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Diskrete Mathematik Marcel Ern´ e Fakult¨ at f¨ ur Mathematik und Physik Vorlesung ur Studierende des Bachelor- und Master-Studienganges Mathematik Sommersemester 2011 1. Z¨ ahltheorie und Kombinatorik 1
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Diskrete Mathematik - IAZDerne/diskret/dateien/DiskMath_1a.pdf · 1 Z ahltheorie und Kombinatorik In diesem unuberschaubar weiten Feld der diskreten Mathematik geht es um die grunds

Aug 10, 2019

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Diskrete MathematikMarcel Erne

Fakultat fur Mathematik und Physik

Vorlesungfur Studierende des

Bachelor- und Master-Studienganges Mathematik

Sommersemester 2011

1. Zahltheorie und Kombinatorik

1

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Inhaltsverzeichnis

1 Zahltheorie und Kombinatorik 31.1 Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31.2 Permutationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101.3 Partitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161.4 Summen und Differenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

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1 Zahltheorie und Kombinatorik

In diesem unuberschaubar weiten Feld der diskreten Mathematik geht es umdie grundsatzliche Frage:

Wieviele Objekte mit gewissen vorgeschriebenen Eigenschaften gibt es?

In der Zahltheorie entwickelt man Methoden zur Gewinnung rekursiver oderexpliziter Anzahlformeln. Eng verwandt ist der (nicht genau abgegrenzte)Bereich der Kombinatorik : Hier interessiert man sich u.a. fur die Anzahlder Moglichkeiten, gewisse Objekte aus einer vorgegebenen Gesamtheit aus-zuwahlen, anzuordnen oder zusammenzustellen (zu

”kombinieren”). Wir wollen

im Folgenden die am haufigsten benutzten Ideen und Verfahren etwas systema-tischer durchleuchten. Naturlich wird sich dabei nur ein kleiner Ausschnitt ausder Vielfalt der Methoden und Ergebnisse dieser Theorie ergeben.

1.1 Funktionen

Fur zwei (eventuell gleiche) Mengen X und Y ist

X × Y = {(x, y) | x ∈ X, y ∈ Y }das kartesische Produkt. Jede Teilmenge R von X×Y ist eine Relation zwischen(Elementen von) X und Y . Im Falle X = Y ist R eine Relation auf X und dasPaar (X,R) ein Digraph. Solche Strukturen werden wir spater noch sehr vielgenauer studieren. Man nennt eine Relation F ⊆ X × Y eine Funktion von Xnach Y , in Zeichen F : X −→ Y , wenn zu jedem x ∈ X genau ein y ∈ Y mit(x, y) ∈ F existiert; man schreibt dann ublicherweise F (x) = y oder F : x 7−→ y.Das Tripel (X,Y, F ) (oder einfach F ) wird als Abbildung von X in (oder nach)Y bezeichnet. Bei einer surjektiven Funktion F von X nach Y (oder auch: einerFunktion von X auf Y ) gibt es zu jedem y ∈ Y mindestens ein x ∈ X mitF (x) = y, bei einer injektiven Funktion hochstens eines, und bei einer bijektivenFunktion genau eines. In diesem Fall ist die Umkehrfunktion

F−1 : Y −→ X gegeben durch F (x) = y ⇔ x = F−1(y).

Die Machtigkeit einer endlichen Menge X, d.h. die Anzahl ihrer Elemente,notieren wir weiterhin mit dem Symbol |X|; Verwechslungen mit dem Abso-lutbetrag von Zahlen sind nicht zu befurchten. Von den vielen in Kapitel 0erwahnten Gleichungen fur Machtigkeiten betonen wir hier diejenige, welche dieBezeichnung

”kartesisches Produkt” rechtfertigt:

|X × Y | = |X| · |Y |.Die Bezeichnung Y X fur die Menge aller Funktionen von X nach Y wird, wieschon erwahnt, motiviert durch

Satz 1.1 Fur endliche Mengen X,Y ist die Anzahl der Funktionen von X in Y

|Y X | = |Y ||X|.Hat also X m und Y n Elemente, so gibt es nm Funktionen von X nach Y .

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Beweis durch Induktion nach der Elementezahl m = |X|.Fur m = 0 gibt es genau eine Funktion von X nach Y , namlich die leere Menge∅, und es ist m0 = 1.

Ist X nun eine Menge mit m+1 Elementen, etwa X = X ′∪{x} mit |X ′| = mund x 6∈ X ′, sowie |Y | = n, so gibt es nach Induktionsannahme nm Funk-tionen von X ′ nach Y . Jede dieser Funktionen wird durch Festlegung einesFunktionswertes y an der Stelle x (durch Hinzunahme eines Paares (x, y) mity ∈ Y ) zu einer Funktion von X nach Y erganzt, und jede Funktion von Xnach Y entsteht so auf genau eine Weise aus einer Funktion von X ′ nach Y . Daman n Moglichkeiten fur die Wahl von y hat, gibt es insgesamt nm · n = nm+1

Funktionen von X nach Y , und der Induktionsschluss ist vollzogen. �

Eine genauere Analyse zeigt, dass der obige Beweis der Formel |Y X | = |Y ||X|auf dem nachfolgenden Prinzip basiert, indem man die Gleichmachtigkeit derMengen Y X′× Y und Y X ausnutzt.

Satz 1.2 (Bijektionsprinzip) Zwei endliche Mengen haben genau dann diegleiche Machtigkeit, wenn es eine bijektive Abbildung zwischen ihnen gibt.

Dies hatten wir schon im Vergleichbarkeitssatz 0.9 formuliert. Wir tragen nocheine kurze Begrundung nach: Eine Abzahlung einer Menge Y ist eine Bijektionzwischen Y und einer der Mengen m , und Verknupfung dieser Bijektion miteiner weiteren, etwa F : X −→ Y , liefert eine Abzahlung von X, woraus dann|X| = |Y | folgt. Sind umgekehrt G : X −→ m und H : Y −→ m Bijektionen, soist auch H−1 ◦G : X −→ Y bijektiv. �

Ein m-Tupel (F1, ..., Fm) mit Elementen aus Y ist nichts anderes als eineFunktion von der Menge m = {1, ...,m} in die Menge Y . Deshalb ist nm auchdie Anzahl der m-Tupel mit Werten in einer festen n-elementigen Menge Y . Manspricht in der Kombinatorik haufig von Farbungen von m Objekten mit n Farben.Die in Beispiel 0.13 erorterte Bijektion zwischen endlichen Potenzmengen und0-1-Folgen ergibt sich fur den Spezialfall von zwei

”Farben” 0 und 1.

Die nachstliegende Frage lautet: Wieviele injektive Funktionen (bzw.Farbungen mit lauter verschiedenen Farben) gibt es zwischen zwei endlichenMengen? Auch hier ist die Antwort recht einfach:

Satz 1.3 Fur eine Menge X = {x1, ..., xm} mit m Elementen und eine MengeY mit n Elementen gibt es genau

(n)m := n · (n−1) · ... · (n−m+1)

injektive Funktionen von X nach Y .

Beweis. Um eine injektive Funktion F von X = {x1, ..., xm} nach Y zu definie-ren, hat man nMoglichkeiten fur das Bild F (x1), danach noch n−1 Moglichkeitenfur das Bild F (x2), usw. Schließlich bleiben n−m+1 Moglichkeiten fur F (xm).Insgesamt sind das n(n−1)...(n−m+1) = (n)m injektive Funktionen. �

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Das Polynom

(x)m =

m−1∏k=0

(x− k) = x(x−1)...(x−m+1)

wird m-te fallende Faktorielle von x genannt. Speziell ist

m! = (m)m = 1 · 2 · ... ·m

(gesprochen: m Fakultat, englisch: m factorial ).

Beachten Sie, dass Satz 1.3 auch fur m > n richtig ist, obwohl es dann gar keineinjektive Abbildung von X nach Y gibt: In diesem Fall ist namlich (n)m = 0.

Folgerung 1.4 Die Anzahl der bijektiven (bzw. injektiven bzw. surjektiven)Funktionen zwischen zwei Mengen gleicher Machtigkeit n ist n! = (n)n.

Dies ist also im Falle |Y | = n zugleich die Anzahl der

Abzahlungen von Y , d.h. der Bijektionen von Y auf n,

Anordnungen von Y , d.h. der Bijektionen von n auf Y ,

Permutationen von Y , d.h. der Bijektionen von Y auf Y .

Wir gelangen nun schnell zu der Formel fur die Anzahl der m-elementigen Teil-mengen einer n-elementigen Menge mit Hilfe der Binomialkoeffizienten(

n

m

)=

(n)m(m)m

=n!

m!(n−m)!=

(n

n−m

).

Zu jeder m-elementigen Teilmenge Z der n-elementigen Menge Y gibt es m!bijektive Abbildungen von m nach Z, also injektive Funktionen von m nach Ymit dem Bild Z. Da wir insgesamt (n)m injektive Funktionen von m nach Yhaben, erhalten wir die wichtige

Folgerung 1.5 Eine n-elementige Menge hat

(n

m

)m-elementige Teilmengen.

Das Symbol(nm

)wird im Deutschen

”n uber m” gesprochen, wahrend man im

Englischen”n choose m” sagt (

”von n wahle m aus”), nicht etwa

”n over m”.

Fur die Binomialkoeffizienten gibt es Hunderte von interessanten Identitaten;wir konnen hier nur auf die allerwichtigsten eingehen.

Satz 1.6 Die Binomialkoeffizienten erfullen folgende Gleichungen:

(1)

(n

0

)=

(n

n

)= 1 und

(n

1

)=

(n

n−1

)= n;

(n

m

)= 0⇔ m > n.

(2)

(n

m

)=

(n−1

m−1

)+

(n−1

m

).

(3) (x+ y)n =

n∑m=0

(n

m

)xmyn−m , insbesondere

n∑m=0

(n

m

)= 2n.

(4)

k∑m=0

(n

m

)(p

k− m

)=

(n+ p

k

), insbesondere

n∑m=0

(n

m

)2

=

(2n

n

).

