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Forschungsarbeiten des Musikwissenschaftlichen Instituts der Universit¨at Leipzig Band II Walter Gerstenberg Die Klavierkompositionen Domenico Scarlattis MCMXXXIII Gustav Bosse Verlag, Regensburg 1 Not for Distribution
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Aug 13, 2018

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Forschungsarbeiten des Musikwissenschaftlichen

Instituts der Universitat Leipzig

Band II

Walter Gerstenberg

Die Klavierkompositionen

Domenico Scarlattis

MCMXXXIII

Gustav Bosse Verlag, Regensburg

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Vorwort

Das vielstrebige Schaffen des 18 Jahrhunderts, das sich auf breitester

Grundlage auf baut, hat zur Folge, daß der andrangende “Neue Stil” bald

bei dieser, bald bei jener Nation, bald auf diesem, bald auf jenem Gebiete

der Instrumentalmusik starker zum Durchbruch kommt. Die Werkgattun-

gen lassen sich nicht ohne weiteres als konservativ oder fortschrittlich ordnen,

auch ist in dieser Epoche noch ein gut Teil jener terminologischen Freiheit

der Barockzeit lebendig, die die Formengrenzen verschleiert.

So hat auch der Begriff “Sonate” einen Sinngehalt, der bei den fuhrenden

Meistern allein schon danach wechselt, ob das gemeinte Werk einen Einzel-

nen oder mehrere Spieler beschaftigt. In Italien wird die Sonate fruher als

in Deutschland Zentral-form der Klaviermusik, aber die “klassische” ital-

ienische Klaviersonate, wie sie Domenico Scarlatti pragt, unterscheidet sich

zu nachst durch ihre unmittelbare Nahe zum Barock von der Losung, die

auf deutschem Boden erzielt wird; hier muß die Sonate erst durch Empfind-

samkeit und Sturm und Drang hindurchgehen. Solche fur die deutsche Kunst

uberhaupt so bezeichnenden “Umwege” bleiben Italien erspart.

Ein versuch, Domenico Scarlattis Stellung in der Geschichte der Klavier-

musik und der Klaviersonate im besonderen gerecht zu werden, bekommt

aus dieser Antithese Richtung und Form. Scarlatti ist ebensosehr ein nach-

barocker wie ein vorklassischer Meister der Klaviersonate –, aber beides

eben von Deutschland aus gesehen. Daher rueckt der vorliegende Beitrag

nach Sichtung der Daten – die sich in Quellenkritik, Literaturubersicht und

biographischen Abriß gliedert –, ehe er an das objekt selbst herantritt,

den Blickpunkt in einige Entfernung von ihm. Dann erst, so scheint dem

Verfasser, sind die eigenen Zeichen erkennbar, in denen Scarlattis Werk

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steht, wird deutlich, wie es Formalismus und Neutonertum zum historischen

Phanomen eint.

Stete Forderung und Unterstutzung seiner Plane fand der Verfasser bei

Herrn Professor Dr. Th. Kroyer (Leipzig): ihm gilt sein erster Dank. Herr

Professor E. J. Dent (Cambridge) stand dem Verfasser jederzeit mit Rat und

Tat zur Seite, Herr Privatdozent Dr. H. Zenck (Leipzig) gab ihm entschei-

dende Hinweise.

Die folgenden Institute haben die bibliothekarischen Vorarbeiten beson-

ders unterstutzt: Die Preußische Staatsbibliothek, Berlin, die Bayerische

Staatsbibliothek, Munchen, die Sachsische Landesbibliothek, Dresden, die

Staats-, und Universitatsbibliothek Hamburg, die Universitatsbibliothek

Munster; die Bibliothek der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien; die

Markus-Bibliothek in Venedig, die Biblioteca Palatina (Sezione Musicale)

in Parma; das Britische Museum, London, das Fitzwilliam Museum,

Cambridge; die Bibliotheque Nationale, Paris; die Bibliotheque Royale,

Brussel.

Leipzig, im Herbst 1930

WALTER GERSTENBERG

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INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT

ERSTES KAPITEL

I. Textuberlieferung – Die vier handschriftlichen Hauptquellen in Venedig,

Parma, Munster und Wien – Vergleichende Ubersicht unter Heranziehung

der wichtigsten Neudrucke – Sekundare handschriftliche Quellen – Tonarten-

verhartnisse in der Kraviermusik Scarlatlis – Altere Drucke – Neuere Drucke

II. Literaturbesprechung

III. Biographischer Abriß – Zur Musikanschauung Scarlattis

ZWEITES KAPITAL

I. Fruhformen der Klaviermusik – Die Toccata – Sonata und Toccata

am Ausgang der Barockzeit – Oper und Klaviermusik: der Venezianer

Sonatistenkreis – Die Sinfonie – Ihr Zusammenhang mit der da-capo-Arie –

Triosonate, Sinfonie, Konzert – Barocke und galante Kunst – Toccata und

Suite nach Frescobaldi – Michelangelo Rossi – Bernardo Pasquini und die

Klaviersonate – Alessandro Scarlatti – Domenico Zipoli –Gaetano Greco –

della Ciajas Sonate - Francesco Durante -Spanien: Fray Antonio Soler

II. Grundzuge der spatbarocken italienischen Instrumentalmusik – Sequenz

und Fortspinnung – Drei Typen der einsatzigen Sonate Scarlattis – Formale

Einzelzuge – Ein Ubergangs-typus – Suitensatze – Freie Satze: Variation,

Toccata, Capriccio, Pastorale und Aria

III. Die Fugen – Die mehrsatzigen Sonaten – Ihr Verhaltnis zu Toccata,

Suite und zur instrumentalen Kammermusik -Generalbaßnotierung in der

Klaviermusik – Ein- und zweisatzige Sonate

IV. “Motiv” und “Thema” – Die Imitationstechnik – Die Motiv-bildung

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– Das Echo und der Dur-Mollkontrast – Die Rolle der Seltenmotivgruppe

– Koda und Kadenz – Die Zwischentonika – Die Durchfuhrung – Die

Reprisentechnik – Großform und Großharmonik – Zur Rhythmik – Das

harmonische Detail: die Acciaccaturen – Stimmfuhrung, Dynamik und

Klanglichkeit –Clavichord und Cembalo

V. Zur Chronologle der Scarlattischen Klavlerwerke

Vl. Die Rolle des Instrumentes - Außerklavieristische Beziehungen – “Es-

sercizi” – Der Spieler – Schematik der Gestaltung – Scarlatti, Bach, Handel

und Rameau – Scarlattis Stellung zwischen Barock und Klassik: die galante

Kunst

VERZEICHNIS

ANHANG:

Thematischer Katalog

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ERSTER KAPITELI

Die Klavierwerke Domenico Scarlattis sind ganz uberwiegend hand-

schriftlich uberliefert. Vier umfangreiche handschriftliche Quellen konnen

nachgewiesen werden; die alteren Drucke haben sekundaren Quellenwert.

1. Die Markus - Bibliothek in Venedig besitzt in 15 Banden unter der

Signatur Mss. Italiani Cl.4 No.199-213 den großten Teil des Scarlattis-

chen Klavierschaffens, insgesamt 496 Werke.*1 Die außerordentlich prachtig

unter Verwendung verschiedenfarbiger Tinten geschriebenen Bande scheinen

aus dem Besitz der spanischen Konigin zu stammen, die als Prinzessin

von Portugal Schulerin Scarlattis gewesen war. Darauf deutet hin, dass

samtliche Bande auf dem Titeleinband mit einem Insignium geschmuckt

sind, welches die unter einer Krone vereinigten Wappen Portugals und

Spaniens darstellt.*2 Der hohe Stilisierungsgrad der Schrift laßt nicht

erkennen, ob verschiedene Schreiber bei der Anfertigung dieser Bande

beteiligt gewesen sind. Doch weist der kunstreiche Duktus auf einen

berufsmaßigen Kopisten hin, Die einzelnen Werke heißen Sonata I, Sonata

II usw.*3 Am Schluss der meisten Bande findet sich ein thematischer Index

mit erlauterndem spanischen Text. Zwolf Bande enthalten je 30 Sonaten,

Bd. X enthalt 34, Bd. XIV 61 Sonaten und Bd. XV 41 Sonaten. Das

Entstehungsjahr der Bande ist jeweils angemerkt. Diese Angaben werden

*1 Die einzelnen Bande (im folgenden stets als V bezeichnet), sind betitelt: Scarlatti,

Libro I usw.*2 Die Konigin Barbara vermachte dem Sanger Farinelli alle ihre Instrumente und

ihre sehr bedeutende Sammlung von Musikalien (J. Baretti, Reisen von London

nach Genua etc., Leipzig 1772, I S. 473 f); die Vermutung liegt nahe, dass sich

auch Scarlattis Werke darunter befunden haben. Der Weg der Mss. wurde also von

Madrid uber Bologna – wo Farinelli seinen Lebensabend verbrachte – nach Venedig

gefuhrt haben.*3 Die Bezeichnungen Minuetto, Fuga u. a. erscheinen dann als Untertitel.

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bei der Chronologie der Werke mitzusprechen haben. Der am fruhesten

datierte Band XIV tragt die jahreszahl 1742, der am spatesten datierte die

jahreszahl 1757 (Bd. XIII).

Die Bande sind 1835 in den Besitz der Markus-Bibliothek gekommen, der

Vorbesitzer laßt sich nicht mehr feststellen.

2. Die Biblioteca Palatina (Sezione Musicale) in Parma besitzt gleich-

falls 15 handschriftliche Bande*4 Scarlattischer Klavierwerke (Signatur: AG

31406-31420).*5 Wie die venezianischen Bande sind auch die vorliegenden

kunstvoll geschrieben, doch fehlt das den Einband schmuckende Wappen.

Die jahreszahlen, die auf dem Titelblatt eines jeden Bandes gegeben werden,

zeigen die Daten 1752 bis 1757. Auch hier scheint es sich um spanische Ab-

schriften zu handeln, wie wiederum der spanische Index-Text nahelegt. Die

im ersten Band enthaltenen Werke sind als “Toccata” bezeichnet, obgleich

sie in allen ubrigen Handschriften als “Sonata” erscheinen. Dreizehn Bande

bringen je 30 Werke; Bd. VII enthalt 31, Bd. XV 42 Sonaten. Insgesamt

sind hier also 463 Sonaten uberliefert.

E. J. Dent vermutet, daß die Originalhandschriften der Scarlattischen

Werke in einer der spanischen koniglichen Bibliotheken noch unentdeckt

ruhen.*6 Als solche konnen wenigstens weder die venezianischen noch die

Parmaer Handschriften angesehen werden.

3. Die Bibliothek des Abbe Santini birgt 5 starke handschriftliche Sammel-

bande Scarlattischer Klavierwerke.*7 Mit der gesamten Bibliothek Santinis

*4 Titelblatt des ersten Bandes fehlt, sonst lautet die Benennung der Bande wie Seite

7, Anm. 1, Im folgenden stets als P bezeichnet.*5 Die Angabe des Catalogo Generale etc. (Pubblicazioni dell’ Associazione dei Mu-

sicologi Italiani) Serie I, Citta di Parma. 1911, S. 258, in Parma seien “146” Toc-

caten und Sonaten Scarlattis uberliefert, beruht auf einem Irrtum und muß wie oben

verbessert werden.*6 “Auftakt” 1922. S. 326.*7 Im folgenden stets als Sant. bezeichnet.

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sind auch diese Bande in die Verwaltung der Universitats-Bibliothek Munster

i. W. ubergegangen, (Signatur: Sant Hs 3964-3968.) Sie enthalten insgesamt

349 Sonaten, die ungleichmaßig auf die einzelnen Bande verteilt sind. (Bd. I

90 Sonaten, Bd. II 60, Bd. III 70, Bd. IV 70, Bd. V 59 Sonaten.)*8 Auch die

Hss. Santini tragen teilweise jahres-zahlen-Angaben, die sich aber hier, im

Gegensatz zu V , auf das 6. Jahrzehnt des 18. jahrhunderts beschranken.

4. Eine umfangreiche Sammlung von Handschriften Scarlattischer Klavier-

werke, wohl zum großten Teil, wie durch Vergleich festgestellt werden konnte,

von der Feder Santinis geschrieben, besitzt die Bibliothek der Gesellschaft

der Musikfreunde in Wien.*9 Die 7 Bande, die der Bibliothek aus dem

Nachlaß von Johannes Brahms zugekommen sind, verzeichnen zusammen

308 Sonaten. (Bd. A 42, Bd. B 60, Bd. C 45, Bd. D 40, Bd. E 47, Bd. F 18

und Bd. G 56 Sonaten. Signatur: VII 28011, sieben Bande).

Auf die Mangel der Wiener Abschriften hat schon Dent hingewiesen.*10

Teilweise sind sie geradezu unleserlich geschrieben. Auffallen muß auch die

große Zahl von Dubletten.*11 Als Quellenwerk haben die Wiener Bande

jedenfalls nur geringeren Rang.

Die folgende Tabelle gibt vergleichend uber die handschriftliche

Uberlieferung der Klaviermusik Scarlattis in den vier genannten Bib-

liotheken Aufschluß:*12

*8 In Band V sind Son. 7–13 nur im thematischen Index verzeichnet, der Notentext

selbst ist verloren gegangen.*9 Im folgenden stets als W bezeichnet. Vergl. auch Thibaut, Uber Reinheit der

Tonkunst, 1826, S. 203 und die Bemerkungen Kandlers in der Munchener Allge-

meinen Musikzeitung 1828, S. 474 f.*10 a. a. O. S. 327.*11 So ist G 2 = B 56; G 4 = G 54; G 6 = A 18; G 7 = B 37; G 8 = A 16; G 9 = E 14;

G 11 = G 55; G 15 = A 9; G 32 = A 29; G 34 = B 38; G 36 = E 11; G 41 = E 13;

G 45 = C 9; G 50 = G 56.*12 Fur die Spalten GA und Czerny vergl. S. 38 f.

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V I P Sant. W GA Czerny1 a; 3

8

1 I 1 642 a; 4

4 I 2 933 F; 3

8 I 3 IV 24 B 24 1174 F; 3

8 I 4 IV 25 B 25 3305 G; 3

8 I 5 1796 G; 12

8 I 6 4457 B; 2

2 I 7 V 10 968 B; 3

8 I 8 1979 C; 4

4 I 9 V 45 101 10410 C; 3

8 I 10 40511 c; 3

8 I 11 IV 29 B 29 412 C; 6

8 I 12 IV 30 B 30 104 4113 D; 4

4 I 14 IV 28 B 28 1514 D; 3

8 I 13 41715 E; 3

4 ,44 I 15 IV 26 2116 E; 3

8 I 16 IV 27 6317 D; 3

4 I 17 5918 C; 3

4 I 18 5219 C; 2

2 I 19 5120 F; 3

4 I 21 IV 31 B 31 32921 F; 2

2 I 20 28022 G; 4

4 I 22 IV 32 B 32 33123 C; 4

4 ,38 I 23 30324 G; 3

8 I 24 7725 B; 6

8 I 25 V 28 S 402 11226 h; 2

4 I 26 III 9 E 9 44727 c; 6

8 I 27 41028 a; 2

4 I 28 III 10 42929 c; 6

8 I 29 46030 d; 4

4 ,38 I 30 V 30 A 22 163 111

1 Es bezeichnet die erste Ziffer die laufende Nummer, der Buchstabe die Tonart - große

Buchstaben Dur, kleine Moll –, die dritte Angabe betrifft die Taktart.

2 “S” bedeutet in dieser Sparte “Supplementband der GA”.

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V II P Sant. W GA Czerny1 D; 2

2 VI 27 V 14 A 10 3642 D; 3

8 VI 28 V 15 A 11 162 1273 g; 3

8 II 11 V 9 177 164 G; 2

2 II 2 V 29 G 42 272 855 A; 2

4 II 10 IV 33 B 33 1946 A; 3

8 II 11 IV 34 B 34 139 57 f; 2

4 II 12 V 26 A 20 473 1148 f; 3

8 II 13 IV 35 B 35 1899 f; 2

2 II 18 17310 f; 3

8 II 19 7211 f; 3

8 II 23 28512 C; 2

2 III 5 30113 c; 2

2 III 6 614 c; 3

4 III 18 III 19 E 17 31715 e; 3

8 III 19 III 20 E 18 32516 D; 4

4 III 25 IV 40 B 40 10717 a; 3

8 IV 5 IV 45 B 45 23918 B; 3

4 IV 10 14319 B; 12

8 IV 11 V 25 250 11320 d; 3

4 IV 15 20721 Es; 2

2 IV 16 V 56 A 41 216 10222 Es; 3

8 IV 17 14223 F; 3

8 IV 18 2824 F; 2

2 IV 19 S 1825 g; 2

4 IV 4 3826 h; 4

4 IV 9 IV 46 B 46 14727 e; 3

4 IV 20 2228 C; 12

8 IV 29 25329 C; 2

4 IV 30 5430 G; 3

4 IV 28 III 4 E 4 129 180

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V III P Sant. W GA Czerny1 E; 2

2 V 1 IV 58 B 56 257 942 E; 3

8 V 2 3713 A; 4

4 IV 1 IV 42 B 42 2384 A; 3

8 IV 2 IV 43 B 43 4285 G; 3

8 IV 3 1236 A; 2

2 IV 6 V 24 A 18 133 497 A; 3

8 IV 7 III 23 E 21 135 1828 d; 4

4 IV 13 1089 D; 12

8 IV 14 16510 E; 3

4 IV 25 V 19 G 37 323 8011 E; 3

4 IV 26 V 18 A 13 273 6612 a; 3

4 IV 27 4213 a; 6

8 IV 28 V 58 A 42 392 10114 A; 4

4 IV 29 IV 44 B 44 39315 A; 3

8 IV 30 34216 A; 3

8 V 3 25917 A; 6

8 V 4 30918 D; 2

2 V 7 II 15 214 13319 D; 3

8 V 8 II 16 268 13420 C; 3

4 V 9 35121 c; 3

8 V 10 11222 h; 2

4 ,38 V 11 34723 B; 3

8 V 13 III 22 E 20 39924 B; 2

4 V 14 II 19 199 13525 c; 4

4 V 15 35426 C; 4

4 V 16 III 70 F 18 40927 e; 2

2 V 17 6228 e; 3

8 V 18 II 20 467 13629 g; 3

4 V 19 IV 50 4930 G; 3

8 ,68 V 20 III 5 154

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V IV P Sant. W GA Czerny1 D; 4

4 VI 3 III 26 E 24 1612 D; 3

8 VI 4 3083 f; 4

4 V 21 IV 56 B 54 274 f; 3

4 V 22 IV 57 B 55 2815 G; 4

4 XIV 10 I 28 C 23 S 246 G; 6

8 V 24 II 22 180 1377 C; 3

4 V 25 2028 C; 3

8 V 26 3539 H; 3

8 V 27 II 17 G 23 348 7510 H; 6

8 V 28 45011 cis; 2

2 V 29 II 18 260 8812 cis; 3

8 V 30 G 38 256 8113 B; 2

2 VI 1 S 3514 B; 3

8 VI 2 3915 C; 2

4 VI 5 17416 C; 3

8 VI 6 30517 Es; 3

4 VI 7 III 27 E 25 15918 Es; 12

8 VI 8 32019 c; 2

2 VI 9 21920 C; 3

8 VI 10 43921 F; 3

4 VI 11 II 23 22822 F; 2

4 VI 12 II 24 169 13823 D; 3

4 VI 14 17824 G; 3

4 VI 15 II 25 103 5425 G; 3

4 VI 16 II 26 G 1 124 5626 H; 2

4 VI 17 IV 49 148 16627 H; 12

8 VI 18 III 6 E 6 44628 e; 2

2 VI 19 32129 E; 3

8 VI 20 III 28 C 26 46630 a; 2

2 ,38 VII 16 V 6b A 6b S 32 121

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V V P Sant. W GA Czerny1 B; 4

4 VII 4 IV 9 482 B; 3

4 VII 5 IV 10 B 10 4343 A; 4

4 VI 21 III 7 E 7 414 A; 6

8 VI 22 III 8 E 8 3075 C; 2

2 VI 23 III 29 E 27 4596 C; 3

8 VI 24 III 30 E 28 1557 B; 2

2 VI 25 1458 B; 3

8 ,68 VI 26 3989 F; 2

2 VII 1 V 5 A 5 29710 F; 3

4 VII 2 V 5a A 5a 328 12211 F; 3

8 VII 3 V 5b A 5b1 S 2012 D; 4

4 VII 6 IV 7 B 7 18313 D; 6

8 VII 7 IV 8 B 8 S 15 16214 A; 2

2 VII 8 46815 A; 3

8 VII 9 23716 D; 3

4 VII 10 IV 3 B 3 5617 D; 2

2 ,34 VII 11 IV 4 B 4 48418 G; 2

2 VII 12 V 4 A 4 318 12319 G; 3

8 VII 13 V 4a A 4a1 9020 A; 2

2 VII 14 V 6 A 6 9121 A; 6

8 VII 15 V 6a A 6a1 39422 D; 2

2 VII 17 S 923 D; 3

8 VII 18 5724 G; 2

4 VII 19 7825 G; 3

8 VII 20 8526 e; 2

2 VII 21 IV 1 B 1 6127 e; 3

8 VII 22 IV 2 B 2 2428 h; 2

2 VII 23 S 4429 d; 3

4 VII 24 IV 12 B 12 6730 d; 3

8 ,38 VII 25 IV 13 B 13 270

1Sant. und W fassen diese beiden Satze zu einem Werk zusammen.

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V VI P Sant. W GA Czerny1 F; 3

4 VII 30 1982 F; 3

8 VII 31 S 193 D; 2

2 VII 26 III 31 G 24 S 6 874 D; 3

8 VII 27 III 32 G 21 210 825 A; 3

4 VII 28 IV 5 B 5 926 A; 2

2 VII 29 IV 6 B 6 4937 c; 3

4 VIII 1 IV 20 B 20 78 c; 3

8 VIII 2 IV 21 B 21 99 G; 2

2 VIII 3 8810 G; 3

8 VIII 4 32211 Es; 2

2 VIII 5 1612 Es; 3

8 VIII 6 11513 C; 4

4 VIII 7 IV 14 B 14 35914 C; 2

2 VIII 8 IV 15 B 15 45415 B; 2

2 VIII 9 IV 16 B 16 24816 B; 3

8 VIII 10 IV 17 B 17 14417 D; 2

2 VIII 11 26418 D; 3

8 VIII 12 V 7 A 7 192 12019 G; 2

2 VIII 13 IV 11 B 11 44120 g; 3

8 VIII 14 V 16 A 12 235 11921 F; 2

2 VIII 15 29922 F; 3

4 VIII 16 6623 Fis; 2

2 VIII 17 III 33 E 29 3124 Fis; 6

8 VIII 18 III 34 E 30 3525 A; 2

2 VIII 19 34126 A; 3

8 VIII 20 25827 A; 2

2 VIII 21 48328 A; 6

8 VIII 22 9529 G; 4

4 VIII 23 IV 18 B 18 33230 G; 3

8 VIII 24 IV 19 B 19 37

14

Not for

Dist

ributi

on

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V VII P Sant. W GA Czerny1 C; 2

2 VIII 27 II 3 201 1282 C; 3

8 VIII 28 II 4 152 1293 G; 6

8 VIII 25 S 274 C; 2

2 VIII 26 S 55 C; 3

8 IX 7 II 7 556 B; 3

4 VIII 29 187 B; 2

2 VIII 30 1418 D; 2

2 IX 1 2699 B; 6

8 IX 2 10010 D; 2

2 IX 8 S 1011 D; 3

8 IX 9 33712 G; 2

2 IX 10 IV 59 B 57 S 2613 G; 3

8 IX 11 III 1 E 1 8714 C; 2

2 IX 12 II 8 25115 C; 6

8 IX 13 IV 60 B 58 10516 a; 3

8 IX 14 14017 A; 2

2 IX 15 19118 A; 2

2 IX 16 IV 63 291 16519 A; 3

8 IX 17 IV 64 29520 D; 2

2 IX 18 IV 65 30621 D; 3

8 IX 19 IV 66 6022 g; 4

4 IX 20 III 2 E 2 126 17723 G; 3

4 IX 21 III 3 E 3 127 17824 F; 3

8 IX 22 17025 F; 6

8 IX 23 23026 B; 2

2 ,38 IX 24 S 3427 D; 2

2 IX 3 S 1328 D; 3

8 IX 4 31329 F; 3

8 IX 5 6830 F; 2

2 IX 6 S 22

15

Not for

Dist

ributi

on

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V VIII P Sant. W GA Czerny1 D; 3

4 X 11 4122 D; 3

8 X 12 4483 B; 2

2 IX 25 II 9 4004 B; 3

8 IX 26 II 10 2475 c; 2

2 IX 27 1566 c; 3

8 IX 28 1607 f; 2

2 X 1 II 1 436 1258 f; 3

8 X 2 II 2 480 1269 F; 2

4 X 6 II 11 G 26 119 8910 F; 3

8 X 7 II 12 172 13011 A; 2

2 X 9 II 13 S 30 13112 A; 3

8 X 10 II 14 240 13213 Es; 2

2 X 13 III 35 E 31 31614 Es; 3

8 X 14 III 36 E 32 1715 G; 6

8 X 15 IV 52 B 52 302 16816 g; 2

2 X 16 IV 53 B 53 9817 G; 2

2 X 17 V 3 A 3 7618 G; 6

8 X 18 V 3a1 A 3a1 38919 h; 3

4 X 19 V 2 A 2 3420 h; 2

4 X 20 V 2a1 A 2a1 263 12421 F; 2

2 X 21 V 1 A 1 276 992

22 F; 38 X 22 V 1a1 A 1a1 73

23 E; 34 X 23 IV 47 B 47 23 1003

24 E; 38 X 24 IV 48 B 48 225 924

25 a; 22 X 25 S 33

26 a; 38 X 26 134

27 C; 44 X 27 IV 22 B 22 2

28 C; 38 X 28 IV 23 B 23 284

29 f; 22 X 29 IV 67 171 164

30 f; 68 X 30 IV 68 175 163

1 S. S. 14, Anm. 1.

2 Die Notenwerte sind von Czerny um die Halfte verkurzt.

3 Nach F transponiert.

4 Nach Es transponiert.

16

Not for

Dist

ributi

on

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V IX P Sant. W GA Czerny1 D; 2

2 XI 3 III 41 E 36 4142 D; 3

4 XI 4 III 42 E 37 4823 G; 2

2 XI 1 III 39 E 35 2344 G; 3

4 XI 2 III 40 795 B; 2

2 XI 5 IV 69 2466 B; 3

4 XI 6 IV 70 747 e; 2

2 XI 7 III 43 E 38 2758 E; 3

8 XI 8 III 44 E 39 659 d; 4

4 XI 9 11010 D; 3

8 XI 10 20811 C; 6

8 XI 11 III 37 E 33 218 6912 C; 3

8 XI 12 III 38 E 34 27413 D; 3

8 XI 13 III 45 E 40 213 8614 D; 6

8 XI 14 III 46 E 41 36515 e; 2

2 XI 15 III 47 E 42 42716 E; 6

8 XI 16 III 48 E 43 47017 A; 2

2 XI 17 III 49 E 44 22218 A; 6

8 XI 18 III 50 E 45 4319 C; 2

2 XI 19 III 51 E 46 520 C; 3

8 XI 20 III 52 E 47 S 421 h; 2

2 XI 21 34622 h; 3

8 XI 22 15023 B; 2

2 XI 23 S 4324 B; 3

4 XI 24 6925 G; 2

4 XI 25 III 53 F 1 18226 G; 6

8 XI 26 III 54 F 2 12527 D; 2

2 X 3 31028 D; 12

8 X 4 S 1129 D; 3

8 X 5 14930 d; 4

4 X 8 4621

1 Die Notenwerte sind von Longo um die Halfte verkurzt, s. Anm. GA X, S. 60.

17

Not for

Dist

ributi

on

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V X P Sant. W GA Czerny1 F; 2

2 XI 27 III 55 F 3 262 F; 3

8 XI 28 III 56 F 4 2793 C; 2

2 XI 29 III 57 F 5 S 2 1694 C; 3

8 XI 30 III 58 F 6 252 1705 C; 2

2 XII 12 II 29 451 1416 C; 3

8 XII 13 II 30 102 1437 G; 2

2 XII 14 II 31 289 1428 G; 3

8 XII 15 II 32 333 1449 g; 3

8 XII 16 II 33 128 4510 G; 4

4 XII 17 II 34 286 14511 A; 2

2 XII 18 II 35 G 46 131 4612 A; 6

8 XII 19 II 36 132 4713 D; 3

8 XII 1 III 59 F 7 463 5014 G; 3

4 XII 2 8315 G; 3

4 XII 3 III 60 F 8 288 17116 G; 6

8 XII 4 III 61 F 9 453 17217 d; 3

4 XII 5 III 62 F 10 343 17318 D; 2

2 XII 6 III 63 F 11 361 17419 D; 3

8 XII 7 III 64 F 12 10920 F; 3

4 XII 8 II 27 278 13921 F; 2

2 XII 9 II 28 381 14022 B; 4

4 XII 10 III 65 F 13 4723 B; 3

4 XII 11 III 66 F 14 9724 B; 2

2 XII 20 II 37 S 39 14625 B; 3

8 XII 21 II 38 319 14726 D; 2

2 XII 22 II 39 418 14827 d; 6

8 XII 23 II 40 420 14928 F; 4

4 XII 24 II 41 385 15029 F; 12

8 XII 25 II 42 433 7230 fis; 2

2 XII 26 II 43 294 15131 fis; 3

8 XII 27 II 44 485 15232 fis; 3

8 XII 28 II 45 444 15333 fis; 4

4 XII 29 II 46 338 4434 fis; 3

4 XII 30 V 55 243 103

18

Not for

Dist

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on

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V XI P Sant. W GA Czerny1 G; 3

4 XIII 1 II 47 184 1542 G; 2

2 XIII 2 II 48 209 1553 A; 2

2 XIII 3 II 49 491 1564 A; 6

8 XIII 4 II 50 292 1575 D; 3

4 XIII 5 II 53 G 27 212 436 d; 3

8 , 22 XIII 6 II 54 S 147 C; 2

2 XIII 7 II 55 324 1588 C; 3

8 XIII 8 II 56 89 f; 3

4 XIII 9 II 57 G 19 438 9510 f; 2

2 XIII 10 II 58 G 20 471 9611 C; 2

2 XIII 11 II 59 15112 C; 3

8 XIII 12 II 60 242 15913 f; 4

4 XIII 13 I 1 C 1 11814 f; 3

4 XIII 14 I 2 C 2 47615 F; 3

4 XIII 15 I 3 C 3 226 4116 F; 2

2 XIII 16 I 4 C 4 431 7317 G; 2

2 XIII 17 I 5 C 5 30418 G; 3

4 XIII 18 I 6 C 6 8219 B; 3

4 XIII 19 I 7 C 7 9920 B; 2

2 XIII 20 I 8 C 8 22921 Es; 3

4 XIII 21 I 9 C 9 203 3722 Es; 2

2 XIII 22 I 10 G 25 220 9723 g; 3

8 XIII 23 I 11 C 10 340 3824 G; 6

8 XIII 24 I 12 C 11 290 7025 D; 3

4 XIII 25 I 13 C 12 1226 D; 2

2 XIII 26 I 14 C 13 S 1627 D; 4

4 XIII 30 I 18 C 14 S 828 f; 4

4 XIII 27 I 15 G 31 187 3929 F; 2

2 XIII 28 I 16 G 30 435 4030 F; 3

8 XIII 29 I 17 G 28 472 42

19

Not for

Dist

ributi

on

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V XII P Sant. W GA Czerny1 D; 3

8 XIV 1 I 19 C 15 4192 C; 4

4 XIV 2 I 20 C 16 1533 C; 2

2 XIV 3 I 21 C 17 4554 C; 3

8 XIV 4 I 22 C 18 205 555 B; 2

2 XIV 5 I 23 C 19 S 376 B; 3

8 XIV 6 I 24 C 20 S 417 D; 4

4 XIV 7 I 25 G 44 206 918 D; 3

4 XIV 8 I 26 C 21 1649 D; 6

8

1 XIV 9 I 27 C 22 1410 G; 4

4 XIV 10 I 28 C 23 S 2411 G; 6

8 XIV 11 I 29 C 24 28712 E; 2

2 XIV 12 I 30 C 25 42613 E; 3

4 XIV 13 I 31 C 26 37214 h; 2

2 XIV 14 I 36 C 31 14615 h; 3

4 XIV 15 I 37 C 32 35016 A; 4

4 XIV 16 I 34 C 29 19317 A; 3

4 XIV 17 I 35 C 30 49218 C; 2

2 XIV 18 I 38 C 33 13719 C; 3

8 XIV 19 I 39 C 34 320 B; 2

2 XIV 20 I 40 C 35 19621 B; 3

8 XIV 21 I 41 C 36 2922 F; 2

2 XIV 22 I 42 C 37 32623 F; 3

8 XIV 23 I 43 C 38 7024 Es; 2

4 XIV 24 I 44 C 39 11325 Es; 3

4 XIV 25 I 45 C 40 1926 D; 2

2 XIV 26 I 32 C 27 31127 d; 3

4 XIV 27 I 33 C 28 27728 D; 2

2 XIV 28 I 46 C 41 31429 D; 3

4 XIV 29 I 47 C 42 33930 C; 12

8 , 38 XIV 30 I 50 C 45 S 3

1 = V IV 5.

20

Not for

Dist

ributi

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V XIII P Sant. W GA Czerny1 C; 2

2 XV 1 I 57 D 7 12 C; 3

4 XV 2 I 58 D 8 2553 d; 3

8 XV 4 I 59 D 9 S 124 d; 2

2 XV 3 I 60 D 10 266 1905 F; 2

2 XV 5 I 61 D 11 1166 f; 3

8 XV 6 I 62 D 12 475 1897 G; 2

2 XV 7 I 48 C 43 868 G; 3

8 XV 8 I 49 C 44 4089 G; 2

2 XV 9 I 51 D 1 S 2510 G; 3

8 XV 10 I 52 D 2 490 19711 F; 3

4 XV 11 I 55 D 5 28312 F; 6

8 XV 12 I 56 D 6 188 19413 c; 2

2 XV 13 I 53 D 3 456 19314 C; 3

4 XV 14 I 54 D 4 45815 B; 2

2 XV 15 I 63 D 13 20016 B; 3

8 XV 16 I 64 D 14 327 18817 E; 3

4 XV 17 I 65 D 15 4418 E; 3

8 XV 18 I 66 D 16 430 6719 a; 3

8 XV 19 I 67 D 17 223 18720 A; 2

2 XV 20 I 68 D 18 395 18621 D; 4

4 XV 21 I 69 D 19 1122 D; 3

4 XV 22 I 70 D 20 262 18523 A; 2

2 XV 23 I 71 D 21 23624 A; 3

4 XV 24 I 72 D 22 29325 G; 3

8 XV 25 I 73 D 23 25426 G; 2

2 XV 26 I 74 D 24 12127 F; 2

2 XV 27 I 75 D 25 S 1728 F; 6

8 XV 28 I 76 D 26 12029 F; 3

4 XV 29 I 77 D 27 16730 F; 6

8 XV 30 I 78 D 28 227

21

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Dist

ributi

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V XIV P Sant. W GA Czerny1 g; 12

8 III 7 402 F; 3

8 II 20 III 68 F 16 432 1753 D; 12

8 G 43 265 934 E; 2

2 II 15 III 13 E 12 255 B; 4

4 III 11 466 c; 3

8 II 24 1577 C; 2

2

1 III 5 3018 f; 3

8 III 22 III 21 E 19 440 1819 Es; 4

4 S 2010 d; 4

4 26711 D; 2

2 VI 13 III 69 F 17 261 17312 a; 12

8 III 20 V 57 G 4 241 5313 G; 3

8 III 1 III 67 F 15 335 16114 c; 12

8 II 25 356 5715 B; 3

8 III 12 S 3816 c; 4

4 15817 F; 4

4 7118 C; 3

8

2 V 26 35319 g; 3

4 V 40a 1320 a; 2

4 13621 A; 3

8 4522 d; 3

8 V 42 A 32 370 1523 G; 2

4 8424 d; 2

4 5825 a; 3

8 G 14 245 6126 A; 3

8 19527 F; 3

8 G 49 478 6028 B; 4

4 G 40 496 9829 fis; 4

4 3230 Es; 3

8 11431 Es; 2

2 G 57 378 8

1 = V II 12.

