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16 AWV-Informationen 5/2017 Im Projekt „Hierda“ setzt sich ein Verbundnetz aus Wissenschaft und Wirtschaft mit der Huma- nisierung digitaler Arbeit durch Coworking-Spaces auseinander. Das Projekt ist aus der Ausschrei- bung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) zum Thema „Arbeit in der digitali- sierten Welt: Sharing Economy als Auslöser von Arbeitsinnovationen“ hervorgegangen. Gefördert wird das Projekt „Hierda“ vom BMBF sowie dem Europäischen Sozial- fonds für Deutschland, der Pro- jektträger ist das PTKA vom Karls- ruher Institut für Technologie. Potentiale und Risiken digitaler Arbeit in „Coworking-Spaces“ In der heutigen Gesellschaft ermöglicht das vernetzte Arbeiten eine ständige Dynamik hinsicht- lich der Konstellation von Teams sowie deren örtlicher und zeitli- cher Zusammenkunft. Um die- ser Freiheit und Selbstbestimmt- heit in der digitalen Welt gerecht zu werden, haben sich sogenannte Coworking-Spaces entwickelt. Coworking-Spaces, auch Cowork- Spaces genannt, sind offen gestaltete und gemeinschaftlich genutzte Büroflächen. Anstelle von Einzelbüros tritt ein offenes Bürokonzept mit Arbeitsplätzen und anderen Sitz- und Stehgele- genheiten zum Arbeiten. Cowor- king-Space Nutzer können dort – meist gegen eine Gebühr – einen Arbeitsplatz mieten. Sie profitie- ren dabei nicht nur von der zur Verfügung gestellten Büroinfra- struktur, sondern auch vom sozi- Professor Dr. Ricarda B. Bouncken | Lars Görmar | Dr. Andreas J. Reuschl Universität Bayreuth, Lehrstuhl für Strategisches Management und Organisation Coworking in der digitalisierten Welt Vorstellung des Projekts „Hierda“ alen Umfeld in Form von fachli- cher Inspiration und Gesellschaft zur Gestaltung der Pausen. Dies spiegelt sich zumeist auch in der räumlichen Gestaltung der Frei- zeiträume mit Kicker-Tischen, Hang-Out-Areas, Sitzecken u.ä. wider. Neben der räumlichen Gestaltung sind aber abhän- gig vom Definitionsansatz auch die Mentalität und die verfolgten Ziele relevant. Demnach kann ein Coworking-Space nur erfolgreich sein, wenn Betreiber und Nut- zer einen offenen, gemeinschaft- lichen und kreativen Austausch- prozess in Gang setzen und eine Community aufbauen können. So sollen insbesondere Produkt- und Geschäftsmodellinnovationen ermöglicht werden. Coworking-Spaces sind meistens spezialisiert auf eine bestimmte Zielgruppe oder eine bestimmte Branche und stellen in ihren Räumlichkeiten verschiedenste Arten von Infrastruktur zur Ver- fügung. Dies geht von vollstän- dig ausgestatteten Arbeitsplätzen mit Internetzugang und Druckern über Labore und Testcenter bis hin zu sozialen Plätzen wie Cafés, Sitzecken und Sportmöglichkei- ten. Nutzer hiervon sind u.a. Ein- zelpersonen, aber auch kleinere Unternehmen oder Start-Ups, die sich dort zumeist zeitlich befris- tet einmieten. Neben den posi- tiven Aspekten wie Networking und Wissensaustausch sowie sozi- aler Gesellschaft gibt es jedoch viele Risiken. Aspekte wie Über- arbeitung, Selbstausbeutung und mangelnde soziale Absicherung wurden bisher dennoch wenig Am Projekt „Hierda“ sind fol- gende Institutionen beteiligt: > Universität Bayreuth, Lehrstuhl für Strategi- sches Management und Organisation > Universität Bayreuth, Lehrstuhl für Innovations- und Dialogmarketing > PwC IT Services Europe GmbH, Frankfurt am Main > WITENO GmbH, Greifs- wald Gefördert durch: > Bundesministerium für Bildung und Forschung > ESF – Europäischer Sozi- alfonds für Deutschland Ansprechpartner „Hierda“: Programm Innovationen für die Produktion,Dienstleistung und Arbeit von morgen BMBF-Referat Produktion und Dienstleis- tung; Zukunft der Arbeit (512) Projektträger Projektträger Karlsruhe (PTKA) Ansprechpartner Dipl.-Ing. Stefan Scherr Tel.: 0721 608 25286, [email protected] Die AWV – Arbeitsgemein- schaft für wirtschaftliche Verwaltung e.V. unterstützt das Projekt „Hierda“ als Verbundpartner.
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Coworking in der digitalisierten Welt - hierda.net · 18 AWV-Informationen 5/2017 Hier sind Coworking-Spaces wie Ottobock und Modul57 zu nennen. Der Consultancy Coworking-Space ist