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Beweis. (1) ist klar. In einem kombinatorischen Beweis von (2) unterscheidetman die Teilmengen der Menge n mit m Elementen danach, ob sie n enthalten(davon gibt es

(n−1m−1

)) oder nicht (das sind

(n−1m

)Mengen). Oder direkt:(

n−1

m−1

)+

(n−1

m

)=

1

m!(n− 1) · ... · (n−m+ 1)(m+ (n−m)) =

(n

m

).

Zu (3): Beim Ausmultiplizieren der Klammern erhalt man(nm

)Summanden, in

denen m Faktoren gleich x und n−m Faktoren gleich y sind.

(4) kann man sich durch Betrachtung der Teilmengen zweier disjunkter Mengenmit n bzw. p Elementen uberlegen (kombinatorischer Beweis).Schneller kommt man mit (3) und einem Koeffizientenvergleich zum Ziel:n+p∑k=0

(n+ p

k

)xk = (1+x)n+p = (1+x)n(1+x)p =

n+p∑k=0

k∑m=0

(n

m

)(p

k−m

)xmxk−m.

Die Rekursionsformel (2) in Satz 1.6 merkt man sich anhand des PascalschenDreiecks , in dem jede der Zahlen 6= 1 die Summe der direkt daruber stehendenZahl und der links von dieser stehenden Zahl ist:

n m 0 1 2 3 4 50 11 1 12 1 2 13 1 3 3 14 1 4 6 4 15 1 5 10 10 5 1

(n

m

)

Man stellt fest, dass in jeder Zeile die Summe der Koeffizienten mit geradem In-dex ebenso wie die der Koeffizienten mit ungeradem Index stets 2n−1 ergibt. DieRichtigkeit dieser Beobachtung bestatigt sich, wenn man die beiden Gleichungen

n∑m=0

(n

m

)= 2n und

n∑m=0

(n

m

)(−1)m = 0

addiert bzw. subtrahiert und dann durch 2 dividiert.

Fur viele Berechnungen ist es hilfreich, die Definition der Binomialkoeffizientenauf beliebige reelle oder gar komplexe

”Zahler” zu erweitern, also die Polynome(

x

m

)=

(x)mm!

=1

m!x(x−1)...(x−m+1)

zu betrachten und fur x beliebige reelle oder komplexe Zahlen einzusetzen. Inder binomischen Formel (3) muss man dann aber gelegentlich unendliche stattendlichen Reihen bilden. So bekommt man beispielsweise die Reihenentwicklung

(1 + x)z =

∞∑m=0

(z

m

)xm, insbesondere

√1 + x =

∞∑m=0

( 12

m

)xm fur |x| < 1.

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Satz 1.7 Es gilt fur beliebiges h ∈ C und die rekursiv definierten Funktionen

(x)0h = 1, (x)m+1

h = (x)mh (x+ hm), also (x)mh = x(x+ h)...(x+ (m−1)h):

(x+ y)nh =

n∑m=0

(n

m

)(x)mh (y)n−mh .

Beweis durch Induktion mit Hilfe von Satz 1.6 (1),(2).

Fur h = 0 liefert Satz 1.7 die Gleichung (3) in Satz 1.6. Fur h = −1 ergibtsich die entsprechende Gleichung fur die fallenden Faktoriellen (x)m, und furh = 1 eine analoge Gleichung fur die wachsenden Faktoriellen

(x)m = x · (x+ 1) · ... · (x+m− 1).

Haufig gelingt es, Gleichungen, die fur ganzzahlige Eintrage als richtig er-kannt wurden, auf beliebige reelle oder sogar komplexe Zahlen zu erweitern.Dahinter steckt meist das Identitatsprinzip fur Polynome:

Satz 1.8 Zwei Polynome vom Grad ≤ n, die an n+1 Stellen ubereinstimmen,sind schon identisch (sonst hatte das Differenzpolynom hochstens n Nullstellen).

Laßt man beispielsweise in der sogenannten Vandermondeschen Gleichung (4)aus Satz 1.6 statt der naturlichen Zahlen n und p beliebige komplexe Zahlen xund y zu, so bleibt sie richtig, denn die Polynomgleichung

k∑m=0

(x

m

)(y

k −m

)=

(x+ y

k

)in zwei Variablen x und y ist zumindest fur alle nichtnegativen ganzzahligenWerte von x und y erfullt, und dann greift eine doppelte Anwendung des Iden-titatsprinzips.

Wir hatten gesehen, dass die Anzahl der”

Farbungen” einer m-elementigenMenge X mit n Farben (d.h. die Anzahl der Funktionen von X in eine n-elementige Menge Y ) gleich nm ist, und dass (n)m die entsprechende Zahl derFarbungen mit lauter verschiedenen Farben angibt. Anspruchsvoller ist die Auf-gabe, die Anzahl der surjektiven Abbildungen von X nach n zu finden. Wirwerden sie in Abschnitt 1.3 bestimmen. Jetzt fragen wir noch nach der Anzahlder monotonen (bzw. streng monotonen) Funktionen von m nach n. Das sindbekanntlich Funktionen

F : m−→ n mit x ≤ y ⇒ F (x) ≤ F (y) (bzw. x < y ⇒ F (x) < F (y)).

Da streng monotone Funktionen stets injektiv sind, kann es solche von m nachn naturlich nur fur m ≤ n geben.

Satz 1.9 Fur jede streng monotone Funktion F : m−→ n hat das Bild F [m] ={F (k) | k ∈ m} genau m Elemente, und F ist durch diese Bildmenge eindeutigbestimmt. Umgekehrt ist jede m-elementige Teilmenge von n das Bild einerstreng monotonen Funktion F : m−→ n.

Daher gibt es genau

(n

m

)streng monotone Funktionen von m nach n.

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Beweis durch Induktion nach m. Fur m = 1 ist die Sache klar. Sei also m > 1.Das großte Element des Bildes F [m] muß F (m) sein. Die Einschrankung von Fauf m−1 ist ebenfalls streng monoton und nach Induktionsannahme durch ihrBild eindeutig festgelegt. Somit gilt das gleiche fur F . Dass alle Teilmengen alsBilder streng monotoner Funktionen vorkommen, zeigt man ahnlich. �

Wir erinnern uns daran, dass monotone Folgen (F1, ..., Fm) in n, also solchemit F1 ≤ F2 ≤ ... ≤ Fm, nichts anderes als monotone Funktionen von m nachn sind. Deren Anzahl gewinnt man durch den folgenden Trick:

Satz 1.10 Indem man jeder monotonen Folge (F1, F2, ..., Fm) die”

gespreizte”Folge (F1, F2 +1, ..., Fm+ m−1) zuordnet, erhalt man eine Bijektion zwischenmonotonen Folgen in n und streng monotonen Folgen in n+m−1.

Also ist die Anzahl der monotonen Funktionen von m in n gleich

(n+m−1

m

).

Um gewisse kombinatorische Gleichungen zu losen, borgen wir uns ein wohl-bekanntes Hilfsmittel aus der linearen Algebra, das Inversionsprinzip:

Satz 1.11 Sind (f0, ..., fr) und (g0, ..., gr) Basen eines Vektorraums der Dimen-sion r + 1, so gibt es eine eindeutige Matrix A = (amn) mit

gn =

r∑m=0

amn fm (n = 0, ..., r).

Fur die zuA inverse MatrixB = (bmn) und beliebige Vektoren c = (cn), d = (dn)gilt dann: d = Ac ⇔ c = Bd, d.h.

dn =

r∑m=0

amn cm fur n = 0, ..., r ⇔ cn =

r∑m=0

bmn dm fur n = 0, ..., r .

Wir betrachten den folgenden Spezialfall: Die Monome xn bilden ebenso wiedie Polynome (x−1)n Basen der Polynomraume. Wegen der Gleichungen

xn =

n∑m=0

(n

m

)(x−1)m und (x−1)n =

n∑m=0

(n

m

)(−1)n−mxm

liefert das Inversionsprinzip:

Satz 1.12 Die Matrix der Binomialkoeffizienten ist invers zur Matrix der alter-nierenden Binomialkoeffizienten (mit wechselnden Vorzeichen), und fur beliebigeFolgen (cn) und (dn) gilt die Binomial-Inversion:

dn =

n∑m=0

(n

m

)cm ⇔ cn =

n∑m=0

(n

m

)(−1)n−mdm .

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n m 0 1 2 3 4 50 1 0 0 0 0 01 1 1 0 0 0 02 1 2 1 0 0 03 1 3 3 1 0 04 1 4 6 4 1 05 1 5 10 10 5 1

(n

m

) n m 0 1 2 3 4 50 1 0 0 0 0 01 −1 1 0 0 0 02 1 −2 1 0 0 03 −1 3 −3 1 0 04 1 −4 6 −4 1 05 −1 5 −10 10 −5 1

(n

m

)(−1)n−m

Die beiden Pascal-Dreiecksmatrizen sind tatsachlich zueinander invers!

Weitere Anwendungen des Inversionsprinzips werden wir spater kennenlernen.Eng verwandt damit ist das sogenannte Inklusions-Exklusionsprinzip:

Satz 1.13 Fur Teilmengen A1, ..., Am einer endlichen Menge A berechnet sichdie Machtigkeit der Vereinigung wie folgt:

|⋃j∈m

Aj | =∑

∅6=K⊆m

(−1)|K|−1 |⋂j∈K

Aj |.

Insbesondere

|A1 ∪A2| = |A1|+ |A2| − |A1 ∩A2|,

|A1∪A2∪A3| = |A1|+|A2|+|A3|−|A1∩A2|−|A1∩A3|−|A2∩A3|+|A1∩A2∩A3|.

Beweis. Man betrachtet die charakteristischen Funktionen:

1−χ⋃j∈mAj

= χA\⋃

j∈mAj= χ⋂

j∈m(A\Aj) =∏

j∈m χA\Aj=∏

j∈m(1−χAj )

=∑

K⊆m(−1)|K|∏

j∈K χAj= 1−

∑∅6=K⊆m(−1)|K|−1χ⋂

j∈K Aj.