2 = V IV 8.

22

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V XIV P Sant. W GA Czerny32 f; 3

4 II 27 V 23 A 17 382 11533 F; 3

8 V 43 384 2334 B; 4

4 5035 G; 4

4 8136 C; 4

4 40137 c; 3

4 ,38 21738 A; 2

4 9439 G; 3

4 5340 g; 3

8 18541 c; 4

4 G 3 406 6242 d; 3

4 ,38 16843 D; 3

8 G 121 424 581

44 F; 34 ,38 75

45 G; 38 80

46 e; 44 ,24 ,34 ,38 271

47 F; 38 30

48 A; 44 ,38 S 31

49 c; 34 10

50 F; 44 166

51 C; 44 403

52 h; 34 II 28 33

53 g; 44 36

54 d; 44 ,34 ,38 211

55 d; 44 ,24 ,128 ,38 106

56 G; 44 ,24 ,34 ,68 ,38 176

57 g; 24 G 11 231 59

58 d; 34 362

59 g; 44 489 18

60 g; 22 336

61 d; 44

2 267

1 Hier ohne die einleitenden Takte 1–17.

2 = V XIV 10, mit eimigen Abweichungen.

23

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V XV P Sant. W GA Czerny1 e; 3

8

1 III 19 III 20 E 18 3252 c; 3

4

2 III 18 III 19 E 17 3173 A; 3

8 III 26 V 37 A 29 494 744 g; 3

8 895 G; 12

8 2336 D; 3

8 III 29 465 797 G; 3

8 III 2 V 21 A 15 442 1178 G; 3

8 III 24 IV 39 B 39 2049 F; 4

4 III 15 V 35 A 27 437 10710 F; 3

8 III 16 V 36 A 28 474 1063

11 g; 38 V 12 IV 51 B 51 249 167

12 a; 44 III 3 138

13 a; 38 III 4 469

14 g; 128 III 17 130

15 B; 38 III 23 V 11 A 9 298 63

16 A; 22 II 14 V 34 A 26 345 52

17 A; 38 III 27 IV 41 B 41 344

18 c; 34 III 13 IV 37 B 37 407 64

19 c; 38 III 14 IV 38 B 38 452 76

20 C; 22 V 33 A 25 244 108

21 D; 22 III 9 122

22 D; 38 II 17 III 15 E 14 415 68

23 d; 128 II 16 III 14 E 13 215 84

24 g; 38 III 8 181

25 D; 38 III 10 334

26 Es; 22 III 21 111

27 G; 38 II 3 V 27 G 17 232 48

28 G; 38 II 4 III 11 487 1

29 c; 38 II 26 III 17 402 2

30 As; 44 II 21 IV 36 B 39 186 3

1 = V II 15.

2 = V II 14.

3 Diese Sonate bringt Czerny irrtumlich noch einmal, sie erscheint auch als Nr. 160 seiner

Ausgabe.

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V XV P Sant. W GA Czerny

31 b; 44 II 29 III 18 E 16 296

32 c; 68 I 29 460

33 As; 38 II 22 III 16 E 15 190

34 b; 38 II 30 300 4

35 C; 34 V 5 IV 54 G 35 457 77

36 C; 38 V 6 IV 55 282 90

37 E; 24 II 7 V 59 221 51

38 E; 68 II 8 III 12 E 11 224 78

39 E; 38 II 9 V 32 A 24 377 109

40 D; 68 II 6 315

41 d; 38 II 5 464

Eine Reihe von Werken ist in V nichit vertreten.

W A Sant. P GA Czerny

14 d; 38 V 20 422 118

16 e; 44 V 22 376 116

23 B; 38 , 68 V 31 IV 12 498 110

30 C; 128 V 38 III 28 353 105

W B Sant. P GA Czerny

59 C; 22 IV 61 IX 29 443

60 C; 38

1 IV 62 IX 30 S 45

1 Hier nur als Fragment (Takt 1–30) uberliefert. Vergl. dazu die Bemerkung Longos,

GA Supplementband S. 197. Die vollstandige Sonate s. Notenbeilage V. Die Notierung

auf vier Systeme, die sich auch in P IX 29 (GA 443) findet, vermeidet einen haufigen

Schlusselwechsel. Beide Sonaten stellen Baß- und Diskantlage des Instrumentes scharf

gegeneinander.

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W D Sant. P GA Czerny

29 B; 34 I 79 XV 31 497

30 B; 22 I 80 XV 32 500

31 g; 38 , 68 I 81 XV 33 312

32 G; 22 I 82 XV 34 S 28

33 C; 38 I 83 XV 35 404

34 C; 22 I 84 XV 36 S 1

35 B; 22 I 85 XV 37 S 42

36 B; 34 I 86 XV 38 396 184

37 d; 22 I 87 XV 39 421

38 d; 38 I 88 XV 40 425 183

39 F; 22 I 89 XV 41 S 21

40 f; 68 I 90 XV 42 477

W E Sant. P GA Czerny

22 e; 38 III 24 IV 21 380

23 F; 22 ,128 III 25 IV 24 S 23

W G Sant. P GA Czerny

5 A; 44 391

13 g; 44 386

16 c; 34 357

18 d; 34 S 7

22 d; 38 423

23 B; 34 S 36

39 C; 128

1 358

1 Ein enger Zusammenhang der vier Hauptquellen ist deutlich, vergl. z. B. V XIII – P

XV – Sant. I – W D; oder auch die Korrespondenz von V und P in V I und P I. Auch

Sant. und W gehen oft zusammen, s. etwa S. 14.

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Ferner sind noch folgende Werke zu verzeichnen, die in der GA fehlen:

Sant. P Czerny

V 12 d; 44 III 30 198

II 51 A; 44

II 52 A; 34

IV 22 f; 44 ,38 ,68

IV 23 f; 38*13

Manuskripte kleineren Umfanges und geringeren Quellenwertes besitzen

eine ganze Reihe von Bibliotheken, von denen folgende genannt seien: die

Preußische Staatsbibliothek, Berlin (Mus.ms.19680,19680,19681,19683,19683,

30304,Mb.0.607), die Bayerische Staatsbibliothek, Munchen und die Uni-

versitatsbibliothek Konigsberg (beide die sog, “Katzenfuge”), die Staats -

und Universitatsbibliothek Hamburg (ND VI 3427 und 3428); das Britische

Museum, London (Add. 31589 u. a.), das Fitzwilliam Museum, Cambridge;

die Bibliotheque Nationale, Paris (Vm7 4877); die Bibliotheque Royale,

Brussel (no II 3923). In der Bibliothek der Gesellschaft der Musikfreunde

in Wien und in der Biblioteca Palatina, Parma, finden sich außer den

aufgewiesenen Banden noch vereinzelte Handschriften.

Schon diese Liste kann jene Beliebtheit bezeugen, deren sich Domenico

Scarlattis Werke im 18. Jahrhundert in ganz Europa erfreut haben. Da der

Großteil der angefuhrten Manuskripte nur solche Satze bringt, die die vier

Hauptquellen uberliefern, die restlichen auf altere Drucke zuruckgehen, es

sich also um echte Abschriften handelt, kann eine Einzelbesprechung un-

terbleiben.

In der Tonartenvorzeichnung zeigen sich die Handschriften und auch die

alteren Drucke noch von der traditionellen Akzidentienpraxis abhangig. Z.

*13 Diese vier letzten Sonaten bringt die Notenbeilage (I-IV).

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B. hat g-moll in den Hauptquellen fast durchgehends nur ein b vorgezeichnet,

A-dur nur zwei #, als Auflosungszeichen verwenden die Kreuztonarten b usf.

Die Tonarten mit wenigen Vorzeichen werden bevorzugt, wie aus folgender

Tabelle anhand der GA hervorgeht:C-dur G-dur D-dur A-dur E-dur H-dur Fis-dur

65 69 68 51 21 4 2 Sonaten

Ges-dur Des-dur As-dur Es-dur B-dur F-dur

– – 2 15 49 56 Sonaten

a-moll e-moll h-moll fis-moll cis-moll gis-moll

19 13 12 4 2 – Sonaten

as-moll es-moll b-moll f-moll c-moll g-moll d-moll

– – 2 23 26 27 32 SonatenAls altere Drucke konnen nachgewiesen werden:

1. Essercizi per Gravicembalo di Don Domenico Scarlatti Cavaliero di S.

Giacomo e Maestro de Serenissimi Prencipe e Prencipessa delle Asturie etc.

Angaben uber Druckort und jahr fehlen.*14

An der Herausgabe dieses Bandes ist Scarlatti selbst mit Sicherheit

beteiligt gewesen, wie vorangestellte Widmungen an den Spieler*15 und an

die genannten Furstlichkeiten beweisen.

Trotz des obertitels Essercizi sind die einzelnen Werke als “Sonata I”,

“Sonata II” usw. bezeichnet.*16

Fetis setzt das Erscheinen dieses Bandes vor den 10. August 1746 an, da

an diesem Tage der in der Widmung zitierte Prinz von Asturien Konig von

Spanien wurde.*17 Nach einem Vermerk des unter No. 2 zu besprechenden

Druckes kann jedoch das Erscheinen mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die

*14 Exemplar in der Markusbibl. Venedig, Sign. Musica 119. Vergl. auch EitnersQuellen-Lexikon,1899 ff., Artikel Domcnico Scarlatti.

*15 Mitgeteilt bei Longo, GA S. VIII; s. auch S. 138.*16 Bei Nr. 30 treten sogar 3 Bezeichnungen fur ein und dasselbe Stuck auf: außer dem

Gesamttitel Essercizi die Benennungen “Sonata 30, Fuga”.*17 Biographie universelle, 1860 ff., Artikel Domenico Scarlatti.

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Zeit vor 1739 festgelegt werden.*18

Inhalt der Essercizi:

EO *19 V Sant. W GA Czerny1 d; 4

4 G 53 366 62 G; 3

8 V 17 388 73 a; 2

2 XIV 31 G 57 378 84 g; 4

4 V 41 390 95 d; 3

8 367 106 F; 3

8 479 117 a; 3

8 379 128 g; 3

4 V 40 G 52 488 139 d; 6

8 V 45 413 1410 d; 3

8 XIV 22 V 42 A 32 370 1511 c; 4

4 V 8 352 1712 g; 4

4 XIV 59 489 1813 G; 2

4 486 1914 G; 12

8 387 2015 e; 3

8 V 46 374 2116 B; 2

2 V 47 G 58 397 2217 F; 3

8 XIV 33 V 15 384 2318 d; 4

4 V 48 A 34 416 2419 f; 2

4 383 2520 E; 2

4 375 2621 D; 3

8 V 49 A 35 363 2722 c; 2

4 360 2823 D; 4

4 V 50 A 36 411 2924 A; 4

4 V 53 495 3025 fis; 2

4 V 39 A 31 481 3126 A; 3

8 V 51 368 3227 h; 3

4 V 44 449 33

*18 S. folgende Seite.*19 EO = Edizione Originale, vergl. S. 40.

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EO V Sant. W GA Czerny

28 E; 38 V 52 A 38 373 34

29 D; 44 461 36

30 g; 68 V 13 499 199

a) Ein Nachdruck dieses Bandes erschien ohne Jahresangabe bei Witvogel

in Amsterdam unter dem Titel XXX Sonate per il Clavicembalo, Als “Opera

prima” Domenico Scarlattis bezeichnet.*20

2. XLII Suites de Pieces pour le Clavecin, En deux Volumes, Composees

par Domenico Scarlatti, Cooke,London.*21

Als Herausgeber zeichnet Scarlattis Freund Thomas Roseingrave.*22

Zur Datierung des vorliegenden wie des unter No. 1 angefuhrten Druckes

ist folgendes zu bemerken:

Das Titelblatt dieser Ausgabe gibt an, daß sie die Zahl der bisher im Druck

erschienenen Werke Domenico Scarlattis um 12 Nummern ubertreffe. Da die

beiden Bande nun insgesamt 42 “Pieces” bringen, werden somit 30 Werke

als bereits gedruckt bezeichnet. Und zwar sind dies keine anderen als die

der Essercizi per Glavicembalo. Auf Grund des vom Januar 1739 datierten

Vorwortes konnte fur die unter No. 1 besprochene Ausgabe jener “terminus

ante quem” angegeben werden

Inhalt der Suites des Pieces*23:

1. – EO 8 3. – V XIV 572. – EO 4 4. – EO 30

*20 Leipziger Stadtbibl., Sign. III, 6. 134.*21 Staats- und UB Hamburg, Sign. ND VI 427.*22 Uber Roseingrave (Rosingrave), der seiner Ausgabe eine 12-taktige “Introduction”

aus der eigenen Feder vorausschickt, vergl. Burney, History IV, S. 262 ff. , auch H.Davey, History of English Music, 1921, S. 361.

*23 Dieser Satz in zwei verschiedenen Fassungen, die zweite als “allegro differente” beze-ichnet. Die GA bringt nur diese, die andere s. den thematischen Katalog, Nr. 1.

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5. – EO 2 24. – V XIV 256. – W G 32 25. – V XIV 417. – V XIV 43 26. – V XIV 278. – EO 9 27. – W G 59. – W G 18 28. – EO 11

10. – EO 1 29. – W G 1611. – EO 3 30. – EO 2412. – W G 13 31. – EO 1513. – EO 29 32. – EO 2114. – EO 5 33. – EO 2615. – EO 6 34. – EO 1716. – EO 10 35. – EO 2817. – EO 14 36. – EO 2718. – EO 7 37. – EO 2519. – EO 12 38. – EO 1820. – EO 13 39. – EO 2321. – EO 20 40. – EO 1622. – EO 19 41. – Sant. V 1223. – EO 22 42. – W G 23

a) Ein Nachdruck dieser Ausgabe – offenbar von den gleichen Platten –

liegt vor unter dem Titel Forty two Suites of Lessons for the Harpsichord

composed by Sig. Dom. Scarlatti; Johnson, London, o. J.*24

3. Libro de VI Sonatas Modernas para Clavicordio Compuestas par El

Senor D. Domenico Scarlatti; John Welcker, London, o. J.;*25 aus der Na-

mensnennung Ferdinand VI. auf dem Titelblatt geht jedoch hervor, daß

dieser Druck erst nach dem 10. August 1746 erschienen sein kann.*26

Inhalt:1. – V VX 28 4. – V XV 34

2. – V II 3 5. – V XV 29

3. – V II 6 6. – V XV 30

*24 Staats- und UB Hamburg, Sign. ND VI 3418.*25 ibid.*26 Vergl. S.29 f.

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a) Dieselben Sonaten, nur in veranderter Reihenfolge, bringt auch

J. U. Haffner, Nurnberg, der in Deutschland die italienische Klaviermusik

besonders pflegt, unter dem Titel VI Sonate per il Cembalo Solo.*27 Sie

werden hier “Opera prima” Domenico Scarlattis genannt. Angabe des

Druckjahres fehlt.

4. Libro de XII Sonatas Modernas para Clavicordio Compuestas par el

Senor D. Domenico Scarlatti (!); Johnson, London.*28 Das Widmungs-

schreiben des Herausgebers Claudius Amyand ist datiert vom August 1752.

Die Sonaten werden hier als noch unveroffentlicht bezeichnet, – offenbar mit

Recht.

Inhalt:1. – V VX 9 7. – V XIV 11

2. – V VX 10 8. – V XV 3

3. – V VIX 13 9. – W A 30

4. – V VX 20 10. – V XV 8

5. – V VX 2 11. – V VII 16

6. – V VX 7 12. – V XV 19

5. Six Sonates for the Harpsichord; Johnson, London, o. J.*29

Inhalt:1. – V VI 3 4. – V XV 16

2. – V XV 23 5. – V IV 12

3. – V IV 11 6. – V VI 4

6. Pieces pour Clavecin, composees par Domenico Scarlatti, Maıtre de

clavecin du prince des Asturies. Premier Volume. Boivin, Paris, o. J.,*30

*27 Landesbibl. Dresden, Sign. Musica 2412T/10

. Dieselben Werke erscheinen hier als fur

das Cembalo bestimmt, die der unter Nr. 3 besprochene Druck dem Clavichordzuweist.

*28 Musikbibl. Peters, Leipzig, Sign. Nr. 11330.*29 Britisches Museum, London, Sign. e 32 b.*30 Bibliotheque Royale, Brussel, Sign. Fets 2974.

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doch gibt der Hinweis auf den prinzen von Asturien das Jahr 1746 als

spatesten Erscheinungstermin an.*31

Inhalt:1. – EO 13 10. – EO 6

2. – EO 14 11. – EO 20

3. – EO 12 12. – EO 3

4. – W G 13 13. – EO 7

5. – W G 18 14. – EO 22

6. – EO 29 15. – EO 19

7. – EO 1 16. – W G 39

8. – EO 10 17. – V XIV 28

9. – EO 5

7. Pieces pour le Clavecin, composees par Domenico Scarlatti, Maıtre de

Clavecin du Prince des Asturies. Deuxieme Volume. Boivin, Paris, o. J.,*32

Zur Datierung vergl. Nr. 6.

Inhalt:1. – V XIV 25

2. – W G 5

3. – EO 24

4. – EO 26

5. – EO 15

6. – EO 28

7. – EO 16

8. – EO 27

9. – W G 23

10. – V XIV 27

11. – ist ein Werk Alessandro Scarlattiss.*33

*31 vergl. S. 29 f. Auch Boivin behauptet, unveroffentlichte Werke zubringen.*32 Bibliotheque Nationale, Paris, Sign. Vm7 1904.*33 Dies Werk -eine Fuge, f; 6/8 erscheint auch bei Czerny als Nr. 200 unter Domenico

Scarlattis Namen. lst der Anspruch Domenico Scarlattis allein schon dadurchzweifelhaft, daßkeine der handschriftlichen Hauptquellen diese Fuge uberliefert, so

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12. – EO 17

13. – EO 25

14. – V XIV 41

15. – EO 11

16. – W G 16

17. – EO 21

18. – EO 18

19. – EO 23

20. – Sant. V 12

8. Pieces pour le Clavecin, composees par Dom. Scarlatti, Maıtre de

Clavecin du Prince des Asturies. Troisieme Volume. Boivin, Paris, o. J.,*34

Zur Datierung vergl. Nr. 6.

Inhalt:

Nr. 1; 3; 6; 8; 10 sind bisher nicht neugedruckt. S. den thematischen

Katalog Nr. 2–6.2. – V II 12

4. – V XIV 43

5. – V XV 6

7. – V XIV 13

9. – V I 6

9. Sonates pour le Clavecin par Dom. Scarlatti, Maıtre de Clavecin du

Prince des Asturies. Opera IV. Boivin, Paris, o. J.,*35 Zur Datierung

vergl. Nr. 6.

konnen folgende Bemerkungen die Autorschaft Alessandro Scarlattis wahrsdleinlichmachen: das fragliche Werk ist enihalien in dem als Nr. 2 besprochenen Druck (dortnicht berucksichtigt). Es heißt in dem Vorwort Roseingraves a. a. O.: “and in thesecond volume, page the ninth, is a Fugue compos’d by Sigr. Alex. Scarlatti, theFather of this Author”; der S. 32 erwiahnte Nachdruck aber laßt diese Notiz fort –wodurch dem lrrtum Tur und Tor geoffnet waren. F. Boghen in Antichi MaestriItaliani: “Fughe”, Ricordi, S. 121, will die Fuge dem padre Martini zuweisen; dochwird das Autograph Martinis (Boghen a. a. O.) eine Kopie nach A. Scarlatti sein.

*34 Bibliotheque Nationale, Paris, Sign. Vm7 1905.*35 Bibliotheque Nationale, Paris, Sign. Vm7 4428.

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Die sechsmehrsatzigen, mit Generalbaß-Bezeichnungen versehenen

Sonaten sind in keiner Handschrift uberliefert, fehlen auch bisher in allen

Neudrucken. S. den thematischen Katalog Nr. 7–12.

Die Drucke The Beauties of Domenico Scarlatti*36 und Pieces Choisies

pour le Clavecin ou l’orgue del Sign. Dom. Scarlatti,*37 bringen, worauf auch

die Titel zu deuten scheinen, lediglich bekannte Werke. Aus diesem Grunde

kann von einer Einzelbesprechung abgesehen werden.

Der Haffnersche Sammeldruck Raccolta Musicale Contenente VI Sonate

per il Cembalo Solo etc., Opera II, Nurnberg,*38 veroffentlicht an funfter

Stelle eine Sonate C-dur, Allegro, 44 , von “Domenico Scarlatti”, die aber aus

stilistischen Grunden mit Sicherheit als unecht bezeichnet werden kann.

Zwei Sonaten von Domenico Scarlatti, V II 4 und V XV 28 sind auch (an

13. und 14. Stelle) in der Sammlung enthalten: XX Sonate per Cembalo di

Varri Autorri; Galuppi, Ben. Marcello, Merola, Alberti (e) Tasso Scarlatti

(!) etc. Venier, Paris, o. J.*39

Die Sonate c-moll V XIV 41 ist, als “celebrated lesson for the harpsicord”

bezeichnet, enthalten in: Six doubles fugues for the organ or harpsicord com-

pos’d by Mr. Roseingrave. Tho which is added, Sig. Domenico Scarlatti’s

celebrated lesson for the harpsicord, with several additions by Mr. Rosein-

grave. Walsh, London, o. J.*40 Die Zusatze Roseingraves sind zahlreich, so

hat er ganze Teile neu hinzukomponiert. Der Druck verwendet auch Sopran-,

Alt- und Tenor-schlussel, die dem Lagenwechsel gerecht zu werden vermogen.

Eine eigentumliche Bewandtnis hat es mit folgendem Druck: Douze

Sonates Pour Clavecin ou Forte Piano. Composees dans le stile du celebre

*36 Britisches Museum, London, Sign. e 5. g (Londoner Druck).*37 Britisches Museum, London, Sign. h 49. c (Pariser Druck).*38 Pr. Staatsbibl., Berlin, Sign. Mus. O. 9779.*39 Bibliotheque Nationale, Paris, Sign. Vm7 1997.*40 Bibliotheque Royale, Brussel, Cote Fetis 2136.

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Scarlatti (!) per Muzio Clementi. Opera 27. Lobry, Paris, o. J. Auf dem

im Besitz der Preuß. Staatsbibliothek befindlichen Exemplar*41 ist ein

handschriftlicher Zusatz verzeichnet, demzufolge nach Clementis eigener

Aussage trotz des Titels alle Sonaten von Scarlatti selbst komponiert seien.

Das trifft aber keineswegs zu, vielmehr ist fur Sonate II die Autorschaft

Scarlattis aus stilistischen Grunden abzulehnen, Sonate XII kann als ein

Satz Fray Antonio Solers festgestellt werden.*42 Allein die restlichen zehn

Sonaten sind Werke Domenico Scarlattis. Zwei Sonaten hat der Herausgeber

willkurlich um einen Halbton transportiert (die beiden E-dur-Sonaten V

VIII 23 und VIII 24).*43

Das 19. Jahrhundert hat weiter eine große Zahl von Drucken Scarlattischer

Klavierwerke hervorgebracht,*44 die darauf hindeutet, daß Scarlatti zu keiner

*41 Sign. Ks. 61.*42 = Sonata 5 des S. 72 ff. herangezogenen Londoner Druckes.*43 Die Pr. Staatsbibl. besitzt unter der Sign. Mus. ms. 19679 handschriftlich ein

dreisaziges Concerto a Cembalo, Allegro assai 44, Andante 2

4, Allegro (in der Stimme

der ersten Violine “Presto”) 38

in D-dur, das auf dem Titelblatt den Namen “Scar-latti” tragt. Jedoch ist die Autorschalt Domcnico Scarlattls aus stilistichen Grundendurchaus abzulehnen; schon wenige Takte konncn Bestatigen, daß hier ein Werk vor-liegt, das einer spateren Zeit angehort. Darauf deutet vor allem die allzu klangseligeMelodik hin:

Als Autor kommt vielleicht Giuseppe Scarlatti in Frage, ein Neffe Alessandro Scar-lattis.

Ebenfalls im Besitze der Pr. Staatsbibl. ist ein Druck (Sign. Mb 1964), der unterdem Titel Twelve Concertos in Seven Parts, London (1744), eine Reihe Scarlattis-cher Klavierwerke auf einen Streicherchor ubertragt. Diese Transkription, auf dieauch das Titelblatt hinweist, kann den hohen Grad der Beliebtheit bezeugen, derensich Scarlattis Werke im 18. jahrhundert zu erfreuen hatten.

*44 Genannt seien hier nur folgende publikationen aus der neueren Zeit:60 Sonaten (Breitkopf u. Hartel, Leipzig);30 Sonaten, herausg, von C. Banck (Kistner, Leipzig);12 Sonaten, herausg. von L. Kohler (Schuberth & Co., Leipzig);

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Zeit vergessen worden ist. Die Tatigkeit der Herausgeber hat sich aber in

der Hauptsache mit dem Nachdruck bereits bekannter Werke begnugt, und

so begegnen immer wieder die gleichen Sonaten. Ist der Herausgeber Virtu-

ose, fuhlt er sich berufen, seiner Ausgabe den “personlichen Stempel” durch

willkurliche Zusatze, Transpositionen und dergl. zu verleihen.*45 So ragen

aus der Flut der neueren Drucke bis hin ins 20. jahrhundert lediglich zwei Un-

ternehmen hervor und sind einer eingehenderen Betrachtung zu unterziehen,

deren jedes zu seiner Zeit den Anspruch auf vollstandigkeit erhebt.

1. Samtliche Werke fur das Piano-Forte von Dominic Scarlatti, Wien,

Tobias Haslinger, 1839, zwei Bande.*46 Die Zahl von 200 Sonaten erscheint

dem Herausgeber Carl Czerny als das Gesamtklavierwerk Scarlattis, wobei

er ubrigens jegliche Benennung. “Sonata” oder ahnlich, vermeidet. Bei einer

Reihe von Satzen ist Czerny jedoch einem Irrtum zum Opfer gefallen, so hat

in den Nr. 191, 192 und 200 Klaviermusik Alessandro Scarlattis Eingang ge-

funden.*47 Nr. 195 ist keinesfalls ein Werk Domenico Scarlatlis, sondern eine,

nicht einmal sonderlich gegluckte Kopie seines Stiles aus spaterer Zeit.*48

Klavierwerke (in 4 Heften), herausg. v. H. Barth (Univ., Ed., Wien);11 Sonatensatze, hcrausg. von H. Germer (Andre, Offenbach);uber 100 Werke bei Farrenc, “Tresor des Pianistes” (1861);in dem Sammelwerk “Les Clavecinistes de 1637 a 1790” von Me-reaux (1862) ist Domcnico Scarlatti Lieferung 18–22 vertreten.

*45 H. v. Bulow in seiner Ausgabe 18 ausgewahlte Klavierstucke von Domenico Scar-latti, in Form von Suiten gruppiert (1864), erlaubt sich sehr viele Freiheiten, wieer selbst im Vorwort betont. So andert er z. B. die Acciaccaturen, transponiertdie g-moll-Son. Nr. 233 nach f-moll. – Ahnlich willkurlich verfuhrt auch C. Tausig.Seine fur den Konzertvortrag bearbeitete Ausgabe zweier Sonaten Scarlattis (Senff,Leipzig) versetzt Nr. 11 (“Pastorale” genannt) von d-moll nach e-moll und bringtferner zahlreiche Zusatze (vergl. die betr. Son.: Nr. 413).

*46 Diese Ausgabe ist fur einen Hauptteil der Drucke im 19. Jahrhundert wichtigsteVorlage. – Uber ihr Schicksal vergl. K. van Bruyck in “Recensionen u. Mittheilungenuber Theater und Musik”, Wien, 1863, S. 501.

*47 wie schon Shedlock bemerkt hat, vgl. Vorwort zu der S. 67 angefuhrlen Ausgabeder Klavierwerke A. Scarlattis.

*48 Eine derart weichliche Septimakkordwendung, wie sie gleich der Sonateneingangbringt, kennt Domenico Scarlatti nicht:

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Nr. 196 ist als Sonate Fray Antonio Solers ebenfalls fehl am Platze.*49

Nr. 197 zeigt zahlreiche willkurliche Abweichungen vom uberlieferten Text

(Einschiebungen neuer Teile, Oktavzusatze usw.).*50 Die beiden E-dur,

Sonaten V VIII 23 und V VIII 24 sind – nach dem Vorbild Clementis?

– um einen Halbton transponiert (Nr. 100 und 92).*51

Uber die Quellen, die der Ausgabe zugrunde liegen, heißt es im Vorwort:

“Durch die gegenwartige Ausgabe der Kompositionen Scarlattis (die bisher

großtenteils nur im Manuskripte zu Rom und Madrid vorhanden waren) ist er

nun der vergessenheit entrissen” usw. Als “Manuskripte zu Rom” bezeichnet

der Herausgeber zweifellos die Handschriften des Abbe Santini.*52

Die dynamischen Bezeichnungen Czernys halten sich in maßigen Grenzen.

Das editionstechnische Gewissen schlummert noch: nirgends ist angezeigt,

daß solche Zusatze von der Hand Czernys herruhren und nicht auf den Kom-

ponisten zuruckgehen. Der Virtuose Czerny fugt auch, um seine Ausgabe

der Praxis unmittelbar verwendbar zu machen, Fingersatze hinzu.

2. Ein gleiches Ziel verfolgt auf breiter Grundlage eine neue, weit um-

fangreichere “Gesamtausgabe” der Scarlattischen Klavierwerke, die in den

jahren 1906 ff. bei Ricordi in Mailand unter folgendem Titel erscheint: Opere

complete per Clavicembalo di Domenico Scarlatti. Criticamente rivedute e

ordinate in forma di Suites da Alessandro Longo.*53 Diese Ausgabe,auf die

die vorliegende Darstellung Bezug nimmt, umfaßt 10 Bande zu je 50 Sonaten

Vergl. S. 119.*49 Vergl. S. 37, Anm. 1.*50 Vergl. Longo, GA X, S. 166.*51 Vergl. S. 37 und, S. 17.*52 Vergl. W. Stassoff, L’Abbe Santini et sa collection musicale a Rome, 1854, S. 20.*53 Hier stets als GA bezeichnet.

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und einen Supplementband zu 45 Sonaten, insgesamt also 545 Nummern

(denn auch hier ist eine Namengebung im einzelnen vermieden). Die Pub-

likation stutzt sich auf jene handschriftlichen Quellen, die hier als Nr. 1 und

4 bezeichnet worden sind, sowie auf den unter Nr. 1 besprochenen alteren

Druck, die sog. “Edizione originale”.*54 Fur einige wenige Sonaten gibt der

Herausgeber besondere vorlagen an.*55

Sein Prinzip, die Vielzahl der Werke durch Zusammenfassung mehrerer

Satze zu einer Suite zu ordnen, ist fur eine praktische Ausgabe durchaus

zweckmaßig, hat auch einige geschichtliche Berechtigung; Longo geht aber

bei der freien Zusammenstellung seiner Suiten uber alles “Historische”

hinweg und folgt nur seinem kunstlerischen Ermessen. So bleiben auch

die wenigen chronologischen Anhaltspunkte, die zur Verfugung standen,

unberucksichtigt. Die Opere Complete erwecken den Anschein, alle Sonaten

gehorten quasi einer Entstehungszeit an, Scarlattis Klaviermusik habe

uberhaupt keine Entwicklung aufzuweisen.*56 Auch der kritische Kom-

mentar, den Longo vorlegt, gibt uber Quellen und Editionsmethode nur

*54 Vergl. das vorwort Longos.*55 Als Vorlage fur Son. 391 nennt Longo “Haslinger (i.e. Czerny, vergl. S. 38) Nr.65”;

jedoch ist das Werk auch quellenmaßig zu belegen: W G 5. Longo halt uberhauptdie Wiener Abschriften fur die Originale der Santinischen Bibliothek (vergl. Longoa. a. O. S. VII) und nennt sie demgemaß“Santini”. Diese Bezeichnung entsprichtalso der hier angewandten. “Wien”, wobei nach dem Vorbild der Wiener Bande dieBuchstaben des Alphabets, nicht Ziffern,der Bandzahlung dienen. Fur die Son. 349und 369 besitzt einzig das Fitzwilliam Museum in Cambridge Vorlagen, vergl. denKatalog von Fuller-Maitland und Mann, 1893. – Eine Reihe falscher Quellenangabender GA sei im Anschluß hieran richtiggestellt:

Son. 4 nicht V II 11, sondern V I 11,, 76 ,, V VII 17, ,, V VIII 17,, 155 ,, V IV 6, ,, V V 6,, 157 ,, V I 6, ,, V XIV 6,, 198 ,, V XI 1, ,, V VI 1,, 214 ,, V III 19, ,, V III 18,, 224 ,, V XV 39, ,, V XV 38,, 353 ,, V IV 6, ,, V IV 8,, 465 ,, V II 6, ,, V XV 6

*56 Vergl. S. 130 ff.

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notdurftig Auskunft. So schlagt die Ausgabe jenen Mittelweg zwischen

“Wissenschaft” und “‘Praxis” ein, den die italienische Denkmalerarbeit

bevorzugt.

Die Text-Wiedergabe ist, wie nachgepruft werden konnte, gewissenhaft,

von jenen “Verbesserungen” Longos abgesehen, die er meist am Ende der

betreffenden Werke vermerkt. Nicht selten wird durch sie der Affekt eines

Stuckes empfindlich gestort.*57 Bei einigen Sonaten hat der Herausgeber die

Generalbaßbezeichnungen der venezianischen Handschriften kommentarlos

unterdruckt.*58

Die Bezeichnung “i” = inedito, die Longo einem Großteil der in seiner

Ausgabe enthaltenen Sonaten beigibt, ist mit Vorsicht aufzunehmen, da ihm

altere Drucke nur in geringerem Umfange bekannt sind.

