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ERKENNEN BENENNEN REAGIEREN ANTISEMITISMUS IM ALLTAG Pädagogischer Leitfaden
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ANTISEMITISMUS IM ALLTAG ERKENNEN BENENNEN …

Nov 25, 2021

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ERKENNEN BENENNENREAGIEREN

ANTISEMITISMUS IM ALLTAG

Pädagogischer Leitfaden

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EINLEITUNG

Wie reagiere ich angemessen auf antisemitische Sprüche des Klassenkameraden? Was soll ich tun, wenn im Schulunterricht Verschwörungsfantasien mit antisemitischem Unterton aufkommen? Wie verhalte ich mich bei der Lektüre von antisemitischen Kommentaren auf der Social Media Page meines Freundes?

Es braucht eine gute Portion Selbstvertrauen und manchmal auch ganz schön Mut, wenn du dich in alltäglichen Situationen in der Schule oder in der Freizeit gegen Vorurteile und antijüdische Einstellungen wehren willst. Oftmalsfehlt im entscheidenden Moment eine schlagfertige Antwort. Manchmal ist die Wut im Bauch zu gross, um eine sachliche Diskussion führen zu können. Und es kommt vor, dass man gerade auch einfach keine Lust auf eine vertiefte Auseinandersetzung mit verbalem Alltagsantisemitismus hat. Jedes dieser Gefühle ist verständlich und legitim.

Das von der GRA – Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus entwickelte Bildungsprojekt «Antisemitismus im Alltag begegnen» bietet jungen jüdischen Menschen «spielerisch» die Möglichkeit – zusammen mit ihren Peers - Reaktionsmöglichkeiten bei Alltagsantisemitismus zu besprechen und selbstbewusstes und zielführendes Handeln in der Gruppe zu üben. Die auf der von der GRA entwickelten Website www.stopantisemitismus.ch aufgeführten antisemitischen Zitate aus dem Schweizer Alltag dienen dabei als Grundlage.

Die folgenden Übungen helfen, den ersten Schock oder die Irritation über das Gesagte zu überwinden und eine zielführende und sachliche Diskussion führen zu können. In jeder Situation gilt aber: Deine Sicherheit und Dein Wohl- befinden sind zentral und der Kontext, in welchem eine Aussage gemacht wird (im Klassenzimmer, auf dem Schulhof, im Internet, auf offener Strasse) muss immer in die Überlegungen miteinbezogen werden.

Frage dich deshalb zuerst: Ist diese Situation gefährlich oder unhaltbar für dich? Wie gut kennst du diese Leute? Ist dir der persönliche Kontakt zu diesen Menschen wichtig? Hört die Person zu? Ist die Person interessiert an deinen Fragen oder an deiner Meinung?

Je nachdem, wie du die Situation beurteilst, kannst du dich für eine der drei Reaktionsmöglichkeiten (Nachfragen, Erklären, Perspektivenwechsel, siehe S. 5) entscheiden oder auch für gar keine. Dann bleibt dir immer noch die Option, dich mit anderen auszutauschen oder Hilfe zu suchen. Auch nicht auf eine Aussage zu reagieren und sich der Situation zu entziehen ist ok und du solltest dich dafür nicht schuldig oder schlecht fühlen.

Mehr Informationen zu Antisemitismus inklusive der gängigen Definitionen und Beispiele findest du auf der GRA-Website: www.gra.ch.

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LERNZIELE

• Verstehen, wie und in welchen Formen Antisemitismus heutzutage auftritt und wie er transportiert werden kann.

• Nuancen der Sprache, die antisemitisches Gedankengut vermitteln, verstehen und wissen, wie diese einzuordnen sind.

• Wissen, welche Reaktionsmöglichkeiten bestehen, um auf Vorurteile einzugehen und einen deeskalierenden Dialog führen zu können.

DIE ZITATKARTEN

Das vorliegende Bildungstool besteht neben diesem Leitfaden aus mehreren Zitatkarten.

Die Zitatkarten sind wie folgt konzipiert:

Vorderseite: Hier stehen Zitate mit mehr oder weniger offensichtlich antisemitischen Inhalten. Alle Zitate sind Beispiele aus der realen Welt und wurden von einer Expertengruppe bestehend aus Pädagog:innen, Wissenschafter:innen, Behörden, und Religionsvertreter:innen zusammengestellt.

Rückseite: • Links befinden sich weiterführende Erklärungen, um zu verstehen, was genau an diesem Zitat problematisch ist und Hintergrundinformationen, woher bestimmte Vorurteile und Aussagen kommen.

• Auf der rechten Seite stehen Reaktionsmöglichkeiten. Diese sind in die folgenden drei Kategorien eingeteilt: Nachfragen, Erklären und Perspektivenwechsel.

? ...

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PÄDAGOGISCHER LEITFADEN

Übung 1 (Plenum): Einführung ins ThemaNach einer kurzen Einführung ins Thema (siehe Seite 1 für Anregungen) und bevor die Zitatkarten verwendet werden, wird im Plenum das Thema Antisemitismus besprochen.

• Was kommt mir in den Sinn, wenn ich an Antisemitismus denke? • Was löst das bei mir aus?• Inwiefern spielt Antisemitismus in meinem Leben eine Rolle?

Übung 2 (Zweiergruppen): Eigene Erfahrungen mit Antisemitismus Die Zitatkarten werden im Raum verteilt, so dass nur die Zitate auf der Vorderseite der Karte sichtbar sind. Bildet Zweier-gruppen und geht von Karte zu Karte. Lest die Zitate und besprecht folgendes:

• EmpfindeichdieAussagealsantisemitisch?Wennja,wieso?Wennnein,wiesonicht?• Was löst das Zitat bei mir aus? • Habe ich eine solche Aussage selbst schon einmal in ähnlicher Weise gehört?• Wennja:Wo?InwelchemZusammenhang?• Wie, wenn überhaupt, habe ich darauf reagiert?• Wie ging es mir dabei, falls ich nicht reagiert habe?

Alle 2-3 Minuten werdet ihr alle aufgefordert, zur nächsten Zitatkarte zu gehen. Dieser Vorgang wird so lange wiederholt, bis alle Karten besprochen wurden. Je nachdem wie viel Zeit zur Verfügung steht, kann diese Übung auch verkürzt werden.

Leere Karten:Ebenfalls vorhanden sind einige leere Karten. Sie laden die Teilnehmenden dazu ein, eigene Beispiele vom erlebten Alltagsantisemitismus zu sammeln und aufzuschreiben. Auf der Rückseite kann das bestehende Hintergrund- wissen zum Thema erfasst, und Reaktionsmöglichkeiten zusammengetragen werden, wie bei den bereits bestehenden Zitatkarten. Die gesammelten Zitate können der GRA über [email protected] zugestellt werden.