Summation uber alle Elemente von A ergibt die Behauptung. �

Beispiel 1.14 Wir suchen die Anzahl aller fixpunktfreien Funktionen von einerm-elementigen in eine n-elementige Menge. Es bedeutet keine Einschrankung,die Funktionen F : m→ n zu betrachten. Fur j ∈ m ist

Ak = {F : m→ n | F (j) = j}

die Menge dieser Funktionen, die den Fixpunkt j haben, und fur K ⊆ m istAK =

⋂j∈K Aj die Menge alle Funktionen F : m → n mit F (j) = j fur j ∈K.

Da die Funktionswerte fur alle j aus m \K dann noch frei in n wahlbar sind,gibt es nm−|K| solche Funktionen. Mit dem Inklusions-Exklusionsprinzip folgt:

|⋃j∈m

Aj | =∑

∅6=K⊆m

(−1)|K|−1 |⋂j∈K

Aj |

=

m∑k=1

(m

k

)(−1)k−1nm−k = nm − (n− 1)m.

Da dies die Anzahl der Funktionen von m nach n ist, die mindestens einenFixpunkt haben, muss (n−1)m die Anzahl der fixpunktfreien unter allen Funk-tionen von m nach n sein. Das hatten wir allerdings auch gleich direkt sehenkonnen – namlich wie?

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1.2 Permutationen

Die Bijektionen auf einer Menge X heißen Permutationen dieser Menge. Manbezeichnet sie meist mit kleinen griechischen Buchstaben wie π (pi), σ (sigma)oder τ (tau). Die Permutationen von X bilden mit der Verknupfung σ ◦ τ = τσ(Reihenfolge!), definiert durch σ ◦ τ(x) = σ(τ(x)), eine Gruppe S(X), d.h.

• mit σ ∈ S(X) und τ ∈ S(X) ist auch σ ◦ τ ∈ S(X),

• die Identitat idX ist neutral in S(X): σ ◦ idX = idX ◦ σ = σ fur σ∈S(X),

• die Inverse zu σ ∈ S(X) ist σ−1 : σ ◦ σ−1 = σ−1 ◦ σ = idX .

Permutationen spielen eine zentrale Rolle in der gesamten Kombinatorik. Siekommen stets dann ins Spiel, wenn man Isomorphien oder Symmetrien gewis-ser Objekte untersucht. Da es bei der Betrachtung von Permutationen meistnur auf die Anzahl, aber nicht auf die spezifische Gestalt der Elemente derGrundmenge ankommt, kann man sich bei Strukturuntersuchungen auf das Stu-dium der

”symmetrischen Gruppen” S(n) beschranken. Fur die Permutationen

der Menge n = {1, ..., n} hat man mehrere Schreibweisen. Die einfachste ist dieDarstellung durch Folgen, in denen jede der Zahlen von 1 bis n genau einmalvorkommt, z.B.

σ = (2, 1, 7, 3, 6, 8, 4, 5, 9).

Will man den funktionalen Charakter unterstreichen, so schreibt man auch

σ =

(1 2 3 4 5 6 7 8 92 1 7 3 6 8 4 5 9

)bzw. σ−1 =

(1 2 3 4 5 6 7 8 92 1 4 7 8 5 3 6 9

)aber in dieser Darstellung ist die obere Zeile naturlich redundant.

Praktischer und anschaulicher ist die sogenannte Zykelschreibweise. Man be-ginnt mit einer offnenden Klammer und der 1, schreibt daneben ihr Bild σ(1)unter der gegebenen Permutation σ, daneben das Bild σ2(1) dieses Elementsusw., bis man wieder bei 1 landet und den Zyklus (oder Zykel) vorher mit ei-ner schließenden Klammer beendet: (1 σ(1) σ2(1)... σm−1(1)), σm(1)=1. Im Ex-tremfall hat man dann alle Zahlen von 1 bis n durchlaufen, und die Permutationhat nur einen Zyklus. Der andere Extremfall ist σ(1) = 1, d.h. der Zyklus endetbereits beim ersten Schritt (1 ist Fixpunkt). Solche

”Einerzyklen” (i) darf man

in der Darstellung sogar weglassen, wenn man die Grundmenge n kennt unddie Konvention vereinbart, dass alle nicht aufgeschriebenen Zahlen Fixpunktesind. Hat man einen Zyklus vollendet, eroffnet man mit der kleinsten noch nichtabgearbeiteten Zahl einen neuen Zyklus und fahrt so fort. Auf diese Weise laßtsich jede Permutation eindeutig als Produkt von elementfremden Zykeln dar-stellen (d.h. keine Zahl kommt in zwei Zykeln derselben Permutation vor).

Fur die obige Permutation σ ergibt sich die Zykeldarstellung

σ = (12)(374)(568)(9), sowie σ−1 = (12)(347)(586)(9).

c1

- c2

� c3

- c7

SSoc4��/ c

5- c

6SSoc8��/ c

9

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Wie aus der bildlichen Darstellung durch Pfeildiagramme unmittelbar er-sichtlich ist, lassen sich Permutationen als spezielle Digraphen auffassen, dieaus disjunkten Zykeln bestehen. Der Typ einer Permutation σ beschreibt ihreZykelgestalt durch Angabe der Folge t(σ) = (m1, ...,mn), wobei mk die Anzahlder Zykel der Lange k bedeutet. Die hinteren Nullen in dem n-Tupel t(σ) lasstman haufig weg. Hat σ genau m Zykel, so ist also

(∗) m =

n∑k=1

mk und n =

n∑k=1

k ·mk .

Fur unsere spezielle Permutation σ = (12)(374)(568)(9) ist zum Beispiel

t(σ) = (1, 1, 2, 0, 0, 0, 0, 0, 0)

oder nach Weglassen der Nullen

t(σ) = (1, 1, 2).

Ublich und fur gewisse Anwendungen nutzlich ist auch die symbolische Notation

zm11 ...zmn

n statt (m1, ...,mn),

wobei man Faktoren der Form z0i weglasst, also z.B. z1

1z12z

23 fur den obigen Typ

von σ schreibt.

Wann sehen die Pfeildiagramme zweier Permutationen (bei geeigneter An-ordnung) gleich aus? Um das zu prazisieren, braucht man den Begriff der Iso-morphie, der in allen Strukturuntersuchungen eine wichtige Rolle spielt. Wirkommen darauf in spateren Kapiteln noch mehrfach zuruck.

Ein Isomorphismus zwischen zwei Digraphen (X,S) und (Y, T ) ist beispiels-weise eine in beiden Richtungen inzidenzerhaltende Bijektion, d.h. eine bijek-tive Abbildung ϕ : X −→ Y mit xS x′ ⇔ ϕ(x)T ϕ(x′) . Stimmt dabei (X,S)mit (Y, T ) uberein, so spricht man von einem Automorphismus des Digraphen(X,S). Speziell ist eine Permutation ϕ genau dann ein Isomorphismus zwischenzwei Permutationen σ und τ der gleichen Menge, wenn ϕ ◦ σ = τ ◦ ϕ gilt (dennxσ y ⇔ ϕ(x) τ ϕ(y) bedeutet ϕ(σ(x)) = τ(ϕ(x))). In diesem Fall sagt man, σund τ seien konjugiert.

Bevor wir uns naher mit den Permutationen befassen, wollen wir eine sehrviel allgemeinere Situation betrachten. Gegeben sei eine gewisse Klasse vonStrukturen, etwa Gruppen, Vektorraumen oder Digraphen, sowie die dazu-gehorigen Isomorphismen, also strukturerhaltende Bijektionen. Was im Einzel-fall

”strukturerhaltend” heißt, brauchen wir fur das Folgende nicht genau zu

wissen. Es reicht, folgende plausible Eigenschaften zur Verfugung zu haben:

(1) Fur jede Struktur auf einer Menge ist die Identitat ein Isomorphismus.

(2) Die Verknupfung zweier Isomorphismen ergibt wieder einen solchen.

(3) Die Umkehrabbildung eines Isomorphismus ist wieder ein solcher.

(4) Zu jeder Struktur S auf einer Menge X und jeder Bijektion ϕ : X −→ Ygibt es genau eine Struktur T auf Y , die ϕ zu einem Isomorphismus macht.

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In allen konkreten Beispielen sind diese vier Eigenschaften schnell nachzuprufen.Die ersten drei Bedingungen (1), (2), (3) sichern, dass die Automorphismen ei-ner Struktur S, d.h. die Isomorphismen zwischen S und S selbst, eine Grup-pe bilden, die sogenannte Automorphismengruppe Aut (S). Daneben betrachtenwir die Gesamtheit Iso (S) aller zu S isomorphen Strukturen mit der gleichenGrundmenge, d.h. die Isomorphieklasse von S (bei festgehaltener Grundmenge).Mit diesen Vorbereitungen sind wir nun in der Lage, einen elementaren, aberwirkungsvollen Satz der gruppentheoretischen Kombinatorik zu beweisen.

Satz 1.15 (Automorphismen und Isomorphieklassen)

Hat eine Struktur S auf einer n-elementigen Menge X genau a(S) Automor-phismen, so gibt es genau i(S) = n!

a(S) zu S isomorphe Strukturen auf X.

Beweis. Zu jedem T ∈ Iso(S) wahlen wir einen Isomorphismus ϕT zwischen Sund T ; dann ist also T die Bildstruktur ϕT [S]. Wenn wir zeigen konnen, dassdie Abbildung

F : Aut (S)× Iso (S)−→ S(X), (α, T ) 7→ αϕT = ϕT ◦ αbijektiv ist, erhalten wir die gewunschte Gleichung

a(S) · i(S) = |Aut(S)| · |Iso(S)| = |Aut(S)× Iso(S)| = |S(X)| = n!

