Bei der Anlage eines Sickerschachtes für die Dach- entwässerung einer neuen WC-Anlage in der Südwestecke der Insula 31 wurde unterhalb des Wehrgrabens der spätantiken Festungsanlage ein rö- mischer Latrinenbefund erfasst 1 . Der viereckige, ehemals mit Holz ausgekleidete tiefe Schacht der Latrine reichte nicht bis in wasser- führende Schichten. Auch zur Zeit der römischen Be- siedlung war das Grundwasserniveau nicht erreicht worden. Aufgrund der fehlenden Feuchtbedingun- gen war es zunächst fraglich, ob sich aussagefähiges organisches Material in den Sedimenten erhalten haben könnte. Für eine Überprüfung wurden dem Labor für Archäobotanik des Instituts für Ur- und Frühgeschichte an der Universität zu Köln sieben Bodenproben aus dem Westprofil (D1) des Befun- des zu Analysezwecken übergeben. Sechs Proben (48286, 48287, 48288, 48289, 48290, 48291) wurden sowohl auf ihren Gehalt an Früchten und Samen als auch auf Pollen und Sporen hin untersucht. Für die kleine Probe 48292 liegen lediglich Ergebnisse der Großrestanalyse vor (siehe Tabelle S. 238 ff.). Die Proben aus den Schichten 1 (48286), 2 + 3 (48287) und „unter 9“ (48292) enthielten nur sehr geringe Mengen an Pflanzenresten. Es muss jedoch erwähnt werden, dass es aufgrund der besonderen, in dem Befund vorherrschenden Erhaltungsbedin- gungen bei der Aufbereitung der Großrestproben zu einem nicht genau zu beziffernden Verlust von kleineren Pflanzenresten (< 2 mm) gekommen ist. Die im Sediment enthaltenen Früchte und Samen sind bis auf wenige verkohlte Ausnahmen in mine- ralisierter Form erhalten (siehe unten). Dies führte dazu, dass die Pflanzenreste im Flotationsverfah- 1 Vgl. den Beitrag von Chr. Lindner in diesem Band S. 199 ff. ren nicht wie üblich aufschwammen und mit einem Sieb der Maschenweite 0,31 mm aufgefangen werden konnten, sondern – zunächst unbemerkt – mit den schwereren Bestandteilen des Sediments (z. B. Sand und Steinen) in den Restproben verblieben. Diese Restproben wurden der gewöhnlichen Arbeitsrou- tine folgend durch ein Sieb mit 2 mm Maschenweite gespült, um möglicherweise enthaltene archäologi- sche Fundstücke aus dem Sediment zu sichern. Da für die meisten Proben erst zu spät erkannt wurde, dass der Rückstand (mineralisierte) Pflanzenreste enthielt, können somit kleinere Früchte und Samen für die Analyse verloren gegangen sein. Lediglich Probe 48288 (Schicht 6) kann als sicher vollständig gelten, da hier bei der Aufbereitung die Problematik bereits bekannt war und die Arbeitsweise entspre- chend angepasst wurde. Die Erhaltungsbedingungen Beim Prozess der Mineralisierung, wie er hier vor- liegt, kommt es zu einer Durchdringung der sich im Zersetzungsprozess befindlichen Früchte und Samen mit Kalzium-Phosphat. Die organische Sub- stanz wird dabei, wie bei einem Fossil, durch mi- neralische Bestandteile ersetzt. Die vorliegenden mineralisierten Pflanzenreste sind bernsteinfarben, teils auch weißlich bis gräulich, steinhart und mehr oder weniger zerbrechlich. Viele der mineralisierten Früchte und Samen können mit morphologischen Kriterien, ähnlich wie verkohlte oder unter Feucht- bedingungen erhaltene subfossile Pflanzenreste, jutta meurers-balke und silke schamuhn Archäobotanische Untersuchungen der Pflanzenreste aus einer Latrine in der Colonia Ulpia Traiana
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Archäobotanische Untersuchungen der Pflanzenreste aus einer Latrine in der Colonia Ulpia Traiana.
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231Archäobotanische Untersuchungen der Pflanzenreste aus einer Latrine in der CUT
Bei der Anlage eines Sickerschachtes für die Dachentwässerung einer neuen WCAnlage in der Südwestecke der Insula 31 wurde unterhalb des Wehrgrabens der spätantiken Festungsanlage ein römischer Latrinenbefund erfasst 1.