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Übung 3 (Plenum): Antisemitismus erkennen und einordnenDanach kommt die ganze Gruppe wieder zusammen und setzt sich in einen Kreis. Die Zitatkarten werden eingesammelt und in der Mitte des Kreises am Boden verteilt. Der/die Leiter:in fragt dann nach Reaktionen.

• Was hat euch überrascht?• Was hat euch schockiert?• Was habt ihr Neues erfahren?

Versucht nun anhand der Farbe der Zitatkarten bestimmte Themen/Muster für verschiedene Formen von Antisemitismus zu erkennen. Nachdem alle Farben besprochen wurden, klärt der/die Leiter:in auf, für welche Form von Antisemitismus die jeweiligen Farben stehen.

• Israelbezogener Antisemitismus• Religiös begründeter Antisemitismus• Juden, Geld und Macht (Verschwörungstheorien)• Biologisch/rassistisch begründeter Antisemitismus• Offener Hass / Gewalt

Fragen der Leiter:in:

• WelcheArtvonAntisemitismusisteuchamgeläufigsten?• Welche/rArtvonAntisemitismusfindetihramschwierigstenzubegegnen/widerlegen?• WelcheArtvonAntisemitismusempfindetihralsbesondersbelastend(wennüberhaupt)?

Basierend auf den Antworten, könnt ihr wählen, über welche Zitate ihr gerne sprechen wollt. Am Anfang können hier wieder dieselben Fragen gestellt werden, wie bei Übung 2, zum Beispiel:

• Habe ich eine solche Aussage selbst schon einmal in ähnlicher Weise gehört?• Wennja:Washatdasinmirausgelöst?Wie,wennüberhaupt,habeichdaraufreagiert?• Wenn nicht reagiert wurde, weshalb? • EmpfindeichdieAussagealsantisemitisch?Wennja,wieso?Wennnein,wiesonicht?• Leere Karten: Welche antisemitischen Sprüche habt ihr bereits selbst im Alltag erlebt?(Diese können auf die leeren Karten geschrieben werden, welche ab nun in die Diskussion integriert werden).

Nun werden die Zitatkarten eine nach der anderen umgedreht und jemand liest die Hintergrundinformationen auf der linken Seite vor. Es empfiehlt sich mit jenen Karten zu beginnen, die am meisten Reaktionen ausgelöst haben. Beantwortet dabei folgende Fragen:

• Welche Informationen sind neu?• WelcheInformationenfindetihrbesondershilfreich?• Wie könnte man auf besagte Aussagen reagieren (Überleitung zur nächsten Gruppenübung)?

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Übung 4 (Zweiergruppe oder Plenum): Argumentationshilfen Nachdem ihr Euch damit beschäftigt habt, was an den Zitaten problematisch ist, geht es nun darum zu besprechen, ob und wie man auf besagte Aussagen reagieren kann. Dabei gilt zu beachten, dass es in vielen der beschriebenen Zitate um sogenannten Alltagsantisemitismus geht. Dem Gegenüber ist oftmals gar nicht klar, welche Stereotype er/sie mit dem Gesagten gerade reproduziert. Hier hilft der Hinweis auf Intention und Wirkung. Auch wenn eine Aussage nicht antisemitisch gemeint war, kann diese trotzdem antisemitisch sein (dasselbe Prinzip gilt im Übrigen generell für rassistische Kommentare). Mit der Differenzierung zwischen Intention und Wirkung fühlt sich das Gegenüber weniger angegriffen und kann auf die Argumente der betroffenen Person eher eingehen.

In diesen Fällen hilft vor allem Aufklärung, um die antisemitischen Stereotype benennen und kritisch hinterfragen zu können, damit diese in Zukunft nicht mehr benutzt werden. Um die Situation nicht eskalieren zu lassen und Raum für Diskussion zu geben, lohnt es sich, dem Gegenüber eine Frage zu stellen. Auch ein Perspektivenwechsel kann helfen, die Situation zu entschärfen und beim Gegenüber Verständnis für die empfundene Diskriminierung zu erwecken. Aus diesem Grund werden pro Zitat drei Kategorien (Nachfragen, Erklären und Perspektivenwechsel) vorgeschlagen, die alle in der Gruppe oder in Zweier-Teams in Rollenspielen geübt werden können. Fragt euch dabei:

• Wie hast du dich als Betroffene:r gefühlt?• KonntestdudieArgumentationshilfenanwenden?Wennja,habendirdiesegeholfen?• Welche Schwierigkeiten sehe ich bei dieser Reaktionsmöglichkeit?• Gibt es Gründe, gar nicht reagieren zu wollen/können?

Übung5(Plenum):SchlussreflektionZum Abschluss versammeln sich alle im Plenum zu einer Schlussreflektion, wo folgende Fragen besprochen werden:

• Was hast du über dich gelernt?• Was hast du über Alltagsantisemitismus gelernt? Kannst du Alltagsantisemitismus besser erkennen und einordnen?• Welche der drei Reaktionsmöglichkeiten fandest du am hilfreichsten? Wirst du diese in Zukunft versuchen anzuwenden?

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Antisemitismus im Alltag erkennen und wissen wie reagieren: www.stopantisemitismus.chEine Initiative der GRA, Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus

Impressum:GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus Postfach 8027 ZürichTelefon: 058 666 89 66www.gra.ch

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«JUDEN SIND GEIZIG!»

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HINTERGRUNDINFO Das Klischee von geizigen und/oder geldgierigen Jud:innen ist ein stark verbreitetes Vorurteil und reicht weit in die Vergangenheit zurück. Seit dem 4. Jahrhundert galt zunächst für Geistliche und später für alle Christ:innen ein Zinsverbot. Da der Geldverleih gegen Zinsen als un-christlich, jedoch wirtschaftlich notwendig galt, wurde diese Tätigkeit den Jud:innen überlassen. Gleichzeitig waren Zünfte und somit die Berufe der Handwerker für Jud:innen nicht zugänglich. Auch durften sie keine Landgüter besitzen. Daher wurde der Geldverleih notgedrungen zu einer ihrer Haupttätigkeiten. Dieser Umstand nährt das Klischee vom «geldgierigen Juden» bis heute. Der Vorwurf basiert also auf einer den Jud:innen aufgezwungenen Aktivität, die ihnen wiederum im Laufe der Geschichte als typisch jüdische Eigenschaften zugeschrieben wurde und als Legitimation zur Diffamierung und Diskriminierung diente.

Die berufliche Spezialisierung im Finanzwesen hielt sich teilweise bis ins 20. Jahrhundert hinein, sodass sich das Vorurteil weiter festigte. Auch die Nationalsozialisten bedienten sich in ihrer antisemitischen Propaganda dieses Vorurteils, um ihr systematisches Verfolgen und Morden entsprechend zu legitimieren. Die Stereotype von «Juden und Geld» werden somit seit der Antike von Generation zu Generation weitergegeben und halten sich bis heute im Alltagsbewusstsein vieler Menschen.