Sep 18, 2019

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16 AWV-Informationen 5/2017

Im Projekt „Hierda“ setzt sich ein Verbundnetz aus Wissenschaft und Wirtschaft mit der Huma-nisierung digitaler Arbeit durch Coworking-Spaces auseinander. Das Projekt ist aus der Ausschrei-bung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF)zum Thema „Arbeit in der digitali-sierten Welt: Sharing Economy als Auslöser von Arbeitsinnovationen“ hervorgegangen. Gefördert wird das Projekt „Hierda“ vom BMBF sowie dem Europäischen Sozial-fonds für Deutschland, der Pro-jektträger ist das PTKA vom Karls-ruher Institut für Technologie.

Potentiale und Risiken digitaler Arbeit in „Coworking-Spaces“

In der heutigen Gesellschaft ermöglicht das vernetzte Arbeiten eine ständige Dynamik hinsicht-lich der Konstellation von Teams sowie deren örtlicher und zeitli-cher Zusammenkunft. Um die-ser Freiheit und Selbstbestimmt-heit in der digitalen Welt gerecht zu werden, haben sich sogenannte Coworking-Spaces entwickelt.

Coworking-Spaces, auch Cowork-Spaces genannt, sind offen gestaltete und gemeinschaftlich genutzte Büroflächen. Anstelle von Einzelbüros tritt ein offenes Bürokonzept mit Arbeitsplätzen und anderen Sitz- und Stehgele-genheiten zum Arbeiten. Cowor-king-Space Nutzer können dort – meist gegen eine Gebühr – einen Arbeitsplatz mieten. Sie profitie-ren dabei nicht nur von der zur Verfügung gestellten Büroinfra-struktur, sondern auch vom sozi-

Professor Dr. Ricarda B. Bouncken | Lars Görmar | Dr. Andreas J. Reuschl Universität Bayreuth, Lehrstuhl für Strategisches Management und Organisation

Coworking in der digitalisierten Welt Vorstellung des Projekts „Hierda“

alen Umfeld in Form von fachli-cher Inspiration und Gesellschaft zur Gestaltung der Pausen. Dies spiegelt sich zumeist auch in der räumlichen Gestaltung der Frei-zeiträume mit Kicker-Tischen, Hang-Out-Areas, Sitzecken u.ä. wider. Neben der räumlichen Gestaltung sind aber abhän-gig vom Definitionsansatz auch die Mentalität und die verfolgten Ziele relevant. Demnach kann ein Coworking-Space nur erfolgreich sein, wenn Betreiber und Nut-zer einen offenen, gemeinschaft-lichen und kreativen Austausch-prozess in Gang setzen und eine Community aufbauen können. So sollen insbesondere Produkt- und Geschäftsmodellinnovationen ermöglicht werden.

Coworking-Spaces sind meistens spezialisiert auf eine bestimmte Zielgruppe oder eine bestimmte Branche und stellen in ihren Räumlichkeiten verschiedenste Arten von Infrastruktur zur Ver-fügung. Dies geht von vollstän-dig ausgestatteten Arbeitsplätzen mit Internetzugang und Druckern über Labore und Testcenter bis hin zu sozialen Plätzen wie Cafés, Sitzecken und Sportmöglichkei-ten. Nutzer hiervon sind u.a. Ein-zelpersonen, aber auch kleinere Unternehmen oder Start-Ups, die sich dort zumeist zeitlich befris-tet einmieten. Neben den posi-tiven Aspekten wie Networking und Wissensaustausch sowie sozi-aler Gesellschaft gibt es jedoch viele Risiken. Aspekte wie Über-arbeitung, Selbstausbeutung und mangelnde soziale Absicherung wurden bisher dennoch wenig

