir-Suzdaler Raumes, stammen. Die verwandten stilistischen Formen wie auch die paläographische Einordnung der benutzten Schriftformen erlauben nach bestem Wissen und Gewissen eine Datierung in die Mitte bis 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Insgesamt handelt es sich um eine schlichte, künstlerisch nicht sehr anspruchsvolle Malerei. Da sie von Anfang an für den Metallbeschlag bestimmt war, wurden die Inkarnate relativ sorgfältig, die übrige, dann unter dem Beschlag ohnehin verborgene und nicht sichtbare Malerei aber demgegenüber gröber gefertigt.

Die Ikone liegt in originalem, also unrestauriertem Zustand vor. Ihr Erhaltungszustand wie auch der des Metall-beschlages (s.u.) ist als sehr gut zu bezeichnen.

DIE gOTTESMUTTER POKROV UND DER hEILIgE ROMaNOS

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Dargestellt ist, wie schon gesagt, auf der Ikone der hl. Nikolaus von Myra, einer der – sowohl in der orthodoxen wie in der abendländischen Christenheit – meistverehrten Heiligen, dessen Fest nach dem Kalender der Orthodo-xen wie der westlichen Kirche am 6. Dezember begangen wird. Die Russische Orthodoxe Kirche gedenkt zudem am 9. Mai der Übertragung seiner Gebeine nach Bari. Trotzdem es sich beim hl. Nikolaus um einen seit ältesten Zeiten besonders verehrten Heiligen handelt, haben wir nur wenige historisch belegbare bzw. glaubhafte Nachrichten über ihn, zumal offenbar zahlreiche Züge aus den Viten anderer gleichnamiger Heiliger, z.B. des Abtes Nikolaos vom Sion, auf den Bischof von Myra übertragen worden sind. Als relativ gesichert kann Folgendes gelten: Er wurde um 270 (wohl in Patras in Lykien) geboren. Sein Vater Eufemios (nach anderen Quellen: Theofanes, wie er auch auf der vorliegenden Ikone bezeichnet wird) war ein reicher, aber sehr frommer Christ, seine Mutter hieß Anna. Von seinem gleichnamigen Onkel, dem Bischof von Myra in Lykien (heute Demre südl. Kleinasien) wurde er zum Priester geweiht und zum Abt eingesetzt. Nach dem Tode des Onkels wurde Nikolaus selbst Bischof der Stadt und als solcher in der Verfolgung des Galerius (um 310) gefoltert. Als Teilnehmer am 1. ökumenischen Konzil in Nikaia 325 verteidigte er die Orthodoxie gegen Areios; im Alter von 65 Jahren soll er an einem Freitag, dem 6. Dezember 345/351, gestorben sein. Seine Gebeine wurden am 9. Mai (nach anderen Zeugnissen: am 4.9.) 1087 von Kaufleuten in die süditalienische Stadt Bari gebracht, wo sie noch heute vielverehrt ruhen. Nikolaus wird in Ost und West als hilfreicher Wunder-täter geehrt, wobei eine Reihe seiner Wunder bereits in den ältesten Vitenberichten bezeugt werden, so etwa die Traumerscheinung vor Kaiser Konstantinos dem Großen. Nachzuweisen ist seine Verehrung mit Sicherheit seit dem

Die Ikone zeigt einen der beliebtesten heiligen der Christen-heit, nämlich den hl. bischof Nikolaus von Myra, den Wundertäter, wie es auch die kirchenslawische Inschrift zu beiden Seiten des hauptes des heiligen vermerkt.

THEmATik dER ikonE

B 26,5 cmH 30,5 cm

El 631

AllgEmEinE HAgio- Und

ikonogRApHiSCHE BESCHREiBUng

dETAilBESCHREiBUngdES voRliEgEndEn WERkES

HERkUnfTS- UndAlTERSBESTimmUng

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6. Jahrhundert in Myra und in Konstantinopel, seit dem 9. Jahrhundert auch in Rom. In Rußland ist der hl. Nikolaus seit den ältesten Zeiten wohl bekannt und geehrt, denn schon der erste Warägerfürst, der das Christentum annahm,nämlich Askold (gest. 882) wurde vom damaligen Konstantinopler Patriarchen, dem hl. Fotios dem Großen, 866 auf den Namen Nikolaus getauft. So existieren überall in der orthodoxen Welt zahlreiche Kirchen wie auch viele Ikonen des Mannes, den sein Festgesang mit den Worten ehrt: „Die Wahrheit deiner Werke, Vater und Bischof Nikolaus, machte dich für deine Herde zur Regel des Glaubens, zum Vorbild der Milde, zum Heister der Mäßigung. Deshalb erhieltst du für deine Demut die Erhöhung, für deine Armut den Reichtum. Bitte Christus Gott, dass er errette unsere Seelen!“