? ...«Wie meinst du das? Was willst du damit sagen?»

«Woher hast du diese Vorstellung?»

«Ist das wirklich wahr?»

«Was weisst du über den Zusammen- hang zwischen ‚Juden und Geld‘»?

Erkläre anhand der Hintergrundinfor- mation was an dieser Aussage problematisch ist, damit dein Gegenüber dieses Vorurteil kritisch hinterfragt und bestenfalls nicht mehr verbreitet.

ARGUMENTATIONSHILFE

«Ich sehe nicht, wo es da einen Zusammen- hang gibt. Kannst du es mir genauer erklären?»

«Ich sage doch auch nicht, dass alle Schweizer:innen geizig sind, weil die Schweiz einen stark ausgebauten Finanz- sektor hat, der weltweit bekannt ist?»

«Was meinst du zur Aussage, Schweizer:innen seien Rappenspalter?»

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«HAU AB, DU JUDE.»

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HINTERGRUNDINFO Der Begriff «Jude» ist nicht per se ein Schimpfwort. Oftmals wird er aber in einem antisemitischen Kontext verwendet.

Der Begriff «Jude» stammt vom Namen Judah ab, dem vierten Sohn Jakobs und dem Stammvater eines der zwölf israelitischen Stämme. Eine erste negative Konnotation erfuhr der Name Judah in den Evangelien: Judas war einer der zwölf Apostel von Jesus und soll nach der Überlieferung des Neuen Testamentes Jesus an die Römer verraten haben; im Lukas-Evangelium wird er mit dem Teufel in Verbindung gebracht. In der Folge verstärkte sich im christlichen Raum die abwertende Bedeutung des Begriffes «Jude». Im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelte sich das Wort zum Schimpfwort.

Bei der Verwendung des Wortes «Jude» als Schimpfwort, geht das Gegenüber davon aus, dass es eine allgemein gültige Definition dafür gibt, was «ein Jude» ist und dass dieser Definition etwas Negatives anhaftet. Das Wort «Jude» wird somit zum Stigma und soll die als Jud:in bezeichnete Person verunglimpfen, egal ob diese tatsächlich der jüdischen Gemeinschaft angehört oder nicht.

? ...«Wie meinst du das jetzt?»

«Warum glaubst du, dass du mich mit diesem Wort beschimpfst?»

«Was hat meine Religion damit zu tun? Wieso denkst du ich sei jüdisch?»

Auch wenn solche Sprüche oftmals Teil der Jugendsprache sind, sollten sie auf keinen Fall un- kommentiert bleiben. Denn selbst wenn sich der Sprecher dessen Tragweite nicht bewusst ist, suggeriert er damit, dass Jud:innen minder- wertige Menschen seien, egal ob er damit Jud:innen direkt angesprochen hat oder nicht. Hier hilft wohl weniger zu erklären, als zu ermahnen, ein solches Wort nicht in diesem negativen Zusammenhang zu verwenden.

ARGUMENTATIONSHILFE

«Wie fändest du es, wenn man stattdessen das Wort ‚Christ‘, ‚Moslem‘ oder ‚Buddhist‘ als Schimpfwort ver- wenden würde?»

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«ISRAEL SCHÜRT DEN JUDENHASS UND ANTISEMITISMUS SELBST KRÄFTIG

MIT SEINER AGGRESSIONSPOLITIK GEGENÜBER DEM WESTJORDANLAND

UND PALÄSTINA!»

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HINTERGRUNDINFO Hier rechtfertigt das Gegenüber Antisemitismus als nachvollziehbare Reaktion auf die Politik Israels gegenüber den Palästinensern.

Die Aussage, dass Israel den Jud:innenhass und Antisemitismus schüre, legt offen, dass das Gegenüber Israel mit Jud:innen gleichsetzt. Erstens wird dabei ignoriert, dass Israel keineswegs das Judentum an sich repräsentiert (geschweige denn alle Jud:innen der Welt). Zweitens handelt es sich um ein verfälschtes Bild von Israel, ein Land, das nicht per se jüdisch ist, sondern eine pluralistische Gesellschaft darstellt, zu der auch viele Nichtjud:innen gehören.

Die Strategie, Hass gegen Jud:innen als gerechtfertigte Reaktion auf ein angebliches Fehlverhalten Israels (oder Jud:innen im Allgemeinen) darzustellen, gehört zu einem festen Grundbestand jud:innen- feindlicher Argumentation. Dadurch werden antisemitische Gefühle als rational begründbar und nicht hassgesteuert dargestellt. Besonders perfide ist zudem, dass mit dieser Argumentation zugleich die Opfer des Antisemitismus zu Tätern erklärt werden, während die antisemitischen Täter sich als Opfer inszenieren.

? ...«Macht dir das Sorgen?»

«Was meinst du mit Aggressionspolitik?»

«Warum interessierst du dich für die Politik von Israel?»

«Was denkst du, warum sind die Leute so emotional beim Thema Israel?»

Mach dein Gegenüber auf den pauschali- sierenden Charakter dieser Aussage aufmerksam (nicht alle Jud:innen sind Israelis und nicht alle israelischen Staatsbürger sind Jud:innen).

Erkläre, dass es Anti- semitismus schon viel länger gibt als den Staat Israel.

ARGUMENTATIONSHILFE

«Gilt das auch für andere Staaten, die kriegerische Konflikte führen?»

«Beschäftigst du dich genauso viel mit dem Nahostkonflikt wie mit anderen Konflikten in der Welt?»

«Es ist auch nicht ok, alle Muslim:innen für die Politik eines muslimischen Staates verantwortlich zu machen und Islamo-phobie damit zu rechtfertigen. Diese Denkweise ist Täter- Opfer Umkehr, da sie Betroffene von Anti-semitismus und Rassismus zu Schul- digen machen will.»

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«NATÜRLICH BIN ICH GEGEN HASS UND GEWALT.

DIE BESTE PRÄVENTION WÄRE, WENN IHR JUDEN EINFLUSS IN

ISRAEL NEHMEN WÜRDET UND DORT DIE EIGENEN RADIKALEN SIEDLER,

BESATZER UND POLITIKER BEKÄMPFEN WÜRDET. DAS IST DIE WURZEL

ALLEN ÜBELS.»

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HINTERGRUNDINFO Gemäss dieser Argumentationsweise sind Jud:innen weltweit mitverantwortlich für Israels Politik. Solange diese nicht aktiv eingreifen, sei Antisemitismus die gerechtfertigte Reaktion auf die geopolitischen Gegebenheiten im Nahen Osten. Da für das Gegenüber Israel mit allen Jud:innen gleichgesetzt wird, geht die negative Sicht auf Israel auch mit einer negativen Sicht auf Jud:innen Allgemeinen einher. Eine jud:innenfeindliche Haltung sei somit die verständliche, ja logische und rationale Folge. Folgt man dieser klassischen jud:innenfeindlichen Argumentationsstrategie, sind Jud:innen selbst schuld am Antisemitismus.