Am Projekt „Hierda“ sind fol-gende Institutionen beteiligt:

> Universität Bayreuth, Lehrstuhl für Strategi-sches Management und Organisation

> Universität Bayreuth, Lehrstuhl für Innovations- und Dialogmarketing

> PwC IT Services Europe GmbH, Frankfurt am Main

> WITENO GmbH, Greifs-wald

Gefördert durch:

> Bundesministerium für Bildung und Forschung

> ESF – Europäischer Sozi-alfonds für Deutschland

Ansprechpartner „Hierda“:

Programm Innovationen für die Produktion,Dienstleistung und Arbeit von morgen

BMBF-Referat Produktion und Dienstleis-tung; Zukunft der Arbeit (512)

Projektträger Projektträger Karlsruhe (PTKA)

Ansprechpartner Dipl.-Ing. Stefan ScherrTel.: 0721 608 25286, [email protected]

Die AWV – Arbeitsgemein-schaft für wirtschaftliche Verwaltung e.V. unterstützt das Projekt „Hierda“ als Verbundpartner.

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beachtet und erforscht. Die Kon-zepte zur Ausgestaltung von Orga-nisationen, auch hinsichtlich Kommunikations- und Konflikt-management, sind in Coworking-Spaces zumeist nicht vorhanden. Daher sind Teams und gemein-same Projekte eher unbeständig und zerbrechlich. Gestaltungs-konzepte zu dieser Thematik wur-den bislang weder von der Wis-senschaft noch von der Praxis untersucht oder entwickelt.

Innovatives modularisiertes Konzept zur Humanisierung digitaler Arbeit

Diese gravierende Lücke in Wis-senschaft und Praxis wird nun u.a. durch das Forschungsprojekt „Hierda“ geschlossen. Erstma-lig sollen innovative und modula-risierte Konzepte zur Gestaltung von Organisation, Kommunikation und Konfliktmanagement entwi-ckelt werden. Im Anschluss daran werden verschiedene Instrumente erarbeitet, die beim Arbeiten in Coworking-Spaces Anwendung fin-den und der Öffentlichkeit zur Ver-fügung gestellt werden sollen.

Vom Arbeitsablauf soll zuerst die aktuelle Situation in Cowor-king-Spaces analysiert werden. Dabei wird die genaue Ausge-staltung mit Unterschieden zwi-schen Coworking-Spaces im länd-lichen und im städtischen Raum sowie mit Anbindung zu Universi-täten, Laboren oder Unternehmen sowie unabhängige Coworking-Spaces herausgestellt. Die dafür entwickelten Module für erfolgrei-che digitale Arbeit in der Zukunft beinhalten Instrumente, die die bis dahin identifizierten Kernas-pekte für erfolgreiches Arbeiten in Coworking-Spaces besser ver-ständlich machen und institutio-nalisieren sollen. Das so zusam-mengestellte Baukastensystem ermöglicht es, die jeweils benö-tigten Instrumente für individuelle Coworking-Spaces passgenau und effizient einzusetzen.

Leitfäden und Übertragung von guter Arbeit in Coworking-Spaces

In der abschließenden Rollout-Phase werden das Baukastensys-tem und die entwickelten Leitfä-den in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik verbreitet. Zur Sicher-stellung der Übertragung und Verbreitung werden Workshops durchgeführt, die zuerst bei den Umsetzungspartnern veranstal-tet und als Konzept zur Verfügung gestellt werden. Zusätzlich werden die Ergebnisse bei der Errichtung eines universitären Coworking-Spaces an der Universität Bay-reuth verwendet. Dieser Cowor-king-Space wird in Kooperation mit der regionalen Wirtschaft auf-gebaut, um die Erkenntnisse zur Humanisierung digitaler Arbeit in einem Flagship Coworking-Space zu implementieren und in weite-ren Coworking-Spaces so wie klei-nen und mittelständischen Unter-nehmen zu verbreiten.