Die Größe der Trägertafel beträgt bei der begutachteten Ikone 30,5 cm (Höhe) x 26,5 cm (Breite). Es handelt sich also um die Ausmaße einer typischen Hausikone, die ihren Platz in der so genannten „Schönen Ecke“ (russ. Krasnyj ugol), also der Ikonenecke des Hauses bzw. Zimmers findet. Die Ikone trägt einen schön gearbeiteten Metallbe-schlag, und zwar aus handgetriebenem Messing. Solche Beschläge haben in der Ikonenkunst, besonders der russischen, schon eine sehr alte Tradition, wobei zuerst die Metallbeschläge aus kleinen Täfelchen bestanden, die auf die Holztafel der Ikone aufgenagelt worden sind. Später wurden dann größere metallene Auflagen beliebt, die entweder den Hintergrund der Ikone bedeckten oder auch die Figur der dargestellten Personen in Treibarbeit nachgestalteten und nur die Inkarnate freiließen, wie es auch bei der vorliegenden Ikone der Fall ist. Der Zweck dieser Metallbeschläge ist wohl einerseits in dem praktischen Nutzen eines bestimmten Schutzes für die ja relativ empfindliche Ei-Tempera-Malerei zu sehen, andererseits aber dürfte auch der Wunsch eine Rolle gespielt haben, die Ikone durch solche Beschläge zu verschönern und zu ehren. Im vorliegenden Fall zeichnet der Beschlag in sehr detail- und ornamentreicher Weise die darunter befindliche, ihrerseits mit Ausnahme der Inkarna-te wesentlich einfachere Malerei nach. Er wurde von Hand unter Verwendung von fertigen Stanzen getrieben. Der Nimbus ist separat gefertigt und dann aufgesetzt worden. Dass die darunter liegende Malerei im Vergleich zu der Detailfreude und reichen Ornamentik des Metallbeschla-ges teilweise relativ grob gefertigt ist, ist dadurch zu erklären, dass die Ikone von Anfang an für den Beschlag be-stimmt war. Dies erklärt, warum der Maler die Inkarnate relativ sorgfältig gefertigt, die übrige, dann unter dem Beschlag ohnehin verborgene und nicht sichtbare Malerei aber relativ einfach gefertigt hat. Dargestellt ist der Heilige, wie üblich in der orthodoxen Sakralkunst, frontal in Halbfigur in bischöflicher Ge-wandung. Seine gesamte Physiognomie entspricht dem traditionellen Bildkanon und wird im Malerhandbuch des Berges Athos, der berühmten „Hermeneia“ des Dionysios von Fourna, als die eines „Greises, kahlköpfig mit rundem Bart“ beschrieben. So begegnet er uns auch schon auf den ältesten Darstellungen, zu denen das Fresko von 757–767 in S. Maria Antiqua in Rom gehört. Auch auf allen Ikonen sehen wir den hl. Nikolaus als Asketen mit ausgeprägt hoher Stirn und breiten Schläfen und mit einem abgerundeten kurzen Bart – so auch hier. Er trägt die bischöfliche liturgische Gewandung, d.h. ein Felonion und darüber das eigentliche bischöfliche Amtszeichen, nämlich das Omoforion, einen langen über beide Schultern gelegten und mit großen Kreuzen verse-henen Gewandstreifen, welcher die Bürde der geistlichen Schafe symbolisiert, die der Bischof zu tragen hat. Mit seiner Rechten segnet der hl. Bischof in der alten byzantinischen bzw. altrussischen Art, d. h. er legt Dau-men, Ring- und kleinen Finger zusammen, die die Göttliche Dreieinigkeit symbolisieren, während der Zeige- und der leicht gekrümmte Mittelfinger emporstehen und auf die bei den Naturen in Christus, die göttliche und die mensch-liche, hindeuten sollen. In seiner Linken hält Bischof Nikolaus das geschlossene Evangelienbuch, auf dem das Kreuz sichtbar ist. Zu beiden Seiten des Hauptes des Heiligen sind – hier durch den Nimbus des Metallbeschlages teilweise verdeckt – in halbfigurigen Darstellungen Christus – segnend mit dem Evangelienbuch in der Linken – und die Gottesmutter mit dem Omoforion oder Schutzmantel in zwei Kreissegmenten gemalt. Eine jüngere, seit dem 13. Jahrhundert auch in die Ikonographie umgesetzte Legende deutet diese beiden Gestalten so: Weil der hl. Nikolaus auf dem Konzil von Nikaia voller Zorn über die Irrlehren den Häretiker Areios geohrfeigt hat, wurde er seiner bischöflichen Würde entsetzt; daraufhin erschienen ihm Christus und Seine allreine Mutter, die dem hl. Nikolaus die Amtszeichen des Bischofs wiedergaben, da er für die gerechte Sache und die Reinheit des orthodoxen Glaubens gestritten hatte.