Schweizer Jud:innen mit Israel gleichzusetzen, bedient gleich mehrere jud:innenfeindliche Stereotype. Zum einen stellt die Vorstellung eines weltweit agierenden Kollektivs der Jud:innen eine sehr etablierte antisemitische Verschwörungstheorie dar. Zum anderen werden Jud:innen in der Schweiz bezüglich Nationalität nicht mit der Schweiz, sondern mit Israel assoziiert. In beiden Formen wird Jud:innen Individualität und Pluralismus abgesprochen. Zugleich zeigt sich die Fehlvorstellung, dass Jud:innen automatisch Israelis seien.

? ...«Wieso machst du dir Gedanken über Israel?»

«Welches Übel meinst du?»

«Regst du dich auch über andere Gebiets- konflikte auf?»

«Warum denkst du, ich hätte Einfluss auf Israel?»

Verweise auf die groben und oftmals falschen Pauscha- lisierungen: Nicht alle Jud:innen sind Israelis und nicht alle israeli- schen Staatsbürger sind Jud:innen.

Auch kann man das Gegenüber darauf aufmerksam machen, dass es hier klassische Täter-Opfer-Umkehr betreibt.

ARGUMENTATIONSHILFE

«Es ist auch nicht ok, alle Muslim:innen für die Politik eines muslimischen Staates verantwortlich zu machen und Islamo- phobie damit zu rechtfertigen. Diese Denkweise ist Täter- Opfer Umkehr, da es Betroffene von Antisemitismus und Rassismus zu Schul- digen machen will.»

«Können Schweizer Katholik:innen Einfluss auf die Handlungen im Vatikan nehmen?»

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«DAS SCHÄCHTEN IST EIN MITTELALTERLICHES RITUAL UND GEHÖRT

IN EINEM ZIVILISIERTEN LAND WIE DER SCHWEIZ VERBOTEN.

SONST WÜRDEN SICH EINIGE BARBAREN MIT DEN UNGEEIGNETSTEN WERKZEUGEN

JOHLEND AN DIE ERMORDUNG UND FOLTERUNG DER TIERE MACHEN.»

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HINTERGRUNDINFO Seit 1893 ist das Schächten in der Schweiz verboten. Die Debatten um die Volksinitiative– die allererste, die in der Schweiz zur Abstimmung gelangte – waren geprägt von einem stark antisemitischen und fremdenfeindlichen Klima. Obwohl es auch damals keine Nachweise darüber gab, dass das Schächten den Tieren mehr Leid zufüge als die Schlachtung mit einer vorherigen Betäubung, stellten die Befürworter des Schächtverbots das Schächten als grausam dar. Dies hatte das Bild zur Folge, Jud:innen seien unzivilisiert und rückständig.

Auch heute ist das Schächten ein regelmässig wiederkehrendes Thema in gesellschaftspolitischen Debatten der Schweiz. Nach wie vor stellen die Gegner das Schächten als eine Schlachtmethode dar, welche von Jud:innen aus Freude an der Tierquälerei praktiziert würde. Sie verunglimpfen dabei Jud:innen als Mörder und Folterer.

Der Kommentar hierarchisiert auch die Schweizer Bevölkerung, indem die Forderung nach einem Schächtverbot zu einem Test darüber gemacht wird, wer das «Sagen» im Lande habe. «Wir» meint hier ganz klar eine Schweiz, zu der Jud:innen nicht als zugehörig erachtet werden. Schweizer Jud:innen werden somit zu Fremden erklärt.

? ...«Wieso liegt dir dieses Thema so am Herzen?»

«Wieso empfindest du diese Art des Schlachtens als so viel schlimmer?»

«Woher hast du das Bild vom Schächten als unzivilisiert und rückständig?»

Erkläre den histo- rischen Hintergrund des Schächtverbots, um aufzuzeigen, wie antisemitische Halt- ungen den Abstim- mungskampf prägten und das Schächten bis heute als unzivilisiert angesehen wird.

Verweise auf die Religions- und Kultus- freiheit, welche in der Schweiz verfassungs- rechtlich gewährleistet ist.

Erkläre, dass sich dank des Durchschnitts der Halsschlager das Hirn in Sekunden-bruchteile vom Blut entleert und damit das Tier keine Schmerzen empfinden kann.

ARGUMENTATIONSHILFE

«Wie würdest du dich fühlen, wenn das Christentum/der Islam aufgrund bestimmter Praktiken als unzivilisiert und rückständig betrachtet würde?»

«Findest du das Abhacken des Kopfs beim Geflügel ohne vorherige Betäubung, wie es in zahlreichen christlich geprägten Ländern üblich ist, auch barbarisch und unzivilisiert? Wie erklärst du dir, dass diese Praktik weiter- hin in der Schweiz erlaubt ist?»

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«JUDEN HABEN AUS IHRER VERFOLGUNG NICHTS GELERNT. SIE TUN DEN PALÄSTINENSERN

DASSELBE AN, WAS IHNEN DIE NAZIS ANGETAN HABEN.»

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HINTERGRUNDINFO Das Zitat weist zwei problematische Aspekte auf. Im Sprechen von «den Juden» wird erstens die stereotypische Haltung vertreten, dass alle Jud:innen gleich denken und gleich handeln. Diese Pauschalisie-rung dient oft als Grundlage für antisemitische Verschwörungstheorien, wonach Jud:innen die Kontrolle über die Welt anstrebten.

Zweitens suggeriert die Gleichsetzung der Politik Israels mit der Politik der Nationalsozialisten eine Verschiebung des Opfer-Täter-Verhältnisses, indem Jud:innen, die Opfer von gestern, als Täter von heute dargestellt werden.

? ...«Warum sprichst du von ‚den Juden’, wenn es doch eigentlich um den Staat Israel geht?»

«Warum machst du alle Jud:innen der Welt für die Politik des Staates Israel verantwortlich?»

«Was hat der Massen- mord an den europäi- schen Jud:innen mit dem Nahostkonflikt zu tun?»

«Was genau tut Israel denn den Palästinen- sern an? Wie ist das zu vergleichen mit einem gezielten Massenmord an Jud:innen während des Zweiten Welt- kriegs?»

Nicht alle Jud:innen denken und handeln gleich. Daher sollte man nicht von ihnen als Kollektiv sprechen.

Erkläre, warum der Holocaust nicht mit dem Nahostkonflikt zu vergleichen ist.

ARGUMENTATIONSHILFE

«Ziehst du ähnliche Schlüsse bei anderen Religionen (Muslim:innen, Christ:innen, Buddhist:innen…)?»

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«ALS AUSERWÄHLTES VOLK FÜHLEN SICH JUDEN ALLEN ANDEREN

GEGENÜBER ÜBERLEGEN UND GLAUBEN, NIEMANDEM RECHENSCHAFT

SCHULDIG ZU SEIN.»