Zum Beweis der Injektivitat nehmen wir αϕT = β ϕU fur zwei Automorphismenα, β ∈ Aut(S) und zwei Strukturen T,U ∈ Iso(S) an. Dann ist wegen derBijektivitat aller vorkommenden Abbildungen

T = ϕT [S] = αϕT [S] = β ϕU [S] = ϕU [S] = U, ϕT = ϕU und α = β,

d.h. (α, T ) = (β, U).

Um F als surjektiv zu erkennen, geben wir eine beliebige Permutation σ ∈ S(X)vor und nehmen fur T die nach (4) eindeutig existierende Struktur auf X, dieσ zu einem Isomorphismus zwischen S und T macht. Dann ist α := σ ϕ−1

T nach(2) und (3) ein Automorphismus von S mit F (α, T ) = αϕT = σ. �

Ein”Isomorphietyp” ist nichts anderes als eine Aquivalenzklasse bezuglich

der Isomorphierelation. Bei der Beschreibung von Isomorphietypen sucht mansogenannte Invarianten, die von Isomorphismen nicht verandert werden. Ambesten ist es naturlich, wenn die Isomorphietypen durch gewisse Invariantenvollstandig und eindeutig beschrieben werden konnen. Das ist bei Permutationenerfreulicherweise der Fall, und das Wort

”Typ” ist mit Bedacht gewahlt:

Satz 1.16 Zwei Permutationen σ und τ sind genau dann isomorph, wenn sieden gleichen Typ t(σ) = t(τ) = (m1, ...,mn) haben. Es ist dann

a(σ) =

n∏k=1

mk! · kmk

nicht nur die Anzahl der Automorphismen von σ bzw. τ , sondern auch die An-zahl der Isomorphismen zwischen σ und τ , und es gibt genau

n!

a(σ)=

n!∏nk=1mk! · kmk

zu σ isomorphe Permutationen.

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Beweis. Dass isomorphe Permutationen den gleichen Typ haben mussen, ist klar,da ein Isomorphismus Zykel auf ebensolche gleicher Lange abbildet. Dass je zweiPermutationen σ und τ gleichen Typs isomorph sind, ist ebenfalls anschaulicheinleuchtend (man bildet jeweils zwei Zykel gleicher Lange aufeinander ab), abereine genaue Begrundung erfordert technische Details, die wir hier ubergehenwollen.Nun zu den Anzahlformeln: Jeder Zykel (x1, ..., xk) der Lange k hat genau kAutomorphismen, namlich die

”zyklischen Verschiebungen”

ζi : {x1, ..., xk}, xj 7−→ xi+j (i = 1, ..., k), wobei xk+j = xj gesetzt wird.

c5- c

1���c2QQk

c3��+c4

BBN

ζ1���QQk��+

BBN - c

5- c

1���c2QQk

c3��+c4

BBN

ζ2BBBM

���� ZZZ~���> c

5- c

1���c2QQk

c3��+c4

BBN

ζ3BBBN

-

����

ZZZ} ���= c

5- c

1���c2QQk

c3��+c4

BBN

ζ4 ��

QQs��3

BBM� c

1���c2QQk

c3��+c4

BBNc5-

ζ5g�gjg*g

O g�Da die Zykel paarweise disjunkt sind, konnen wir diese Automorphismen beliebigmiteinander kombinieren, um einen Automorphismus der gesamten Permutationzu bekommen, und zwar auf

1m1 · ... · nmn

Weisen. Aber das ist noch nicht alles: Ganze Zykel gleicher Lange kann manebenfalls untereinander austauschen, ohne die Permutation zu verandern. Dassind noch einmal

m1! · ... ·mn!

Moglichkeiten, von denen jede mit jeder der”inneren Zykeldrehungen” von oben

zu einem Automorphismus der gesamten Permutation zusammengebaut werdenkann. Das Produkt dieser Zahlen, also

m1! · 1m1 · ... ·mn! · nmn =∏n

k=1mk! · kmk

hangt nur vom Typ der Permutation σ ab und ergibt die Gesamtzahl a(σ) allerAutomorphismen der Permutation σ, d.h. der Symmetrien des entsprechendenDigraphen. Den Rest erledigt Satz 1.15. �

Zur Vermeidung von Doppeldeutigkeiten trennen wir bei Permutationen dieeinzelnen Elemente durch Kommata, bei Zykeln hingegen nicht!

Beispiel 1.17 Die zuvor betrachtete Permutation σ = (12)(374)(568)(9) hatden gleichen Typ z1

1z12z

23 wie die Permutation τ = (136)(2)(478)(59). Ein Isomor-

phismus zwischen σ und τ (oder den entsprechenden Digraphen) ist beispiels-weise die Permutation π = (5, 9, 1, 6, 4, 7, 3, 8, 2) = (154673)(29), wie das nach-folgende Diagramm und die Gleichung π ◦ σ = (19257684)(3) = τ ◦ π zeigt:

c?

1- c?

2� c

?

3- c?

7SSoc?

4

��/ c

?

5- c?

6SSoc?

8

��/ c

?

9

i σ = (12)(374)(568)(9)

c5

- c9

� c1

- c3

SSoc6��/ c

4- c

7SSoc8��/ c

2

i τ = (136)(2)(478)(59)

π =

(1 2 3 4 5 6 7 8 95 9 1 6 4 7 3 8 2

)

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Wir interessieren uns fur die Anzahl sn,m der Permutationen von nmit genaum Zykeln. Diese Zahlen heißen Stirling-Zahlen erster Art. Definitionsgemaß ist

n∑m=0

sn,m = n!

Satz 1.18 Die Stirling-Zahlen erster Art erfullen folgende Gleichungen:

(1) sn,0 = sn,m = 0 fur m > n > 0, sowie sn,n = 1 fur n ≥ 0.

(2) sn,m = sn−1,m−1 + (n−1) · sn−1,m fur n > m > 0.

(3) (x)n = x · (x−1) · ... · (x−n+1) =∑n

m=0(−1)n−msn,mxm.

(4) sn,m =∑ n!∏n

k=1mk! · kmk,

wobei uber alle Folgen (m1, ...,mn)∈N0n mit m=

∑nk=1mk und n=

∑nk=1 k ·mk

zu summieren ist.

Beweis. (1) ist unmittelbar anhand der Definition einzusehen.

(2) Es gibt sn−1,m−1 Permutationen von n−1 mit m− 1 Zykeln, die durchErganzen mit dem Einerzykel (n) eine Permutation von n mit m Zykeln und nals Fixpunkt ergeben. Ansonsten gibt es (n−1)sn−1,m weitere Permutationenmit m Zykeln, die aus einer Permutation von n−1 entstehen, indem man n ineinen der m Zykel einfugt (das geht auf n−1 Weisen).

(3) leitet man aus (1) und (2) durch Induktion nach n her.

(4) Nach Satz 1.16 ist die Anzahl der Permutationen vom Typ zm11 ...zmn

n gleich

n!∏nk=1mk! · kmk

,

und Summation uber alle Typen mit m Zykeln ergibt die Behauptung. �

Fur praktische Berechnungen wird man eher auf die Rekursionsformel (2)oder auf die Polynomgleichung (3) zuruckgreifen als auf die zwar explizite, aberziemlich komplizierte Formel (4). Beachten Sie allerdings, dass viele der Koeffi-zienten mk wegen der Summationsbedingung

∑nk=1 k ·mk = n gleich 0 sind!

Entsprechend dem Pascalschen Dreieck hat man fur die Zahlen sn,m dasStirlingsche Dreieck erster Art:

n m 0 1 2 3 4 50 11 0 12 0 1 13 0 2 3 14 0 6 11 6 15 0 24 50 35 10 1

sn,m

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Beispiel 1.19 Fur n = 5 bekommt man (indem man die entsprechende Zeiledes Stirling-Dreiecks von hinten nach vorn liest und die Vorzeichen beachtet):

x(x−1)(x−2)(x−3)(x−4) = x5 − 10x4 + 35x3 − 50x2 + 24x.

Im Einzelnen hat man folgende Permutationen und Zykeldarstellungen:

Zykelzahl m Permutation Typ Automorphismen Anzahl s5,m

1 (∗∗∗∗∗) z15 1! · 51 = 5 24 24

2 (∗)(∗∗∗∗) z11z

14 1! · 11 · 1! · 41 = 4 30

(∗∗)(∗∗∗) z12z

13 1! · 21 · 1! · 31 = 6 20 50

3 (∗)(∗)(∗∗∗) z21z

13 2! · 12 · 1! · 31 = 6 20

(∗)(∗∗)(∗∗) z11z

22 1! · 11 · 2! · 22 = 8 15 35

4 (∗)(∗)(∗)(∗∗) z31z

12 3! · 13 · 1! · 21 = 12 10 10

5 (∗)(∗)(∗)(∗)(∗) z51 5! · 15 = 120 1 1

Aus den Formeln in Satz 1.18 ergeben sich noch die expliziten Gleichungen

sn,1 = (n−1)! , sn,2 = (n−1)!

n−1∑k=1

k−1 , ..., sn,n−1 =

(n

2

).

Zur Losung mancher Probleme braucht man die Anzahl dn,m der Permuta-tionen von n Elementen, die genau m Elemente festhalten (also m Fixpunktehaben). Insbesondere ist Dn = dn,0 die Anzahl der sogenannten Derangements(Umordnungen), d.h. der fixpunktfreien Permutationen. Definitionsgemaß gel-ten folgende Beziehungen:

n∑m=0

dn,m = n!

dn,m =

(n

m

)Dn−m, insbesondere dn,n−1 = D1 = 0.

Mit Hilfe der Binomial-Inversion (oder des Inklusions-Exklusionsprinzips) ergibtsich eine erstaunliche Formel:

Satz 1.20 Fur alle m ≤ n gilt:

Dn = n!

n∑k=0

(−1)k

k!und dn,m =

n!

m!

n−m∑k=0

(−1)k

k!.

Aus der Analysis weiß man, dass die Reihe∑∞

k=0

(−1)k

k!gegen e−1 ≈ 0.36787...

konvergiert. Fur große n ist dies also naherungsweise der Anteil an fixpunktfreienPermutationen – eine recht uberraschende Tatsache. Außerdem bekommt manaus der expliziten Darstellung noch die Gleichung

dn,1 = n ·Dn−1 = Dn − (−1)n .