Bei der Ikone handelt es sich um eine russische Arbeit, und zwar dürfte sie nach der Art der gesamten Bildge-staltung aus einer Werkstatt des mittelrussischen Gebietes, möglicherweise einem der Malerdörfer des Vladimir-Suzdaler Raumes, stammen. Hervorzuheben ist vor allem die Qualität der Malerei der Gesichter, vor allem des hl. Nikolaus. Und natürlich die handwerkliche wie künstlerische Qualität des Metallbeschlages. Die verwandten stilistischen Formen wie auch die paläographische Einordnung der benutzten Schriftformen erlauben nach bestem Wissen und Gewissen eine Datierung in die 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts bzw. noch die Zeit um 1800.

Die Ikone liegt in originalem, unrestauriertem Zustand vor. Der Erhaltungszustand der Malerei wie des Beschla-ges ist als gut zu bezeichnen.

DER hEILIgE NIKOLaUS

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Als „Fundament der Propheten“ preist der Festgesang am 20. Juli den alttestamentlichen Propheten ELIJA und nennt ihn den „zweiten Vorläufer der Ankunft Christi“, denn schon die spät jüdische Überlieferung sieht in ihm den Vorboten der Ankunft des Messias, wie der Prophet Malachias bezeugt: „Ich sende euch Elija, den Thesbiter, und er wird zurückwenden das Herz des Vaters zu dem Sohne, damit ich nicht komme und das Land gründlich schlage.“ (Mal 4,5 f.). Die Deutung der Kirchenväter hat diese Vorläuferschaft des Elija auf die zweite Ankunft des Herrn am Ende der Tage gedeutet (vgl. die 57. Homilie des hl. Joannes Chrysostomos zu Mattäus): „Die Propheten tun der doppelten Ankunft Erwähnung und sagen, dass Elija der Vorläufer der einen, d.h. der zweiten sein würde; denn der Vorläufer der ersten war Johannes, den Christus Elija nannte, nicht als wäre er wirklich Elija gewesen, sondern weil er dessen Amt erfüllte. Gleichwie Elija Vorläufer der zweiten Ankunft sein wird, so war Johannes Vorläufer der ers-ten. … Der Thesbiter wird kommen vor jener Ankunft, auf welche das Gericht folgt. … Er wird kommen, um die Juden zum Glauben an Christus zu bewegen“. ÄhnIich schreibt beispielsweise der Erzbischof Theophylaktos von Achrida (Ohrid) am Ende des 11. Jahrhunderts: „Elija wird kommen als ... Vorläufer der zweiten Ankunft und zum Glauben an Christus alle Juden führen, die auf ihn hören werden, wenn er sie gleichsam zum Erbe der Väter führt, von dem sie abgefallen waren“. Somit zeigt die Gestalt des Propheten einen stark eschatologischen Zug. Dies ist wohl auch der Grund, wes-halb er zusammen mit Moses den Jüngern bei der Verklärung Christi auf dem Tabor erscheint (vgl. Mt 17,3; Mk. 9,4; Lk 9,30): Wie jener den Alten Bund repräsentiert, so Elia das neue Jerusalem am Ende aller Zeiten. Diese Bedeutung des Propheten ist in der orthodoxen Kirche allezeit unterstrichen worden. Daher wird sein Festtag in vielen Ländern, besonders des Balkan, feierlich begangen und ist ihm beispielsweise – neben vielen anderen Patrozinien – in Kiev die älteste, schon vor der allgemeinen Christianisierung 988 unter dem Fürsten Igor erbaute Kirche geweiht. Im griechi-schen Raum wird er als Schutzpatron vor Regen, Donner und Blitz verehrt, bei den slavischen Völkern – wohl wegen der Terminierung seines Festtages im Hochsommer – auch als Spender der Fruchtbarkeit und des guten Erntewetters. In der westlichen Kirche konnte sich allerdings – außer im Karmeliter-Orden, der ihn als seinen Gründer und besonderen