Daß samtliche dynamischen Bezeichnungen, die Phrasierung usw. Zusatze

des Herausgebers sind, hebt das Vorwort kaum mit genugender Deutlichkeit

hervor. Das Notenbild hat Longo nach den Bedurfnissen des modernen Spiel-

ers umgestaltet, der auch in der Interpretation der Ornamente*59 gut beraten

wird. Die Metronomangaben bevorzugen ein sehr hurtiges Tempo, das aber

fur Domenico Scarlatti durchaus angemessen erscheint. Fur die meisten

Bande fehlt ein thematischer Index.*60

II

Die lexikographische und historische Literatur des 18. Jahrhunderts

sieht in Domenico Scarlatti in der Hauptsache den großen Sohn eines

großeren Vaters und den Freund Handels. So erwahnt Walthers Lexikon

(1732) den jungeren Scarlatti im Artikel Alessandro Scarlatti auf Grund

*57 Vergl. insbesondere die sog. Acciaccaturen, die Longo durchgehends mildert.*58 S. S. 95, Anm. 3.*59 S. S. V ff. der Einleitung.*60 Vorhanden nur fur Bd. VII – IX und fur den Supplementbd.

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einer Bemerkung Heinichens (Der Generalbaß in der Composition, 1728,

S. 797) nur fluchtig. Mizler (Neu eroffnete musikalische Bibliothek III,

1752, S. 571) fuhrt “beyde Scarlatti” in einem Atemzuge als beruhmte

italienische Musiker der Zeit an, Quantz weiß in seiner Selbstbiographie von

Domenico Scarlatti zu berichten (Marpurg, Hist. krit. Beitrage I, 1754 f.,

S. 226; vgl. auch Marpurg, Kritische Briefe II, 1763, S. 474). Gerber (Hist.,

biogr. Lexikon der Tonkunstler etc., 1792, auch 1814) kann Domenico

Scarlatti bereits einen eigenen Platz einraumen. Denn in der Zwischenzeit

haben vor allem englische Autoren, die heimischer Handel-Enthusiasmus

auf die neapolitanische Schule hinwies, die Bedeutung Scarlattis erkannt,

so Mainwaring (Memoirs of the life of the late G. F. Handel, deutsch von

Mattheson, 1761, S. 50 ff.); Avison (An Essay on Musical Expression,

1752, S. 52 Anm,) berucksichtigt speziell die Klaviermusik.*61 Hawkins

(A General History of Music, 1776, IV, S. 319; V, S. 176) und Burney (A

General History of Music, 1789, III, S. 534 und IV ofter), der in Italien

biographische Notizen gesammelt hatte (Tagebuch, deutsch von Ebeling,

1772/73, I, S. 151 u. o., II, S. 183 u. o.) ordnen Scarlatti kurz in ihr

historisches Gesamtbild ein. Burney (A General History of Music, deutsch

1821/22) illustriert seine Ausfuhrungen durch eine beigesteuerte Sonate

(II, S. 361 ff. u. o.). Labordes Darstellung (Essai sur la Musique III, 1780,

S. 235)belegt, daß Ruhm und Ruf Domenico Scarlattis auch nach Frankreich

gedrungen sind.

Der Artikel bei Choron und Fayolle (Dictionnaire Historique etc.,1810 f.)

verlauft in bekannten Bahnen, Baini (Memorie storico-critiche della vita

*61 Den englischen Ausdruck “Lessons for the Harpsichord” = Studienwerke fur dasHarpsichord, Avison a. a. O., hat der deutsche Ubersetzer (Leipzig 1775, S. 45Anm.) mit “Anweisungen zum Clavierspielen” wiedergegeben; schon Gerber mut-maßt a. a. O., die von Avison erwahnten “Anleitungen zum Klaviere” seien “prak-tische Werke”.

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etc. di G. P. da Palestrina II, 1828, S. 280 ff. Anm.) fuhrt Scarlatti im

chronologischen verzeichnis der Kapellmeister an der Peterskirche an. Ein

neues geschlossenes Bild gibt erst Fetis(Biographie universelle a. a. O.) und,

speziell von Neapel aus gesehen, Florimo (La scuola musicale di Napoli II,

1871, S. 2011 ff.); beide Darstellungen sind fur die Biographie Scarlattis von

grundlegender Bedeutung.

Formgeschichtliche Probleme beginnen die Forschung starker zu

beschaftigen: Riemann erkennt den “klassischen” Rang Scarlattis (Praludien

und Studien III, 1900, S. 174). Seine Stellung in der Geschichte der Klavier-

musik fixieren von deutscher Seite am ausfuhrlichsten Weitzmann - Seiffert

(Geschichte der Klaviermusik, 1899, S. 419 ff.), wahrend Eitner (MfM 1888,

S. 165), Shedlock (The Pianoforte Sonata, 1895, S. 36, 73 f. u. o.) und

Klauwell (Geschichte der Sonate, 1899, S. 36 ff.), nach dem fruhen Versuch

von Faißt (Beitrage zur Geschichte der Claviersonate etc., “Caecilia” 1846,

S. 201 ff., Neudruck im Neuen Beethoven-jahrb. I, S. 31 ff.), sich auf die

Klavier sonate beschranken. Die italienische Auffassung bringt Villanis

(L’arte del clavicembalo, 1901, S. 165 ff.). Die national-italienische Saite

schwingt auch bei Longo vernehmbar mit, der nach einem Pariser Kongreß-

Referat (1900, Observations sur la valeur historique des compositions pour

clavecin de Dominique Scarlatti, S. 213 f.), durch die Leitung der Gesam-

tausgabe autorisiert, Scarlatti in den Mittelpunkt einer essayistischen Studie

stellt (Domenico Scarlatti e la sua figura nella storia della musica,1913).

Dent, dessen Werk uber Alessandro Scarlatti in diesem Zusammenhang

erwahnt werden muß, widmet auch Domenico quellen, und stilkritische

Untersuchungen (“Monthly Musical Record” 1906, S. 194 f. und 221 f.;

“Auftakt” 1922, S. 325 ff.). Malipiero (“Musical Quarlerly” 1927, S. 476 ff.)

betrachtet Scarlattis Kunst vom Standpunkt eines historisch interessierten

Musikers aus.

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In der Entwicklungsgeschichte des Wiener klassischen Stils kommt auch

Domenico Scarlatti ein gebuhrender Platz zu. (Fischer in Adler, Handbuch

der MG, 1930, S. 799 u. o.), Bucken (Handbuch der MW, “Rokoko und Klas-

sik”, S. 17 ff.), skizziert den nachbarocken Charakter seiner Klaviermusik.

Auf breiter Grundlage, deren Wert aber nationalistische Einseitigkeit immer

wieder in Frage stellt, untersucht, nach fruheren Zeitschriften-Aufsatzen –

vor allem in der Riv. Mus. Ital. –, Torrefranca die Anfange der moder-

nen Sonate (Le origini Italiane del Romanticismo Musicale etc., 1930). Der

Anteil, den Domenico Scarlatti daran hat, tritt stark zugunsten anderer

Manner, des “großen” Platti im besonderen, zuruck.

III

Giuseppe Domenico Scarlatti ist im gleichen Jahre wie Bach und Handel

geboren: am 26. Oktober 1685 erblickt er in Neapel das Licht der Welt.*62

Dort ist sein Vater, Alessandro Scarlatti, in dieser Zeit als Hofkapellmeister

tatig. Auf sein Ansehen weisen die vornehmen Taufpaten hin, die er fur den

Sohn gewinnt.*63 Die musikalischen Talente des jungen Domenico entfallen

sich fruh, als Sechzehnjahriger wird er unter die Musiker der koniglichen

Kapelle aufgenommen. Allein im Jahre 1703 siedeln Vater und Sohn nach

Rom uber. Dort schafft Alessandro Scarlatti sich eine neue Wirkungsstatte,

wahrend Domenico, aus der Opernatmosphare Neapels herausgerissen, in

Bernardo Pasquini und Francesco Gasparini zwei hochgebildete Lehrer

findet.*64 Hier wird Domenico mit der Kunst A. Corellis vertraut geworden

*62 Nach dem von A. Longo aufgefundenen Taufschein, vergl. Dent, “Monthly MusicalRecord” 1906, S. 194. Das Jahr 1683, das vielerorts als Geburtsjahr angegebenwird, kommt also nicht mehr in Betracht. Die folgenden Daten in der Hauptsachenach Florimo a. a. O. und Fetis a. a. O.

*63 S. U. Prota-Giurleo, Alessandro Scarlatti il Palermitano, 1926, S. 33.*64 Vergl. A. Bonaventura, Bernardo Pasquini, 1923, S. 48 ff. vergl. auch den fur die

Stellung des Vaters zu seinem Sohn aufschlußreichen Brief, den Alessandro Scarlatti1705 an Ferdinand von Medici sandte; zitiert bei Longo, a. a. O. S. 12. Uber eine

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sein, zu dessen Kreis seine beiden Lehrmeister gehoren. Der Ruf seines

Konnens, vor allem als Cembalospieler, erfullt in kurzer Zeit Italien und

damit auch die ubrigen europaischen Musiklander. Bei einem Aufenthalt

in Venedig kommt Scarlatti mit der dortigen Opernkunst in Beruhrung.

Aber auch auf dem Gebiete der geistlichen Musik muß er sich einen solchen

Namen erworben haben, daß er 1715 als Nachfolger Tommaso Bajs zum

Kapellmeister an der Peterskirche in Rom ernannt wird.

Dies Amt fesselt Domenico jedoch nur vorubergehend: die Jahre 1719/20

sehen ihn in London bei der Auffuhrung seiner Oper Narciso. Hier entschei-

det sich Scarlattis Schicksal, er begibt sich 1721, wie so mancher italienische

Musiker des 18. Jahrhunderts – vor allem Neapel unterhalt enge Beziehun-

gen – nach Lissabon an den Hof des portugiesischen Konigs und zwar als

Hofcembalist und Lehrer der Prinzessinnen.*65 Im Todesjahre seines Vaters,

1725, kehrt er nach Neapel zuruck, das ihm jedoch keine befriedigende

Tatigkeit bieten kann.*66 So folgt er 1729 einer Aufforderung seiner ehe-

maligen Lissaboner Schulerin, der inzwischen mit dem spanischen Thron-

folger, dem spateren Ferdinand VI., vermahlten Prinzessin Maria Barbara,

und geht an den Madrider Hof. Hier bleibt Scarlatti in ahnlicher Stellung

wie in Lissabon ein Vierteljahrhundert.*67 Der Alternde sucht 1754 seine

Vaterstadt Neapel wieder auf, dort stirbt er im Jahre 1757.

So fuhrt Scarlatti das Leben eines internationalen Kunstlers, er

reprasentiert den Typus des großen Instrumentalvirtuosen im 18. Jahrhun-

dert, dem die vornehmen Hofkreise vertraut sind.*68 Von seiner außeren

spatere Trubung des Verhaltnisses berichtet Prota-Giurleo, a. a. O. S. 34 ff.*65 Vergl. U. Prota-Giurleo, Musicisti Napolitani alla Corte di Portogallo,(1923),

insb. S. 7 ff.*66 Vergl. dagegen E. Vieira, Diccionario Biographico de Musicos Portugueses II, 1900,

Artikel Domenico Scarlatti.*67 Uber einen in die Jahre 1740/41 fallenden Besuch Scarlattis in Dublin vergl. Grattan

Flood, SIMG XI, S. 444 f.*68 Baretti, a. a. O. II, S. 101 berichtet uber die Musikverhaltnisse am spanischen

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Erscheinung weiß Burney zu plaudern,*69 Scarlatti sei in spateren Jahren

so “fett” geworden, daß er die Hande beim Klavierspielen nicht mehr zu

kreuzen vermochte, ein Mittel, von dem er in fruheren Zeiten reichlich

Gebrauch gemacht hatte.

Die wenigen Zeugnisse, die uber Scarlattis Personlichkeit berichten, lassen

individuelle Zuge kaum hervortreten. So erzahlt Mainwaring,*70 daß Scar-

latti sein Lebtag das Konnen Handels neidlos anerkannt habe, mit dem

er 1709 im Palaste des Kardinals Ottoboni in Rom einen musikalischen

Wettstreit ausgetragen hatte; Scarlatti schlug zum Zeichen seiner Verehrung

stets ein Kreuz, sobald von Handel die Rede war.

Hasse sprach noch im hohen Alter mit Bewunderung von Domenico Scar-

latti, mit dem er in seiner Jugend in Neapel zusammengetroffen war.*71 Auch

Quantz nennt Scarlatti, den er 1724 in Rom kennen gelernt hatte, in seiner

Selbstbiographie mit Hochachtung einen “galanten (!) Klavierspieler nach

damaliger Zeit”.*72 Noch Schubart bedauert, daß es jetzt in Italien keine

guten Cymbalisten und Organisten mehr gabe, wie ehemals Scarlatti.*73

Uber Scarlattis Musikanschauung gibt Burney einen Bericht;*74 das Selb-

stgefuhl des schaffenden Kunstlers, der zugleich ein Virtuose der Reproduk-

tion ist, ahnt schon den rationalistischen Geist der Aufklarung vor: Scarlatti

sagte ofter ...., er wisse recht rut, daß er in seinen Klavier stucken alle Regeln

der Komposition beiseite gesetzt habe, fragte aber, ob seine Abweichung von

Hof; zu Zeiten der Barbara seicn “Millionen auf italienische Virtuosen” verwendetworden. Baretti meint im besonderen Farinelli, aber die Vermutung liegt nahe, daßauch Domenico Scarlatti zu diesen Favoriten zu zahlen ist. Nach Sacchi, Vita deICav. Don Carlo Broschi, 1784, S. 29 f., soll Scarlatti dem Spiel ergeben gewesensein, so daß er des ofteren die Hilfe Farinellis habe in Anspruch nehmen mussen.

*69 Tagebuch II, S. 183.*70 a. a. O. S. 50 ff.*71 Burney, a. a. O. S. 259.*72 S. Marpurg, Historisch-kritische Beitrage I, S. 226.*73 Christ. F. D. Schubart, Ideen zu einer Asthetik der Tonkunst, 1806. S. 58 f.*74 a. a. O. S. 183 f.

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diesen Regeln das Ohr beleidigte, und auf die verneinende Antwort fuhr er

fort, er glaube, es gabe fast keine andere Regel, worauf ein Mann von Ge-

nie zu achten habe, als diese, dem einzigen Sinne, dessen Gegenstand die

Musik ist, nicht zu mißfallen. (Anmerkung: Scarlatti war der Erste, der es

wagte, in seinen Kompositionen der Phantasie dadurch freies Feld zu geben,

daß er die engen Schranken der angstlichen Regeln niedertrat, die man von

nichtssagenden Kompositionen, in der Kindheit der Kunst, abstrahiert hatte,

und welche bloß dahin abzuzwecken schienen, sie bestandig in dieser Kindheit

zu erhalten. Vor seiner Zeit war das Auge der oberste Richter uber die Musik.

Scarlatti aber leistete seine Huldigung bloß dem Ohre.) .... Er (Scarlatti)

pflegte zu sagen, es bedurfe keines Flugels, um Albertis und verschiedener

anderen neuer Komponisten Musik darauf zu spielen, weil solche auf irgend

einem anderen Instrumente ebenso gut, wo nicht besser ausgedruckt werden

konnte; aber, da die Natur ihm zehnn Finger gegeben hatte, und sein Instru-

ment fur alle Bschaftigung hatte: so sahe er keine Ursache, warum er sie

nicht alle zehn gebrauchen sollte.

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ZWEITES KAPITEL

I

Jener Prozeß, der in seiner Gesamtheit als “Geburt der Instrumentalmusik

aus dem Geiste der Vokalpolyphonie” verstanden werden kann, kommt auf

den verschiedenen Gebieten der Musik in verschiedener Weise zum Aus-

druck. Scheinen beispielsweise im Rezitativ der Florentiner alle Brucken,

die zur vergangenheit fuhren, abgebrochen, so bezeugen auf der anderen

Seite die Fruhwerke der instrumentalen Kammermusik die Nahe des vokalen

Vorbildes.

Ein gleiches gilt von den ersten Erzeugnissen einer selbstandigen Literatur

fur Tasteninstrumente; hier regt sich am fruhesten Barockgeist, der uber

die naturlichen Grenzen der vokalitat hinausdrangt. Da die realen Klan-

glichkeiten von Orgel und Klavier sich in der Bundigkeit der Tongebung

aufs engste beruhren, haben beide Instrumente zunachst an einer Produktion

Anteil. Die Ricercare, Fantasien, Contrappunti des venezianer Kreises, der

dabei hervortritt, sind ursprunglich kaum mehr als auf Tasteninstrumente

verpflanzte vokalmusik. Das chorische Urbild wird jedoch durch instrumen-

tale Bedingungen und Moglichkeiten verandert, im Sinne reiner vokalmusik:

getrubt. Das Instrument meldet seine Anspruche vernehmlich an. Der Einzel

sanger, der nur auf seine Stimme Einfluß hat, verliert sich im Chore, der

Einzel spieler, der alle Stimmen “in der Hand” hat, betont seine Individu-

alitat.

So wird eine primar instrumentale Form, die kein vokales vorbild einengt,

die Toccata der beiden Gabrieli und Claudio Merulos, der Ort, wo sich, einer

ursprunglichen liturgischen Zweckverbundenheit der Toccata zum Trotz, im

Wechselspiel gegensatzlicher Krafte die Gestalt des “schaffenden” Kunstlers

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am starksten durchzusetzen vermag. Die Toccata Frescobaldis steigert

seine Subjektivitat, ihr unmittelbarer Ausdruck ist erregteste Chromatik,

die unter renaissancehaftem Einfluß bereits die altere Toccata kennt.*75

Die kultische Gebundenheit jener erfahrt eine deutliche Lockerung, das

verhaltnis von Kunstler und Werk tritt in ein neues Stadium.

Frescobaldi verpflanzt die Toccata in das barock-klassizistische Rom,

dessen eigentumlich traditions-und schulbildende Kraft sich auch hier

bewahrt. Eine Reihe von Musikern – Pannain nennt sie “i frescobaldiani”*76

– gehort zur Schule Frescobaldis, deren bedeutendster Kopf allerdings ein

Nicht-Italiener, Froberger, ist.

Mit Frescobaldi hat die italienische Toccata einen Hohepunkt erreicht, von

dem aus die Entwicklung in zwei Richtungen verlauft: die eine nahert die

Toccata der Zusammenstellung “Toccata und Fuge”, die andere der Sonate

an.*77 Bei Bernardo Pasquini und Alessandro Scarlatti sind die freigebilde-

ten Teile der Toccata, deren Zahl bei Frescobaldi keiner Regel unterworfen

scheint, solcherart zu festen Satzen erstarrt.

Eine Generation spater enchich tut Domenico Scarlatti den letzten

Schritt: Sonata und Toccata werden synonyme Bezeichnungen; die eine

Entwicklungslinie der Toccata hat hier ihr immanentes Ziel erreicht.*78

*75 Vergl. L. Schrade in ZfM VIII, S. 623.*76 G. Pannain in “Le origini e lo sviluppo dell’ arte pianistica in Italia”, 1917, S. 120f.,

fuhrt Maurizio Cazzati, Fabrizio Fontana und Giovanni D. Scipione an.*77 A. Sandberger, Ausgew. Aufsatze zur MG I, 1921, S. 171 f.*78 Vergl. auch die Definition Marpurgs, Klavierstucke 1762, Vorrede S. 5f.: “Das Wort

Sonate pfleget man in besonderem Verstande alsdenn zu gebrauchen, wenn die dreyoder vier auf einander folgenden Stucke mit nichts als den die Bewegung anzeigendenWortern, z. E. mit Allegro, Adagio, Presto, usw. charakterisiret werden, obgleichin manchem Stucke das vollkommene Merkmahl einer Allemande, Courante, Gigueusw. vorhanden ist ... Mit der vorigen Bedeutung des Worts Sonate in beson-derm Verstande, kommt die in besonderm Verstande genommene Bedeutung desWorts Toccate vollig uberein, nur daß bei der Toccate mehr auf die Orgel, als aufden Flugel die Absicht gerichtet wird. So wie aber, vermittelst einer neuen Bedeu-tung, das Wort Toccate auch, fur ein einzelnes Stuck, nemlich fur eine tactmaßigabgemeßne, und mit kurzen Nachahmungen fur die Orgel durchflochtne Fantasie,die man vor einer Fuge vorhergehen lasset, pfleget genommen zu werden, eben so

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Die Beruhrung mit der Toccatenkunst laßt die Sonata Domenico Scarlattis

schnell uber die Sphare selbstandig gewordener Suitensatze emporwachsen.

Diese Krisenzeit der Toccata, in der sie noch einmal Neues gebiert, ist

durch jenen Wechsel in Musikauffassung und -anschauung gekennzeichnet,

der sich in den ersten jahrzehnten des 18. Jahrhunderts in Italien anbahnt.

Die langsame Rezeption des Barock durch den neuaufkommenden galanten

Stil macht sich auf allen Gebieten der Musik, nur mit verschiedener Starke,

bemerkbar. Einen plotzlichen Stilwandel kennt Italien nicht, das Jahr 1750

kann nur fur die deutsche Musikgeschichte mit einigem Recht das Ende der

Barockzeit bezeichnen. Auf italienischem Boden vollzieht sich der Ubergang

gleitender, die verbindenden Unterstromungen sind hier besonders stark. So

ubernimmt der galante Stil wesentliche Elemente der alteren Kunst, aus

kontrapunktischer Satzanlage gewinnt auch er zunachst seine besten Krafte.

Deutlicher noch als die peripher gelagerte Klaviermusik spiegelt die Oper

diese Entwicklung wider.

Schon fur das spatere 17. Jahrhundert kann die Oper als Zentrum des

kunstlerischen Schaffens in Italien gelten. Alessandro Scarlatti verkorpert

noch Ideale venezianischer Herkunft,*79 die sich die erste Epoche der neapoli-

tanischen Oper zu bewahren weiß. Scarlattis Nachfolger – sie sind zum Teil

seine personlichen Schuler – entfernen sich von ihnen, der galante Stil ergreift

von der Oper, die sich auf neuem Libretto grundet, Besitz und durchdringt

ihre instrumentalen und vokalen Teile in gleicher Weise.

Ein Hauptstilmerkmal liegt in der Neugestaltung der melodischen Linie,

die jetzt alle barocke Schwere uberwindet. Den spezifischen Anteil, den Ital-

ien an der Auflosung des Barock hat, pragt auf dem Gebiete der Klaviermusik

pfleget das Wort Sonate ofters fur ein einzelnes abgesondertes Klavierstuck vonhurtiger Bewegung gebraucht zu werden ...”

*79 Vergl. H. Abert in AfM V, S. 33.

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die Sonatenkunst der Venezianer Schule aus: die mehrsatzige Sonate der

Dom. Alberti, G. B. Pescetti, B. Galuppi, die sich gleich der G. Plattis auch

außerhalb Italiens großer Beliebtheit erfreut, formt die geschlossene altere

Melodik von Grund aus um und ordnet zugleich das Stimmenverhaltnis neu

in Richtung auf eine allgemeine Homophonisierung:*80

Pescetti, Sonate III, Takt l ff. (Sachsische Landesbibliothek, Dresden,

mus. 2967T/1∗ )

Ein Vergleich mit der zeitgenossischen deutschen Sonate J. Schoberts und

C. Ph. E. Bachs laßt ihre national-italienischen Zuge noch scharfer her-

vortreten. Vor allem hat die Oper hier, im Gegensatz zu Deutschland,

stark eingewirkt; scheint es doch geradezu ein Nebenzweck der venezian-

ischen Klaviersonate gewesen zu sein, den Dilettanten in den opernlosen

Stadten die modische Opernmusik zuganglich zu machen.

Eine besondere Rolle spielt dabei die einleitende Sinfonie, sie greift uber die

*80 Burney, History IV, S. 664 stellt Handel und Domenico Scarlatti in ihrer Klavier-musik Alberti scharf gegenuber. Torrefranca, a. a. O. S. 278, weist auf einen Wechseldes Instrumentenideals hin: “Mentre Domenico Scarlatti conduce alla maggiore per-fezione, e insieme alla maggiore complicazione, l’arte del cembalo, questi veneziani.... affermano .... un’ arte di transizione che si potrebbe definire, adotlando untermine dell’ epoca, l’arte del cembalo, pianoforte.”

Vergl. hierzu den bei Ricordi erschienenen Neudruck “Cembalisti italiani del Set-tecento”, herausg. von G. Benvenuti, der uberwiegend Haffnerschen Vorlagen folgt.

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Grenzen der Oper hinaus in die Geschicke der Instrumentalmusik entschei-

dend ein. Die Anthologie der Sinfonie-Definitionen aus dem 18. Jahrhundert,

die Sondheimer vorlegt,*81 beweist, wie sehr die Meinungen der Zeitgenossen

auseinandergehen. Von der Sinfonie in Alessandro Scarlattis fruhen Opern

geben die Funde, die Lorenz gegluckt sind, nur ein unvollstandiges Bild.*82

Jedoch ist soviel deutlich, daß hier noch die starke traditionelle Bindungen

bestehen, die allen schematischen Formungen entgegenwirken. Sondheimer

setzt den siegreichen Durchbruch der “neapolitanischen Opernsinfonie” mit

ihrer typischen Dreizahl der Satze erst gegen das Jahr 1730 an.*83 Zunachst

schwankt die Satzgestaltung stark; so ist der Eingangssatz in der Sinfonie

Alessandro Scarlattis keineswegs auf die fur die spatere Zeit charakteristische

Zweiteilung [:T-D:] [:D-T:] festgelegt. Sie bleibt vielmehr den Schlußsatzen

der Sinfonie vorbehalten.

Noch Scheibe erkennt 1745 fur den ersten Satz der Sinfonie durchaus

nicht die Alleinherrschaft der zweigeteilten Form an, sondern er stellt einen

weiteren Typus auf, der ohne Wiederholung fordernden Doppelstrich bis

zum Ende durchlauft.*84 Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts hin kann also

der erste Sinfoniesatz noch keine eigene normative Formung finden – dringt

doch gerade hier das neue Prinzip der Satzgestaltung am entschiedensten

ein.*85 Trotzdem sind naturlich gewisse allgemeingultige Zuge festzustellen:

so ein immer starker werdendes Streben, konstrastierende Satzabschnitte

einzufuhren und sie gegen die ubrige Motivik abzugrenzen, eine Folge des

*81 R. Sondheimer, Die Theorie der Sinfonie und die Beurteilung einzelner Sinfoniekom-ponisten bei den Musikschriftstellern des 18. Jahrhunderts, 1925. Vergl. auch C.Mennicke, Hasse und die Gebruder Graun als Symphoniker, 1906, S. 143 ff.

*82 A. Lorenz, Alessandro Scarlattis Jugendoper, 1927, I, S. 226 ff.*83 Sondheimer, a. a. O. S. 17, Anm. 2.*84 Critischer Musicus, S. 623 ff.*85 F. Tutenberg, Die Sinfonik Joh. Christ. Bachs, 1928, S. 44 ff., unterscheidet in

dieser Zeit vier Formtypen der ersten Sinfoniesatze: die Suiten-, Lied-, MannheimerRitornell- und Wiener Ritornelsinfonie.

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neugewonnenen Themabegriffs und jener allgemeinen Homophonisierung

der Sinfonie, die in der ersten Halfte des 18. Jahrhunderts immer großere

Fortschritte macht.

Der mittlere Satz der Sinfonie, der in der Regel auch dem Umfang nach der

kurzeste ist, hat im Werkganzen geringere Bedeutung, ja, er muß uberhaupt

um seine Selbstandigkeit kampfen. Denn oft genug haftet ihm stark der

Charakter eines Ubergangssatzes an. Außerlich kommt dies dadurch zum

Ausdruck, daß er gern nicht ganzschluß-, sondern halbschlußmaßig endet

und so als “Vorbereitung” des Schlußsatzes wirkt.*86 Im langsamen Satz

mancher fruhneapolitanischen Sinfonie klingt noch leise jener hymnenar-

tige Gesang nach, der die hohe Zeit der italienischen Kammermusik, die

Epoche Steffani-Corelli-Veracini, kennzeichnet.*87 Spater verfallt der Mit-

telsatz im Gleichtakt mit der Opernsinfonie uberhaupt und kann dann auf

wenige Uberleitungstakte zusammenschrumpfen.*88

Das Finale der Sinfonie laßt fast stets die Nahe des Tanzes — des

Menuetts, der Gavotte, der Giga — erkennen.*89 Jedoch verhindert die

starke Stilisierung, die diese Satze erfahren, das Aufkommen freiergebildeter

Formen. Sie haben aus diesem Grunde fur die Entwicklung der Sonatenform

geringere Bedeutung. Dabei liegt aber doch auf der Zweiteilung des

Satzes, die hier nach dem aufgewiesenen Schema typisch wird, ein starker

formgebender Akzent.*90 Im Kontrast zu den langsamen Mittelsatzen, die

dem Mollgeschlecht zuneigen, bevorzugt das ubersprudelnde Leben der

*86 S. z. B. den Mittelsatz der von Botstiber, Geschichte der Ouverture,1913, S. 247 ff.veroffentlichten “Olimpia”-Sinfonie von Alessandro Scarlatti.

*87 vergl. Sandberger in DTB I, S. XLl f.*88 S. z. B. der Mittelsatz in der “Introduzzione” zu einer Serenata a quatro voci von

Domenico Scarlatti, Markusbibliothek Venedig, Mss. Italiani C1. 4 No. 198.*89 Nur in den Oratorien ist der Schlußsatz nicht so ausgesprochen tanzartig, aber

er behalt auch hier stets die Form eines Tanzes und tragt scharf rhythmisierienCharakter.

*90 Vergl. H. Riemann, a. a. O. S. 157 ff. und Mennicke, a. a. O. S. 48.

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Schlußsatze die Durtonarten.

Das modische Menuett nimmt schon in Alessandro Scarlattis Oper eine

Vorzugsstellung ein.*91 Wie in der Sonata da chiesa, die sich einzelnen

Tanzsatzen – hier vor allem der Giga als Schlußsatz – offnet, werden aber,

wohl um den Abstand von der geringer bewerteten Suite zu betonen, in der

Sinfonie die Namen dieser Tanzformen im allgemeinen nicht ausdrucklich

genannt. Im Verschmelzungsprozeß der Suitensatze mit kontrapunktischen

Elementen, die bei Alessandro Scarlatti haufig noch stark sind, verlieren die

alten Tanzsatze ein gut Teil ihrer “personalen” Charakteristika.*92

Die Großform dieser Schlußsatze, ihr spiegelbildlicher Bau, fuhrt

dahin, daß es zu reprisenahnlichen Bildungen kommt, d.h., daß bes-

timmte Abschnitte in beiden Satzteilen wiederkehren. Doch scheinen

diese Kurzreprisen mehr zufallige Wiederholung als integrierend-

formbestimmender Bestandteil zu sein. Uberhaupt geht den Schlußsatzen

der sinfonie im einzelnen ein formales Konstruktionsgesetz ab, ihr Perioden-

bau folgt vielmehr einem ziemlich willkurlich anmutenden Reihungsprinzip.

Zum Unterschied vom ersten Satz der Sinfonie werden aber keine scharfer

kontrastierenden Perioden aufgenommen, die Schluß satze bewahren im

Regelfalle eine einheitliche, suitenhaft beruhrende Haltung.

Bei Alessandro Scarlatti ist die Sinfonie noch als ein zusammenhangendes

Ganzes konzipiert und so empfunden worden, in der Folgezeit droht sie nicht

selten, in ihre einzelnen Teile zu zerfallen. Die Buffo-Sinfonie dagegen verrat

eine starke Tendenz zur Satzeinheit.*93

Der musikalische Gehalt ist im spateren Neapolitanertum haufig durftig

*91 Dent, Alessandro Scarlatti, 1905, S. 122.*92 Bei Corelli erscheint die Allemande als Adagio-, als Allegro-, als Presto-Satz — ein

Beweis, wie sehr das feste Allemanden-Ideal erschuttert ist; vergl. Wasielewski, DieVioline im 17. Jahrhundert, 1874, S. 88.

*93 Tutenberg, a. a. O. S. 51.

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genug: gebrochene Dreiklange uber weite Strecken, Trommelbasse tauschen

Bewegung vor, allein die Harmonie wechselt nur langsam:

Pergolesi, Sinfonie zur Oper L’Olimpiade. (Bayer. Staatsbibl. Mus. Ms. 142.)

So laßt mit dem Verzicht auf alle Kunste der Polyphonie, den die

Spatneapolitaner immer bewußter aussprechen, die Intensitat des musikalis-

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chen Ausdrucks nach. Uber solchen Mangeln*94 sind oft die Lichtseiten

ubersehen worden, die etwa in der pragnanten Kurzmotivik, in der

Symmetrie-Rhythmik der Schlußsatze*95 und in der richtunggebenden

Statuierung der Dreisatzigkeit bestehen. Das brillant-homophone Melos

der spateren Neapolitaner endlich, das alle kontrapunktischen Fesseln

abgestreift hat, bringt eine Absage an die stilisiert-gebundene Barock-

melodik. Es lost ihre Geschlossenheit auf:

N. Jommelli, Sinfonie zur Oper L’Armida abbandonala. (Bayer. Staais-

bibl. Mus. Ms. 3687)

Auch das eindringende Orchestercrescendo, das den Gesamtklang zugleich

intensiviert und auflockert, weist auf neue Ideale hin.

Die Opernsinfonie bietet, als Ganzes betrachtet, ein Beispiel fur die

“Bogenform”*96 a-b-a, nur mit dem Unterschied, daß der Teil a nicht,

nachdem b verklungen, wiederkehrt, sondern ein neuer Teil (a’) eintritt,

der aber bei gleicher Tonart dem musikalischen Charakter des ersten Satzes

nahesteht. Das Prinzip der Bogenform kommt in der da-capo-Arie am

reinsten zum Ausdruck, die im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts

fur Alessandro Scarlatti typisch wird.*97 Und zwar in so hohem Grade,

daß, wenn das Arienthema regelmaßig gebaut ist, der formale Ablauf in den

*94 Schon die Zeitgenossen hatten vielerlei zu tadeln, so meint Quantz im “Versuch einerAnweisung die Flote traversiere zu spielen”, 1752, Neudruck, herausg. von Schering,1906, S. 244: “In der Komposition der itzigen italianischen Instrumentisten, wenigedavon ausgenommen, findet man mehr Frechheit und verworrene Gedanken, alsBescheidenheit, Vernunft, und Ordnung.”

*95 Vom Schlußsatz sagt Scheibe, a. a. O. S. 628, er werde “insonderheit sehr fluchtigeingerichtet, also, daß er auf das geschwindeste kann gespielet werden”.

*96 Lorenz, a. a. O. S. 218 ff.*97 Ubrigens auch fur die Kammerkantaten Domenico Scarlattis, vergl. etwa die Arien

in den Hss. S 384 und S 385 der Bibliothek Santini (UB Munster).

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Hauptpunkten festliegt. Er folgt etwa diesem Schema:*98

1. ein einleitendes Continuo-Ritornell, das die Thema-Aufstellung bringt,

endigt kadenzierend auf der Tonika;

2. der Solist beginnt mit der Devise; ihr schließt sich ein zweites Ritornell

an, das meist das erste mehr oder weniger variiert und verkurzt wiederholt;

dann erst setzt der Sanger mit dem ersten Arienhauptteil ein, der entweder

zur D oder (in Moll) zur DP fuhrt;

3. nach einem kurzen Zwischenspiel folgt ein neuer, in die Tonika

zuruckleitender Arienabschnitt, ihm eine Koda mit Koloraturansatzen und

ein instrumentales Nachspiel.