Der viereckige, ehemals mit Holz ausgekleidete tiefe Schacht der Latrine reichte nicht bis in wasserführende Schichten. Auch zur Zeit der römischen Besiedlung war das Grundwasserniveau nicht erreicht worden. Aufgrund der fehlenden Feuchtbedingungen war es zunächst fraglich, ob sich aussagefähiges organisches Material in den Sedimenten erhalten haben könnte. Für eine Überprüfung wurden dem Labor für Archäobotanik des Instituts für Ur und Frühgeschichte an der Universität zu Köln sieben Bodenproben aus dem Westprofil (D1) des Befundes zu Analysezwecken übergeben. Sechs Proben (48286, 48287, 48288, 48289, 48290, 48291) wurden sowohl auf ihren Gehalt an Früchten und Samen als auch auf Pollen und Sporen hin untersucht. Für die kleine Probe 48292 liegen lediglich Ergebnisse der Großrestanalyse vor (siehe Tabelle S. 238 ff.).
Die Proben aus den Schichten 1 (48286), 2 + 3 (48287) und „unter 9“ (48292) enthielten nur sehr geringe Mengen an Pflanzenresten. Es muss jedoch erwähnt werden, dass es aufgrund der besonderen, in dem Befund vorherrschenden Erhaltungsbedingungen bei der Aufbereitung der Großrestproben zu einem nicht genau zu beziffernden Verlust von kleineren Pflanzenresten (< 2 mm) gekommen ist. Die im Sediment enthaltenen Früchte und Samen sind bis auf wenige verkohlte Ausnahmen in mineralisierter Form erhalten (siehe unten). Dies führte dazu, dass die Pflanzenreste im Flotationsverfah
1 Vgl. den Beitrag von Chr. Lindner in diesem Band S. 199 ff.
ren nicht wie üblich aufschwammen und mit einem Sieb der Maschenweite 0,31 mm aufgefangen werden konnten, sondern – zunächst unbemerkt – mit den schwereren Bestandteilen des Sediments (z. B. Sand und Steinen) in den Restproben verblieben. Diese Restproben wurden der gewöhnlichen Arbeitsroutine folgend durch ein Sieb mit 2 mm Maschenweite gespült, um möglicherweise enthaltene archäologische Fundstücke aus dem Sediment zu sichern. Da für die meisten Proben erst zu spät erkannt wurde, dass der Rückstand (mineralisierte) Pflanzenreste enthielt, können somit kleinere Früchte und Samen für die Analyse verloren gegangen sein. Lediglich Probe 48288 (Schicht 6) kann als sicher vollständig gelten, da hier bei der Aufbereitung die Problematik bereits bekannt war und die Arbeitsweise entsprechend angepasst wurde.
Die Erhaltungsbedingungen
Beim Prozess der Mineralisierung, wie er hier vorliegt, kommt es zu einer Durchdringung der sich im Zersetzungsprozess befindlichen Früchte und Samen mit KalziumPhosphat. Die organische Substanz wird dabei, wie bei einem Fossil, durch mineralische Bestandteile ersetzt. Die vorliegenden mineralisierten Pflanzenreste sind bernsteinfarben, teils auch weißlich bis gräulich, steinhart und mehr oder weniger zerbrechlich. Viele der mineralisierten Früchte und Samen können mit morphologischen Kriterien, ähnlich wie verkohlte oder unter Feuchtbedingungen erhaltene subfossile Pflanzenreste,
jutta meurersbalke und silke schamuhn
Archäobotanische Untersuchungen der Pflanzenreste aus einer Latrine in der Colonia Ulpia Traiana
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2 Zum Prozess des Mineralisierens: Carruthers 1991; Frank / Stika 1988; Jacomet / Wagner 1994; Kreuz 1998; McCobb u. a. 2003. 3 Das Verhältnis der Phosphatgehalte im Befund und außerhalb des Befundes: 0,27 % zu 0,14 %; vgl. Gutachten des Geologischen
Dienstes vom 3. 6. 2009. 4 Für die Nachbestimmung von Pollentypen danken wir Dr. A. J. Kalis herzlich.