Das bedeutet, dass sich die Anzahl der Permutationen ohne Fixpunkt von derAnzahl derer mit genau einem Fixpunkt immer um 1 unterscheidet – und auchdas ist keineswegs offensichtlich!

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1.3 Partitionen

Mit einer Partition einer Menge X meinen wir eine Zerlegung in paarweise dis-junkte, nichtleere Teilmengen. Die Partitionen einer Menge entsprechen bijektivden Aquivalenzrelationen auf dieser Menge (indem man jeder Aquivalenzrelationdie Zerlegung in ihre

”Blocke”, d.h. Aquivalenzklassen zuordnet). Daruber hin-

aus sind Partitionen eng mit den Funktionen auf dieser Menge verbunden (da-von spater mehr) und zeigen auffallige Parallelen zu Permutationen, insbeson-dere beim Vergleich von Blocken mit Zykeln: Wahrend sich jede Permutationin elementfremde Zykel zerlegen laßt, spaltet eine Partition die Grundmengein Blocke, und wir konnen den Typ einer Partition einer n-elementigen Mengeals die Folge (m1, ...,mn) definieren, wobei mk die Anzahl der Blocke mit kElementen angibt. Wieder gilt

(∗) m =

n∑k=1

mk und n =

n∑k=1

k ·mk

und man schreibt zm11 ...zmn

n statt (m1, ...,mn).

In wortlicher Analogie zu Satz 1.16 haben wir nun:

Satz 1.21 Zwei Aquivalenzrelationen bzw. Partitionen S und T sind genaudann isomorph, wenn sie den gleichen Typ (m1, ...,mn) haben. Es ist dann∏n

k=1mk! · (k!)mk

nicht nur die Anzahl der Automorphismen von S bzw. T , sondern auch dieAnzahl der Isomorphismen zwischen S und T , und es gibt genau

n!∏nk=1mk! · (k!)mk

zu S isomorphe Aquivalenzrelationen bzw. Partitionen.

Der Beweis verlauft im Wesentlichen wie zu 1.16, man hat lediglich die Auto-morphismenzahl k eines Zykels der Lange k durch die Automorphismenzahl k!eines Blocks, d.h. eines Digraphen (Y, Y ×Y ) mit k Elementen zu ersetzen. �

Folgende Anzahlen sind nun von primarem Interesse:

(1) die Anzahl Sn,m der Partitionen einer n-elementigen Menge X in m Blocke(Aquivalenzklassen), also aller Mengensysteme {Z1, ..., Zm}mit der Eigen-schaft, dass Z1 ∪ ... ∪ Zm = X und Zj 6= ∅, aber Zj ∩ Zk = ∅ fur j 6=k gilt,

(2) die Anzahl Pn,m der Isomorphietypen solcher Partitionen bzw. Aqui-valenzrelationen,

(3) die entsprechende Anzahl Son,m der geordneten Partitionen, d.h. aller Fol-

gen (Z1, ..., Zm) mit der in (1) genannten Eigenschaft,

(4) und schließlich die Anzahl P on,m der aus (3) gewonnenen Isomorphietypen.

Die Zahlen Sn,m heißen Stirlingsche Zahlen zweiter Art.

In Analogie zu Beispiel 1.19 erhalten wir hier

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Beispiel 1.22 Partitionen einer 5-elementigen Menge und ihre Typen

Blockzahl m Partition Typ Automorphismen Anzahl S5,m

1 (∗∗∗∗∗) z15 1! · 5!1 = 120 1 1

2 (∗)(∗∗∗∗) z11z

14 1! · 1!1 · 1! · 4!1 = 24 5

(∗∗)(∗∗∗) z12z

13 1! · 2!1 · 1! · 3!1 = 12 10 15

3 (∗)(∗)(∗∗∗) z21z

13 2! · 1!2 · 1! · 3!1 = 12 10

(∗)(∗∗)(∗∗) z11z

22 1! · 1!1 · 2! · 2!2 = 8 15 25

4 (∗)(∗)(∗)(∗∗) z31z

12 3! · 1!3 · 1! · 2!1 = 12 10 10

5 (∗)(∗)(∗)(∗)(∗) z51 5! · 1!5 = 120 1 1

Die Stirlingschen Zahlen zweiter Art hangen eng mit der Anzahl der surjektivenFunktionen zusammen, deren Bestimmung wir uns noch aufgehoben hatten:

Satz 1.23 Sowohl die Anzahl der surjektiven Funktionen von einer n-elementi-gen auf eine m-elementige Menge als auch die Anzahl So

n,m der geordneten Par-titionen von n Elementen in m Blocke ist m! · Sn,m .

Beweis. Da man ebensoviele Anordnungen wie Permutationen einer endlichenMenge hat, gibt es insbesondere m! Moglichkeiten, aus einer (ungeordneten)Partition {Z1, ..., Zm} durch Vorgabe einer Reihenfolge der Blocke eine geord-nete Partition (Z1, ..., Zm) zu machen. Aus Sn,m Partitionen werden so m! ·Sn,m

geordnete Partitionen von n Elementen mit m Blocken. Andererseits entspre-chen die geordneten Partitionen (Z1, ..., Zm) einer n-elementigen MengeX bijek-tiv den surjektiven Funktionen von X auf m, indem man jeder solchen FunktionF die Folge (F−1[{1}], ..., F−1[{m}]) der Urbildmengen zuordnet. �

Satz 1.24 (1) Die Anzahl aller Partitionen einer Menge mit n Elementen ist

Sn =

n∑m=0

Sn,m

und erfullt die Rekursion

S0 = 1, Sn =

n−1∑m=0

(n− 1

m

)Sm (n > 0) .

(2) Die Anzahl der geordneten Partitionen einer n-elementigen Menge ist

Son =

n∑m=0

m! · Sn,m

und erfullt die Rekursion

So0 = 1, So

n =

n−1∑m=0

(n

m

)Som (n > 0) .

Beweis. (1) Sei X = {x1, ..., xn}. Aus jeder Partition einer m-elementigenTeilmenge Y von X \ {xn} gewinnt man eine Partition von X, indem man

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(X \ Y ) ∪ {xn} als Block hinzunimmt. Auf diese Weise entsteht jede Partitionvon X genau einmal. Da man

(n−1m

)Moglichkeiten fur Y hat, ergibt Summation

uber alle Teilmengen von X \ {xn} die Behauptung.

(2) Die geordneten Partitionen (Z1, ..., Zk) von X entsprechen bijektiv den ge-ordneten Partitionen (Z1, ..., Zk−1) der echten Teilmengen X\Zk. Diesmal ergibtsich die behauptete Rekursion durch Summation uber alle echten Teilmengenvon X; das sind jeweils

(nm

)viele mit m Elementen. �

Mit Hilfe der nachfolgenden Regeln kann man die Stirling-Zahlen zweiterArt sowohl rekursiv als auch explizit bestimmen. Achten Sie auf die Ahnlichkeit,aber auch auf die feinen Unterschiede zu dem entsprechenden Satz 1.18 uber dieStirling-Zahlen erster Art!

Satz 1.25 Die Stirling-Zahlen zweiter Art erfullen folgende Gleichungen:

(1) Sn,0 = Sn,m = 0 fur m > n > 0, sowie Sn,n = 1 fur n ≥ 0.

(2) Sn,m = Sn−1,m−1 +m · Sn−1,m fur n > m > 0.

(3) xn =∑n

m=0 Sn,m · (x)m.

(4) Sn,m =∑ n!∏n

k=1mk! · k!mk,

wobei uber alle Folgen (m1, ...,mn)∈N0n mit m=

∑nk=1mk und n=

∑nk=1 k ·mk

zu summieren ist.

Beweis. (1) ist wieder direkt an der Definition abzulesen.

(2) Es gibt Sn−1,m−1 Partitionen von n−1 mit m−1 Blocken, die durch Erganzenmit dem Einerblock {n} eine Partition von n mit m Blocken ergeben. Außerdemgibt es m·Sn−1,m Partitionen, die aus einer Partition von n−1 entstehen, indemman n in einen der m Blocke einfugt.

(3) Wir klassifizieren die Abbildungen F von n in k nach ihren Bildmengen

F [n] ⊆ k. Es gibt(k)mm!

solche Teilmengen Y von k mit m Elementen, und zu

jeder dieser Mengen Y haben wir nach Satz 1.23 m! · Sn,m Surjektionen vonn auf Y , die als Funktionen von n nach k angesehen werden konnen. DurchSummation uber alle Teilmengen von k ergibt sich die Anzahl aller Funktionenvon n nach k, also (unter Beachtung von Sn,0 = Sn,m = 0 fur m > n > 0):

kn =∑k

m=0

(km

)m! · Sn,m =

∑nm=0 Sn,m · (k)m .

Daher ist

xn −∑n

m=0 Sn,m · (x)m

ein Polynom vom Grad ≤ n mit den n+1 Nullstellen k = 0, ..., n; folglich musses das Nullpolynom sein (Identitatsprinzip).

(4) folgt aus Satz 1.21 durch Summation. �

Die traditionelle Konvention, die Stirling-Zahlen erster Art mit kleinem sund die zweiter Art mit großem S zu bezeichnen, ist nicht gerade suggestiv, dennein Vergleich von 1.18(4) mit 1.25 (4) zeigt die generell gultige Ungleichung

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Sn,m ≤ sn,m.

Die explizite Formel 1.25 (4) ist wegen der vielen Summanden zur Berechnungder Zahlen Sn,m wenig geeignet. Viel besser ist die folgende Formel:

Satz 1.26 Fur alle m,n ∈ N0 gilt:

Sn,m =1

m!

m∑k=0

(m

k

)(−1)m−k kn .

Beweis. Bei festgehaltenem n betrachten wir die Folgen mit den Gliedern

ck = k! · Sn,k und dk = kn =

k∑m=0

(k

m

)m! · Sn,m =

k∑m=0

(k

m

)cm.