Die Ikone zeigt den alttestamentlichen Propheten Elija (griech. Elias) mit mehreren Szenen aus seinem Leben, wobei die feurige auffahrt dominant dargestellt ist. Das besondere dieses Werkes liegt darin, dass hier eine Metallikone in ein holzbrett eingesetzt worden ist.

THEmATik dER ikonE

B 28 cmH 33 cm

El 1104

AllgEmEinE HAgio- Und

ikonogRApHiSCHE BESCHREiBUng

aUFFahRT DES PROPhETEN ELIaS

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dETAilBESCHREiBUngdES voRliEgEndEn WERkES

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Beschützer sieht – seine Verehrung nicht durchsetzen; so besitzt der Prophet im Martyrologium Romanum nicht ein-mal eine Erwähnung. Der große Prophet wurde in Thesbe (Tischbe), einer Stadt Gileads in Transjordanien, geboren und entstammte nach jüdischer Tradition einer Priesterfamilie. Als Mann der Askese trug er als Kleidung nur eine Tunika aus Schaffell, einen ledernen Gürtel und einen härenen Mantel. Nach der Überlieferung der Alten Kirche, die Basileios der Große besonders bezeugt, hat Elija auf dem Berge Karmel gelebt. Während der großen Trockenheit hielt sich Elija am Bache Kerit auf (I Kön 17, 2–6), wo ihm ein von Gott gesandter Rabe morgens und abends die Speise brach-te. Hervorgetreten ist der Prophet besonders als Mahner gegen die Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit des baal-gläubi-gen Königs Achab (875–854) von Israel wie überhaupt durch seinen Kampf gegen die Baalspropheten (vgl. 1 Kön 18, 16–40). Dem tyrannischen König kündigte der Gotteseiferer das Gericht an, nachdem dieser den Nabot von Jesreel ermordet hatte (1 Kön 21 , 17–29). Neben Henoch war Elija der einzige alttestamentliche Gerechte, der von Gott direkt in das himmlische Reich aufgenommen wurde, als ein Feuerwagen den Propheten wegführte und in den Himmel erhob (vgl. 2 Kön 2, 1–15). Daher wird er auf vielen Ikonen der Auferstehung Christi zusammen mit Henoch und dem gerechten Schächer im Paradiesesgarten gezeigt. Die feurige Auffahrt des Propheten wird schon von den Vätern als besonderer Beleg seiner Annahme durch Gott gesehen und fand entsprechend in den griechischen Menologien eine besondere Würdigung, so etwa bei Basileios II. (PG 97,55 1). In den liturgischen Hymnen wird sie folgendermaßen besungen: „Der Eiferer Elija, der Beherrscher der Leidenschaften, heute schaut man, wie er in die Lüfte emporsteigt als erwählter Eingeweihter des Heiles für alle Welt. O unzerstörbare Herrlichkeit, der gewürdigt worden ist der hohe Prophet, er, der auserwählte Schmuck der Propheten. Denn er wurde erweisen durch seine aufrechten Taten als Engel im Leibe und als Mensch, der nicht fleischlich ist. Da wir ihn preisen, laßt uns rufen: Stehe uns bei, Weiser, am Tage des Gerichts.“