Das zweite Drittel weist im wesentlichen gleichen Bau auf, nur fallt die

Devise mit den beiden benachbarten Ritornellen fort. Eine Koda, die allerd-

ings auch fehlen kann, endet auf der D oder der DP. Hierauf beginnt die

Wiederholung des ersten Teiles.

Entspricht die d.c.-Form a-b-a als Ganzes dem dreiteiligen Sonatensatz (a

- Exposition, b - Durchfahrung, a - Reprise), so gibt auch im Kleinen ihr er-

stes Drittel mit seinem regularen harmonischen verlauf T-D-T (bzw. DP) das

Schema der Sonate wieder. Es besteht also eine doppelte Beziehung zwischen

beiden Formen.*99 Wennschon nicht die einzige Wurzel der Sonatengestal-

tung, wird doch die Existenz eines in hohem Grade stilisierten Arientypus,

zumal die Oper im Mittelpunkt des italienischen Musiklebens steht, auf die

beginnende Festigung des Sonatensatzes Einfluß gehabt haben; umso mehr,

als ja der Cembalokomponist haufig auch in der Oper an seinem Instrument

saß, er also mit der vokalen Kunst hinlanglich vertraut war.

*98 Nach P. Struver, Die Cantata da camera Alessandro Scarlattis, Munchener Diss.1923, S. 156.

*99 H. Abert, Mozart I, 1923, S. 227, betont lediglich die Ahnlichkeit desRuckleitungsteiles im ersten Drittel der Arie mit der Durchfuhrung der Sonate.Vergl. auch H. Goldschmidt, MfM 1901, S. 61 ff.

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Auch auf die Dreisatzigkeit der Opernsinfonie fallt von hier aus

uberraschendes Licht. Botstiber veroffentlicht eine Sinfonie Draghis aus

dem Jahre 1681, deren Satzdreizahl das schema a-b-a aufweist.*100 Der

Mittelsatz b kontrastiert im Tempo. Solche Instrumental-Ubertragungen

des d.c.-Arientypus ahnen die spatere neapolitanische Sinfonie gleichsam

vor. In der Regel folgt hier allerdings dem Mittelsatz nicht eine Repetition

des ersten Satzes, sondern ein eigenwuchsiger dritter Teil. Aber auch der

Sanger tragt ja den d.c.-Teil bei der Wiederholung in veranderter Form

vor, er schmuckt ihn durch Verzierungen aller Art aus und erweitert ihn

durch Koloraturen usf. Anstelle dieses freivariierten Komplexes, dessen

Improvisationstechnik auf solistische Ausfuhrung rechnet, tritt im instru-

mentalen Zusammenspiel der dritte Sinfoniesatz, der sich aber tonartlich

und in seinem musikalischen Gehalt dem ersten Satz eng anschließt. Wird

solcherart zwar die kreishafte Geschlossenheit der d.c.-Arie nicht erreicht,

so ist doch die Stimmungseinheit der Sinfonie hinlanglich gewahrt.

Gegenuber dem Formenreichtum des Hochbarock, der seinerseits hinter

dem Fruhbarock zurucksteht, liegt in der schematisch festgehaltenen Dreit-

eiligkeit im aufgezeigten Sinne zweifellos eine Verarmung. Allein ein Ver-

gleich der venezianischen Arienkunst mit der der Neapolitaner beweist eine

stilisierende und typisierende Tendenz, die den Herbst des Barock charak-

terisiert.

Die Traditionsgebundenheit des neuen galanten Stiles zeigt sich nun auch

darin, daß er sich zunachst keine originale Formenwelt schafft, sondern die

schon in der Sp”atzeit des Barock gepragte ubernimmt. In ihr beansprucht,

vom Barock als produktives Erbteil hinterlassen, die Sonate eine erste Stelle.

Kammersonate und Kirchensonate haben in Italien kaum ihre eigene

Gestalt gefunden, als sich auch schon das Bestreben geltend macht, beide

*100 S. Botstiber, a. a. O. S. 237 ff., auch S. 31 f.

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miteinander zu verschmelzen.*101 Bis zu ihrem Aussterben gebietet aber

die Wurde der Sonata da chiesa, die Namen der eingedrungenen Tanzsatze

zu verschweigen; die Kammersonate fuhrt sie meist, aber durchaus nicht in

der Regel, an.

Um die Wende des 17. Jahrhunderts dringt, im Werk Corellls, der der

Klassiker der Triosonate ist, die zweigeteilte Form vom Tanzsatz her nun

auch immer haufiger in solche Gattungen, wie eben die Kirchensonaten, ein,

die sich ihr zunachst versagt hatten. Dieser Prozeß beschleunigt den Ab-

bau der fugenhaften Elemente innerhalb einer bisher geschlossenen Form so

sehr, daß in den Werken der spatbarockcn Kammermusik-Meister bereits die

Keime der modernen Sonatenform vorliegen. Fur die Prinzipien der barocken

Satzgestaltung bedeuten sie jedoch eine tiefgehende Erschutterung. Denn

das sequenzierende Fortspinnungswesen, ein Hauptstilmerkmal der Barock-

musik, ist seiner Natur nach auf Einheitlichkeit bedacht. “Kontrast” und

“Fortspinnung” sind unvereinbare Großen. In der Barocksonate tritt daher

ein “zweites Thema” stets im Flusse der allgemeinen Bewegung auf, hangt

melodisch oder rhythmisch mit ihr eng zusammen, bringt jedenfalls geistig

keinen Gegensatz, wahrend die klassische Sonate grundsatzlich beide The-

men mog- lichst scharf und kontrastierend zeichnet. W. Fischer leitet den

Fortspinnungstypus vom monodisierten poIyphonen Satz und von Basso-

ostinato, Formen ab,*102 ein nach dem Fortspinnungstypus gebauter Barock-

satz ist stets polyphon empfunden. Die unendliche Melodie einer Gigue

Corellis,*103 so sonatenhafte Zuge sie im Einzelnen aufweisen mag, steht

doch stilistisch der Fuge naher als der Sonate. Auf der anderen Seite deuten

von der Hauptbewegung sich abgrenzende Motivbildungen, wie sie vor allem

*101 Sandberger, a. a. O. S. XXXV.*102 in StzMw III, S. 45 ff.*103 Etwa op. II Nr. 11, s. Denkm. d. Tk., ed. Fr. Chrysander, III 1, S. 116.

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im Eingang mancher Giguen auftreten, und ausgedehntere Kodalpartien –

also Satzanfang und -ende – auf neue Formprinzipien hin.*104

Riemann analysiert eine Sonate dall’Abacos (op. III, 6, ed. A. Sandberger

DTB I, S. 107 ff.),*105 seine Untersuchung des ersten Satzes gewahrt Einblick

in die Struktur der Barocksonate uberhaupt: das sog. “zweite Thema”

ist hier lediglich ein Kontrapunkt zum Eingangsmotiv, es besteht also nur

scheinbar ein thematischer Kontrast.

In dieser Zeit liegt die Musikpflege in Italien zu einem wesentlichen Teil –

anders steht es vor allem um die Kirchenmusik –der aristokratischen Ober-

schicht ob, die sich in Hof- und Privatzirkeln zusammenschließt.*106 Als

unmittelbarster Ausdruck ihrer gesellschaftlichen Exklusivitat kann Corellis

adlige Kunst gelten.*107 Erst gegen Mitte des 18. Jahrhunderts beginnt die

Ara des Dilettanten, die den Kreis der Musikanhanger entscheidend erweit-

ert. Die burgerlich orientierte galante Kunst lost das hoheitsvolle Barock-

pathos allmahlich auf. Der Oper fallt dabei eine besondere Aufgabe zu:

selbst ein neapolitanischer Meister wie Pergolesi kommt in der Satzgestal-

tung seiner Kammermusik kaum uber die barocke Sequenz hinaus;*108 in

seiner Buffomusik, deren spruhende Kurzmotivik ihrer Natur nach thematis-

che Arbeit begunstigt, ist Pergolesi “fortschrittlicher” als in den Triosonaten.

Hier baut er Seitensatz und Epilog aus, das ganze Stimmgefuge wird aufge-

hellt und von gesteigerter Kantabilitat getragen.

Das oberitalienische Solokonzert – in Neapel hat das Konzert niemals fes-

ten Fuß fassen konnen – weist in seiner Akzentuierung eines Einzelspiel-

ers deutliche Beruhrungspunkte mit Grundsatzen der neuen Kunst auf. So

*104 Vergl. W. Danckert, Geschichte der Gigue, 1924, S. 58.*105 H. Riemann, Große Kompositionslehre I, 1902, S. 427 ff.*106 Vergl. E. Bucken, a. a. O. S. 1*107 Vergl. die fur die Stellung des Kunstlers Corelli bezeichnende Anekdote bei Marpurg,

Kritische Briefe I, 1759, S. 112.*108 Sondheimer in ZfM III, S. 88.

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geschehen gerade hier formale Neubildungen: das Vivaldische Konzert mit

seinen rondohaft auftretenden Tuttiblocken, die den Tonarienkreis erweitern,

und der Kontrastdualismus in den Konzerten Tartinis gliedern das Satzganze

in antibarocker Weise. Jene in aller sonaten, verbundenen Instrumental-

musik des 18. Jahrhunderts, auch der Domenico Scarlattis, haufige Form

des “Durchfuhrungs”-Beginns, die das Kopfthema an dieser Stelle in der

Dominanttonart bringt und damit Exposition und Durchfuhrung motivisch

eng verknupft, stammt vom Konzert her.*109 Das Wechselspiel von Concerto

grosso und Concertino (bzw. Solo-Instrument) belebt eine stufenreiche Dy-

namik, deren fortschreitende Differenzierung dem klassischen Ideal die Wege

ebnet. Das Ende dieser Entwicklung bezeichnet eine Festlegung der einst

“freien” Dynamik und auch der Agogik in immer zahlreicheren vorschriften.

Insgesamt ist die Triosonate dem Barock, die Sinfonie dem galanten Stil,

der seinen Hauptstutzpunkt in der Opernmusik hat, tiefer verbunden, das

Konzert in seinen mannigfachen Auspragungen halt eine Mittellinie ein. Die

letzte Phase des Barock und die erste der galanten Kunst konnen zeitlich

durchaus selbstandig nebeneinander bestehen, eine Stiluberschneidung, wie

sie etwa das Wirken dall’ Abacos in Munchen kennzeichnet.*110

Die zentrale Stellung, die in Italien vokale und instrumentale Kammer-

musik einnehmen, drangt die Soloklaviermusik nach Frescobaldi fur einige

Zeit in den Hintergrund. Die Liedvariationen Frescobaldis deuten auf ein

starkes Vokal-Element, die Verbindung von Variationsprinzip und Tanzsatz,

die hier zum er51en Mal begegnet, wird von grundlegender Bedeutung. Nicht

nur, weil sich in diesen spezifisch “weltlichen” Werken eine scharfere Schei-

dung von Orgel und Klavier anbahnt, auch, weil daruber hinaus die Suite

*109 Vergl. H. Riemann, a. a. O. S. 467. Dieser Typus findet sich auch noch bei denWiener Klassikern.

*110 Vergl. Sandberger, a. a. O. S. XXIX und E. Bucken im Leipziger Kongreßbericht,1926, S. 103.

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uberhaupt ein neuer Schaffenspol wird. Da aber die franzosische Oper,

das Hauptreservoir aller Tanzsatze, die italienischen Grenzen nur sporadisch

zu uberschreiten vermag, findet die Suite in Italien geringere Pflege als in

Frankreich und Deutschland, wo sich im Zusammenhang damit das intime

Clavichord starker durchseizt.

Der Vorrang der Toccata ist bei den unmittelbaren Nachfolgern Fres-

cobaldis noch unbestritten. So reiht Michelangelo Rossi in seiner Toccata

nach dem Muster Frescobaldis mehr oder weniger streng fugierte und freier

gestaltete Satzabschnitte, die zwischenspielartig kontrastieren, aneinander.

Hochstgesteigerte Chromatik, die plotzliche und uberraschende Modulatio-

nen ermoglicht, mutet echt toccatisch an; allein eine geringere rhythmische

Energie verrat, daß der Gipfelpunkt Uberschritten ist.

Der Anteil der Suite wird erst bei Bernardo Pasquini großer. Noch zu

Lebzeiten Frescobaldis geboren, macht er sich als erster vom uberragenden

Vorbild frei und schlagt neue Pfade ein. Die Preußische Staatsbibliothek

Berlin besitzt einen umfangreichen Sammelband Pasquinischer Klavierwerke,

allem Anschein nach ein Autograph. Unter dem Titel Sonate per gravichem-

balo*111 gibt er einen Querschnitt durch die Klaviermusik Pasquinis. Die

Bezeichnung “Sonata” ist als Sammelname zu verstehen und hat den weiten

Sinn eines “Spielstucks”. In der Hauptsache konnen drei Werkgruppen un-

terschieden werden: die Toccata, die Fuge – einschließl. Fantasie, Ricercar

und ahnlichen Formen – und variationshafte Satze, mit Einschluß der Suite,

Nur eine einzige Toccata hat fur lange Orgelpunkt-Noten Pedalangabe, ist

also eindeutig Orgelmusik.*112 Doch weist die Uberzahl der meist einteiligen,

aus einem Zuge geformten Toccaten und Tastaten eine so “neutrale” Haltung

auf, daß Orgel und Klavier sie mit gleichem Recht beanspruchen konnen.

*111 Sign. Mus. ms. L 215.*112 a. a. O. S. 183.

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Uberhaupt wird die Frage, wann die Wege von Orgel und Klavier endgultig

auseinanderfuhren, darum nicht generell zu beantworten sein, weil die Beze-

ichnung “Orgel” auf ein jeweils ganz verschiedenes Instrument zielen kann.

Wenn ein alterer Druck sogar noch bei einigen Kompositionen Domenico

Scarlattis die Ausfuhrung auf dem Klavier oder der Orgel dem Spieler freis-

tellt,*113 so ist hier jener italienisch-sud-deutsche Typus der Kammerorgel

gemeint, der ideell dem Cembalo naher steht als etwa dem norddeutschen

Orgelbau der Zeit.

Pasquinis Toccaten beginnen formelhaft entweder mit breiten, langgehal-

tenen Akkorden, die in ein Figurenwerk auslaufen, oder sofort imitatorisch-

fugenhaft, ohne daß sich jedoch eine ausgearbeiteie Fuge entwickelte. Einige

wenige Werke weiten sich zur Zwei- und Dreiteiligkeit aus, der Hauptakzent

liegt dann auf dem fugierten zweiten Teil.

Durchgehends streng kontrapunktisch geformt sind dagegen die als Fan-

tasie, Ricercar oder Capriccio bezeichneten Satze. Unter ihnen ragt ein

“Ricercare con la fuga in piu modi” besonders hervor.*114 Das Hauptthema

wird hier in neun Abschnitten verkurzt, umgekehrt, melodisch und rhyth-

misch umgebildet, wobei verschiedene Gegenthemen selbstandig auftreten –

insgesamt bildet diese zusammenhangende Satzfolge ein spates Beispiel fur

das altere Variationsricercar.*115

Das Variationsprinzip dringt auch in die “Partita” ein. Die Kette der

variationen, die die bekannte figurative Technik aufweisen, kann bis zu

24 Einzelglieder umfassen. Pasquini bevorzugt einen Zyklus Allemande-

Courante, Gigue, der, tonartlich und durch motivische und harmonische

Verwandtschaft zusammengehalten, so die Grundform der Suite zu bilden

*113 S. S. 36, vergl. auch S. 128, Anm. 2.*114 a. a. O. S. 76 ff.*115 S. die Notenbeispiele bei Weitzmann-Seiffert, a. a. O. S.270 f.

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scheint. Die das Suiten, schema vervollstandigende Sarabande ist nur einige

wenige Male in Variationsreihen vertreten; dagegen erweitert Pasquini die

dreisatzige Suite gem durch eine angehangte “Aria”. Bonaventura schreibt

Pasquini gegenuber Froberger das Verdienst zu, die Suite in die Klavier-

musik eingefuhrt zu haben.*116 Steht nun auch die Prioritat Frobergers

fest, so ist doch anzunehmen, daß Pasquini von Froberger unabhangig war;

es liegt hier also ein Beweis fur die Richtungsgleichheit der geschichtlichen

Entwicklung in Deutschland und Italien vor.

Diese Parallele findet darin eine Erganzung, daß Pasquini gleich Johann

Kuhnau die Formwelt der Klaviermusik um die “Sonate” bereichert. Bei bei-

den Meistern spielt die Kammermusiksonate stark hinein, Satzbau und-zahl

kunden ihre Nahe. Pasquinis Abhangigkeit, insbesondere von dem ihm nahe

verbundenen Corelli, geht soweit, daß er seine Sonaten nicht als Soloklavier-

musik, sondern als Kammermusikwerke fur zwei Cembali formt.*117 Fur

jeden Spieler ist dabei nur eine einzige Stimme, in der Regel ein bezifferter

Baß, gegeben:

Sonata 7, Takt 1 ff.

*116 a. a. O. S. 83.*117 Londoner Ms., Britisches Museum Add. 31501. vergl. auch den Neudruch einer

Sonate bei J. S. Shedlock, Selection of Pieces Composed for the Harpsichord byBernardo Pasquini (1895), S. IV ff. und bei W. Danckert, Kassel 1931.

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Das Baßfundament tritt mit aller Scharfe hervor. Das Stimmgeflecht,

das ihm entwachst, hat im einzelnen sekundare Bedeutung, es bleibt dem

Spieler uberlasscn, seine jeweilige Gestalt zu pragen.*118 Nur die Grundzuge

der Harmonik liegen fest, aber auch sie in jenen freien Grenzen, die aller

Generalbaß-Notierung eignen. Die Gegenuberstellung zweier Klangquellen

begunstigt barockes Konzertieren:

Die Verbindung mit der Kammermusik, die die Klaviermusik hier eingeht,

bewirkt nicht zuletzt den Aufschwung, den sie in der Folge nimmt. Vor

allem wird die Klaviertechnik, in die Spielmanieren der Streichinstrumente in

bisher unbekanntem Maße eindringen, aufgelockert und um typische Figuren

bereichert.

Uber die Behandlung des Basso continuo unterrichtet Pasquinis Gen-

eralbaßschule (Regole) Per ben suonare il cembarlo o Organo*119, deren

Schwerpunkt im Gegensatz zu Gasparinis Anleitung*120 weniger in den

knappen theoretischen Ausfuhrungen als vielmehr in den die Zahl 300

weit ubersteigenden Beispielen liegt. Ein welteres, Saggi di contrapuntto

*118 Shedlock, a. a. O. S. 42 ff., und Danckert, a. a. O., setzen den Baß aus.*119 Ms. in der Bibliothek Santini (UB Munster, Sign. Sant. H5. 3002.)*120 L’Armonico Pratico al Cimbalo etc., Venedig 1708.

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genanntes Schulwerk*121 ist in gleicher Weise eine Beispielsammlung und

zwar zur Kontrapunktlehre; es fuhrt von einfachen zweistimmigen Satzen,

zunachst in der Art des “Punctus contra pundum” zu schwierigeren

und komplizierteren Gebilden. Beide Werke sind ein Niederschlag der

Lehrtatigkeit Pasquinis, deren Umfang eine stattliche Reihe namhafter

Schuler bezeugt.*122 Zusatzliche Angaben wie “per il Francese”, “per

il Danese” u. a. im Berliner Sammelband belegen weiterhin ebenso wie

Kunstreisen nach Wien und Paris den internationalen Ruf Pasquinis.

Sein Klaviersatz kennt bereits moderne Effekte, die das schwindende

Gefuhl fur Strengstimmigkeit ermoglicht. So verwendet er schon

klangfullende parallele Terzengange und teilt Akkordbrechungen in

beide Hande auf.

Der Klavierkomponist Alessandro Scarlatti hat lange Zeit im Schatten des

Opernreformators gestanden. Noch Weitzmann-Seiffert mochten ihn aus der

Liste der Klavierkomponisten uberhaupt gestrichen wissen.*123 Im Rah-

men des Gesamtschaffens allerdings nur Parerga, zeigen Alessandro Scarlat-

tis Klavierwerke sich starker traditionell gebunden als seine wortverknupfte

Musik.

In den ein- bis siebenteiligen Toccaten*124 setzt sich jene folgenreiche En-

twicklung fort, die auf eine Verselbstandigung der Satzteite abzielt und so

die Einheit der alteren Toccata auflost. Im Norden laufen die Bestrebungen

*121 Pr. Staatsbibl., Sign. Mus. ms. L. 214.*122 Vergl. auch das enthusiastische Urteil Gasparinis uber seinen Lehrer, a. a. O. S. 88

f.*123 a. a. O. S. 281. Irrtumlich ist die Behauptung Mennickes, a. a. O. S. 59., Seiffert sei

a. a. O. “sehr warm fur die bis jetzt wenig bekannten Klaviersonaten (A. Scarlattis)eingtreten”.

*124 Herausg. von Shedlock, London o. J. Vergl. dazu auch den Aufsatz desselben Ver-fassers in SIMG VI, S. 163 ff. Quellen fur A. Scarlattis Klavierwerke gibt Pannainan,a. a. O. S. 148 ff. – Die Pr. Staatsbibl. besitzt eine Toccata (Mus. ms. 19683

6), die

ein beigefugter Vermerk “Scarlatti” zuweist. In diesem Falle kann es sich aus stilis-tischen Grunden nur um Alessandro Scarlatti handeln.

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Pachelbels und Kriegers, also suddeutscher Meister, parallel.

Die Fugen, die zu den Attributen der Toccata gehoren, geben sich als lose

gefugte kontrapunktische Satze, die kaum je eine reale Mehrstimmigkeit

durchfuhren. Auf homophonem Grunde erhebt sich ein brillanter Klavier-

satz. Von der Suite her dringen Tanzelemente in die Toccata ein und

verandern ihr Bild. So beendet ein giguenartiger Satz (im 12/8-Takt) die

Toccata 23. Seine strenge Zweistimmigkeit verhindert die Kristallisation

themenahnlicher Gebilde, wie sie etwa Corellis Giguen kennen. Eine

Corrente mit dem charakteristischen Auftaktsechzehntel ist Schlußsatz der

5. Toccata.

Die letzte der von Shedlock veroffentlichten Toccaten weist mit ihrer Satz-

folge Praludium – Adagio – Presto Fuga – Adagio – Folliavariationen deutlich

auf außerklavieristische Vorbilder hin. Die variationen gehoren dem Typus

der baßgegrundeten Figuralvariation an. Ein anderes Werk bezeichnet Scar-

latti selbst als “Varie Partite Obbligate al Basso”.*125

Zuweilen ist im Eingang der Toccaten nur ein bezifferter Baßgegeben, den

der Spieler auszusetzen hat. Einige Hinweise fur die Ausfuhrung geben die

“Regole per Principianti”.*126 Scharf dissonierende Akkorde wie etwa die

(Vergl. Shedlock, SIMG VI, S. 166)

*125 a. a. O. S. 47 ff.*126 a. a. O. S. 6.

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folgenden mussen im Sinne der Acciaccaturen schnell und kurz gebrochen

gespielt werden.*127

Ein Vergleich mit seinen Opernsinfonien lehrt, daß Scarlatti vorzuglich

in ihren Schlußsatzen “fortschrittlicher” ist als in der Klaviermusik.

Moglicherweise hat hier ein Unterrichtszweck regulierend eingewirkt, eine

Annahme, die auch die allmahliche Einfuhrung der Schluissel nahelegt.

Gleichwohl weist der Klaviersatz Verdoppelungen und Parallelen aller Art

auf:

Toccata III, S. 82, VI, Takt 2 ff.

Auch Scarlatti kennt eine typische Gestaltung des Toccatenbeginns: aus

der gestauten Kraft langgehaltener breiter Akkorde laßt sie einen lebhaften

kontrapunktischen Satz hervorbrechen. Eine Ausfuhrung auf der Orgel oder

dem Klavier wird ihm in gleicher Weise gerecht, Orgel- und Klaviermusik

faßt Alessandro Scarlatti noch als ein Ganzes auf.

In unmittelbare Nahe Pasquinis und A. Scarlattis gehort Domenico Zipoli.

Seine Toccata ist beiden Meistern stark nachempfunden, die durchvariierte

Suite insbesondere Pasquini verpflichtet. Sie kennzeichnet jene enge motivis-

che Verbundenheit der einzelnen Satze, die Weltzmann-Seiffert “sonaten-

haft” nennen.*128

Die positiven Werte des Auflosungsprozesses, den die Toccata

*127 Vergl. S. 119 f.*128 a. a. O. S. 412. Vergl. auch den Sammeldruck von Walsh, London, Toccates, Vol-

lentarys & Fugues etc. (Staats- und UB Hamburg, Sign. ND VI 3270), dessen dritte“CoIlection” Werke von Zipoli bringt.

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erfahrt, werden besonders deutlich bei Gaetano Greco.*129 Hat er

auch noch enge Beziehungen zur barocken Kunst – er ubertragt

z. B. Kammermusik Corellis auf das Klavier –, so ist doch der starre

zweistimmige Sechzehntelfluß, der so manche Toccata A. Scarlat-

tis beherrscht, hier gelockert und eine echte Freistimmigkeit erzielt:

a. a. O. S. 4, III, Takt 3 ff.

Dabei tritt schon offen eine Tendenz hervor, den melodischen Akzent auf

die Oberstimme zu verlegen, wahrend die anderen Stimmen “Begleitung”

werden. Das folgende Eingangsmotiv hat, obgleich noch kontrapunktische

Impulse mit am Werke sind, doch schon einigen “Themencharakter”:

Der starke vorhalt des d” im 5. Takt, der den rhythmischen Ablauf

empfindungsvoll unterbricht, weist, wie uberhaupt der ganze im 3/8-Takt

stehende Satz, in die Zukunft; im lichteren Satzgefuge kundet sich galante

Grazie an.

Hat bisher die Toccata ihre formale Selbstandigkeit, wenn auch unter

immer ungunstigeren Bedingungen, aufrechtzuerhalten vermocht, so verliert

sie diesen Rang in der Klaviermusik Azzolino Bernardino della Ciajas;

denn hier ordnet sie sich einem großeren zyklischen Werk, und zwar der

Sonate, unter.*130 Die Mehrsatzigkeit der Sonaten Ciajas – sie haben etwa

*129 Oder auch “Grieco”, dies die neapolitanische Dialektform. Die Bibl. Santini sollToccaten und Fugen Grecos besessen haben (Pannain, a. a. O. S. 159), sie sind dortnicht mehr vorhanden. Einen Neudruck nach Brusseler und Londoner Mss. ver-anstaltete Shedlock unter dem Titel Selection of pieces by G. Grieco, 1895.

*130 Als Neudruck liegt vor 3 Sonate per Cembalo, op.4a, herausg. von G. Buonamici,Florenz o. J. Die Munchener Diss. (1919) von H. Knappe, Die Kammermusik mitEinschluß der Orgelmusik des A. B. della Ciaja, war nicht erreichbar. Vergl. auchE. Valentin, Die Entwicklung der Tokkata im 17. und 18. Jahrhundert, 1930, S. 120

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diese Satzfolge: Toccata, Canzone, Tempo I Lento, Tempo II Allegro -

deutet unmittelbar auf das vorbild der Triosonate hin. Der veranderte

Sinn der Toccata zeigt sich allein schon darin, daß sie als eine Art freier

Einleitung gefaßt wird. Denn bezeichnenderweise folgt als zweiter Satz

der am strengsten konzipierte, die Canzone –, der aber nichts anderes

als eine Fuge darstellt, die spezifische Eigenart der Canzone hat sich bei

Ciaja ganz verloren. Die dritten und vierien Satze, die enger als die beiden

ersten zusammengehoren, weisen die zweigeteilte Form mit Ansatzen zur

Reprisenbildung auf. Die Anlehnung an uberkommene Tanzformen, wie

Allemande, Courante, Gigue, Menueit, ist dabei offenbar; jedoch haben

einige dieser Satze den Tanzcharakter in solch hohem Grade abgestreift,

daß Sandberger sie geradezu “Pioniere der modernen Sonatenform” nennen

kann.*131 In den Toccaten ist die Harmonik weitaus kuhner als in diesen

Schlußsatzen. Zeigt Ciaja dort barocke harmonische Trubungen, die zu

uberraschenden Modulationen fuhren, so herrscht hier die ausgeglichene

harmonische Glatte etwa der spateren Neapolitner. Geben sich die Toccaten

rhapsodisch-frei und vermeiden Taktschwerpunkt-Symmetrie, so sind die

Schlußsatze formal-gebunden und nehmen symmetrischen Periodenbau an.

Diese Mischung einander widerstrebender Tendenzen innerhalb eines einzi-

gen Werkes kennzeichnet Ciaja und seine Zeit. Er, der nicht Berufsmusiker,

sondern Dilettant war, besitzt nicht die kunstlerische Kraft, das Ganze zur

Einhelt zusammenzufassen: Ciajas Sonate zerfallt in ihre einzelnen Satze,

stellt kein geschlossenes Werk dar.

Aus einer Ciaja gelaufigen Spielmanier, der plotzlichen Fortfuhrung

mancher Figuren in der oberen Oktave, schließt Sandberger, daß diese

ff.*131 Ausgew. Aufs. zur MG I, S. 179.

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Werke fur ein doppelmanualiges Instrument bestimmt seien.*132 Doch liegt

in dieser Eigenart, wie es scheint, ein starkerer Beweis fur die Verwendung

eines ein klavierigen Cembalos: denn die Veranderung der Klangfarbe, die

offenbar erstrebt wird, erzielt ja schon ein Manualwechsel allein, ein hiermit

verbundener Sprung in die hohere Oktavlage wurde den Effekt ubersteigern.

Zu noch großerer Freiheit des Klaviersatzes stoßt Francesco Durante in

seinen Sonate per Cembalo divise in Studii e Divertimenti vor. Durante

bemuht sich also gleichfalls, wenn auch in anderer Weise als Ciaja, um das

Problem einer mehrsatzigen Klaviersonate. Je ein “Studio” und ein “Di-

vertimento” gehoren zusammen. Die Studii dienen, wie schon ihr Name

verrat, in erster Linie technischen Lehrzwecken. Darauf laßt auch die Ver-

wendung verschiedener Schlussel, ahnlich wie in den Toccaten Alessandro

Scarlattis, schließen. Moderne “Thematik”, die nadl einer “Durchfuhrung”

verlangt, kennt Durante noch nicht,*133 treibende Kraft ist vielmehr dur-

chaus die barocke Sequenz, die kurze Motive uber eine langere Strecke hin

forttragt.*134 Strengere Formen jedoch vermeidet Durante in seiner Klavier-

musik, selbst die Fugen Studio III und V weisen locker gefugten Bau auf;

bezeichnend dafur, daß der zweite Stimmeinsatz in der Oktave erfolgen kann.

Im Gegensatz zu den Studii stehen die Divertimenti schon in ihrer Groß-

form, die den satz zweiteilt, den Schlußsatzen der Opernsinfonie nahe. Gleich

diesen homophonbrillant, liegt ein wesentlicher Unierschied nur in den hier

in hoherem Grade ausgepragten Reprisen.

Durante verbindet also ahnlich wie Ciaja in einem Werk Elemente des al-

ten barocken Stiles – im Studio – mit solchen der neuen galanten Richtung –

im Divertimento –, beide Satze haben zueinander das Verhaltnis von “Span-

*132 a. a. O. S. 178. Vergl. auch S. 135 f.*133 Vergl. dagegen Weitzmann-Seiffert, a. a. O. S. 417.*134 Vergl. auch das Urteil J. A. Hasses bei Burney, Tagebuch ll, S. 260, Durante sei

“nicht allein trocken, sondern auch baroque (1) geweden”.

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nung” und “Losung”. Der Klaviersatz durchbricht barocke Gedrungenheit,

auch dort, wo sie ein Oktavkanon wie in Divertimento III – und hierin unter-

scheidet es sich von den ubrigen gleichnamigen Satzen – zu fordern scheint.

Klaviertechnische Probleme bekommen Eigenwert.

Die besondere Lage der spanischen Klaviermusik am Ausgang der

Barockzeit, ihren Zusammenhang mit der italienischen Eniwicklung –

auch Spanien ist in dieser Epoche fast eine musikalische Kolonie Ital-

iens, Domenico Scarlatti einer ihrer vornehmsten Statthalter – kann die

Sonatenkunst Fray Antonio Solers veranschaulichen.*135 Solers Sonate

hat sich von der Mehrsatzigkeit entschlossen abgewandt und folgt in

der Aufteilung ihres einzigen Satzes dem herrschenden Ideal der “Forma

bipartita”. Im zweiten Teil, der wie ublich von der Dominante zur Tonika

zuruckfuhrt, treten freie Teilreprisen auf, die jedoch prinzipiell um das

Eingangsmotiv verkurzt sind. Die ausschließende verwendung dieses

Formtypus laßt starke Tanzsatz-Einflusse vermuten, und in der Tat deutet

der Impetus der Bewegung auf Tanzsatzelemente hin, ohne daß jedoch die

einzelnen Sonaten auf bestimmte Tanztypen festgelegt werden konnten;

bezeichnenderweise fehlen auch alle speziellen Angaben hieruber. Es

erscheint vielmehr – und hierin liegen die eigenen Werte dieser Sonaten

– jener spruhende, ungebundene Typus des nichtfugierten Allegro-Satzes,

der im scharfen Gegensatz zum fugiert-gebundenen Allegro des Barock

sieht. Die Stimmein- und -austritte regeln sich in absoluter Freiheit, die

Stimmfuhrung im einzelnen unterwirft sich lediglich ihren eigenen Gesetzen.

Im folgenden Beispiel sind die empfindungsvollen Vorhalte, deren Intensitat

der Taktschwerpunkt noch verstarkt, der unmittelbarste Ausdruck der

*135 Vergl. den Londoner Druck, o. J., XXVII Sonata para Clave, Staats- und UBHamburg, Sign. ND VI 3418. Vergl. auch die Sonaten Solers in Classiques Espagnolsdu Piano, Seize Sonates Anciennes d’Auteurs Espagnols, herausg. von Joaquin Nin,1925.

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neuen Melodik:

Londoner Druck, Sonate VIII, Takt 40 ff.

Im Periodenbau folgen die Sonaten dem Prinzip der Reihung; sie “reihen”

charakteristische Motivgruppen, die entweder durch eine Kadenz getrennt

sind oder unmittelbar ineinander ubergehen. Dabei setzt sich jedoch keine

Steigerungstendenz durch, deren immanentes Ziel ein außerer Hohepunkt des

musikalischen Geschehens ware. Vielmehr sind die einzelnen Motivkomplexe

in ihrer inneren Dynamik derart ausgeglichen, vermeiden sie so sehr alle

dramatische Verkettung – und damit schließt sich Soler auf der anderen Seite

barocker Tradition an –, daß ein kulminationsloser Ablauf entsteht. So haben

die Sonaten Solers ein doppeltes Gesicht: in Einzelzugen der Form und der

Melodik erstreben sie neue Ideale, in ihrer Grundhaltung im aufgewiesenen

Sinne jedoch muten sie noch barock an.

Dieser Widerstreit, der die galante Kunst uberhaupt charakterisiert, ver-

leiht auch der Klaviersonate jener Tage ihre eigentumliche Spannung.