Binomial-Inversion (1.12) ergibt

k! · Sn,k =

k∑m=0

(k

m

)(−1)k−mmn.

Nach Division durch k! und anschließender Vertauschung von k und m wirddaraus die behauptete Gleichung. �

Nun konnen wir auch die Frage beantworten, wie die Stirling-Zahlen ersterund zweiter Art miteinander zusammenhangen. In den Polynomgleichungen

xn =∑n

m=0 Sn,m (x)m und

(x)n =∑n

m=0 S−n,mx

m mit S−n,m = (−1)n−msn,m

haben nicht nur die Monome xm, sondern auch die Faktoriellen (x)m den Gradm, bilden also Basen der Polynomraume. Als unmittelbare Anwendung des In-versionsprinzips (siehe Ende des Abschnitts 1.1) resultiert daraus die

Folgerung 1.27 Die Matrix (S−n,m) der alternierenden Stirling-Zahlen ersterArt ist invers zur Matrix (Sn,m) der Stirling-Zahlen zweiter Art.

Wir stellen das Dreieck der Stirling-Zahlen zweiter Art dem Dreieck deralternierenden Stirling-Zahlen erster Art gegenuber:

n m 0 1 2 3 4 5 0 1 2 3 4 50 1 11 0 1 S−n,m 0 1 Sn,m

2 0 −1 1 0 1 13 0 2 −3 1 0 1 3 14 0 −6 11 −6 1 0 1 7 6 15 0 24 −50 35 −10 1 0 1 15 25 10 1

Uberprufen Sie, dass das Produkt der linken mit der rechten Matrix (beidedurch Nullen erganzt) tatsachlich die Einheitsmatrix ergibt!

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Wahrend die Abzahlung von Isomorphietypen fast immer erheblich schwie-riger ist als die aller entsprechenden

”nummerierten” Objekte, geht es im Falle

der geordneten Partitionen ausnahmsweise recht einfach: Die Isomorphietypengeordneter Partitionen der Menge n in m Blocke entsprechen den Darstellungender Zahl n als Summe von positiven ganzen Zahlen, wobei es auf die Reihenfolgeankommt:

Beispiel 1.28 Die Summenzerlegungen der Zahl 5 als Isomorphietypen allergeordneten Partitionen einer 5-elementigen Menge

Summanden Anzahl

1 5 12 4 + 1, 3 + 2, 2 + 3, 1 + 4 43 3 + 1 + 1, 2 + 1 + 2, 2 + 2 + 1, 1 + 3 + 1, 1 + 2 + 2, 1 + 1 + 3 64 2 + 1 + 1 + 1, 1 + 2 + 1 + 1, 1 + 1 + 2 + 1, 1 + 1 + 1 + 2 45 1 + 1 + 1 + 1 + 1 1

Die Zahlen in der rechten Spalte kommen uns bekannt vor... und in der Tat gilt:

Satz 1.29 Die Anzahl P on,m der Summendarstellungen der Zahl n mittels m

positiver Summanden unter Beachtung der Reihenfolge ist gleich

(n−1

m−1

).

Folglich kann P on,m rekursiv aus den folgenden Gleichungen gewonnen werden:

P on,1 = P o

n,n = 1, P on,m = P o

n−1,m + P on−1,m−1 (1 < m < n).

Beweis. Wieder einmal kommt uns eine Bijektion zu Hilfe: Fur jede Summen-darstellung n = n1 + n2 + ...nm mit nk ∈ N ist

{n1, n1+ n2, ..., n1+ ...+ nm−1} eine (m−1)-elementige Teilmenge von n−1.

Umgekehrt gewinnt man aus jeder Teilmenge {k1, ..., km−1} der Menge n−1 mitk1 < ... < km−1 eine Summendarstellung

n = n1 + ...+ nm

durch nj = kj − kj−1 fur 1 ≤ j ≤ m, wobei k0 = 0 und km = n zu setzen ist.

Die beiden Prozesse sind offensichtlich zueinander invers, so dass wir eine bijek-tive Funktion zwischen der Gesamtheit aller Summendarstellungen von n durchm positive Summanden und dem System aller (m−1)-elementigen Teilmengender Menge n−1 erhalten. �

Bleibt die Aufgabe, die Anzahl Pn,m der Isomorphietypen von ungeordnetenPartitionen, d.h. von Aquivalenzrelationen auf n mit m Klassen zu bestimmen.Diese Typen entsprechen offenbar den Summendarstellungen von n durch posi-tive ganze Zahlen, diesmal ohne Beachtung der Reihenfolge. Um hier eindeutigeDarstellungen zu sichern, ordnet man die Summanden am besten in absteigender(oder aufsteigender) Reihenfolge.

Von Beispiel 1.28 bleiben also nur folgende Zerlegungen der 5 ubrig:

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1 5 12 4 + 1, 3 + 2 23 3 + 1 + 1, 2 + 2 + 1 24 2 + 1 + 1 + 1 15 1 + 1 + 1 + 1 + 1 1

So simpel die Aufgabe der Bestimmung der Zahlen Pn,m auf den ersten Blickaussieht, so tuckisch erweist sie sich bei grundlicher Betrachtung. Bis heuteist anscheinend keine kurze und leicht auswertbare explizite Formel fur diesePartitionszahlen bekannt! Allerdings gibt es eine einfache Rekursionsformel, ausder man die gesuchten Zahlen relative schnell gewinnen kann:

Satz 1.30 Es ist Pn,1 = Pn,n = 1, Pn,m = 0 fur n < m, und fur m < n gilt

Pn,m =

m∑k=1

Pn−m,k.

Beweis. Nur die Rekursionsformel bedarf einer Erlauterung. Ist n = n1 +...+nmeine absteigend geordnete Zahlpartition mit genau m−k Summanden 1, so bildetman die Zahlpartition n−m = (n1−1) + ...+ (nk−1) = (n1−1) + ...+ (nm−1)(die letzten m−k Summanden sind 0 und werden weggelassen). Auf diese Weiseerhalt man alle Zahlpartitionen von n−m in k Summanden genau einmal. Um-gekehrt rekonstruiert man aus den Zahlpartitionen n′1 + ...+ n′k von n−m in kSummanden je eine Zahlpartition von n, namlich

n = (n′1 + 1) + ...+ (n′k + 1) + 1 + ...+ 1,

wobei m−k Einsen angefugt werden. Auf diese Weise bekommt man eine Bijek-tion zwischen der Menge aller Zahlpartitionen von n in m Summanden und derdisjunkten Vereinigung der Partitionen der Zahl n−m in k ≤ m Summanden.

Uber Eigenschaften und Große der”Partitionszahlen”

Pn =

n∑m=1

Pn,m

gibt es lange und sehr komplizierte Abhandlungen. Wegen Satz 1.30 ist

Pn,m = Pn−m fur 2m ≥ n.

Was man selten findet, sind die folgenden expliziten Formeln fur die ZahlenPn,m mit kleinen Werten von m. Wir erwahnen ohne Beweis:

Satz 1.31 Fur alle n ∈ N gilt unter Verwendung der Gaußklammer

bxc = max{z ∈ Z | z ≤ x}:

Pn,1 = 1

Pn,2 = b12nc

Pn,3 = b 1

12n2 +

1

2c.

21

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Tabelle der Permutations- und Partitionszahlen

ungeordnete geordnete ungeordnete geordnetePermutationen Partitionen Partitionen Zahlpartitionen Zahlpartitionen

n∑n

m=0 sn,m =n!∑n

m=0 Sn,m = Sn

∑nm=0m!Sn,m =So

n

∑nm=1Pn,m =Pn

∑nm=1

(n−1m−1

)=2n−1

0 1 1 1 1 01 1 1 1 1 12 2 2 3 2 23 6 5 13 3 44 24 15 75 5 85 120 52 541 7 166 720 203 4683 11 327 5040 877 47293 15 648 40320 4140 545835 22 1289 362880 21147 7087261 30 256

10 3628800 115975 102247563 42 51211 39916800 678570 1622632573 56 102412 479001600 4213597 28091567595 77 204813 6227020800 27644437 526858348381 101 409614 87178291200 190899322 10641342970443 135 819215 1307674368000 1382958545 230283190977853 176 16384

Zum Schluss wollen wir noch die Anzahl aller geordneten Partitionen(Z1, ..., Zk) mit einer vorgegebenen Folge (m1, ...,mk) von Blockgroßen bestim-men. Dazu betrachten wir (in naheliegender Verallgemeinerung der Binomial-koeffizienten) die Multinomialkoeffizienten:(

nm1 . . .mk

)=

n!

m1! . . .mk!=

(nm1

)(n−m1

m2 . . .mk

), speziell

(n

m n−m

)=

(nm

).

Die Multinomialkoeffizienten lassen vielerlei Interpretationen zu. Abweichendvon den Standardbeispielen wahlen wir einen ordnungstheoretischen Zugang,der die Beweise vereinfacht: Eine totale Quasiordnung ist eine transitive Rela-tion v, in der je zwei Elemente miteinander vergleichbar sind (kommt noch dieAntisymmetrie hinzu, so haben wir eine lineare Ordnung; aber das wird hiernicht gefordert). Wir schreiben x @ y, falls x v y, aber nicht y v x gilt (das istnicht das gleiche wie x v y und x 6= y !) Die Hohe eines Elements x ist das ma-ximale h, zu dem es eine Kette x1 @ · · · @ xh = x gibt. Totale Quasiordnungenstellt man sich am besten als Molekulketten vor:

sss Hohe 1

Hohe 2

Hohe 3

Hohe 4

ssssss

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Definiert man den Typ einer endlichen totalen Quasiordnung als die Folge(m1, ...,mk), wobei mj die Anzahl der Elemente der Hohe j bezeichnet undm1 + ...+mk die Anzahl aller Elemente ist, so sieht man wie bei der analogenSituation von Permutationen und Partitionen, dass zwei totale Quasiordnungengenau dann isomorph sind, wenn sie den gleichen Typ haben, und dass dieAutomorphismenzahl sich aus dem Typ (m1, ...,mk) als Produkt m1! · · · · ·mk!ergibt (weil nur Elemente gleicher Hohe miteinander permutiert werden durfen).