bestimmt werden. Die Bestimmungsarbeiten werden indes häufig dadurch erschwert, dass meist die feinen Strukturen der äußeren Zellschichten (Oberflächenstrukturen) nicht erhalten sind. Dies ist zum einen der Fall, wenn diese bereits verrottet waren, bevor ein vollständiger Ionenaustausch, die Form erhaltend, stattgefunden hat, zum anderen aber auch dann, wenn sie kein KalziumPhosphat aufgenommen haben, da sie noch nicht begonnen hatten sich zu zersetzen. Dieses Phänomen lässt sich gelegentlich bei hartschaligen Fruchtsteinen (z. B. von Kirschen, Pflaumen) beobachten. In diesen Fällen wird nur der weichere Innensamen, der als erster von Zersetzungsprozessen angegriffen wird, in Form eines Innenabdruckes der harten Fruchtsteinschale durch das eindringende KalziumPhosphat konserviert.
Für den Mineralisierungsprozess ist ein feuchtes aber nicht durchnässtes, eher anaerobes Milieu sowie eine hohe, lösliche Phosphatkonzentration Voraussetzung, so dass der Abbauprozess parallel zur Durchdringung der Pflanzenreste mit KalziumPhosphat erfolgen kann 2. Dass, wie bei dem vorliegenden Befund, die harten Bestandteile der Kirschkerne nicht mehr vorgefunden werden konnten, spricht dafür, dass diese erst relativ spät anfingen zu verrotten, als die Rahmenbedingungen (Feuchtigkeitsgehalt, Anteil an gelöstem KalziumPhosphat im umgebenden Sediment usw.) für deren Mineralisierung nicht mehr gegeben waren.
Beobachtet werden solche Mineralisierungsprozesse in der Regel im Zusammenhang mit archäologischen Befunden, in denen mit einem deutlich erhöhten Phosphatgehalt gerechnet werden kann, wie dies beispielsweise in Fäkalien (Latrinen), Mist und Dungablagerungen der Fall ist. Für den Xantener Befund liegen Phosphatanalysen vor, die zeigen, dass das Sediment der Latrine einen um fast das Doppelte erhöhten Phosphatgehalt aufwies wie eine Vergleichsprobe aus dem Sediment außerhalb des Befundes 3.
Bei der Untersuchung der Sedimentproben zeigte sich, dass nicht nur mineralisierte und verkohlte Pflanzenreste enthalten waren, sondern dass auch der Pollengehalt in den Sedimenten der Schichten 6,7,8 und 9 erfreulich hoch war. Hier konnten aussagekräftige Spektren gewonnen werden, obwohl
die vorgefundenen Erhaltungsbedingungen mehrere Meter oberhalb des Grundwasserspiegels diese nicht von vornherein erwarten ließen 4.
Die Pflanzenreste
Insgesamt konnten über 3700 Pflanzenreste untersucht werden (Tabelle S. 238 ff.). Da von einer relativ zeitnahen Entstehung der einzelnen Schichten ausgegangen werden kann, werden im Folgenden die Proben zusammengefasst betrachtet. Durch den nicht näher zu beziffernden Verlust der kleineren Früchte und Samen in allen Proben außer aus Schicht 6 (Probennr. 48288) verbietet sich von vornherein ein Vergleich der Verteilung der Pflanzenreste auf die unterschiedlichen Schichten.
In der Tabelle werden sowohl Früchte und Samen als auch Pollen und Sporen gemeinsam aufgeführt. Die Pflanzenreste sind zur besseren Übersicht nach ökologischen Gruppen sortiert. Da es sich um einen Latrinenbefund handelt, liegt das Hauptaugenmerk hier auf den Gruppen der Nahrungspflanzen. Die Pollenspektren enthalten neben dem durch Fäkalien und Abfälle charakterisierten menschlichen Eintrag auch Pollen und Sporen, die mit dem allgemeinen Pollenflug aus der umgebenden Vegetation in die Latrinensedimente gelangten. Dies zeigen beispielhaft die nur über Pollenkörner belegten ökologischen Gruppen der feuchten Standorte sowie der Gehölze.