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HINTERGRUNDINFO Die Aussage suggeriert einen Überlegenheitsdünkel «der Juden» als auserwähltes Volk.

In vormodernen Zeiten verstanden Jud:innen die Auserwählung als gottgegebene Eigenschaft, als Heiligkeit des jüdischen Volkes. Zahlreiche Gebetstexte enthalten die Wendung «Ascher bachar banu» («Der uns erwählt hat»). Auch heisst es im 4. Buch Mose: «Denn ein heiliges Volk bist du dem Ewigen deinem Gott; dich hat erkoren der Ewige dein Gott, ihm zu sein zum Volke des Eigentums vor allen Völkern, die auf der Fläche des Erdbodens» (Deut. 7,6). Die Vorstellung der Heiligkeit und Auserwählung verträgt sich jedoch nicht mit dem Gedanken einer universellen Gleichheit aller Menschen. Im Zuge der Aufklärung und der Moderne stiess diese Vorstellung auf Widerstand, auch innerhalb der jüdischen Gemeinschaft.

Heute existieren unterschiedliche Konzepte von einer Auserwählung nebeneinander. Je nach religiöser, politischer oder traditioneller Ausrichtung variieren sie. Die meisten modern-religiösen Jud:innen verstehen die Auserwählung als moralische Verantwortung und nicht als Auszeichnung oder Hervorhebung. Diese Verantwortung wird nicht durch Geburt oder Konversion verliehen, sondern muss aktiv übernommen werden.

In antisemitischen Haltungen zeigt sich deutlich eine Gegenwehr gegen das Konzept der Auserwählung des jüdischen Volkes, dies jedoch nicht aus der Intention eines universellen Gleichheitsgedanken heraus. Vielmehr steht hier die Auserwählung im Zeichen einer Minderwertigkeit und negativen Aussonderung.

? ...«Wie meinst du das? Was meinst du mit auserwählt?»

«Woher hast du die Vorstellung, Jud:innen würden nicht verant- wortungsbewusst bzw. rücksichtslos handeln?»

Erkläre den Hinter- grund des Konzepts der Auserwählung und verweise auf die unterschiedlichen Auslegungen dieser Vorstellung innerhalb der jüdischen Gemeinschaft.

Erkläre, warum die Auserwählung in dieser Aussage antisemitisch ist.

Nicht alle Jud:innen denken und handeln gleich. Daher sollte man nicht von ihnen als Kollektiv sprechen.

ARGUMENTATIONSHILFE

«Wem gegenüber sind Staaten denn Rechenschaft schuldig? Machen das christliche Staaten?»

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«SO VIELE PALÄSTINENSISCHE KINDER SIND BEREITS VON DER ISRAELISCHEN

ARMEE GETÖTET WORDEN. UND WAS HÖRT MAN DAVON IN DEN WESTLICHEN MEDIEN?

EIN OHRENBETÄUBENDES SCHWEIGEN. ES WAREN NICHT DIE PALÄSTINENSER,

DIE SECHS MILLIONEN JUDEN UMGEBRACHT HABEN.»

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HINTERGRUNDINFO Die Instrumentalisierung des Holocaust ist eine weit verbreitete Taktik bei antisemitisch geprägter Kritik an Israel. In diesem konkreten Beispiel setzt die Person den Tod palästinensischer Kinder in Bezug zum Holocaust. Israel würde diese als Rache für die Ermordung von sechs Millionen Jud:innen durch das nationalsozialistische Deutschland umbringen. Zugleich suggeriert dieser Vergleich, dass Israel an den Palästinensern ebenfalls einen Genozid verüben würde. Dass die Schreiberin des Zitats gerade Kinder als Opfer herausstreicht, mag damit zusammenhängen, dass Kinder als besonders unschuldig gelten. Zugleich existiert seit dem Mittelalter das antisemitische Verschwörungskonstrukt, Jud:innen würden nichtjüdische Kinder bewusst für rituelle Zwecke töten.

Das Gegenüber gibt mit der begrifflich nicht vorgenommenen Trennung zwischen Israel und Jud:innen ein weiteres häufig in jud:innenfeindlichen Äusserungen gegen Israel anzutreffendes Muster wieder. Israel wird mit Jud:innen insgesamt gleichgesetzt. Unterschiedliche Kollektive werden vermischt und es wird ausgeblendet, dass Israel keineswegs alle Jud:innen der Welt repräsentiert, respektive, dass das Judentum an sich eine pluralistische Gesellschaft darstellt; in Israel gibt es zudem auch eine grosse nichtjüdische Bevölkerung. Indem in Kollektiven gesprochen wird, werden Individualität und Heterogenität ausgeblendet.

Die in den Zeilen geäusserte Kritik an den europäischen Medien ist ebenfalls problematisch, da sie an eine antisemitische Verschwö-rungstheorie anknüpft, die besagt, «die Juden» würden die Medien beeinflussen oder gar kontrollieren. Diese Aussage mag auch ein Indiz dafür sein, dass das Gegenüber die Vorstellung hat, dass die westlichen Medien aufgrund von Schuldgefühlen – ausgelöst durch den Holocaust - Israel an milderen Standards messen würden.

? ...«Wieso vergleichst du den Holocaust mit dem Nahostkonflikt?»

«Wieso glaubst du, westliche Medien würden absichtlich nicht über den Konflikt und die Opfer berichten?»

«Was meinst du damit? Kannst du mir die Zusammenhänge genauer erklären?»

Erkläre, dass es sich hier um eine Gleich- setzung des Holo- causts mit dem Nah- ostkonflikt handelt.

Verweise darauf, dass Jud:innen nicht mit Israel gleichzusetzen sind. Denn nicht alle Jud:innen sind Israelis und nicht alle israeli- schen Staatsbürger sind Jud:innen.

ARGUMENTATIONSHILFE

«Wenn die westlichen Medien darüber schweigen, woher hast du dann die Informationen von den zahlreichen getöteten Kindern?»

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«ES IST EINFACH EINE PROVOKATION, WIE DIE JUDEN HIER HERUMLAUFEN.

VON ALLEN ANDEREN WIRD ERWARTET, DASS SIE SICH INTEGRIEREN –

DIE ABER GLAUBEN, ETWAS BESONDERES ZU SEIN UND LAUFEN HIER HERUM, WIE IM MITTELALTER. UND DABEI

GRÜSSEN SIE NICHT EINMAL.»

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HINTERGRUNDINFO Zunächst findet in dem Zitat eine Gleichsetzung statt: Aus den orthodoxen Jud:innen werden alle Jud:innen. Weiter wird diesen anhand ihres Kleidungsstils und Nicht-Grüssens ein fehlender Integrationswille vorgeworfen und unterstellt.