II

Die italienische Instrumentalmusik zeigt in der ersten Halfte des

18. jahrhunderts eine Grundtendenz, das barock-gebundene Liniengefuge

aufzulockern und seine Gesetzmaßigkeit zu durchbrechen. Ist fur den

Hochbarock Italiens der “unendliche” Fluß des Melos charakteristisch,

der alle Stimmen eines Werkes gleicherweise uber alle kadenzierenden

Einschnitte hinweg durchstromt, so findet die neue galante Epoche, formal

betrachtet, in einem zasurreichen Ablauf des musikalischen Geschehens

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ihren bezeichnenden Ausdruck. Die dieserart sich bildenden Abschnitte

nehmen nun – und hier scheint der gewichtigste Unterschied zu liegen –

zueinander nicht ein “konzertierendes” Verhalfnis ein, sie neigen vielmehr

dahin, zu selbstandigen Motiven, bzw. Motivkomplexen, auszuwachsen. In

Zusammenhang damit bricht die Geschlossenheit der Melodik auseinander,

verteilt sich ihre Intensitat ungleichmaßig auf den Stimmorganismus, soweit

uberhaupt noch von einem solchen gesprochen werden kann: seine primar

melodischen Teile beginnen sich von den primar harmoniekonstituierenden,

die spater “harmoniefullend” werden, abzuheben.

Die der Musik des 18. Jahrhunderts eigenen Formen spiegeln, außere Man-

ifestationen innerer Krafte, einen Ubergangs-charakter deutlich wider. In

dieser Zeit verwischen sich auf dem Gebiete der Instrumentalmusik die For-

mgrenzen von “Suite” und “Sonata” einerseits, “Sonata” und “Toccata”

andererseits oft so stark, daß sie geradezu Synonyma werden. Vor allem im

Rahmen solcher Satze, die eine Zweiteilung der Form aufweisen, werden die

fugenhaft-konzertierenden Elemente immer weiter zuruckgedrangt, wahrend

sich die Oberstimmenmelodik allmahlich durchsetzt. Die Forma bipartita

erringt sich in der Sinfonie, der Triosonate und im Konzert Existenzberech-

tigung. Auch die Klaviermusik Domenico Scarlattis steht in ihrem Zeichen.

Zunachst allerdings ist die Barocksonate, die in diesem Auflosungsprozeß

eine besondere Rolle spielt, darum bemuht, die Einheit und Geschlossen-

heit ihres musikalischen Lebens aufrecht zu erhalten: Suitensatze, denen die

zweigeteilte Form ursprunglich eigen ist, haben bei Corelli und Abaco noch

nicht den Vorrang. Aber in gleichem Maße, in dem die Grundlagen poly-

phoner Gestaltung durch die einbrechende Homophonie erschuttert werden,

verlieren auch die Tanzsatze ihre Individualitat – von zwei entgegengesetzten

Seiten aus werden die Voraussetzungen der modernen Sonate geschaffen. Die

zentrale Bedeutung des Allegro-Satzes vom Typus der Forma bipartita liegt

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darin, daß er sich von der Suite und von der Polyphonie in gleicher Weise

loslost.

Die Barocksonate gerat bei der Ubernahme der Tanzsatze in einen Kon-

flikt. Denn dem Wesen der sequenzierenden Fortspinnung, die die barocke

Satzstruktur charakterisiert, widerspricht die Gesetzlichkeit der zweigeteil-

ten Form. Die Repetition der beiden Satzteile, die in der Regel gefordert

wird, schafft scharfe Einschnitte und zerstort den Fortspinnungskomplex in

der Tiefe. Er ist seiner Natur nach auf gleichformigen Ablauf bedacht;

dadurch, daß ihm der Ganzschluß in der Satzmitte Halt gebietet, erfahrt

er entscheidende Umgestaltung. Der Zwiespalt, mit dem die Barocksonate

fortan zu tun hat und an dem sie endlich zerbricht, wird klar: die Wiederhol-

ung der Satzteile als ein Mittel der Affektstauung ist unvereinbar mit dem

Barockprinzip des gleichmaßigen, gewissermaßen psychisch in einer Ebene

liegenden Affektablaufes. Das “Undramatische”, was im modernen Sinne

allen Barocksonaten anhaftet, hat hierin seinen Grund.

Nach W. Fischer rucken im 18. jahrhundert Fortspinnungs- und Liedtypus

naher aneinander heran, ja, jener weist unmittelbare Zusammenhange mit

der Exposition des Sonatensatzes auf.*136 Die Verbindung, die die Sonate

hier eingeht, weitet ihre Großform, eine Voraussetzung fur die Aufnahme

kontrastierender Seitensatze. Dem Widerstreit dieser beiden Formtypen

entspricht der aufgewiesene Konflikt zwischen “moderner” Affektstauung

und barock stilisiertem Affektablauf. Wenn das Wesen der beiden Hauptfor-

men der neueren Instrumentalmusik, das der Fuge und das der Sonate, mit

den Urbegriffen “Sein” und “Werden” in Verbindung gebracht werden kann,

so lebt in der Barocksonate in hoherem Grade der Geist des “Seins” als der

des “Werdens”.

Domenico Scarlattis Klaviermusik ist eine stete Auseinandersetzung mit

*136 a. a. O. S. 52.

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den Moglichkeiten, die die Forma bipartita bietet. Das Formproblem des

Einzelsatzes steht fur Scarlatti ganz im Mittelpunkt. So kommt es, daß

die zyklischen Werke zurucktreten und der Hauptakzent auf der einsatzigen

Sonate liegt. Die mehrsatzige Sonate ist in dieser Zeit noch stark von der

Suite abhangig, und gerade sie gilt es zu uberwinden.

Scarlattis Sonaten kunst hat in der Hauptsache drei Typen herausgebildet;

sie bezeichnen, auch unabhangig von aller chronologischen Fixierung, Aus-

gang, Mitte und Ende des immanenten Weges, den sie durchmessen hat.*137

1. Die Sonate 32 (fis-moll) bietet ein Beispiel fur eine absolut “einthe-

matische” Gestaltung. Der Motivkern hat als harmonische Grundlage einen

wiederholten Wechsel T-D. Dieses “Urmotiv” ist in eine fortlaufende, nir-

gends zum Stillstand kommende Sechzehntelbewegung aufgelost. Der vierte

Takt erreicht die paralleltonart A, doch wird sie schon im nachsten Takt

wieder verlassen, der in Richtung auf die S (h) moduliert. Beim Wieder-

holungszeichen ist die Dominanttonart Cis erreicht. Die den ersten Teil

beschließenden Takte lassen den bisher ganz uberwiegend zweistimmigen

Satz in eine frei ausschwingende Einstimmigkeit ausklingen: Takt 9 ff. (Al-

legro)

Die allgemeine Sechzehntelbewegung geht auch im zweiten Teil, nach dem

Wiederholungszeichen, von der Dominanttonart aus weiter. Takt 17 zitiert

notengetreu die zweite Halfte von Takt 1 und die erste Halfte von Takt 2.

*137 wobei hier an die Worte H. Mersmanns erinnert werden darf (AngewandteMusikasthetik, 1928, S. IV): “Der Typus stellt in dem Augenblick, in dem er for-muliert wird, eine Verengerung dar, welche eigentlich gar nicht gemeint ist. Es mußnachdrucklich gefordert werden, die Typen nur als sichtbare Erscheinungsform desgroßeren Zusammenhangs zu sehen, der hinter ihnen steht.”

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Reprisenhafte Bildungen treten zuruck, doch schließt sich der zweite Teil dem

ersten motivisch aufs engste an. Beide Teile haben denselben Umfang. Der

Vergleich dieser Sonate mit einigen suitenhaften Satzen Scarlattis lehrt, daß

hier nahe Beziehungen vorliegen. Typisch ist einmal die in gleichen Noten-

werten ununterbrochen laufende Bewegung, zu der die zweite Stimme gern

in großeren (doppelten) Notenwerten kontrapunktiert, weiter das ganzliche

Fehlen eines Kontrastmotives oder einer Kontrastepisode. Haupttriebmittel

der Bewegung ist die (barocke) Sequenz.

Die vorliegende Form soll als Typus I, oder wegen ihrer Verwandtschaft mit

der Suite, als “Suitensatztypus” der Scarlattischen Klaviersonate bezeichnet

werden.

2. Formtypus II reprasentiert die Sonate 42 (a-moll). Sein Hauptcharak-

teristikum ist Buntheit und Vielfalt der motivischen Substanz, d. h., die

diesem Formtypus zugehorigen Sonaten reihen Motivgruppen,*138 die in

hoherem oder geringerem Grade kontrastieren, kettenartig aneinander. Bei

der vorliegenden Sonate konnen folgende M unterschieden werden: Takt 1–6

M I (a), bestehend aus einem in der Unteroktave wiederholten scharfrhyth-

misierten Zweitaktmotiv und zwei Takten abkadenzierenden Nachsatzes. M

II (ebenfalls a) setzt in Takt 7 mit neuer, die Motivenden imitierender

Sechzehntelbewegung und dissonierenden Vorhalten der Oberstimme ein.

Takt 11 kadenziert wie der Abschluß von M I (a). In den Takten 12–18

folgt, nach C modulierend, M III, die ein rhythmisch pragnantes Kurzmotiv

*138 Diese Bezeichnung (im folgenden stets M) weist darauf hin, daß es sich hier nichtum “Themen” handelt, sondern eben um eine Reihe von Einzelmotiven, die sich zu“Gruppen” zusammenschließen.

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sequenzartig wiederholt. M IV umfaßt die Takte 18–26. Der gleichmaßige

Sechzehntelfluß, der uber langere Strecken den Ton C zur Basis nimmt, klingt

in den Takten 24–25 an M II an. M V (Takt 27–39) zerfallt in zwei nur durch

kleinste Abweichungen unterschiedene gleiche Teile (Takt 27–33 = Takt 33–

39), die sich ihrerseits wiederum in Vorder- und Nachsatz gliedern (V1 und

V2).*139 Vordersatz V1 (Takt 27–30) ist kaprizios scharfrhythmisiert,

Nachsatz V2, kontrastierend, zeigt die bei Scarlatti haufige vorhaltartige

Tonrepetitions-Folge: Takt 30 ff.

Den Abschluß des ersten Teiles bildet M VI (Takt 39–44). In den ersten

drei Takten wird die orgelpunktartig auftretende Zwischentonika C*140 von

der Oberstimme umspielt, wahrend eine neu gewonnene Binnenstimme den

Klang fullt. Der stereotypen Dreiklangsfigur

gelingt erst beim dritten Mal der Aufschwung in ihren Tonikaton c,”’ aus

dem Terzschritt e”-g” wird der Sext sprung e”-c.”’ Der Baß kommt in Bewe-

*139 Einer Annahme, die fehlende Austerzung in den Takten 27–29 beruhe auf einemSchreibfehler, widerspricht, daß die hinzugefugte Terz auch in der Reprise erst beider Echowiederholung erscheint (vgl. die Takte 84–85 und 89–91) – eine jener Vari-anten, die klangrich sorgfaltige Detailarbeit beweisen.

*140 Zwischentonika wird wegen ihrer uberragenden Stellung im Werkganzen in der Folgejene Tonart genannt, in der der erste Teil der Sonate (beim ersten Wiederholungsze-ichen) abschließt.

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gung und kadenziert ab, wahrend die Oberstimme die typischen Baßschritte

melodisch ausziert:

Takt 42 ff.

M VI befestigt und bestatigt in harmonischer Beziehung die Zwischentonika.

Diese Reihung der M setzt der zweite Teil zunachst fort. M VII (Takt

45–52) besteht aus einer stufenweise hochruckenden Sequenz, deren zweitem

Gliede lediglich der kadenzierende Schlußtakt fehlt. Die sich anschließende,

die Bewegung “diminuierende” M VIII (Takt 52–59) fuhrt vorbereitungsartig

von a nach H (als Dominante von e zu verstehen).

Der folgende Teil (Takt 59–84) durchbricht als “variation” der M IV, V

und II die bisherige Reihungstechnik. Durchfuhrungsahnlich zitiert er teils

notengetreu (so ist Takt 68 ff. = Takt 7 ff.), teils umschreibt er frei (so

bildet Takt 22–24 motivisch den Kern von Takt 72–74). Beide prinzipien

uberschneiden sich dergestalt, daß ein buntes motivisches Bild entsteht. Die

Molltonalitat uberwiegt.

Mit Takt 83 setzt die Reprise ein (Takt 83–100 = Takt 27–44), und zwar

ist, wie die Regel es fordert, der vorher in C stehende Teil in die Tonikatonart

a transponiert. Dabei treten einige Freiheiten und Abweichungen in den

letzten (kadenzierenden) Takten auf. Im ubrigen verlauft die Reprise streng

und durchaus notengetreu.

Der Sonatentypus II besteht also aus einer Kette von M, deren Einzel-

glieder sich, bald “geschlossen” (abkadenzierend), bald “offen” (ineinander

ubergehend) und in verschiedenen Graden motivisch verwachsen, kreishaft

ordnen. Die einzelnen M haben fur die Gesamtform grundsazlich gleichen

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Rang. Der zweite Teil der Sonate neigt dahin, durchfuhrungsahnlich bekan-

ntes Motivgut auszuwerten. Lediglich die folgenden, abschließenden M wer-

den, nunmehr in die Tonika versetzt, reprisenartig wiederholt, wahrend sie

im ersten Teil in der Tonart der Zwischentonika auftreten. Der freiest

gebildete Abschnitt geht dem strengst geformten, der Reprise, unmittelbar

voraus. Der Akzent liegt also eher auf den letzten, im zweiten Teil wieder-

auftretenden M, als auf den ersten, denen sich die Reprise verschließt.

3. In der Sonate 220 (Es-dur) umfaßt M I die Takte 1–9 (mit Echowieder-

holungen).*141 Ihr folgt eine stufenweis aufsteigende Dreiklangssequenz, die

Takt 17 abbricht. Auf die Takte 17–25 erstreckt sich eine ganztaktig auf F

– als Dominante von B-dur – zum Abschluß kommende Sequenzenkette. In

den Takten 9–25 wechseln allein Art und Richtung der treibenden Sequenz:

zur gleichmaßigen, nur in zwei Takten unterbrochenen Achtelbewegung der

Oberstimme kontrapunktiert die Unterstimme in doppelten Werten, bis sie

Takt 22 ff. zur Ruhe kommt. Da jedoch scharfere Zasuren vermieden werden,

erscheint dieser ganze Abschnitt als “sequenzierender Fortspinnungskom-

plex” zusammengehorig. Fur die Takte 1–9 wird die Bezeichnung Kopf-

motivgruppe*142 gewahlt.

Der ganztaktige Halt in Takt 25 schneidet die bisherige Bewegung ab. Die

folgenden Takte 26–34 bringen ein neues, stark gegensatzliches motivisches

Gebilde (Takt 26–29 = Takt 30–33, also Echowirkung): eine chromatisch em-

porruckende, pausendurchsetzte Vorhaltsfigur mundet Takt 28 in eine zum

Tonikaton b″ ansteigende Skala, die anschließend den Unteroktavton b’ in

variierter Tonleiter anstrebt. Die Unterstimme begleitet zunachst “ostinat”

in Achteln:

Takt.26 ff. (Allegrissimo)

*141 S. das Notenbeispiel S. 105.*142 Im folgenden stets KM.

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In der Echorepetition ist der Anfangstakt, da er zugleich die vorhergehende

Phrase begrenzt, leicht geandert.

Im bisherigen verlauf der Sonate nimmt dieser Komplex die durch die

Dominanttonart betonte zentrale Stellung einer Seitenmotivgruppe*143 ein.

Takt 34–41 folgt eine neue M, die ebenfalls echoartig (in der unteren ok-

tave) wiederholt wird. Sie steht tonartlich und motivisch in solch enger

verbindung zur SM,*144 daß sie Seitenmotiv- gruppen-Nachsatz genannt wer-

den kann. Auch hier ist die Sequenz, wie in der SM selbst, treibende Kraft.

In den den ersten Teil der Sonate abschließenden Takten 42–50 (Takt 42–

45 = Takt 46–49) ziert die Triolenfigur der Oberstimme die kadenzierenden

Baßschritte aus:

Dieser wiederum echogedehnte Abschnitt, dessen eigenes motivisches

Leben auf ein Minimum zusammengeschrumpft ist, hat die Funktion einer

*143 Im folgenden stets SM.*144 Deutlich in der Baßfuhrung, in den Halbtonschriften der rechten Hand, die

“umgekehrt” auch zu Septimensprungen werden.

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Koda.

Der zweite Teil beginnt mit der in die Dominante transponierten KM.*145

Die Takte 57 ff. versetzen ihren ersten Abschnitt in die Paralleltonart c. Die

folgende Sequenzenkette, die in Zusammenhang mit dem Fortspinnungskom-

plex des ersten Teils gebracht werden kann, kommt Takt 71 zum ganztaktigen

Abschluß.

Die folgenden Abschnitte der Sonate bis zum Schluß sind eine Reprise der

Takte 26-50 des ersten Teiles. Dabei fallen die geringfugigen Abweichungen

nicht ins Gewicht: der Nachsatz der SM ist bei seinem ersten Auftreten

in der hoheren Oktave abgeandert, deutlich aus Grunden des mangelnden

Tonumfangs (Takt 80–84). Erst bei seinem zweiten Auftreten (Takt 84–

88) entspricht er (sc. transponiert) der Gestalt, in der er im ersten Teil

erscheint. Die Koda weitet sich um zwei Takte und steigert so ihre lediglich

schlußbestatigende Wirkung.

Im Gegensatz zum Sonatentypus II, der zahlreiche M gleichen Ranges

zusammenfugt, kennzeichnet die dem dritten Typus zugehorigen Sonaten

eine “Subordination” einzelner Gruppen, im besonderen Falle des Fortspin-

nungskomplexes, des SM-Nachsatzes und der Koda. Ein struktureller Akzent

eignet bestimmten Teilen der Sonate; damit ist ein bedeutungsvoller Schritt

auf dem Wege zur “klassischen Sonate” getan.

Da es nach dem Wiederholungszeichen zu keiner neuen motivischen

Verdichtung kommt, kann der erste, bis zum Wiederholungszeichen re-

ichende Teil der Sonate als Exposition bezeichnet werden. Die dem dritten

Typus der Scarlattischen Sonatenform zugehorigen Werke weisen also

eine formale Dreiteiligkeit auf: Exposition (die sich in Unterteile gliedert),

Durchfuhrung (in der herangezogenen Sonate “modifizierte Exposition”*146)

*145 Vergl. S. 62.*146 Fischer, a. a. O. S. 71.

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und Teilreprise (in der zitierten Sonate von der SM an); das Schema der

klassischen Sonatenform ist erkennbar.

Eine formale Sonderstellung nimmt Son. 104 ein. Eine knappe Formanal-

yse gibt folgendes Bild: Takt 1–5 KM in C; Takt 5–13 KM – Fortspinnung

nach G modulierend; Takt 14–21 SM; Takt 21–27 Koda (G); Takt 27–45

sequenzierende Durchfuhrung. Es folgt eine Expositionsreprise, die KM, SM

und Koda erfaßt, der Regel entsprechend in der Grundtonart C, lediglich

der Fortspinnungsteil ist verkurzt. Zu den Spezifika des Typus III tritt hier

also die sonst fehlende vollstandige Reprise.

Dem Rondo ist jene “flachige” Nebeneinanderstellung kontrastierender

motivischer Gebilde, wie sie der zweite und dritte Sonatentypus zeigen,

eigentumlich.*147 Der Typus III entsteht nun, wenn einmal solch rational-

istische Betrachtungsweise erlaubt ist, durch Ausscheidung einer Reihe von

M, deren im zweiten Typus keiner Regel unterworfene vielzahl hier einem

Gesetz zu unterliegen scheint. Diese Ausschaltung uberflussig gewordener M

erfolgt nun gleichsam auf Kosten des Gleichranges der M.

Die großmodulatorische Gliederung in einen in die Zwischentonika

mundenden ersten und einen in die Tonika zuruckfuhrenden zweiten

Teil, die den aufgestellten Typen in gleicher Weise eigen ist, hat fur sie

verschiedenen Formwert. Bedeutet fur den Typus I, den Suitensatztypus,

der Eintritt der Zwischentonika-Tonart kaum mehr als die Erreichung eines

naturlichen Zieles – die Tonika strebt zu ihrer Dominante –, so unterwirft die

Statuierung der Dominantharmonie in den dem dritten Typus zugehorigen

Sonaten die motivische Gegensatzlichkeit gesamtformalen Prinzipien.

Zwischen den ersten beiden Sonatentypen bestehen nur lose Beziehungen.

Sie kommen nicht so sehr in einzelnen außeren Stilmerkmalen zum Ausdruck

*147 Vergl. W. Chrzanowski, Das instrumentale Rondeau und die Rondoformen im18. jahrhundert, Leipziger Diss, 1911.

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als vielmehr in der gleichen psychischen Reaktion, die Werke beider Typen

im Horer erzielen. All das Rondowesen, das den zweiten Typus auszeich-

net, vermag zuletzt nicht den Eindruck einer stimmungsmaßigen Einheit zu

zerstoren, den diese Sonaten ebensosehr hervorrufen wie die des ersten Ty-

pus.

Die M reihen sich nach verschiedenen und nach gegens”atzlich gearteten

Prinzipien. Bald folgen sie derart aufeinander, daß die eine die andere

“fortspinnt”,*148 also eine enge verbindung entsteht, bald sind scharf kon-

trastierende M unmittelbar nebeneinander gestellt (Dur-Mollwechsel!):

Son. 67, Takt 12 ff. (Andante)

Eine reigenhafte Wiederkehr der gegensatzlichen M verhindert alle drama-

tischen Konflikte.*149

Der Ruhepunkt am Abschluß des ersten Teiles bedeutet allerdings fur den

zweiten Sonatentypus kaum mehr als einen kurzen Halt in der kontinuier-

lichen Aneinanderreihung der M, die sich in der Regel auch nach dem Wieder-

holungszeichen fortsetzt, gleich, ob es sich um neue oder bereits bekannte M

handelt.

Die Sonaten des zweiten und dritten Typus ziehen ihre besten Krafte aus

dem Gegensatz von hier kontrapunktisch und dort akkordisch geformten M.

Die um einen tonartlichen Kern gelagerte Vielzahl der M hat im zweiten

Typus fur den Formaufbau, wie erwahnt, absoluten Gleichrang.

*148 S. z. 8. Son. 460.*149 So schließt sich z. B. in Son. 26 die vor allem auch rhythmisch unterschiedene M,

die Takt 10 beginnt, unmittelbar der Anfangsmotivgruppe an und wird rondoartigwiederholt. (Takt 30 ff.).

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Mit der motiveliminierenden Verdichtung, die die Sonaten des dritten Ty-

pus aufweisen, verbindet sich ein Rangordnungsprinzip der Motivgruppen.

Dabei bildet ein “Ubergangstypus” zwischen dem zweiten und dritten Typus

die vermittelnde Brucke. Ein Beispiel dafur gibt Son. 474 (F-dur). Die Takte

1–8 bringen die echomaßig wiederholte KM. Der darauf folgende Komplex

(bis Takt 32) ist als Einheit zu betrachten, da er originaler Motivik erman-

gelt (Fortspinnungsperiode). Einen Kontrast zum Vorhergehenden bewirkt

dagegen im angrenzenden Satzabschnitt (Takt 33–66) schon der Wechsel des

Tongeschlechtes. Im einzelnen gliedert sich diese zweite Halfte der Expo-

sition etwa wie folgt: eine erste M umfaßt die Takte 33–38, im Anschluß

daran eine zweite die Takte 39–44, eine dritte die Takte 45–60, endlich eine

kodaahnliche Schluß-M die Takte 60–66. Bei allem motivischen Zusammen-

hang der Exposition, deren erster Teil sich bis Takt 32, deren zweiter sich

bis zum Wiederholungs- zeichen Takt 66 erstreckt, sondert dieser sich doch

so deutlich ab, daß ihm als Ganzes eine Bezeichnung als “Kontrastperiode”

gerecht wird. Diese Auffassung bestarkt noch das ganztaktige Stokken der

Bewegung (auf G, Takt 32), eine fur Scarlatti typische Art, eine Kontrast-

periode oder auch eine SM einzufuhren. – Durchfuhrung und Reprise bieten

hier keine neuen Ansatze.

Es konnen sich also Sonaten, die in der Kleinform dem zweiten Typus

zugehoren, großformal dem dritten annahern. In die Nachbarschaft jenes

stellt sie die Technik der Motivgruppenreihung, mit diesem sind sie dadurch

verbunden, daß der Exposition eine latente Zweiteilung in KM + Fortspin-

nung und Kontrastperiode (+ Fortspinnung) zugrunde liegt.

Scarlattis Stellung zur Suite ist durch sporadisches Auftreten von Satzen

wie Allemanda, Giga, Gavotta gekennzeichnet, weitaus am haufigsten aber

zieht er das Minuetto heran. Schon die Tatsache, daß in jedem Falle der

Obertitel “Sonata” trotz der ausdrucklichen Sonderung durch einen der

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angefuhrten Tanzformennamen bestehen bleibt, beweist, wie weit diese

Werke davon entfernt sind, nur Tanzsatz zu sein. Die scharfe Charakteristik

der “Allemande” – ihr kommt fur die Entwicklung der Sonatenform grundle-

gende Bedeutung zu*150 – laßt Werke, die, ohne als solche bezeichnet zu

sein, dem Allemandenkreis zugehoren, verhaltnismaßig leicht erkennen.*151

Zweistimmigkeit uberwiegt, nur gelegentlich lost sie Akkordik ab; eine

einmal begonnene Figur wird weit ausgesponnen, ein uniformer Rhythmus

herrscht vor.*152 Die aus solcher durchgehenden Bewegung resultierende

Stimmungseinheit des ganzen Satzes ruckt diese Sonatengruppe an die

Barockmusik heran.

W. Danckert fuhrt eine Reihe Domenico Scarlattischer Werke an, die ihre

Herkunft vom Giguentypus nicht verleugnen, sie wenigstens in einzelnen

Zugen offenbaren.*153 Dabei laßt er jedoch das einzige, ausdrucklich als Giga

bezeichnete Klavierwerk, das die GA bringt, Nr. 75, unberucksichtigt.*154

Auffallenderweise zeigt nun diese “Sonate” keines der Merkmale, die Danck-

ert als fur die Gigue, auch bei Domenico Scarlatti, charakteristisch anspricht.

Es bleibt naturlich bestehen, daß solche giguenhaften Elemente, wie sie etwa

aus der zeitgenossischen Kammermusik bekannt sind, in viele Satze hinein-

spielen.

Die Giga Nr. 75 (mit nachfolgendem Menuett), ebenso die Gavotta Nr. 58

ordnen sich dem aufgestellten Typus I zu. In beiden Fallen ist eine fort-

laufende Sequenzierung auffalligstes Stilmerkmal. Die Einheit des ganzen

*150 Auch die spateren Tanzsatze J. S. Bachs nahern sich der Sonatenform an,vergl. K. A. Rosenth al im BJ 1926, S. 82 f. E. Mohr, Die Allemande, eine Un-tersuchung ihrer Entwicklung von den Anfangen bis zu Bach und Handel, BaselerDiss. 1927, laßt die italienische Klavier-Allemande unberucksichtigt.

*151 In Handschriften und alteren Drucken tragt ubereinstimmend Son. 390 die in der GAfehlende Bezeichnung “Allemanda”, sie vermag also Scarlattis Allemanden-Typuszu reprasentieren.

*152 Diesem Typus gehoren etwa die Son. 50; 385; 386 u. a. an.*153 Geschichte der Gigue, S. 69.*154 Vergl. auch S. 97, Anm. 1.

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Satzes wird durchaus gewahrt, Kontrastmotive kommen nicht zur Geltung.

Zumal die Gavotta ist von jenem bei Scarlatti seltenen hoheitsvoll – ernsten

pathos der Barockmusik getragen.

Weitzmann - Seiffert bemuhen sich, auch Correnten und Sarabanden in

den Klavierwerken Scarlattis aufzuzeigen.*155

Die Barockzeit hat in Italien den Tanzsatzen der Kammermusik eine

besondere Stellung verliehen: schon im 17. Jahrhundert geraten die festen

Grenzen ins Wanken, und die einzelnen Tanzformen vermischen sich; an-

dererseits vermittelt die nahe Sonata da chiesa die Bekanntschaft mit einer

strengeren polyphonen Kunst. Beide Erscheinungen haben zu Domenico

Scarlattis Zeiten eine weitgehende Auflosung aller gepragten Tanzsatz-

Typen herbeigefuhrt. Bei Corelli ist dieser Prozeß in vollem Gange.

Auch Bernardo Pasquini scheidet etwa die Courante und die Giga kaum

voneinander.*156 Sicherlich spricht aus manchem langsamen Satz Scarlattis

hochbarocker Sarabandengeist;*157 darf ein solcher Satz aber darum schon

“Sarabande” genannt werden, da sich doch das charakteristische Element

eines Tanzsatzes verfluchtigt hat: sein pragnanter Rhythmus?

Sind somit Scarlattis Beziehungen zu den uberlieferten Kernsatzen der

Suite in ihrer reinen Form nur lose, so hat er dagegen dem modischen

Menuett einige Pflege angedeihen lassen. Die als Minuetto bezeichneten

Werke weisen im Regelfalle zweigeteilte Form auf. Ihrem Umfang nach

gehoren sie zu den kurzesten “Sonaten”, wie sie auch fur das Gesamtklavier-

werk Scarlattis nur geringe Bedeutung haben. Die Menuette zeigen manche

Stilmerkmale des ersten Typus: konstanten, jedoch selten komplementaren,

*155 Bezeichnenderweise geraten die Verfassar, a. a. O. S. 422, bei der Zuweisung derWerke an einen bestimmten Tanztypus bald in Schwierigkeiten.

*156 Weitzmann-Seiffert, a. a. O. S. 277 f. Neben diesen “fluchtigen” Correnten stehenaber bei Pasquini durchaus noch die getragenen Formen. So zeigt z. B. das Berliner

Autograph S. 6 folgenden Rhythmus: etc.*157 S. z. B. die Son. 33; 362.

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Rhythmus – denn der Baß hat stimmige Funktion weitgehend verloren

–, keine oder nur ganz geringe Kontrastmotivbildungen. Kurz, es sind

Satze durchaus einheitlicher Haltung, stark homophon empfunden und auf

Oberstimmen-melodik gerichtet.*158 Die Bindung an einen bestimmten

Rhythmus wirkt vielfach lahmend und kann zu einem naiv-heiteren

Klangspiel ohne tiefere Bedeutung fuhren.*159

In formaler Hinsicht lassen sich also die Tanzsatze unter einheitlichem

Gesichtspunkte betrachten. Diese Verbundenheit rechtfertigt die Bezeich-

nung “Suitensatztypus”. Die Reprise nimmt eine wechselnde Stellung ein,

sie ist ein Hauptmittel, die Form zu glatten und zu runden.

Die Tendenz zu schematischer Gestaltung uberwiegt so sehr, daß Scar-

latti nur wenige “freie” satze formt. So liegt in “Sonate” 136 eine Vari-

ationsfolge uber ein 12-taktiges echoartig gebautes Thema vor, dabei sind

die Schlußtakte abgeandert: zunachst fuhren sie zur Dominante, dann zur

Tonika. Diese Zweiteilung spiegelt das ganze Werk wider, nur die letzte

(dreizehnte) Variation geht daruber hinaus. Die Ausdeutung des Themas

folgt der alteren figurativen Technik, benachbarte Variationen haben an der

gleichen Spielmanier Anteil.*160 Die zehnte Variation (Takt 111 ff.) zeigt in

den Sprungfiguren der rechten Hand deutlich Einflusse der Violintechnik:

Harmonisch ist das Thema, das lediglich die Tonika, Dominante und Sub-

dominante beruhrt, wenig ergiebig; auch die Variationen fugen sich diesem

engen Kreise in der Hauptsache ein. Skalenmaßig drangende Gegenbewe-

gung steigert endlich den Affekt zum barocken Pathos:

*158 Die Son. 74; 82; 97; 357 konnen Scarlattis Menuett gut charakterisieren.*159 Z. B. im Minuetto der Son. 217. Der Menuettrhythmus dringt – eine Folge der

großen Beliebtheit, deren sich das Menuett in der Oper zu erfreuen hatte – in vieleSonaten ein, vergl. etwa die Son. 23; 52; 372.

*160 Vergl. z. B. “Variation” XI, Takt 121 ff., mit “Variation” XII, Takt 131 ff.

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Takt 149 ff.

Wegen ihrer eigentumlich “hammernden” Tongebung – sie erinnert an das

Schwirren gezupfter Saiten –;

Presto

die auch in der “Durchfuhrung” eine uberragende Rolle spielt,*161

Takt 113 ff.

fuhrt Son. 422 die Bezeichnung “Toccata” mit einigem Recht. Formal be-

trachtet gehort das Werk, dessen “Durchfuhrung” eine weit ausgesponnene

Sequenz (Takt 53 ff.) dehnt, zu der großen Zahl der zwischen dem zweiten

und dritten Typus vermittelnden Sonaten. Bezeichnend genug, daß auch

diese Toccata die typische Satzaufgliederung annimmt.

Weit eher eine “echte” Toccata ist dagegen Son. 30. Die durchgehende,

“nichtsonatische” Form, die sie etwa auch mit Son. 166 teilt, verdankt sie

ihren rondohaften und kontrapunktischen Elementen, die in diesem Werk

eine enge Verbindung eingegangen sind und seinen motivischen Ablauf bes-

*161 Vergl. auch Son. Suppl. 6.

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timmen.

Die “Capriccio” genannte Son. 84 vermag zu veranschaulichen, daß der

einst so bedeutungsvolle Name fur Scarlatti seinen tieferen Sinn verloren hat,

vielmehr bahnt sich hier schon die moderne Auffassung des “Kapriziosen”

an.*162

Als “Pastorale” weisen die Son. 433 und Suppl. 11 im Zwolfachteltakt

und im lebhaften Zeitmaß der Bewegung*163 gemeinsame Kennzeichen auf.

Den idyllisch-beschaulichen Charakter des Pastoralen betonen die liegenden

Stimmen des zweiten Werkes starker. In Son. 433 ist der Satz besonders

durchsichtig, die Stimmen “konzertieren”:

Takt 14 ff. (Allegrissimo)

Die Moll-Durchfuhrung hebt sich aufs feinste von Dur-Exposition und -

Reprise ab.

Als ein “freier” Suitensatz gibt sich die Aria Nr. 423, die ein Zweitaktmo-

tiv ohne großen Aufwand sequenzmaßig fortfuhrt. Die Modulation in eine

Zwischentonika innerhalb des ersten Teiles fallt fort – denn auch diese Aria

weist eine Zweiteilung der Form auf –, die d-moll-Tonalitat bleibt den ebenso

kurzen wie anspruchslosen Satz hindurch gewahrt.

*162 Marpurg, Krit. Briefe II, S. 474 nennt die Essercizi uberhaupt “Capricen”.*163 Die Hss. fordern auch fur die Son. Suppl. 11 “Allegro”-Bewegung, die GA schreibt

“Moderato” vor.