In Bezug auf die Nahrungspflanzen ist besonders die hohe Zahl an Hülsenfrüchten bemerkenswert. Der Fund von über 400 mineralisierten Linsen stellt einen seltenen Befund dar. In der Regel sind Linsen in Latrinen nicht in ihrer kompletten Form erhalten. Linsen werden normaler Weise vor dem Verzehr gekocht, wobei sie weich werden und sich zum Teil breiig auflösen. Spätestens nach dem Verzehr bleibt dann für eine morphologische Bestimmung nicht mehr viel übrig. Die hier vorliegenden Linsen sind jedoch vollständig und scheinen weder gekocht (noch gegessen) worden zu sein (Abb. 1). Sie gelangten wohl mit Abfall in die Latrine. Die Linsen sind in der feuchten Umgebung der Fäkaliengrube aufgequollen und haben dabei KalziumPhosphat auf
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Abb. 1 Xanten, Colonia Ulpia Traiana. Insula 31, Latrine. Mineralisierte Linsen (Lens culinaris).
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5 Die mineralisierten Linsen aus der Xantener Latrine sind durchschnittlich 5,0 mm im Durchmesser und 2,75 mm dick. Da sie im feuchten Milieu der Latrine aufgequollen sind, muss davon ausgegangen werden, dass sie in getrocknetem Zustand kleiner waren. Die Größenzunahme wurde mittels Quellversuchen an rezenten Linsen ermittelt. Der Durchmesser der Linsen nahm in den Quellversuchen um etwa den Faktor 1,5 und die Dicke um etwa den Faktor 2 zu. Damit entsprechen die Xantener mineralisierten Linsen in ihrer Form und Ausgangsgröße in etwa dem größeren römischen LinsenTyp nach K.H. Knörzer aus Novaesium, die im Mittel Durchmesser von 3,41 und Dicken von 1,41 haben.
6 Knörzer 1970; Knörzer 2007, 218.
genommen. Ihr Erhaltungszustand ist zum Teil so gut, dass sich sogar die dünne äußere Samenschale (Testa) erhalten hat. An den mineralisierten Samen gibt es keine erkennbaren Hinweise darauf, warum sie „entsorgt“ und nicht gegessen wurden. Es gibt
keine sichtbaren Spuren von beispielsweise Schimmel oder Schädlingsbefall.
Berücksichtigt man die Umfangszunahme 5 der Linsen durch das Quellen im feuchten Milieu, so entsprechen sie in ihrer anzunehmenden Größe im trockenen Zustand und in ihrer flachen Form dem größeren der beiden Linsentypen, die KarlHeinz Knörzer im Bereich der römischen Militärlager in Neuss 6 nachweisen konnte.
Der Nachweis von Erbse (Pisum sativum) und Ackerbohne (Vicia faba) kann für die Xantener Latrine nur anhand einiger weniger Bruchstücke geführt werden, bei denen Testafragmente mit den charakteristischen Nabelbereichen erhalten geblieben sind (Abb. 2 und 3). Die übrigen Bruchstücke können keiner speziellen Hülsenfrucht mehr zugeordnet werden.
Beim Steinkernobst ist eine Bestimmung bis zur Art nicht mehr möglich, da – wie oben beschrieben – das Äußere der Steinkerne komplett abgebaut wurde. Die vorliegenden „Innenwandabdrücke“ können nur anhand ihrer Größe sortiert werden. Die Reste lassen sich grob in zwei Größengruppen aufgliedern: eine kleinere (wohl Schlehe oder Süßkirsche) (Abb. 4) und eine größere (wohl Pflaume, Zwetschge oder Pfirsich) (Abb. 5). Aufgrund seiner auffällig stark gefurchten Oberflächenstruktur kann ein kleines Steinkernrandfragment sicher als Pfirsich (Abb. 6) determiniert werden.
Als weitere Kulturobstarten sind der Apfel (Ma-lus domestica) (Abb. 7) und die Feige (Ficus carica) sicher belegt. An Sammelfrüchten konnten Walderdbeere (Fragraria vesca), Holunder (Sambucus nigra / ebulus) und Brombeere (Rubus fruticosus) bestimmt werden.
Neben den Früchten und Samen haben, wie bereits erwähnt, auch Pollenkörner in den Sedimenten der Latrinenablagerungen die Zeit überdauert (Abb. 8). Sie ergänzen das Pflanzenspektrum um weitere Arten. Mittels der Pollenanalyse können auch solche Kultur und Nutzpflanzen nachgewiesen werden, von denen die Blätter und / oder Stängel gegessen wurden, bevor die Pflanzen überhaupt
Abb. 2 Xanten, Colonia Ulpia Traiana. Insula 31, Latrine. Wohl Erbse (cf. Pisum sativum), mineralisiertes Testafragment mit Nabel.