Die Kleider orthodoxer Jud:innen entsprechen einem traditionellen osteuropäischen Kleidungsstil. Dieser wird im Zitat als «mittelalterlich» bezeichnet, was impliziert, dass Jud:innen nicht in der Moderne angekommen seien. Hinter dem Satz «Sie fühlen sich als etwas Besonderes» steckt auch die antisemitische Lesart der «jüdischen Auserwähltheit». Schliesslich kulminiert all dies in dem Vorwurf, sich der «Tradition» des gegenseitigen Grüssens zu verweigern, da sich Jud:innen für etwas Besseres halten und jede Form der Integration verweigern. Dieser Vorwurf gehört in den Bereich des Antisemitismus, da er explizit jüdischen Menschen Fähigkeit und Wille abspricht, Teil der Gesellschaft zu sein.

? ...«Was weisst du über diese Menschen und ihre Lebensweise?»

«Warum fühlst du dich von ihnen und ihrer Kleidung provoziert?»

«Provozieren dich auch andere Kleidungen wie beispielsweise das muslimische Kopftuch oder eine Halskette mit einem Kreuz daran?»

«Wieso stört es dich, dass diese Menschen nicht grüssen, stört dich das bei anderen Personen auch?»

«Warum glaubst du, diese Menschen seien aufgrund ihrer äusse- ren Erscheinung weniger in die Gesell- schaft integriert als andere?»

Erkläre den Hinter- grund der osteuropäi- schen Kleidungsart und weise dein Gegen- über darauf hin, dass die individuelle Klei- dung eines Menschen kein Zeichen für den Ausschluss aus der Gesellschaft darstellt, noch ist sie ein Symbol für den individuellen Integrationswillen.

Weise darauf hin, dass hier eine Gleichsetzung von orthodoxen Jud:innen mit allen Jud:innen vorliegt.

ARGUMENTATIONSHILFE

«Wie würdest du dich fühlen, wenn jemand Christ:innen, Schweizer:innen oder Muslim:innen aufgrund bestimmter Praktiken als rück- ständig bezeichnen würde?»

«Dann sind deiner Meinung nach Kopftuch tragende Musliminnen und Klosterfrauen auch nicht in die Gesell- schaft integriert?»

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«ER ISCH EBE Ä JUD.» («ER IST HALT EIN JUDE.»)

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HINTERGRUNDINFO Der Sprecher setzt voraus, dass es ein allgemein geteiltes Verständnis davon gibt, was «ä Jud» ist und wofür dieser steht. Die Aussage impliziert, dass mit der Bezeichnung «ä Jud» auf etwas Bezug genommen werden kann, das nicht verbalisiert werden muss oder nicht verbalisiert werden darf. Dies ist deshalb problematisch, da es impliziert, dass es typische jüdische Eigenschaften gäbe, die allen jüdischen Menschen zukommen würden.

Die religiöse oder ethnische Zugehörigkeit eines Menschen ist bei vielen Tatsachenschilderungen jedoch schlicht irrelevant. Dass sie hier trotzdem genannt wird, impliziert, dass bei neutralen Sachverhalten die religiöse Differenz betont werden muss, um eine klare Trennung zwischen «wir» und «die Juden» aufrechtzuerhalten.

? ...«Was willst du damit sagen?»

«Wie sind Jud:innen?»

«Was genau verstehst du unter ‚einem Juden’?»

«Welche Eigenschaften hat eine solche Person deiner Meinung nach?»

Sollte die Antwort antisemitische Vor- urteile enthalten, kann man diese mit dem kontextualisierten Hintergrundwissen entkräften und Gegen- fragen stellen wie z.B. «Und Christ:innen, Muslim:innen oder Buddhist:innen machen das nicht?»

Es ist eine feine Linie zwischen Verständnis und Stigmatisierung, wenn Menschen aufgrund Identitäts- anteilen beschrieben oder reduziert werden. Die religiöse Identität kann prägend und identitätsstiftend sein, aber Menschen aufgrund ihrer Religion zu beurteilen, ist diskriminierend.

ARGUMENTATIONSHILFE

«Wie würdest du darauf reagieren, wenn jemand in dem Satz das Wort ‚Jude’ durch ‚Schweizer’ oder ‚Christ’ersetzen würde?»

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«JÜDISCHE KINDER HABEN EINE VIEL HÖHERE

MATURITÄTSQUOTE ALS ANDERE. JUDEN SIND EBEN CLEVER.»

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HINTERGRUNDINFO Im Gegensatz zu anderen, eher positiv bewerteten Begriffen wie «gescheit» oder «intelligent» haftet dem Wort «clever» eine bestimmte negative Konnotation an, die suggeriert, dass sich jemand durch listige Tricks Vorteile verschafft (im Märchen wird zum Beispiel der hinterlistige Fuchs oftmals als clever dargestellt). Liest man im Duden die Definition für «clever», heisst es: «…mit Schläue und Wendigkeit alle vorhandenen Fähigkeiten einsetzend und geschickt alle Möglichkeiten nutzend.»

Diese Aussage kann daher als antisemitisch gewertet werden, da sie suggeriert, dass die Betroffenen nicht aufgrund ihrer Leistung, sondern aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit eine höhere Maturitäts- quote aufweisen würden. Die Aussage verkennt grundlegende Fakten, wie zum Beispiel, dass Bildungserfolge stark vom Bildungsstand der Eltern abhängen (ungeachtet der Religion!) und auch dass es inner- halb der jüdischen Gemeinschaft Personengruppen gibt, für die das Gymnasium keine Option ist. Mit diesen groben Verallgemeinerungen und vermeintlichen Zusammenhängen bietet man Verschwörungs-theorien einen Nährboden, die Jud:innen als gesellschaftliche Eliten sehen, die als heimliche Herrscher über die Weltpolitik bestimmen.

? ...«Was meinst du mit ‚clever’?»

«Warum denkst du, dass alle Jud:innen clever sind?»

«Wo hast du diese Auffassung her?»

Erkläre, dass es sich bei «den Juden» nicht um eine homogene Gruppe handelt, sondern dass es auch dort - wie in allen gesellschaftlichen Schichten - grosse Unterschiede gibt.

Weise darauf hin, dass Bildung sehr viel mit Schichtzugehörigkeit und kaum etwas mit Religionszugehörigkeit zu tun hat. Wer wenig gebildete Eltern hat, wird eher nicht die Maturität erreichen – egal in welcher Religionsgruppe.

ARGUMENTATIONSHILFE

«Wo fühlst du dich hier konkret Unge- rechtigkeiten aus- gesetzt? Und was haben Jud:innen damit zu tun?»

«Warum glaubst du, dass man, um die Maturität zu erreichen, einfach nur ‚clever’ sein muss? (Hat es nicht vielmehr mit Lernprozessen und einem unterstützen-den Umfeld zu tun?)»