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III

Traditionen gebundene Kunst bemuht sich, uberlieferte Formen immer

wieder neu zu beleben, “fortschrittlich” orientierte neigt dahin, sie zu

verandern oder uberhaupt zugunsten eigener Ideale aufzugeben. In der

Barockzeit ist die Fuge eines jener Gebilde, an denen sich die Geister

scheiden, und so fallt auch auf Scarlattis Stellung zur Tradition von seinen

Fugen aus das scharfste Licht. Im Gesamtschaffen spielen die als “Fuga”

bezeichneten Werke nach Bedeutung und Zahl eine untergeordnete Rolle,

ja, der Name “Fuga” tritt uberhaupt nur als Untertitel der weitgefaßten

“Sonata” auf.*164 Scarlattis “Sonaten, Fugen” behalten stilistisch die

Tendenz jener spatbarocken italienischen Meister bei, die, moderneren

Zielen zugewendet, die Gesetzlichkeit strenggebundenen Linienspiels in die

scheinpolyphone Stimm freiheit uberfuhren.*165 Latente Grundlage ist die

Zweistimmigkeit, eine daruber hinausgehende Stimmenzahl vermag Scar-

latti nicht mehr lebendig zu fuhren. Er wird dann oft schulmaßig steif;*166

Oktavverdoppelungen des Basses verunklaren die reale Stimmfuhrung,

Son. 158, Takt 26 ff.

die weiterhin klanglich eindringliche Terzen- und Sextengange auflosen:

Son. 336, Takt 99 ff.

*164 Insgesamt sind es nur Hinf Werke: GA Nr. 158; 336; 462; 499 und Czerny Nr. 198,vergl. S. 28.

*165 Vergl. J. M. Muller-Blattau, Grundzuge einer Geschichte der Fuge,2 1931, S. 78 f.*166 Vergl. die vielstimmige Orchesterfuge Scarlattis in der Bibliothek Santini (UB

Munster), Sign. S. 232(Fuga Estemporanea etc.).

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Das Thema ist in der Regel ganz instrumental erfunden. Sein regionaler

Umfang in Nr. 462 vermag diese Anlage anzuzeigen:

Allegro moderato

Eine strengere Fugierung schließen hier schon spieltechnische Grunde aus.

Der pathetische Oktavsprung ist denn auch beim letzten Themeneintritt

verschwunden. Die Takt 62 mit synkopischem Akzent einsetzende Achtel-

bewegung ist, mit reichlicher Verwendung akkordischer Figuren, lediglich

“Paraphrase” und von keinem thematischen Bewegungsimpuls getragen:

Sequenzenhaft gebildete motivische Zwischenspiele beanspruchen einen solch

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ubermaßigen Raum, daß sich das Thema erst gegen Schluß hin (Takt 111

ff.) wieder vollstandig ausbreiten kann.*167 Seine beiden gegensatzlich

gerichteten Melodiezuge vermag das ganze Werk nicht zur Einheit zusam-

menzufassen.

Eine andere Fuge (Nr. 158) greift auf ein Thema zuruck, dessen Tradition

zu strengerer Haltung verpflichtet; doch zerstoren auch hier “freie” Fullnoten

gleich in den Eingangstakten die Realstimmigkeit:

Im ubrigen verlauft die Exposition regular. Nicht aus uberlegener Freiheit,

sondern unter schulischem Zwang behalt Scarlatti die Gegenmotive bei; die

Zwischenspiele hingen vor allem rhythmisch eng mit ihnen zusammen.

Die sog. “Katzenfuge” (Nr. 499) hat sich schon im 18. Jahrhundert

großer Beliebtheit erfreut.*168 Allein in diesem Werk findet Scarlatti eine

eigene Fugenform, die sich dem “Fugato” charakteristisch annahert. Wie in

Nr. 158 setzt gegen Ende ein Dominantorgelpunkt ein; aber dort (Takt 53

ff.) lahmt er die Bewegung, wahrend er hier (Takt 139 ff.) bei thematischem

Anklang der Mittelstimme virtuoser Steigerung dient:

(Moderato)

*167 F. Boghen in Antichi Maestri Italiani: “Fughe”, Ricordi, weist auf eine Ahnlichkeitder Takte 15 ff. mit den Takten 17 ff. der h-moll-Fuge Bachs im Wohlt. Kl. I hin, einAnklang,wie er bei formelhaft sequenzierenden Takten ohne weiteres moglich ist.

*168 Der Name findet sich zuerst in Clementis “Practical Harmony” (nach Longo, GAX, S. 204). Vergl. auch W. Stassoff, a. a. O. S. 20.

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Das besondere Spannungsmoment des Themas beruht darauf, daß die

Takt 4 beginnende Skalenfigur, die die Tonalitat sichert, bereits in der

Oberoktave (g’) des Anfangstones g endet; zwischen sprungartigem Auf-

stieg und stufenmaßigem Abstieg entsteht so auch der Taktzahl nach ein

“Mißverhaltnis”. Die schwankende Harmonik legt erst der synkopische

obligate Kontrapunkt fest. Eine freie Umkehrung des Themas (Takt 85

ff.) biegt seine Sekunden zu treibenden Septimensprungen um. Die imita-

torische Satzgrundlage ist uberall freistimmig aufgelockert, der Schlußteil

verdichtet die klangliche Intensitat in spezifisch instrumentaler Manier.

Die Geschicke der fruhen mehrsatzigen Klaviersonate stehen im Zeichen

von Toccata und Suite. Domenico Scarlattis einsatzige Sonate erscheint von

hier aus als ein toccatenhaft beschwingter Suitensatz, sie ist Ziel, nicht Aus-

gang seines Schaffens. Fur die mehrsatzigen Werke – zu ihnen hin fuhren ver-

schiedene mehr teilige Formen – findet Scarlatti keine eigenen Gesetze, tradi-

tionelle Ideale beherrschen sie ahnlich wie die Fuge. Einer dramatischen Ver-

kettung der Satze weicht Scarlatti aus, er kennt hochstens eine Ablaufsform,

deren Satzzweiheit wie “Spannung” und “Losung” wirkt. Die Ausgeglichen-

heit der Motivkomplexe untereinander, die die einsatzige Sonate kennzeich-

net, ist im engen Rahmen ein Nachbild jener alteren Praxis, die in einem

mehrsatzigen Werk den Gleichrang der Satze betont. Dieses hochbarocke

Ideal kommt allmahlich dadurch ins Wanken, daß tanzmaßig lockere und

strenger gebildete Satze sich immer haufiger zu einem Werke verbinden. Das

Ende einer sich hier anbahnenden Entwicklung kann die Rolle des Tanzsatzes

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in der deutschen klassischen Sonate bezeichnen. Ihre eigentumliche Form-

dynamik hat sich weit von der barocken Kunst entfernt. Deren Grundla-

gen getreu vermeidet es auch Scarlatti in der Art der Triosonatenmeister,

die Mehrsatzigkeit “psychologisch” zu unterbauen, d. h. die Satzvielheit auf

ein ideelles Zentrum zu beziehen. Vielmehr hit er an jenem barocken Rei-

hungsprinzip fest, das weniger auf scharfe Profilierung der einzelnen Satze

als auf Einheit des ganzen Werkes bedacht ist. Kontrastierende Perioden

haben auch hier lediglich Rang und Wert einer Episode. Seine einheitliche

Haltung betont der Satz dadurch, daß ein motivischer Kontrast nicht aus-

geglichen wird – was etwa der “Zweck” einer Durchfuhrung ware –, sondern

jeder Komplex in barocker Weise unberuhrt vom anderen bestehen bleibt.

Ein “konzertierendes” prinzip hat hierbei deutlich eingewirkt.

Der Wechsel von schnellen und langsamen Satzen – etwa die Folge Grave-

Allegro –, der fur die mehrsatzigen Sonaten typisch ist, unterliegt keiner

besonderen Regel, die Satz zahl ist frei. So stellt z. B. Son. Suppl. 31

zwei Satze derart zusammen, daß der zweite, ein Menuett im 3/8-Takt, als

“Nachtanz” des ersten, im 2/2-Takt stehenden Satzes wirkt, ein Anklang an

alteste Suitenpraxis. In ausgedehnteren Werken erscheint die Viersatzigkeit

der Triosonate mit ihrer speziellen Charakteristik bald gewahrt, bald finden

sich auch ganzlich abweichende Satzanordnungen. Son. 36 beginnt wie eine

strenge Kirchensonate mit einem gewichtigen Grave und einem homophonen

Fugato, laßt dann aber an dritter und vierter Stelle Tanzsatze folgen. Unter

ihnen nehmen uberhaupt Menuett und giguenartige Satze eine bevorzugte

Stellung ein.

Uber die formale Gestaltung hinaus weisen Scarlattis mehrsatzige Werke

in stilistischen Einzelzugen auf außerklavieristische vorbilder, auf Kirchen-

und Kammersonate hin. Z. T. so stark, daß E. Dent gemeint hat, eine

Reihe der mehrsatzigen Sonaten sei nicht eigentlich Klavier-, sondern Violin-

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musik.*169 Rechtfertigt schon der Befund der Quellen kaum eine solche An-

nahme, da sie die betreffenden Werke ohne irgendwelche Bemerkungen inmit-

ten eindeutiger Klaviermusik uberliefern,*170 so wird Dents Hypothese durch

den Pariser Druck mehrsatziger Sonaten, die das Titelblatt ausdrucklich

Sonates pour le Clavecin nennt, vollends zweifelhaft.*171 Generalbaßmaßige

Notierung von Klaviermusik, wie sie hier vorliegt, ist der Barockzeit dur-

chaus vertraut.*172 Scarlatti beziffert den Baß oft nur fluchtig und skizzen-

haft. Seine Fuhrung erinnert unmittelbar an die Continuopraxis, etwa in

der “gehenden” Achtelbewegung oder in der komplementarrhythmisch scharf

markierten Linie:

Son. 36, Takt 9 ff. (Grave)

Reine Trommelbasse, die Scarlatti sonst klavieristisch aufzulosen versteht,

*169 S. “Monthly Musical Record” 1906, S. 195; SIMG XIV, S. 508 und “Auftakt” 1922,S. 328.

*170 Sie finden sich samtlich in Bd. V XIV.*171 S. S. 35 f. Außer diesem Druck weisen folgende Sonaten Generalbaßbezifferungen

auf, die die GA kommentarlos unterdruckt: Nr. 36; 106; 176; 271. Nur an einerStelle erwahnt Longo eine Bezifferung, s. GA I, S. 133.

*172 Sie erscheint z. B. in Klavierwerken Pasquinis (s. S. 65 f.); Alessandro Scarlattis(s. S. 68); Benedetto Marcellos (Pr. Staatsbibl. Mus. ms. P. 295, S. 242 ff.); Rutinis(in den Sonaten op. 13); in Deutschland z. B. bei Telemann (Sept fois Sept etun Menuet etc., Neudruch 1930) und bei J. S. Bach (Capriccio sopra la lontananzaeic.). Vergl. auch K. G. Fellerer im Lutticher Kongreßbericht 1930, S. 109 ff. –Daß die barocken Anschauungen uber Besetzungsfreiheit in manchen Fallen auchdie Mitwirkung anderer Instrumente gestatten, steht auf einem besonderen Blatt.

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dringen ein:

Son. 211, Takt 87 ff. (Allegro)

Auch die Melodik der Oberstimme bezeugt die Nahe der Violinmusik, an

deren Spielmanieren Figuren, Auszierungen, Seufzermotive

Son. 211, Takt 54 ff. (Allegro)

oder auch ein “galanter” lombardischer Rhythmus—

Son. 106, Takt 1 ff. Grave

erinnern. Der Eingangssatz von Son. 168 mutet in der Lockerheit der freis-

chwebenden Melodik geradezu wie die Klavierubertragung eines Violinsatzes

an:

Moderato e cantabile

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Typisch klaviermaßig und daruber hinaus typisch fur Domenico Scarlatti

uberhaupt sind dagegen die schnellen kurzen Passagen, wie sie im herange-

zogenen Pariser Druck interruptionsartig z. B. am Schluß des ersten satzes

der “Sonata prima” auftreten:*173

(Moderato)

Einige weit ausgesponnene Satze ubertreiben fast schulerhaft das

Sequenzen-Prinzip, sie unterscheiden sich stark von der pragnanten Knap-

pheit der einsatzigen Sonate. Der haufige Halbschluß am Satzende schafft

Ubergange, wie sie auch Triosonate und Opernsinfonie kennen.

In die Nachbarschaft von Alessandro Scarlattis Ouverturenform wollen

Weitzmann-Seiffert Son. 498 rucken.*174 Jedoch ist die Wiederholung des

ersten Teiles nach dem Mittelsatz – die eigentliche d. c.-Form –, die der

vorliegenden Sonate eignet, fur den alteren Scarlatti nicht zu belegen.

Eine Gruppe von Sonaten erscheint formal als ein Abbild des ersten Vivald-

ischen Konzertsatzes. Die Gegenuberstellung von Tutti und Soloinstrument

*173 In diesen Sonaten begegnen noch manche Suitensatze, z. B. eine Giga (S. 16), eineAria (S. 21), eine Villanena (S. 28). Daß jedoch an diese Bezeichnungen und gareine Vorschrift wie “affettuoso” (S. 271 authentisch sind, muß bezweifelt werden.Vergl. den thematischen Katalog Nr. 7 ff.

*174 a. a. O. S. 422. (Czerny Nr. 110 = GA Nr. 498.) Irrtumlich sprechen die Verfassera. a. O. S. 424 von zwei satzigen Essercizi Scarlattis; die unter dem Titel “Essercizi”erschienenen Sonaten sind samtlich einsatzig, vergl. S. 29 ff.

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klingt in solchen einsatzigen Werken vernehmbar an

Son. 406, Takt 1 ff. Allegro

und verdichtet das klangliche Geschehen. Das Ritornellprinzip erfaßt jedoch

daruber hinaus auch die Gesamtform: so laßt Son. Suppl. 34 die einzelnen

Satze rondoartig wiederkehren, a-b-a-b-a-c.*175

In spateren Jahren scheint sich Scarlatti von allen unsicher tastenden Ver-

suchen freigemacht und immer intensiver der Pflege der einsatzigen Sonate

zugewandt zu haben. Die Forma bipartita, die in den zyklischen Werken

nur gelegentlich, in den tanzsatzahnlichen Teilen, auftritt, zieht ihn mit

Ubermacht an.

Aber auch die einsatzige Sonate Scarlattis weist eine Tendenz auf, von

ihrer Abgesondertheit loszukommen. Ein Teil der handschriftlichen Quellen

namlich stellt die Sonaten in auffallender Weise zusammen: es folgen hier

in der Regel zwei Werke aufeinander, die sich in ihrer Taktart wie Tanz zu

Nachtanz verhalten und die gleiche oder die variante Tonart aufweisen.*176

Das Wort “fin”, das im allgemeinen das Ende eines Satzes anzeigt, findet

*175 Vergl. auch Notenbeilage III.*176 Dent, “Auftakt” a. a. O. Vergl. die Ubersicht S. 10 ff., insbesondere die Spalte V.

Die meisten hierher gehorigen Bande pragen eine solche Tendenz klar aus. S. auchin der Notenbeilage die “Paare” Son. I–II und Son. III–IV, deren Zusammenstenungden Hss. folgt.

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sich dann erst am Schlusse eines solchen Satzpaares.*177 Ob eine solche

Ordnung, die die Sonaten paarweils zusammenfaßt, vom Komponisten selbst

beabsichtigt oder ob sie nur eine ad hoc getroffene Kopisten-Maßnahme ist,

die der Ubersichtlichkeit dient, bleibt offen. Der Grundwille der Zeit drangt

zu zyklischen Formen, auch Scarlattis profilierter Ein-Satz scheint von ihm

ergriffen zu werden.

IV

Der starke horizontale Bewegungszug, der Scarlattis Motivik innewohnt,

widerstrebt, verbunden mit einer Neigung zu barocker Geschlossenheit, der

Bildung eines “komplexen Themas”, das gegensatzliche Motive auf einen

Nenner bringt. So wird der moderne Themabegriff Scarlatti nur gerecht,

wenn er auf dualistische Motivgestalten zielt, die eine auf Einheit gerichtete

Kraft zusammenfaßt. Sie ist stark beispielsweise in der KM von Son. 257.

Die KM (Takt 1–7) zerfallt in zwei kontrastierende Teile:

Andante

Der erste (Takt 1–5) laßt sich als echomaßig wiederholte umspielung der

Dreiklangstone e”-gis”-h” verstehen. Mit dem zweiten Viertel des funften

*177 So z. B. fast regelmaßig in V I. In Perscheint das Wort “Fin” nicht mit solcherRegelmaßigkeit am Schlusse eines Satzpaares, wahrend Sant. und W, als Quellenzweiten Ranges, noch geringeren Anteil haben.

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Taktes aber setzt eine neue Bewegung ein, deren dissonanter Vorhaltscharak-

ter sich von der “akzentlosen” Melodik der ersten Takte scharf abhebt. Die

beiden Motive sind hier dadurch verklammert, daß, wahrend die Baßgrund-

lage (e) bleibt, mit dem h’ der Oberstimme (im 5. Takt) die alte Phrase

endet und zugleich die neue beginnt.

Zumeist aber geht die motivische Welle des Eingangs uber alle entgegen-

tretenden Bildungen hinweg, sodaß absolut einheitliche M entstehen:

Son. 247, Takt 1 ff. Allegrissimo

Eine Schlußkadenz kann sie in barocker Weise formal abrunden. Der Baß

bevorzugt dabei die einfache Formel IV-V-I.

Die Tonwiederholung am Beginn einer KM ubernimmt Scarlatti von

der alteren Kanzone*178 und verleiht ihr einen besonderen Spannungsreiz:

Son. 396, Takt 1 ff. Allegro

Son. 59, Takt 1 ff. Andante moderalo

Die motivische Imitation beginnt bezeichnenderweise uberwiegend in der

Oktave, weit seltener findet sich Quintimitation.*179 Die satztechnische

*178 S. auch die KM etwa der Son. 18; 193; 401.*179 Vergl. auch Son. Suppl. 9. Eine noch freiere Beantwortung der vorgetragenen KM

in Son. 400, Takt 5 ff.

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Arbeit ist locker und frei von Regelzwang; so braucht das “Thema” bei

seinem zweiten, Einsatz nicht notwendig von einem Kontrapunkt begleitet

zu werden, sondern die zunachst fuhrende Stimme kann hier abbrechen und

pausieren.*180 Dadurch verliert die (Oktav- oder Quint-) Wiederholung

einen wesentlichen Teil ihrer linearen Gespanntheit. In anderer Weise zeigt

eine scheinkanonische Stimmfuhrung die schwindende Kraft zu polyphoner

Gestaltung an.*181

Bei strengerem imitatorischen Beginn einer Sonate wird der Kanon, den

allein ein enger Stimmraum ermoglicht, in der Regel nur wenige Takte

beibehalten. Scarlattis Klaviermusik bildet deutlich eine Technik des

“Kurzkanons” heraus.*182

Der melodische Akzent liegt oft so ausgepragt auf dem imitierten Motiv,

daß der Eigenwuchs der Gegenstimme stark behindert wird. Ihre Fuhrung

ist dann aller Selbstandigkeit bar, sie hat lediglich die Aufgabe, die Harmonik

zu fixieren. Von hier bis zum Fortfall der Gegenstimme ist es nur ein kleiner

Schritt:

Son. 421. Takt 1 ff. Allegro

Mit dem Durchlaufen zweier Stimmen hat das Motiv in der Regel seinen

Impuls erschopft.*183

Der gebrochene Dreiklang dient, auch in zerlegter Form sowie mit Durch-

*180 S. z. B. Son. 451, Takt 7 ff.*181 S. etwa den Beginn von Son. 122.*182 S. Notenbeispiel S. 100 oben. Dabei kann es auch zu dissonanten Reibungen kom-

men, s. z. B. Son. 161.*183 Vergl. das charakteristische Eingangs-Fugato von Son. 321.

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gangstonen verschen, vor allem im Eingang der Sonaten als ein Hauptmittel

der Motivbildung. Mit dieser Verwendung der Akkordbrechungen hangt der

große regionale Umfang der Motivik zusammen, der an den Spieler hohere

Anspruche stellt: Son. 186, Takt 1 ff. Allegro

Ihn als typisch hinzustellen,*184 erscheint jedoch zweifelhaft; denn auf der

anderen Seite lassen sich eine große Anzahl von M anfuhren, die sich auf den

Umkreis weniger benachbarter Tone beschranken:*185

Son. 51, Takt 1 ff. Allegro ma non tanto

Den pathetischen Oktavsprungen der Barockmusik, wie sie vor allem im

Instrumentalkonzert hervortreten, gibt Scarlatti einen neuen Sinn in Rich-

tung auf ein graziosgalantes Spiel.*186 Fur den melodischen Gehalt eines

Sext-Schrittes, den die vorhergehende Generation bevorzugt, hat die unpa-

thetische Kunst Domenico Scarlattis keine besondere vorhebe mehr.

*184 Vergl. Danckert, a. a. O. S. 69.*185 S. auch die Son. 59 (Notenbeispiel auf der Vorseite); 119.*186 S. z. B. die KM der Son. 117; 310 und den “Konzertsatz” Son. 406 (Notenbeispiel

S. 98 unten).

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Gleiche Bedeutung wie der Dreiklang hat fur die Motivbildung die Ton-

leiter steigender oder fallender Tendenz. Motive, die aus Gangen gebroch-

ener Terzen geformt sind, nehmen eine Mittelstellung ein.*187

Wenn Dreiklang und Skala, die beiden gegensatzlichen Krafte der Mo-

tivgestaltung, sich in einer M zusammenfinden, so kommt es zu melodisch

wie klanglich gleich differenzierten Bildungen:

Son. 224, Takt 1 ff. Allegro

Kadenzen, die die KM abschließen, verstarken die Spannung des folgenden

Schrittes in die Tonika gern durch einen Leittontriller.

Der Triller dient auch sonst dem motivischen Aufbau und der Gliederung.

So empfangt eine leicht hingeworfene Figur durch den beendenden Triller

einen Schlußakzent, der sie zum Motiv zusammenfaßt:

Son. 275, Takt 1 ff. Allegro

Auf der anderen Seite ist die verbindung von KM und Fortspinnungsteil oft

so eng, daß beide ohne kadenzierenden Einschnitt ineinander ubergehen:

*187 S. etwa die KM der Son. 385: 500.

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Son. 263, Takt 1 ff. Allegrissimo

Der innere Ablauf eines Motives vollzieht sich “flachig”, d. h. in gle-

ichmaßig-ruhiger Gefuhlseinheit. Steigerungstendenzen steht vor allem das

Echo entgegen. Das Motiv selbst erstreckt sich in der Regel nur auf einen

engen Raum, seine Taktzahl ist noch in keiner Weise festgelegt. Folgendes

Schema bevorzugt Scarlatti:

a – wiederholtes a – b – wiederholtes b

bilden zusammen eine M, wobei a und b selbstandige Motive sind. Die KM

der bereits herangezogenen Son. 220 kann diese Motivreihung verdeutlichen:

Allegrissimo

Motiv a umfaßt die ersten beiden Takte, Takt 3 und 4 sind ihre notenge-

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treue Wiederholung. Die Takte 5 und 6, die das Motiv b bringen, werden in

gleicher Weise behandelt. Der “Vordersatz”, das Motiv a, bildet mit seinem

energischen Marschrhythmus eine ansteigende Linie, indes die fallende Un-

terstimme die erzielte Spannung sofort wieder lost. Im Kontrast dazu steht

die im dritten viertel des 5. Taktes nach vorheriger “Stimmspaltung” auf

b’ festliegende Stimme der rechten Hand, die darauf in Gegenbewegung zur

linken Hand um eine Septime hinaufgeht und wieder den Ausgangston g”

erreicht. Eine ahnliche Gegenbewegung ist auch schon in Motiv a, Takt 2,

deutlich: hier imitiert die linke Hand ein im ersten Takt von der oberstimme

gebrachtes Teilmotiv und fuhrt es im anschließenden Quart-Quintsprung

zum Grundton weiter. Als Ganzes betrachtet, veranschaulicht dies Beispiel

ubrigens noch einmal, mit welch geringem Tonumfang Scarlattis M-Technik

sich zu bescheiden vermag.

Die Motiv-Wiederholung hat, wie schon angedeutet, haufig ein doppeltes

Gesicht: teils ist sie Echo, teils kontrapunktische Imitation. Die Versetzung

etwa eines zu Beginn einer Sonate stehenden Motives (bzw. einer M) in

die Ober- oder Unter- oktave oder auch ein anderes Intervall kann sowohl

als Beantwortung (im Sinne der Fuge) wie auch als Echo aufgefaßt werden.

Fehlt dem wiederholten Motiv eine Gegenstimme, so uberwiegt der Echo-

Eindruck. W. Fischer hat die Sequenz von einem monodisierten polyphonen

Satz abgeleitet,*188 ahnlich ist wenigstens eine Seite des Echoprinzips in

dieser Zeit als Tonikabeantwortung eines vorgetragenen Motivs zu verstehen.

Der Umfang der echomaßig wiederholten Teile schwankt stark; bald wer-

den vollstandige M, bald großere Abschnitte von ihnen, endlich auch nur

einzelne Takte vom Echo erfaßt. Diese Ungebundenheit der Echotechnik

kommt am scharfsten darin zum Ausdruck, daß die Reprise eine andere Art

*188 a. a. O. S. 45 ff.

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der Echobildung aufweisen kann als die Exposition.*189 Die Echoteile sind

“frei” und werden nicht als fur die Großform wesentlich empfunden. Ein

spielerischer Trieb, nicht ein gestaltender Wille formt sie.

Der im Echo herrschende dynamische Kontrastgedanke wiederholt sich

im großeren Rahmen der gegensatzlichen Motive und M, und er vermag

somit konstitutive Seiten an Scarlattis Personalstil zu beleuchten. Weniger

im Entwicklungsprinzip – verstanden als die Entfaltung der in einem

“Thema” zusammengedrangten seelischen Energie – als im (Kontrast-)

Reihungsprinzip –, in welchem das “Thema” nicht Abbild, pragnantester

Ausdruck des ganzen Satzes ist, sondern irgend ein beliebiger Ausschnitt

aus ihm, ein “abgetrennter Bestandteil des Gesamtflusses”*190 – findet er

seine Idee.

Das Echo wird dadurch variiert und erweitert, daß die Wiederholung

in der Tonart der Variante auftritt. Auch nichtechomaßig sind besonders

in den Fortspinnungsteilen Dur-Moll-partien ohne Uberleitung unmittelbar

nebeneinander gestellt. Sie erwecken zuweilen fast den Eindruck eines Quer-

standes:*191

Son. 301, Takt 42 f. (presto)

Das nach einer Mollwiederholung neueintretende Dur hat aber durchaus

nicht jene “befreiende” Wirkung wie vergleichsweise bei Schubert, der diesen

Helldunkel-Effekt in solcher Richtung ausnutzt. Vielmehr lockt Scarlatti in

*189 Vergl. S. 115 f.*190 Danckert, a. a. O. S. 59.*191 Vergl. auch z. B. Son. 137, Takt 31 ff.; Son. 153, Takt 24 f.; Son. 224, Takt 38 f.

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der Hauptsache der Klangreiz, den die unmittelbare Gegenuberstellung von

Dur und Moll ausstrahlt.

Daruber hinaus kann jedoch der Dur-Moll wechsel formbildende Kraft

bekommen. In Son. 229 wird Takt 24 ff. ein Motiv, das die Fortspin-

nung in Dur gebracht hatte, ziemlich notengetreu nach Moll versetzt, –

eine zunachst unauffallige Variation. Bedeutungsvoll wird diese Mollpartie

aber einmal durch die Art ihrer Einfuhrung, namlich nach einem halbtakti-

gen Halbschluß, dann durch die weit ausdrucksreicher, wenn auch naturlich

ahnlich gefuhrte Gegenstimme der linken Hand. Das in der zweiten Halfte

von Takt 28 wiedergewonnene Dur hebt die Wirkung dieser Mollgruppe, die

echomaßig wiederholt wird, noch um ein Betrachtliches. Durch seine akzen-

tuierte Einfuhrung und Stellung im Werkganzen hat das nach Moll versetzte

Motiv hier fast die Funktion einer SM.

Das Echo geht haufig, vor allem in den abkadenzierenden Teilen, uber

die einmalige Wiederholung einer Phrase erheblich hinaus. Solch behar-

rliche Repetition fordert gleichfalls dynamische Schattierung. Dabei bleibt,

etwa bei viermaligem Auftreten einer motivischen phrase, zweifelhaft, ob die

einzelnen Abschnitte dynamisch so zu kontrastieren sind, daß jeder Echoteil

gegen jeden steht, oder ob sie zu Gruppen, im angenommenen Falle also

etwa paarweis, zusammengefaßt werden konnen.

Hypothetisch ist Scarlattis Bevorzugung der Forma bipartita, die jeden

Teil fur sich wiederholt, in Zusammenhang mit seiner vorliebe fur das Echo

zu bringen: die Wiederholung eines jeden Teiles laßt sich, in anderem dy-

namischen Grade vorgetragen als beim ersten Auftreten, als Echo der Groß-

form verstehen.

Die Fortspinnung einer KM knupft an eines ihrer Teil, motive an und

fuhrt es mehr oder weniger stark variiert weiter. So spinnt sich beispiel-

sweise in Son. 209 das am Schluß der KM “verkappt” auftretende fallende

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Tonleitermotiv (Takt 3 ff. und, wiederholt, Takt 7 ff.) im folgenden Teil in

zusammengedrangter Form “offen” fort:

Takt 7 ff. (Allegro)

Im Gegensatz zu diesen ausgedehnteren flachigen Komplexen zeigen die

SM eine starkere Konzentration der Motivik. Beginnt die KM haufig einstim-

mig, wahrend die zweite Stimme in einigem Abstand kanonisch-imitatorisch

oder imitatorisch-echo-maßig folgt, so ist fur die SM ein solcher Anfang sel-

ten.*192 d. h., an einer einmal inaugurierten Mehrstimmigkeit halt Scarlatti

fest.*193 Kurzere einstimmige Partien, besonders in Form von Passagen, sind

jedoch auch hier durchaus moglich.

Wichtiger als die einigermaßen außerliche Feststellung, wann ein “zweites

Thema” in der Sonate zuerst auftritt, ist die Frage, welcher Funktionswert

ihm jeweils in der Struktur des Gesamtwerkes zukommt. In der Barock-

sonate heben sich die Kontrastperioden, wie ausgefuhrt, lediglich als Episo-

den ab, die den einheitlichen Fluß des Ganzen nicht umzubiegen vermogen.

Sie haben hier etwa die Bedeutung und die Aufgabe der Zwischenspiele inner-

*192 Ein kanonisches “Seitenmotiv” begegnet z. B. in Son. Suppl. 37, Takt 24 ff.*193 In Son. 222, die den zweiten Sonatentypus erweitert – es sind drei, nicht wie regular

zwei großere Komplexe durch Wiederholungszeichen eingeschlossen –, beginnt dieHauptkontrastbildung Takt 24 u. o. stets einstimmig.

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halb einer Fuge: von ihnen werden sie, zu einem Teil wenigstens, herzuleiten

sein.

Auch Domenico Scarlatti wurzelt zu tief im Barock, als daß vielen seiner

SM (bzw. Kontrastperioden) ein hoherer Wert zukame als der einer relativ

fluchtigen Unterbrechung des Gesamtflusses. In solchen Fallen wird nach

der SM wieder vollstandig in die Bahnen der ersten, von der KM ausgehen-

den Bewegung eingelenkt.*194 Unterstreicht dies Verfahren einerseits den

Kontrastcharakter, insofern ein Mittelteil von scharf sich abhebenden Nach-

barteilen eingeschlossen ist, so hebt es andererseits doch auch das Episodis-

che dieser Kontrastbildungen stark hervor.

In den Sonaten des dritten Typus bedeutet der Eintritt der SM mehr

als zufallige Unterbrechung, in ihnen kommt der SM großformaler Wert zu.

Wechseldominantische Einfuhrung kann ihre Stellung im Werkganzen akzen-

tuieren.*195 Aber selbst hier verrat sich ein Hang zur Einheitlichkeit durch

einen charakteristischen Intervallschritt, der sich innerhalb einer Sonate mit

Hartnackigkeit durchsetzt und so ein einigendes Band um die ihrer formalen

Stellung nach kontrastierenden M schlingt.*196 Dieser Zug zur motivischen

Geschlossenheit ist solcher Steigerung fahig, daß er auch weiter voneinander

entfernte Sonatenteile erfassen kann.*197 Die M lassen sich in solchen Fallen

nach ihren Beziehungen zu einem “Urmotiv” ordnen.

Die SM Scarlattis bezeugen die Nahe der neapolitanischen opernsinfonie.

Hier wie dort ist die Melodik “kurzatmig”,*198 werden synkopierte und chro-

matische Bildungen bevorzugt:

*194 S. z. B. die Son. 64; 92*195 Vergl. S. 80 und S. 121, Anm. 1.*196 So spielt z. B. in Son. 257 der zweimalige Ansatz mit nachfolgendem Quartschritt,

wie ihn der erste Takt zeigt (s. das Notenbeisp. S. 100 oben), auch in der Kontrast-periode, Takt 30 ff., eine hervorragende Rolle.

*197 Vergl. z. B. in Son. 384 die KM und die Kodatakte 51 ff.*198 S. z. B. Son. 421, Takt 17 ff.

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Son. 309, Takt 18 ff. (Vivo)

Son. 321, Takt 16 ff. (Andante)

Ein besonderer Nachdruck liegt auf empfindungsvollen Seufzermo-

tiven.*199 Von der Kantabilitat des spateren zweiten Themas, wie sie die

deutsche Klassik kennzeichnet, ist wenig zu spuren.*200

Die Ubermacht der einmal eingeschlagenen Bewegung, die sich von

der KM aus fortspinnt, kann das spezifisch kontrastierende Motiv soweit

zuruckdrangen, daß es sich erst in der Koda zu behaupten vermag. Sie

bekommt damit eine Aufgabe zugewiesen, die uber ihre Kraft geht, das

formale Gleichgewicht wird stark verschoben. Im Sinne der Sonate, der

die Zukunft gehoren sollte, erscheint die solcherart entstehende Form noch

unentwickelt. Meist aber hat die Koda lediglich die Funktion, die Bewegung

*199 Vergl. dazu auch Son. 11 und Son. 224, Takt 19 ff.*200 Einigermaßen in die Zukunft weist in Son. 216 die Melodik der Takte 23 ff., s. das

Notenbeispiel S. 126.

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“auslaufen” zu lassen: der Kadenzcharakter tritt mehr oder weniger deutlich

hervor.

Die abkadenzierenden Phrasen haben vor allem an dieser Stelle eine

besondere Neigung zu Triolenbildungen, die einen Stammton mit seinen

beiden Nachbartonen umspielen (also a-b-c, wobei b etwa einem Dreiklang

zugehoriger Grundton ist, a und c oberer und unterer Nachbarton).*201

Eine “diminuierte” Bewegung steigert die Kadenzwirkung.*202

Die Kadenz selbst faßt Scarlatti in barocker Weise uberwiegend als ein

unteilbares Ganzes auf; erst die nahende klassische Kunst zerlegt sie bei der

bestatigenden Wiederholung in ihre Teile. Die Baßschritte der Koda-Kadenz

fixieren noch einmal mit aller Scharfe die Tonalitat, ehe sie die Durchfuhrung

starker erschuttert.