Abb. 3 Xanten, Colonia Ulpia Traiana. Insula 31, Latrine. Wohl Ackerbohne (cf. Vicia faba),
mineralisiertes Testafragment mit Nabel.
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Früchte und Samen ausbilden konnten. Hierzu zählen vor allem Gemüse und Gewürze. So sprechen – zum Teil noch unreife – Pollen von Koriander (Cori-andrum sativum), Petersilie (Petroselinum crispum) und Dill (Anethum graveolens) dafür, dass hier die Blätter bzw. Stängel den Speisen zur Würze zugefügt wurden. Der Pollentyp Beta type lässt nicht erkennen, ob es sich um Pollenkörner der Rübe oder des Blattgemüses Mangold handelt. Dass der Pollen in die Latrinenablagerungen gelangte, könnte dafür sprechen, dass es sich hier eher um Mangold als um
die Rübe handelt, da beim Verzehr der verdickten Wurzel (Rübe) ein Mitessen von anhaftenden Pollen wenig wahrscheinlich ist.
Von Fenchel (Foeniculum vulgare) (Abb. 9), Kümmel (Carum carvi) (Abb. 8d und 10) und Anis (Pimpinella anisum) (Abb. 11) liegen sowohl Belege der mineralisierten Teilfrüchte als auch der Pollenkörner vor. Bei diesen Pflanzen fanden in römischer Zeit die reich an ätherischen Ölen und somit würzigen Samen in der Küche und in der Medizin Verwendung, aber auch das Blattgrün und die Wurzeln
Abb. 4 Xanten, Colonia Ulpia Traiana. Insula 31, Latrine. Süßkirsche / Schlehe (Prunus spec. klein),
mineralisierte Steinkerninnenfrucht.
Abb. 5 Xanten, Colonia Ulpia Traiana. Insula 31, Latrine. Pflaume / Zwetschge / Pfirsich (Prunus spec.
groß), mineralisierte Steinkerninnenfrucht.
Abb. 6 Xanten, Colonia Ulpia Traiana. Insula 31, Latrine. Pfirsich (Prunus persicaria),
mineralisiertes Steinkernfragment.
Abb. 7 Xanten, Colonia Ulpia Traiana. Insula 31, Latrine. Apfel (Malus domestica),
mineralisierter Samen.
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7 MeurersBalke / KaszabOlschewski 2010, 72 ff. und 126 ff. 8 Plin. nat. hist. 19, 89; André 1998, 19.
wurden als Gemüse zubereitet 7. Weitere Gemüsepflanzen sind die Pastinake (Pastinaca sativa) (Abb. 8a) und die Möhre (Daucus carota). Beide Arten kommen in der Wildform in Wiesen, Magerrasen und offenen Staudenfluren vor, wobei man weder den Pollenkörnern noch ihren Teilfrüchten ansehen kann, ob es sich um die Wildpflanzen oder um die kultivierten Gartenpflanzen handelt. Falls dieses Wurzelgemüse wie heutzutage in jungem Zustand – vor der Blüte und Samenreife – verzehrt wurde,
wären sowohl der Pollen als auch die Samen beider Arten kaum in Latrinenbefunde gelangt. Vielleicht können uns diesbezüglich die schriftlichen Quellen einen Hinweis liefern, vor allem Plinius, der meint, dass die pastinaca agrestis, er meint die Möhre, erst nach einem oder besser nach zwei Jahren – also nach Blüten und Samenbildung – gut in der Küche verwertbar seien, und dies trotz der holzigen Fasern, die man entfernen musste 8. Darüber hinaus wurden im medizinischen Bereich nicht nur Wurzel und
Abb. 8 Xanten, Colonia Ulpia Traiana. Insula 31, Latrine. Pollenkörner verschiedener Gewürze und Gemüse. a Pastina-ca sativa; b Petroselinum crispum; c Coriandrum sativum; d Carum carvi; e Beta type. – Ohne Maßstab: Größe zwischen
20 und 40 Tausendstel Millimeter.