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Passant auf offener Strasse zu einem als Jude erkennbaren Mann:

«EUCH SCHNEIDE ICH DIE KEHLE AUF!»

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HINTERGRUNDINFO Diese Situation unterscheidet sich stark von den anderen Beispielen, da es sich hier nicht um antisemitisch konnotierte Sprüche, sondern um eine klare Drohung handelt. Die Verhaltensweise und Reaktions-möglichkeiten unterscheiden sich daher klar von den anderen Beispielen. Diskutieren, erklären und nachfragen sind hier nicht die richtigen Mittel.

Da es sich um eine potenziell gefährliche Situation handelt, ist es sowohl für die Opfer als auch für andere mögliche Beteiligte wichtig, zuerst auf die eigene Sicherheit zu achten. Das heisst, sich vom Täter möglichst fernzuhalten und so schnell wie möglich die Polizei zu informieren. Man kann auch eine Anzeige in Betracht ziehen, da allenfalls ein Straftatbestand vorliegt (Drohung gemäss allge- meinem Strafrecht).

In so einem Fall ist der erste Ansprechpartner die Polizei. Später sollte der Vorfall bei der Antisemitismus-Meldestelle des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes SIG oder der GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus gemeldet werden.

? ...ARGUMENTATIONSHILFE

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Da es sich um eine potenziell gefährliche Situation handelt, ist es sowohl für die Opfer als auch für andere mögliche Beteiligte wichtig, zuerst auf die eigene Sicherheit zu achten. Das heisst, sich vom Täter möglichst fernzuhalten und so schnell wie möglich die Polizei zu informieren.

Die Verhaltensweise und Reaktionsmöglichkeiten unterscheiden sich daher klar von den anderen Beispielen. Diskutieren, erklären und nachfragen sind hier nicht die richtigen Mittel.

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«WARUM BEZAHLT NICHT ISRAEL, WENN DIE JUDEN UNBEDINGT

SICHERHEIT WOLLEN? KEINE ANDERE RELIGION BENÖTIGT

EINE SOLCHE SICHERHEITSAUSRÜSTUNG ODER WIRD FINANZIELL UNTERSTÜTZT.»

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HINTERGRUNDINFO Im vorliegenden Zitat werden zwei verschiedene Punkte angesprochen: Zum einen werden jüdische Schweizer:innen mit Israel gleichgesetzt, obwohl ein Grossteil der Jud:innen keine Staatsbürger Israels ist. Dieses Vorurteil besagt, dass Jud:innen gar keine richtigen Schweizer:innen, Franzos:innen usw. sein können, sondern immer nur «Gast» im eigenen Land und am Ende des Tages lediglich loyal zu Israel seien. Daher soll auch Israel für ihre Kosten aufkommen. Zum anderen schwingt hier das Vorurteil des «geldgierigen Juden» mit.

Auch ist die Aussage problematisch, da suggeriert wird, Jud:innen würden mit ihren Sicherheitsbedenken übertreiben. Aber die Jud:innen «wollen» nicht mehr Sicherheit, sie «brauchen» mehr Sicherheit, da regelmässig und weltweit Anschläge auf jüdische Institutionen verübt werden. Daraus leitet sich auch das Bedürfnis und die Notwendigkeit nach entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen in der Schweiz ab.

? ...«Wieso soll ein anderes Land für die Sicherheit von Schweizer Bürgern zahlen?»

«Findest du nicht auch, dass der Schweizer Staat für die Sicherheit aller seiner Bürger zuständig ist, egal, welcher Religion sie angehören?»

«Denkst du, Jud:innen sind gefährdet in der Schweiz?»

Man kann darauf hin- weisen, dass auch in Nachbarländern die Kosten zum Schutz der jüdischen Bevölkerung vom Staat übernom- men werden. In Italien, Österreich und Deutschland be- wachen Polizisten Synagogen und jüdische Gemeinde- häuser.

Weiter sollte darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Gleichsetzung von «Schweizer Jud:innen» mit Israel jud:innenfeindliche Stereotype suggeriert.

ARGUMENTATIONSHILFE

«Wo fühlst du dich konkret Ungerechtig- keiten ausgesetzt, wenn ein Staat seiner Aufgabe nach- geht, seine Bürger zu schützen?»

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«ICH HASSE DIESE LEUTE WIE DIE PEST,

SCHADE HAT HITLER NICHT LÄNGER GELEBT.»

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HINTERGRUNDINFO Solche Äusserungen sind zutiefst antisemitisch. Die Person, die das sagt, gibt mit diesen Aussagen zu verstehen, dass sie Jud:innen hasst und dass sie den Holocaust, also die Ermordung von sechs Millionen Jud:innen, als etwas Positives ansieht und sich wünscht, dass noch mehr, oder sogar alle Jud:innen von den Nationalsozialisten getötet worden wären.

Der Verweis auf die Pest mag auch auf Antisemitismus hinweisen, da Jud:innen während der Pest beschuldigt wurden, Brunnen zu vergiften. Aufgrund der ersten Pestwelle in der Schweiz zwischen 1348 und 1350 wurden mindestens 28 jüdische Gemeinden ausgelöscht. Ab Mitte des 15. Jahrhunderts wurden Jud:innen aus praktisch allen Schweizer Städten vertrieben.

Bei dieser Aussage handelt es sich um mehr als subtilen Alltagsantise-mitismus. Ein Austausch auf Augenhöhe, um dem Gegenüber die antisemitischen Untertöne klarzumachen ist daher wohl kaum sinnvoll. Am besten wird eine solche Äusserung gleich gemeldet (beispielsweise einer Lehrperson, der Schulsozialarbeit und an einer Meldestelle wie der GRA). Falls die Aussage in einem öffentlichen Setting geschehen ist (beispielsweise als Facebookpost oder Schmiererei an einer Hauswand), kann eine Strafanzeige eingereicht werden.

In solch einer Situation brauchst du nicht in eine Diskussion zu treten. Halte Distanz und melde den Vorfall einer dafür entsprechend geeigneten Person bzw. Stelle.

? ...ARGUMENTATIONSHILFE

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In solch einer Situation brauchst du nicht in eine Diskussion zu treten. Halte Distanz und melde den Vorfall einer dafür entsprechend geeigneten Person bzw. Stelle.

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«DIE BESCHNEIDUNG VON JUNGEN IST PRIMITIVER KINDESMISSBRAUCH

UND SOLLTE VERBOTEN WERDEN.»

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HINTERGRUNDINFO Der Gebrauch der Worte «Kindesmissbrauch» und «primitiv» spielt auf alte antisemitische Vorurteile an, nach denen die Jud:innen ein nicht in der Moderne angekommenes Volk seien, das dazu noch Kinder zu rituellen Zwecken missbrauchen würde. Im Mittelalter diente dazu der Mythos des Ritualmordes, also des Mordes an einem Christenkind, um mit dem Blut z.B. Mazzot (ungesäuertes Brot, dass Jud:innen zum Pessachfest essen) zu backen.