Satz 1.32 Fur positive ganze Zahlen m1, ..., mk mit m1 + ...+mk = n ist(n

m1...mk

)(1) die Anzahl der totalen Quasiordnungen auf n mit der Gesamthohe k und

mj Elementen der Hohe j

(2) die Anzahl aller geordneten Partitionen (Z1, ..., Zk) von n mit |Zj | = mj

(3) der Koeffizient von xm11 · ... · xmk

k in dem Polynom (x1 + ...+ xk)n

(4) die Anzahl der Worter, die man aus den Buchstaben b1, ..., bk bilden kann,wobei der Buchstabe bj jeweils mj-mal auftritt (j = 1, ..., k).

Beweis. (1) Die Anzahl der isomorphen Kopien einer totalen Quasiordnung Tvom Typ (m1, ...,mk) ist nach der obigen Bemerkung uber die Automorphismen

gleich n!/a(T ) =n!

m1! . . .mk!.

(2) Die totalen Quasiordnungen auf n entsprechen offenbar bijektiv den geord-neten Partitionen, indem man jede solche geordnete Partition (Z1, ..., Zk) aufdie folgende Quasiordnung abbildet:

R = {(x, y) | ∃ i ≤ j ≤ k (x ∈ Zi, y ∈ Zj)} .

(3) Beim Ausmultiplizieren der Klammern hat man mj-mal den Faktor xj aus-zuwahlen, um das Produkt xm1

1 · ... · xmk

k zu erhalten. Fur diese Auswahlen gibt

es nach (2)n!

m1! . . .mk!Moglichkeiten.

(4) ist im Wesentlichen eine Umformulierung von (3). �

Beispiel 1.33 Alle sinnigen und unsinnigen Worter mit 4 Buchstaben aus demAlphabet {l, o, p} , wobei l einmal, o zweimal und p einmal verwendet werdendurfen:

loop, lopo, lpoo, oolp, oopl, olop, opol, olpo, oplo, pool, polo, ploo.

Das sind 12 =4!

1!2!1!Worter.

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1.4 Summen und Differenzen

Vor der Entdeckung der Grundprinzipien der Integral- und Differentialrech-nung hat Gottfried Wilhelm Leibniz im 17. Jahrhundert (parallel zu NewtonsErkenntnissen) die diskrete Vorstufe dieser Theorie entwickelt, namlich denSummen- und Differenzenkalkul. Fur eine elegante Formulierung dieser Theorieeignen sich lineare Operatoren auf der Menge der reellen oder komplexen Funk-tionen bzw. Folgen (oder auf anderen Vektorraumen). Einige der nachfolgendenKonzepte und Aussagen funktionieren auch noch fur beliebige abelsche Grup-pen oder zumindest fur Ringe oder Korper an Stelle von C, aber darauf gehenwir nicht naher ein.

Aus der linearen Algebra ist bekannt, dass die linearen Operatoren auf ei-nem Vektorraum (auch Endomorphismen genannt) eine Algebra bilden, d.h.einen Vektorraum zusammen mit einer assoziativen und uber der Addition dis-tributiven, aber meist nicht kommutativen Multiplikation, die hier durch dieHintereinanderausfuhrung gegeben ist. Insbesondere kann man fur jeden linea-ren Operator P durch n-fache Iteration die n-te Potenz Pn bilden. Induktiverhalt man die folgende Binomialentwicklung:

Lemma 1.34 Sind P und Q vertauschbare lineare Operatoren (d.h. PQ=QP ),so gilt

(P +Q)m =

m∑k=0

(m

k

)P kQm−k.

Vorsicht! Diese Gleichung ist nur dann sicher, wenn P mit Q vertauschbar ist!

Wir definieren den Vorwarts-Differenzenoperator ∆, den Ruckwarts-Differenzen-operator ∇ und allgemeiner den Differenzenoperator ∆h der Schrittweite h 6= 0durch Anwendung auf Funktionen bzw. Folgen f (evtl. erganzt durch f(0) = 0):

∆f(x) = f(x+ 1)− f(x)

∇f(x) = f(x)− f(x− 1)

∆hf(x) =1

h(f(x+ h)− f(x)) .

Offenbar ist ∆ = ∆1 und ∇ = ∆−1.

Fur differenzierbares f ergeben sich Differentialquotienten und der Ableitungs-operator D = ∆0 mittels Grenzubergang h→ 0:

Df(x) = ∆0 f(x) =d

dxf(x) = lim

h→0∆hf(x)

und entsprechend erhalt man fur hohere Ableitungen:

Dmf(x) = ∆0mf(x) = lim

h→0∆h

mf(x).

Die konkrete Berechnung iterierter Differenzenoperatoren erfolgt mittels Lemma1.34, angewandt auf die (paarweise vertauschbaren!) Translationsoperatoren Thmit Th f(x) = f(x+ h), Th

kf(x) = f(x+ kh) und ∆h = 1h (Th − T0):

24

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Satz 1.35 Fur beliebige reelle oder komplexe Funktionen f gilt

∆hmf(x) =

m∑k=0

(m

k

)(−1)m−kf(x+ kh) ,

insbesondere

∆mf(x) =

m∑k=0

(m

k

)(−1)m−kf(x+k) , ∆mf(0) =

m∑k=0

(m

k

)(−1)m−kf(k) ,

f(m) =

m∑k=0

(m

k

)∆kf(0) (Binomial-Inversion).

Beispiel 1.36 Fur Monome ergeben sich folgende iterierte Differenzen:

∆mxn =

m∑k=0

(m

k

)(−1)m−k(x+ k)n =

n∑j=0

(n

j

) m∑k=0

(m

k

)(−1)m−kkn−j xj ,

∆mxn(0) =

m∑k=0

(m

k

)(−1)m−kkn = m!Sn,m .

Es erweist sich als nutzlich, Faktorielle nicht nur fur naturliche, sondern furalle ganzzahligen

”Exponenten” zu definieren: Fur x ∈ C und n ∈ Z ist die n-te

Faktorielle mit Schrittweite h 6= 0 gegeben durch

(x)nh = 1 fur n = 0,

(x)nh = x(x+ h)(x+ 2h)...(x+ (n−1)h) fur n > 0,

(x)nh = ((x− h)(x− 2h)...(x− |n|h))−1 fur n < 0,

wobei der letzte Ausdruck nur definiert ist, falls das Produkt nicht Null wird.Als Spezialfalle bekommt man fur h = 0 die Potenzen xn = (x)n0 , fur h = 1 diewachsenden Faktoriellen (x)n = (x)n1 , und fur h = −1 die fallenden Faktoriellen(x)n = (x)n−1. In Satz 1.7 erwahnten wir schon das allgemeine Binomialtheorem

(x+ y)nh =

n∑m=0

(n

m

)(x)mh (y)n−mh .

Die bekannte Ableitungsregel fur Monome

Dxn =d

dxxn = nxn−1

erhat man durch Grenzubergang h→ 0 aus folgender diskreter Version:

Satz 1.37 Sofern die entsprechenden Ausdrucke definiert sind, gilt

∆h (x)n−h = n (x)n−1−h , insbesondere

∆ (x)n = n (x)n−1, ∇(x)n = n (x)n−1.

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Beweis. Fur n = 0 ist ∆h (x)n−h = 1h (1− 1) = 0 = 0 · (x)−1

−h.

Fur n > 0 haben wir

∆h (x)n−h = h−1((x+h)x(x−h)...(x− (n− 2)h)−x(x−h)...(x− (n− 1)h))

= h−1nhx(x− h)...(x− (n− 2)h) = n (x)n−1−h ,

und fur n < 0 ergibt sich

∆h (x)n−h = h−1(1

(x+ 2h)...(x+ (|n|+ 1)h)− 1

(x+ h)...(x+ |n|h))

= h−1 (x+ h)− (x+ (|n|+ 1)h)

(x+ h) ... (x+ (|n|+ 1)h)= n (x)n−1

−h .

Durch iterierte Anwendung der eben bewiesenen Gleichungen gelangt man zu

Folgerung 1.38 Fur m,n ∈ N0 mit m ≤ n gilt:

∆hm (x)n−h = (n)m (x)n−m−h und ∆h

n (x)n−h = n! , speziell

∆m (x)n = (n)m (x)n−m und ∆n (x)n = n! ,

∇m (x)n = (n)m (x)n−m und ∇n (x)n = n! .

Diese Identitaten entsprechen naturlich den Differentiationsregeln

Dmxn =dm

dxxn = (n)m xn−m und

dn

dxxn = n! .

Auch die Taylorentwicklung hat ein diskretes Analogon, namlich die Newton-Darstellung von Polynomen:

Satz 1.39 Fur n ∈ N0, c ∈ C∗ und beliebige reelle oder komplexe Funktionen fsind folgende Aussagen aquivalent:

(a) f ist ein Polynom n-ten Grades mit Leitkoeffizient c.

(b) ∆mh f ist fur m≤n ein Polynom (n−m)-ten Grades mit Leitkoeffizient (n)mc.

(c) f(x) =

n∑m=0

∆mh f(0)

m!(x)m−h und ∆n

h f(0) = n! c.

Beweis. (a) ⇒ (b) : Wegen der Linearitat des Differenzenoperators ∆ muss mannur Faktorielle (x)n−h betrachten, da diese eine Basis des Polynomraumes bilden.

Die Gleichung ∆mh (x)n−h = (n)m (x)n−m−h gilt nach 1.38, und (x)n−m−h ist ein

normiertes Polynom vom Grad n−m.

(b) ⇒ (a) : Spezialisierung m = 0.

(a) ⇒ (c) : f is Linearkombination der Basisvektoren (x)m−h. Nach 1.38 gilt:

f(x) =∑ak (x)k−h =

∑ak∑n

m=01m! ∆m

h (x)k−h(0) (x)m−h =∑n

m=0∆ m

h f(0)m! (x)m−h.