Abb. 9 Xanten, Colonia Ulpia Traiana. Insula 31, Latrine. Fenchel (Foeniculum vul-
gare), mineralisierte Teilfrüchte.
Abb. 10 Xanten, Colonia Ulpia Traiana. Insula 31, Latrine. Kümmel (Carum carvi), mineralisierte Teilfrüchte.
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9 Diosk., mat. med. 52 (59). 10 Knörzer 2007, 260. 11 Mears / Hillman 2007, 252. 12 Zu den Fischresten vgl. den Beitrag in diesem Band von W. van Neer S. 245 ff.; zur den Tierknochen liegt ein unveröffentlichtes
Gutachten von H. Berke (Köln) vor.
Blätter, sondern auch die Teilfrüchte der Möhren selbst verwendet: So sollen nach Dioskurides 9 die bitterlichscharfgewürzhaft schmeckenden Früchte der wilden Möhre (sie besitzen diese Eigenschaften in höherem Maße als die der Gartenmöhre) in Abkochung getrunken oder äußerlich angewendet die Menstruation und die Konzeption befördern und gegen Harnbeschwerden, Seitenschmerzen, Wassersucht und Schlangenbiss wirksam sein.
Möglicherweise wurden damals noch zwei weitere Blattgemüse verzehrt. Bei den zahlreichen Pollen vom Capsella type könnte es sich um die Gartenkresse (Lepidium sativum) handeln, von der KarlHeinz Knörzer 615 verkohlte Samen in einer Grube der Insula 37 in Xanten gefunden hat. Als „Spinat“ hat man vielleicht auch den Giersch (Aegopodium podagraria) zubereitet, der im Niederrheingebiet archäobotanisch bisher nur aus Xanten belegt ist 10, und von dem englische Archäobotaniker vermuten, dass er als „pot herb“ von den Römern nach Britannien eingeführt wurde11.
Zu den genannten Gemüse und Gewürzpflanzen, die überwiegend zur Familie der Doldengewächse gehören, kommen noch 65 Samen und 78 Pollenkörner von nicht näher bestimmbaren Doldengewächsen (Apiaceae indet.), zu denen viele Gewürzpflanzen zählen, die aufgrund schlecht konservierter Oberflächenstrukturen nicht mehr bis zur Art bestimmt werden können.
Abb. 11 Xanten, Colonia Ulpia Traiana. Insula 31, Latrine. Anis (Pimpinella anisum), mineralisierte Teilfrüchte.
Abb. 12 Xanten, Colonia Ulpia Traiana. Insula 31, Latrine. Fliege, mineralisierte Puparie.
Sehr gering erscheint der Anteil an Getreidepollen (Cerealia indet.), der gewöhnlich in Latrinen recht hoch ist und für den in der Latrine der Insula 31 nur wenige Einzelbelege vorliegen. Anhand von verkohlten Früchten sowie eines mineralisierten Spelzbasenrestes konnten wenige Belege von Dinkel (Triticum spelta) und Gerste (Hordeum vulga-re) bestimmt werden. Die sonst in Latrinen häufig in Massen auftretenden Häutchen (Testae) der Getreidekörner, die sich noch im Mehl befanden und mit dem Brot oder mit Suppen und Breien gegessen wurden, konnten nicht nachgewiesen werden. Dies kann in den sehr selektiven Erhaltungsbedingungen seine Erklärung finden.
Gewürze für die Fischsauce
Neben den Pflanzenresten gehören auch Insektenreste, wie die für Latrinen typischen Puparien von Fliegen (Abb. 12), und Reste von Fischen und andere Tierknochen zum Fundgut der Latrine 12. Die zahlreichen aus den geschlämmten (botanischen) Proben ausgelesenen Fischreste (Knochen und Schuppen) lassen sich in ihrer Zusammensetzung mit Befunden von Fischsaucenresten aus verschiedenen römischen Fundstellen vergleichen (vgl. hier den Beitrag von W. van Neer). In diesem Zusammenhang ist es interessant, die zahlreichen Gewürzsamen aus den
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13 Hier wiedergegeben nach: André 1998, 170 f. [Gargilius Martialis 62, S. 209 – 211 (V. Rose)].