In den Sonaten des dritten Typus ist der erste, zur Zwischen, tonika

fuhrende Teil modulatorisch ebenso klar gegliedert wie der zweite Teil (nach

dem Wiederholungszeichen), der in die beiden Komplexe “Durchfuhrung”

und “Reprise” zerfallt. In der Exposition reprasentiert die KM + Fortspin-

nung die Tonika-Tonart, die SM + Fortspinnung die Zwischentonika-Tonart

(in der Regel die Dominante oder, besonders in Moll, die paralleltonart).

Allerdings kann abweichend schon die KM in die Dominante modulieren,*203

die SM in einer anderen Tonart als in der der Zwischentonika stehen, die dann

erst spater erreicht wird.*204

Fiele die Modulation in die Zwischentonika, die der Abschluß der Ex-

*201 Die Notierung der Triolen in nachst kleineren Notenwerten, also dieLorenz, a. a. O. S. 203, spezielI Alessandro Scarlatti zuschreibt, kennen auchPasquini (Berliner Autograph L. 215, z. B. S. 97) und Domenico Scarlatti (so notiertz. B. V XV 15 [Son. 298] die Triolen stets als Zweiunddreißigstel).

*202 Vergl. etwa Son. 35,Takt 55 ff.; Son. 153, Takt 25 ff.*203 S. z. B. Son. 470.*204 Eine neue Kontrastmotivgruppe kann auch die schon erzielte Zwischentonika-Tonart

wieder verdrangen, s. z. B. Son. 65, Takt 47 ff.

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position statuiert, fort, so wurde der erste Teil der Sonate-zumal bei den

dem zweiten Typus zugehorigen Werken – vollig in sich ruhen und nicht

notwendig einer Fortfuhrung bedurfen.*205 Fur die Wiedergewinnung der

Ausgangstonalitat stehen nun theoretisch mehrere Wege offen: zunachst

konnte die Tonika unmittelbar nach dem Wiederholungszeichen wieder ein-

setzen und in irgendeiner Weise bestatigt werden. Auf diese Moglichkeit

verzichtet Scarlatti. Der erste Teil moduliert also nicht mehr oder weniger

zufallig in eine andere Tonart, von der aus die Grundtonart muhelos wieder

erreicht werden konnte, sondern das tonale Zentrum, die Tonika, ist ern-

stlich erschuttert und kann nicht ohne weiteres wiederhergestellt werden. Es

herrscht nur scheinbar Ruhe und Abschluß beim ersten Wiederholungsze-

ichen.

Die Durchfuhrung bringt in der Regel einen Kontrast zur Harmonik

der Ausgangs-Tonart, sie lockert den festen Boden der Tonalitat. So

beruhrt die Exposition von Son. 229 (B-dur) lediglich die nachstverwandten

Tonarten, die Durchfuhrung aber streift das entferntere a-moll (das durch

enharmonische Verwechslung as-gis, Takt 64, erzielt wird). Die tonartlich-

harmonische Spannung zur Grundtonart wachst vor allem auch dadurch,

daß das gegensatzliche Tongeschlecht, besonders in den Dur-Sonaten, in

weitem Umfange eindringt.*206 Die Exposition zeigt eine Tendenz, sich auf

den Tonika-Dominantkreis zu beschranken, wahrend der Durchfuhrung eine

“gleitende” Harmonik zu eignen pflegt. Diese lebhaftere Modulationswelle

laßt den Mittelblock der Sonate deutlich hervortreten. Er erscheint so als

eine Einheit, die sich gegen die angrenzenden, modulatorisch ruhigeren Teile

abhebt.

*205 Hierfur bildet Son. 370 ein Beispiel. Uber die Verbindung von motivischer Ein-heitlichkeit mit konstanter Tonalitat vergl. S. 90.

*206 Vergl. etwa die Durchfuhrung von Son. 381.

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Hat die Durchfuhrung die Form einer modifizierten Exposition, so ist der

verlauf mit einiger Genauigkeit vorgezeichnet. Aber auch in den “echten”

Durchfuhrungen geben bereits die Grundzuge der Motivbildung, wie sie

die Exposition aufweist, Richtlinien fur den zweiten Sonatenteil. Dies gilt

vorzuglich fur die Sequenz.*207 Sie greift, insonderheit als Stufensequenz

auftretend, einzelne Motive oder Motivbruchstucke des ersten Teils her-

aus und fuhrt sie weiter. Eine solche Tcchnik verbindet Exposition und

Durchfuhrung eng miteinander. Starker improvisationsmaßig muten dage-

gen Durchfuhrungen an, die eine einzige Figur fortsequenzieren.*208 Einge-

worfene Motive, die dem Expositionsteil entstammen, haben die Aufgabe,

die starre Sequenzenketle zu lockern.*209 Der Gedanke einer inneren “En-

twicklung” hegt der Durchfuhrung Scarlattis fern.

Erst hier im Durchfuhrungsteil wird offenbar, welch geringer Spannungs-

grad zwischen den kontrastierenden M besteht. Zwar knupfen strenger

gebildete Durchfuhrungen zunachst durch eine motivische Sequenz an die

KM an, worauf sie mit der SM ahnlich verfahren, doch ist der tonartliche

Gegensatz stets weniger scharf ausgepragt, mehr vom “Zufall” bestimmt

als in der Exposition. Lediglich das Prinzip herrscht, die Tonika von

einem Punkte aus wiederzugewinnen, der vom Haupttonalitats-Zentrum

genugenden Abstand hat.

Daher kommt es, daß auf der anderen Seite die Durchfuhrung sich

verselbstandigen und ganzlich neue Motive einfuhren kann. So akzentuieren

manche Sonaten ihre Form, Dreiteiligkeit dadurch, daß ihr Expositionsteil

*207 Ausgedehnte Sequenzen weiten wohl auch schon die Exposition; vergl. etwaSon. Suppl. 30, Takt 17 ff., die eine zweigliedrige Sequenz modulatorisch auflockert.

*208 So sequenziert der Durchfuhrungsbeginn von Son. 209 zunachst die KM uber einekurze Strecke, von Takt 59 ab bis zum Ende der Durchfuhrung (Takt 83) jedoch dasKontrastmotiv der Exposition. Die Durchfuhrung von Son. 314 grundet sich ganzauf eine “ostinate” Figur der rechten Hand; sobald sie verklingt, setzt die Repriseein.

*209 Vergl. z. B. die Takte 5 ff. und 55 ff. in Son. 105.

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regular verlauft, sie aber in der Durchfuhrung ein freies, rhapsodisch-

ungebundenes Wesen annehmen. Sie nahern sich damit einerseits der

freien Phantasie- durchfuhrung an,*210 andererseits konnen sie durch

toccatenhafte Krafte formale Weitung erfahren.*211

Eine Minimaldefinition der Scarlattischen Durchfuhrung mußte als

Kern den Satz haben, daß dieser Sonatenteil die Funktion hat, in die

Tonika zuruckzuleiten.Die modifizierte Exposition stellt die Urform der

Durchfuhrung dar. In Verbindung mit dem Prinzip, die Reprise zu

verkurzen, kehrt sie die tonartlichen verhaltnisse der Exposition gleichsam

um. Tonika und Dominante erscheinen deutlich als gestaltende Gegenkrafte.

Auch in der d.c.-Arie wirkt eine Tendenz, die den Mittelblock b

zurucktreten laßt; der motivische Zusammenhang deutet in gleiche Rich-

tung: die drei Arienteile haben ein verschiedenes Gewicht.

In der Geschichte der Klaviersonate ist der Durchfuhrungsteil derjenige

Komplex, der zur “Reife” die langste Zeit gebraucht hat. Grundsatzlich

weisen noch manche der fruhen Haydnschen Durchfuhrungen die Technik

Scarlattis auf.*212

Das Prinzip kurzer Reprisen entstammt der Suite, ist im besonderen der

Gigue eigen. Diese knappen Bildungen haben aber dort stets den Charakter

einer Koda-Reprise, d. h., es findet lediglich eine Wiederholung der Schluß-

partien stalt.*213 Auch in vielen Sonaten Scarlattis bedeuten die Reprisen

kaum mehr als eine Bestatigung der Tonika. Daneben aber, vorzuglich in

den reifen Sonaten des dritten Typus, finden sich die “echten”, weitaus-

holenden Reprisen. Formverschleiernd schließen sie sich unmittelbar der

*210 S. z. B. die Durchfuhrung von Son. 275. Vergl. auch Abert, a. a. O. S. 87.*211 Die Durchfuhrung von Son. 148 mag verdeutlichen, daß solche Toccatenelemente

stets als Kontrastbildungen zu strenger geformten Sonatenteilen auftreten, niemalsvorherrschen.

*212 Vergl. K. Blessinger in der Sandberger-Festschrift, 1918, S. 8.*213 Danckert, a. a. O. S. 70.

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Durchfuhrung an, formakzentuierend fuhren sie sich durch einen Kadenzein-

schnitt ein. Vereinzelt bezeichnen virtuose Auszierungen – “Kadenzen” im

Sinne des Konzerts – das Ende der Durchfuhrung.*214

Der Tonartenkreis, der in der Exposition in der Regel eng ist – die Mod-

ulationsrichtung auf die Zwischentonika tritt deutlich hervor*215 –, wird in

der Durchfuhrung haufig erheblich vergroßert, zieht sich dann jedoch am

staksten zusammen, die Reprise steht im Zeichen der Tonika. Die Grund-

tonart kann nicht starker betont werden als dadurch, daß solche M, die im

ersten Sonatenteil dem Dominantreich zugehoren, sich nunmehr zur Tonika

bekennen. Von hier aus ist das fur Scarlattis Sonate typische Prinzip der

“unvollstandigen Reprise” zu erklaren und zu verstehen.

In graphischer Darstellung ergibt sich folgendes Normalbild fur die

Tonalitatsfolge:

Die Vorherrschaft der Tonika in der Reprise genugt, um ein formales

Gleichgewicht zu erzielen.*216 Infolgedessen schließt Scarlatti bei aller

Freiheit der Gestaltung eine bestimmte, theoretisch durchaus mogliche

Form der Reprise aus, namlich eine solche, die zwar der KM, nicht aber

der SM bzw. der Kontrastperiode Eingang gewahrt. Vielmehr strebt jede

Reprise, die uber eine Kodal-Reprise hinauswachst, dahin,die Kontrast,

M aufzunehmen; die KM kann in der Regel nur in unregelmaßig gebaute

Wiederholungsteile eindringen.*217 Hat die Durchfuhrung die Form einer

*214 S. z. B. Son. 301, Takt 86 ff.*215 Starke, die Modulationsrichtung verwischende Ausweichungen, wie sie in Son. 17,

Takt 9 ff. auftreten (ubrigens notiert sie die Vorlage V VIII 14 in Fis-dur), sind inder Exposition Ausnahmen.

*216 Es liegt in der Rondonatur der dem zweiten Typus zugehorigen Sonaten, daß hierder Reprise ein geringerer Formwert zukommt.

*217 Vergl. z. B. Son. Suppl. 5, Takt 126 ff.; eine noch freiere Form in Son. 150, Takt

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modifizierien Exposition, so bildet im weiteren Sinne der ganze zweite

Sonatenteil eine freier und strenger gebaute “Reprise”. Im anderen Falle

entzieht sich der Ansatz der Reprise jeder rationalen Fixierung, von dem

“verbotenen” Beginn mit der KM einmal abgesehen. Bald knupft die

Reprise an irgend einem punkt der Fortspinnung an,*218 bald fuhrt sie sich

mit der SM bzw. der Kontrastperiode ein.*219 Konzisere Fassungen nahern

sich der Kodalreprise an*220 – zuletzt fallt auch sie fort:*221 die Ausdehnung

der Reprise schwankt stark.

Kleinere und kleinste Umstellungen und Abweichungen vor allem im

Echospiel sind in der Reprise zahllos; offnet sie sich hier neuen Wieder-

holungen, so laßt sie dort umgekehrt Echoteile der Exposition aus, das

Gesamtbild der Reprisentechnik Scarlattis ist aller Schematisierung abhold.

Die Großharmonik kennzeichnet in der Sonate Scarlattis von allem An-

fang an ein formgebendes Prinzip. Es legt die Grundzuge der Harmonik

fest, der Gegensatz der Ausgangstonart zur Zwischentonika greift in das for-

male Geschehen entscheidend ein. Das spiegelbildliche Schema der Forma

bipartita, das der Suite entstammt, ist in seinen Hauptpunkten derart fix-

iert, daß es manche Varianten im einzelnen erfahren kann. Daher braucht

die Durchfuhrung der Sonate nicht notwendig in der beim Abschluß des

ersten Teiles erreichten Tonart zu beginnen, sondern kann frei mit einer

weiter entfernten Tonart einsetzen. So ist beispielsweise in Son. 255 G-

dur Zwischentonika, der Anfang der Durchfuhrung steht jedoch in d-moll.

Mit Vorliebe moduliert Scarlatti dann in Richtung auf die Subdominant-

parallele (der Zwischentonika) hin.*222 Die auf diese Weise inaugurierte

148 ff.*218 S. z. B. Son. 49, Takt 47 ff.*219 Z. B. in der herangezogenen Son. 220, s. S. 80 ff.*220 S. z. B. Son. 386, Takt 38 ff.*221 So z. B. in Son. 183.*222 S. z. B. die Durchfuhrung von Son. 220. Die Subdominante der Zwischentonika ist

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Tonart, gegensatzlich vor allem in ihrem Tongeschlecht, wird haufig propor-

tional zur Dauer der ganzen Durchfuhrung langere Zeit beibehalten, auch

wohl durch ihre Dominanten umspielt und befestigt.*223

Uberhaupt verdichtet sich in der Durchfuhrung die harmonische Kraft

dergestalt, daß es zu starken Schwankungen kommt. Eine besondere

Anziehung ubt dabei, wie erwahnt, das entgegengesetzte Tongeschlecht

aus. Die Dursonaten, die etwa um das Anderthalbfache uberwiegen, “ver-

dunkeln” sich in der Durchfuhrung. Weit gesponnene Sequenzen, an denen

die Durchfuhrung besonders zah festhalt, bieten hier alle Moglichkeiten;

dabei verhutet die Gesetzlichkeit der Sequenz doch, daß das Pendel allzu

stark ausschige. Ausgedehntere Durchfuhrungen bestatigen ihren tonalen

Ausgangspunkt, die Zwischentonika, dadurch, daß sie ihn im verlaufe der

Durchfuhrung wiederholt aufsuchen.

Die Tonika tritt ihre Herrschaft in der Regel erst am Schlusse der

Durchfuhrung wieder an, doch kann sie auch schon vorher restauriert

werden. Damit verzichtet Scarlatti erneut auf ein wesentliches Mittel, den

Reprisenbeginn zu markieren, er verbirgt die Form in barocker Manier.*224

Durchfuhrungsteil und Reprise gehoren zunachst noch eng zusammen, je

klarer sie voneinander getrennt werden, desto entschiedener nahert sich die

Sonate derformalen Dreiteiligkeitan. Motivische Arbeit und harmonischer

Ablauf der Durchfuhrung stehen in unmittel, barem Zusammenhang, der

seinerseits von der Entwicklung der Exposition bedingt ist. Die rhythmische

Gliederung geht uber dieTatkschwerpunkte hinweg, sie erf”uhrt ihre Ein-

schnitte allein von der motivischen Phrase aus.*225 Erst die sich siegreich

durchsetzende Homophonie verleiht dem Taktstrich die Eigenschaft, den

ja in den Dur-Sonaten in der Regel die Grundtonart.*223 S. wiederum die Durchfuhrung von Son. 381.*224 So z. B. die Durchfuhrung von Son. 301.*225 Vergl. R. Steglich, Die elementare Dynamik des musikalischen Rhythmus, (1931).

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Schwerpunkt einer Phrase anzuzeigen. Einer solchen Symmetrie wirkt

im Barock und bei Scarlatti im besonderen das frei behandelte Echo

entgegen, das den periodenbau ungleichmaßig gestaltet. Die Menuette

und menuettartigen Werke Scarlattis zeigen am staksten eine Neigung,

den motivischen Ablauf mit den Taktschwerpunkten ubereinstimmen zu

lassen.*226 Im Viervierteltakt ist die Verschiebung um zwei Zahlzeiten bei

wiederholten Phrasen durchaus regular,*227 im großeren Rahmen kann sie

auch die Reprise von der Exposition unterscheiden.*228 Es besteht also

noch der dem Barock unlosbare Zusammenhang von Motivgestalt und

rhythmischem Druck. Die Bewegung tragt sich selber fort, akzentische

Antriebe werden nicht “von außen” herangetragen, sondern entwachsen

ihr.*229 Motivische und rhythmische Phrase fallen zusammen, sie verengen

und weiten sich im Gleichschritt.*230 Die Motivbildung knupft nach Art der

Suite an pragnante rhythmische Schemata an, unter denen die taktfullende

Form einen bevorzugten Platz einnimmt.*231 Solche suitenhafte

Geschlossenheit durchbricht Scarlatti am starksten in den Sonaten des

dritten Typus. Hier stoßt er vereinzelt zu einer Kontrastrhythmik vor, die

auf den Dualismus von KM und SM neues Licht wirft.*232 Die deutsche

klassische Sonate hat dann diese Anlage weiter entwickelt.

*226 S. z. B. das Minuetto Nr. 74.*227 Vergl. z. B. in Son. 391 die Takte 1–4 und 4–7.*228 Vergl. z. B. in Son. 93 die Takte 12 ff. und 29 ff.*229 Vergl. die Akzentverschiebung in Notenbeilage III, Takt 188 ff., die strettaahnliche

Steigerung bewirkt.*230 Vergl. etwa auch die differenzierte Uberschneidung von Zweier- und Dreiertakt in

Son. 12, Takt 17 ff.*231 Vergl. fur viele andere die KM der Son. 88; 187; 289; 491; Suppl. 10; auch der

Son. 36; 48; 182.*232 Vergl. in KM und SM der mehrfach zitierten Son. 220 (s. die Notenbeispiele S. 105

und S. 81 oben) die stark unterschiedliche Verteilung der Schwerkraft innerhalb desTaktes, die sich dort in einem Punkte ballt, hier gleichmaßig auf den ganzen Taktverteilt. In Son. 223 fallt der Synkope die Aufgabe zu, einen motivischen Gegensatzzu unterstreichen.

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Gegenuber dem barocken Uberschwang harmonischer Kraft, wie er in der

Epoche Legrenzi - Steffani - A. Scarlatti zum Ausdruck kommt, erscheinen

die Klavierwerke Domenico Scarlattis verarmt. Nicht nach harmonischem,

nach formalem Neuland strebt Scarlatti. Die Harmonik wird gleichsam auf

Kosten des hier Erreichten vereinfacht. Der strengere Formbau der Sonate

verschließt sich uberhaupt, etwa im Gegensatz zur Toccata, harmonischen

Experimenten.

So zeigt Scarlatti vielerorts jenen langsamen Wechsel der Harmonie, der

ein Stilmerkmal der neapolitanischen Musik ist. Solcher orgelpunkthaften

M-Bildung*233

Son. Suppl. 17, Takt 30 ff. (Allegretto)

steht schneller Harmoniewechsel in anderen Teilen der Sonate, vor allem

in der Durchfuhrung, gegenuber. Die Tonika, Dominantspannung wird oft

durch langeres Ausspinnen verscharft.*234 Die Antithese schneller-langsamer

Harmoniewechsel kann dann form, gestaltende Kraft bekommen.

Den Dominantseptakkord behandelt Scarlatti noch zuruckhaltend.

In starkerem Maße dringt er, zugleich mit dem Erlahmen der linearen

Triebkraft, erst in die Klaviermusik der Galuppi, Rutini, D. Alberti ein.*235

Scarlattis Sonate dagegen liebt die “herben” Wirkungen des verminderten

Septakkordes.*236

*233 S. auch die KM der Son. 90; 261; 401 u. a. m.*234 Vergl. z. B. Son. 48, Takt 36 ff.*235 S. den Sammeldruck von J. U. Haffner Raccolta Musicale, dessen “Opera II” bereits

S. 36 herangezogen wurden.*236 Vergl. die chromatisch sinkende, “gemischte” Septakkord-Folge in Son. 189, Takt 35

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Daß nicht Regeln und Vorschriften des Tonsatzes, sondern seine Wirkun-

gen fur Scarlatti zentrale Bedeutung haben,*237 bestatigen vielleicht am

besten die sog. Acciaccaturen. Die Praxis dieser barocken “Quetschakko-

rde”, die auch die Klavierwerke Alessandro Scarlattis kennen,*238 hat

Domenico Scarlatti hoch entwickelt. Akkorde wie die folgenden gehen uber

alle harmonische Gesetzlichkeit hinaus und sind, Ausdruck instrumentaler

Selbstherrlichkeit, nur als Reizmittel der Harmonik zu verstehen:

Son. 323, Takt 46 Takt 50 Son. 429, Takt 66 f.

Einen theoretischen Beleg fur die Acciaccaturen-Technik, der aus Scar-

lattis nachster Umgebung stammt, gibt Francesco Gasparini.*239 Seine

Ausfuhrungen zielen dahin, daß die Acciaccaturen sehr notwendig seien, um

mit Anmut und gutem Geschmack zu spielen. Die dissonanten Tone durfen

jedoch nur ganz kurz angeschlagen werden, dadurch verlieren sie ein gut

Teil ihrer Scharfe und Harte. Uber ihre Behandlung sagt der dem gleichen

Kreis entstammende Francesco Geminiani anschaulich, sie seien zu spielen,

als ob sie heiß waren.*240

Auf dem asthetischen Wert des Klanglichen liegt auch sonst ein starker

Akzent: so kann eine Reihe hochst origineller Akkorde als “abgeschwachte

Acciaccaturen” aufgefaßt werden, die primar Klangsinn und -freude geformt

haben:

ff.*237 Vergl. S. 46 f.*238 Vergl. S. 68.*239 a. a. O. S. 89 ff.*240 Nach Shedlock, SIMG VI, S. 166.

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Son. 310, Takt 53 ff. (Allegro)

Akkorde, die keinerlei harmonische Beziehungen zueinander haben, stellt

Scarlatti in geradezu impressionistischer Art unmittelbar nebeneinander.

Ruckungen wie die folgende Son. 256, Takt 54 ff. (Allegro)

weisen auf die ursprangliche Bedeutung des Wortes “Chromatik” hin.

Mediantische Effekte intensivieren – ein Nachklang der Toccata – das har-

monische Bild:*241 Son. 310, Takt 68 f. (Allegro)

Solche fast improvisatorisch anmutende Willkur ist gemildert in enharmonis-

chen Verwechslungen voll modulatorischer Kraft,

Son. 257, Takt 24 ff. (Andante)

*241 Vergl. auch die Harmonik der SM in Son. 41, Takt 15 ff., mit vorherigem Halbschlußauf der Wechseldominante.

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sie ist aufgehoben in Sequenzketten uber einem Orgelpunktbaß:

Son. 267, Takt 50 ff. (Andante moderato)

Ein Orgelpunkt, der den Eintritt der Tonika hinauszogert, gibt weiterhin

Gelegenheit, die Dominantklange zu mischen.*242

Scarlattis Stimmfuhrung basiert auf harmonischer Grundlage, ist jedoch

im einzelnen stark von klanglichen Rucksichten bedingt. Eine Bezeichnung

als “Freistimmigkeit” hebt zugleich zwei Seiten hervor: einmal den “stimmi-

gen”, nichtakkordischen Satz, Charakter uberhaupt, dann aber, zum andern,

die “Freiheit” dieser Anlage. Die Stimmein- und austritte regeln sich nach

ihren Gesetzen. Eine Neigung zur Zweistimmigkeit, die mehr oder weniger

latent sein kann, herrscht vor. Auch solche Sonaten, die scheinbar an einer

einmal gewahlten Stimmenzahl festhalten wollen, durchbrechen diese Ord-

nung, vielleicht nur fur eine kurze Strecke, aber darum doch im Prinzip.*243

Scarlatti gestattet sich vorzuglich um besonderer Klangwirkungen

willen ane moglichen Satzfreiheiten, es gibt keine hoheren gebole fur die

Stimmfuhrung als die der Klanglichkeit. Auch dann, wenn der Satz zu

linearen Harten und scharfen Dissonanzen vorstoßt, strebt Scarlatti starker

nach einer aparten Klangwirkung als danach, den Geboten einer korrekten

Stimmfuhrung zu folgen. In Sekundreibungen*244

Son. 157, Takt 49 ff. (Presto)

*242 S. Son. 223, Takt 24 ff. – der Orgelpunkt ist hier zunachst klavieristisch aufgelost– und Son. 332, Takt 43 ff.

*243 Vergl. z. B. Son. 263, insbesondere Takt 60 ff.*244 S. auch Notenbeilage V, Takt 25 u. o.

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und in streng durchgefuhrter Gegenbewegung zweier Stimmen kommt

diese Tendenz, der wiederum ein impressionistischer Zug eignet, deutlich

zum Ausdruck. Selbst “fehlerhafte” Parallelfuhrungen erscheinen Scarlatti

gerechtfertigt, sobald sie besondere Klangwirkungen erzielen.*245 Allerdings

begegnen auch Satzfreiheiten, die im Zusammenhang des Ganzen “Fehler”

heißen mussen.*246

Die stimmige Spannung laßt Unisonofuhrung nur dann zu, wenn sie im

Dienst eines barocken Pathos steht*247 oder registerhaft eine einstimmige

Linie farbt.*248

Der Leitton wird unbedenklich verdoppelt,

Son. 376, Takt 72 f. (Moderato)

auch kann er in die untere Oktave abspringen.*249 Den regularen Eintritt in

den Zielton verzogert Scarlatti gern um die Dauer eines kurzen oder langen

Vorschlages; da der Baß bereits den entscheidenden Schritt tut, geht der

endgultigen Losung eine scharfe Septimen-Dissonanz voraus.

*245 S. z. B. in Son. 297 Takt 30 f. und 69 f. die Parallelfuhrungen von Ober- undUnterstimme. Schwach verdeckte Parallelen in Son. 207, Takt 14 ff.

*246 S. in der Fuge Nr. 158 Takt 11 f. Die fehlerhafte Lesart der Vorlage gibt Longo inder Anmerkung GA IV, S. 27. Vergl. auch C. Krebs in VfM IX, S. 403.

*247 S. z. B. den Anfang von Son. 406, Notenbeispiel S. 98 unten.*248 S. z. B. Son. 141, Takt 15 ff.; Son. 494, Takt 25 ff.*249 S. z. B. Son. 332, Takt 74 ff., obgleich hier zunachst ein Pralltriller die Leitton-

Spannung verscharft.

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Die Stimmverdoppelung dient, da die außere Dynamik zurucktritt, als

Hauptsteigerungsmittel. Kennt bereits die Klaviermusik Alessandro Scarlat-

tis ausgeschriebene Oktavbasse, so wendet Domenico sie doch weit haufiger

und konsequenter an, und zwar sowohl in einfacher wie, mit starkerem Be-

wegungscharakter, in gebrochener Form.*250 Vor allem das Baßfundament

wird so gefestigt, doch hat auch die rechte Hand zuweilen modern anmu-

tende Oktavgange auszufuhren:

Son. 241, Takt 21 ff. (Allegro)

Rein klanglich bedingte Terzen- und Sextenparallelfuhrungen treten gele-

gentlich schon bei Alessandro Scarlatti wie bei Pasquini auf. Bei Domenico

Scarlatti wachsen sie sich jedoch formlich zur Studie aus.*251 Im Erfinden

differenzierter Zusammenklange ist Scarlatti uberhaupt vielseitig. Dabei legt

die Geringstimmigkeit und der vorherrschende verzicht auf akkor, dische Far-

benwirkungen den Vergleich mit einer Schwarz-Weiß-Zeichnung nahe. Die

Stimmenzahl verringert Scarlatti bis auf eine einzige Linie; damit erreicht er

Schlußwirkungen, die alle Satzschwere abgestreift haben.*252 Das klangliche

Gewand schmiegt sich stets aufs engste dem musikalischen Organismus an.

Deshalb widerstrebt kaum irgend eine andere altere Klaviermusik der “Bear-

beitung” so sehr wie die Domenico Scarlattis. Hier bedeutet der kleinste

Zusatz ein Zuviel.*253

*250 S. z. B. Son. 167. Takt 26 ff.*251 S. z. B. Son. 10.*252 Vergl. Son. 244.*253 Die Son. 232 und die Fuge Nr. 499 spiegeln den spezifischen Klangsinn Scarlattis

besonders deutlich wider.

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Das An- und Abschwellen der Stimmenzahl verlauft haufig parallel mit der

formalen Gestaltung. So geht die Exposition von Son. 229 uber eine, kaum

real empfundene, Dreisammigkeit nicht hinaus. In der Durchfuhrung wachst

die Stimmenzahl. Die linke Hand gibt (in Takt 61) ihre Einstimmigkeit

auf und bringt dreistimmige Akkorde in den Takten 65, 67 und 69. Da in

der rechten Hand Zweistimmigkeit uberwiegt, kommt in diesen Takten eine

akkordische Funfstimmigkeit zustande:

Takt 65 ff. (Allegro molto)

Die Durchfuhrung endet zweistimmig, wie sie begonnen hat (Takt 76).

Sie neigt aber im Gegensatz zu den ubrigen Sonatenteilen dahin, den Satz

kompakter zu gestalten.

Ober- und Unterstimme stehen, die Stimmenzweizahl als Grundlage

angenommen, in dauerndem motivischen Austausch, der vor allem die

Echobildung begunstigt. Dieses enge Verhaltnis ver leiht Scarlattis Satz

eine spezifisch lineare Spannung. Anders tritt sie hervor, wenn beide Stim-

men, von der Mitlellage des Instrumentes ausgehend, sich weit von einander

entfernen. Die Dynamik solcher extremen Falle lost eine gegensatzlich

gerichtete Bewegung wieder auf, die endlich beide Stimmen in einander

aufgehen laßt:

Son. 12, Takt 21 ff. (Andante cantabile)

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Nur dann, wenn die melodische Substanz allein die hochste Stimme tragt

und nicht in die Tiefe wirkt, ist der Gleichrang der Stimmen aufge-

hoben: der Baß wird “Begleitung”. Weit seltener muß sich umgekehrt

die Oberstimme mit einer Begleitrolle bescheiden.*254 Auf die bestimmte

Baßfuhrung, die charakteristische, pausendurchsetzte Abschnitte “reiht”,

hat die Continuo-Technik nachhaltig eingewirkt.*255

Dynamische Angaben fehlen in den primaren handschriftlichen Quellen

fast durchweg,*256 in den alteren Drucken finden sie sich bereits haufiger.

Die in V uberlieferten Bezeichnungen folgen ganz dem Prinzip der

barocken Terrassen- oder Echodynamik. Es bedarf also kaum noch der

zahlreichen Hinweise in Handschriften und Druckcn, die die Klavierw-

erke Scarlattis uberwiegend dem Clavicembalo zuweisen. Die spezifische

Terrassendynamik geht dem Clavichord ab. Aber seine dynamischen

Nuancierungsmoglichkeiten sind gebundener und starrer als die des Ham-

merklaviers, der Wechsel des Stakegrades kann auch auf dem Clavichord

geradezu registerhafte Prazision haben.

Die galante Kunst beginnt den kompakten baßbestimmten Barockklang

aufzulosen. Ihr wird der Horer gerecht, der seine Aufmerksamkeit weniger

auf ein konsiantcs Spannungsverhaltnis der Stimmen richtet, als auf die

Qualitaten des Gesamtklanges: er faßt heterogene Elemente zusammen, lin-

eare Krafle und solche, die nach homophoner Klangverschmelzung streben.

*254 S. z. B. Son. 323,Takt 37 ff.*255 Als Beispiel s. Son. 93.*256 Sie treten z. B. auf in V XIV 34 und 53.

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Die Begleitung hat geringeren Funktionswert, ihre Form ist “zufallig”, nicht

“notwendig”. Je intensiver nun Scarlatti die melodische Linie der Ober-

stimme zeichnet, desto geringer wird die lineare Selbstandigkeit der Unter-

stimme:

Son. 216, Takt 23 ff.

Den melodischen Hohepunkt stutzen hier Alberti, Basse, im weiteren verlauf

ist das Verhaltnis der beiden Stimmen sofort wieder linear gespannt.*257

Der Fortfall der Mittelstimmen und die Schwarzweiß-Dynamik, die die Ze-

ichnung auf Kosten der Farbe hervorhebt, lichten das Satzgefuge in gleicher

Weise. In ihm lebt keine von außen herangetragene Dynamik, sondern nur

eine “innere”, die aus der linearen Spannung resultiert. Die Misch- und

Ubergangsfarben treten zuruck. Register- und Manualwechsel konnen weit-

erhin die motivische Gegensatzlichkeit unterstreichen. Die Prinzipien der

Terrassendynamik und der Echobildung durchdringen einander.

Der instrumentalen Klanglichkeit wird Selbstwert zuerkannt. Sie ist nicht

mehr “irrelevantes” Ergebnis des Stimmverlaufes, sondern dieser realisiert

umgekehrt eine primare Klangvorstellung. Der anspringende Ton des Cem-

balos reprasentiert in seinem konzertierenden Charakter Scarlattis Ideal, der

des Clavichords kommt im Gegensatz dazu nicht “an den Horer heran”, son-

*257 Vergl. auch den ganz ahnlichen Fall in Son. 140, Takt 25 ff.

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dern verlangt umgekehrt – und zwischen diesen beiden Extremen liegt die

ganze Klangwelt des Barock –, daß der Horer “sich in ihn versenke”. Solcher

Forderung entzieht sich Scarlattis Kunst umso eher, als ihre Klanggestalt

primar sinnlich orientiert ist.

Als ein Geschenk der spanischen Konigin Maria Barbara, Scarlattis ehe-

maliger Schulerin, besaß Farinelli in Bologna ein Cembalo, wie Burney zu

erzahlen weiß.*258 Leider verschweigt sein Bericht, ob dies Instrument,

dessen Tasten eingehend beschrieben werden, ein- oder zweimanualig war;

nur uber seine KlangfuIle zeigt sich Burney erstaunt. Varianten, wie sie

z. B. in Son. 301 auftreten, weisen auf ein einmanualiges Instrument hin,

das Motiv,

Takt 17 ff. (Presto)

dessen regulare Versetzung in der Reprise folgendermaßen lauten wurde,

wird, da der hierzu erforderlidle Tonumfang fehlt,*259 so abgeandert, daß

beide Hande, die also auf einer Klaviatur spielen, sich nicht behindem:*260

*258 a. a. O. S. 151 f. Vergl, auch C. Ricci, Burney, Casanova e Farinelli in Bologna,Mailand o. J.

*259 S. die Tonumfangstabelle S. 130.*260 Son. Suppl. 9 und Son. 57, ferner Son. Suppl. 27 sind nach den Hauptquellen

fur Orgel bestimmt. Die beiden ersten Werke gehoren als “Paar” zusammen(vergl. S. 99): V V 22 und 23. P VII 17 (= V V 22) gibt einen ausfuhrlichenVermerk: “Per Organo da Camera con due Tastature” etc. Der Manualwechsel,der sich ganz auf dem Echoprinzip grundet, wird dem Spieler durch eingezeichnete“weisende” Hande verdeutlicht. Ahnlich in den ubrigen Fallen. Gelegentlich finden

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Takt 88 ff.