Heute wird die Beschneidung der jüdischen Knaben von Manchen als Zeichen der Rückständigkeit gedeutet und angeprangert. Im religiösen Verständnis des Judentums ist die Beschneidung für Knaben das wichtigste Zeichen der Zugehörigkeit zum jüdischen Volk und seinem Bund mit Gott.

? ...«Warum entscheiden Eltern, ihre Söhne zu beschneiden?»

«Warum führen Ärzte und Spitäler Beschnei- dungen aus?»

«Worin siehst Du den Missbrauch?»

In der Diskussion sollte auf die medizinischen, kulturellen und religiö- sen Hintergründe der Beschneidung hin- gewiesen werden.

Mach deutlich, dass mit Aussagen wie «Kindesmissbrauch» ein eindeutig antise- mitisches Muster be- dient wird – egal, wie man selbst zur Be- schneidung steht. Ge- sundheit, Religion und Tradition sind zudem vertretbare Motive der elterlichen Sorge.

Du kannst erklären, dass die Religions- und Kultusfreiheit staatlich geschützt sind und du kannst darauf hin- weisen, dass im Islam Knaben ebenfalls beschnitten werden.

ARGUMENTATIONSHILFE

Etwa 30% aller Männer auf der Welt sind beschnitten. Studien der WHO erkennen die Beschneidung von Männern als effek- tives Mittel im Kampf gegen die Übertra- gung von HIV und an- deren Krankheiten an.

«Findest du die Beschneidung bei nicht-jüdischen Männern ebenso verwerflich?»

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«ICH HABE DIR GLEICH ANGESEHEN, DASS DU JÜDISCH BIST.»

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HINTERGRUNDINFO Jud:innen leben und lebten überall auf der Welt und sehen daher ganz unterschiedlich aus. Trotzdem wird manchmal davon ausgegangen, dass es ein bestimmtes jüdisches Aussehen gibt, sozusagen einen genetischen Code, an dem man Jud:innen äusserlich einfach erkennen und zuordnen kann. Dabei konstruiert das Gegenüber – ob bewusst oder unbewusst – eine klar identifizierbare Linie zwischen einem «jüdischen Körper» und einem «nicht-jüdischen Körper» und suggeriert, dass alle Jud:innen auf der Welt physische Gemeinsamkeiten aufweisen.

Diese Vorstellung von typischen jüdischen körperlichen Merkmalen (grosse Nase, lockige dunkle Haare…) bestehen schon seit Jahrhunder-ten und werden in Karikaturen immer wieder verwendet. Diese Darstellungen dienen oftmals dazu, alle Jud:innen gleichzusetzen und abzuwerten.

Die falsche Annahme, es gäbe ein typisch jüdisches Aussehen, basiert oft auf einer – wenn auch unbewussten - rassistischen Denkweise. Die Nationalsozialisten argumentierten, dass Jud:innen einer minderwerti-gen Rasse angehörten und daher vernichtet werden müssten. Aus diesem Grund sind solche Aussagen immer problematisch, auch wenn der Sprecher oder die Sprecherin keine bösen Absichten verfolgt.

? ...«Wie sehen Jud:innen denn deiner Meinung nach aus?»

«Wie viele Jud:innen kennst du?»

«Wie sehen indische, libanesische oder äthiopische Jud:innen aus?»

«Woher hast du diese Vorstellung?»

Wahrscheinlich ist sich das Gegenüber gar nicht bewusst, dass diese Aussage proble- matisch ist. Trotzdem oder gerade deshalb ist es wichtig, sie darauf anzusprechen und zu erklären, inwiefern mit so einer Aussage antisemi- tische Stereotype gefördert werden und eine klare Trennlinie zwischen «Wir» (den nicht- Jud:innen) und «Ihr» (den Jud:innen) gezogen wird und damit oftmals eine Wertung einhergeht.

ARGUMENTATIONSHILFE

«Wie wäre es für dich, wenn ich dein Aus- sehen basierend auf deiner tatsächlichen oder vermeintlichen Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion, Ethnie, Nationalität, Geschlecht usw. bewerten würde.»

«Erkennst du auch Muslim:innen, Kroat:innen, Appenzeller:innen an ihrem Aussehen?»

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«DIE ROTHSCHILDS STECKEN HINTER DEN CORONA-MASSNAHMEN.»

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HINTERGRUNDINFO Mit den «Rothschilds» ist eine alte, jüdische Bankiersfamilie aus Deutsch- land, die im 19. Jahrhundert zu den einflussreichsten und wichtigsten Finanziers Europas gehörte gemeint.

Der Name Rothschild wird in vielen Verschwörungstheorien als Symbol für die angebliche Allmacht des «Weltjudentums» verwendet, das einheitlich denkt und handelt, um die Welt zu beeinflussen und um eigenen Profit daraus zu schlagen. Auch während dem Nationalsozialis-mus kam der Familienname für antisemitische Propaganda zum Einsatz. Damit beziehen sich solche Aussagen auf uralte Stereotype, die besagen, dass Jud:innen besonders viel Macht und Geld besitzen und das Weltgeschehen heimlich lenken.

Verschwörungstheorien fallen zu Krisenzeiten (wie etwa während der Corona-Pandemie) auf fruchtbaren Boden, da sie globale Katastrophen erklärbar machen und für ein Gefühl der Sicherheit sorgen. Verschwö-rungstheorien konstruieren einfache Zusammenhänge für komplexe globale Ereignisse und (er-)finden oftmals einen «Sündenbock», der für die Krise verantwortlich gemacht werden kann. Die Schuldigen sind dabei oftmals Jud:innen

Jud:innen für eine globale Pandemie verantwortlich zu machen ist nichts Neues. Bereits im Mittelalter, als die Pest in ganz Europa wütete, wurden Jud:innen beschuldigt, Brunnen vergiftet zu haben. Aufgrund der ersten Pestwelle in der Schweiz zwischen 1348 und 1350 wurden mindestens 28 jüdische Gemeinden ausgelöscht. Ab Mitte des 15. Jahrhunderts wurden Jud:innen aus praktisch allen Schweizer Städten vertrieben.

? ...«Warum glaubst du das? Woher hast du diese Idee?»

«Wie meinst du das? Kannst du es mir er- klären? »

Gehe auf die Unsicher-heit des Gegenübers ein: «Ich verstehe, dass diese Situation einzigartig ist und viel Unsicherheit auslöst.»

Erkläre, warum diese Aussage antisemitisch ist.

ARGUMENTATIONSHILFE

«Warum sollte sich eine Familie selbst durch Massnahmen freiwillig einschrän- ken?»

«Findest du es nicht auffällig, dass mit der gleichen Argumen- tationsstruktur stets andere Personen- gruppen hinter den Massnahmen und dem Corona-Virus vermutet werden?»

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