Entwicklung der Coworking-Spaces

Die Idee des Coworking wurde im Jahr 2005 in den USA entwi-ckelt. Der Programmierer Brad Neuberg gründete den ersten Coworking-Space in San Fran-cisco als Reaktion auf die unsozi-alen Unternehmenszentren sowie das unproduktive Arbeitsleben des Home-Office. Noch im selben Jahr eröffnete in Berlin das Café St. Oberholz als erstes Café, das den Gästen kostenloses WLAN zur Verfügung stellte und das Arbei-ten an Laptops offiziell gestattete bzw. wünschte. Bereits zwei Jahre später, im Jahr 2007, war „Cowor-king“ ein Trend bei der Suchma-schine Google. Seit der Eröffnung des ersten Coworking-Spaces in Deutschland 2009 eröffnen hier-zulande monatlich neue. Damit gilt Deutschland als Vorreiter in Europa. Mittlerweile arbeiten mehr als 500.000 Personen weltweit in mehr als 2.000 Coworking-Spaces. Für 2017 wird erwartet, dass die

Anzahl an weltweiten Coworking-Space Nutzern die eine Millionen-Marke überschreitet.

Die Angebote an Coworking-Spaces werden zunehmend diver-sifizierter, während sich die einzelnen Coworking-Spaces zunehmend spezialisieren. Nutz-ten anfangs hauptsächlich Per-sonen aus der IT-Branche sowie der Kreativwirtschaft die Cowor-king-Spaces, so entstehen mittler-weile auch Coworking-Spaces in Technologieparks und Universitä-ten sowie in der freien Wirtschaft. Statt einen Coworking-Space für alle Branchen gibt es zunehmend Coworking-Spaces, die ihr Ange-bot auf eine bestimmte Zielgruppe anpassen, wie z.B. Forschungsla-bore, Testlabore für Elektronikge-räte sowie Kreativwerkstätten für handwerkliche Tätigkeiten oder auch künstlerische Aktivitäten.

Verschiedene Arten von Coworking-Spaces

Grundsätzlich können vier ver-schiedene Arten von Coworking-Spaces unterschieden werden: (1) Corporate Coworking-Spaces, (2) Open Corporate Coworking-Spaces, (3) Consultancy Cowor-king-Spaces und (4) Independent Coworking-Spaces. Im Corporate Coworking-Space ermöglicht ein Unternehmen seinen Mitarbei-tern die freie Arbeitsplatzwahl und bietet statt geschlossenen Büro-räumen freie, offene und kreativ gestaltete Arbeitsfläche an. Pro-minente Beispiele hierfür sind Google, Facebook und Apple. Im Open Corporate Coworking-Space wird diese so gestaltete Arbeitsflä-che zusätzlich für externe Cowor-king-Space Nutzer geöffnet. Dies fördert den Wissensaustausch sowie die Kreativität. Außerdem können aus den externen Nut-zern kurzfristige Projektmitarbeiter sowie langfristig neue Angestellte akquiriert werden, deren Arbeits-weise, -einstellung und -moral bereits detailliert bekannt sind.

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Hier sind Coworking-Spaces wie Ottobock und Modul57 zu nennen. Der Consultancy Coworking-Space ist nur für die eigenen Kunden geöffnet. So kann das Beratungs-unternehmen passende und inte-ressierte Unternehmen in einem moderierten Umfeld zusammen-führen und damit Innovationen vorantreiben. Das Beratungsun-ternehmen fungiert nicht nur als Moderator und Anbieter zusätz-licher Dienstleistungen, sondern auch als Leumund. Ergänzend zu den Unternehmen können zusätz-lich Mitarbeiter der anbietenden Beratung aktiv eingebunden wer-den, um Lücken in den Bereichen Wissen und Methodik zu schlie-ßen. Vorreiter ist hier PwC mit dem Experience Center in Frankfurt. Im Gegensatz zu den vorherigen Arten stehen die unabhängigen Coworking-Spaces allen Interes-sierten zur Verfügung. Freelancer, Start-Ups und Selbstständige kön-nen sich jederzeit, sofern ein Platz frei ist, in ein solches Coworking-Space einmieten. Dort gehen sie nicht nur ihrer Arbeit nach, son-dern profitieren auch von dem sozialen Umfeld, den Gemein-schaftsräumen sowie den Freizeit-möglichkeiten. Hierfür können die Coworking-Spaces Agora und Solu-tion Space als Beispiele dienen.