Die Größe der Trägertafel beträgt bei der begutachteten Ikone 33 cm (Höhe) x 28 cm (Breite), die der eingefügten Metallikone 14,5 x 11,5 cm. Insofern dürfte es sich um eine typische Hausikone handeln, die ihren Platz in der so genannten „Schönen Ecke“ (russ. Krasnyj ugol), also der Ikonenecke des Hauses bzw. Zimmers findet. Sie zeigt auf der Metallikone in der Mitte wichtige Szenen aus dem Leben des alttestamentlichen Propheten. Die erste Szene zeigt dominierend im oberen Feld die feurige Auffahrt des Propheten, wobei er seinem Schüler Elischa den Mantel herun-terwirft, der sich ihm in ganzer Gestalt entgegenstreckt. Dabei wird Elija von einem auf Wolken schwebenden und von geflügelten Pferden gezogenen Wagen zum Himmel geführt. Darunter ist – auf der linken (d. h. in der Sichtweise des Betrachters rechten!) Seite des Bildes – zu sehen, wie Elija und Elischa den Jordan überqueren, indem der Pro-phet mit seinem zusammengefalteten Mantel auf das Wasser schlägt und dieses zurückweicht und einen trockenenWeg durch das Flußbett freigibt. Auf der (vom Betrachter aus) linken Seite des Bildes ist ganz unten Elija ruhend in der Wüste zu sehen, wo ihn ein Engel stärkt und zum Berge Horeb schickt (3 Kön 19,4 ff.: „Und Elija lag und ruhte sich aus unter einem Rathmenbaum, und siehe, der Engel des Herrn kam zu ihm und sprach zu ihm: ,Steh auf, iß und trink!‘ Und Elija schaute auf, und siehe, bei seinem Haupte lagen ein Weizenbrot und ein Krug Wasser. Und Elija stand auf und aß und trank und legte sich wieder schlafen. Der Engel des Herrn weckte ihn ein zweites Mal und sagte ihm: ,Steh auf und iß, denn dein Weg ist weit!‘ “. Schräg darüber sehen wir die Speisung des in der Höhle sitzenden Thesbiten durch den Raben, ein Motiv, das sowohl in der Monumental- wie der Tafelikonenmalerei sehr beliebt ist, zumal man hierin einen alttestamentlichen Hinweis auf das Abendmahl sah. Haltung und Gesichtsaus-druck des Elija strahlen dabei innere Ruhe und Gottvertrauen aus. Das volle Haupthaar fällt weit über die Schulternherab, das mächtige Barthaar ergänzt die charakteristische Physiognomie eines in Gott ruhenden machtvollen Pro-pheten. So wird gleichsam im Bild illustriert, was ein Vers zur Vesper seines Festes sagt: „Nicht im Beben der Erde, sondern im linden Hauch, hast du geschaut die Gegenwart Gottes, gottseliger Elija, die einst dich hat erleuchtet. Mit dem Wagen bist du vierspännig einhergefahren und hast den Himmel wunderbar durchquert auf ungekannte Weise als ein vom Gottesgeist Ergriffener.“ Auf dem Rand der Ikone finden sich – nunmehr in der traditionellen Ei-Tempera-Malerei – noch die Gestalt des weißgekleideten Schutzengels (vom Betrachter aus in der linken oberen Tafelseite), eines hl. Bischofs (darunter), wohl eines Apostels (rechts oben) und einer hl. Frau (darunter). Da die Namenszuschriften allerdings weitgehend abgerieben sind, ist eine sichere Identifizierung der drei Heiligen nicht möglich. Bei diesen Heiligen dürfte es sich mit ziemlicher Sicherheit um die Patrone der Stifter bzw. Besitzer der Ikone handeln, möglicherweise um jene einer Familie.

Bei der Ikone handelt es sich eindeutig um eine russische Arbeit, und zwar dürfte sie nach der Art der gesamten Bildgestaltung aus einer qualitätvollen Malerei Werkstatt des mittelrussischen Gebietes stammen. Ihre Besonder-heit besteht in der Einfügung der weiß und blau emaillierten Metallikone, die mit großer Fertigkeit gegossen wurde.Die verwandten stilistischen Formen wie auch die paläographische Einordnung der benutzten Schriftformen erlau-ben nach bestem Wissen und Gewissen eine Datierung in die Zeit um 1800 bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts für die Malerei. Die Metallikone ist allerdings möglicherweise bis zu einem Jahrhundert älter, wie die florale Randornamen-tik belegt.

Die Ikone liegt in originalem, also unrestauriertem Zustand vor. Der Erhaltungszustand der Tafel ist insgesamt als sehr zufriedenstellend einzustufen. Lediglich einige kleinere, doch aufs Ganze gesehen vollkommen marginale kleinere Abreibungen sind zu vermerken. Die Metallikone weist zwar an einigen wenigen Stellen kleinere Abblätte-rungen des Email auf, ist ansonsten aber ausgezeichnet erhalten, was sie sicher der Tatsache zu verdanken hat, dass sie schon frühzeitig in die Holztafel eingepasst worden ist.

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