Latrinenproben auch als mögliche Zutat zu Fischsaucen zu betrachten. Quintus Gargilius Martialis nennt in einem Text 13 aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. eine Liste von getrockneten Kräutern, sowohl kultivierter als auch wilder Arten, die zur Herstellung von Garum (Liquamen) verwendet wurden (hervorgehoben sind die Arten, die für die Xantener Latrine belegt sind): Dill , Koriander, Fenchel, Sellerie, Bohnenkraut (Abb. 13), Muskatellersalbei, Weinraute, Minze, Liebstöckel, Thymian, Oregano (Dost), Heilziest und Stachelmohn. Da sich nicht mehr alle Früchte und Samen aus den Xantener Proben bis zur Art bestimmen ließen, könnte sich unter den verschiedenen Apiaceae indet. und den Indeterminatae noch die eine oder andere Gewürzpflanze verbergen, die im MartialisText genannt wird. Auch mag es viele Abwandlungen des Rezeptes gegeben haben, die nach Region, Verwendung, Qualität und Geschmack variierten.
Abb. 13 Xanten, Colonia Ulpia Traiana. Insula 31, Lat rine. Bohnenkraut (Satureja hortensis), mineralisierte
Lens culinaris Samen min. 438 434 2 2 LinsePisum sativum Samen min. 2 2 ErbseVicia faba Samen min. 1 1 Ackerbohnecf Vicia faba Samen min. 10 10 wohl AckerbohneFabaceae kult. indet. Samen min. 200 ca. 200 Hülsenfrucht kulti-
viert (Erbse, Linse oder Bohne)
GewüRZe unD GeMüse
Aegopodium podagraria
Pollen unverk. 3 2 1 Giersch
Anethum graveolens vel Torilis arvensis
Pollen unverk. 4 3 1 Dill oder Acker-klettenkerbel
cf. Linum usitatissimum Samen min. 1 1 wohl Gebauter Lein
Camelina sativa Samen min. 4 3 1 LeindotterPapaver somniferum Samen unverk. 1 1 SchlafmohnPapaver setigerum vel somniferum
Samen min. 14 3 3 5 3 Borstenmohn oder Schlafmohn
KuLTuR- unD sAMMeL oBsT
Ficus carica Steinkern unverk. 200 ca. 200 FeigenbaumFicus vel Fragaria Steinkern-
fragmentemin. 12 12 Feige oder Wald-
erdbeereMalus domestica Samen min. 1 1 ApfelMalus vel Pyrus Samen min. 9 9 Apfel oder BirnePrunus persicaria Steinkern min. 1 1 PfirsichPrunus persicaria Steinkern unverk. 1 1 Pfirsich
240 Jutta MeurersBalke und Silke Schamuhn
TAXA Resttyp Zustand n MP MP MP MP MP MP M Deutsche Bezeichnung
PollentypMedicago lupulina Samen min. 1 1 Hopfenkleecf. Medicago lupulina Samen verk. 1 1 wohl HopfenkleePimpinella major type Pollen unverk. 4 4 Große Pimpinelle-
Indeterminatae Fragmente min. 116 116 Nicht bestimmbarIndeterminatae Nadel min. 1 1 Nicht bestimmbarIndeterminatae Insektenreste min. 14 13 1 Insektenrest (Pu-
parien)Kleine Varia Pollen unverk. 45 11 4 23 7
summe früchte und samen 1900 13 3 1705 58 64 55 2
summe Pollen 1840 7 10 576 308 485 454 (-)
summe Gesamt 3740 20 13 2281 366 549 509 2
Analysen Früchte und Samen: K. v. Zijderveld und S. Schamuhn 2010
Analysen Pollen und Sporen: I. Closs und J. A. Kalis 2010
Tabelle (Ende) Xanten, Insula 31 Schnitt 2007/03. Die 3740 Pflanzenreste. Abkürzungen: verk. = verkohlt; unverk. = unverkohlt; min. = mineralisiert; cf. = confer (wohl); spec. = Spezie; indet. = Indeterminatae – unbestimmt; M = Makro
restprobe; P = Pollenprobe.
244 Jutta MeurersBalke und Silke Schamuhn
Jutta MeurersBalkeUniversität Köln
Institut für Ur und FrühgeschichteWeyertal 12550937 Köln
jutta.meurers@unikoeln.de
Silke SchamuhnUniversität Köln
Labor für ArchäobotanikWeyertal 12550937 Köln
silke.schamuhn@unikoeln.de
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