Relevanz von Coworking-Spaces

Ursprünglich fand das Prinzip des Coworking-Space hauptsäch-

lich im Bereich der IT und in kre-ativen Branchen Anwendung. Hier waren die Anforderungen an Arbeitsplätze gut zu erfassen und kostengünstig abzubilden. Auch der Silicon Valley Spirit war für die Entwicklung der Coworking-Spaces aus ebendiesen Branchen heraus förderlich. Mittlerweile gibt es jedoch zusätzlich auch viele Labore und Testcenter, die ihre Ausstattung an Start-Ups u. ä. ver-mieten. Der Gedanke der Nutzung von teurem Equipment in Kom-bination mit Ideenaustausch von Gleichgesinnten spielt hier ebenso eine Rolle wie die Förderung und Übernahme von Ideen durch inte-ressierte Großpartner wie Unter-nehmen aus der freien Wirtschaft.

Besonders interessant sind Cowor-king-Spaces aufgrund des hohen volkswirtschaftlichen Potentials. Aber auch das ungenutzte Poten-tial in den Bereichen Kooperation und Kommunikation für die Tech-nologie-, Geschäftsmodellentwick-lung und -innovation sowie für Gründungsaktivitäten von Grün-derteams und Unternehmen wird unterschätzt. Genau an dieser Stelle besteht die Lücke hinsicht-lich Best Practices für die Praxis mit wissenschaftlicher Fundie-rung. Welche Kooperations- und Kommunikationsmechanismen etablieren sich in den Cowor-king-Spaces? Gibt es Rollen oder Mechanismen, die sich institutio-nalisieren oder müssen sie vorge-

geben werden? Durch solche und ähnliche ungeklärte Fragen gehen Potentiale für gute Arbeit sowie für Innovation und Gründungs-erfolgen verloren und Bedrohun-gen durch u.a. Ausnutzung neh-men zu. Der Forschungsverbund „Hierda“ soll zur Aufklärung bei-tragen.

SWOT-Analyse in Expertenrunde

Im initiierenden Kick-Off-Treffen zum Projektstart wurde eine Exper-tenrunde aus Wirtschaft, Wissen-schaft und Politik einberufen. In diesem Treffen wurde nach inspi-rierenden Vorträgen eine SWOT-Analyse durchgeführt. Mit die-ser Methodik werden die Stärken, Schwächen, Chancen und Risi-ken analysiert. Dadurch wird der Status Quo umfassend dargestellt und strategische Lücken werden aufgedeckt. Im Anschluss daran wurden Instrumente zur erfolgrei-chen Implementierung der Idee des Coworking-Space erarbeitet.

Als Stärken wurden u.a. die Gemeinschaft, die Work-Life-Balance sowie der verstärkte Wis-sensaustausch identifiziert. So sind die Nutzer von Coworking-Spaces in ein soziales Umfeld eingebunden, mit dem sie sich nicht nur über berufliches aus-tauschen können, sondern in dem auch Rückhalt sowie Motivation in angespannten Situationen gege-ben werden kann. Diese Fakto-

Die Arbeitswelt von morgen wird offen, dezentral und weniger berechenbar sein, sie wird die Menschen fordern, sich selbst in ihr immer wieder neu zu definieren. Ausdruck findet der Paradigmenwechsel schon heute in Coworking-Spaces wie dem Experience Center von PwC in Frankfurt.

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ren sind insbesondere für Nutzer der freien Coworking-Spaces rele-vant. Ein sich daraus ergebender Vorteil ist der vereinfachte Zugang zu Wissen durch Interaktion mit Gleichgesinnten an einem Ort. Nutzer, die an ähnlichen Frage-stellungen arbeiten, können sich so besser unterstützen. Durch die Trennung von privatem Haus-halt und Arbeiten im Coworking-Space wird für diese Nutzer die Work-Life-Balance wiederherge-stellt bzw. erhöht.

Die Chancen der Interdisziplina-rität sowie des Selbstbestimm-ten Arbeiten finden hingegen eher Anwendung im Bereich der (Open) Corporate Coworking-Spaces. Durch die verstärkte Kommuni-kation zwischen den Abteilun-gen können Abstimmungen viel schneller und effizienter statt-finden und Probleme bereits im Ansatz geklärt werden. Durch freie Zugriffszeiten auf Büroflächen können auch kreative Hochzei-

ten außerhalb der offiziellen Öff-nungszeiten von Büros ausgenutzt werden.