(c) ⇒ (a) : Offensichtlich, da (x)m−h ein normiertes Polynom vom Grad m ist. �

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Der Fall h = 1 verdient besondere Erwahnung:

Folgerung 1.40 Jedes Polynom n-ten Grades hat die Newton-Darstellung

f(x) =

n∑m=0

∆mf(0)

m!(x)m =

n∑m=0

∆mf(0)

(x

m

).

Beispiel 1.41 Wir wenden die Newton-Darstellung auf die Identitat 1.25 (3)fur die Stirling-Zahlen zweiter Art an:

f(x) = xn =

n∑m=0

Sn,m (x)m .

Wegen der Eindeutigkeit der Koeffizienten in der Summendarstellung wissen wir

Sn,m =∆mf(0)

m!=

1

m!

m∑k=0

(m

k

)(−1)m−kkn (siehe 1.35).

Das ist die fruher mittels Binomial-Inversion gefundene Darstellung.

Die Aquivalenz (a) ⇔ (b) in Satz 1.39 ist schon fur den Fall m = n−1interessant (und wird oft mit einem aufwandigen Induktionsbeweis begrundet):

Folgerung 1.42 Eine Funktion f ist genau dann ein Polynom n-ten Grades,wenn ∆hf ein Polynom (n−1)-ten Grades ist. Dies tritt genau dann ein, wenn∆n

h f 6= 0, aber ∆n+1h f = 0 ist.

So wie in der Analysis die Integration als Umkehrung der Differentiationangesehen werden kann, ist die Inversion der Differenzenoperatoren das passendeWerkzeug, um kombinatorische Summen zu berechnen – und Leibniz hat diesvor der Entwicklung seiner Integrationstheorie getan. Wir definieren dazu dielinearen Summenoperatoren Σn

h durch

Σnh f(x) =

n∑k=1

h f(x+ (k−1)h).

Sie sind in folgendem Sinn”fast invers” zu den entsprechenden Differenzen-

operatoren:

Lemma 1.43 Fur h ∈ C∗, n ∈ N0 und beliebige Funktionen f ∈ CC gilt

∆hΣnhf(x) = Σn

h∆hf(x) = f(x+ nh)− f(x), d.h.

∆h ◦ Σnh = Σn

h ◦∆h = nh∆nh.

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Beweis. Es ist

∆hΣnhf(x) = Σn

h∆hf(x) =∑n

k=1(f(x+kh)−f(x+(k−1)h)) = f(x+nh)−f(x),

denn in dieser”Teleskop-Summe” bleibt nur der erste und der letzte Term ubrig,

alle anderen heben sich paarweise gegeneinander auf. �

So einfach dieses Lemma sich beweisen lasst, so vielfaltig ist es in den An-wendungen. Zum Beispiel erhalt man durch ein paar konvergenztheoretischeZusatzuberlegungen, indem man y = x + nh bzw. h = y−x

n setzt und n gegenunendlich laufen lasst, den Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung:

Ist F eine Stammfunktion von f , d.h. DF = f , so ist das bestimmte Integral∫ y

x

f(t)dt = limn→∞

Σny−xn

f(x) = F (y)− F (x).

Daneben enthalt Lemma 1.43 einige wertvolle kombinatorische Spezialfalle, zumBeispiel die folgenden

”diskreten” Versionen des Hauptsatzes:

Satz 1.44 Fur zwei Folgen f und F aus CN gilt:

(1) f = ∆F ist aquivalent zu∑n

k=m f(k) = F (n+ 1)− F (m) fur m ≤ n.

(2) f = ∇F ist aquivalent zu∑n

k=m+1 f(k) = F (n)− F (m) fur m ≤ n.

Insbesondere ist f = ∇F aquivalent zu Σ f = F , wobei F (0) = 0 zuerganzen ist und Σf definiert wird durch

Σf(n) =

n∑k=1

f(k).

Aus Satz 1.39 ziehen wir fur den Spezialfall n = m+ 1 noch die nutzliche

Folgerung 1.45 Eine Folge f ist genau dann polynomial vom Grad m mit Leit-koeffizient c, wenn Σf polynomial vom Grad m+1 mit Leitkoeffizient c

m+1 ist.

Beispiel 1.46 Betrachten wir die spezielle Zahlenfolge, die durch Summationder Quadratzahlen entsteht, und die iterierten Differenzen dieser Folge:

s(n) =

n∑k=1

k2 = 12 + 22 + ...+ n2.

n 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9s(n) 0 1 5 14 30 55 91 140 204 285

∆1s(n) 1 4 9 16 25 36 49 64 81∆2s(n) 3 5 7 9 11 13 15 17∆3s(n) 2 2 2 2 2 2 2∆4s(n) 0 0 0 0 0 0

s(n) muss wegen ∆ s(n) = n2 ein Polynom dritten Grades in n sein.

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Die Koeffizienten des Polynoms s(n) lassen sich nun durch ein lineares Glei-chungssystem bestimmen, das aus der Differenzengleichung s(n+1)−s(n) = n2

resultiert (das konstante Glied s(0) muss 0 sein):

s(n) = an3 + bn2 + cn ,

∆s(n) = a(n+ 1)3 + b(n+ 1)2 + c(n+ 1)− an3 + bn2 + cn

= 3an2 + (3a+ 2b)n+ (a+ b+ c) = n2 ,

a =1

3, b = −1

2, c =

1

6,

s(n) =1

3n3 − 1

2n2 +

1

6n =

1

6n(n− 1)(2n− 1) .

Nach der gleichen Methode kann man im Prinzip immer vorgehen, um diesummatorische Folge F = Σ f einer polynomialen Folge f vom Grad n zu be-stimmen: Die Differenzengleichung ∆F = f fuhrt auf ein lineares Gleichungs-system fur die Koeffizienten des Polynoms F . In der Praxis kann dies aber sehrmuhselig werden, und andere Wege fuhren manchmal schneller zum Ziel.

Die folgende Aufgabe und ihre Losung war bereits in der Antike bekannt.

Beispiel 1.47 Durch Aufsummieren der ersten n naturlichen Zahlen entstehendie sogenannten Dreieckszahlen, d.h. die Anzahlen der Punkte (oder Kreise),aus denen man gleichseitige Dreiecke mit n Punkten an jeder Kante aufbaut:f

1 3 6 10 15

fff ffffff fffffffffffffffffffffffff

Wie der sechsjahrige Schuler Carl Friedrich Gauß schon wusste, kommt dabeiFolgendes heraus:

p2(n) = 1 + 2 + 3 + ...+ n =

n∑k=1

k =n(n+ 1)

2=

(n+ 1

2

).

Ebenso ergeben sich durch Aufsummieren der ersten n Dreieckszahlen diesogenannten Pyramidenzahlen, welche die Anzahl der benotigten Punkte (oderKugeln) angeben, um gleichseitige Tetraeder (d.h. Dreieckspyramiden) mit nPunkten an jeder Kante aufzubauen:

p3(n) = p2(1) + ...+ p2(n) =

n∑k=1

p2(k) =n(n+ 1)(n+ 2)

6=

(n+ 2

3

).

Dass diese Formel richtig ist, zeigt man muhelos durch Induktions-Routine.Sie zu finden, ist eine andere Sache. Eine Moglichkeit ist die oben angedeuteteMethode der Koeffizientenbestimmung durch ein lineares Gleichungssystem.

Aber jetzt wagen wir uns in hohere Dimensionen und fragen nach der An-zahl pm(n) von Punkten, die zum Aufbau von m-dimensionalen gleichseitigen

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Dreieckspyramiden mit n Punkten an jeder Kante notig sind. Da wir simultanfur alle Dimensionen eine Losung finden wollen, ist der Ansatz des Koeffizien-tenvergleichs hier ziemlich hoffnungslos. Stattdessen nutzen wir aus, dass einem-dimensionale Dreieckspyramide mit n Kantenpunkten aus einer mit n−1 Kan-tenpunkten durch Anfugen einer (m−1)-dimensionalen Dreieckspyramide mit nKantenpunkten entsteht. Damit gelangen wir (trotz der Visualisierungsproble-matik hoher Dimensionen) zu der Rekursionsformel

pm(n) = pm(n− 1) + pm−1(n) =

n∑k=1

pm−1(k),

die uns stark an das Pascal-Dreieck erinnert und

pm(n) =

(n+m−1

m

)vermuten lasst. Und in der Tat folgt diese Gleichung sofort aus der Rekursionmit dem Induktionsbeginn

pm(0) = 0 =

(m− 1

m

), pm(1) = 1 =

(m

m

):

pm(n) = pm(n−1) + pm−1(n) =

(n+m−2

m

)+

(n+m−2

m−1

)=

(n+m−1

m

).

Uberraschenderweise ist also die n-te m-dimensionale Pyramidenzahl pm(n)gleich der Anzahl der monotonen Funktionen von einer m- in eine n-elementigeMenge (siehe Satz 1.10).

Im letzten Beispiel suchen wir eine polynomiale Formel fur Potenzsummen.

Beispiel 1.48 Betrachte die Potenzsummen m-ten Grades∑n

k=1 km.

Die Formel (3) aus Satz 1.25 lautet nach Variablen-Umbenennung

nm =

m∑k=0

Sm,k · (n)k.

Nun ist aufgrund von 1.38 und 1.44

∆(n)k = k · (n)k−1, Σ (n)k =1

k+1(n+1)k+1,

und wegen der Linearitat des Summenoperators folgt

Σ (nm) =

n∑k=1

km =

m∑k=0

Sm,k

k+1(n+1)k+1,

wobei (n + 1)k+1 ein Polynom in n vom Grad k+1, also die rechte Seite einPolynom vom Grad m+1 ist. Mit Hilfe der alternierenden Stirling-Zahlen er-ster Art kann man schließlich noch die Koeffizienten dieser Polynome explizitbestimmen. Eine elegantere Methode mit Hilfe erzeugender Funktionen werdenwir spater kennen lernen.

30