Scarlatts virtuos-spielerische Satzgestaltung begunstigt das immer

wache Streben, moglichst den ganzen zur Verfugung stehenden Tonraum

auszunutzen.*261 Dabei ergeben sich in der Reprise aus Grunden mangel-

nden Tonumfanges mannigfache Varianten. Steht die SM im ersten Teil

der Sonate in der Dominante, so wiederholt sie die Reprise in der Tonika,

d. h. entweder eine Quarte hoher oder eine Quinte tiefer als beim ersten

Auftreten. Um der Brillanz willen bevorzugt Scarlatti die Quart-Erhohung.

Nun kann aber eine notengetreue Transposition dadurch unmoglich werden,

daß im Diskant nicht der notige Tonumfang zur verfugung steht. In solcher

Zwangslage verandert Scarlatti eher das Motiv, und hierbei wird der

Umfang des Instrumentes besonders deutlich, als daß er es in die tiefere

Quinte verlegte.*262

So umfaßt in Son. 2 die Takt 15 beginnende M in der rechten Hand einen

Tonraum von fast zwei Oktaven (d’–c’”), in der Reprise (Takt 32 ff.), die

diese M uberhaupt zusammenzieht und variiert, aber nur einen solchen von

anderthalb Oktaven (g’–c”’); c”’ ist durch diese veranderung als hochster

zur Verfugung stehender Ton beglaubigt.

Selbst in das harmonische Gefuge kann der mangelnde Tonumfang des

Instrumentes verandernd eingreifen: in Son. 7 liegt den Takten 42 ff. die

Folge D-T-D-T .‥ zugrunde:

sich dabei auch Registerangaben.*261 So erreichen von den 30 Sonaten des Bandes V Il nichi weniger als 25 den hier

hochsten Ton d”’ (vergl. S.130), die restlichen das c”’.*262 S. auch S. 82.

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(Andante)

Die Reprise, Takt 86 ff., kehrt das Harmonieverhaltnis einfach um, es ist

jetzt T-D-T-D …,

eine Variante, die die Moglichkeiten des Instrumentes – sein hochster Ton ist

d”’ – brillant ausnutzt. Scarlatti erstrebt weniger eine korrekt-notengetreue

als eine auch den Klangsinn befriedigende Reprise.

V

Ein versuch, Scarlattis Klavierwerke chronologisch festzulegen, muß bei

dem Mangel an uberlieferten Daten stilistische Kriterien weitgehend her-

anziehen.

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Fur die Chronologie aller alteren Klaviermusik gibt das Wachsen und Wer-

den des Tonumfanges, den die einzelnen Werke in Anspruch nehmen, einige

Anhaltspunkte. Auch die Klaviersonaten Domenico Scarlattis rechnen nicht

mit einem konstanten Tonraum, vielmehr werden seine Grenzen im Laufe

der Zeit in die Hohe und Tiefe hinausgeschoben. Die folgende Ubersicht

uber den Tonumfang der in der Hauptquelle, der Handschrift V, tradierten

Werke kann diese Entwicklung verdeutlichen:

Grenztone.

Band XIV (1742) Baß: A Diskant: d”’

,, XV (1749) ,, : G ,, : d”’

,, I (1752) ,, : A ,, : e”’

,, II (1752) ,, : G ,, : d”’

,, III (1753) ,, : A ,, : d”’

,, IV (1753) ,, : G ,, : d”’

In den folgenden Banden (V-XIII) wird dieser Umfang im allgemeinen

beibehalten und wesentlich nur im Diskant erweitert, ab Band VIII (1754)

ist g”’ obersier Ton. Nur in Ausnahmefallen uberschreitet Scarlatti diese

Grenzen um einen Ganzton erreicht also F in der Tiefe, a”’ in der Hohe.*263

Sonaten, die sich mit einem engen Tonraum begnugen, werden also in

fruheren Jahren entstanden sein als solche, deren Ausfuhrung nur auf einer

umfangreicheren Klaviatur moglich ist. Die Untersuchung der mit Sicherheit

vor 1746 zu datierenden Drucke bestatigt diese Hypothese; auch in den hier

uberlieferten Sonaten ist der Tonumfang kleiner als in den spater datierten

Werken.*264

Nun gehort in dem nachweislich altesten Druck, den Essercizi per Grav-

*263 Zum Vergleich seien einige Daten gegeben; der Tonumfang in den KlavierwerkenPasquinis ist folgender: C-c”’ (s. S. 63 ff.). A. Scarlattis: C-c”’(s. S. 67 ff), Durantes:

C-c”’ (s. S. 71 f.), Solers: Fis-g”’ (s. S. 72 ff.).*264 So sind z. B. in den Essercizi G und c”’ die Grenztone.

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icembalo, keine einzige Sonate dem dritten Typus an, samtliche Werke weisen

die Charakteristika des ersten oder zweiten Sonatentypus auf; auch in den

Suites de Pieces fehlt der dritte Typus noch: die außeren Daten unterstutzen

also den stilkritischen Befund, der diesen Typus als den “reifsten” erkennen

ließ.

Die generalbaßmaßg bezeichneten mehrsatzigen Sonaten uberliefert

ausschließlich der fruheste Band, Nr. XIV der venezianischen Handschriften.

Fur den unter Nr. 9 angefuhrten Pariser Druck, der ahnliche Sonaten

enthalt, liegt das jahr 1746 als terminus ante quem fest.*265 Die Entstehung

der mehrsatzigen Sonaten, die von der instrumentalen Kammermusik stark

abhangig sind, kann also mit einiger Sicherheit in eine fruhere Schaffenszeit

Scarlattis angesetzt werden. Daruber hinaus treten “echte” mehrsatzige

Sonaten in den spater datierten Banden uberhaupt nur noch gelegentlich

auf. Die Annahme erscheint also gerechtfertigt, Scarlatti habe sich in

spateren Jahren immer entschiedener der Pflege der einsatzigen Sonate

zugewandt.

Ahnlich verhalt es sich mit den Fugen; auch sie gehoren durchweg den

Lehrjahren Scarlattis an. Darauf deutet wiederum, abgesehen von allen

Stilkriterien, der knappe regionale Umfang. Er geht in keinem Falle uber

C–d”’ hinaus, auch wenn die Uberlieferungsquelle schon einen weit großeren

Tonraum kennt.*266

VI

Scarlatti hat seine Klaviermusik vom Instrument her und fur das Instru-

ment geschrieben. Der Begriff “Virtuositat” drangt sich auf. Die geist-

*265 S. S. 35.*266 Das gilt von der Fuge Nr. 462, die erst V IX 30, und von der Fuge Czerny Nr. 198, die

P III 30 uberliefert. Fur die ubrigen Fugen liegen feste fruhere Daten vor: Nr. 158und 336 bringt V XIV, Nr. 499 veroffentlichen die Essercizi.

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spruhende Musik tritt mit Hilfe einer vielgestaltigen Technik ins Leben.

In dieser absoluten instrumentalen Selbstherrlichkeit zeigt sich Scarlatti als

Sohn der “neuen” Zeit. Alle italienische Klaviermusik vor Scarlatti muß in

erster Linie als Musik “an sich” verstanden und aufgefaßt werden und erst

in zweiter Linie als Musik fur ein bestimmtes Instrument, eben das Klavier,

wahrend Domenico Scarlatti reine Klaviermusik schafft.

Eine liefe Verbundenheit mit dem Instrument ist beinahe aus jedem

Werke herauszuhoren. Sie laßt Scarlatti Eigenheiten andersinstrumentaler

Musik klavieristisch umformen: der instrumentalen Kammermusik ist in

diesem Zusammenhang bereits gedacht;*267 die Fuhrung der Melodiestimme

in mancher KM,*268 starker noch ein imitierender Einsatz zweier Stimmen

im Sonatenbeginn weist deutlich auf violinistische Vorbilder – wie denn

uberhaupt die Kanonbildungen unmittelbar an zwei konzertierende Stimmen

erinnern. Auch die Lauten-Musik hat Spuren hinterlassen,*269 Horn-Effekte

– leere Quinten – reizen zur Nachahmung,*270 Tuttischlage des Orchesters

klingen aus uberraschenden “eingeworfenen” Akkorden wieder.*271

Die Bezeichnurig Essercizi per Gravicembalo fur die erste gedruckte

Sonaten-Sammlung hat ihren besonderen Sinn: zahlreiche Werke stellen den

Spieler vor ganz bestimmte, geradezu systematisch behandelte technische

Probleme.*272 Das gilt fur die spateren Werke ebenso sehr wie fur die, die

Scarlattis “KIavierubung” reprasentieren. Hier beginnt die Geschichte der

Klavieretude – dies Wort aber ohne jene Nebenbedeutung verstanden, die

*267 Vergl. S. 94 ff.*268 Vergl. etwa die “lombardische” KM der Son. 323.*269 Z. B. in den gleichsam “gerissenen” Akkorden der linken Hand im Beginn von

Son. 424; auch Son. 415.*270 S. z. B. Son. 8; 104; 412; 465.*271 S. z. B. Son. 167, Takt 34 u. o.; Son. 286, Tak1 13 u. o. Vergl. auch Son. 5,

deren Gesamtanlage einer Orchestrierung unmittelbar zuneigt (etwa so: Takt 6–10Horner, 10–15 Streicher, 15–16 Holzblaser, 16–17 Horner usw., in “konzertierendem”Wechsel!).

*272 So ließe sich eine “Schule der Gelaufigkeit” ohne weiteres zusammenstellen.

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ihm eine flache Klavieretuden-Produktion spaterer Zeiten eingetragen hat.

Das technische Problem einer “Etude” Scarlattis jedoch drangt sich niemals

als Selbslzweck vor. Daß gerade Scarlatti diese neuen Pfade einschlagt,

ist insofern leicht zu erklaren, als er ja etwa fur die Halfte seines Lebens

durch Amtspflicht gehalten war, im Klavierspiel Unterricht zu erteilen.

Es liegt nun qanz im Sinne der Zeit, daß die dabei erforderliche Literatur

ad hoc entsteht und nicht “von außen” bezogen wird. So weisen außerer

und innerer Beruf zugleich Scarlatti auf das Klavier hin und bilden die

Voraussetzungen fur die “barocke” Schaffenskraft, die sich auf dem Gebiete

der Klaviermusik entfaltet.

Die Vertrautheit mit dem Instrument fuhrt zu jenen spieltechnischen

Neuerungen, durch die Scarlattis Klavierwerke im 18. Jahrhundert bei

“Kennern und Liebhabern” gleich großes Aufsehen erregten.

Vor allem ist das Uberschlagen einer Hand uber die andere ein Mittel,

das unmittelbar virtuos anmutet. Scarlatti macht von ihm in manchen

Werken so haufigen Gebrauch, daß ein Studienzweck offenbar wird.*273 Das

Spielen mit gekreuzten Handen tritt in doppelter Art auf: einmal muß die

Rechte uber die Linke greifen und bringt so tiefe Baßtone zum Erklingen, die

die Harmonie stutzen und tragen, zum andern schweben, umgekehrt, durch

Ubergreifen der linken Hand angeschlagene Diskanttone – auch Terzen und

andere Intervalle – uber dem Ganzen und hellen den Klang auf:

Son. 369, Takt 19 ff. (Allegretto)

*273 S. z. B. die Son. 356; 358.

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Scarlatti ahmt auf solche Weise geradezu Orchestereffekte auf dem Cembalo

nach. Etwa so, daß sich eine laufende “Mittelstimme von quasi konzertieren-

den Baß und Diskanteinsatzen abhebt.*274

In extremen Fallen steigert sich die Handuberschlag-Technik dahin, daß

die Verbundenheit der linken Hand mit der Baßregion, die der rechten mit

den hoheren Lagen des Instrumentes nahezu gelost erscheint.*275

Eine strengere Auffassung stellt diesen Effekt in den Dienst der mo-

tivischen Arbeit, die dergestalt klanglich differenziert wird.*276 Doch ist

im allgemeinen eine solch systematische Verwendung in hoherem Grade

den franzosischen Clavecinisten (Couperin, Rameau) eigentumlich;*277

auch J. S. Bach zieht das Spiel mit gekreuzten Handen zuweilen, etwa im

Schlußsatz der Partita B-dur, in so konsequenter Weise heran wie Scarlatti

kaum je.

Das Ubergreifen der Linken uber die Rechte lichtet den Satz und macht

ihn durchsichtig, die Diskantlage des Instrumentes wird ergiebig ausgenutzt.

Ein gleiches Streben nach Brillanz, eine Grundtendenz Scarlattis, zeigt sich

auch in der Vorliebe fur weite und schwierige Sprunge. Ihre Ausfuhrung in

jenem schnellen Tempo, das gefordert wird, kann an der Grenze des tech-

nisch Moglichen liegen.*278 Auch an der Sprungtechnik haben beide Hande

gleichen Anteil. Eine orgelpedalahnliche Wirkung erzielt die linke Hand

dadurch, daß sie aus der Mittellage heraus plotzlich in die tiefere Baßregion

abspringt:

Son. 266, Takt 28 f. (Prestissimo)

*274 Vergl. Son. 410, Takt 10 ff.*275 Vergl. z. B. Son. 215.*276 S. z. B. Son. 327. Vergl. auch die auf diese Weise “auseinandergelegte” Sequenz in

Son. 157, Takt 37 ff. und Son. 355, Takt 8 ff.*277 W. Landowska im BJ 1910, S. 34.*278 Vergl. etwa die Son. 205 (Oktavsprunge!); 210.

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Diese spieltechnischen Effekte zerstoren alle Satzgedrungenheit und

akzentuieren die neue instrumentale Klanglichkeit. Scarlatti nutzt die

Intonationsdifferenz der einzelnen Oktavlagen, ihre unterschiedlichen

Klangfarben, intensiv aus.*279 So ist duch die uberraschende Oktavverset-

zung mancher Figuren zu erklaren, wie sie vor allem in den abkadenzierenden

Phrasen auftritt:*280

Son. 220, Takt 96 ff. (Allegrissimo)

Durch solche Mittel, die geradezu einen Registerwechsel ersetzen, erzielt

Scarlatti eine besondere Klang-Intensitat, wenn die verschiedenen Lagen

des Instrumentes eine gleiche motivische Phrase gegeneinander ausspielen,

eine Variante des Echoprinzips:

Son. 451, Takt 35 ff. (Allegro)

*279 S. z. B. Son. 304, Takt 36 f. u. o. Vergl. auch den charakteristischen Beginn vonSon. 218: aus dem einzigen Ton c, der in funf verschiedenen Oktavhohen auftritt,wachst die Septime b heraus, die die sewegung weitertragt.

*280 Vergl. S. 71.

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Das “Unendlichkeitsgefuhl” des Barockmenschen*281 hat bei Scarlatti die

besondere Richtung, alles technisch Erreichbare sich dienstbar zu machen

und auszukosten. Seine Grenzen sind denn auch moglichst weit gesteckt,

d. h., Scarlattis Klaviermusik stellt an den Spieler grundsatzlich hohe

Anspruche. Sie ist das krasseste Gegenbild einer “Papiermusik”, denn in

Scarlattis Werken klingt jede Note und hat ihren speziellen, wenn nicht

motivischen, so doch klanglichen Sinn.

Besonders deutlich zeigen sich virtuose Neigungen in Dreiklangspassagen

quer uber die ganze Klaviatur, wie sie im Sonateneingang, aber auch im

weiteren Verlauf rhapsodisch frei auftreten. Beide Hande konnen einander

beim Spiel solcher Figuren ablosen,

Son. 5, Takt 1 ff. (Anegro)

wenn nicht ein ausdruckliches Verbot, das wiederum den Studienzweck be-

tont, vorliegt.*282 Auch im Glissando,*283 in ansteigenden Trillerketten*284

*281 Vergl. Th. Kroyer in JP 1927, S. 46.*282 So fordert in V XV 29 ein Vermerk, daß die ersten acht Takte mit einer Hand zu

spielen seien. Uebrigens fehlt die untere Stimme der Takte 7 und 8 in der Vorlage,ist also vom Herausgeber Longo frei hinzugefugt.

*283 Z. B. sind die schnellen Passagen in Son. 70, Takt 34 ff. nach einem Hinweis derHs. V XII 23 so auszufuhren.

*284 Sie erzielen z. B. in Son. 137, Takt 51 ff. und in der Reprise, Takt 106 ff. eineneffektvollen Abschluß. Vergl. auch das Notenbeispiel S. 102 f.

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kommt gesteigerte Virtuositat zum Ausdruck.

In ihrer Weise bekunden sie die Handschriften, wenn sie dem Ausfuhrenden

spieltechnische Hinweise geben: so soll er bei wiederholtem Anschlagen

desselben Tones und bei langeren Trillern Fingerwechsel vomehmen.*285

Solch “hammernde” Tonwiederholung gehort zugleich zu den pragnantesten

Mitteln – die Herkunft von der Violintechnik liegt zutage –, die Melodik

einer Oberstimme zu akzentuieren:

Son. 209, Takt 27 ff. (Allegro)

Auch die stufenweis ruckende Tonrepetition

Son. 274, Takt 1 ff. Allegro

hebt, wenn sie als Begleitungsfigur auftritt, eine Oberstimme durch “Lich-

tung” der tieferen Lagen des Instrumentes klar hervor:

Son. 148, Takt 16 ff. (Allegro)

Scarlatti hegt uberhaupt gegen vollstimmige Akkordik eine ganz

entschiedene Abneigung und benutzt sie nur gelegentlich zu Kon-

trastzwecken.*286

Oberstes Gesetz fur alle klavieristischen Aufgaben, die Scarlattis Klavier-

*285 Das verlangen verschiedene Eintragungen in den Hss., z. B. in V III 6, Takt 23 ff.,auch fur den langgesponnenen Triller in Notenbeilage V, Takt 62 ff.

*286 Akkordik und Linie, die Sinnbilder von “Ruhe” und “Bewegung”, stelltz. B. Son. 323 einander gegenuber, jene ist stark vorhalfdurchsetzt und harmonischreich (neapolitanische Sexte!), diese komplementarrhythmisch belebt.

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werke dem Spieler stellen, ist die Moglichkeit, sie technisch auszufuhren.

Die individuellen spieltechnischen Fahigkeiten, das eigenpersonliche Konnen

werden hervorgehoben: ein subjektiver Zug, der der alteren italienischen

Klaviermusik abgeht. Ein vergleich mit der Toccatenkunst Frescobaldis

lehrt, daß Bedeutung und Sinn der Klaviermusik sich wesentlich verschoben

haben.*287 Kann bei Frescobaldi jedes einzelne Werk als Ausdruck einer

allgemeinen musikalischen Kultur gelten, es also als objektive Manifestation

dieses Geistes bezeichnet werden, so gibt es fur Scarlattis Klaviermusik keine

uberpersonlichen Bindungen, als freie Kunst rechtfertigt sie sich allein aus

ihren kunstlerischen Qualitaten heraus.

Ihren gesellschaftlichen Hintergrund, die Hofkreise, vermag sie ohne

Gefahr zu verlassen, da sie eine Musik fur den “Liebhaber” schlechthin

ist. Hier findet er seine Anspruche, die auf eine anmutige Unterhaltung

hinauslaufen, befriedigt. Erschutterungen, die er nicht sucht, werden ihm

auch nicht zugemutet. Eine solche Auffassung spricht Scarlatti selbst in

einer Vorbemerkung zu den Essercizi aus, in der es heißt: Non aspettarti,

o Dilettante o Professore che tu sia, in questi Componimenti il profondo

intendimento, ma bensı lo scherzo ingegnoso dell’ Arte, per addestrarti alla

franchezza sul Gravicembalo.

Vorzuglich die hellen und lichten Farben hat Scarlatti auf seiner Palette.

In dieser entschiedenen Hinneigung zu heiterer und heiterster Musik ist er

ein echter Neapolitaner.

Als solcher bevorzugt er schnelle und schnellste Tempi, laßt die ruhigen

mittleren Zeitmaße und das Espressivo der Ornamentik zurucktreten. Der

musikalische Puls schlagt auch bei Domenico Scarlatti schnell, aber er ist

nicht fieberhaft erregt, sondern freudig bewegt.*288

*287 Vergl. S. 49 f.*288 Vergl. Th. Kroyer, a. a. O. S. 51.

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Die Individualitat ihres Schopfers bestimmt also weitgehend den allge-

meinen Charakter der Klaviermusik Scarlattis. Zwar sind, im angedeuteten

Sinne, Scarlattis Ausdruckskraft sichtbare Grenzen gezogen, innerhalb ihrer

bewegt er sich jedoch mit großter Leichtigkeit und Freiheit. Barockes Pathos

auf der einen Seite,*289 lebhafteste Ausgelassenheit auf der anderen Seite

bezeichnen die Extreme von Scarlattis Ausdrucksvermogen. Charakteristis-

cherweise lauft aber das Pathos Gefahr, hohl und leer zu wirken, es ist nicht

von jener inneren Lebendigkeit erfullt, die dem Phanomen der heiteren Musik

zu Gebote slteht.

Heiterkeit und Freudigkeit erreicht Scarlatti nicht auf dem kampferischen

Wege “per aspera ad astra”, sondern sie stehen von allem Anfang an als

Normalzustand fest. So findet, technischmusikalisch betrachtet, jene Typ-

isierung der Sonaten ihre Erklarung, die uber eine motivische Verwandtschaft

hinaus die Gesamtstruktur erfaßt. Scarlattis Motivik grenzt auf der einen

Seite an die Ausdruckskraft des modernen Themas im Sinne eines “Charak-

terkopfes”, auf der anderen Seite unterliegt sie weitgehend gleichformiger

Gestaltung. In der Bildung der KM tritt nicht allein die haufige Verwendung

des Dreiklangs, der skalenmaßigen Figuren, oder auch eine Kombination bei-

der gegensatzlicher Formen hervor,*290 auch der durch Praller belebte Beginn

und die Aufgliederung des Ganzen, die durch Triller erfolgt, schafft solche

Schemata, die auf einen Zusammenhang mit der alteren Kunst hinweisen.*291

Allein die unmittelbare melodische Sinnfalligkeit, die die Motivbildung

kennzeichnet, ruckt Scarlattis Klaviermusik von der seines Zeitgenossen

J. S. Bach weit ab, verbindet sie demgegenuber mit der Kunst Handels.

Auf Handel hat der neue Stil, den er in Italien kennen lernte, nach-

*289 Das in Son. 19 geradezu “sprechende” Rezitative formt.*290 Vergl. S. 102 f.*291 Vergl. etwa die KM von Son. 127 und Son. 385.

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haltigen Einfluß gehabt. Auch als Klavierkomponist nimmt Handel jene

eigentumliche Doppelstellung ein, die seinen deutsch-italienischen Bildungs-

gang widerspiegelt: das asthetische Vorbild der Suite halt ihn gefangen –

wennschon er es mit aller Freiheit ausdeuiet –, die Gesamtgestaltung der

“sonatenhaften” Werke zeigt dagegen die gleichen formenden Krafte, die

Scarlattis Kunst tragen; das Zusammentreffen beider Manner hat mehr als

zufallige Bedeulung.

Das Charakterstuck Rameaus, die Fuge Bachs, die Sonate Scarlattis

erscheinen am Ausgang des Barock als gleichzeitige Pragungen, die die

nationalen Konstanten betonen: die “Anschaulichkeit” franzosischer, die

“Schwere” deutscher, die “Klarheit” italienischer Musik.

Dadurch, daß die hohen Kunste des Kontrapunkts und der Polyphonie,

wenn einmal diese Unterscheidung gestatlet ist, immer mehr in Verruf ger-

aten, mußten dem 18. Jahrhundert Werden und Wachsen großerer Musikw-

erke problematisch werden. Die Stilelemente der barocken Polyphonie, als

deren beherrschende Sequenz und Fugierung hervortreten, sind ihrer Idee

nach dem Aufbau großerer Formen zugeneigt. Mit schwindender Kraft dieser

Mittel werden auch die musikalischen Formen knapper. Im kleinen und en-

gen Rahmen der Scarlattischen Klavierwerke vollzieht sich zu einem Teil ein

solcher Abbau der polyphon-fugenhaften Krafte. Wird auch das Imitation-

sprinzip von Scarlatti ubernommen und sogar mit Vorliebe gepflegt, so hat

es hier doch einen wesentlich anderen Sinn als in der alteren kontrapunktis-

chen Musik, in der die Imitation nur als eine Folge der linearen Satzstruktur

erscheint.

Scarlatti geht aus von einer Sonate, deren Einheitlichkeit – sie resultiert

aus einem lebhaften Bewegungscharakter der Motivik – so stark ist, daß sie

alle Gegenbildungen unterdruckt; das Verlangen nach Kontrastmotiven liegt

außerhalb der Sphare solcher Sonaten. Quer durch alle Klaviermusik Scar-

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lattis laßt sich nun die Tendenz verfolgen, die Einheitlichkeit der Motivik und

damit auch die der musikalischen Stimmung zu lockern und zu durchbrechen

– es wird vermieden zu sagen, sie zu zerstoren. Denn als Ganzes betrachtet,

rufen, wie erwahnt, auch die Sonaten des zweiten Typus im Horer den Ein-

druck eines motivisch gebundenen, in sich geschlossenen Werkes hervor.*292

Die Vielzahl der M geht schließlich doch in eine hohere Einheit auf.

Diese Erscheinung grundet sich auf jener “gepragten Fluchtigkeit”, die

Scarlattis Motivbildung kennzeichnet. Ein Beethovensches Thema, um ein

deutliches Gegenbild heranzuziehen, “will” etwas, es ist mit starksten inner-

musikalischen Krafien geladen, die sich im Verlaufe der Sonate, vorzuglich

in der Durchfuhrung, bewahren mussen. Scarlattis “Thema” dagegen ruht

in sich, ist nicht der Erreger irgend einer musikalischen Stimmung, vielmehr

besteht sie gleichsam a priori und das Motiv tritt als ihr Exponent auf. Nicht

eine Verscharfung gegensatzlicher Affekte, sondern ein gleichmaßiger Ablauf

ist Grundtendenz. Satztechnisch kommt sie im Reihungsprinzip zum Aus-

druck, das Scarlattis Sonate mit dem Geist der Suite verbindet. Von hier

sind jene “Mangel” der Scarlattischen Motivgebung zu verstehen, die ihr,

von der Wiener Klassik her gesehen, anhaften: dle den “Themen” so oft

abgehende Konzentration – die Bewegung stromt in die angrenzenden Fort-

spinnungsteile uber –, kurz, schlagwortartig gesagt, die fehlende Dramatik.

Scarlattis KM ist nicht geschaffen ,im Kampf mit motivischen Gegenbildun-

gen dramatische Hohepunkie herbeizufuhren.

Aus diesem Wesen der Motivik erklart sich auch ihre absolute Unwandel-

barkeit (im psychologischen Sinne), d. h., ein Motiv Scarlattis erscheint in

der Reprise als ein gleiches – mag es auch technisch, musikalisch abgeandert

sein –, als welches es die Exposition aufgestellt hat; es “geschieht” im Ver-

lauf der Sonate nichts mit dem Motiv, sondern es bleibt unberuhrt von allen

*292 S. S. 83 f.

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psychischen Affekten. Eine solche Geschlossenheit der Motivik gegenuber

den Einbruchen des Stimmungshaften weist deutlich auf barocke Traditionen

zuruck. Wird ein Beethovensches Thema im Verlaufe einer Sonate nach ver-

schiedenen Richtungen hin ausgedeutet, schwingen diese mannigfachen Deu-

tungsmoglichkeiten beim Wiederauftreten dieses Themas in der Reprise im

Horer mit (und Horer ist auch der Spieler selbst), so lehnt die Reihungstech-

nik Scarlattis eine solche thematische Entwicklung ab. Dafur ist allein schon

bezeichnend, daß ein erheblicher Teil der motivischen Substanz sich lediglich

in der Exposition durchzusetzen vermag. Es besteht gar kein Bedurfnis, auf

die Eingangsteile der Sonate in der Reprise wieder zuruckzugreifen.

Vor allem die KM hat geringere Potenz, sie erfullt ihre Mission mit einem

einmaligen Erklingen (wobei unberucksichtigt bleibt, daß ja der Exposition-

steil als Ganzes wiederholt wird). Hiermit eng zusammen hangt die Frage

nach den inneren Beziehungen der M zu einander. Im dritten Sonatentypus

ist der latente Gegensatz von KM und SM keineswegs unuberbruckbar und

mit der Scharfe der spateren klassischen Sonate heraus, gebildet. Beide M

konnen dieselben charakteristischen Intervallschritte aufweisen, die melodis-

che Richtung kann in beiden Fallen ubereinstimmen; auch kann die SM in

die allgemeine, von der KM ausgehende Bewegung, die etwa in kontinuier-

lichen Achteln besteht, mit einbezogen sein:*293 verschiedene Krafte wirken

zusammen, die die Selbstandigkeit der SM gefahrden. Oft so stark, daß die

SM lediglich Rang und Charakter einer Episode hat. Die Beschrankung auf

eine einzige Kontrastmotivgruppe oder mindestens doch die Vorherrschaft

einer solchen, die in der Regel ein Kriterium fur die Zugehorigkeit zum

zweiten oder dritten Sonatentypus im aufgezeigten Sinne ist, bedeutet auf

dem Wege zur modernen Sonate einen entscheidenden Schritt. Eine klassis-

*293 Bspw. kommt Son. 232 von der Triolenbewegung nicht los, deutet sie aber ver-schiedentlich um, sodaß der Eindruck selbstandiger Gegenmotive entsteht.

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Page 144: Domenico Scarlattis for - accsnet.ne.jprkadono/Gerstenberg.pdf · ienische Klaviersonate, wie sie Domenico Scarlatti pr¨agt, unterscheidet sich zu n¨achst durch ihre unmittelbare

che Durchfuhrung stellt geradezu die Forderung an den Expositionsteil, daß

er ihr wenige, jedoch scharf profilierte Themen vorlege. Je geringer die Zahl

der Themen, desto charakteristischer und deutungsfuhiger mussen sie sein.

Die Durchfuhrung ist gewissermaßen ein Spiegel, der das Bild der Exposi-

tion in anderen Proportionen widergibt. Was hier noch unentwickelt und

unklarwar, muß nun deutlich werden. Von solcher Auffassung halt Scar-

lattis Sonate sich grundsatzlich fern, im Verlaufe der Durchfuhrung erfahrt

das Motivgut keine “Transsubstantiation”, es behalt vielmehr prinzipiell die

Gestalt, die ihm die Exposition gegeben hat.

Der Gegensatz der in der Exposition gebrachten kontrastierenden M

findet in der Durchfuhrung keine Verscharfung. Der Kampfcharakter der

Durchfuhrung fallt ganzlich fort, da sie im Gegenteil eher einem motivischen

Ausgleich dient. Er geht auf dem Untergrund einer bewegten Harmonik vor

sich; ihre Voraussetzung ist jene Annaherung von Tonika und Zwischen-

tonika in diesem Sonatenteil, die eine lebhafte Modulationswelle zur Folge

hat. Aber auch hier waltet eine Ausgleichstendenz; Scarlatti hutet sich, den

Bogen der harmonischen Spannung allzu straff anzuziehen. Eine dadurch

entstehende harmonische Dynamik liefe Gefahr, die knappen Formen seines

Klavierstuckes zu sprengen. Der Verlauf der Durchfuhrung bestatigt und

befestigt endlich die Tonika als tonales Zentrum. Der Rahmen verengt

sich, in ihrer Großform wie in ihrer Kleinform sind Scarlattis Sonaten recht

eigentlich Miniaturwerke; der Kurze und Ubersichtlichkeit der Gesamtanlage

entspricht die typisch neapolitanisch-gedrungene Motivbildung.

Diese Verkleinerung der musikalischen Form steht im Gegensatz zu jener

“großen” Barockmusik, der ein Zug ins Unbegrenzte eignet. Eine gleiche

Neigung zum Detail spiegelt auch die Melodik wieder. Ihr Grundzug einer

lebhaften Ungebundenheit, der sich mannigfach verastelt, bestimmt eine

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volkslumliche Tendenz,*294 eine “galante” Neigung, die Schwerpunkte der

melodischen Linie durch die Nachbartone grazios zu umspielen, also eine ein-

heitlich starre Linie aufzulockern und auszuzieren.*295 Die Melodiebildung

variiert Scarlatti dadurch, daß er ein “barockes” Motiv “galant” auflost.*296

Sequenz und Fortspinnung gestalten die Form. Den Hiniergrund bei solcher

Ubernahme barocker Elemente bildet ein Prozeß der Umwandlung der

musikalischen Substanz. Dienen beispielsweise bei Cavalli und Cesti, also in

hochbarocker Zeit, Dreiklangsmotive dem Ausdruck erhabener Feierlichkeit,

so verwendet sie Domenico Scarlatti, der sie vor allem im Eingang der

Sonaten haufig bringt, in ganzlich neuer Bedeutung, sie sind hier als

Außerung grazios-spielerischen Geistes zu verstehen. Gleiches gilt von der

Generalpause; das 17. Jahrhundert faßt sie als Affektausdruck voll innerer

Dynamik auf – bei Scarlatti jedoch hat sie kaum irgend einen affektbetonten

Wert, sondern dient lediglich der klaren Gliederung des Ganzen und als

Uberraschungsmoment.*297

So ubernimmt Scarlatti an der Wende des Barock eine Reihe von stilistis-

chen Einzelzugen, die fruhere Epochen ausgebildet haben. Sie wandeln sich

unter seinen Handen in Richtung auf das Galante. Noch kommt es nicht

zu entscheidender Neugestaltung, die konstitutiven Grundkrafte bleiben, die

Barockmusik erlebt in der galanlen Kunst eine letzte Blute.

*294 Typisch dafur ist der stufenmaßige Fall von der Terz in den Grundton, der einemelodische Phrase in folgender Rhythmisierung beschließt:

Vergl. auch Abert, DDT LV, S. VII ff., sowie die Bemerkung Longos im Suppl. Band,S. 15. Burney, Tagebuch II, S. 184 spricht davon, daß Scarlatti “Fuhrleuten,Maultiertreibern und anderen gemeinen Leuten” manche Weise abgelauscht habe.

*295 S. etwa die “schwamerische” Melodik von Son. 12, deren Vorhaltsreichtum geradezuan Mozart gemahnt; auch die Terzen zu Beginn von Son. 167 geben sich ganz demKlange hin. Quasi eine Barkarolen-bewegung schlagt Son. 132 an.

*296 Vergl. in Son. 150 Takt 148 ff. mit Takt 156 ff.*297 Vergl. Notenbeilage I, Takt 65 ff.

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Bezeichnend fur Scarlatti ist das Fehlen ausgleichender Mittelstimmen,

seine Sonate kennt in der Hauptsache nur Oberstimme und Baß. Zwischen

beiden herrscht noch starke Spannung, der melodische Akzent schwebt

und ruht durchaus noch nicht allein auf der Oberstimme. Die Folgezeit

verlebendigt und intensiviert sie immer mehr, sie druckt den einst so

machtigen Baß allmahlich zur “Begleitung” herab, wahrend zugleich

harmoniefullende Mittelstimmen auftreten. Erst in diesem Prozeß wachst,

technischmusikalisch betrachtet, ein neuer Stil heran, seine Erfullung bringt

die Kunst der Wiener Klassiker.

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