Daraus haben sich in der Diskus-sion die Risiken des Identitäts-mangels sowie der „interessierten

Selbstausbeutung“ ergeben. Sind zurzeit die Büros nachts nicht zugänglich, so sind die kreativen Freiräume 24h/Tag geöffnet. Eine Selbstausbeutung aufgrund von Interesse kann nicht mehr ver-hindert werden. Außerdem wird eine Identifizierung mit einer Unternehmenskultur erschwert, da größere Unternehmen dazu übergehen, ihre Mitarbeiter auf verschiedene Coworking-Spaces zu verteilen und somit jeder Mitar-beiter in einer anderen Arbeitskul-tur arbeitet.

Aus den o.g. Aspekten ergeben sich zwei ausgiebig diskutierte Schwächen. Zum einen kann mangels abschließbarer Einzel-büros und offener Kreativflächen eine Geheimhaltung von Projekten nicht absolut gewährleistet sein. Zum anderen sind im überge-ordneten Rahmen die relevanten Erfolgsfaktoren zu wenig definiert. Es mangelt somit an Anforderun-gen, die, sofern erfüllt, den Erfolg

von Coworking-Spaces und dem Arbeiten in solchen sicherstellt.

Da an dieser Stelle der For-schungsverbund „Hierda“ ein-setzen wird, konnten bereits zwei besonders wichtige Instrumente

identifiziert werden. Zum einen soll ein Tool Kit entwickelt werden, dass bei der richtigen Ausgestal-tung des individuellen Coworking-Space unterstützt. Da nicht nur eine Konfiguration der vielfältigen Aspekte zu einem guten, funktio-nierenden Coworking-Space führt, soll das Tool Kit bei der Wahl der richtigen Stellschrauben eine Un-terstützungshilfe bieten. Zusätz-lich dazu soll ein Pop-Up Real Lab aufgebaut werden. Dies kann ein durch die Republik rollender Bus sein, mit dem Seminare und Workshops zum Thema Cowor-king-Spaces angeboten werden sollen. Dadurch wird das Thema Coworking in Deutschland erfahr-bar gemacht und neue Coworking-Spaces können sich überall entwi-ckeln.

Fazit

Coworking-Spaces bieten enor-mes Potential, sowohl für unter-nehmerischen Erfolg als auch für die Humanisierung der Arbeit. Durch verbesserte Kommunikation und verstärkten Wissensaustausch können Innovationen auf Produkt-, Geschäfts- und Geschäftsmodelle-bene gezielt erreicht werden. Für die Nutzer von Coworking-Spaces bedeutet es, dass sie sich ver-mehrt selbstständig freier ent-wickeln können, was nicht nur Grenzen verringert und Kreativität fördert, sondern auch das Wohl-befinden stärkt. Diesen Ansätzen stehen jedoch noch Risiken und Schwächen entgehen, die durch wissenschaftliche Forschung und praktische Erprobung kalkulierbar gemacht werden müssen mit dem Ziel, diese zu beseitigen.

Da Deutschland von Anfang an als Vorreiter der Idee des Coworking in Europa galt, sollte Deutsch-land diese Position nicht aufge-ben und sich auf verschiedenen Ebenen intensiv mit der Thema-tik beschäftigen. Das Forschungs-projekt „Hierda“ kann an dieser Stelle nur ein Anfang sein. z

Teilnehmer/-innen des Kick-Off-Treffens. Untere Reihe v.l.n.r.: Dr. Sven Laudien, Stefan Scherr, Prof. Dr. Ricarda Bouncken, Miria Lin, Lars Görmar; zweite Reihe v.l.n.r.: Dr. Andreas Reuschl, Rüdiger Stanzl, Dr. Wolfgang Blank, Prof. Dr. Daniel Baier; dritte Reihe v.l.n.r.: Dr. Florian Geyer, Karl Täuscher, Nicolas Pampel, PD Dr. Alexandra Rese; obere Reihe v.l.n.r.: Christian Cordes, Peter Schorsch, Dr. Andreas Crimmann, Johanna Lienerth.

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